Zum Verhältnis von Militär und Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland *)
Klaus von Schubert
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Zusammenfassung
Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/72, S. 3— 11 In diesem Beitrag wird das gespannte Verhältnis von Militär und Wissenschaft beleuchtet. Einer rationalen Verständigung stehen vor ollem traditionelle Stereotype von Soldat und Wissenschaftler („Streiter und Denker") entgegen; sie erschweren die notwendige verstärkte wissenschaftliche Beschäftigung mit dein Militär und eine weitere Öffnung des Militärs für die Wissenschaft. Trotzdem läßt sich das gegenseitige Interesse durch die Militärgeschichte und die Wissenschaftsgeschichte verfolgen. Angesichts der inneren Probleme der Bundeswehr und ihrer Reformbedürfnisse sowie dem gesellschaftlichen Interesse an der genauen Kenntnis des Militärs, seiner Funktionen, Strukturen, Verhaltensweisen und Wandlungen — auch im Hinblick auf eine fundierte Friedens-und Konfliktforschung — können zahlreiche Forschungsbedürfnisse formuliert und auch mit Prioritäten versehen werden. Sie betreffen vor allem 1. das Verhältnis von Bundeswehr und 'Gesellschaft, was sozialempirische Untersuchungen in der Bundeswehr einschließt, 2. erziehungswissenschaftliche Probleme der Streitkräfte, 3. Probleme der Führung von und in Streitkräften, 4. Rüstungsprobleme und 5. Probleme der Sicherheitspolitik im Hinblick auf Kollektive Sidierheit und die Verfahren politisch-militärischer Entscheidungsbildung einschließlich deren Kontrolle. Soweit die Bundeswehr selbst Forschung betreibt oder initiiert, ist im Rahmen der Wissenschaftsorganisation besonders auf Transparenz zu achten. Wissenschaftliche Beschäftigung mit den Streitkräften und Wissenschaftsrezeption durch die Streitkräfte setzt den Abbau vorurteilsbedingter Barrieren, ein Bewußtsein der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft einerseits und die Offenheit der Streitkräfte gegenüber der Wissenschaft andererseits voraus. Das letztere wird durch die künftige wissenschaftliche Ausbildung der Offiziere erleichtert werden.
Das Verhältnis von Militär und Wissenschaft in der Bundesrepublik erscheint spannungsgeladen, denn selten wird es ganz ohne Emotion diskutiert, und so manches Gespräch in diesem Bereich stößt alsbald an eine Barriere von Stereotypen. Militär und Wissenschaft werden oft, von Laien wie von Professionellen, als Gegensatz oder — personalisiert — Soldat und Forscher als Antipoden angesehen.
Andererseits bereitet sich die Bundeswehr gegenwärtig darauf vor, ihre Offiziere auf Hochschulen wissenschaftlich auszubilden — wenngleich die öffentliche Auseinandersetzung um diese Reform die Spannung zwischen Militär und Wissenschaft einmal mehr offenbarte —, unterhält ferner das Bundesministerium der Verteidigung mehrere Forschungseinrichtungen, veranstaltet die NATO laufend wissenschaftliche Fachtagungen. Ganz offensichtlich existiert also neben den Aversionen ein gegenseitiges Interesse, wenn auch nur im Rahmen einer begrenzten Verständigung. Um diesen Grenzen näherzukommen, stellte bei einer sozialwissenschaftlichen NATO-Tagung im September 1970 der französische Militär-psychologe Chandessais stereotype Meinungen über den Soldaten und den Wissenschaftler ohne weitere Erörterung einander gegenüber und gelangte dabei zu Aussagen wie diesen: „Der Soldat ist ein Mann der Tat und per definitionem der Gewalt. Der Forscher ist ein Mann des Denkens und gewöhnlich gewaltlos. ... Während er in die Zukunft blickt, stützt sich der Soldat notwendigerweise auf die Vergangenheit. Sie ist für ihn eine stabile Basis. Der Wissenschaftler sieht in die Zukunft: Wenn er sich der Vergangenheit bedient, dann als Sprungbrett. Der Soldat ist traditions-, der Wissenschaftler zukunftsorientiert."
Destilliert man deutsche Stammtischgespräche im Hinblick auf das Image des Soldaten und nimmt man bestimmte Kasino-gespräche im Hinblick auf das Autostereotyp, das Selbstbild, hinzu, so könnte man satirisch einen — nicht gerade von der Wissenschaft gezeugten — Homunculus militaris beschreiben, der, frei von verkomplizierenden Einflüssen, mit klarem Blick für das Wesentliche, frisch und fröhlich, den Männern ein Vorbild der Männlichkeit, die Vergangenheit suchend, die Zukunft fürchtend, seine zu komplizierte Gegenwart dadurch bewältigt, daß er nur das an sich heranläßt, was in einem großen Raster als das Einfachere erscheint und damit für ihn Erfolg verspricht. Er fürchtet die Wissenschaft, da Denken ihn verunsichert und zögern läßt, wo Schwung und Schneid am Platze wären. Das Image des Wissenschaftlers würde als Kontrastbild erscheinen: der praxisferne Denker und Grübler im Elfenbeinturm, der vor lauter Fragen nicht zu Antworten kommt und in Entscheidungssituationen versagen muß.
