Stabilisierungspolitische Konzeptionen Zur Fiskalismus-Monetarismus-Kontroverse
Diethard B. Simmert
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Zusammenfassung
Die Wirtschaftspolitik eines Landes hängt entscheidend davon ab, welchem stabilisierungspolitischen Konzept die Wirtschaftspolitiker folgen. Das in der BRD in der Vergangenheit vorherrschende „fiskalische Konzept" wird in jüngster Zeit von Wissenschaftlern und Politikern, die man als „Monetaristen" zu bezeichnen pflegt, in Frage gestellt. Die alternativen stabilisierungspolitischen Konzepte werden daher zunächst einmal thesenförmig gegenübergestellt. Die kritische Analyse führt zu dem Schluß, daß es in dem aktuellen Fiskalismus-Mone-tarismus-Streit nicht nur um stabilisierungspolitische, sondern vor allem um ordnungspolitische Gesichtspunkte geht, die für die weitere Entwcklung der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung von großer Bedeutung sind. Der „monetaristischen Konzeption" fehlt in der BRD nicht nur die empirische Basis, sie würde ordnungspolitisch auch einen Rückschritt in die — allgemein als überwunden angesehene — laissez-faire-liberalistische Phase des kapitalistischen Wirtschaftssystems bedeuten.
Vorbemerkungen
Auf der Grundlage der keynesianischen Lehre wurden in der Vergangenheit wirtschaftspolitische Konzeptionen entwickelt und angewandt. Neue Wirtschaftspolitik, Global-steuerung und antizyklische Finanzpolitik waren die Formeln und Methoden keynesiani-scher Wirtschaftspolitiker Doch auch die neue Wirtschaftspolitik war nicht in der Lage, die wirtschaftliche Entwicklung vor gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten zu bewahren. Die durch die Erfahrungen der letzten Jahre gewachsene Skepsis hinsichtlich der Wirksamkeit globalsteuernder Maßnahmen führte dazu, daß die traditionelle Wirtschaftspolitik in jüngster Zeit auch in der Bundesrepublik zunehmend von Wissenschaftlern und Politikern, die man als „Monetaristen" zu bezeichnen pflegt, in Frage gestellt wird. Dabei wurde die Renaissance des monetaristischen Konzepts in den fünfziger Jahren in den USA zunächst nicht sehr ernst genommen. Die zentrale Aussage dieser „neuen" Lehre, daß Änderungen des nominalen Volks-einkommens von vorangehenden Geldmengenänderungen abhängig seien, wurde als eine Ubervereinfachung der wirtschaftlichen Wirklichkeit angesehen, und die zur Unterstützung dieses Konzepts geführten empirischen Beweise für die USA wurden heftigst kritisiert Dies hat jedoch nicht verhindert, daß das monetaristische Konzept in den sechziger und siebziger Jahren in den USA so erheblich an Popularität gewann — die Wachstumsrate der monetaristischen, überwiegend angelsächsischen Literatur ist schon sehr beeindruckend —, daß ihre Vertreter schon von einer „monetaristischen Revolution" sprechen. Diese „Revolution" hat — wen wundert das — nun die Bundesrepublik erfaßt und gewinnt auch hier zunehmend Anhänger
Dies ist dadurch begünstigt worden, daß das ökonomische Denken in der BRD in der Nachkriegszeit überwiegend von Wachstumsvorstellungen geprägt worden ist. Weitverbreitet herrschte die Auffassung, daß der alte Konjunkturzyklus für immer tot sei. Worte wie „Konjunktur" und „Konjunkturpolitik" wurden zwar noch ab und zu gebraucht, es wurde damit aber kaum noch die Vorstellung von einem Zyklus, sondern allenfalls noch mit Schwankungen in den Wachstumsraten verbunden. Das anhaltende — und oft auch als selbstverständlich betrachtete — Wachstum des Bruttosozialprodukts mußte zwangsläufig die Beschäftigung mit Konjunkturproblemen als wenig attraktiv erscheinen lassen. Die Beschäftigung mit Wachstumsproblemen schien dagegen das Gebot der Stunde zu sein; Wachstumsfragen dominierten in der wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Die letzten Jahre haben jedoch einen bemerkenswerten Wandel gebracht. Der Wachstums-trend hat sich abgeschwächt; dadurch hat der Konjunkturzyklus wieder deutlichere Konturen gewonnen. Oder: Der Konjunkturzyklus — verstanden als Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage — ist wiederentdeckt worden. Die Gründe dafür mögen einmal in der inzwischen eingetretenen Ernüchterung hinsichtlich der Fortschritte in der Wachstumstheorie und -poli-tik, sowohl in wissenschaftsmethodischer als auch politischer Beurteilung zum anderen aber auch in den praktischen Erfahrungen der letzten Jahre zu suchen sein, die mit der Rezession 1966/67 und den neuerdings anhaltend hohen Preissteigerungen das Konjunktur-phänomen wieder ins öffentliche Bewußtsein brachten und damit zunehmende politische Bedeutung bekamen Im Mittelpunkt der aktuellen und politischen Diskussion stehen damit heute ohne Zweifel Probleme der Stabilisierungspolitik. über die Ziele der Stabilisierungspolitik herrscht dabei — noch — weitgehend Einigkeit: Mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen (Globalsteuerung) soll derart auf die gesamtwirtschaftliche Konsum-und Investitionsnachfrage eingewirkt werden, daß zyklische Schwankungen des Wirtschaftsablaufs verhindert oder wenigstens gedämpft werden. Dies würde zugleich die Realisierung der wirtschaftspolitischen Ziele — die weitgehend kritiklos akzeptiert werden —, nämlich Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, angemessenes Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht, fördern.
