A. Ausgangslage der Alliierten für eine Deutschland-Konzeption
Detaillierte und nicht als utopisch erscheinende Friedensvorstellungen kann man von kriegführenden Staaten erst dann erwarten, wenn auf militärischem Gebiet Bedingungen geschaffen sind, die erstens das Kriegsende in etwa sichtbar machen und zweitens den eigenen Sieg als möglich erscheinen lassen.
Es kann daher nicht verwundern, daß angesichts deutscher militärischer Erfolge, z. B. im U-Boot-Krieg vor der amerikanischen Küste, bei den Rückeroberungen nordafrikanischer Gebiete oder in der deutschen Sommeroffensive 1942 an der Ostfront, kaum ausgereifte Vorstellungen bei den Alliierten über die Behandlung eines besiegten Deutschland zu finden sind.
Erst militärische Mißerfolge auf deutscher Seite wie die erfolgreiche sowjetische Gegenoffensive seit November 1942, die Kapitulation der „Heeresgruppe Afrika“ oder die Eroberung Siziliens durch die Anglo-Amerikaner schufen für die Alliierten geeignete Voraussetzungen zur Entwicklung von Plänen über die Behandlung Deutschlands nach dem Sieg. Der weitere Kriegsverlauf zeigt eindeutig Parallelen zwischen dem Fortschreiten alliierter militärischer Erfolge und der allmählichen Entwicklung einer teilweise gemeinsamen Deutschland-Konzeption.
Vereinzelt wurden natürlich auch schon vor 1943 bei den Alliierten Vorstellungen über ihre Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland entwickelt — so z. B. in der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 oder auf der ersten Washington-Konferenz (22. 12. 1941— 14. 1942). Charakteristisch an ihnen ist jedoch, daß sie meist allgemeiner Art waren, nicht die Härte von Ergebnissen späterer Kriegskonferenzen zeigten und vor allem die Alliierten untereinander zu nichts verpflichteten. Aus diesen Gründen sei hier besonders jener Zeitraum behandelt, in dem die Vertreter Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA sich gegenseitig ihre Vorstellungen darlegten, die sich mehr oder weniger in der Nachkriegspolitik der Alliierten gegenüber Deutschland niederschlugen. Hiermit ist insbesondere die Entwicklung des Teilungsgedankens gemeint sowie das allmähliche Entstehen einer bruchstückhaften politisch-ideologischen Konzeption für Deutschland, wie sie sich ungefähr seit der Konferenz von Casablanca (14. — 24. 1. 1943) herauszubilden begann 1).
B. Inhalte einzelner Vorstellungen und das Entstehen einer Konzeption
I. Geographische Regelungen a) Die deutsche Ostgrenze Die Diskussionen der Alliierten um die neue deutsche Ostgrenze hatten davon auszugehen, daß die Sowjets nicht gewillt waren, jene weißrussischen und ukrainischen Gebiete Po-lens, die 1939 von der Sowjetunion annektiert worden waren, wieder an Polen zurückzugeben. Stalin gab auf der Konferenz von Teheran (28. 11. — 1. 12. 1943) hierfür ethnische Gründe an und machte klar, daß die Sowjetregierung auf der polnisch-russischen Grenze bestehe, wie sie der Hitler-Stalin-Pakt festgelegt hatte
Aus Gründen, die für beide Seiten — Westalliierte und Sowjets — verschieden waren, ergab sich daher ein Kompensationsproblem für Polen:
Stalin hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Beziehungen zur polnischen Exilregierung in London abgebrochen (26. 4. 1943) und die Zusammenarbeit mit der pro-kommunistischen Lubliner Regierung ausgenommen. Ihm konnte nichts daran gelegen sein, ein territorial geschwächtes Polen als späteren Verbündeten zu haben; aus diesem Grunde mußte er auf Kompensationen für Polen hinarbeiten. Während sich Roosevelt am 1. Dezember 1943 in Teheran nicht wesentlich zur polnischen Grenzfrage äußerte, wies Churchill auf Englands Bündnisverpflichtungen gegenüber Polen hin: „Wir haben Deutschland deshalb den Krieg erklärt, weil Deutschland Polen überfallen hat ... Wegen Polen und in Erfüllung unseres Versprechens haben wir Deutschland den Krieg erklärt ... Wir messen der Ursache, derentwegen wir in den Krieg eingetreten sind, große Bedeutung zu . . . bei uns schenkt man Polen große Aufmerksamkeit, weil der Überfall auf Polen Anlaß dafür war, daß wir die gegenwärtigen Anstrengungen unternehmen ... ich hoffe, wir werden, wenn man uns fragt, warum wir in den Krieg eingetreten sind, antworten, es ist deshalb geschehen, weil wir Polen eine Garantie gegeben haben (gemeint ist das Münchener Abkommen, d. Vers.). Ich möchte an das ... Beispiel von den drei Streichhölzern erinnern, von denen eins Deutschland, das zweite Polen und das dritte die Sowjetunion darstellt. Diese drei Streichhölzer müssen alle nach Westen verschoben werden ..
Somit ergaben sich für Churchill Kompensationsforderungen, weil er aus einer gewissen Bündnistreue es nicht zulassen wollte, daß der polnische Staat — nachdem schon England für ihn in den Krieg eingetreten war — dennoch territorial verkleinert aus dem Krieg hervorgehen sollte.
Stalin hat schon am ersten Sitzungstag in Teheran als neue polnische Westgrenze die Oder gefordert Der Anspruch blieb von westlicher Seite zunächst unwidersprochen. Als drei Tage später, am 1. Dezember, Churchill noch einmal Auskunft über die sowjetischen Ansichten zur polnischen Westgrenze verlangte, ging Stalin nur auf die neue polnische Ostgrenze ein worauf Churchill das Thema fallen ließ.