Man wird das Thema auf diese Weise nicht lange weiterverfolgen können, doch das Verhältnis von Militär und Wissenschaft scheint durch die Heterostereotype, die gegenseitigen Einschätzungen von Soldat und Wissenschaftlern, stark beeinflußt und belastet zu sein, zumal die entsprechenden Autostereotype vielfach nicht weit davon abweichen dürften, allenfalls der negativen Bewertungen entkleidet und gelegentlich ethisch überhöht werden. Jeder nimmt dann Besonderheiten und Einmaligkeiten für sich in Anspruch.
So schrieb ein Wissenschaftler z. B. noch 1960 über den Forscher: „Bis zur Opferung hoher Güter muß ein Forscher von seiner Aufgabe ergriffen, erfüllt sein, und bei wohl keinem Menschentyp — vielleicht wieder vom Künstler abgesehen — tritt die Einheit der Person so stark hervor wie beim Forscher, ist so sehr Bedingung seines Tuns." Etwa um die gleiche Zeit war aus der Feder eines Soldaten über den Offizier der Bundeswehr zu lesen:
„Von anderen Berufen unterscheiden ihn die Eigenart des sittlich begründeten Auftrages und das Maß an persönlicher Bindung. Seine Aufgaben und Tätigkeitsmerkmale in der modernen Form schließen sowohl eigensüchtiges Erfolgsstreben und ungezügelte Abenteuerlust als auch hochmütigen Standesdünkel und die Verlockung der Macht über Menschen aus — müssen sie ausschließen, wenn er nicht verfälscht und entwertet werden soll."
Ohne Zweifel entspricht die Bewußtseinslage der Bundeswehroffiziere nicht dem Schreck-bild des Homunculus militaris, ist differenzierter und äußert sich, von Ausnahmen abgesehen, weniger aggressiv. Es dürfte empirischer Untersuchungen wert sein, Auto-und Heterostereotype, die Selbst-und Fremd-bilder also von Soldat und Wissenschaftler festzustellen, vor allem wenn durch wiederholte Erhebungen Wandlungen zu ermitteln wären. Die Ergebnisse könnten in einem ideologiekritischen Rahmen zur notwendigen Entrümpelung des Verhältnisses von Militär und Wissenschaft beitragen.
Wie immer die kaum erforschte Realität hinsichtlich Selbst-bzw. Fremdeinschätzung und — damit wahrscheinlich noch erheblich kontrastierend — hinsichtlich der von der Berufswirklichkeit tatsächlich geforderten Qualitäten aussehen mag, „Denker" und „Streiter" werden weithin noch immer als antagonistische Idealtypen angesehen. Eng damit verknüpft, aber allgemeinerer Natur, ist das zweite in diesem Zusammenhang bedeut-same Gegensatzpaar „Theorie und Praxis", und zwar die häufig genannte „Antithese von bewährter Praxis und grauer Theorie"
Nun muß an dieser Stelle nicht vertieft werden, daß keine Praxis, schon gar nicht die komplizierte Berufspraxis der Gegenwart, ohne Theoriebildung bewältigt werden kann, aber diese Gegenübersetzung durchzieht auch die historische Diskussion zum Thema „Militär und Wissenschaft", vor allem wenn die Ausbildung der Offiziere zur Debatte stand. Durch die Jahrhunderte wurde der Wert von Theorien für die militärische Praxis von den einen beschworen, von den anderen bestritten, hatte die Wissenschaft Praxis aufzuarbeiten oder war ihr um Längen voraus. Die Militärgeschichte könnte unter diesem Aspekt durchaus auch als ein interessantes Stück Wissenschaftsgeschichte geschrieben werden.
Historische Aspekte Durch die Geschichte der Neuzeit läßt sich sehr genau verfolgen, wie die Wissenschaft bestimmte Entwicklungen des Militärs begleitete, förderte oder auch bremste. Stets waren gesellschaftlich-politische Einflüsse einerseits und technische Entwicklungen andererseits zu verarbeiten.
Während die Bildung der stehenden Heere des Absolutismus sich zunächst in den Schriften von Staatstheoretikern und Völkerrechtlern niederschlug, bzw. dort vorweggenommen wurde, rief die Waffenentwicklung etwa der Artillerie die Naturwissenschaften und damit die Technik zunehmend auf den Plan, wurde umgekehrt von diesen erst ermöglicht. Die taktische Führung der Formationen stehender Heere, deren Bewegungen man in Friedenszeiten exzerzieren konnte, wurde mit ihrem Mechanismus zum militärwissenschaftlichen Gegenstand mit stark mathematischem Akzent. Seit den Schriften des italienischen Militärtheoretikers Raimondo Montecuccoli (1609 — 1681) wurde im 17. und 18. Jahrhundert der Versuch unternommen, auf dieser Basis militärische Operationen mit wissenschaftlichen Methoden durchzuführen Kein Geringerer als Leibniz beteiligte sich an der Diskussion um die Kriegswissenschaften und deren Systematik Das kriegswissenschaftliche Schrifttum nahm im Verlauf des 18. Jahrhunderts sichtbar zu. Fachzeitschriften entstanden, und auch die Enzyklopädien nah-men sich des Faches an, ja es wurden eigene kriegswissenschaftliche Enzyklopädien herausgegeben. Im Zuge dieser Entwicklung brachte das Jahrhundert eine zunehmende Professionalisierung des Soldaten hervor, die sich vor allem in der Entstehung von militärischen Ausbildungsstätten und Akademien äußerte.