Bei der Frage nach den Mitteln, mit denen diese Ziele anzustreben sind, gibt es erhebliche Meinungsunterschiede in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion. Im Brennpunkt dieser Auseinandersetzung um die „richtige" Theorie und — für die praktische Politik natürlich noch wichtiger — die daraus ableitbaren wirtschaftspolitischen Empfehlungen stehen zwei ökonomische Schulen: — der „Fiskalismus“ (auch Postkeynesianis-mus genannt), der unter dem Einfluß der „Allgemeinen Theorie“ von Keynes der Einkommen-Ausgaben-Theorie (income-expen-diture-approach) folgend, das Hauptgewicht auf fiskalpolitische Stabilisierungsmaßnahmen legt; — der „Monetarismus“, der unter dem Einfluß der modernen Quantitätstheorie als deren Schöpfer allgemein Milton Friedman angesehen wird, vor allem die Kontrolle der Geldmenge durch die Notenbank in den Mittelpunkt ihrer stabilisierungspolitischen Überlegungen stellt.
Die Wirtschaftspolitik eines Landes hängt daher entscheidend davon ab, ob die verantwortlichen Wirtschaftspolitiker keynesia-nisch oder monetaristisch orientiert sind. Sind sie keynesianisch orientiert, wird das Schwergewicht auf der Fiskalpolitik (Steuersatz-und Ausgabenänderungen) liegen, sind sie monetaristisch orientiert, werden sie ihr Augenmerk mehr auf die Geldpolitik richten. Diese Kontroverse zwischen Fiskalismus und Monetarismus ist also keineswegs akademischer Natur. Sie hat bereits erheblichen Einfluß auf die praktische amerikanische Wirtschaftspolitik gehabt Während die Wirtschaftspolitik der Kennedy-Johnson-Ära eindeutig keynesianisch geprägt war, hatten die Monetaristen zumindest in der Anfangszeit der Regierung Nixon erheblichen Einfluß auf die Wirtschaftspolitik Amerikas. Da nun diese Auseinandersetzungen in jüngster Zeit auch in der deutschen Literatur n) zu verfolgen sind, dürfte die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik hiervon nicht unbeeinflußt bleiben. Dies zeigte sich erst jüngst in Äußerungen des Bundeswirtschafts-und -finanzministers, die — recht vorsichtig allerdings noch — die Möglichkeit eines stabilisierungspolitischen Strategiewechsels andeuten: Nicht mehr die Fiskalpolitik des Staates, sondern die Geldpolitik der Bundesbank soll die Hauptwaffe im Kampf um die Stabilisierung des Wirtschaftsprozesses sein. Es erscheint daher sinnvoll, die stabilitätspolitischen Vorstellungen der Vertreter beider Schulen — die hier in grober Vereinfachung und selbstverständlich ohne Brücksichtigung vielfacher Nuancen als „Fiskalisten" und „Monetaristen" bezeichnet werden — thesenförmig darzustellen, um eine erste Übersicht über den anstehenden Streit zu vermitteln.
Das monetaristische Konzept
Die Wurzeln des modernen Monetarismus reichen weit in die Vergangenheit zurück. Sie können zurückverfolgt werden von Jean Bodin im 16. Jahrhundert, über John Locke, David Hume, David Ricardo, John Stuart Mill, bis zu Irving Fisher in den zwanziger und dreißiger Jahren und nun Milton Friedman in den sechziger und siebziger Jahren dieses Jahrhunderts. Historisch haben sich die Monetaristen mit der Beziehung zwischen der Geldmenge und den Preisen beschäftigt. Sie sahen im Geldangebot die Hauptbestimmungsgröße für das Preisniveau. Die modernen Quantitätstheoretiker glauben jedoch nicht länger, daß Änderungen im Geldangebot nur das Preisniveau beeinflussen. So wie sie es sehen, ist die Rolle des Geldes viel bedeutungsvoller; es ist die entscheidende Bestimmungsgröße des nominalen Bruttosozialprodukts, der wirtschaftlichen Aktivität schlechthin.
