I.
Die Frage: „Gibt es eine Militärsoziologie in der Bundesrepublik?" ist angesichts der Tatsache, daß Wissenschaft ein übernationales Unternehmen ist, zu dem die Wissenschaftler vieler Länder — wenn auch in unterschiedlichem Maße — beitragen, nicht ganz richtig gestellt; zumal seitdem Morris Janowitz, einer der führenden Köpfe in der militärsoziologischen Forschung in der USA, den Militärsoziologen kürzlich Zusammenarbeit und Informationsaustausch auf internationaler Ebene vorschlug. Auch die Militärsoziologen der Ostblockstaaten sollten hiervon nicht von vornherein ausgeschlossen werden Modifizieren wir also die vorgegebene Fragestellung und fragen nicht nach einer bundesdeutschen Militärsoziologie, sondern nach den Beiträgen, die bundesdeutsche Soziologen bislang in den Fundus militärsoziologischer Theorie einbrachten.
Eine solche Fragestellung zielt zunächst auf die Feststellung eines Tatbestandes. Zu ermitteln ist, ob originäre Beiträge bundesrepublikanischer Autoren vorliegen, die unser Wissen um den sozialen Aspekt der militärischen Organisation und ihren Wechselwirkungen mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen erweiterten. Wir sind daher gehalten, die hiesigen militärsoziologischen Veröffentlichungen der letzten Jahre in entsprechender Weise kritisch zu untersuchen.
Gleichgültig, wie das Ergebnis einer solchen Prüfung ausfällt, impliziert es in jedem Fall eine weitere Frage: Warum gibt es keine eigenständigen Beiträge, respektive warum gibt es sie und warum gerade in einem bestimmten Bereich. Dies ist eine wissens-soziologische Frage. Ihre Beantwortung soll im zweiten Teil versucht werden. Die Begründungen, die ich dabei vorlege, sollten jedoch als das genommen werden, was sie sind: Punkte, die noch eingehend diskutiert werden müssen. Auf keinen Fall sollten sie als Gründe im Sinne einer empirisch überprüften Ursache-Wirkung-Beziehung angesehen werden. Ebenfalls soll keine konzise Darstellung aller militärsoziologischen Aktivitäten in der Bundesrepublik gegeben werden; Inhalt und Ergebnisse der Arbeiten können nur angedeutet werden. Die Auswahl der referierten Veröffentlichungen ist darüber hinaus möglicherweise subjektiv.
II.
J Wenn über Militärsoziologie schon allgemein gesagt werden kann, daß sie im Vergleich zu anderen Teildisziplinen der Soziologie, die sich ebenfalls dem Studium wichtiger sozialer Institutionen widmen, relativ unterentwickelt ist so gilt dies erst recht für die Militär-soziologie in der Bundesrepublik. Die Anzahl der vorliegenden Veröffentlichungen ist gering; daneben existieren eine Reihe von nicht bzw. noch nicht publizierten Untersuchungsberichten, die jedoch in der Regel dem Interessierten zugänglich sind. Obwohl alle diese Arbeiten mit dem einheitlichen Etikett „Militärsoziologie" versehen werden können, sind sie in Inhalt und Stil doch recht verschieden. Die Spannweite reicht vom Forschungsbericht über empirische Erhebungen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Führungsstile in kleinen Formalgruppen bis hin zu mehr journalistisch aufgemachten Ausführungen zum Problem der „Inneren Führung". Diese Themenvielfalt, die mit der Komplexität der militärischen Organisation und deren Beziehungen zur übrigen Gesellschaft erklärt worden ist verlangt eine Systematik, in die die einzelnen Beiträge einzuordnen sind, will man sie in dem eben beschriebenen Sinne kritisch bewerten. Dabei sollte angesichts der geringeren Zahl der vorliegenden Arbeiten das Raster der Systematik nicht allzu feinmaschig sein. Ich werde mich daher mit einer relativ groben Unterteilung begnügen: — in Arbeiten, die das Militär als Organisation erforschen, und — in Arbeiten, die sich mit den vielfältigen Wechselwirkungen der militärischen Organisation mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen befassen. Geht es bei der ersten Gruppe um die Beschreibung und Erklärung des sozialen Geschehens im militärischen Bereich, z. B.
— um Probleme der Anpassung des Soldaten an seine Rolle, — Führungsstile militärischer Vorgesetzter, — formale und informelle Gruppenstrukturen und deren Bedeutung für interne Kommunikationsprozesse, — Rekrutierung und berufliche Karriere des Personals, so befaßt man sich in den Arbeiten der zweiten Gruppe, die gewöhnlich unter der Überschrift „Militär und Gesellschaft" rubriziert werden, beispielsweise mit — militärischen Ideologien, — Militarismus, — politischer Kontrolle des Militärs, — Beziehungen des Militärs zur Industrie und zu den Gewerkschaften, — Wehrverfassungen.