Getragen von der grundsätzlichen Überzeugung, daß Polen entschädigt werden müsse, waren sich die drei Alliierten in Teheran zunächst nur über eine Westverschiebung Polens einig. Ein genauer Grenzverlauf wurde noch nicht festgelegt. Die sowjetischen Veröffentlichungen zitieren folgenden noch sehr allgemein formulierten Vorschlag Churchills:
daß die Heimstatt des polnischen Staates und Volkes zwischen der sogenannten Curzon-Linie und der Oderlinie liegen soll, unter Einbeziehung von Ostpreußen und der Provinz Oppeln in den Bestand Polens. Die endgültige Grenzziehung erfordert jedoch eine sorgfältige Prüfung und eine mögliche Aussiedlung der Bevölkerung an einigen Stellen."
Stalin meinte, er würde diesem Vorschlag zustimmen, falls man der Sowjetunion „die eisfreien Häfen Königsberg und Memel und einen entsprechenden Teil Ostpreußens" zugestehe. Churchill versprach eine Prüfung dieses Wunsches die offenbar positiv ausgefallen ist. Damit hatten sich die drei Haupt-alliierten auf eine vorläufige Formel zur Lösung der polnischen Grenzfrage im Westen verständigt.
Nach dieser Teheraner Einigung hätte Polen vom Deutschen Reich einschließlich Danzigs — bei Nichtdurchführung von Umsiedlungen — 7 337 050 Einwohner (88, 5 °/o Volksdeutsche) sowie 93 423 (rd. 20 °/o) der insgesamt 470 662 Quadratkilometer deutschen Reichsgebiets übernommen
Stalin zog sich jedoch bald von dieser Verfahrensgrundlage der Alliierten zurück: Am 28. August 1944 erwähnte der Vorsitzende der Lubliner Regierung, Osöbka-Morawski, zum erstenmal Oder und Neiße öffentlich als künftige deutsch-polnische Grenze und behauptete dann später am 30. September 1946, mit „Neiße" sei bereits damals die Lausitzer Neiße gemeint gewesen Beim Besuch des Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung, Mikolajczyk, im Oktober 1944 in Moskau sprach Stalin selbst von der Oder-Neiße-Linie als der zukünftigen polnischen Westgrenze. Noch bevor Stalin mit seinen zwei Hauptverbündeten über diese Ausdehnung der polnischen Grenze zur westlichen Neiße hin verhandelte, erteilte ihm de Gaulle sein Plazet. Bei seinem Besuch in Moskau schnitt der General am 2. Dezember 1944 die Frage der polnischen Westgrenze selbst an, wobei er von unterschiedlichen Motiven geleitet wurde:
De Gaulle vertrat Stalin gegenüber eine gewisse krämerische Do-ut-des-Haltung; fast im selben Atemzug sprach er von den russischen und den französischen Anliegen bezüglich einer Neuregelung der deutschen Grenzen Er selbst erhoffte sich von Stalin Zusicherungen in der Frage des Rheins als deutsch-französische Grenze und gestand Stalin dafür kompromißlos und ohne wesentliche Einwände die Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze zu; und nur eingedenk dessen, daß Stalin ihn auf die Vierer-Gespräche über die Rheinfrage hinwies, bemerkte de Gaulle, daß er dann ja auch nicht allein mit Stalin über die Oder-Neiße-Linie verhandeln dürfte.
Neben der Hoffnung auf eigene Gewinne an der deutschen Westgrenze, die er durch Zugeständnisse an Stalin in der Frage der deutschen Ostgrenze zu erreichen hoffte, ist bei de Gaulles Gesprächen in Moskau nicht die alte französisch-polnische Freundschaft zu übersehen. Er erinnerte Stalin daran, daß im Ersten Weltkrieg Frankreich an der Wie-dergeburt des polnischen Staats maßgeblich beteiligt war und nun wiederum daran interessiert sei, ein Frankreich freundlich gesinntes und vor allem unabhängiges Polen zu restituieren Auch in diesem Sinne ist de Gaulle zu verstehen, wenn er am 8. Dezember 1944 feststellt: „la frontiere allemande de Pest marquee par l'Oder et la Neisse"
Am 6. Februar 1945 äußerte Stalin in Jalta gegenüber Roosevelt und Churchill die Meinung, „die Westgrenze Polens müsse entlang der westlichen Neiße verlaufen" nachdem er den Westalliierten die Lage der beiden Neißeflüsse ausdrücklich erklärt hatte. Weder Roosevelt noch Churchill äußerten sich ablehnend. Erst als am nächsten Tag Molotow einen offiziellen Vorschlag der Sowjetdelegation zur Diskussion stellt, in dem es heißt, „man sei der Meinung, die polnische Westgrenze müsse von der Stadt Stettin (an die Polen) aus südlich entlang der Oder und weiter entlang der Neiße (westliche) verlaufen" kommt von Churchill starker Protest. Er hält es nicht für „zweckmäßig, wenn die polnische Gans derart mit deutschem Futter gestopft würde, daß sie an Verdauungsstörungen stirbt." Churchill fügte allerdings hinzu, daß er — für den Fall, daß trotz seines Protestes die Gebiete östlich der Oder und der Lausitzer Neiße an Polen kämen — eine Umsiedlung der Deutschen aus diesen Gebieten (10 058 562 Einwohner! für durchaus praktikabel hält 13 Nachdem sich Roosevelt mit der Überprüfung des russischen Vorschlags zwei Tage lang Zeit gelassen hatte, erfolgte am 8. Februar 1945 die ablehnende Stellungnahme der Amerikaner zur Neiße als deutsch-polnischer Grenze Damit war die sowjetische Politik bezüglich der polnischen Westgrenze zunächst auf dem Höhepunkt einer Entwicklung gescheitert, die Harriman, der amerikanische Botschafter in Moskau, wie folgt beschrieb: „Der erste sowjetische Vorschlag zeigte die Bereitschaft, Polen Ostpreußen mit Ausnahme des Königsberger Gebiets und eine Ausbreitung seiner Westgrenze vielleicht sogar bis an die Oder und möglicherweise unter Einschluß der Städte Stettin und Breslau zu geben. Später schienen die sowjetischen Absichten darauf festgelegt, daß die Westgrenze die Oder-Linie einschließlich Stettin und Breslau sein sollte. In Besprechungen mit de Gaulle schlägt Stalin jetzt (Datum dieses Berichts von Harriman an seinen Außenminister: 19. Dezember 1944, d. Vers.) die Oder-Linie bis zur Einmündung der unteren Neiße und dann nach Süden entlang der Neiße bis zur tschechischen Grenze nahe der Stadt Görlitz vor."