Die stabilisierungspolitischen Vorstellungen der „Monetaristen" weichen erheblich von denen der Fiskalisten, die in den letzten Jahrzehnten die Wirtschaftspolitik in den westlichen Industrieländern geprägt haben, ab. Man kann sie wie folgt umreißen: 1. Die freie Marktwirtschaft tendiert prinzipiell zur Stabilität. Wenn Monopolsituationen beseitigt und die Einkommens-und Vermögensverteilung nicht allzu ungerecht ist, kommt es tendenziell zu einem Gleichgewicht auf allen Märkten (Arbeits-, Güter-und Finanzmärkten), d. h. zu einer Anpassung von Angebot und Nachfrage bei Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren. Die tatsächlich beobachtete Instabilität der kapitalistischen Privatwirtschaft in den letzten Jahrzehnten wird als Folge einer falschen Geld-und Fiskalpolitik dargestellt. So wird insbesondere die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 nicht als ein Versagen des Marktmechanismus, sondern als Ergebnis einer falschen Geldpolitik angesehen. Da die Wirtschaftspolitik des Staates also mehr zur Instabilität als zur Stabilität der gesamtwirtschaftlichen Aktivität beiträgt, empfehlen die „Monetaristen" eine Einschränkung der Staatsaktivität auf ein Mindestmaß. Der Staat soll allenfalls „vernünftige ökonomische Rahmenbedingungen" — damit ist in erster Linie ein funktionierender Wettbewerb gemeint — wiederherstellen. Der ordnungspolitische Hintergrund des modernen Monetarismus wird damit offenbar. Es geht im wesentlichen um eine Restauration Laissez-faire-liberalistischen Gedankenguts. 2. Wichtigstes stabilisierungspolitisches Mittel ist die Geldpolitik. Strategische Variable ist dabei die Geldmenge, da ihr ein unmittelbarer, wesentlicher Einfluß auf die Entwicklung des Niveaus der wirtschaftlichen Aktivität — durch das Bruttosozialprodukt repräsentiert — zuerkannt wird. Eine Geldmengenänderung ruft demnach einen direkten Ausgabeneffekt hervor. Diese Auffassung glauben die „Monetaristen" durch empirische Untersuchungen untermauern zu können, in denen eine enge und stabile Beziehung zwischen Geldmenge und Einkommen nachgewiesen wird. Ist sie gegeben, wird z. B. eine Änderung im Geldangebot durch die Notenbank die Gesamtausgaben und damit das Bruttosozialprodukt um einen vorhersehbaren Betrag ändern. Damit wird die Dominanz monetärer Impulse für eine erfolgreiche Stabilisierungspolitik begründet. Eine Geldmengenvermehrung durch die Notenbank führt daher bei nicht voll ausgelasteten Kapazitäten kurzfristig zu einer Steigerung der Produktion, nach Erreichen der Vollauslastung — bei konstanten Kapazitäten — jedoch nur noch zu einer Steigerung des Preisniveaus. Die Konsequenz dieser Erkenntnis ist in der Forderung nach einer Geldmengenpolitik zu sehen. Jedoch ist auch diese Geldpolitik in monetaristischer Sicht stark beeinträchtigt, da jede getroffene Maßnahme nur mit einer schwer bestimmbaren zeitlichen Verzögerung wirtschaftliche Reaktionen zeigt. Deshalb gelingt es kaum, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Maßnahme zu ergreifen, so daß häufig nicht die gewünschten stabilisierenden Effekte, sondern unerwünschte destabilisierende Nebenwirkungen auftreten. Da somit die kurzfristige und diskretionäre Geldpolitik nur zur Verschärfung von Konjunkturschwankungen führt, soll die Vermehrung der Geldmenge einer Wirtschaft am langfristigen realen Wachstumspotential ausgerichtet sein. Die Notenbank soll einzig und allein eine Politik der regelgebundenen, stetigen Geldmengen-variationen, auch bei zyklischen und saisonalen Abweichungen vom langfristigen Wachstumspfad, verfolgen. Das ist die Begründung für die berühmt-berüchtigte Geldmengen-regel der Monetaristen In einem solchen Konzept monetärer Ordnungsautomatik ist natürlich kein Platz mehr für Ermessensentscheidungen im Bereich der Geldpolitik. 3. Schließlich glauben die „Monetaristen nachweisen zu können, daß monetäre Impulse schneller als fiskalische in Änderungen von Gesamtnachfrage und Produktion umgesetzt wurden. Damit bestreiten sie die vorherrschende Meinung, wonach diskretionäre fiskalpolitische Entscheidungen (z. B. Realisierung eines Eventualhaushalts) relativ rasch wirken. 4. Aus der Sicht der „Monetaristen" wird die Übertragung monetärer Impulse in den realen Bereich durch die „Theorie der relativen Preise" erklärt. Im Zentrum dieser Theorie stehen die Reaktionen der Wirtschaftssubjekte auf monetäre Impulse. Durch solche monetären Impulse wird eine Änderung der relativen Preise und Ertragsraten der verschiedenen Vermögensobjekte ausgelöst, woran sich die Wirtschaftssubjekte anpassen und dadurch eine Änderung der Vermögens-struktur sowie der absoluten Höhe der Vermögensposten bewirken. Mit relativen Preisen sind die Preisrelationen der verschiedenen Vermögensobjekte zueinander gemeint. Steigt z. B.der Preis eines bestimmten Vermögensobjekts bei gleichbleibendem Ertrag, dann ist es sinnvoll, zufließende Mittel in diejenigen Vermögensobjekte anzulegen, deren Preis noch nicht oder relativ wenig gestiegen ist. Das von den Wirtschaftssubjekten gehaltene Vermögen besteht einerseits aus finanziellen Aktiva