Mit dem auch militärischen Umbruch der französischen Revolution, die den „tirailleur", den Einzelkämpfer hervorbrachte, entstanden ganz neue militär-oder kriegswissensqhaftliche Interessen, denn die mechanistische Taktik erschien plötzlich radikal in Frage gestellt. Doch weit darüber hinaus wurden die von der Französischen Revolution ausgelösten oder geförderten militärischen Entwicklungen durch die Emanzipation des Individuums, also auch des Soldaten, und die Ablösung des Kabinettskrieges durch den Volkskrieg mit seinen emotionalen Antrieben in eine gesellschaftliche und politische Dimension gerückt. Für die preußische Armee waren es vor allem Berenhorst, Scharnhorst und Clausewitz, die wissenschaftliche und praktische Konsequenzen aus der revolutionären Entwicklung zogen. Berenhorst (1733 — 1814) griff die Mechanik und „Wissenschaftlichkeit" der Kriegführung des 18. Jahrhunderts, insbesondere Friedrichs II. an und propagierte als erster die in den Revolutionskriegen freigesetzten Kräfte des Enthusiasmus was ihm vehemente Angriffe von wissenschaftlichen Gegnern ein-trug. Scharnhorst setzte schließlich Ideen der Aufklärung und militärische Erfahrungen aus den Kriegen nach der Französischen Revolution in Theorien und Konzeptionen um, in deren Zentrum der Bürger-Soldat und die Allgemeine Wehrpflicht standen, die er als aktiver Soldat und Reformer nach dem preußischen Zusammenbruch zwischen 1806 und 1813 in der Heeresreform zu einem gewissen Teil in die Tat umsetzen konnte.
Clausewitz formulierte in einem Grundsatz-werk Theorien zu Strategie und Taktik des neuartigen Krieges dessen Wirkungen bis ins 20. Jahrhundert hinein nachzuweisen sind, wenn auch die späteren Generationen seine Aussagen recht eigenwillig ausgewählt und interpretiert haben.
Obwohl viele Errungenschaften der preußischen Reformperiode in der Restauration wieder versanken, hatte doch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Mili-tär eine entscheidende Wendung hin zu den für die Geschichte des 19. Jahrhunderts insgesamt bedeutsamen Problemen der konstitutionellen Sicherung bürgerlicher Freiheitsrechte in gewaltenteilenden Verfassungen und zum anderen der sozialen Frage genommen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts bzw. bis zum Heereskonflikt 1860/62 setzten sich Liberale wie C. v. Rotteck im Zusammenhang mit den Verfassungskonflikten mit der Stellung des Militärs und des Soldaten als Bürger theoretisch auseinander in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nahmen sich die Sozialisten der Wehrfrage an, die Sozialdemokraten in erster Linie politisch, Engels wissenschaftlich mit späteren Auswirkungen auf Lenins Vorstellungen von Krieg und Revolutionskrieg
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es der französische Sozialist Jaures, der die theoretische und politische Diskussion um die Fragen der Wehrverfassung weitertrieb und um die pädagogische Komponente erweiterte In Deutschland selbst gelangten die sozialistischen Theoretiker und Politiker Bernstein, Kautsky und Rosa Luxemburg zu einer zunehmend pazifistisch orientierten Kriegstheorie Die Offiziere selbst, auch ihre Elite, der Generalstab, zogen sich dagegen nach Clausewitz immer mehr auf das Militärfachliche im engeren Sinne zurück, wobei mit einem „hochentwickelten militärischen Perfektionismus", wie der Militärhistoriker Hermann kritisch bemerkt, eine geringe „Kontaktfähigkeit zu den politischen Fragen und revolutionären Wandlungen der Zeit" einherging. Zwar hatte sich der Generalstab eines Staates — etwa des Deutschen Reiches — der sich im Prozeß der Industrialisierung befand, ständig mit technischen Entwicklungen auseinanderzusetzen, doch Fragen nach Militärtheorien, nach sozialen und politischen Zusammenhängen wurden eher retrospektiv, d. h. militärgeschichtlich behandelt. In den Stäben und aus der Fe-der einzelner Generalstabsoffiziere entstanden allerdings zahlreiche Studien zu einzelnen militärischen Problemen der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit. Als Beispiel kann man die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen und durch Hans Speidels Herausgabe allgemein zugänglichen Studien des späteren Generalstabschefs Ludwig Beck nennen
Nach Jähns’ und Delbrücks umfassenden Geschichtswerken über die „Kriegswissenschaften" bzw. die „Kriegskunst" war der zugrundeliegende umfassende Wissenschaftsbegriff nicht mehr anwendbar. War bis hierher noch von Kriegswissenschaften, zwar im Plural aber doch als von einem zusammenhängenden Ganzen gesprochen worden, so konnte dieser Universalismus nicht mehr aufrechterhalten werden im Zeichen der Differenzierung von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften, die natürlich alle auch unter militärischen Erkenntnisinteressen relevant sein konnten, die aber nicht mehr zu einer „Militär" -oder „Kriegswissenschaft" zu integrieren waren
In der Weimarer Republik stand die historische Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges ganz im Vordergrund. Daneben fand eine Diskussion über die für die Reichswehr besonders wichtige Frage der Kaderbildung und der Wehrstruktur statt. Die naturwissenschaftliche und technische Diskussion der Möglichkeiten und des Nachholbedarfs etwa im Flugzeug-und Schiffsbau oder beim Bau gepanzerter Fahrzeuge, nahm mit dem Abstand vom Versailler Vertrag bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs hinein zu. Politische und gesellschaftliche Fragen wurden von militärischer Seite dagegen in den späteren Jahren der Reichswehr eher verdrängt — eine Haltung, die sich folgerichtig auch dem Nationalsozialismus nicht gewachsen zeigen sollte. Die breite militärhistorische Forschung vollzog sich sowohl in militärischen Einrichtungen als auch im Reichsarchiv und an den Universitäten, an denen mehrere militärgeschichtliche Lehrstühle eingerichtet waren. Technische