Nachdem diese Politik der Sowjets von den Westalliierten nicht unterstützt wurde, verlautbart dann das Schlußkommunique der Konferenz von Jalta lediglich: „Die drei Regierungschefs erkennen an, daß Polen im Norden und im Westen einen bedeutenden Gebiets-zuwachs erhalten soll. Sie sind der Auffassung, daß in der Frage des Umfangs dieses Zuwachses zu gegebener Zeit die Meinung der neuen Polnischen Regierung der Nationalen Einheit eingeholt und danach die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz aufgeschoben werden soll."
Da der diplomatische Weg in der Frage der Neiße als deutsch-polnischer Grenze versagt hatte, vollzog die Sowjetunion die Politik der vollendeten Tatsachen: Sie übertrug mit Ausnahme des nördlichen Ostpreußen die Gebiets-hoheit über alle von der Roten Armee eroberten Räume östlich der Oder-Neiße-Linie ohne Absprache mit den Westalliierten an die Polnische Provisorische Regierung, die schon fünf Wochen nach dem Schlußkommunique von Jalta und ebensolange vor Waffenstillstands-beginn die Wojwodschaften Masuren, Oberschlesien, Niederschlesien und Westpommern — alle am 14. März 1945 — sowie die Wojwodschaft Danzig (20. 3. 1945) errichtete Die letzten deutschen Truppen in Ostpreußen kapitulierten am 14. Mai. b) Die Aufteilung Restdeutschlands 1. Britische Vorstellungen Erste offizielle englische Gespräche über die Teilung Deutschlands wurden anscheinend zwischen Eden und Roosevelt im März 1943 in Washington geführt Man lehnte allerdings eine gewaltsame Teilung ab. Eden hoffte, vorhandene deutsche Separatistenbestrebungen unterstützen zu können, wonach die Alliierten dann nur noch die Zustimmung zur deutschen Volksmeinung zu geben gehabt hätten. Jedenfalls waren sich Eden und Roosevelt einig darüber, daß Deutschland in mehrere einzelne Staaten zerfallen müsse; zumindest sollten Österreich und Ostpreußen vom Reich abgetrennt werden, wobei Österreich seine Selbständigkeit wiedererlangen und Ostpreußen polnisch werden sollte
Den Gedanken der freiwilligen Aufteilung Deutschlands verfolgten die Briten noch auf der ersten Konferenz von Quebec (19. — 24. 8. 1943). Der amerikanische Außenminister Hull ergänzte die englischen Vorstellungen dahin-gehend, daß man den Süddeutschen die Trennung von Preußen dadurch erleichtern könnte, daß man ihnen einen Zugang zum Meer bei Triest und Fiume gäbe. Eden lehnte es allerdings ab, Bayern von Deutschland abzutrennen und mit Österreich zu vereinigen. Er gab einer Wiedererrichtung des alten Osterreich-Ungarn den Vorzug.
Vier Tage nach Abschluß der Konferenz von Quebec legte die britische Regierung in einem Aide-Memoire an die amerikanische und sowjetische Regierung Pläne über eine mittel-und südosteuropäische der Förderation dar, auch — nach einem anfänglichen Stadium der Selbständigkeit — Österreich angehören sollte Auf der ersten Konferenz, auf der die drei großen Alliierten die Teilung Deutschlands erörterten — der Moskauer Außenministerkonferenz vom Oktober 1943 —, ließ Eden den Gedanken der freiwilligen Aufteilung und der englischen Unterstützung deutscher Separatistenbestrebungen wieder anklingen Die englischen Konföderationspläne vom Augusf wurder am 26. Oktober in Moskau von Außenminister Molotow entschieden abgelehnt 28).
Bezüglich einer Aufteilung Deutschlands war man in London — übrigens auch in Washington und Moskau — allerdings geteilter Meinung; Während die Fachleute sie zu verhindern suchten, wurde an höchster Stelle konsequent darauf hingearbeitet So legte Churchill in Teheran am 1. Dezember 1943 einen Teilungsplan vor, mit dem er zwei Ziele verfolgte: „Erstens die Isolierung Preußens vom übrigen Deutschland und zweitens die Abtrennung der süddeutschen Provinzen Bayern, Baden, Württemberg und der Pfalz von der Saar bis einschließlich Sachsen."