verschiedener Art (Bargeld und Sichteinlagen, geldnahe Anlageformen wie Schatzwechsel und kurzfristige Termineinlagen, längerfristige Forderungen, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien), andererseits aus Real-vermögen (Gebäude, Produktionsanlagen der Unternehmen, langlebige Konsumgüter der privaten Haushalte). Die Wirtschaftssubjekte sind nun bestrebt, die Zusammensetzung ihres Vermögens stets so zu disponieren, daß ein Optimum erreicht wird. Die Annahme einer stets vorgenommenen Optimierung der Vermögensstruktur impliziert, daß die einzelnen Arten von Aktiva grundsätzlich als Substitute aufgefaßt werden. Da in diesem Vermögens-konzept außer Geld und Wertpapiere auch Realkapital (Investitionsund Konsumgüter) enthalten ist, wird schließlich ein geldpolitischer Eingriff über eine Anpassung der Vermögensbilanzstruktur zu einer Änderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität (Sozialprodukt, Preise) führen. Es sei angenommen, daß die Wirtschaftssubjekte zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr Vermögen in einer Höhe und Struktur halten, die einen maximalen Vermögensertrag bringen. Nun erhöht die Notenbank die Geldmenge. Durch diese Maßnahme wird die optimale Struktur der Vermögenshaltung gestört: Geld ist im Vergleich zu anderen Vermögensarten „zu viel" vorhanden. Das löst Anpassungsprozesse aus. Die Wirtschaftssubjekte werden bestrebt sein, ihren Geldüberschuß abzubauen zugunsten des Erwerbs anderer Vermögensbestandteile, um so wieder eine optimale Vermögensstruktur herbeizuführen. Die Erhöhung der Geldmenge durch die Notenbank führt schließlich auch zum Erwerb von Realaktiva (Konsumgütern, Investitionsgütern), wodurch das Bruttosozialprodukt steigt.
Die Beschreibung dieses Ablaufs bleibt jedoch allenthalben im Allgemeinen, und es ist bisher auch nicht gelungen, ihn empirisch nachzuweisen. Selbst wenn man von diesem „black-box-Charakter" der Theorie der relativen Preise absieht, ist aus ihr nicht nur die besondere Stellung der Geldmenge nicht ableitbar, vielmehr erscheint sie als eine unverständliche Einengung. So wäre es zur Anregung der wirtschaftlichen Aktivität (z. B. von Investitionen) konsequent und besonders wirkungsvoll, wenn die Bundesbank auf den Märkten aller kurz-und langfristigen finanziellen Aktiva als Anbieter aufträte und über eine Verminderung der Erträge dieser Aktiva zu der wirtschaftspolitisch erwünschten Substitution finanzieller Aktiva durch Realaktiva anregte. Die „Monetaristen" bieten nun nicht eine derart umfassende zentralbankpolitische Strategie an, sondern postulieren schlicht die Geldmenge als entscheidende Schlüsselvariable, die es zu handhaben gelte. 5. Preissteigerungen für Güter und Dienstleistungen werden ausschließlich monetär erklärt. Die Veränderungen der Geldmenge, d. h. eine zu starke Ausdehnung, sind die entscheidenden Bestimmungsgrößen der Inflation. So sind beispielsweise die Monopolmacht der Unternehmen, die sich in ihrer Preissetzungsmacht manifestiert, der direkte internationale Preiszusammenhang (Inflationsimport) und sektorale Nachfrageverschiebungen nicht ursächlich für die Inflation verantwortlich. Auch die Einkommenspolitik der Gewerkschaften, die auf eine Erhöhung des Anteils der Arbeitnehmer am Volkseinkommen gerichtet ist und oft durch die Preispolitik der Unternehmen unterlaufen wird, kann nicht als Ursache, sondern muß als Folge einer unkontrollierten Geldmengenexpansion angesehen werden. Da nach Ansicht der „Monetaristen" für die Ausdehnung der Geldmenge allein die Notenbank und die Regierung verantwortlich sind, tragen diese auch die Verantwortung für inflationäre Entwicklungen. Es ist daher kein Wunder, wenn die „Monetaristen" vor allem immer die Notenbank tadeln, wenn in der Wirtschaftspolitik irgend etwas schief läuft. 6. Bei der strategischen Bedeutung der Geldmenge im Stabilisierungskonzept der „Monetaristen" erhebt sich natürlich die Frage nach der Kontrollierbarkeit der Geldmenge. Die Geldmenge wird als eine exogene Variable des ökonomischen Prozesses angesehen. Die Notenbank ist bei entsprechender Ausgestaltung ihres geldpolitischen Instrumentariums in der Lage, das Wachstum der Geldmenge über eine Kontrolle der Ausdehnung der Zentralbankgeldmenge, der sog. monetären Basis, zu steuern. Diese Aussage gilt allerdings nur für die binnenwirtschaftliche Komponente. Bei der außenwirtschaftlichen Komponente ist langfristig eine Kontrolle der Geldmenge im System fester Wechselkurse nicht möglich, da die zinsinduzierten und spekulationsbedingten Geldzu-und -abflüsse nicht neutralisiert werden können. Um die Wirksamkeit der Kontrolle der Geldmenge zu sichern, fordern daher die „Monetaristen" konsequent den Übergang zu einem internationalen Währungssystem, das gegenüber dem bisherigen System eine größere Flexibilität gewährleistet. 