Forschungen wurden vornehmlich durch die Förderung von (nicht immer veröffentlichten) Einzelarbeiten an Hochschulen vorangetrieben. Bundeswehr und Wissenschaft Daß auch die Bundeswehr —-ähnlich wie die Reichswehr, aber mit anderen Akzenten — an die Aufarbeitung der Vergangenheit gehen mußte, lag auf der Hand. Sie gründete ein eigenes Militärgeschichtliches Forschungsamt, um selbst Forschung treiben zu können, nachdem die Dienststelle Blank in den Jahren 1950— 1956 weitgehend auf die gutachterliche Mitarbeit aus dem Hochschulbereich angewiesen war — eine Möglichkeit, von der vor allem Graf Baudissin und die für das Innere Gefüge der künftigen Streitkräfte verantwortlichen Mitarbeiter in Bezug auf pädagogische, gesellschafts-und verfassungspolitische Fragen Gebrauch machten Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat sich in den letzten Jahren von der Einengung der reinen Militärgeschichte gelöst und seine Arbeiten auf die politische und soziale Geschichte des Militärs ausgedehnt, wie zum Beispiel die Studien von Müller und Messer-schmidt zeigen Andere geisteswissenschaftliche Arbeiten waren vielfach durch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus geprägt und vorwiegend normativ orientiert. Sozialempirische Untersuchungen liegen erst in geringem Umfang und aus der jüngeren Zeit vor, zum größten Teil als Auftrags-forschungen des Bundesministeriums der Verteidigung entstanden. Künftig wird auch im wissenschaftlichen Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften, das als selbständige sozial-und erziehungswissenschaftliche Forschungseinrichtung entstand, nachdem in einem typischen Konfliktfall zwischen Militär und Wissenschaft die Spannungen zwischen militärischer Kommandostruktur und dem Freiheitsanspruch wissenschaftlicher Forschung an der Schule Innere Führung nicht befriedigend überbrückt werden konnten, Sozialempirie betrieben werden. Natur-und ingenieurwissenschaftliche Beiträge entstanden in der Beschaffungsorganisation der Bundeswehr, der Erprobung bzw. Industrieabnahme, in geringerem Umfang durch Beiträge zu universitären oder industriellen Entwicklungsprojekten. Die militärische Teilnahme an der medizinischen Forschung wurde in den letzten Jahren durch die Einrichtung, Erweiterung und Spezialisierung von Bundeswehrkrankenhäusem in Verbindung mit Hochschulen intensiviert.
Hinsichtlich von wissenschaftlichen Untersuchungen zu Fragen von militärischer Bedeutung, die außerhalb der Bundeswehr entstanden, ist zunächst auf einen groß angelegten, jedoch (auch wegen administrativer Hindernisse) beim dritten Band abgeschlossenen Versuch einer kritischen Auseinandersetzung mit Hauptproblemen der Bundeswehr hinzuweisen, den die evangelische Studiengemeinschaft unter Federführung von Georg Picht unternahm: „Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr", die auch eine intensive Beschäftigung mit den Themen Rüstung und Technik beinhalten
Einige Arbeiten sind zum Prozeß des decision-making und über die Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung und die politische Rolle der Bundeswehr erschienen Zum Komplex der Inneren Führung existieren außer den Darstellungen bzw. Materialien der Initiatoren kritische Untersuchungen zu Einzelaspekten wie der politischen Bildung oder der Beziehung zur Öffentlichkeit —, ideologiekritische Arbeiten, welche die Innere Führung im wesentlichen als Feigenblatt für eine abweichende Wirklichkeit darstellen Schließlich hat sich die soziologische und sozialempirische Beschäftigung mit dem Militär in jüngerer Zeit auch in der Bundesrepublik etabliert um, nachdem die amerikani-sehe Entwicklung ausgenommen ist zu eigenständigen Forschungsprojekten zu gelangen Nicht zuletzt wird das Militär wissenschaftlich von der Friedens-und Konfliktforschung unmittelbar berührt, wobei recht unterschiedliche Ansätze einander gegenüber stehen, sich aber auch ergänzen: Vertreter der „kritischen Schule" wie Senghaas die Strategieforschung Baudissins und die erste große, ökologisch fundierte Untersuchung aus Weizsäckers Max-Plank-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Militär in der Bundesrepublik kann insgesamt nicht als breit bezeichnet werden. Es mag zu einem Teil an den vorurteilsbedingten gegenseitigen Aversionen zwischen Militär und Wissenschaft liegen; man traute und traut sich vielfach nicht gegenseitig ganz über den Weg: Die Wissenschaft zum Teil aus Furcht vor der unkontrollierten militärischen Verwertung ihrer Ergebnisse, das Militär zum Teil aus Angst vor der verunsichernden Wirkung kritischer Wissenschaft. Für die Bundeswehr kommt im Hinblick auf ihre wissenschaftlichen Aktivitäten noch ihre junge Geschichte und die Hektik des Aufbaus erschwerend hinzu. Der Anteil der Hochschulen erscheint noch etwas geringer, wenn man in Betracht zieht, daß ein nicht kleiner Teil der Autoren — auch kritischer Studien — Bundeswehroffiziere sind. Unter den vielfachen Gründen könnte man weiter neben den zunächst retrospektiven Interessen der deutschen Wissenschaft nach 1945 die durch den Nationalsozialismus verursachte und nur langsam zu schließende sozialwissenschaftliche Lücke nennen. Erst in der jüngsten Zeit beginnt sich die Situation zu verändern, wie etwa die Gründung des in diesem Heft vorgestellten Arbeitskreises zeigt.