Wieder vertrat er die schon vorher von Eden dargelegte Ansicht, man könne die südlichen Provinzen zu einem Donaubund zusammenschließen, da die Süddeutschen „keinen neuen Krieg anfangen" würden. Diese Unterscheidung zwischen Süddeutschen und Preußen wurde von Stalin und Roosevelt scharf kritisiert; der englische Vorschlag wurde verworfen Plan modifizierten legte Churchill am 17. Oktober 1944 in Moskau bei einem Treffen mit Stalin vor: Danach und Molotow sollte Deutschland in die beiden Staaten Preußen und Bayern aufgeteilt werden, und zwar mit internationaler Kontrolle der Ruhr und Westfalens
Wenn — wie dargelegt — die Engländer seit mindestens März 1943 Teilungsabsichten für Deutschland verfolgten, überrascht es, daß gerade Churchill eine endgültige Entscheidung über die Zerstückelung Deutschlands in Jalta verhinderte. Als Churchill von Stalin mehrmals auf seine Teilungspläne von Teheran und Moskau (Oktober 1944) angesprochen wurde, erledigte dieser das Problem mit der Feststellung, daß „das Verfahren der Grenzziehung zwischen den einzelnen Teilen Deutschlands an sich zu kompliziert (sei), um diese Frage ... innerhalb von 5 bis 6 Tagen zu lösen." Damit erreichte Churchill, daß in Jalta lediglich Artikel 12 a der in der „Europäischen Beratenden Kommission" ausgearbeiteten Kapitulationsurkunde für Deutschland vom 25. Juli 1944 geändert wurde: „Das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. werden die oberste Autorität gegenüber Deutschland innehaben. In Ausübung dieser Autorität werden sie solche Schritte einschließlich der völligen Entwaffnung, Entmilitarisierung und Aufgliederung Deutschlands unternehmen, die sie für den zukünftigen Frieden und die Sicherheit für erforderlich halten."
Ein offizieller Beschluß zur Teilung Deutschlands ist also nicht gefaßt worden. In der Kapitulationsurkunde wurde lediglich ein Passus über die Möglichkeit einer Aufteilung Deutschlands eingefügt. 2. Sowjetische Vorstellungen Nach Churchill, dessen Angaben in seinen Memoiren noch keinen Widerspruch gefunden haben, war es Stalin, der Eden gegenüber am 16. Dezember 1941 als erster von einer Zerstückelung Deutschlands sprach. Sein Plan sah vor: „Wiederherstellung Österreichs als unabhängiger Staat, ein von Preußen als unabhängiger Staat oder Protektorat abgesondertes Rheinland und möglicherweise die Errichtung eines unabhängigen Staates Bayern. Er schlug auch vor, daß Ostpreußen an Polen übertragen und das Sudetenland an die Tschechoslowakei zurückgegeben werde."
Späterhin vertraten die Sowjets zwar mit Nachdruck die Forderung nach der Teilung Deutschlands, äußerten aber keine eigenen konkreten Vorstellungen mehr: In Teheran tendierte Stalin zum amerikanischen Vorschlag in Moskau (am 17. 10. 1944) und in Jalta vertrat er ähnliche Ansichten wie Churchill in Teheran bzw. Eden in Moskau 1943, so daß im ganzen die sowjetische Teilungspolitik durch ein gewisses Lavieren gekennzeichnet ist.
Erst gegen Kriegsende kann in der sowjetischen Teilungspolitik eine klare Linie festgestellt werden, und zwar die totale Umkehrung aller bisherigen Teilungsabsichten — ihre Ablehnung. Am 26. März 1945 erhielten die Westalliierten eine Mitteilung der Sowjetregierung, in der sie erklärte, sie sähe die Teilung Deutschlands für sich nicht als obligato-risch an 3. Amerikanische Vorstellungen Im amerikanischen Außenministerium ist die Frage der Teilung Deutschlands seit Anfang 1942 untersucht worden. Es existierten hierzu zwei Einrichtungen: der Beratungsausschuß für Nachkriegsprobleme sowie eine aus Mitarbeitern des Ministeriums bestehende Forschungsgruppe. Beide Gremien arbeiteten Pläne zur Aufteilung Deutschlands in drei, fünf und sieben Staaten aus. Von April bis Juni 1942 kam der Beratungsausschuß jedoch „in seiner Mehrheit zu dem Entschluß, daß die Zerstückelung entschieden abzulehnen sei" Von dieser Auffassung konnte aber weder der Außenminister noch Roosevelt selbst überzeugt werden. Am 5. Oktober 1943 erklärte der Präsident in einer Vorbesprechung zur Moskauer Außenministerkonferenz Beamten des State Departement gegenüber, daß er eine Teilung Deutschlands in drei oder mehrere, nur durch wirtschaftliche Abmachungen miteinander verbundene, ansonsten unabhängige Staaten stark befürworte Auf der Grundlage dieses Gesprächs teilte Cordell Hull am 25. Oktober der Außenministerkonferenz mit — allerdings auch unter Darlegung dagegensprechender Meinun-gen —, daß man in den USA die Zergliederung Deutschlands bevorzuge und am 1. Dezember unterbreitete Roosevelt der Konferenz von Teheran seinen Teilungsplan, der neben zwei internationalisierten Gebieten fünf Staaten vorsah (Teheran-Deutschland), und zwar: 1. Preußen (stark verkleinert und geschwächt), 2. Hannover und der Nordwesten, 3. Sachsen und das Gebiet um Leipzig, 4. Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und das Gebiet südlich des Rheins („South of the Rhine"), 5. Bayern, Baden und Württemberg.
