Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Abschreckung und Feindbild in der Phase der Entspannungspolitik | APuZ 6/1973 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 6/1973 Abschreckung und Feindbild in der Phase der Entspannungspolitik Entwicklungspolitik und administrative Praxis

Abschreckung und Feindbild in der Phase der Entspannungspolitik

Ludwig Schulte

/ 51 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Fortsetzung der Entspannungspolitik, die gegenwärtig keine politische Alternative hat, und die erfolgreiche Beendigung der ersten Gesprächsrunde zwischen den USA und der UdSSR über die Begrenzung der strategischen Rüstung (SALT) lassen die Frage nach dem Stellenwert des Abschreckungssystems besonders aktuell werden. Welchen Sinn haben die SALT-Vereinbarungen, wenn die Rüstung in Teilbereichen dennoch weitergeht? Ist die Abschreckung nicht politischer Ballast für die fortschreitenden Entspannungsbemühungen der Staaten? Läßt sich die Sicherheit der NATO-Staaten überhaupt durch das Abschreckungssystem erreichen, da nach Ansicht der Kritiker eine wirkungsvolle Verteidigung der BRD und Mitteleuropas im Kriegsfall ohnehin nicht möglich ist? Mit diesen Fragen setzt sich der vorliegende Beitrag auseinander, um den gewandelten politischen Stellenwert von Abschreckung und Feindbild sichtbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit den Kritikern des Abschreckungssystems nimmt die kritische Würdigung der Thesen von C. F. v. Weizsäcker und seiner Autoren in dem Buch „Durch Kriegs-verhütung zum Krieg?" einen breiten Raum ein. Darüber hinaus wird ein Modell zur Analyse des Entspannungsvorgangs entwickelt, der als ein Prozeß zwischenstaatlicher Rückkoppelung verstanden wird, in dem den Machteliten der Staaten eine besondere Rolle zufällt.

Nach der erfolgreichen Beendigung der letzten SALT-Runde ist die Frage nach dem Sinn des Abschreckungssystems von brennender Aktualität. Denn kaum war das SALT-Gespräch zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten mit einem ersten greifbaren Ergebnis abgeschlossen worden, forderte Nixon die Entwicklung neuer Waffensysteme und die Bewilligung der dazu gehörigen Geldmittel, damit der Frieden durch Abschreckung gesichert werden könne. Auch Breschnew hatte nach zuverlässigen Berichten amerikanischer Diplomaten nach Beendigung der SALT-Gespräche keinen Zweifel daran gelassen, daß er die Entwicklung jener Waffensysteme fortsetzen werde, die von der SALT-Übereinkunft nicht betroffen werden. Somit dreht sich der Teufelskreis von Aktion und Reaktion weiter. Dies ruft die Kritiker auf den Plan, die das gesamte System der Abschreckung für fragwürdig halten.

Die Hauptargumente der Kritiker lauten: Die Eigendynamik des Rüstungswettlaufes ist nicht zu bremsen. Selbst die Reduktion der Waffensysteme und Streitkräfte führt nicht zu einem durchschlagenden Erfolg, solange sich die politischen Wertpositionen und Ideologien nicht radikal verändern. Der Rüstungswettlauf bewirkt einen politischen Sog, der zur Intensivierung der Feindbilder ebenso führt wie zur Vergiftung der internationalen Atmosphäre. Dies aber wirkt der Veränderung politischer Wertpositionen und Ideologien im Sinne der Entspannung entgegen.

Wenn man diese kritischen Thesen akzeptiert, folgt daraus das Fazit, daß für die Entspannungspolitik in der Zukunft nichts Gutes zu erwarten ist. Sie kann am Ende nur in ein Fiasko münden.

Strategisch gesehen, führt Entspannung nach diesem kritischen Denkmodell nicht zum Frieden, sondern zu einer gewissen zeitlich beschränkten Stabilität. Die Instabilität der Weltpolitik kann jedoch jederzeit wieder wachsen 1).

Dieser kritischen Grundposition, die heute von Vertretern der sogenannten kritischen Friedensforschung verfochten wird, steht eine andere Auffassung gegenüber, die sich folgendermaßen kennzeichnen läßt: Entspannung führt zur allmählichen Veränderung der Wert-positionen (Gradualismus), die der bisherigen Konfrontation zugrunde liegen, und mindert daher, trotz einer zum Teil weitergeführten Rüstung, die politischen Intentionen zur Drohpolitik und zur Aggression 2).

Diese politische Konzeption ist der theoretische überbau aller politischen Bemühungen, die Konfrontation zwischen Ost und West allmählich durch eine sich anbahnende und intensivierende Kooperation zu überwinden. Nicht das Gleichgewicht der militärischen und politischen Kräfte zwischen den Kontrahenten soll den Frieden auf Dauer stabilisieren, sondern der Ausbau der Handelsbeziehungen, der Aus-tausch von Menschen, Ideen und Kulturgütern jeder Art, also die Dynamik der Wechselbeziehungen zwischen den Völkern. Insofern steht diese Konzeption der Entspannung im Gegensatz zum Gleichgewichtsmodell, welches das politische Denken im 19. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts be-herrschte Eine Analyse des Gleichgewichts-modells kann am ehesten die qualitativen Veränderungen sichtbar machen, die mit der Entspannungspolitik eingetreten sind.

I. Das Modell des Kräftegleichgewichts

Winfried Böll: Entwicklungspolitik und administrative Praxis S. 24

Morgenthau nennt drei strukturelle Merkmale des Gleichgewichts der Kräfte:

1. Eine möglichst große Zahl einander gleichberechtigter Mächte, die sich im internationalen Interessenstreit befinden.

2. Eine ausgleichende Macht, die in den Auseinandersetzungen der Staaten regulierend wirkt.

3. Das Ausweichen nationaler Machtpolitik in die kolonialen Räume 4).

Für die kritische Untersuchung des Gleichgewichtsmodells sind die ersten beiden Merkmale von besonderer Bedeutung.

Morgenthau geht davon aus, daß noch vor wenigen Generationen eine große Zahl von Akteuren auf der internationalen Bühne vorhanden war, deren Zahl sich ständig reduziert hat. 900 souveräne Staaten sollen es am Ende des 30jährigen Krieges gewesen sein. Im Jahre 1815 waren es dagegen nur noch 38 Staaten und bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges blieben acht Großmächte übrig, von denen sich zwei außerhalb Europas befanden: Österreich, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Rußland und die Vereinigten Staaten Wegen ihrer enormen Überlegenheit gegenüber den anderen Mächten übernahmen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion die Rolle der Supermächte.

Morgenthau ist der Ansicht, daß die Reduzierung der Zahl der , Spielteilnehmer'im internationalen Bereich zugleich einen „vermindernden Effekt auf die Einwirkungen des Gleichgewichts der Kräfte" gehabt habe Er schreibt hierzu: „Diese Entwicklung entzog dem Gleichgewicht der Kräfte viel von seiner Flexibilität und Unsicherheit und, als Konsequenz dessen, seiner beschränkten Wirkung auf die aktiv am Machtkampf teilnehmenden Staaten."

In der Begründung seiner These geht Morgenthau von der Vorstellung aus, daß eine größere Zahl von erstrangigen Spielern, wie sie nach seiner Ansicht noch zwischen 1870 und 1940 vorhanden war, einen Unsicherheitsfaktor bedeutete, der mäßigend auf das internationale Klima eingewirkt habe: „Unter solchen Umständen konnte kein Spielteilnehmer mit seinen Machtgelüsten sehr weit gehen, wenn er nicht der Unterstützung mindestens eines seiner Mitspieler sicher war. Und niemand konnte im allgemeinen dieser Unterstützung allzu sicher sein. Es gab eigentlich keinen Staat im 18. und 19. Jahrhundert, der nicht gezwungen war, sich von einer vorgeschobenen Position zurückzuziehen, wenn er nicht die diplomatische oder militärische Rückendeckung von anderen Staaten erhielt ... Je größer die Zahl der aktiven Spieler, um so größer ist die Zahl der Kombinationen und die Ungewißheit darüber, wie diese sich dann gegenüberstehen und über die Rolle, die die einzelnen Spieler tatsächlich darin spielen werden." 8)

Die grundlegende Voraussetzung Morgenthaus in diesem Gleichgewichtsmodell ist seine Definition der Macht, die er identifiziert mit den nationalen Interessen. Macht bedeutet hier bei Morgenthau die „Herrschaft von Menschen über Menschen". So verstanden, stoßen sich die Interessen der Nationen im Raum. Die internationale Politik wird zu einer Politik des Interessenausgleichs, der um so schwieriger wird, je größer die Zahl der Akteure ist. Morgenthau führt eine quantitative Größe, nämlich die Anzahl der , Spielteilnehmer', als Regulator in das internationale Spiel der Kräfte ein. Je größer die Zahl, desto größere Ungewißheit herrscht darüber, welche Rolle der einzelne Spieler tatsächlich spielen wird. Dabei ist die quantitative Größe nur Symbol eines irrationalen Faktors, nämlich der Ungewißheit aller über die Rolle der einzelnen Nationen.

Bei dieser Betrachtungsweise bleibt die außen-politische Konstellation der Staaten außer Betracht, die nicht durch die meßbare Zahl der Akteure, sondern nur qualitativ zu bestimmen ist durch Kennzeichnung der Prioritäten und politischen Ziele der Nationen. Diese qualitative Analyse hat Morgenthau dadurch preisgegeben, daß er einseitig von der Zahl der Akteure ausgeht. Andererseits fehlt ihm auch der Zugang zu dieser qualitativen Analyse durch seine Definition des nationalen Interesses, welches er als Bestreben der Nationen zur Machtausweitung kennzeichnet. Diese Machtausweitung als Faktor nationaler Außenpolitik läßt sich ebenfalls quantiativ bestimmen: Erwerb von Kolonien, Aufbau von Rüstungen, Festigung der national-ökonomischen Basis etc. Insofern läßt sich sagen, daß das Gleichgewichtsmodell Morgenthaus auf quantitative Analysen zurückgeht.

Morgenthau wendet nun das Gleichgewichts-modell auf die gegenwärtige Situation der Bipolarität der Mächte an, um es zu verifizieren. Er kommt hierbei zu dem Schluß, daß politische Richtungswechsel zwar die eine Waagschale etwas heben und die andere ein wenig zum Sinken bringen könnten. „Aber diese Veränderungen konnten das Verhältnis der Waagschalen untereinander, das durch das Übergewicht der erstrangigen Staaten vorbestimmt war, nicht aufheben." Für Morgenthau ist die Macht der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion so überwältigend, daß sie das Gleichgewicht der Kräfte vorherbestimmen. Dieses Gleichgewicht hat sich von einem multipolaren in ein bipolares System verwandelt.

Der Versuch Morgenthaus, seine These zu verifizieren, stößt an dem Punkt auf entscheidende Schwierigkeiten, wo er die Rolle der kleineren Nationen im Kräftegleichgewicht näher zu kennzeichnen sucht. Es handelt sich um die „Have-nots", die Habenichtse der Weltpolitik, die weder über nukleare Rüstungen noch über eine größere Anzahl von her-kömmlichen Divisionen verfügen. Für Morgenthau besteht eine Identität der Unfähigkeit, die Waagschale der Großen zum Sinken zu bringen, und des Mangels an politischer Bewegungsfreiheit, die es den kleineren Nationen früher noch möglich machte, eine oft „entscheidende Rolle im Gleichgewicht der Kräfte zu spielen" Für Morgenthau ist es sowohl für die Vereinigten Staaten wie auch für die Sowjetunion ohne Belang, den Abfall eines Alliierten zu verhindern, da dieser das Gleichgewicht der Kräfte nicht mehr stören kann. Diese These Morgenthaus ist jedoch die Probe aufs Exempel seiner Theorie. Denn die Invasion der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR hat deutlich gezeigt, daß im sozialistischen Lager der Abfall eines Satelliten die ideologische und politische Geschlossenheit des Systems so sehr zu stören vermag, daß der Abfall nicht tatenlos hingenommen werden kann. Kräftemäßig ist die CSSR gegenüber der Sowjetunion ein Zwerg. Aber ideologisch wächst sie zum Riesen durch ihr Bestreben nach politischer und geistiger Selbständigkeit. Ein solches Bestreben ist aber nicht quantitativ zu bestimmen, sondern nur qualitativ zu kennzeichnen, nämlich durch Analyse der ideologischen und politischen Prioritäten dieses Landes

Wenn man davon ausgeht, daß die nationalen Interessen nicht unbedingt identisch sind mit nationaler Machtpolitik, vielmehr die Möglichkeit zur Kommunikation und Konsultation, ja zur politischen Integration offenlassen, so ergibt sich eine grundsätzlich andere Interpretation internationaler Beziehungen, als sie in der Denkrichtung Morgenthaus vorherrscht.