Wenn Wissenschaft als nicht beliebig verwertbar, aber doch in einer gesellschaftlichen Funktion gesehen wird, so stellt sich das Verhältnis von Militär und Wissenschaft als eine Komponente des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft sowie Militär und Gesellschaft dar. Mithin darf die Bundeswehr — allein schon im Interesse ihrer gesellschaftlichen Integration — von der freien, nicht auftragsbestimmten Wissenschaft nicht allein-gelassen oder auf ihre eigenen Institute verwiesen werden. Das Militär hingegen darf sich nicht gegen Transparenz sträuben und kann vor allem nicht einfach unmittelbar problemlösende oder gar affirmative Zuarbeit erwarten; denn Forschung, die Hilfe für die Praxis bedeutet, schließt immer auch die Kritik dieser Praxis ein. Das „Infragestellen" ist nun einmal konstitutiver Bestandteil jeder Wissenschaft. Soweit das Militär selbst Forschung betreibt, wird es von außen besonders scharf nach den Kriterien der Transperenz, d. h.der Offenheit und der in seinem eigenen Interesse liegenden Teilnahme an der allgemeinen wissenschaftlichen Entwicklung beurteilt werden.
Die Wissenschaftsbedürfnisse einer Organisation von der Bedeutung und der Größe der Bundeswehr sind immens, sie sind aber auch soweit gestreut, daß sie nicht auf eine — wie immer definierte — „Militärwissenschaft" zu zentrieren sind. Konnte ein Clausewitz sich noch an einer universalen Phänomenologie des Krieges versuchen, konnten noch spätere Generationen des 19. Jahrhunderts von einer selbständigen Kriegswissenschaft ausgehen, so können heute die wissenschaftlichen Zugänge zum Militär und seinen vielen Detailproblemen nur aus ebenso vielen wissenschaftlichen Disziplinen erfolgen. Das heißt allerdings nicht, daß nicht neue Integrationsversuche der disparaten und stark spezialisierten Wissenschaftszweige auf bestimmte Problembereiche hin, wie z. B. die Konfliktforschung, unternommen werden sollten. Die Beschäftigung einzelner wissenschaftlicher Disziplinen mit militärischen Problemen macht sie noch nicht zu Militärwissenschaften, sondern bedeutet Forschung oder Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in einem bestimmten Anwendungsfeld. Aus einer erziehungswissenschaftlichen Untersuchung der Bundeswehr als „Ausbildungsarmee" z. B. eine „Militärpädagogik" zu schaffen, würde wahrscheinlich den Anfang vom wissenschaftlichen Ende dieser Disziplin für die Bundeswehr bedeuten, denn die Gefahr der wissenschaftlichen Isolierung und damit des Verlustes der Kritik-fähigkeit läge nahe
Nicht Militärwissenschaften bringen die Wissenschaft dem Militär näher, sondern wissenschaftliches Denken der Militärs und Kommunikation mit der Wissenschaft. Nicht Ausklammem entspannt das Verhältnis der Wissenschaft zum Militär, sondern die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Militär und seinen Problemen, die Wahrnehmung einer kritischen und helfenden Funktion. Soldaten werden künftig mehr als bisher Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu rezipieren und auf ihre Praxis zu transferieren haben. Die Wissenschaftler sollten andererseits Probleme des Militärs mehr als bisher in ihre Arbeit einbeziehen, wollen sie nicht einen sehr relevanten politischen Faktor und einen nicht geringen Teil des öffentlichen Dienstes ignorieren. Wissenschaft, die nicht als l’art pour Fart betrieben wird, muß sich allerdings auch vermitteln wollen und können, muß sich also in diesem Zusammenhang besonders mit dem Wissenschafts-und kommunikationstheoretischen Problem der fachsprachlichen Abschirmung auseinandersetzen.