7. Fiskalpolitische Maßnahmen sind unter stabilisierungspolitischen Gesichtspunkten nur dann wirklich wirksam, wenn sie die Wachstumsrate der Geldmenge beeinflussen. So ersetzen z. B. Staatsausgaben, die über Steuern oder über den Kapitalmarkt finanziert werden, insgesamt nur die Privatausgaben, ohne die Gesamtausgaben und das Nominal-einkommen nennenswert zu beeinflussen (d. h. die Staatsausgaben haben nur allokative, aber keine aggregativen Effekte). Es werden also nur Ressourcen vom privaten auf den öffentlichen Sektor umgelenkt. Werden Staatsausgaben dagegen über eine Erhöhung der Zentralbankgeldmenge finanziert, dann istdieVer7 änderung des Einkommens letztlich auf die Veränderung der Geldmenge zurückzuführen. Da die Geldumlaufgeschwindigkeit entsprechend monetaristischer Vorstellung ziemlich konstant ist, wird die angenommene Geldmengenerhöhung über eine Ausgaben-steigerung entweder zu einer Erhöhung des realen Outputs — bei nicht voll ausgelasteten Kapazitäten — oder zu einer Preisniveausteigerung — bei Vollauslastung — führen. Die Fiskalpolitik sollte jedoch nicht zur Stabilisierung der Konjunktur eingesetzt werden, sondern vornehmlich ihre allokative Funktion wahrnehmen.
Das fiskalistische Konzept
Als Folge des Unvermögens der klassischen Nationalökonomie, die große Depression der dreißiger Jahre zu überwinden, ist von J. M. Keynes eine neue ökonomische Theorie entwickelt und seither ständig verbessert worden, mit deren Hilfe die wirtschaftlichen Prozesse in fast allen westlichen Industrieländern in den letzten Jahrzehnten gesteuert wurden.
Die Grundzüge der stabilisierungspolitischen Vorstellungen der „Fiskalisten", zu denen heute noch die überwiegende Mehrheit der Ökonomen zu zählen ist, lassen sich so darstellen: 1. Entscheidende Grundlage des Keynesianismus ist die Erkenntnis, daß die kapitalistische Privatwirtschaft systemimmanent zu konjunkturellen Krisen neigt — das eindrucksvollste Beispiel ist die Weltwirtschaftskrise mit ihren sozialen und politischen Folgen am Anfang der dreißiger Jahre —, die nur durch ein aktives Eingreifen des Staates mittels fiskal-und geldpolitischer Maßnahmen zu vermeiden sind. Damit wird dem Staat die gesamtwirtschaftliche Verantwortung übertragen. Die marktwirtschaftliche Ordnung in den westlichen Industrieländern muß weiterentwickelt werden, da sie die allgemein für wichtig angesehenen Ergebnisse, wie z. B. Vollbeschäftigung und Wachstum, nicht automatisch garantieren kann. Die keynesianische Sicht ist durch eine pessimistische Einschätzung der Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems geprägt. Man rückt damit vom klassisch-liberalen Laissez-faire-Prin-zip ab, also von der Vorstellung, daß eine sich selbst überlassene Wirtschaft zu gesamtwirtschaftlich optimalen und damit auch gesellschaftspolitisch erwünschten Ergebnissen führt, und überträgt dem Staat neue, den klassischen Nationalökonomen noch unbekannte Aufgaben. Diese in neuerer Zeit noch beständig wachsenden Aufgaben des Staates können auch wahrgenommem werden, weil heute der Anteil des öffentlichen Sektors am Bruttosozialprodukt fast 40 vH beträgt und — angesichts wachsender Aufgaben — wohl weiter ausgedehnt werden wird.
2. Da die „Fiskalisten" in den konjunkturellen Schwankungen, die sehr leicht in eine Rezession münden können, eine unvermeidliche Schwäche des marktwirtschaftlichen Systems sehen, wird dem Staat die Aufgabe der Konjunkturstabilisierung übertragen. Die keynesianische Wirtschaftspolitik basiert auf dem Glauben an die Gestaltbarkeit des Wirtschaftsprozesses über die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageaggregate (Konsum, Investitionen). Konjunkturzyklen sind das Ergebnis von Ungleichgewichten zwischen der volkswirtschaftlichen Gesamt-nachfrage und dem volkswirtschaftlichen Gesamtangebot. Da sich das Angebot der kurzfristigen Beeinflußbarkeit entzieht, wird die Nachfrage zum zentralen Steuerungsobjekt. Durch bewußte Schaffung oder Abschöpfung von Nachfragen können Gleichgewichtsstörungen beseitigt, zumindest aber gemildert werden. Die hauptsächliche Verantwortlichkeit für diese konjunkturglättende, also antizyklische Nachfragesteuerung liegt im keynesianischen Konzept bei der Finanz-politik. In Zeiten drohender rezessiver Entwicklung soll der Staat die Gesamtnachfrage durch Einnahmesenkung (Senkung der Einkommen-und Körperschaftsteuersätze) und/oder Ausgabeerhöhung (Eventualhaushalt) anregen und umgekehrt in Boomphasen durch Steuererhöhungen und/oder Ausgabesenkungen dämpfen. Das ist das Prinzip der antizyklischen Fiskalpolitik. Die Dominanz fiskalischer Impulse wird besonders im Konjunkturabschwung deutlich: Die zusätzlichen staatlichen Ausgaben erhöhen unmittelbar die Gesamtnachfrage und vermögen die fehlende private Nachfrage insgesamt auszugleichen. Dadurch kann ein Rückgang des Bruttosozialprodukts und demzufolge — in kapitalistischen Systemen — Arbeitslosigkeit in großem Umfang vermieden werden. Die Geldpolitik der Notenbank kann dagegen allenfalls die monetären Voraussetzungen für eine Ankurbelung der Gesamtnachfrage durch liquiditätsvermehrende (z. B. Mindestreservesatzsenkung) und/oder kostensenkende (z. B. Diskontsatzsenkung) Maßnahmen schaffen-, damit ist jedoch nicht garantiert, daß die Wirtschaftssubjekte dieses Geld auch für zusätzliche Konsum-und Investitionsausgaben nutzen.