Auch die Rolle des Militärs bei Staatsstreichen und Revolutionen, insbesondere in Entwicklungsländern, ist an dieser Stelle zu nennen.
Es liegt auf der Hand, daß die eine oder andere Arbeit der ersten wie der zweiten Gruppe zugewiesen werden kann. So sind z. B. Ausführungen zur „Inneren Führung" sowohl unter dem Gesichtspunkt der internen Autoritätsstruktur der militärischen Organisation zu sehen als auch wichtig im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Militär und Gesellschaft. Auch die Probleme einer „Zweiten Karriere", d. h. die Wiedereingliederung von Zeitsoldaten in die zivile Arbeitswelt nach dem Ausscheiden aus dem militärischen Dienst, sind sowohl innerorganisatorisch als auch in bezug auf andere soziale Teilbereiche bedeutsam. Jedoch läßt sich anhand des Ansatzes und der Intention des jeweiligen Verfassers meist unschwer eine Entscheidung über die Zuordnung der Arbeit fällen.
Die in den letzten Jahren erschienenen ersten deutschsprachigen Sammelreferate über Militärsoziologie von Roghmann und Ziegler bzw. Ziegler können naturgemäß nicht in dem von mir beschriebenen Sinne bewertet werden. Dennoch sind auch sie Ausdruck des Entwicklungsstandes militärsoziologischer Aktivität in der Bundesrepublik. An dieser Stelle ist anzumerken, daß bislang noch keine systematische Darstellung der Militärsoziologie in Buchform von einem deutschsprachigen Autor vorgelegt wurde. Auch dies ist ein Symptom.
III.
Beginnen wir bei dem Versuch einer kurzen kritischen Bewertung mit den Arbeiten, die die militärische Organisation in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Hier wären znuächst die Forschungsberichte der Wehr-soziologischen Forschungsgruppe des Forschungsinstituts für Soziologie der Universität Köln und die Arbeiten der Gruppe System-Forschung, Bonn-Beuel zu nennen. Beide Gruppen führen seit Beginn der sechziger Jahre im Auftrage des Bundesministers der Verteidigung empirische Forschungen in der Bundeswehr durch. Enthalten nun diese Forschungen originäre Beiträge zur Militär-soziologie? Ich glaube nicht! Schon die Titel der Beueler Untersuchungen lassen deren extrem praxisbezogenen Charakter erkennen. Hier eine Auswahl: — „Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage des Unteroffiziers auf Zeit" — „Die Bundeswehr als Arbeitsplatz auf Zeit“ — „Personelle und strukturelle Schwachstellen der Heereskompanien 1963".
Bei diesen Arbeiten handelt es sich somit allenfalls um brauchbare Deskriptionen des Zustandes der militärischen Organisation „Bundeswehr", die — dies soll nicht bestritten werden — für die Entscheidungsträger im Ministerium hilfreich sein können.
Wie steht es nun um die Arbeiten der Kölner Forschungsgruppe? Diese Arbeiten gehen überwiegend über reine Deskription hinaus, sie replizieren aber stets nur Thesen, die bereits aus der amerikanischen Literatur bekannt sind. So sind z. B. die Arbeiten von Wolfgang Sodeur zum Problem der Führerschaft in kleinen Formalgruppen bereits als Replikation der entsprechenden Arbeiten des Amerikaners Hannan C. Selvin konzipiert. Auch die Untersuchungen von Alois Rosner und Hans-Dieter Weger über Determinanten und Konsequenzen informeller Ränge von Rekruten bestätigen bereits vorliegende Ergebnisse amerikanischer Sozialwissenschaftler; ebenfalls die Arbeit von Hans Benninghaus, der sich mit Faktoren der Wehrbereitschaft von Rekruten auseinandersetzt. Weitere Arbeiten, die im Rahmen bzw. im Umkreis der militärsoziologischen Forschung in Köln entstanden, sind ähnlich zu bewerten, wie beispielsweise die Arbeit zur Problematik der „Zweiten Karriere" von längerdienenden Zeit-soldaten von Benninghaus, Renn und Rosner die sich an den Gedankengängen Albert D. Bidermans ausrichtet.