Entspannung ist zwar zunächst auf den eigenen Nutzen der Nationen gerichtet, die sich von dem Fortschritt der Entspannung im Sinne der Konfliktentschärfung finanzielle Vorteile erhoffen (z. B. geringere Kosten für Rüstung), und durch Erarbeitung gemeinsamer Interessenlagen in Wirtschaft, Technologie und Kultur Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu entwickeln suchen, die der Durchsetzung nationaler Interessen dienen. Diese Entwicklung schließt jedoch nicht aus, daß ein Land mit seinen Kräften daran mitwirkt, daß die Interessen einer Nation oder einer Vielzahl von Staaten durchgesetzt werden können (z. B. in Fragen des Umweltschutzes), ohne daß in absehbarer Zukunft ein greifbarer Nutzen für die eigenen Interessen dabei herausspringt. Mögen hierbei auch Ambitionen des Prestiges und Rücksicht auf die öffentliche Meinung eine Rolle spielen, so wird jedenfalls im Zuge derartiger Entspannungspolitik nicht Macht eingesetzt als Mittel zur Durchsetzung eigener nationaler Interessen; und die Stabilität für den Frieden wird nicht im Zeichen des Kräfte-gleichgewichts gesucht, sondern vielmehr im Zeichen der Parallelschaltung gleicher oder ähnlich gerichteter Interessen, die sich nicht im Sinne des Gleichgewichtsmodells quantifizieren lassen.

Die Grenzen des Gleichgewichtsmodells zeigen sich auch bei der Interpretation Morgenthaus zur „ausgleichenden Macht" in der Weltpolitik. Morgenthau spricht vom Verschwinden der ausgleichenden Macht. Großbritannien hat nach seiner Ansicht mehr als drei Jahrhunderte die ausgleichende Funktion im Gleichgewicht der Kräfte erfüllt. Doch der Machtzerfall Großbritanniens hat seine Schlüsselposition im Gleichgewicht der Kräfte erschüttert. Heute sind zwei Giganten ausreichend, das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Für eine dritte Macht oder dritte Kraft gibt es keine Chance mehr, „einen entscheidenden Einfluß auszuüben" In diesem Zusammenhang kritisiert Morgenthau die Gedanken General de Gaulles über die Bedeutung eines vereinten Europas als dritter Kraft. De Gaulle hatte am 28. Juli 1946 gesagt: „Es ist gewiß wahr, daß sich das Gesicht der Welt, wie es vor diesem 30jährigen Krieg war, in jeder Weise geändert hat. Vor einem Drittel Jahrhundert lebten wir in einem Universum, in dem es sechs oder acht großen, ungefähr gleichstarken Staaten, die mit Hilfe unterschiedlicher und komplizierter Abkommen andere mit sich verbanden, gelang, überall ein Gleichgewicht zu errichten, in dem die weniger Mächtigen sich relativ garantiert fanden, wo das Völkerrecht anerkannt war, wo ein Angreifer sich einem Bündnis moralischer und materieller Interessen gegenübergesehen hätte und wo die Strategie, im Hinblick auf zukünftige Konflikte begriffen und vorbereitet, nur schnelle und begrenzte Zerstörung enthielt. Aber ein Wirbelsturm ist über uns hinweggefegt. Nun kann Bestandsaufnahme gemacht werden. Wenn wir den Zusammenbruch Deutschlands und Japans und die Schwächung Europas in Betracht ziehen, halten Sowjetrußland und die Vereinigten Staaten allein den ersten Rang . .. Wer kann das Gleichgewicht zwischen den beiden neuen Welten wiederherstellen, wenn nicht die Alte Welt? Das alte Europa, das während so vieler Jahrhunderte die Welt geführt hat, kann das notwendige Element des Ausgleichs und des Verstehens in einer Welt, die zur Zweiteilung neigt, sein. . . Wenn es den Europäern gelingt, ihre Politik trotz jahrhundertealter Differenzen zu koordinieren, wird ihr Gewicht globale Kraft haben, und ihre Einflüsse und Wirksamkeit mögen aufgrund ihrer eigenen Hilfsmittel und denen der beiden Territorien, die durch das Schicksal mit ihnen verbunden sind, weit verbreitet sein."

Es ist deutlich, daß de Gaulles Gleichgewichts-vorstellung von der gleichen Voraussetzung ausgeht wie Morgenthau, nämlich von der Identität nationaler Interessen und nationaler Machtpolitik. Es ist daher nur konsequent, wenn de Gaulle seine Gleichgewichtsvorstellung unter den Gesichtspunkt französischer Führungsrolle stellt, um nicht zu sagen, französischer Hegemonialpolitik. Denn die aufgrund nuklearer Rüstung mächtigste Nation ist wegen ihrer nationalen Interessen nicht in der Lage, mit anderen, weniger mächtigen Nationen die Macht und den Einfluß zu teilen.

Morgenthau geht in seiner Kritik an der de Gaulleschen Konzeption jedoch von einem anderen Gedanken aus. Er stellt die These auf, „daß Großbritannien seinen wohltuenden Beitrag für Frieden und Stabilität nur deshalb leisten konnte, weil es geographisch abseits von den Zentren der Spannungen und Konflikte lag"

Die europäischen Staaten sind demgegenüber nach Morgenthau nicht von den Konflikt-zentren distanziert, sie bilden zugleich das Schlachtfeld und den Siegespreis in einem möglichen Konflikt. Daher verfügen sie nicht über jene Distanz und Handlungsfreiheit, um eine „dritte Kraft" sein zu können.

Der Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte zeigt jedoch, daß Europa eine längere konfliktfreie Epoche erlebt hat, und zwar aufgrund der Verbundenheit Europas mit den Vereinigten Staaten. Die Partnerschaft mit den USA, die im Bündnissystem der NATO zur Auswirkung kam, hat die Stabilisierung der Lage in Mitteleuropa zur Folge gehabt. Damit hat sich die Kriegsgefahr in Europa vermindert, um sich an die Ränder der Einflußbereiche der Großmächte zu verlagern: Nahost, Ferner Osten, Afrika etc. Europa hat weitreichende Interessen in diesen Gebieten, ohne jedoch bisher eine koordinierte Außenpolitik für diese Zonen gefunden zu haben. Die neutralisierende Wirkung der Großmächte als Folge ihrer Atomrüstung reicht bis in diese Räume hinein. Europa könnte als Ganzes hier eine wichtige ausgleichende, konfliktsverhindernde Rolle spielen.

Diese Rolle wiederum paßt nicht in das Denkschema des Gleichgewichtsmodells hinein, da die Friedenssicherung in Mitteleuropa nicht ausschließlich mit dem Gleichgewicht verfügbarer militärischer Kräfte zusammenhängt, sondern das Zusammenwirken politischer, wirtschaftlicher und kultureller Kräfte zur Bewältigung von Aufgaben voraussetzt, die die nationalen Kapazitäten übersteigen (z. B. Lösung von Sicherheitsproblemen, von Fragen des Umweltschutzes, der technologischen Entwicklung etc.) Damit sind qualitative Veränderungen eingeschlossen, die nicht in quantitativen Kategorien gedacht werden können.

II. Das prekäre Gleichgewicht

Es haben sich zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze herausgebildet, die auf eine Über-windung des gegenwärtig gültigen Abschrekkungssystems hin gerichtet sind. Nach der einen Richtung, die überwiegend kritisch das Abschreckungssystem beurteilt, führt das Abschreckungsdenken sich selbst ad absurdum, da es voller Widersprüche ist und keine überzeugenden Strategien vorweisen kann. Das Abschreckungssystem wird daher als solches abgelehnt, ohne daß allerdings eine brauchbare Alternative angeboten wird. Vertreter dieser Richtung sind u. a. die Autoren des Buches „Durch Kriegsverhütung zum Krieg?" und Dieter Senghaas in seinem Buch „Abschreckung und Frieden".

Der andere Ansatz zur Überwindung des Abschreckungssystems geht von der Möglichkeit aus, das Abschreckungssystem im Zuge einer politischen Umstrukturierung der internationalen Beziehungen zu transformieren. Vertreter dieser Richtung sind heute durchweg im Lager der Integrationsforschung angesiedelt sowie im Feld des Funktionalismus und Neofunktionalismus.

Zu den Kritikern des Abschreckungssystems »gehört seit geraumer Zeit das Autorenteam des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen des wissenschaftlich-technischen Zeitalters, das unter Leitung von C. F. von Weizsäcker steht. Die Autoren H. Afheldt, Ch. Potyka, O. B. Reich und Ph. Sonntag haben die politischen Aussagen des umfangreichen Bandes „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung", den C. F. von Weizsäcker vor Jahresfrist herausgab, in Taschenbuchformat veröffentlicht unter dem Titel „Durch Kriegsverhütung zum Krieg?"

Ziel dieser Veröffentlichung ist es, an die Öffentlichkeit zu appellieren, die in der Phase der Entspannung offenbar von einer allgemeinen Kritikmüdigkeit gegenüber der Militär-politik befangen ist. Die Autoren des Weizsäckerschen Buches wenden sich gegen die Euphorie über den beschleunigten Wandel des internationalen Kräftegleichgewichts. Sie sehen keinen Anlaß, daß die gegenwärtig aufkeimende „Weltpolitik im Fünfeck" Stabilität erzeugt. Sie wenden sich gegen den Optimismus hinsichtlich Lebensdauer, Gutartigkeit, und Stabilität des weltweiten Abschreckungssystems. Der Kern des Inhalts des Buches liegt darin, vor den Gefahren der Eigendynamik militärisch-strategischen Denkens ebenso zu warnen wie vor der Eigengesetzlichkeit des Rüstungswettlaufs

Für die Autoren des Weizsäckerschen Buches ist auch das Sicherheits-Weißbuch der Bundes-regierumg kein Tabu. Dieses Weißbuch verstellt nach Auffassung der Autoren den Blick auf den weltweiten Aufrüstungsmechanismus Die Autoren glauben, daß die verteidigungspolitische Realität den Realisten allmählich zu entgleiten droht. Geringfügige Korrekturen können das Problem nicht grundlegend verändern, sondern nur Änderungen der Gesamtstruktur der Außenpolitik.

Weil das Sicherheitsdenken der Öffentlichkeit sich scheinbar in der Vorstellung bewegt, daß die Kombination von Entspannung und Abschreckung die verläßlichste Voraussetzung zur Friedenssicherung sei, möchten die Autoren auf Fehlleistungen militärischer Strategien und deren Hintergründe hinweisen. So behauptet C. F. von Weizsäcker in seinem Beitrag, die BRD sei mit konventionellen Waffen nicht zu verteidigen. In den Thesen Weizsäckers heißt es u. a.: „So enthüllt sich die NATO-Strategie als in sich selbst widersprechend. Sie hat in Europa nichts anzudrohen, das den Gegner zum Stehen brächte . .. Wir haben deshalb in unserer Studie die Strategie der flexiblen Reaktion eine Mystifikation genannt." Mit Mystifikation meint Weizsäcker offensichtlich das Irreale und Illusionäre, das nach seiner Auffassung der NATO-Doktrin anhaftet. Sein Einwand gegenüber der Verteidigungsstrategie der NATO ist die These, daß jeder Krieg, auch der konventionelle, unaufhaltsam zur unbegrenzten Eskalation führt und damit zur atomaren Vernichtung der BRD.

Hier deckt sich Weizsäckers Kritik weitgehend mit der Kritik anderer Autoren, die schon in der Mitte der 60er Jahre ähnliche Gedanken äußerten. So schrieb Picht zum militärischen Auftrag der Bundeswehr: „Jeder Soldat weiß, daß er nicht mehr dazu da ist, den Krieg zu führen, sondern den Krieg zu verhindern. In dem Augenblick, wo er in die Lage käme, die Waffen, die er zu handhaben gelernt hat, anzuwenden, wäre der Zweck, für den er da ist, bereits verfehlt. . . . Tritt er hingegen in Funktion, so ist alsbald schon der Zustand gegeben, da sich das Vaterland, das er schützen sollte, in eine atomar verseuchte Wüste verwandelt hat." Ähnlich urteilt Bonin in seinem Aufsatz „Die Schlacht von Kursk — ein Modell für die Verteidigung der BRD" Bonin glaubt, daß die gegenwärtig gültige NATO-Strategie fragwürdig sei, weil sie die BRD im Falle eines Krieges atomar zerstöre.