3. Neben dem unmittelbaren, direkten Effekt der staatlichen Ausgabenvariation tritt ein — in seinem Ausmaß verhältnismäßig exakt zu bestimmender — Multiplikatoreffekt auf, der die Produktion, die Beschäftigung und das Einkommen berührt. Also: die erhöhte staatliche Nachfrage führt auch zu einer Erhöhung der privaten Nachfrage. Da die Verbrauchs-und Sparneigung der Bevölkerung relativ stabil ist, führt somit eine Erhöhung des Volks-einkommens tatsächlich zu einer Erhöhung des Verbrauchs.
4. Die Fiskalpolitik wirkt im übrigen relativ schnell; die Wirkungsverzögerungen (Entscheidung für bestimmte Maßnahmen; Durchführung der Maßnahmen; Wirkung der Maßnahmen) dauern nur wenige Monate, so daß ihrem erfolgreichen stabilisierungspolitischem Einsatz nichts im Wege steht.
5. Die Ursachen der Preissteigerungen werden von den Fiskalisten je nach konjunktureller und struktureller Situation sehr differenziert gesehen Ist beispielsweise der Nachfragedruck stark, so werden die Anbieter diese Situation nutzen, um über Preissteigerungen ihre Gewinne zu vergrößern. Dies ist der Fall der Nachfrageinflation. Sind in oligopolistischen und quasi monopolistischen Märkten die Unternehmen beispielsweise in der Lage, jegliche Kostenerhöhung — selbst bei Absatzmangel — in die Preise weiterzuwälzen (sog. administered prices), spricht man von einer Anbieter-(Kosten-) Inflation. Andere 15
Inflationshypothesen erklären die Inflation aus Verlagerungen der sektoralen Nachfrage (Nachfrageverschiebungsinflation) oder durch den internationalen Preiszusammenhang (importierte Inflation). Wichtig bei all diesen Inflationserklärungen ist, daß sie nicht unbedingt in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Erhöhung der Geldmenge stehen müssen. Eine Geldmengenvermehrung ist also nicht — wie im monetaristischen Ansatz — eine conditio sine qua non für inflationäre Entwicklungen.
6. Im keynesianischen System folgt oft den erheblichen Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität der Geldbedarf als eine endogen bestimmte Größe, d. h. die wirtschaftliche Aktivität bestimmt den Geldbedarf und nicht — wie im monetaristischen Ansatz — umgekehrt die Geldmenge die wirtschaftliche Aktivität. Damit verbunden ist eine kurzfristig stark veränderliche Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Aufgabe der Geldpolitik besteht dann in einem kurzfristigen, diskretionärem Gegensteuern primär über die Zins-und Kreditpolitik (Liquiditätspolitik). Die Geldmenge kann in diesem System von der Notenbank nicht direkt kontrolliert und gesteuert werden. Sie kann allenfalls durch Zins-und Kreditpolitik indirekt beeinflußt werden. Da ein direkter Einfluß der Geldmengenentwicklung auf das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität von den Fiskalisten bestritten wird, wird die von den Monetaristen geforderte Geldmengenpolitik als unwirksam und undurchführbar abgelehnt
7. Aus der Sicht der Fiskalisten werden monetäre Impulse vornehmlich über den Zinssatz in den realen Bereich transformiert. Nur ein Teil der Gesamtnachfrage, nämlich die Investitionsausgaben, wird als zinsempfindlich angesehen. Eine Senkung des Zinssatzes beispielsweise kann die Investitionsausgaben (da die Kreditkosten gesunken sind), damit — auch wieder über einen Einkommensmultiplikator — die Gesamtnachfrage erhöhen. Dieser Kanal zwischen dem monetären und dem realen Bereich ist aber weniger direkt und weniger zuverlässig als im monetaristischen Konzept, da er wesentlich vom Verhalten der Wirtschaftssubjekte, das nicht als konstant bleibend angesehen wird, abhängt.