Nicht zuletzt setzt eine Verständigung zwischen Wissenschaft und Militär auf rationaler Basis die Offenheit der Ansätze, der Methoden und vor allem der den jeweiligen Forschungen zugrunde liegenden Erkenntnis-interessen voraus. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen in Großorganisationen wie der Bundeswehr, die fast alle eine sowohl sicherheitspolitische wie gesellschaftspolitische Bedeutung besitzen, werden leicht schon durch politisch oder gesellschaftlich motivierte Erkenntnisinteressen auf eine bestimmte Tendenz der Ergebnisse hingelenkt. Dies kann z. B. bei Befragungen geschehen durch tendenziöse Fragebogen, wo das oben eingegebene Vorurteil im Ergebnis der Befragung unten herausfallen muß; das ist jedoch kein militärspezifisches Problem. Diese Schwierigkeit zeigt sich auch bei strukturellen Untersuchungen aus dem politologisch-soziologischen Bereich. Man kann z. B. die Wertung nach einem Vergleich eines berufsständischen Interessenverbandes von Soldaten mit einer gewerkschaftlichen Soldatenvertretung dadurch vorbestimmen, daß man als Bezugsrahmen die Alternative „Zivilorientierung des militärischen Berufs" oder „Militärorientierung des militärischen Berufs" anbietet und dann die Entscheidung für die zweite Möglichkeit fällt, womit das Ergebnis zugunsten des berufsstän dischen Interessenverbandes natürlich fest-B liegt obwohl die Ausgangsthese angesichts der noch am Anfang stehenden Diskussion zur Frage von Kompatibilität oder Inkompatibilität ziviler und militärischer Systeme allenfalls als Hypothese eingeführt werden dürfte.
Forschungsbedürfnisse der Bundeswehr Wer in der Bundeswehr 1972 Dienst tut, befindet sich in einer modernen Armee mit hohem Technisierungsstandard und komplizierten Organisationsstrukturen, die ihren Auftrag in einer Zeit raschen gesellschaftlichen und technischen Wandels zu erfüllen hat. Die Umwelt des Soldaten von 1972 ist in hohem Maße wissenschaftsbestimmt, was sich besonders auf die Einleitung und Durchführung von Reformen auswirkt. Innovationen sind ohne wissenschaftliche Vorbereitung und Begleitung kaum noch vorstellbar. Dies wurde auch bei allen Reformvorhaben der Ära Helmut Schmidt deutlich gesehen und berücksichtigt. Zu den großen Reformprojekten der Personalstruktur, des Bildungssystems, der Wehrstruktur und Neuordnung des Rüstungsbereichs gehören durchweg umfassende Forschungsvorhaben Aus den reformbedingten und anderen Wissenschaftsbedürfnissen ließe sich ein recht umfangreiches Forschungsprogramm aufstellen. Berücksichtigt man die vorherrschenden politischen, gesellschaftlichen und technischen Probleme der Bundeswehr einerseits und zum anderen den Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten; so könnte man Forschungsschwerpunkte für die folgenden Problembereiche Vorschlägen:
1. Das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft: die Einwirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Bundeswehr, die kaum untersuchten Einstellungen und Verhaltensmuster von Wehrpflichtigen, gesellschaftsbedingte Friktionen in der Truppe, die eine Überprüfung des Führungsverhaltens erforderlich machen. Das Rollenverhalten von Soldaten in und außerhalb der Bundeswehr sowie die unterschiedlichen Rollenerwartungen müssen ebenso untersucht und zueinander in Beziehung gebracht werden wie die Wirkungen der Bundeswehr als Sozialisationsinstanz für Wehrpflichtige und länger-dienende Soldaten. Vor allem ist die schon vielfach als theoretischer Bezugsrahmen aufgeworfene Frage nach der Kompatibilität bzw. Inkompatibilität ziviler und militärischer Systeme weiter zu verfolgen. 2. Erziehungswissenschaftliche Probleme der Streitkräfte. Bei diesem Komplex reichen die Forschungsbedürfnisse von Untersuchungen über das Lernen und seine Rahmenbedingungen sowie speziellere Fragen der Programmierten Unterweisung und des Medieneinsatzes bis zur Lernzielgewinnung im Rahmen der Curriculumforschung, wie sie bislang im Bereich der Bundeswehr nur für die künftigen Hochschulen der Bundeswehr betrieben worden ist. Curriculumforschung schließt Berufsfeld-und Arbeitsplatzanalysen ein. Besonders dringend erscheint für die Bundeswehr allgemein der Transfer erziehungswissenschaftlicher Ergebnisse auch auf die Ebene der Unteroffiziere, ihre militärische und fachliche Ausbildung und vor allem ihre pädagogische Anleitung für ihre Haupttätigkeit als Ausbilder. Ein auch für die Bundeswehr noch immer aktuelles Problem ist die wissenschaftliche Förderung der Didatik und Methodik politischer Bildung. 3. Probleme der Organisation und Führung in den Streitkräften bedürfen in einem weiten organisations-, Verwaltungs-und kommunikationswissenschaftlichen Rahmen vielfältiger und vielschichtiger Erforschung. Die Fragestellungen reichen von der Führbarkeit von Großorganisationen wie der Bundeswehr selbst und deren Innovationsfähigkeit in bezug auf organisatorische Veränderungen, Kommunikationsstrukturen und Führungssysteme bis zur Autoritätsproblematik in der Menschenführung, der Frage nach einem angemessenen und anwendbaren Disziplinbegriff und schließlich dem Komplex der Partizipation, bei dem sich gesellschaftlicher Wandel und Veränderungen der Führungsstruktur berühren.