Picht unternimmt den Versuch, das Kriegsgeschehen so zu rationalisieren, daß das unüberschaubare Risiko ausgeschaltet wird, weil er dieses für unmoralisch hält. Er berücksichtigt dabei nicht die Tatsache, daß unter den Bedingungen des atomaren Zeitalters die Abschrekkung unwiderruflich mit der Tatsache verknüpft ist, daß in jeder Phase des Kriegsgeschehens das Risiko für den Gegner nicht vorhersehbar sein muß

Auf ähnliche Weise argumentiert Weizsäcker: Da den Sowjets „die Möglichkeit bleibt, schwere Nuklearwaffen gegen Europa einzusetzen und dabei die USA zu verschonen, gibt es für den Westen keine untere Ebene, auf der ein Konflikt mit Gewißheit zum Stehen gebracht werden könnte" 24). Und an anderer Stelle sagt er: „Man kann nicht ausschließen, daß ein wirklicher Krieg auf einer dieser früheren Eskalationsstufen abgebrochen würde, aber wahrscheinlich machen kann man das ebensowenig." 25)

Dieser Einsicht kann man durchaus zustimmen, da es keine Garantie dafür gibt, ein Konflikt-geschehen auf einer ganz bestimmten Eskalationsstufe zu begrenzen. Daraus läßt sich aber nicht, wie Kritiker meinen, der Schluß ableiten, es sei politisch wie militärisch unvertretbar, dem Gegner ein unkalkulierbares Reisiko anzudrohen, weil darin die Drohung zur unbegrenzten Eskalation läge. Denn gerade diese Drohung ist das einzige verläßliche Mittel, den Krieg überhaupt zu verhindern, und, falls er ausgebrochen ist, ihn in Grenzen zu halten. Es ist deswegen weder unlogisch noch militärisch vertretbar, die Abschreckung auch im militärischen Konfliktfall mit der politischen Bereitschaft zum Unkalkulierbaren Risiko zu begründen. Die Einwände der Kritiker gegenüber der Strategie der flexiblen Reaktion können nichts als eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen, indem sie die unbegrenzte Steigerung der Eskalation nach Ausbruch der Feindseligkeiten behaupten. Von einer absoluten Geltung der These, der Krieg I führe zur unbegrenzten Eskalation, kann keine Rede sein. Das gibt auch Weizsäcker unumwunden zu.

Das entscheidende politische Gewicht der Abschreckung kommt in der Tat dem unkalkulierbaren Risiko zu, denn die Drohung mit dem Risiko rechnet mit den Interessen des Gegners, zu überleben und den Schaden möglichst gering zu halten. Dieses Interesse ist eine politische Realität, die auch im Kriegsfälle mäßigend auf die Kriegführung einwirken dürfte. Daß in den letzten 25 Jahren die Atomwaffen nicht eingesetzt worden sind, hat sicherlich mit dieser Realität zu tun. Warum sollte ihr im Kriegsfälle ein geringer Einfluß zukommen, um eine unbegrenzte Eskalation zu verhindern?

Für die Kritiker der Bundeswehr wie der NATO-Strategie der flexiblen Reaktion ist eine Verteidigung nur in einem sehr begrenzten Rahmen sinnvoll. Picht spricht von der Bereinigung von Grenzkonflikten und meint, daß nur ein Geplänkel mit einem sehr beschränkten Einsatz konventioneller Waffen noch als Verteidigung angesprochen werden könnte. Weizsäcker ist der Ansicht, daß die Besitznahme des „Komplexes Wolfsburg" einen Konfliktfall darstellt, der mit den verfügbaren Verteidigungskräften der BRD und der NATO . bereinigt'werden kann Für Weizsäcker gibt es in diesem beschränkten Fall die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung.

Nach Ansicht der Kritiker schließt aber jede konventionelle Kriegführung, die über einen gewissen Rahmen hinausgeht, die Möglichkeit ein, daß der Mechanismus einer unbegrenzten Eskalation in Gang gesetzt wird. Gegenüber diesen kritischen Ansichten läßt sich einwenden, daß zunächst einmal die Grenzen nicht angegeben werden können, wo konventionelle Kampfführung zu einer unbegrenzten Eskalation führt. Andererseits ist es bemerkenswert, daß die Kritiker der NATO-Strategie zumindest für einen begrenzten Verteidigungsfall die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung annehmen.

Wenn es nun nicht sicher ist, daß eine begrenzte konventionelle Kriegführung notwendigerweise zur unbegrenzten Eskalation führt, so ist nicht einzusehen, daß Verteidigung nur in einem ganz bestimmten begrenzten Rahmen effektiv und sinnvoll sein kann. Afheldt übersieht in seiner Kritik an der NATO-Strategie die strategische Bedeutung der Abschreckung gerade auch für die Wegnahme von sogenannten „Faustpfändern". Es läßt sich fragen, warum die Sowjets sich den „Komplex Wolfsburg" in einem Handstreich sichern sollten, wenn sie damit rechnen müssen, mit ausreichenden, wenn auch beschränkten Kräften zurückgeschlagen zu werden? Wenn sie schon vor der unbegrenzten Eskalation abgeschreckt werden und andererseits mit der Verteidigung der NATO im Falle Wolfsburg rechnen müssen, ergibt sich für sie keinen Grund, einen Angriff zu unternehmen.

In der Tat liegt auch heute in einer Phase, die auf Entspannung hintendiert, der Sinn der Abschreckung gerade darin, auch eine begrenzte Aggression denkbar unwahrscheinlich zu machen.

Der analytische Scharfsinn der Autoren der Weizsäcker-Studie konzentriert sich auf die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, die zum Großen Krieg treiben. Die Prognose ist düster genug: Die technische Weiterentwicklung moderner Waffen bietet günstigenfalls die Aussicht, den jetzigen Sicherheitsgrad der Verhinderung eines Weltkrieges zu wahren.

Andererseits enthält aber die jetzige Lage in der Entwicklung von ABM-und MIRV-Waffen-Systemen eine Fülle von Möglichkeiten, den gegenwärtigen Zustand zu verschlechtern

Diese Gefährdung der weltpolitischen Stabilität betrifft nicht nur die hohen Eskalationsstufen, sondern auch die unteren Ebenen der Eskalation, die für die Verteidigung Europas von großer Bedeutung sind.

Nach Afheldt und Sonntag könnte bei Fortsetzung des Wettrüstens die Abschreckung ihren bisherigen politischen Stellenwert verlieren, nämlich die Sicherung vor Überraschungsangriffen zu garantieren durch die Fähigkeit zum zweiten Schlag Afheldt vertritt die Auffassung, daß die Methoden der modernen Kriegs-verhütung die Welt an den Rand eines neuen Krieges führen können. Unter diesen Voraussetzungen gibt es nach Potyka keine „pflegeleichte Mehrzweckstrategie" nach Art der „flexible response". Diese sei nichts als eine Mystifikation der gegebenen Strategien

Mit dieser These ist ein Einwand formuliert, der in massiver Form den politischen Sinn der Abschreckung gerade in der Phase der Entspannungspolitik angreift und zur kritischen Reflexion herausfordert.

III. Rüstungswettlauf und Stabilität

Nach Afheldt und Sonntag könnte durch die Entwicklung von ABM-und MIRV-Waffen-Systemen eine Lage entstehen, die der „besorgniserregenden strategischen Lage" am Ende der 50er und beim Beginn der 60er Jahre gleicht, von der Schelling folgendes schreibt: „Die Prämisse, die meinem Standpunkt zugrunde liegt, ist, daß der Stand der gegenwärtigen Militärtechnik ein entscheidender Faktor für die Wahrscheinlichkeit eines Krieges ist. Wir und die Russen sitzen in der Falle unserer Militärtechnik. Für die äußerst besorgniserregende strategische Lage ist allein die Entwicklung der Waffen in den letzten 15, besonders in den letzten 7 oder 8 Jahren verantwortlich. Sie hat den Vorteil dessen, der im Falle eines Krieges den ersten Schlag führt, vergrößert. Sie hat die Zeit, die für die entsetzlichsten Entscheidungen zur Verfügung steht, unmenschlich zusammengepreßt . .

Bekanntlich denkt Schelling bei seiner Deutung der strategischen Gesamtsituation insbesondere daran, daß auf beiden Seiten der Großmächte eine gesicherte Zweitschlagkapazität nicht vorhanden war.

Afheldt glaubt, daß eine ähnlich gefährliche Lage dadurch entstehen könnte, daß die Zweitschlagkapazität allmählich ausgehöhlt wird. Er ist der Meinung, daß es im Endeffekt dasselbe bedeutet, ob keine Zweitschlagkapazität existiert oder ob auf beiden Seiten der Groß-mächte diese Fähigkeit des vernichtenden Vergeltungsschlages Zug um Zug wirkungslos wird. Dies könnte dadurch eintreten, daß durch Vergrößerung der Treffgenauigkeit der Offensivraketen allmählich die bisher unverwundbaren Counterforce-Raketen verwundbar werden. Damit ist das entscheidende Kriterium der Immunität offensiver Waffen nicht mehr gegeben, das nach Wiesner, einem der Berater Präsident Kennedys, die strategische Grundlage der Vergeltungskapazität bildet: „Systeme der stabilen Abschreckung (sind) ein Versuch, den Rüstungswettlauf mit Hilfe eines Systems Einhalt zu gebieten, indem ein Überraschungsangriff der einen Seite einen Vernichtungsschlag der anderen nicht verhindern kann und damit abgeschreckt wird . . .

Die gegenseitige Abschreckung beruht auf der Prämisse, daß es heute möglich ist oder bald möglich sein wird, offensive Waffen herzustellen, die gegen feindliche Raketen so gut wie immun sind. In solcher Lage braucht man einen eigens zur Vernichtung dieser Waffen unternommenen Angriff nicht zu befürchten. Wenn jede Seite eine gleichermaßen geschützte und unangreifbare Vernichtungswaffe besitzt, hat keiner einen Anlaß und damit auch keinen Anreiz, eine sogenannte Counterforce-Capability zu bilden. In dieser Situation wird ein Angriff durch die ziemlich sichere Gewißheit verhindert, daß er mit einem vernichtenden Vergeltungsschlag beantwortet wird . . ."

Hat nun die Strategie des zweiten Schlages bisher den Krieg verhindern können? Afheldt verneint dies. „So oft das Argument gebraucht worden ist, die Abschreckung habe uns 10 Jahre lang den Weltfrieden gesichert, so wenig ist diese Aussage bewiesen. Festzustellen ist lediglich eine zeitliche Korrelation zwischen stabiler Abschreckung und Nicht-Krieg.. . Aber immerhin können wir glücklicherweise feststellen, daß die These, stabile Abschrekkung sichere den Frieden, auch nicht falsifiziert wurde. Denn da es keinen großen Krieg gegeben hat, ist auch umgekehrt die Unwirksamkeit des Mittels nicht bewiesen." * Dagegen läßt sich jedoch einwenden, daß zumindest in der Kuba-Krise, in der gefährlichsten Krise der Weltpolitik in dem letzten Vierteljahrhundert, die Abschreckung auf eine geradezu ideale Weise funktioniert hat. Sie hat mit hoher Wahrscheinlichkeit den Krieg verhindert und die Eskalation der Kampfmaßnahmen gestoppt. Wie bedrohlich die Entwicklung damals war, ist durch umfangreiche empirische Analysen festgestellt worden, aus denen das übersteigerte emotionelle Gesamtverhalten des amerikanischen und des sowjetischen Volkes hervorgeht Die überreizte Spannung hätte zum Kriege führen können. Das entschlossene Ins-Feld-Führen des Abschreckungspotentials durch Präsident Kennedy brachte die Wende und zwang die Sowjets zum Rückzug. In dieser KubaKrise wird der politische Stellenwert der Abschreckung sichtbar, durch Androhung unbegrenzter Eskalation schon den ersten Schritt zu eben dieser Eskalation zu verhindern.

Im Hinblick auf die gegenwärtige strategische Situation stellt Afheldt allerdings die berechtigte Frage, ob es wenigstens gelungen sei, auf beiden Seiten eine gesicherte Zweitschlagkapazität zu erhalten, die es erlaubt, in Zukunft Krisen abzuwarten, ohne durch überwältigende Vorteile eines ersten Schlages genötigt zu werden, zu prävenieren? Dabei glaubt Afheldt, daß die Fähigkeit, auf der strategischen Ebene „mit Ruhe" abwarten zu können, die Voraussetzung „für jede Begrenzung auf unteren Ebenen ist" Das ist für Afheldt insbesondere für Europa von Bedeutung. In den Jahren 1961 bis 1971 haben die Vereinigten Staaten die Strategie der exploitable capability (ausbeutbare Kapazität) verfolgt. Es ist Sinn dieser Strategie, mit einem counterforce-Angriff eine möglichst große Zahl der Offensiv-Raketen des Gegners auszuschalten. In jedem Falle sollten die Vereinigten Staaten nach dieser Theorie in der Lage sein, der UdSSR vernichtendere Schläge zuzufügen, als die UdSSR umgekehrt den Vereinigten Staaten zufügen könnte. Afheldt schreibt hierzu: „So sollte mit Hilfe dieser Uberlegenheitsstrategie einmal eine zusätzliche Stufe in die Eskalation vom lokalen Konflikt bis zur wechselseitigen Vernichtung eingebaut werden. Zum anderen sollte das Verfahren dazu dienen, die strategischen Kernwaffen in lokalen Konflikten trotz einer Zweitschlagkapazität der Gegenseite politisch und militärisch zu nutzen ... Nicht so ohne weiteres deutlich war, daß man mit einem solchen Konzept gleichzeitig ein Interesse bestand, die Treffgenauigkeit der eigenen Raketen für einen counter-force-Einsatz zu steigern. Eine solche Steigerung der counter-force-Vernichtungswahrscheinlichkeit mußte aber das System der stabilen Abschreckung aushöhlen, weil so . unverwundbare'Raketen verwundbar wurden."