Zweifellos besteht ein originärer Beitrag zur Militärsoziologie auch darin, daß man den Nachweis erbringt, daß theoretische Sätze, die für eine Gesellschaft aufgestellt wurden, auch in einer anderen Gesellschaft Geltung finden. Wir möchten jedoch nur wesentliche Modifikationen bereits vorliegender Aussagen als originäre Beiträge zur Militärsoziologie gelten
Wenn so durch die Forschung der Kölner Militärsoziologen zur Erweiterung der Militär-soziologie in diesem strengen Sinne kaum etwas beigetragen wurde, so ist doch die Rezeption von Beiträgen amerikanischer Militärsoziologen für den deutschen Sprachraum ein wesentlicher Verdienst, der nicht unterbewertet werden darf. Gleiches kann von den Arbeiten von Johannes Heinrich von Heiseler und Wido Mosen gesagt werden, die sich insbesondere mit den Auswirkungen der Technisierung moderner Armeen auf die Autoritätsstruktur in diesen Armeen beschäftigen. Auch hier wird — allerdings nur anhand von Sekundärmaterial — die Geltung der rezipierten Thesen für die Bundeswehr aufgezeigt. Außerdem wäre noch in diesem Zusammenhang die für die Kleingruppenforschung im militärischen Bereich wichtige Rezeption des Schweizers Rolf Bigler zu nennen, sowie ferner eigene Auswertungen des Verfassers des vorliegenden Beitrags über den Wandel sozialer Attitüden im Verlaufe der militärischen Ausbildung, die sich eines organisationssoziologischen Ansatzes bedienen
IV.
Müssen wir somit für den organisationssoziologischen Ansatz der Militärsoziologie die Frage nach eigenständigen Beiträgen verneinen und lediglich eine Rezeption amerikanischer Ansätze konstatieren, so sieht das Bild beim Themenkomplex „Militär und Gesellschaft" etwas hoffnungsvoller aus. Für eine in diesem Sinne charakteristische Auswahl von Untersuchungen wäre zunächst auf die Arbeiten zum Problem der „Inneren Führung" hinzuweisen, die deren Charakter als offizielle „Geisteshaltung" der Bundeswehr in den Vordergrund der Betrachtung stellen. So hat Wido Mosen in einem engagierten Essay die Funktion der „Inneren Führung" als „Verschleierungsideologie" betont Es wären noch weitere Arbeiten, z. B. die von Klausenitzer zu nennen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Interesse, das neuerdings amerikanische Militärsoziologen dem Prinzip der „Inneren Führung" und seiner tatsächlichen oder vorgeblichen Realisierung in den deutschen Streitkräften entgegenbringen. Der von Klaus Roghmann auf dem 7. Weltkongreß für Soziologie in Varna vorgelegte englischsprachige Beitrag zum Problem der „Inneren Führung" wurde nicht zuletzt aus diesem Grunde varfaßt.
Leider basieren die verschiedenen Arbeiten zur „Inneren Führung" lediglich auf Sekundär-material. In erster Linie handelt es sich um mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Stellen aus dem „Handbuch Innere Führung'oder den Schriften Baudissins. Was fehlt, ist eine empirische Untersuchung, bei der Daten mit Hilfe adäquater Methoden erhoben werden. Nur so ist ein originärer Beitrag zur Militärsoziologie möglich.
Ein weiterer Bereich militärsoziologischer Forschung, bei dem — zumindest potentiell — eigenständige bundesdeutsche Beiträge zur Militärsoziologie zu erwarten sind, ist das Verhältnis des Militärs zu berufsständischen Verbänden und Gewerkschaften. In der Bundesrepublik ist — soweit mir bekannt — die einzigartige Situation gegeben, daß zwei Verbände bezüglich der Interessenartikulation der Berufssoldaten gegenüber ihrem Arbeigeber miteinander konkurrieren: der Bundeswehrverband und die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Zu diesem Thema hat Dietmar Schössler eine Publikation vorgelegt, deren empirische Basis relevante Dokumente und „Privatinterviews" mit Bundeswehrangehörigen und Gewerkschaftlern sind Eine erste quantifizierende Betrachtung des Problembereichs wird demnächst von Alois Rosner unterbreitet werden, der versucht hat, mit Hilfe multipler Regressionsanalysen von Befragungsergebnissen einige Bestimmungsgründe der jeweiligen Mitgliedschaft in einem der beiden Verbände zu identifizieren
Abschließend müssen wir allerdings auch für den Problembereich „Militär und Gesellschaft" feststellen, daß bestenfalls Ansätze zur Erweiterung des allgemeinen militärsoziologischen Wissens entwickelt worden sind. Bei weiteren Problemen der Wechselwirkung von militärischer Organisation und den übrigen Teilbereichen der Gesellschaft dürfte die bereits aufgenommene Rezeption der amerikanischen Literatur weiter fortgesetzt werden, wobei in der Regel von den jeweiligen Autoren Verbindungen zur Situation der Bundeswehr hergestellt werden.