Einige kritische Anmerkungen
Es soll und kann hier nun keine umfassende kritische Würdigung dieser Kontroverse erfolgen. Es sollen daher nur einige — dem Verfasser allerdings wesentlich erscheinende — Gesichtspunkte herausgestellt werden.
Es muß zunächst einmal festgehalten werden, daß die Wirtschaftspolitik in der BRD in der Vergangenheit eindeutig keynesianisch orientiert gewesen ist. Die zunehmenden konjunkturellen Schwankungen in der BRD — die am markantesten in der Rezession 1966/67 mit Stagnation und Arbeitslosigkeit zum Ausdruck kamen — unterstrichen mit Nachdruck die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Steuerung durch den Staat. Mit der Entwicklung und Verabschiedung des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes (1967), das der Bundesregierung eine breite Palette fiskalpolitischer Instrumente in die Hand gab, ist die gesetzliche Grundlage für die Anwendung einer — gleichzeitig aber auch die Verpflichtung zu einer (!) — antizyklischen Fiskalpolitik geschaffen worden. Mit diesem Gesetz ist die Bundesregierung in der Lage, kreditfinanzierte Staatsausgaben zu tätigen, Konjunkturausgleichsrücklagen anzulegen sowie in bestimmten Grenzen Veränderungen der wichtigsten Steuersätze vorzunehmen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, auf die Haushalts-politik anderer Gebietskörperschaften, vor allem der Länder, im Sinne einer gleich-gerichteten Konjunkturpolitik einzuwirken. Neben dieser Anreicherung der sozial-technologischen Instrumente für die Niveau-steuerung der Wirtschaft beinhaltet diese Konzeption die Einrichtung der Konzertierten Aktion zwischen Regierung und Tarifvertrags-parteien als Versuch einer Verständigung über die Einkommenspolitik. Dieses Gesetz, das eine Weiterbildung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch den Einbau des keyne-sianischen Instrumentariums darstellt, wird damit der pessimistischen Einschätzung der Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems und den daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen durch die „Fiskalisten" gerecht. Die so fundierte Wirtschaftspolitik in der BRD wird nun in neuester Zeit von Vertretern des aus den USA importierten Konzepts des Monetarismus grundsätzlich in Frage gestellt.
In ziemlich unkritischer, fast naiver Manier wird das monetaristische Konzept, das speziell auf das amerikanische Wirtschaftssystem abstellt, auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse übertragen, ohne zu berücksichtigen, daß dieses Vorgehen äußerst problematisch ist. So weist beispielsweise das westdeutsche Bankensystem andere Konstruktionsmerkmale als das nordamerikanische auf. Es müßte also zunächst einmal die Konsequenz dieser institutionellen Unterschiede für die Geldpolitik herausgearbeitet und damit überprüft werden, inwieweit überhaupt die institutionell-technischen Voraussetzungen für eine Übernahme des monetaristischen Konzepts in der BRD gegeben sind. Darüber hinaus werden selbst die prinzipiellen technischen Schwierigkeiten, die das monetaristische Konzept mit sich bringt und die in der Diskussion in den USA einen breiten Raum einnehmen, in der deutschen Literatur erst spärlich diskutiert Obwohl an dieser Stelle nicht auf diese — in der BRD erst anlaufende — Diskussion ausführlich eingegangen werden kann soll hier doch schon einmal festgehalten werden, daß die „Geldbasis" für westdeutsche Verhältnisse kein adäquates begriffliches Instrumentarium darstellt, daß diese Geldbasis in der BRD keine exogene Größe ist und bei den heute geltenden geld-und kredit-politischen Regelungen nicht von der Bundesbank kontrolliert werden kann. Mit diesen empirisch gesicherten Erkenntnissen sind allerdings Grundpfeiler der monetaristischen Lehre zerstört: sie entpuppt sich damit als ein Paradefall einer zur Rezeption nicht tauglichen Konzeption. Gleichwohl scheint die unkritische Rezeption dieser aus den USA stammenden Lehre — wie ein Blick in die Fachliteratur zeigt — in Gang zu sein.