Nach Ansicht von Afheldt finden sich Residuen dieser Theorie im Weißbuch 1970 der Bundesregierung, wo es zur Strategie der flexible response heißt: „Kontrolliertes Steigern der Intensität des Kampfes, räumliche Ausweitung des Konflikts oder kontrollierte selektive Einsätze von Nuklearwaffen sollen einem Angreifer vor Augen führen, daß die Risiken, die er eingeht, in keinem angemessenen Verhältnis zu den Zielen stehen, die er mit seinem Angriff verfolgt. Der Angreifer soll die Aussichtslosigkeit seiner Aggression erkennen, den Angriff einstellen und sich vom NATO-Territorium zurückziehen."

Afheldt schließt hieraus, daß die ausbeutbare Überlegenheit einer numerischen Gleichheit gewichen ist. Damit sei auch der angebliche Nutzen der exploitable capability verschwunden, die noch McNamara in seinem Buch „Die Sicherheit des Westens" als Grundlage seiner Strategie betrachtet hat.

In der Tat konnte man von den 60er Jahren sagen, daß keine der beiden Großmächte das Raketenpotential der anderen Seite völlig vernichten konnte. In der damaligen Zeit bestand aber auf beiden Seiten die Tendenz, den Durchbruch in der Situation des atomaren Patts zumindest zu versuchen. Hierzu schreibt H. A.

Jacobsen: „Auf beiden Seiten wird also die Aufgabe Priorität beanspruchen, eine wirksame Gegenwaffe in ausreichender Anzahl einsatzbereit zu halten, um nach Möglichkeit die mit atomaren Sprengköpfen ausgerüsteten feindlichen Raketen einschließlich ihrer denkbaren Köder rechtzeitig abzuwehren (AntiRaketen-Rakete) und damit den Durchbruch aus dem atomaren Patt zu versuchen." Damit zeichnet sich nach Afheldt das Problem ab, daß durch die qualitative Verbesserung der Waffen mehr und mehr die Zweitschlagkapazität beider Seiten ausgehöhlt wird. Nach Afheldt hat das Prinzip der Kriegsverhütung durch stabile Abschreckung beide Supermächte „in ein Aktions-und Reaktions-Schema (gezwungen), in dem die eigenen Rüstungsmaßnahmen von denkbaren (potentiellen) Rüstungsentwicklungen der Gegenseite diktiert werden. Eine solche Zwangssituation ist aber das Gegenteil des versprochenen Zieles: kontrollierte, gesteuerte, begrenzte Rüstung. Zu dieser Lähmung der Entscheidungsfreiheit über die eigenen Rüstungsanstrengungen tritt als traurige Ironie, daß am Ende einer Kette derart rationaler Entscheidungen zur Erhaltung des Gleichgewichts eben dieses Gleichgewicht verlorengehen dürfte."

IV. Abschreckung und Friedenssicherung

In der Tat wird durch die Erhöhung der Treff-genauigkeit bei den Counterforce-Kapazitäten wie auch durch die Einführung von ABM-Systemen und MIRV-Waffen das stabile Gleichgewicht in Frage gestellt Die Situation wird undurchschaubar insofern, als durch Satellitenaufklärung zwar die Raketenzahlen jederzeit verifizierbar sind, nicht jedoch die Zahl der Raketenköpfe bei den MIRV-Waffen. Afheldt kommt bei seiner Analyse der strategischen Daten zu dem Schluß, daß durch die Einführung von MIRV und ABM und durch Verbesserung der Treffgenauigkeit ein „rationaler Zwang zur Prävention entstehen könnte" Das ist in der Tat ein beunruhigendes Fazit, das ein kritisches Denken nicht einfach übergehen kann. Der Hinweis auf die ersten Ergebnisse der SALT-Runde genügt nicht, um eine vollbefriedigende Antwort auf die Frage zu geben, ob sich die Weltpolitik nicht jener bedrohlichen Situation der ausgehenden 50er Jahre wieder nähert, wo es strategisch von Vorteil sein könnte, als erster den Krieg zu führen.

Um die These Afheldts nachzuprüfen, ist eine Analyse der Gesamtsituation notwendig. Bei Afheldt, Sonntag und auch bei Potyka werden fast ausschließlich nur militärisch-technische Daten als Parameter in die Analyse eingeführt. So entsteht eine einseitige Perspektive der Betrachtung. In der Tat: So nüchtern die Diagramme von Afheldt und Sonntag sein mögen, so läßt sich nicht übersehen, daß die Parameter der Diagramme ausschließlich dem militärisch-technischen Bereich entstammen. Die wenigen politischen Faktoren, die Afheldt berücksichtigt, werden in globalen Perspektiven analysiert, die in „negativen Utopien" enden In der Phase der Entspannungspolitik hängt jedoch die Stabilisierung des Friedens nicht nur von militärisch-technischen Gegebenheiten, sondern auch von politischen Faktoren ab. Diese liegen aber außerhalb der Betrachtung des Autorenteams von Weizsäcker. Sofern es gelingen sollte, durch Fortschritte in der Entspannungspolitik Konfliktfälle zwischen Ost und West im Raum Mitteleuropas auszuräumen oder zu entschärfen, ist der größere Krieg das Unwahrscheinlichere, während die Wegnahme von Faustpfändern, wie etwa beim „Komplex Wolfsburg", noch das Wahrscheinlichste ist. Die Chancen einer effektiven Verteidigung steigen demnach, da selbst nach den Autoren der Weizsäcker-Studie die Bereinigung kleinerer Grenzkonflikte durchaus in der Möglichkeit einer effektiven Verteidigung liegt. Politische Entspannung könnte also auf die Dauer die Effektivität der Verteidigung der BRD im Rahmen der NATO erhöhen, weil der wahrscheinlichste Fall des Konfliktes von den Verteidigungskräften der NATO besser zu bewältigen ist. Viele politische Gründe sprechen für diese Annahme. Die Kritiker der Weizsäcker-Studie beurteilen dagegen das politisch Wahrscheinlichste mit den Kriterien des politisch Unwahrscheinlichsten, nämlich des großen Krieges, und gelangen so zu falschen Schlußfolgerungen

Wenn Potyka den Zweifel äußert, daß mit der westlichen Verteidigungsstrategie und ihren Grundlagen etwas nicht stimmt, weil es ein System der Kriegsverhütung ist, das „unter Hochrechnung der aktuellen Daten und Faktoren in Politik, Technologie und Militärtechnik zum Kriege führen muß", so läßt diese Studie gerade die Berücksichtigung jener politischen Faktoren im Ansatz der Analyse vermissen, die bei fortschreitender Entspannungspolitik eben diese bedrohliche Entwicklung unwahrscheinlich erscheinen lassen Es gibt neben der von den Kritikern aufgezeichneten bedenklichen technologischen Entwicklung einen politischen Trend, dessen Analyse zu einem geradezu gegenteiligen Ergebnis führt, als es Weizsäcker und Afheldt in ihren Thesen vertreten. Um dies zu verstehen, ist es notwendig, ein neues Denkmodell in die Betrachtung einzuführen, das den Rahmen des kritischen Denkmodells bei Afheldt und Sonntag sprengt. Dieses Modell soll wie folgt skizziert werden:

In der gegenwärtigen Phase der Entspannungspolitik ist nach der SALT-Ubereinkunft nur ein Teil des Rüstungswettlaufs gestoppt oder gebremst worden. In anderen Gebieten, die von SALT nicht betroffen sind, geht die Rüstung auf beiden Seiten nach dem Schema des Aktions-Reaktionsmechanismus weiter.

Zwei Aspekte sind hier maßgebend:

a) Die Tendenz beider Seiten, sich nicht einholen zu lassen vom Kontrahenten.

b) Der Grundsatz, daß es für jede Waffe auch eine Gegenwaffe gibt.

In diesem Zusammenhang verstehen sich auch die Empfehlungen Nixons an das Repräsentantenhaus und den Senat, die Gelder für neue Waffensysteme nach dem SALT-Abkommen freizugeben, damit die USA nicht ins Hintertreffen geraten.

Afheldt und Sonntag glauben, daß Rüstung nicht nur langfristig keine Sicherheit garantiert, sondern sogar bestehende, mühsam ausbalancierte Abschreckungssysteme destabilisiert. Diese These wäre begründet, wenn das Abschreckungspotential auch in der Phase der Entspannungspolitik nur eine Provokation für die Konfliktpartner wäre, ihm keine andere Wahl ließe, als sich in den skizzierten Aktions-Reaktionsmechanismus hineinziehen zu lassen. Demgegenüber läßt sich feststellen, daß es einen gegenläufigen Prozeß gibt, der für den politischen Stellenwert der Abschreckung von entscheidender Bedeutung ist: Gegenseitige Beeinflussung der Kontrahenten durch Maßnahmen der Rüstungs-und Militärpolitik, die sich nach dem Modell der Rückkoppelung deuten läßt. Rüstungspolitische oder militärpolitische Maßnahmen der einen Seite sollen auf die politischen Intentionen der anderen Seite einwirken, um die eigenen politischen Ziele der Entspannung und der sich abzeichnenden Kooperation (z. B. im Sinne „kooperativer Rüstungssteuerung'') glaubhaft zu machen

Ein großer Fächer rüstungspolitischer Maßnahmen ist hier möglich: Abblockung technologischer Entwicklungen, die eine unnötige Provokation des . Konfliktpartners'bedeuten, Abbau von Uberhangkapazitäten in der Rüstung und abgewogene Restriktionen, um die Entspannungspolitik glaubwürdiger zu machen (z. B. Verzicht auf Perfektionierung der U-Boot-Ortung und U-Boot-Abwehr). Auf diesem Wege kann der Konfliktpartner" als , Sicherheitspartner'gewonnen werden, der für kooperative Maßnahmen der Rüstungskontrolle bereit ist. Schließlich sind all jene Möglichkeiten zu erwähnen, die dem Gegner vorteilhafte Kooperationen im Umkreis der kooperativen Rüstungskontrollmaßnahmen anbieten. So lassen sich beiderseitige Vorteile ins Spiel bringen und die Bedingungen gemeinsamer Sicherheit stabilisieren.

Auf diese Weise wird das Abschreckungssystem zum Instrument einer Politik der Friedenssicherung, nicht nur im Sinne bloßer Kriegsverhinderung, sondern darüber hinaus der Schaffung neuer Konstellationen zum Ausbau positiver Beziehungen unter den Nationen, die bisher im Verhältnis der Konfrontation standen.

Die Kritiker der Abschreckung übersehen gerade diesen Aspekt, der eine grundlegende Dimension in der Entspannungsphase bedeutet. Es mag schwierig sein, aus diesem Bereich die politischen Faktoren als Parameter in den analytischen Ansatz einzubringen, da sie nicht ohne weiteres wie militärisch-technische Faktoren quantifiziert werden können. Keinesfalls kann man jedoch auf diese Parameter verzichten, da sonst, wie bei Afheldt und Weizsäcker, eine verkürzte Perspektive entsteht.

Aus dem hier entwickelten Modell ergeben sich folgende strategische Überlegungen für Konfliktfälle:

Afheldt behauptet, daß im Zuge der Weiterentwicklung von MIRV-und ABM-Systemen ein „rationaler Zwang zur Prävention entstehen könnte". Diese Behauptung erscheint unter zwei Gesichtspunkten unbegründet:

1. Der Präventivkrieg ist für den Konflikt-partner strategisch nur dann von Vorteil, wenn nach einer erfolgreichen Phase der Entspannungspolitik der Kontrahent bereit ist, die politischen Kosten zu tragen, die eine Aggression zur Folge hat (z. B. Preisgabe der durch Entspannungspolitik und Kooperation in Wirtschaft, Technologie und Kultur erreichten Vorteile). Die Bereitschaft des Konfliktpartners, die politischen Kosten im Falle eines Präventivkrieges zu tragen (abgesehen von militärischen Risiken), zeichnet sich in einer politischen Krise ab, die nach Ansicht der Fachleute heute mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Krieg vorangehen dürfte.