4. Rüstungsprobleme beziehen sich nicht nur auf den technischen Fortschritt und die Frage, ob dessen Tempo auf die Rüstung übertragen werden kann und soll, sondern auch auf Fragen der Optimierung und vor allem der Kosten, wobei Grenzen der Optimierbarkeit und Finanzierbarkeit rechtzeitig erkannt werden müssen, um Folgerungen im sicherheitspolitischen Bereich ziehen zu können. 5. Die Sicherheitspolitik selbst wirft zwischen Abschreckungsdilemma und Entspannungspolitik komplexe Fragen an die Politikwissenschaft und nicht nur an diese auf, wenn man die Konflikt-und Friedensforschung mit ihren verschiedenen Ansätzen, und Disziplinen einbezieht. Historische Forschung kann ebenso wie etwa sozial-psychologische Aggressionsforschung als Kriegsursachenforschung zu Aussagen über Bedingungen des Friedens beitragen. Modelle der Abrüstung, der Rüstungsbegrenzung oder kooperativen Rüstungssteuerung sollten im Zeichen der Entspannungspolitik, der sich wandelnden Strukturen internationaler Beziehungen, der Suche nach Systemen Kollektiver Sicherheit und im Hinblick auf eine mögliche europäische Sicherheitskonferenz wissenschaftlich untermauert werden. Schließlich gehört die wissenschaftliche Durchdringung der Wege und Verfahren politisch-militärischer Entscheidungsbildung, der Formulierung von Militär-strategien auf der Basis politischer Konzeptionen und der entsprechenden Rückkoppelungsvorgänge und Kontrollmöglichkeiten sowie die Überprüfung der unter der Überschrift „militärisch-industrieller Komplex" formulierten Hypothesen zu den interessanten und wichtigen Fragestellungen.
Wissenschaftsorganisation Es wäre ein Fehler, die wissenschaftlichen Bedürfnisse des Militärs nur unmittelbar fall-bezogen zu artikulieren. Spezielle, kurzfristige Forschungen zu bestimmten Fragen können nur auf dem Boden theoretischer Vorarbeiten und längerfristiger Grundlagen-projekte gedeihen. Es ist zwar verständlich, wenn Praktiker, die auf rasche Problemlösung drängen, den Wissenschaftler fragen: „Wie macht man das?" Solche Fragen können aber in den seltensten Fällen befriedigend beantwortet werden, zumal Wissenschaft, die ihre kritische — und nur damit letztlich auch für die Praxis hilfreiche — Funktionen wahrnehmen will, nicht unmittelbar an der vom Praktiker formulierten Problemstruktur entlang-forschen' sollte; sie muß zumindest Fragestellungen umformulieren, ausweiten und in andere Zusammenhänge stellen können.
Dies hat Konsequenzen für die Wissenschaftsorganisation, denn Wissenschaft bedarf einer gewissen Distanz zum Apparat. Ein Ministerium kann sinnvoll nur Fragen an die Wissenschaft formulieren und im Einvernehmen mit den Forschenden entsprechende Mittel zuteilen, kann eine Koordination verschiedener Projekte und die Kommunikation zwischen verschiedenen Forschungsstellen fördern — die Forschung selbst aber muß seinem Zugriff entzogen sein. Nun ist die Wissenschaftsorganisation etwa des Bundesministeriums der Verteidigung kein Vorbild an Koordination und Kommunikation: Wissenschaftler und zuständige Referenten sind über so viele Abteilungen und Referate verstreut, daß sich die Einrichtung einer Clearingstelle wenigstens für sozialwissenschaftliche Forschungen empfehlen dürfte. Doch die Forschung selbst muß außerhalb des Ministeriums durch die entsprechenden Institutionen und Hochschulen in wissenschaftlicher Selbstverantwortung geleistet und publiziert werden Der winzige Anteil nicht publizierbarer Militärforschung sollte von der übrigen Forschung streng getrennt werden, damit kein Verdacht auf Verschleierungen wissenschaftlicher Forschung im Sinne des „militärischindustriellen Komplexes" aufkommen kann.
Wissenschaftliche Bildung Ein Korrelat zur Intensivierung wissenschaftlicher Bemühungen um das Militär und die zunehmende Wissenschaftsbestimmung der militärischen Berufspraxis ist die wissenschaftliche Ausbildung der Offiziere, die inzwischen weitgehend als notwendig akzeptiert wird, selbst wenn die „Streiter-DenkerAlternative" in der Diskussion um die Bildungsreform der Bundeswehr noch mitschwingt.
Nicht ohne Grund leitete der Württembergische Generalquartiermeister F. F. Nicolai seinen „Versuch eines Grundrisses zur Bildung des Offiziers" 1775 mit den sarkastischen Sätzen ein: „Die Wissenschaften überhaupt und die Mathematik insbesondere sind dem Soldaten unnütze. Sie dienen nur dazu, seine Einbildungskraft zu hemmen. Die Natur bildet den General. Die Wissenschaften ... erfüllen ihm den Kopf mit Spitzfindigkeiten und bringen ihn damit um die Entschlossenheit, die notwendigste seiner Eigenschaften. Conde schlug in seinem militärischen Probejahr die Spanier bei Roccroi, und wer hat jemals gehört, daß er Mathematik dabey zu Hülfe genommen habe? Wer weiß nicht viel mehr, daß wir Kriegsmänner von großem Russe, daß wir Generale gehabt haben, die Schlachten gewannen, ob sie gleich kaum lesen und schreiben konnten! Der Krieg ist eine Kunst, welche man durch die Ausübung erlernen muß, keine Wissenschaft, die* sich in Regeln bringen läßt ... so lautet die Sprache, durch welche der Geist des Vorurtheils, der Unwissenheit, der Trägheit und des Eigensinns sich in einer ganzen Reihe von Jahrhunderten, unter dem Kriegsstande fortgepflanzt hat."