Unter UN-Kontrolle oder einer anderen Form von internationaler Kontrolle:
1. das Gebiet am Nord-Ostsee-Kanal und die Stadt Hamburg, 2. die Ruhr und die Saar, letztere zum Nutzen ganz Europas
Im Laufe des Jahres 1944 arbeiteten Beamte des Finanzministeriums auf Weisung von Finanzminister Henry Morgenthau einen Plan zur Entindustrialisierung, Pastoralisierung und Teilung Deutschlands aus. Er sah umfangreiche Gebietsabtretungen an Rußland (nördliches Ostpreußen), Polen (südliches Ostpreußen und südliches Schlesien), Frankreich (Saar und angrenzende Gebiete bis Rhein und Mosel) sowie an Dänemark (nördliches Schleswig-Holstein) vor. Der Rest sollte dreigeteilt werden: im Nordwesten ein internationalisiertes Gebiet, das das Ruhrgebiet, Bremen und den Nord-Ostsee-Kanal einschließen sollte, östlich davon ein norddeutscher Staat und südlich der Linie Frankfurt—Fichtelgebirge ein süddeutscher Staat. Österreich war in seinen Grenzen von 1937 wiederherzustellen und mit dem süddeutschen Staat in einer Zollunion zu verbinden
Dieser sogenannte Morgenthau-Plan fand entschiedene Gegner im Außen-und Kriegsministerium, konnte aber den zunächst schwankenden Präsidenten für sich gewinnen. Auf der zweiten Konferenz von Quebec (10. — 16. 9. 1944) trug Morgenthau Churchill seinen Plan vor. Vor allem wegen der wirtschaftlichen Aspekte lehnte Churchill ihn zunächst ab, billigte ihn dann aber doch teilweise. Allerdings distanzierten sich später sowohl Roosevelt als auch Churchill von dem Plan, und das amerikanische Außenministerium setzte durch, daß in der Teilungsfrage vorläufig noch keine Entscheidungen zu treffen seien. Die amerikanische Planung ruhte während der folgenden vier Monate bis zur Krim-Konferenz, auf der die Initiative bezüglich der Teilung von den Sowjets übernommen wurde.
Die Konferenz von Potsdam scheint dann das Ende der amerikanischen Teilungspolitik gewesen zu sein Jedenfalls ist in der „Mitteilung über die Berliner Konferenz der drei Mächte" (Kommunique) wohl von den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie, von Besatzungszonen und von Deutschland als Ganzem, nicht aber von deutschen Teilstaaten explizit die Rede. Dennoch spielte der Teilungsgedanke bei den offiziellen Gesprächen in Potsdam implizit eine Rolle. Schlüsse auf ein geplantes Deutschland als — politisches — Ganzes sind nach den Verhandlungsprotokollen jedenfalls nur sporadisch und höchstens mittelbar möglich. Demnach ist die Konferenz von Potsdam kein Zeichen für einen Abbruch der seit langem betriebenen amerikanischen Teilungspolitik, sondern höchstens die Fortsetzung derselben Politik mit nur halber Kraft.
Darüber hinaus erhebt sich angesichts der Entwicklung in den Jahren bis zur Konstituierung eines deutschen Teilstaates im Westen die Frage, wie ernst die Amerikaner (und mit ihnen die Briten) das Potsdamer Abkommen nahmen. War es für sie nicht doch nur eine Deklamation? Oder auch nur das eine gewisse clementia Caesaris vortäuschende Feigenblatt? Festzuhalten ist jedenfalls, daß bald nach der Konferenz von Potsdam durch die Westalliierten Entscheidungen getroffen und Maßnahmen unternommen wurden — erwähnt seien nur die „Londoner Empfehlungen" und die „Frankfurter Dokumente" —, die schrittweise zur Gründung eines westdeutschen Teilstaates führten. Damit zeigt sich eine fast kontinuierliche Linie in der amerikanischen Teilungspolitik gegenüber Deutschland seit 1942 — bei einer gedrosselten Intensität im Potsdamer Abkommen von 1945 — bis hin zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949. Mithin erscheint das heutige geteilte Deutschland nicht als ein Zufallsprodukt der Geschichte, sondern als das verspätete Ergebnis einer seit 1942 programmierten, dann wohl gar nicht mehr gewollten, aber irreversibel gewordenen Teilungspolitik.
Es läßt sich feststellen, daß der Teilungsgedanke vor der Konferenz von Potsdam bei allen drei Hauptalliierten zur Ausarbeitung verschiedener, mehr oder minder stark entwickelter Teilungsmodelle führte. Offen blieb dabei in den meisten Fällen, ob Teilung Dezentralisierung oder Föderalisierung bedeuten sollte. Deuerlein kennzeichnet die Teilungs-Praxis der drei Regierungen wie folgt: „Das amerikanische Außenministerium bediente sich ...des Begriffs einer föderativen Dezentralisierung ... Die bisher bekannten Äußerungen der britischen Regierung empfahlen eine Dezentralisierung, ohne diese jedoch als Föderalisierung zu deklarieren. Stalin forderte zwar eine Teilung Deutschlands in Einzelstaaten, machte jedoch keine Äußerungen über die innere Struktur dieser Einzelstaaten." 4. Besatzungszonen Während die Aufteilung Deutschlands als politische Maßnahme in einem ferneren Stadium zu verstehen war, galt es unmittelbar nach Kriegsende für die Alliierten, die Maßnahme der militärischen Besetzung zu treffen. Die hierfür geplanten Besatzungszonen stimmten aus obigem Grund zu keiner Zeit mit den ebenfalls geplanten deutschen Teilstaaten überein.
Seit dem Frühjahr 1943 wurden in Großbritannien und in den USA konkrete Vorstellungen über Besatzungszonen entwickelt, die sich bei Attlee-Plan den Engländern im niederschlugen. Er sah die Einteilung in drei Besatzungszonen vor, von denen die Sowjetunion die größte — Ost-und Mitteldeutschland mit 76 600 Quadratmeilen und 22, 3 Millionen Einwohnern —, Großbritannien Nordwest-Deutschland (57 450 Quadratmeilen/22, 5 Millionen Einwohner) und die USA Süddeutschland mit nur 47 100 Quadratmeilen und 15, 7 Millionen Einwohnern erhalten sollten
Um diesen Plan kam es zu Spannungen zwischen Churchill und Roosevelt, der den Sowjets nur eine wesentlich kleinere Zone zuerkennen wollte und im übrigen anstelle von Süddeutschland den Nordwesten für die USA beanspruchte. Sowohl Engländer als auch Amerikaner traten jedoch gemeinsam für die Besetzung einer jeden einzelnen Zone mit gemischten Truppenkontingenten ein.