V.
Greifen wir nun nach diesen Ergebnissen unsere zu Beginn bereits aufgeworfene wissenssoziologische Frage nach den Ursachen eines solchen Zustandes auf.
Eine Begründung für den immensen Rückstand der deutschen Militärsoziologen gegenüber den amerikanischen liegt auf der Hand. Dort mußte einmal die Sozialwissenschaft keine Unterbrechung freier Forschung hinnehmen, wie sie hier im Jahre 1933 stattfand. Insbesondere die amerikanische Sozialwissenschaft hat — was die Zuwanderung qualifizierter Wissenschaftler betrifft — hiervon profi-tiert Zum anderen begannen sich die Sozialwissenschaftler in den USA zwanzig Jahre früher als die deutschen mit dem sozialen Aspekt der militärischen Organisation und ihren sozialen Bezügen zu beschäftigen. Zudem entstand die amerikanische Militärsoziologie zum Zeitpunkt einer akuten nationalen Bedrohung von außen, so daß den sich mit dem Militär befassenden Sozial-forschern gleich zu Anfang erhebliche finanzielle Mittel zu Forschungszwecken zuflossen. Zeugnis hiervon legen die vier Bände des „American Soldier“ ab die nicht nur als Markstein in der Entwicklung der Militär-soziologie gelten, sondern auch Wesentliches zum methodologischen und theoretischen Fortschritt der gesamten Soziologie beigetragen haben.
Man könnte nun demgegenüber die Ansicht vertreten, daß der Rückstand bei der Aufnahme militärsoziologischer Forschung in der Bundesrepublik zwar groß war, daß er aber in der Zwischenzeit hätte aufgeholt werden können. Der Grund, daß dies nicht gelang, liegt wohl an den besonderen Bedingungen, unter denen sich bei uns — zumindest bis zum Augenblick — militärsoziologische Forschung vollzieht. Diese Bedingungen hängen einerseits mit der militärischen Organisation, andererseits aber auch mit den Soziologen selbst zusammen.
Oft wird von den Angehörigen der militärischen Organisation der Soziologie Skepsis bezüglich der Verwendbarkeit ihrer Ergebnisse entgegengebracht. Zumal dann, wenn diese Ergebnisse das Selbstverständnis der Soldaten berühren. So kam es beispielsweise kürzlich auf einer Tagung über sozialwissenschaftliche Probleme des Militärs zu erregten Diskussionen auf Seiten der anwesenden Offiziere, als der amerikanische Psychologe Fred F. Fiedler aufgrund seiner Untersuchungen das traditionelle Konzept des „geborenen Führers" in Frage stellte und die Situationsspezifität des Führerverhaltens betonte Es liegt auf der Hand, daß man aus einer solchen Grundhaltung heraus sozialwissenschaftliche Forschung im militärischen Bereich nicht gerade ermuntert.
Trotz dieser relativ geringen Meinung von Sozialforschung werden von den Funktionsträgern der militärischen Organisation, wenn geforscht wird, in der Regel praxisnahe und schnell umsetzbare Lösungen von Problemen verlangt, die sich kurzfristig ergeben haben. (Ob diese Lösungen dann tatsächlich in Handlungsweisen umgesetzt werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt.) Der somit gegebene akzidentielle Charakter der Forschung führt dazu, daß bei der militärsoziologischen Forschung die Auftragsforschung im Vordergrund steht; Grundlagenforschung wird demgegenüber völlig vernachlässigt, ganz zu schweigen von der Methodenforschung. Dabei ist die Grundlagenforschung für die theoretische Entwicklung von Militärsoziologie von entschiedender Bedeutung. Ihr Nutzen liegt in der Steuerung des Forschungsprozesses. Nur wenn sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung betrieben wird, können originäre Beiträge zur Militärsoziologie überhaupt erwartet werden. Auch für den Auftraggeber erweist sich schließlich die Grundlagenforschung langfristig als nützlich. Durch sie wird ein schneller Rückgriff auf das akkumulierte theoretische Wissen der Disziplin ermöglicht, so daß sich kurzfristig ergebende Fragen der Praxis ohne eigens konzipierte ad-hoc-Untersuchungen beantworten lassen. Bislang blieben militärsoziologische Grundlagenforschung oder die Methodenforschung jedoch dem privaten Forschungsinteresse einzelner Sozialwissenschaftler überlassen. Höchstens in Dissertationen, die neben der eigentlichen Arbeit in der Auftragsforschung angefertigt werden, sind sie zu finden.