Bedauernswert an der bisherigen Diskussion um die Geldmengenpolitik ist nur, daß sie völlig vom restaurativen Charakter des modernen Monetarismus abstrahiert; sie bewegt sich vorrangig auf einer technizistisch-operationellen Ebene. Im Vordergrund stehen Fragen instrumenteilen Charakters wie „Ist der Instrumentenkasten der Notenbank überhaupt geeignet, die Geldmenge hinreichend genau zu steuern?" usw. .. Kaum einmal wird bedacht, welche politischen Inhalte der moderne Monetarismus hat. Das hinter dem Konzept des Monetarismus stehende ordnungspolitische Credo eines Laissez-faire-Liberalismus wird angesichts der in formalisierte Aussagen gekleideten modernen Quantitätstheorie nicht mehr deutlich Dies soll exemplarisch an Hand der politischen Implikationen der Geldmengenregel nachgewiesen werden. Die ordnungspolitischen Vorstellungen des Laissez-faire-Liberalismus gehen von einer Organisation des Wirtschaftsablaufs aus, in dem Anbieter und Nachfrager sowohl auf den Güter-als auch Arbeitsmärkten so zahlreich sind, daß kein einzelner die Macht hat, fühlbar die Preisbildung zu beeinflussen. Dies bezeichnet man als atomistische Konkurrenz. Die Realität hat sich nun erheblich von dieser Vorstellung entfernt. Die Angebotsseite auf den Gütermärkten der gesamtwirtschaftlich wichtigen Bereiche ist weithin oligopolistisch strukturiert, an den Arbeitsmärkten stehen sich Tarifpartner gegenüber; demnach: die Preisbildung folgt schon lange nicht mehr dem Modell der atomistischen Konkurrenz. Darauf ist es zurückzuführen, daß die Preise nach unten kaum noch flexibel sind und derjenige Anbieter, der seine Preise stärker erhöht als seine Konkurrenten, nicht zwangsläufig aus dem Markt ausscheiden muß. Auf dem Arbeitsmarkt können Lohnerhöhungen vereinbart werden, die das kostenniveauneutrale Maß übersteigen, ohne daß dies zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit führen muß. Dies erst kann die Nominallohnpolitik zu einem Instrument der Einkommensumverteilung machen. Im Programm des klassischen Laissez-faire-Liberalismus war explizit die Forderung enthalten, der Staat möge auf den Güter-und Faktormärkten durch entsprechende Gesetzgebung solche Bedingungen herstellen, wie sie der atomistischen Konkurrenz entsprechen. Der moderne Monetarismus enthält diese Forderung in verdeckter Form; sie ist Implikation der wohlbekannten Geldmengenregel. Wie man leicht nachweisen kann hat in der quantitätstheoretischen Welt die Einhaltung der Geldmengenregel weitreichende Konsequenzen für die Tarifpartner, da nur ein einziges Preisniveau mit Vollbeschäftigung vereinbar ist. Gewerkschaften, die auf Sicherung der Vollbeschäftigung bedacht sind, müssen daher auf verteilungspolitische Ziele verzichten; jeder Versuch, mit der Lohnpolitik die Einkommensverteilung zu korrigieren, führt zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit. Diese „Reprivatisierung des Beschäftigungsrisikos", um mit den Worten des bekannten liberalen Ökonomen Herbert Giersch zu sprechen, ist vollständiger Ausdruck laissez-faire-liberali-stischen Denkens. Mit Vollbeschäftigung ist in dieser Welt also auch nur eine einzige Verteilungsrelation vereinbar. Damit impliziert die Geldmengenregel jenen Zwang zu preis-und lohnpolitischem „Wohlverhalten", wie er von der atomistischen Konkurrenz ausgeht, ohne jedoch diese Marktform auf den Faktor-und Gütermärkten unbedingt wiederherstellen zu müssen. Diejenigen, die die Einkommensverteilung in unserer Gesellschaft als ungerecht empfinden und sie korrigieren wollen, würden demnach gegen ihr eigenes Interesse handeln, wenn sie einer gesetzlichen Verpflichtung der Notenbank zu einer Geldmengenexpansion mit konstanter Rate zustimmten.
Diese Ausführungen sollten deutlich machen, daß es in dem aktuellen Fiskalismus-Monetarismus-Streit nicht nur um stabilisierungspolitische, sondern vor allem um ordnungspolitische Gesichtspunkte geht, die für die weitere Entwicklung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik von großer Bedeutung sind. Der monetaristischen Konzeption fehlt jedenfalls in der Bundesrepublik nicht nur die empirische Basis, sie würde ordnungspolitisch auch einen Rückschritt in die — allgemein als überwunden angesehene — laissez-faire-liberalistische Phase des Kapitalismus bedeuten.
Die Suche nach den Ursachen für das Scheitern der stabilisierungspolitischen Kon-zeption in der BRD müßte schließlich vor allem an der Grundlage dieser Konzeption, nämlich dem wirtschaftspolitischen Ziel-system, ansetzen. Es wäre zu fragen, inwieweit dieses postulierte Zielsystem, wie es beispielsweise im § 1 des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes umschrieben ist (Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außen-wirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung), den Unterschiedlichkeiten tatsächlich relevanter politischer Zielsetzungen und den tatsächlich bestehenden Interessengegensätzen in unserer Gesellschaft gerecht wird Die Diskussior über stabilisierungspolitische Konzeptioner erstreckt sich damit notwendigerweise au ordnungspolitische Grundfragen. Dies ist ii der Vergangenheit zu wenig berücksichtig worden, und auch die diskutierte Fiskalismus Monetarismus-Kontroverse — so wie sie zui Zeit in der BRD geführt wird — ist nicht geeignet, dies zu ändern.
Diethard B. Simmert, Diplom-Volkswirt, geboren 1944, wissenschaftlicher Referent im Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Düsseldorf; Hauptgebiete: Geld, Kredit, Währung, Konjunkturforschung (speziell Konjunkturindikatoren). Veröffentlichungen zur Stabilisierungspolitik, Inflationstheorie, Geldtheorie und -politik, Währungspolitik und Konjunkturindikatoren (WSI-Konjunkturindikator) in verschiedenen Zeitschriften. Herausgeber eines Sammelbandes mit Diskussionsbeiträgen „Zur geldpolitischen Diskussion in der BRD" (erscheint 1973).
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