Mit der Entstehung der Generalstäbe setzte die wissenschaftliche Bildung von Offizieren ein, wie sie z. B. Grolmann 1814 unmißverständlich gefordert hatte Die Forderung blieb durch 150 Jahre bestehen die Widerstände — mit abnehmender Tendenz — ebenfalls.
Die 1970 eingesetzte Bildungskommission beim Bundesminister der Verteidigung zog schließlich die Konsequenz aus den gesteigerten Anforderungen der Berufspraxis sowie den veränderten bildungssoziologischen Voraussetzungen und empfahl für alle längerdienenden Offiziere ein wissenschaftliches Hochschulstudium Das universale Wissenschaftsverständnis, welches der Forderung nach wissenschaftlicher Ausbildung für „Generalisten" entsprach, mußte einer hochgradigen Spezialisierung weichen. Und da von einer „Militärwissenschaft" nicht mehr zu sprechen ist, kann sich die wissenschaftliche Ausbildung von Offizieren nur in einschlägigen Fachstudiengängen vollziehen, wobei die Berufsfähigkeit über die Fachkenntnisse hinaus vor allem durch den Erwerb von Methodenwissen anzustreben ist und auf die besonderen politischen, gesellschaftlichen und pädagogischen Probleme des Soldatenberufes durch eine erziehungs-und gesellschaftswissenschaftliche Anleitung des Fachstudiums vorbereitet werden soll. Nach derselben bildungstheoretischen Konzeption wird sinngemäß auch die Ausbildung der Unteroffiziere wissenschaftsorientiert zu gestalten sein, da sie in ihrer Berufspraxis derselben wissenschaftsbestimmten Umwelt ausgesetzt sind wie die Offiziere, und mit den Problemen etwa des gesellschaftlichen Wandels als Ausbilder „direkt am Mann" oft noch unmittelbarer konfrontiert sind.
Die Frage nach dem Verhältnis von Militär und Wissenschaft stellt sich abschließend als
Frage nach dem Selbstverständnis des Soldaten wie auch des Wissenschaftlers. Das Verhältnis zu , entidiologisieren‘, von historischem und ideologischem Ballast zu befreien und damit zu entkrampfen, setzt Kommunikation voraus und den Abschied von Scheinalternativen wie „Theorie oder Praxis", „Denker oder Streiter". Idealtypische Berufsbildbeschreibungen können komplexe Zusammenhänge verdeutlichen und einer sinnvollen Spezifizierung dienen, sie können sich aber auch verselbständigen, zur Ideologie werden und damit Barrieren aufbauen.
Ein Wissenschaftler, der die handgreiflichen, jedermann betreffenden Probleme der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte über-oder umgeht, sollte sich vielleicht einmal mehr mit der Frage gesellschaftlicher Verantwortlichkeit von Wissenschaft auseinandersetzen. Ein Soldat, der sich nur als „Kämpfer" versteht und sich gleichzeitig von der Wissenschaft aufgrund ihrer „Verunsicherung" fernhält, sollte sich ebenfalls die Frage nach der Verantwortlichkeit seines Tuns vorlegen. Es darf bezweifelt werden, ob man zur Sicherheit rational begründeten beruflichen Handelns gelangen kann, ohne sich der Verunsicherung durch das wissenschaftliche Prinzip des Infragestellens eigener Positionen und Wahrnehmungen auszusetzen. Dieses Prinzip abzulehnen, sich gleichzeitig aber für die wissenschaftliche Ausbildung von Offizieren auszusprechen stellt einen Widerspruch dar. Die Notwendigkeit, als Soldat in Krisensituationen kurzentschlossen zu handeln, widerspricht nicht dem Prinzip des methodischen und kritischen Denkens, dessen Gültigkeit ja nicht durch zeitliche Restriktionen bei der Entscheidungsbildung außer Kraft gesetzt werden kann. Ein Streiter, der nicht denkt und zweifelt, wäre sicher ein schlechter Streiter.
Die Wissenschaft in diesem Lande kann nicht Militarisierungstendenzen befürchten oder beklagen und gleichzeitig die Streitkräfte wissenschaftlich allein lassen. Die Streitkräfte können sich nicht der Wissenschaft bedienen, von ihrer kritischen Funktion aber abschirmen wollen; als besten Weg zur Öffnung gegenüber der Wissenschaft dürfte die wissenschaftliche Ausbildung ihrer Offiziere anzusehen sein.
Klaus von Schubert, Dr. phil., Major, geb. 1941. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftlichen Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften, München; Truppenlaufbahn, zuletzt Chef einer Ausbildungskompanie; daneben Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie. Veröffentlichungen u. a.: Wiederbewaffnung und Westintegration. Die innere Auseinandersetzung um die militärische und außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik 1950 bis 1952, Stuttgart 19722; Der Komplex Versailles — für die Bundeswehr kein Thema, in: MONAT, März 1969; Erziehung — Bildung — Bildungsreform, in: Taschenbuch für Wehrfragen, Frankfurt 1971; Hochschulpolitik und Bundeswehr, in: Deutsche Universitätszeitung H. 9/1972; Zur Struktur einer Bundeswehr-Universität, in: OTV-Wehrreport, H. 6/1972; Frieden und Sicherheit — Das Thema im Unterricht, in: Informationen zur Politischen Bildung, Nr. 150.
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