Darüber hinaus machen auch die kurzen Laufzeiten militärsoziologischer Forschungsaufträge eine langfristige Planung und damit die Grundlagenforschung unmöglich. So wird den Wissenschaftlern zugemutet, alle zwei Jahre, in der Wehrsoziologischen Forschungsgruppe in Köln jetzt sogar jedes Jahr, damit zu rechnen, ihre Forschungen innerhalb kurzer Zeit beenden zu müssen. Auch ein solcher Umstand fördert nicht den eigenständigen Beitrag zur Militärsoziologie sondern eher die Fluktuation der Mitarbeiter.
Auch ist hier auf die relativ geringen Mittel zu verweisen, die im militärischen Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stehen. Man tut gut daran, den Anteil der Militärsoziologie am gesamten Forschungs etat des Bundesministers der Verteidigung eher in Promille-als in Prozentsätzen auszudrücken. Oft wird in der Literatur auch die dem Wissenschaftler vom Auftraggeber auferlegte Pflicht zur Geheimhaltung und das damit verbundene Verbot der Veröffentlichung militär-soziologischer Ergebnisse als ursächlich für den geringen Entwicklungsstand der Militär-soziologie bezeichnet. Was die Arbeiten der Wehrsoziologischen Forschungsgruppe in Köln angeht, so liegt jedoch eine solche Behinderung durch den Auftraggeber nicht vor.
Doch nicht nur der militärischen Organisation allein kann der gegenwärtige Entwicklungsstand der Militärsoziologie in der Bundesrepublik angelastet werden. Auch die Soziologen selbst sind zu einem nicht geringen Teil hierfür verantwortlich zu machen. So hält das unter Soziologen weit verbreitete Vorurteil, es bestünde eine ideologische Affinität zwischen dem Forscher und dem Forschungsgegenstand „Militär" viele davon ab, sich militärsoziologischen Problemen zu widmen. Hier liegt, so Rene König, das Mißverständnis vor, „die Anwendung von Mitteln der Sozialforschung im Rahmen der direkten oder indirekten Verfolgung militärischer Zielsetzungen mit der Anwendung von Mitteln der Sozialforschung auf die Struktur, die Organisationsformen und Verhaltensweisen der Armee und des militärischen Establishments insgesamt" zu verwechseln
Allenfalls wendet man sich dem Problembereich „Militär und Gesellschaft“ zu. Er erlaubt die kritische Distanz — was wiederum die relative Beliebtheit dieses Gebietes trotz des Mangels „harter Daten" erklärt.
Die soziale Distanz vieler Soziologen zur militärischen Organisation wird darüber hinaus noch durch das relativ geringe Prestige des Militärs in Industriegesellschaften verstärkt. Wie sehr sich Soziologen bezüglich ihrer Forschungsaktivitäten vom Prestige des Forschungsgegenstandes beeinflussen lassen, kann ebenfalls im Rahmen der Militärsoziologie studiert werden. So zeigt sich in einer Bibliographie militärsoziologischer Literatur, daß von den 29 Arbeiten, die unter der Über-schritt „Soziale Herkunft“ aufgeführt werden, allein sich mit der sozialen Herkunft von Offizieren beschäftigen 22). In gleicher Weise könnte der Umstand interpretiert werden, daß sich Soziologen weit häufiger mit dem Problem der Rekrutierung von Offizieren befassen als mit dem der Rekrutierung von längerdienenden Zeitsoldaten, das von der Sache her mindestens genau so wichtig ist.
VI.
Was getan werden kann, um die geschilderten Bedingungen militärsoziologischer Forschung in der Bundesrepublik zu verbessern, ist nach dem Gesagten offensichtlich: — stärkere Betonung der Grundlagenforschung gegenüber der reinen Auftragsforschung,
— längere Laufzeiten militärsoziologischer Forschungsaufträge und damit Konsolidierung und Institutionalisierung der Militär-soziologie,
— mehr finanzielle Mittel.
Wir sind jedoch nicht uneinsichtig gegenüber der Tatsache, daß es oft fehlende finanzielle Mittel sind oder gar antiquierte haushalts-rechtliche Vorschriften, die es trotz des vorhandenen guten Willens verhindern, von Seiten der militärischen Organisation her bessere Forschungsbedingungen zu schaffen. Was aber in jedem Fall erreicht werden kann, ist die Überwindung der wechselseitigen Vorurteile. Dies wird ohne Zweifel gefördert durch besseres Kennenlernen aufgrund häufiger und intensiver Kommunikationen.