In der ersten Arbeitssitzung der Europäischen Beratenden Kommission, deren eine Aufgabe es war, Besatzungsrichtlinien für Deutschland zu entwerfen, unterbreitete die britische Delegation am 15. Januar 1944 diesen Plan. Am 18. Februar brachte die sowjetische Delegation* einen Vorschlag ein, der bis in die Einzelheiten der Grenzziehung fast identisch mit dem britischen war. Er unterschied sich von jenem Plan lediglich dadurch, daß die Zonen nicht von gemischten Truppenkontingenten zu besetzen waren Bemerkenswert an beiden Plänen ist, daß schon diese ersten Vorstellungen als Westgrenze der sowjetischen Besatzungszone genau die Linie vorsahen, die heute die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bildet
Erst am 8. März erhielt die amerikanische Delegation eine „höchst merkwürdige" Direktive aus Washington zur Frage der Besatzungszonen, die aber so gut wie unverständlich verfaßt war Sie enthielt lediglich eine von den amerikanischen Stabschefs verfaßte ungenaue Grenzbeschreibung der Zonen, der zu entnehmen war, daß das amerikanische Gebiet 32, 3 Millionen Einwohner und 77 700 Quadratmeilen umfassen sollte. Die sowjetische Zone sollte nur 19, 7 Millionen Einwohner und 54 900 Quadratmeilen enthalten Detalliertere Pl 900 Quadratmeilen enthalten 52). Detalliertere Pläne der amerikanischen Regierung blieben aus, und die Delegation der USA in der Beratenden Kommission war in so starkem Maße dem Befehlsempfänger-Denken verhaftet — im Gegensatz zu der von der eigenen Regierung unabhängig arbeitenden englischen Delegation —, daß sie es unterließ, diskutable Gegen-vorschläge zum britisch-sowjetischen Zonen-plan zu unterbreiten 53). Am 1. Mai 1944 erging an die amerikanische Delegation die Weisung, dem anglo-sowjetischen Plan vom 14. 1. /18. 2. zuzustimmen 54).
Am 12. September 1944 wurde die Übereinkunft über die sowjetische Besatzungszone durch die drei Delegationen im Zonenprotokoll fixiert Noch im selben Monat erfolgte ein Kompromiß zwischen Engländern und Amerikanern auf der zweiten Konferenz von Quebec, wonach die USA im Norden nur die Bremer Enklave, als Entschädigung für das übrige Gebiet im Nordwesten, aber ganz Süddeutschland erhielten. Dieses Zusatzabkommen wurde zusammen mit dem Zonenprotokoll vom 12. September zwischen dem 5. Dezember 1944 und dem 6. Februar 1945 von der britischen, amerikanischen und sowjetischen Regierung gebilligt
Am selben Tag, an dem in der Europäischen Beratenden Kommission in London das Zonen-protokoll beschlossen wurde (12. 9. 1944), forderte de Gaulle in einer Rede in Paris die Beteiligung an der Besetzung Deutschlands „dans la plus large mesure possible" worunter er die Okkupation des gesamten deutschen Gebietes verstand, in dem seine Truppen stehen würden Die Besetzung von Saarbrücken und Karlsruhe begründete er Eisenhower gegenüber als „retablissement rapide de la sou-verainete franaise sur son propre terri-toire" Ende 1944 vertrat er ähnliche Ansichten in Moskau; seine Wünsche wurden jedoch zunächst von Stalin abgelehnt.
In Malta warf Stettinius am 1. Februar 1945 die Frage nach einer französischen Beteiligung an der Besetzung Deutschlands auf; Roosevelt sei bereit, den Franzosen eine Zone einzuräumen. Zwischen Amerikanern und Engländern wurde beschlossen, bei den Russen Zustimmung für den Vorschlag einzuholen, aus dem Gebiet der amerikanischen und britischen Zone ein gesondertes Besatzungsgebiet für Frankreich auszuklammern
Auf der zweiten Vollsitzung der Krim-Konferenz am 5. Februar 1945 setzte sich Churchill mit Nachdruck für eine französische Besatzungszone ein. Nadi Roosevelts Plänen sollten sich die Amerikaner spätestens nach zwei Jahren wieder aus Deutschland zurückziehen. Da England sich dann der kommunistischen Besatzung allein gegenübergestellt sah, forderte es eine französische Beteiligung
Stalin hatte zunächst Bedenken, erklärte sich aber einverstanden, als Churchill vorschlug, keine totale Zonen-Neuaufteilung vorzunehmen, sondern die französische Zone lediglich — im Sinne des von Stettinius in Malta gemachten Vorschlags — aus der britischen und amerikanischen herauszunehmen Der betreffende Passus im Schlußprotokoll von Jalta lautet: „Es wurde beschlossen, daß Frankreich eine durch französische Streitkräfte zu besetzende Zone in Deutschland eingeräumt werden soll. Diese Zone soll aus der britischen und aus der amerikanischen Zone gebildet werden, und ihre Größe soll durch die Engländer und die Amerikaner in Konsultation mit der Provisorischen Französischen Regierung festgelegt werden."