Diesen politischen Kosten stehen vitale Interessen gegenüber, die von dem zur Aggression entschlossenen Konfliktpartner gewahrt oder durchgesetzt werden sollen. Kooperation als Folge der Entspannung setzt aber voraus, daß es in wichtigen Bereichen beiderseitiger vitaler Interessen keine bedrohlichen Gegensätze gibt, sondern zumindest eine Möglichkeit zur Koexistenz gegeben ist.

Die Entstehung einer politischen Krise hängt damit zusammen, daß sich an diesem Zustand etwas Grundlegendes ändert, d. h., der Gegensatz vitaler Interessen bricht aufs neue aus. Je größer aber die Vorteile sind, die beiden Seiten aufgrund fortschreitender Kooperation im Zusammenhang der Entspannung zuwachsen, desto unwahrscheinlicher ist es, daß die eine Seite den Überraschungsangriff plant. Je mehr Kooperation fortschreitet, um so wahrscheinlicher ist, daß einer bedrohlichen Konfliktlage die „Degeneration" einer politischen Krise (Grewe) vorangeht, die von den Kontrahenten nicht gemeistert wurde. Eine solche Degeneration ist jedoch ein Vorgang auf Zeit, der nicht schlagartig in eine Aggressionshandlung umschlagen kann 2. Der „rationale Zwang zur Prävention" setzt den „totalen Feind" voraus, der den strategischen Vorteil für sich auszunutzen gewillt ist, wenn er „nur" zum totalen Sieg über den Gegner führt (Kapitulation bzw. totale Niederlage des Kontrahenten).

Der „Zwang" zur Prävention ist aber politisch unwahrscheinlich, wenn beide Seiten außen-politisch darauf abzielen, in wachsendem Maße die Vorteile beiderseitiger Kooperation zu nutzen.

Andererseits erfordert ein Zwang zur Prävention, daß die Wahrscheinlichkeit eines vernichtenden Gegenschlages der anderen Seite, der zur Selbstzerstörung führt, möglichst gering ist, z. B. weniger als 1 0/0. Auch in der künftigen Phase der qualitativen Verbesserung von modernen Waffensystemen kann aber nicht davon gesprochen werden, daß die Wahrscheinlichkeit der Selbstvernichtung durch die Folgen des zweiten Schlages praktisch gleich Null sei. Die Unsicherheitsfaktoren (unkalkulierbares Risiko) lassen sich auch durch Perfektionierung von ABM-und MIRV-Waffensystemen nicht völlig ausschalten, zumal keine Seite sicher sein kann, zu wissen, wieweit die andere Seite in der qualitativen Verbesserung dieser und anderer Waffensysteme gekommen ist. Wenn aber der absolute Sieg nicht zu erreichen ist, so wird immer fraglicher, daß die eine Seite den Präventivkrieg plant um relativer Vorteile willen.

Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß strategisch gesehen künftige Konflikte sich nach Ausbruch mehr auf die untere Ebene der Eskalation verlagern dürften. Auf dieser Ebene der Konflikte läßt sich nun mit größerer Aussicht auf Erfolg Krisenbewältigung praktizieren als auf den oberen Ebenen der Eskalation, wo der Ausgang völlig ungewiß und die Folgen unabsehbar sind. Für die gegenwärtige Politik der Entspannung, sollte sie durch weitere SALT-Übereinkünfte Erfolg haben und durch die sich anbahnenden kooperativen Möglichkeiten im Feld der Rüstungskontrolle vertieft und differenziert werden, läßt sich jedenfalls nicht von einer Mystifikation der Verteidigung sprechen. Im Gegenteil: Die Durchsetzungschancen einer effektiven Verteidigung und Krisenbewältigung sind heute größer als in den 50er und 60er Jahren.

V. Abschreckung und Friedenspolitik

Der Zusammenhang von Abschreckungs-und Friedenspolitik verändert die politische Funktion der Streitkräfte in unserer Zeit. In der Phase der Entspannungspolitik als einer Zeit des Übergangs zwischen der Phase der Konfrontation und der beginnenden Phase der Kooperation wandelt sich der politische Stellenwert der Abschreckung wie auch der Gehalt des militärischen Bündnisses, indem die Abschreckung einer Streitkraft wie der Bundeswehr wirksam wird. Im Zuge dieser Veränderung geht es nicht mehr nur um die bloße Kriegsverhinderung, sondern um die Verdeutlichung (Transparenz) und Durchsetzung der Ziele der Friedenspolitik.

Die gegenwärtig gültige Funktion der Abschreckung tritt in folgenden Aspekten hervor: — Das Abschreckungspotential hat gegenwärtig seine politische Bedeutung darin, daß es eine Voraussetzung für die Entspannung zwischen den Machtblöcken darstellt, da es die militär-politische Situation weitgehend stabilisiert. Dies hat zur Folge, daß keine Seite in der Lage ist, eine eventuelle Destabilität der weltpolitischen Situation zu seinen Gunsten auf Kosten des Konfliktpartners auszunutzen, da in jedem Falle die Zweitschlagkapazität der Großmächte erhalten bleibt.

Das bisherige Ziel der Abschreckung, durch politische Drohung gegenüber dem Konflikt-partner den eigenen Handlungsspielraum auf Kosten der anderen Seite zu erweitern, um politische oder wirtschaftliche Vorteile zu erringen, ist darüber hinaus mit den Zielen der Entspannungspolitik nicht mehr vereinbar. Drohpolitik bedeutet in diesem Zusammenhang Rückfall in eine überholte Phase nationaler Machtpolitik.

— Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Drohung als Mittel der Politik künftig ausgeschlossen bleibt. Vielmehr gewinnt die Drohung eine neue Funktion: sie ist ein Mittel zur verstärkten Kooperation der Konfliktpartner. Sie soll dem Konfliktpartner zur Anerkennung gemeinsamer Sicherheitsinteressen veranlassen, wobei die Drohung darin besteht, dem Konfliktpartner Nachteile anzudrohen, sofern er zu Kompromissen nicht bereit ist — Abschreckungspolitik wandelt sich zu einer Politik kooperativer Rüstungssteuerung, die darauf abzielt, unter Herausarbeitung gemeinsamer Interessenlagen im Felde der überregionalen Sicherheit Vereinbarungen zu treffen, die sich nicht nur kostensparend auswirken, sondern die Sicherheitsinteressen beider Seiten auf Dauer mehr garantieren als der bisherige Zustand des fortgesetzten Wettrüstens. Die Übereinkunft der letzten SALT-Runde ist ein Beispiel erfolgreicher Verständigung im Feld der Rüstungssteuerung. Der Sinn der SALT-Übereinkunft kann jedoch nur darin liegen, weitere partielle Abkommen über künftige Möglichkeiten der Rüstungssteuerung zu treffen.

— Ein weiterer positiver Gesichtspunkt der Abschreckungspolitik im Zusammenhang mit Friedenspolitik ist die Möglichkeit, auf das politische Verhalten des Gegners einzuwirken. Hier geht es um größere Transparenz außen-politischer Ziele, um die Ziele nationaler Friedens-und Entspannungspolitik verständlich zu machen. Baudissin vertritt die Auffassung, daß im Zusammenhang der kooperativen Rüstungssteuerung die Potentiale so aufeinander abgestimmt sein sollen, „daß Unklarheiten über die politischen Absichten, die geltenden Strategien, die Potentiale und die Rüstungsvorhaben auf ein Minimum beschränkt bleiben — Transparenz also einem wesentlichen Motiv des für beide Seiten gleich gefährlichen Unsicherheitsgefühls entgegenwirkt" — Abbau überholter Feindbilder, um den Gegner zu veranlassen, seinerseits die Bedrohungsvorstellungen und Feindbilder abzuschwächen. — Vermeidung unnötiger Provokationen in der Rüstungs-und Militärpolitik, um auf das politische Verhalten des Gegners einzuwirken, seinerseits provokative Maßnahmen auszuschalten. Baudissin spricht von „weniger provozierenden, aber auch weniger kostspieligen Mitteln"

Das Spezifische des neuen Stellenwerts der Abschreckung in der Phase der Entspannungspolitik kann darin gesehen werden, daß das Abschreckungspotential nicht ausschließlich als Mittel nationaler Machtpolitik eingesetzt wird, sondern als ein Instrument zur besseren Durchsetzung gemeinsamer Interessen, deren Realisierung für beide Konfliktpartner einen Vorteil bedeutet, den beide Seiten nicht erreichen würden, wenn sie sich der Kooperation verweigerten. Damit ist die Abschreckungspolitik nicht bloß Kriegsverhinderungspolitik, sondern ein Instrument der Außenpolitik, die auf die Ziele einer positiven Friedenssicherung hingerichtet ist.

VI. Abschreckung — die „organisierte Friedlosigkeit"

Während Weizsäcker in seinem Buch „Durch Kriegsverhütung zum Krieg?" den destabilisierenden Aktions-Reaktionsmechanismus in den strategisch-militärischen Ursachen sieht, führt Dieter Senghaas den Teufelskreis von Aktion und Reaktion im Felde des beiderseitigen Wettrüstens auf psychologische Ursachen zurück. Nach Senghaas wird durch die ständige Vorbereitung des Krieges ein permanenter Spannungszustand psychologisch erzeugt, der die Aggressivität der Gesellschaft in Ost und West ständig mobilisiert. So stachelt das Wettrüsten die Aggressivität der Gesellschaft in beiden Lagern an und führt zwangsläufig zur Intensivierung der Feindbilder und Bedrohungsvorstellungen. Auf diese Weise entsteht das System der Abschreckung als ein System der „organisierten Friedlosigkeit", dem eine Verklammerung von Krieg und Frieden zugrunde liegt: Die Grenze zwischen Krieg und Frieden verschwimmt durch den permanenten Spannungszustand einer Vorbereitung des Krieges mitten im Frieden.

Senghaas vertritt die These, daß dem fortgesetzten Wettrüsten eine gewisse Eigengesetzlichkeit zukommt. Je länger der Teufelskreis von Waffen und Gegenwaffen, von Aktion und Reaktion sich dreht, um so geringer ist die Chance einer Selbstkorrektur des Handelns. Die machtpolitischen Eliten können sich am Ende nicht mehr aus den Strategien lösen, die die Aggressivität der Gesellschaft mobilisieren und gleichzeitig Wettrüsten forcieren als ein Mittel zur Vorbereitung des Krieges. Bevölkerung und Eliten sind also gewissen Strategien unterworfen, die durch eine „lernpathologische Blindheit" für die Aufgaben der Zukunft gekennzeichnet sind. So entsteht der autistische Charakter von sogenannten „Abschreckungsgesellschaften", die am Ende außerstande sind, die Realität der Weltpolitik zu sehen

Zunächst ist an der These von Senghaas so viel richtig, daß es die Verschränkung von vielfältigen einflußreichen machtpolitischen Gruppen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Streitkräften gibt. Diese Verschränkung führt zur gegenseitigen Bestätigung der Machteliten. Eine derartige Verfilzung von Herrschaftsgruppen führt in der Regel dazu, daß die gültige Strategie, z. B. die Abschreckungsstrategie, immer wieder bestätigt wird, da mit dieser Bestätigung zugleich die Legitimierung der Ideologien der Herrschaftsgruppen gegeben ist.

Was Senghaas übersieht, ist die Möglichkeit, daß durch das Ingangsetzen neuer politischer Trends auch neue Bewußtseinshaltungen politischer Eliten entstehen können. Sofern im Bereich politischer Eliten sich Konkurrenz-gruppen bilden, besteht die Möglichkeit, daß die Verhaltensmuster und das Normbewußtsein jener Gruppen bekämpft werden, die bisher auf einer Abschreckungspolitik alten Stils eingeschworen waren. Diese Chance besteht vor allem in einem System offener Kommunikation wie dieses vorwiegend in westlichen Ländern gegeben ist. Bei Senghaas dagegen werden die Gesellschaften des Westens wie des Ostens mit abstrakten Etiketten wie „Abschreckungsgesellschaft" charakterisiert, ohne die entscheidenden soziologischen Unterschiede zu berücksichtigen, die mit der kommunistischen und der freien westlichen Gesellschaft gegeben sind. In der Tat ist das Sich-Lösen von überholten Strategien in einem System offener Kommunikation leichter durchzusetzen als in einem System geschlossener Kommunikation. Die von Senghaas angeführten und beschriebenen „lernpathologischen Mechanismen" lassen sich zwar geschichtlich in vielen Situationen nachweisen, jedoch sollte darüber hinaus auch die Möglichkeit zu qualitativen Sprüngen im Lernprozeß berücksichtigt werden, was jeweils auf die Tatsache zurückgeht, daß die eine oder andere Seite (z. B. Gruppierungen politischer Eliten mit unterschiedlichen Ideologien, Weltanschauungen etc.) die Entwicklung eines neuen politischen Trends für zweckmäßig erachtet, wie etwa die Einleitung und Fortsetzung einer Politik der Entspannung oder die Durchsetzung einer Politik der Friedenssicherung. Ohne qualitative Sprünge im Lernprozeß der Machteliten wäre es undenkbar, den neuen Stellenwert der Abschreckung in der Phase der Entspannungspolitik zu erkennen und im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu festigen.