Bevor die erwähnten Konsultationen jedoch stattgefunden hatten, bediente sich de Gaulle der Politik der vollendeten Tatsachen: Er legte seine Besatzungszone eigenmächtig fest und okkupierte Stuttgart, womit er sogar über das von ihm am 12. September 1944 geforderte Gebiet hinausging. Den Amerikanern gelang es nur durch Nachschubsperren, ihn wieder zum Rückzug zu bewegen Die endgültige Festlegung der französischen Besatzungszone erfolgte am 26. Juli 1945 und wurde zwischen dem 29. Juli und dem 13. August von der ame-rikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Regierung gebilligt
II. Politische Maßnahmen a) Entnazifizierung Waren sich die Alliierten in der Frage der deutschen Ostgrenze und der Teilung Deutschlands weitgehend einig — obwohl keine vertraglichen Bindungen eingegangen wurden — und brachten sie ihre Besatzungspolitik auch zur Durchführung, so mangelte es ihnen doch an einem gemeinsamen, in der Praxis anwendbaren Konzept, was die Behandlung Deutschlands in politischer Hinsicht anbelangte. Man kann sogar sagen, daß nicht nur das einheitliche Konzept aller drei Haupt-alliierten fehlte, sondern auch das einheitliche Konzept je eines der drei Partner. Roosevelt z. B. lehnte es ab, weitreichende politische Maßregeln für Deutschland zu treffen, während verschiedene amerikanische Ministerien solche ausarbeiteten.
Eklatante Unterschiede lagen im politischen Denken über Deutschland zwischen Roosevelt und Churchill. Der amerikanische Präsident lastete Churchill sogar an, daß er überhaupt an die Nachkriegszeit dachte. Ihn selbst interessierte Deutschland nur als Versuchsfeld einer amerikanisch-sowjetischen Zusammenarbeit, diese wiederum als Voraussetzung für den Weltfrieden
In verschiedenen Äußerungen, Entwürfen und Plänen der Alliierten waren natürlich auch Vorstellungen über Deutschlands politische Zukunft enthalten. Festzustellen ist jedoch, daß zum Zeitpunkt der Kapitulation die Alliierten keine politischen Pläne für Deutschland hatten.
Eine frühe Äußerung über in Deutschland nach dem Krieg vorzunehmende Maßnahmen ist die Unconditional-Surrender-Formel, die Roosevelt am 24. Januar 1943 auf der Konferenz von Casablanca prägte: „The elimination of Ger-man, Japanese and Italian war power means the unconditional surrender by Germany, Italy, and Japan. That means a reasonable assurance of future world peace. It does not mean the destruction of the Population of Germany, Italy, or Japan, but it does mean the destruction of the philosophies in those countries which are based on conquest and the subjugation of other people."
Ob diese Formel aber als durchdachter Plan anzusehen ist, kann bezweifelt werden Churchill stand nur eingeschränkt dahinter, und von Stalin wurde sie erst am 1. Mai 1943 übernommen — dies wohl auch nur aus Gründen der Kriegspropaganda
Der weltanschauliche Aspekt der Entnazifizierung war eng verbunden mit der Behandlung der Kriegsverbrecher. Seit März 1943 trat in der amerikanischen Regierung Cordell Hull für härteste Methoden in dieser Frage ein. Er befürwortete eine Erschießung der Hauptkriegsverbrecher ohne juristisches Verfahren. Die Entnazifizierung in diesem Sinne wurde durch einen im September 1943 vom amerikanischen „Advisory Commitee on Post-War Foreign Policy" ausgearbeiteten Vorschlag der Moskauer Außenministerkonferenz (Oktober 1943) dargelegt, wozu allerdings nur Molotow seine Zustimmung gab. Insgesamt blieb man in Moskau bei dem Prinzip der individuellen Sühne für individuelle Schuld von Kriegsverbrechern, festgestellt in ordentlichen Gerichtsverfahren Stalin stand auch noch ein Jahr später, bei Churchills Besuch in Moskau, zu diesem Prinzip
Im Verlauf des Jahres 1944 kam es in Washington zu weiterreichenden Entnazifizie67 rungsgedanken. Nicht nur Morgenthau, sondern auch Roosevelt waren fest davon überzeugt, daß nur eine Umerziehung des gesamten deutschen Volkes die in Casablanca geforderte Zerstörung der faschistischen Weltanschauung erzielen würde. In einem Brief an den gemäßigten Kriegsminister Stimson schreibt Roosevelt am 25. August 1944: „Zu viele Menschen hier und in England glauben, nur ein paar Naziführer und nicht das ganze deutsche Volk seien für das, was geschehen ist, verantwortlich. Das stimmt leider nicht mit den Tatsachen überein. Allen Deutschen muß beigebracht werden, daß sie an einer gesetzlosen Verschwörung gegen Recht und Sitten der modernen Zivilisation beteiligt waren."
Einige Tage später äußerte sich Morgenthau: „Es geht darum, wie wir die Deutschen behandeln sollen, denen ein solcher Fanatismus eingeimpft wurde. Wir müssen gegen den deutschen Geist vorgehen. Ich würde nicht davor zurückschrecken, unsere Empfehlungen so unbarmherzig zu machen, wie es nötig ist, um unsere Ziele zu erreichen."