Auf der anderen Seite berücksichtigt das Autismusmodell bei Dieter Senghaas lediglich die innerstaatliche Rückkoppelung zwischen den machtpolitischen Eliten und der Regierung bzw.der Bevölkerung des eigenen Landes. Eine über die Grenzen der Abschrekkungsgesellschaft hinausgreifende und sich verstärkende Rückkoppelung liegt jenseits dieser Betrachtungsweise. Gerade auf diesen Prozeß der Rückkoppelung kommt es jedoch entscheidend an bei jedem denkbaren Fortschritt der Entspannungspolitik. Zwar kommt dem Wettrüsten auch gegenwärtig noch eine gewisse Eigengesetzlichkeit zu, so daß die Aktion der einen Seite die Reaktion der anderen Seite aus sich heraustreibt. Doch auch die Entspannungspolitik besitzt ihre eigene Dynamik, die, sollte ein echter Fortschritt zu verzeichnen sein, als dem Trend der Rüstungspolitik übergeordnet erscheint. Dies bedeutet: War bisher der Rüstungswettlauf Ausdruck der Machtpolitik der Staaten, so wird Rüstung in der Phase der Entspannungspolitik zu einem Mittel, die Stabilisierung des Kräfte-gleichgewichts aufrechtzuerhalten, damit die Voraussetzungen einer Entspannungspolitik überhaupt gegeben sind; andererseits dient die Rüstungspolitik dem Ziel, etwa in der Form der „kooperativen Rüstungssteuerung" auf die politischen Intentionen des Gegners Einfluß zu nehmen, um die Glaubwürdigkeit der eigenen außenpolitischen Ziele der Entspannung transparent zu machen.

Dieser ambivalente Charakter aller Abschrekkungsmaßnahmen in der Phase der Entspannungspolitik sprengt das Autismusmodell von Dieter Senghaas. In der Tat hat Abschrekkungspolitik bzw. Rüstungs-und Militärpolitik gegenwärtig zwei Aspekte: a) Abschreckung des Gegners und Stabilisierung des Kräftegleichgewichts als Voraussetzung einer Politik der Friedenssicherung im Sinne von Kriegsverhinderung. b) Möglichkeit der Einflußnahme auf die politischen Intentionen des Gegners, um die eigenen Ziele der'Entspannungspolitik glaubwürdiger zu machen und auf Möglichkeiten der Zusammenarbeit hinzuweisen

Der neue Stellenwert der Abschreckung in der Phase der Entspannungspolitik hängt mit beiden Aspekten zusammen, wobei sich der Akzent mehr und mehr auf den zweiten Aspekt verschiebt, sofern ein echter Fortschritt der Entspannungspolitik zu verzeichnen ist.

VII. Friedenssicherung durch Integration

Die Integrationsforschung geht von der These aus, daß die Stabilisierung des Friedens und das’ friedliche Zusammenleben der Menschen am ehesten durch den Ausbau der zwischenstaatlichen Beziehungen sowie durch die Schaffung übernationaler Organisationen und Vereinigungen erreicht werden kann. Kommunikationsnetze, die über die Grenzen der Völker hinausreichen, sind in diesem Feld ebenso von Bedeutung wie die Handelsbeziehungen und der Kulturaustausch der Nationen. J. Galtung ist ein namhafter Vertreter der Integrationstheorie. Er geht von der These aus, daß die Konfrontation der Supermächte die Quelle des Unfriedens auf dieser Welt bedeutet. Die Über-windung der Konfrontation und der Abbau ideologischer Spannungen ist nach Galtung ein unmittelbarer Beitrag zur Friedenssicherung. In der Abhandlung „über die Zukunft des internationalen Systems" entwickelt Galtung die Bedingungen, unter denen der Friede unter den Nationen gewahrt werden kann.

Die Grundthese der Galtungschen Theorie ist die Behauptung, daß durch die Intensivierung internationaler staatlicher wie nichtstaatlicher Zusammenschlüsse das ideologische Gefälle abgebaut werden kann. Das, was Galtung vorschwebt, ist ein übergreifendes Netz von Kommunikationssträngen, die die Gruppen ebenso verbinden wie die Staaten, wobei die Scheidelinien der Ideologien und unterschiedlichen Wertsysteme übersprungen werden. Er glaubt, daß auf diese Weise die Ideologien ihre Kraft verlieren könnten, so daß die Welt am Ende einer langen Entwicklung ein Geflecht internationaler Beziehungen besitzt, das nicht von ideologischen Gegensätzen beeinflußt wird.

Galtung hält daran fest, daß der Unterschied zwischen den sozialistischen Ländern und den EWG-Ländern auch im Jahre 2000 noch bestehen bleiben wird, „aber der Unterschied wird nicht größer sein als der zwischen Distrikten mit sozialistischer und nichtsozialistischer Mehrheit eines Landes, denn die Logik industrialisierter, aufgeklärter Gesellschaften wird über derlei ideologischen Unterscheidungen dominieren" Ost und West werden schließlich aufhören, ein Gegensatzpaar zu sein, was die völlige Entideologisierung und Technisierung des Wirtschaftslebens einschließt

Galtung geht in seiner Deutungsprognose so weit, daß er eine Integration der militärischen Streitkräfte voraussagt, die mit Nichtangriffspakten zwischen der NATO und dem War-schauer Pakt beginnt und mit dem Austausch von Beobachtergruppen weitergeführt wird, bis es schließlich zur wechselseitigen Inspektion und „zu einem vereinigten Oberkommando" kommen wird.

Bei Galtung besteht die Gefahr, daß er das Problem einer Stabilisierung des Weltfriedens vorwiegend auf die Ebene des öffentlichen Bewußtseins verlagert, indem er besonders den Austausch von Informationen, Standpunkten und Meinungen betont, wobei den überregionalen und übernationalen Organisationsformen eine Schlüsselposition zukommt. Bei dieser Betrachtungsweise werden aber die politischen Entscheidungen vernachlässigt, die oft erst die Initialzündung geben und die Lernprozesse der Machteliten in Gang setzen, damit Eliten und Bevölkerung eines Landes sich überhaupt auf einen neuen politischen Trend einstellen können.

Eine Variation der Position Galtungs wird von Gerda Zellentin vertreten. Während Galtung sich von einer Verschmelzung der Blöcke und Völker durch internationale Organisationen eine Transformation der zwischenstaatlichen Beziehungen erhofft, beschränkt sich Zellentin auf pragmatische Überlegungen. Nicht durch eine Veränderung der Bewußtseinssphären, sondern durch Zusammenarbeit in Gesellschaft, Handel und Technik soll eine friedliche Ordnung in Europa herbeigeführt werden. Trotz ideologischer Unterschiede sei in bestimmten Bereichen eine Kooperation zwischen Ost-und Westeuropa erreichbar. Dabei wird die Abschreckung als Stabilitätsfaktor vorausgesetzt. Zellentin untersucht die konstitutive Funktion des europäischen Sicherheitssystems für die politische Regulierung der Annäherungsprozesse zwischen Ost und West Das System der atomaren Abschreckung fungiert hierbei als Regulator.

Zellentin geht davon aus, daß die Abschrekkung und Rüstungskontrolle eine Reihe von politischen und sozialen Entwicklungen induziert, die auf die Dauer die Struktur des gesamteuropäischen Systems verändern könnte. Die Ursachen dieser Veränderung werden darin gesehen, daß die Abschreckung zunächst stabilisierend wirkt, was auf die Dauer dazu führen soll, daß das atomare Drohsystem „aufgrund der Gewöhnung eine gemeinsame Abschreckungsräson ohne Schrecken" bewirkt Die Auffassung Zellentins ist also, daß der „perzipierte Grenznutzen der Rüstung" im Sinne der vielfachen Overkill-Kapazität auf die Dauer gesehen absinkt, so daß die öffentliche Meinung der Großmächte wie auch der europäischen Staaten sich allmählich auf die Vorteile gemeinsamer Sicherheit einstellt. So soll am Ende aus der starren Konfrontation sich die Situation eines geregelten Konfliktes entwickeln mit dem Wettbewerb der Werte und Ordnungsformen in der Welt Zellentin sieht allerdings nicht die destabilisierende Wirkung einer Fortsetzung des Wettrüstens. Der Optimismus beruht ausschließlich auf der Gewöhnung des öffentlichen Bewußtseins an die abschreckende Wirkung des Rüstungspotentials sowie auf der Tendenz der Macht-eliten in Ost und West, den eigenen Vorteil im Feld der Rüstungskontrolle wahrzunehmen, ferner auf der Bereitschaft, mit dem System des Konfliktspartners zur Stabilisierung der Abschreckung zu kooperieren. Das allerdings ist ein kühner Optimismus, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es in Ost und West noch keine Einmütigkeit in der Definition jener Werte gibt, die die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens der Völker sein könnten. Abgesehen davon ist eine überzeugende Theorie der Konvergenz der Ideologien und Wert-systeme noch nicht entwickelt worden. Wenn Zellentin die Meinung vertritt, daß die Entspannung die Maximierung der Sicherheit stoppt, d. h. „das Zusammenstehen vor dem Feind" als obsolet erscheinen läßt, so erhebt sich die Frage, welchen politischen Stellenwert die Abschreckung in diesem Prozeß hat. Dieses Problem wird von Zellentin nicht gestellt. Es wird mehr oder weniger vorausgesetzt, daß im östlichen Lager die Ressourcen für die Führung des Wettbewerbs mit dem Westen nicht ausreichen, so daß die Ressourcen beim Konfliktpartner, dem „Systemkonkurrenten", mobilisiert werden, was eine fortlaufende Intensivierung der Kooperation zur Folge hat

Die Tatsache, daß Zellentin die Frage nach dem politischen Stellenwert der Abschreckung im Rahmen einer Politik der Entspannung nicht thematisiert, hat zur Folge, daß die Problematik einer Transformation der Abschrekkung als eines Instrumentariums der Krisen-bewältigung und Friedenssicherung offen bleibt. Eine Kritik dieser Konzeption zeigt, wie wichtig aber die Klärung des Stellen-wertes der Abschreckung gerade in der Phase der Entspannungspolitik ist.

VIII. Abschreckung und Feindbild

Bisher hat man die Bedrohung vorwiegend am Grade der Aggressionsabsichten des Gegners gemessen. Folgerichtig müßte beim Nachlassen der Aggressionsabsicht sich auch das Gefühl des Nicht-mehr-Bedrohtseins einstellen. Die Aggression ist jedoch nur die brutalste Form eines Versuches, politische Ziele mittels Gewaltanwendung durchzusetzen. Daneben gibt es aber auch andere Formen in der Anwendung der Macht. In der Tat läßt sich von Bedrohung auch dann sprechen, wenn die Methoden der Gewaltanwendung differenziertere Formen haben

Die gegenwärtige weltpolitische Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß die Gefahr eines von der UdSSR willentlich herbeigeführten Krieges in Europa nicht als primär angesehen werden kann. Die sowjetische Bedrohung hat subtilere Formen angenommen. Zweifelsohne besteht die Bedrohung als solche fort. Aber das Erscheinungsbild hat sich geändert. Bedrohung läßt sich nicht nur mit militärischen Kategorien deuten, da das Phänomen . Bedrohung'auch zur politischen Landschaft gehört.

Dies bedeutet, daß Bedrohung nicht ausschließlich mit Kriegsgefahr gleichzusetzen ist. Bedrohung ist schon dann gegeben, wenn der Gegner die Absicht hat, unter Androhung militärischer Maßnahmen eine kritische Lage herbeizuführen. In diesem Falle soll der Bedrohte zu Konzessionen veranlaßt werden, um politische oder ideologische Forderungen der Gegenseite anzunehmen. So stellt ein hohes Rüstungspotential stets eine Gefahr dar, einer Politik der Pressionen ausgesetzt zu sein, mit denen der Gegner den Kontrahenten zu zwingen sucht, politische Ziele aufzugeben. Auf diese Weise wird der eigene politische Handlungsspielraum auf Kosten des anderen erweitert.

Für die gegenwärtige Situation der Entspannungspolitik ist es von entscheidender Bedeutung, daß der Grad empfundener Bedrohung keineswegs nur vom Rüstungspotential abhängt, sondern gleichermaßen von den Absichten der Gegenseite, die sie gegenwärtig verfolgt oder in Zukunft verfolgen könnte. So verstanden ist Bedrohung als politischer Begriff äußerst komplex. Bedrohung hängt von den Bedrohungsvorstellungen ab, d. h. von dem Bilde, daß sich die eine Seite von den gegnerischen Möglichkeiten (capabilities) macht, wie auch von der Beurteilung erkennbarer oder vermuteter Absichten des Gegners (intentions).

Insgesamt lassen sich drei Ziele unterscheiden, zu deren Durchsetzung militärische Machtmittel nützlich sind:

1. Bedrohung und Erpressung des Kontrahenten. 2. Ausweitung politischer Macht (Erweiterung des eigenen politischen Handlungsspielraums). 3. Festigung des Hegemonialanspruchs im eigenen Machtbereich (z. B. im Umkreis der Satellitenländer). Keines dieser Ziele muß in einem Krieg verwirklicht werden. Es genügt schon die Störung des politischen und militärischen Gleichgewichts in der Welt oder im mitteleuropäischen Raum, um eines dieser Ziele durchsetzen zu können. Dies geschieht in der Regel durch die Provokation einer Krise.

Zur Beurteilung der Gesamtbedrohung sind zwei Fragen von grundlegender Bedeutung Welche außenpolitischen Ziele verfolgt der Gegner und welche Vorstellungen hat er von der Verhaltensweise der Gegenseite, z. B. von der westlichen Seite?

Welche Gründe sind dafür maßgebend, daß der Gegner sein Rüstungspotential aufgebaut hat und aufrechtzuerhalten sucht?

Beide Fragen stehen in einem engen Zusammenhang, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Rüstungspolitik gerade in der Phase der Entspannungspolitik immer mehr von den Prioritäten und Zielsetzungen der Außenpolitik bestimmt wird.

Ein großer Unsicherheitsfaktor sind die Intentionen der Gegenseite. Die künftige sowjetische Verhaltensweise entzieht sich einer sicheren Voraussage. Hier liegt ein weites Feld der Mutmaßungen und Hypothesen. Denkmodelle sind zwar möglich, jedoch haben sie zunächst nur hypothetischen Charakter. Gesichert ist allerdings die Herausstellung sowjetischer Grundmotive bzw.der Prioritäten im Feld sowjetischer Außenpolitik:

1. Bestrebungen zur Sicherung des Status quo. 2. Festhalten am Ziel der Weltrevolution, wenn auch nicht unbedingt mit kriegerischen Mitteln.

3. Durchsetzung machtpolitischer Ziele zur Erweiterung der sowjetischen Stellung in der Welt (Hegemonialanspruch in Europa).

Bei der Analyse dieser Ziele ist es von Bedeutung, welche Ziele auf die Rüstungspolitik bzw. Militärpolitik einwirken. Denn so wird sichtbar, welche Grundmotive hinter dem Streben der Sowjets stehen, ihr Militärpotential zu politischen Zwecken einzusetzen.

IX. Entspannung und Konvergenz der Systeme

Nach einer weitverbreiteten Vorstellung ist die Entspannungspolitik mit der Erwartung verknüpft, ein Ausgleich von Ost und West könne schon deshalb gefunden werden, weil die Gesellschaftssysteme trotz ideologischer Differenzen dem Trend zur Angleichung (Konvergenz) unterliegen. Diese Ansicht geht auf die Überzeugung zurück, daß der Prozeß zur Industrialisierung in der sowjetischen Gesellschaft wie auch im Westen am Ende zu vergleichbaren Ergebnissen führen müsse. Sicherlich läßt sich nicht bestreiten, daß das kommunistische und das westliche System gegenwärtig einer ähnlichen Entwicklung unterworfen ist, die beispielsweise in der Wirtschaft vom Rentabilitätsfaktor, von Maßnahmen zur Rationalisierung sowie von kooperativen Führungsmethoden gekennzeichnet ist. Eine Konvergenz der Gesellschaftssysteme im Sinne der Angleichung von ideologischen Positionen braucht dennoch nicht einzutreten

Der Prozeß der Liberalisierung und Demokratisierung, der im Lager der Ostblockstaaten eingesetzt hat, kann zwar zu einem größeren Maß an Rücksichtnahme auf Wohlstand und Konsum der breiten Massen führen, wodurch die ideologischen Motive zurücktreten. Dennoch läßt sich aber die Zukunft nicht exakt voraussagen. Voraussicht bedeutet stets eine „berechenbare Extrapolation des Heutigen", während die Planung von der Gegenposition ausgeht, daß die Zukunft zweckmäßig manipulierbar sei

Die heutige Gesamtkonstellation in der Sowjetgesellschaft läßt sich jedoch nicht so exakt auf die Zukunft hin extrapolieren, daß eine sichere Voraussage über die ideologische Einstellung der führenden Machteliten in der UdSSR möglich sei. Die Konvergenzthese mag eine interessante Interpretation der gegenwärtigen Problematik von Ost und West einschließen, jedoch muß davor gewarnt werden, eine notwendige wirtschaftliche Reform schon als Liberalisierung im geistesgeschichtlichen Sinne anzusehen.

Mit Sicherheit läßt sich soviel sagen, daß im Zeitalter des Polyzentrismus die gemeinsame kommunistische Ideologie nicht mehr ausreichen wird, den sowjetischen Führungsanspruch zu sichern. Daraus ließe sich schließen, daß die UdSSR in wachsendem Maße wirtschaftliche und militärische Abhängigkeiten schaffen wird und die sowjetische Politik gegenwärtig auf Prädominanz ausgerichtet ist. Dem entspricht auch das außenpolitische Streben, über das Vehikel der sogenannten Europäischen Sicherheitskonferenz die amerikanischen Streitkräfte aus Europa zu drängen, die dem Streben nach Prädominanz Einhalt gebieten könnten. Was ist angesichts der Tatsache, daß eine Konvergenz im Sinne der ideologischen Annäherung noch nicht denkbar ist, der mögliche Sinn politischer Entspannung? Auf jeden Fall könnte eine „Klimaverbesserung" durch Entspannungspolitik zustande kommen, die für künftige Verhandlungen über kooperative Möglichkeiten von grundlegender Bedeutung ist. Kimaverbesserung in der politischen Landschaft ist jedoch ein komplexes Phänomen. Es betrifft insbespndere die Annäherung der Machteliten von Gesellschaftssystemen, zu der folgende Aspekte gehören:

1. Bewußtwerden gemeinsamer Interessenlagen in bestimmten Bereichen von Wirtschaft, Technologie und Kultur. Damit ist noch keine Veränderung der ideologischen Positionen gemeint, sondern bestenfalls die Ausklammerung ideologischer Faktoren in jenen Bereichen.

2. Änderung der Vorstellungen in den Macht-eliten zweier Völker, die die eine Seite von der anderen besitzt. Derartige Bewußtseinsänderungen kommen aufgrund wechselseitiger Rückkoppelungsprozesse zustande, die zum Abbau der Feindbilder wie zum wachsenden Verständnis für gemeinsame Konflikte führen können.

Der zweite Aspekt ist für die Analyse der Entspannung von so grundlegender Bedeutung, daß man die These vertreten kann: Klimaverbesserung aufgrund von Entspannung bedeutet eine Wandlung im Bewußtsein der Machteliten, was zugleich eine günstige Voraussetzung für künftige Schritte auf dem Wege weiterer Entspannung sein kann. Damit hängt eine zweite These eng zusammen: Klimaverbesserung durch Entspannung führt zu einer Abschwächung der beiderseitigen Bedrohungsvorstellungen und stellt eine politisch-psychologische Voraussetzung der Friedenssicherung dar.

X. Entspannung und zwischenstaatliche Rückkoppelung

Zum Schluß sei der Ansatz skizziert, der es ermöglicht, politische Konflikte in der Phase der Entspannungspolitik zu analysieren

Auf der Ebene des Bewußtseins politischer Eliten, die auf den Fortgang der Entspannungspolitik großen Einfluß haben, läßt sich der Vorgang der Entspannung als ein Prozeß wechselseitiger Rückkopplung beschreiben, der zur Herausbildung gemeinsamer Interessenlagen zweier oder mehrerer Nationen führt bzw.dem von vornherein gemeinsame Interessenlagen zugrunde liegen. Hierbei nähert sich die eine Seite den Ziel Vorstellungen der anderen und fühlt sich damit ermutigt, ihrerseits die eigenen Zielvorstellungen denen der anderen Nation anzugleichen und umgekehrt. Dieser Prozeß kommt an ein Ende, wenn neue gemeinsame Interessenlagen gefunden sind bzw. wenn die gemeinsamen Interessen eine endgültige Formulierung erfahren haben. Diese bilden dann die Grundlage politischer Kompromisse in strittigen außenpolitischen Fragen. Damit ist die Voraussetzung einer zwischenstaatlichen Kooperation im Felde von Wirtschaft, Technologie, Kultur etc. gelegt. Gemeinsame Interessenlagen lassen sich bestimmen als jene Interessen, über die zwischen zwei oder mehreren Ländern Einmütigkeit besteht. Dies setzt voraus, daß über Inhalt und Bedeutung dieser Interessen eine eindeutige Auffassung möglich ist, die sich frei von ideologischen Einflüssen hält. Die Herausarbeitung gemeinsamer Interessenlagen bedeutet keineswegs eine Konvergenz der Systeme. Die ideologischen Positionen bleiben unverändert. Der Prozeß wechselseitiger Rückkoppelung bezieht sich nun sowohl auf die Deutungsmuster wie die Zielvorstellungen zweier Nationen. Deutungsmuster steuern die Vorstellungen und Wahrnehmungen einer Nation in Richtung auf eine andere. Zu Deutungsmustern gehören auch Auslandsbilder oder Feindbilder. Zielvorstellungen dagegen sind von grundlegender Bedeutung für die Außenpolitik eines Landes. Sie sind das, * was mit den Maßnahmen der Außenpolitik erreicht werden soll

Deutungsmuster von Nationen, die zu anderen Nationen im Verhältnis der Konkurrenz oder des machtpolitischen Gegensatzes stehen, können verschiedene Formen annehmen:

1. Feindbilder verschiedener Intensität.

2. Vorstellung der Nation A von der Nation B als eines Kontrahenten (politische oder wirtschaftliche Interessengegensätze).

3. Vorstellung der Nation A von der Nation B als eines Partnerstaates (Voraussetzung sind Möglichkeiten der Kooperation von A und B). Im Zuge politischer Entspannung kommen stets Rückkoppelungsvorgänge ins Spiel, die auf die Deutungsmuster wie die Zielvorstellungen beider Nationen einwirken. Insgesamt ergeben sich folgende Rückkoppelungsvorgänge: 1. Die Deutungsmuster und Zielvorstellungen der Nation A wirken auf Deutungsmuster und Zielvorstellungen der Nation B ein. So kann es geschehen, daß im Zuge eines solchen Rückkoppelungsvorganges die Feindbilder auf beiden Seiten sich abschwächen, da jede Seite den Eindruck gewinnt, daß die andere daran interessiert ist, die alten Denkschemata nach dem Grundmodell von Freund und Feind abzubauen. Die Abschwächung der Feindbilder kann auch nur partiell geschehen, nämlich im Felde jener gemeinsamer Interessen, um die es sich bei einer bestimmten Kooperation handelt.

In dem Maße, wie sich der Rückkoppelungsvorgang zweier Nationen vollzieht, kommt es auch im innerstaatlichen Bereich zu einer Rückkoppelungsbeziehung zwischen den Deutungsmustern und den Zielvorstellungen im Bewußtsein der Eliten und der Bevölkerung wie auch der Eliten und Regierungen.

2. Wenn sich die Nation A oder B ermutigt fühlt, die Prioritäten und Zielvorstellungen der Außenpolitik im Sinne einer größeren Kooperation zu verändern, so wirkt dies naturgemäß auf die Deutungsmuster zurück. Allerdings setzt dieses die beiderseitige Erkenntnis sogenannter gemeinsamer Interessenlagen voraus.

3. Das Ergebnis der Rückkoppelungsprozesse auf beiden Seiten (innerstaatlich wie zwischenstaatlich) kann dazu führen, daß gemeinsame Zielvorstellungen entwickelt werden. Dies setzt vielfach Wertentscheidungen voraus. Wertentscheidungen sind die letzte Legitimationsgrundlage dafür, daß ein gemeinsamer Vorteil in der Kooperation zweier Staaten angestrebt wird.

XI. Kommunikationsforschung

Die Analyse wechselseitiger Rückkoppelungsvorgänge steht erst im Anfang. Von seifen der Kommunikationsforschung sind dabei wichtige Beiträge in der analytischen Durchdringung dieser Prozesse zu erwarten. Diese Forschungsrichtung geht davon aus, daß eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Konfliktgeschehen und der zwischenstaatlichen Kommunikation besteht. Zwar sind nennensB werte praktische Ergebnisse aus entsprechend thematisierten Untersuchungen z. Z. noch nicht verfügbar, wenn man davon absieht, daß die Vereinigten Staaten bereits im Anschluß an die Kuba-Krise den Versuch unternommen haben, die unterschiedliche Reaktionsweise der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten mittels der quantitativen Inhaltsanalyse (content analysis) zu erfassen Doch beginnt sich die Forschung dieser Problematik mehr und mehr zuzuwenden, da ihre Bedeutung für die Klärung internationaler Beziehungen unbestritten ist.

So hat Jörg-Peter Mentzel die Frage des Feindbildes in der DDR (1967— 1971) mit einer quantitativen Analyse der Zeitschriften, Zeitungen, Bücher und Broschüren, die in der DDR erschienen sind, untersucht In diesen Untersuchungen geht es darum, „kritisch die außenpolitischen Berichterstattungen in den einzelnen Nachrichtenmedien zu untersuchen, anhand von Aussageanalysen nachzuforschen, wie das Bild vom Ausland oder von Ereignissen auf internationaler Ebene verzerrt wird. In diesem Zusammenhang wäre es auch wichtig, herauszuarbeiten, wieviel Raum beispielsweise bei internationalen Konflikten der Darlegung der eigenen und wie wenig Raum der Darstellung der Position des Konfliktpartners in den Berichten und Kommentaren der Zeitungen, Rundfunk und Fernsehsendungen gewidmet wird"

Insbesondere hat sich die Forschung dem Auslandsbild in der außenpolitischen Berichterstattung verschiedener Kommunikationsmedien zuzuwenden. Auslandsbilder sind nicht nur Hilfsmittel zur Orientierung, sondern auch geeignet, Konflikte auszulösen oder die Konfliktbereitschaft zu erhöhen, insbesondere dann, wenn das Auslandsbild als eines der Deutungsmuster einer Nation sich zum Feindbild verwandelt. In diesem Feld kommt den Macht-eliten der Länder, die auf die inländische Bericherstattung einen großen Einfluß haben, eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Man kann geradezu von der Interdependenz von Auslands-und Inlandsberichterstattung sprechen, wobei der Vorgang nach dem Modell eines Rückkoppelungsmechanismus abläuft: Festgelegte politisch-ideologische Wertauffas-sungen und Leitbilder werden durch politische und intellektuelle Eliten der breiten Bevölkerung über die Massenmedien als verbindlich oktroyiert. Hierin kommt die Tendenz zum Ausdruck, das Auslandsgeschehen bzw.den Konfliktpartner nach einem ideologisch fixierten Weltbild auszurichten. Somit wird die Auslandsberichterstattung zu einer komplementären Funktion der Inlandsberichterstattung. Dieser Vorgang entspricht dem Autismusmodell, das Dieter Senghaas entwickelt hat: In einer ideologischen verfärbten Auslandsberichterstattung liegt zugleich die ideologische Selbstbestätigung der Machteliten, die die Auslandsberichterstattung steuert und kontrolliert.

Zum Ganzen läßt sich sagen, daß die Rolle der Ideologien als Faktor politischer, militärischer und gesellschaftlicher Konflikte ein wichtiges Objekt der Kommunikationsforschung darstellt. Offene Kommunikationssysteme, die in einem pluralistischen Gesellschaftssystem eine größere Durchsetzungschance haben, begünstigen allgemein die Beilegung zwischenstaatlicher Konflikte, da sie die Möglichkeit der Selbstkorrektur erhöhen. Geschlossene Kommunikationssysteme, die im allgemeinen typisch sind für totalitäre Gesellschaftssysteme, sind dagegen weniger geeignet, Konfliktsituationen zu entschärfen.

Im Falle künftiger Kooperation zwischen den Gesellschaftssystemen von Ost und West kommt den Machteliten westlicher Nationen, die über das Instrumentarium eines offenen Kommunikationssystems verfügen, eine große Bedeutung hinsichtlich der Stimulierung der Machteliten im Herrschaftsbereich des Konfliktpartners zu. Es erscheint nicht undenkbar, daß im Zuge einer zwischenstaatlichen Rückkoppelung das Auslandsbild des Konflikt-partners in einen Wandlungsprozeß hineingezogen wird, der durch die Impulse der Machteliten in einem offenen Kommunikationssystem mit ausgelöst wird. In diesem Problemfeld befindet sich die Forschung noch am Anfang. Jedenfalls ist die Öffnung von nationalen Kommunikationssystemen und die Transparenz eines weltweiten Kommunikationssystems sicherlich eine wichtige Voraussetzung für die Erreichung weltpolitischer Stabilität

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. H. Afheldt, Ch. Potyka, U. P. Reich, Ph. Sonntag, C. F. von Weizsäcker, Durch Kriegsverhütung zum Krieg?, München 1972, S. 94. Ähnlich argumentiert Dieter Senghaas, („Abschreckung ist .organisierte Friedlosigkeit'") Abschreckung und Frieden, Frankfurt 1969, S. 5 f.

  2. J. B. Wiesner hat als Vertreter des Gradualismus schon in den 60er Jahren die Politik des allmählichen Abbaus von Furchtkomplexen und Mißtrauen vorgeschlagen, die nach seiner Ansicht durch eine Kombination von Rüstungsbeschränkung und wirtschaftlich-technologischer Kooperation erreicht werden kann. Vgl. J. B. Wiesner, Umfassende Systeme der Rüstungsbeschränkung, in: Strategie der Abrüstung, hrsg. von Uwe Nerlich, Gütersloh 1962, S. 219.

  3. Vgl. H. J. Morgenthau, Macht und Frieden, Gütersloh 1963, S. 145.

  4. Ebenda, S. 292.

  5. Ebenda, S. 292.

  6. Ebenda. 8) Ebenda, S. 293.

  7. Ebenda, S. 294.

  8. Ebenda.

  9. H. A. Kissinger hat wiederholt den Gedanken geäußert, daß das Zeitalter der Siegermächte zu Ende geht, vgl. Europaarchiv, 9/69, S. 324.

  10. A. a. O., S. 297.

  11. Vgl. New York Times v. 29. 7. 1946, S. 1.

  12. A. a. O., S. 298.

  13. Vgl. Kapitel VII.

  14. Vgl. Kapitel VI.

  15. Vgl. auch Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/72 mit dem Beitrag C. F. von Weizsäckers: Durch Kriegsverhütung zum Krieg?

  16. Vgl. Kriegsfolgen und Kriegsverhütung, hrsg. v. C. F. v. Weizsäcker, München, 19713, S. 66.

  17. Vgl. Durch Kriegsverhütung zum Krieg? S. 21 u. 23.

  18. A. a. O„ S. 26.

  19. Vgl. W. Picht, Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr, Witten und Berlin 1965, Erste Folge S. 21.

  20. Vgl. Der Spiegel, Nr. 48, 1966.

  21. Vgl. Ludwig Schulte, Militärischer Auftrag und soldatische Existenz, in: Wehrkunde, Juni 1967. 24) Durch Kriegsverhütung zum Krieg?, a. a. O., S. 24. 25) Ebenda.

  22. Vgl. Durch Kriegsverhütung zum Krieg?, a. a. O., S. 13.

  23. A. a. O., S. 410.

  24. Wolf Graf von Baudissin spricht auch von der Möglichkeit der Aushöhlung der Zweitschlagkapazität, glaubt aber nicht, daß damit der strategische Vorteil für den Angreifer in einem Maße wachsen könnte, daß sich der Krieg wieder lohne. Denn gerade die Fortschritte der kooperativen Rüstungsplanung suchen die destabilisierende Wirkung zu verhindern. Vgl. Wolf Graf von Baudissin, Kooperative Rüstungssteuerung, in: Information für die Truppe, 7/1972, S. 14.

  25. Vgl. Ch. Potyka, Absurde Strategie, in: Durch Kriegsverhütung zum Krieg?, a. a. O., S. 131.

  26. Vgl. Th. C. Schelling, Reziproke Maßnahmen zur Stabilisierung der Rüstungen, in: Strategie der Abrüstung, S. 186 f.

  27. Vgl. J. B. Wiesner, Umfassende Systeme der Rüstungsbeschränkung, in: Strategie der Abrüstung, S. 219.

  28. Vgl. H. Afheldt, Frieden durch stabile Abschreckung, — die große Illusion?, in: Merkur, 1970, S. 427.

  29. Vgl. R.de Holsti, R. A. Brodie u. a., Crises, Affect and Action in American Sowjet relations, in: Pruitt, Synder (Hrsg.), Theory and Research on the Gauses of War, Englehood.

  30. Vgl. Frieden durch stabile Abschreckung, S. 430.

  31. Ebenda, S. 432.

  32. Vgl. H. A. Jacobsen, Zur deutschen Daedalos-Ausgabe, in: Strategie der Abrüstung, S. 9.

  33. Vgl. Frieden durch stabile Abschreckung, S. 435.

  34. Vgl. Wolf Graf von Baudissin, Kooperative Rüstungssteuerung, S. 14; vgl. auch E. Forndran, Rüstungskontrolle, Düsseldorf 1970, S. 85.

  35. Vgl. Frieden durch stabile Abschreckung, S. 436.

  36. Vgl. Durch Kriegsverhütung zum Krieg?, a. a. O., S. 75.

  37. Ebenda, S. 34.

  38. Ebenda, S. 152.

  39. Vgl. Wolf Graf von Baudissin, Kooperative Rüstungssteuerung, a. a. O., S. 15.

  40. Vgl. Kapitel V.

  41. Vgl. Senghaas, Zur Analyse von Drohpolitik in den internationalen Beziehungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/70, S. 52.

  42. Vgl. Kooperative Rüstungssteuerung, a. a. O., S. 15.

  43. Ebenda.

  44. Vgl. D. Senghaas, Abschreckung und Frieden, a. a. O., S. 52.

  45. Ebenda, S. 176.

  46. Vgl. Kapitel XI.

  47. Vgl. Kapitel X.

  48. Vgl. J. Galtung, über die Zukunft des internationalen Systems, in: Futurum, Zeitschrift für Zukunftsforschung, Band 1, Heft 1, 1968, Seite 73 f.

  49. A. a. O., S. 97.

  50. Ebenda.

  51. Vgl. G. Zellentin, Intersystemare Beziehungen in Europa, Leiden, 1970 S. 9.

  52. A. a. O„ S. 14.

  53. Ebenda.

  54. Ebenda, S. 21.

  55. Vgl. Raban Frhr. von Canstein, Werden wir bedroht?, in: Wehrkunde, September 1968, Seite 437 f.

  56. Vgl. zur Frage der Bedrohungsvorstellungen: G. Wettig, Der Wirkzusammenhang um die Konfliktsituation von Bedrohungsvorstellungen, in: Jahrbuch für Frieden und Konfliktforschung 1971, Band 1, S. 160.

  57. Vgl. hierzu die Untersuchung der amerikanischen Wissenschaftler Brzezinski und Huntington, Politische Macht in den USA und in der UdSSR; siehe dazu die Besprechung dieser Untersuchung in: Wehrkunde, Mai 1967, S. 280.

  58. Vgl. H. Lüthi, Wozu Geschichte? in: Der Monat, Dezember 1967.

  59. Vgl. Ludwig Schulte, Methoden zur Quantifizierung politischer Spannungen in Konfliktfällen, in: Beiträge zur Konfliktforschung, Heft 1/1972, S. 5— 22.

  60. Vgl. G. Wettig, Der Wirkzusammenhang und die Konfliktsituation von Bedrohungsvorstellungen, a. a. O., S. 163.

  61. Vgl. die Vorstellung dieser Methode in „Methoden zur Quantifizierung" (Fußnote 63).

  62. Vgl. J. B. Mentzel, Feindbild in der DDR (1967— 71), in: Deutschland-Archiv, Februar 1972.

  63. Vgl. H. A. Jacobsen, Anmerkungen zur Untersuchung internationaler Konflikte, in: Beiträge zur Konfliktforschung 1971/1 und 2. S. 9.

  64. Vgl. H. J. Koschwitz, Internationale Kommunikation als Forschungsbereich der Publizistik und Politikwissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52/71.

Weitere Inhalte

Ludwig Schulte, Dr. phil., geb. 1922, Studium der Philosophie, Psychologie und Literatur in Münster, Bonn und Paris, Wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Veröffentlichungen: Theorie der schöpferischen Freiheit (Dissertation), Meisen-heim 1954; Gott und der Freie Mensch. Einführung in Probleme der Gegenwartsphilosophie, Düsseldorf 1958; Dynamik der freien Welt, Osnabrück 1961; Vom Blitzkrieg zum Nervenkrieg, Boppard 1964; Verteidigung im Frieden, Frankfurt 1968; Der Neomarxismus Herbert Marcuses, Sonderdruck des KMBA Bonn, 1969; Bundeswehr im Konflikt, Frankfurt 19722. — Zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften und anderen Publikationsorganen.