Wie die Umerziehung der vom Nazismus infizierten Deutschen im einzelnen vor sich gehen sollte, wußten Roosevelt und Morgenthau nicht genau. Es besteht jedoch kein Anlaß anzunehmen, daß folgende Morgenthaus Aussage vom 2. September 1944 ironisch oder pölemisch gemeint war: „Ich bin überzeugt davon, daß wir sie (die „Deutschen zwischen zwanzig und vierzig, die vom Nazismus infiziert sind", d. Vers.) ändern können. Vielleicht sollte man sie irgendwo in Zentralairika für ein großes TVA-Projekt einsetzen.“
Auf der zweiten Konferenz von Quebec trug Morgenthau seinen Plan zwar vor, jedoch wurde dort nur ein von Churchill entworfenes Memorandum unterzeichnet, das die Frage der Entnazifizierung und der Kriegsverbrecher gar nicht berührte
In Jalta ist über Entnazifizierung nicht mehr grundsätzlich debattiert worden. Daher spricht die ausführliche Behandlung dieses Themas im Kommunique der Konferenz dafür, daß sich bis zu diesem Zeitpunkt wohl generelle Vorstellungen schon gefestigt hatten: „Es ist unsere unbeugsame Absicht, den deutschen ... Nazismus zu vernichten und die Garantie dafür zu schaffen, daß Deutschland nie wieder in der Lage sein wird, den Weltfrieden zu brechen. Wir sind fest entschlossen, ... alle Kriegsverbrecher einer gerechten und schnellen Bestrafung zuzuführen ... die Nazi-Partei, die nazistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen vom Boden zu tilgen; alle nazistischen Einflüsse aus öffentlichen Einrichtungen, dem Kultur-und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes zu entfernen ... Nur dann, wenn Nazismus und Militarismus ausgerottet sind, besteht für das deutsche Volk die Hoffnung auf eine würdige Existenz und auf einen Platz in der Gemeinschaft der Nationen."
Für die praktische Durchführung solcher Absichtserklärungen hatten zumindest die Amerikaner so gut wie kein Konzept und — wie sich nach dem Krieg zeigte — nur bescheidene Mittel Selbst auf wissenschaftlichem Niveau hatte man in den USA sowohl von Nazismus wie von Entnazifizierung als auch von der Struktur des Nazistaat-Systems -— anders als in der Sowjetunion, wo man es von Anfang an auf die Ausrottung von Großindustriellen und Junkertum abgesehen hatte — keine klaren Vorstellungen. Einer der Beteiligten an der amerikanischen Entnazifizierungs-politik äußerte sich: „Wir hatten mehr abgebissen, als wir kauen konnten."
Noch Ende Januar 1946 wurde bei der Einschiffung von amerikanischen Besatzungssoldaten nach Deutschland eine im Geiste des Morgenthau-Denkens und im Sinne der bis 1947 gültigen, berüchtigten Direktive JCS Nr. 1067 verfaßte Informationsbroschüre über das zu besetzende Land verteilt, in der als Fernziel angegeben wird: „thecomplete stampout of Nazism and fascist ideas, and the re-education of the Germans to the advantages of a decent, responsible self-government." Als Sofortmaßnahme konnte den Besatzungssoldaten nur gesagt werden, sie hätten jeden Deutschen für 24 Stunden am Tage zu bewachen, bis jenes Fernziel erreicht sei. b) Entmilitarisierung Am 29. November 1943 stellte Stalin in Teheran die Forderung nach der physischen Ausschaltung des deutschen Generalstabs auf: „Wenigstens 50 000 und vielleicht 100 000 Angehörige des deutschen Generalstabs müssen physisch liquidiert werden." Diese Forderung, die von Churchill sofort entschieden zurückgewiesen wurde, scheint zunächst den ideologischen Aspekt der Entnazifizierung zu enthalten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es sich hier offenbar auch um das Problem der Entmilitarisierung Deutschlands handelte. Stalin schien die Hinrichtung von 50 000 Offizieren und Sachverständigen ohne Gerichtsverfahren das geeignetste Mittel, Deutschlands militärische Kraft zu brechen.
Die Frage, wie man für mindestens eine Generation die Deutschen davon abhalten könne, einen dritten Weltkrieg zu beginnen, war auch das Kernproblem des Morgenthau-Plans. Sein Hauptziel war „die Zerstörung der gesamten deutschen Industrie, die der Herstellung von Rüstungsgütern dienen konnte." Diese Zerstörung sollte eine totale sein und ohne Ausnahmen vorgenommen werden; keine Region und keine Bevölkerungsschicht sollte weiterhin in einem potentiellen Rüstungsindustriezweig arbeiten. Falls irgendein Bergwerk bestehen bliebe, so fürchtete der von Ressentiments beladene Morgenthau, würden die Deutschen „illegal Kohle fördern. Irgendeiner wird ein Bergwerk im Keller haben. Diese Burschen sind ja so schlau und solche Teufel. Bevor man sichs versieht, haben sie wieder ein Heer, das marschiert." So war denn die Zerstörung des Ruhrgebiets der Kern des Morgenthau-Plans. Daneben enthielt er Bestimmungen über schnellste Entmilitarisierung der Wehrmacht und des deutschen Volkes. Dies bedeutete Zerstörung des Kriegsmaterials, der Rüstungsindustrie, der militärischen Schlüsselindustrien oder deren Abtransport — bis hin zum absurden Uniformtrageverbot, das auf* Vorschlag Roosevelts in den Plan ausgenommen worden war und selbst für Blaskapellen galt.
Auf .der zweiten Konferenz von Quebec, auf welcher der Plan des Finanzministers als Diskussionsgrundlage diente, notierte Morgenthau in seinem Tagebuch: „Bei den Verhandlungen zwischen Präsident und Premier über die besten Maßnahmen, eine deutsche Wiederaufrüstung zu verhindern, wurde die Stillegung von Ruhrund Saargebiet ein wesentliches Faktum." Allerdings behielt der Morgenthau-Plan nicht lange seine Bedeutung für Roosevelt und Churchill und die Sowjets, die zwar für Entmilitarisierung durch Erschießen eintraten, sprachen sich von Anfang an gegen den Morgenthau-Plan aus, da er die Zerstörung jener Industriegebiete vorsah, aus denen sie laufende Reparationen zu erhalten hofften.
Bis zur Konferenz von Potsdam kam es zu keinem gemeinschaftlichen Plan der Alliierten zur Entmilitarisierung Deutschlands, abgesehen von dem Urkundenentwurf der Europäischen Beratenden Kommission „Bedingungslose Kapitulation Deutschlands" vom 25. Juli 1944, der in Artikel 12 a völlige Entwaffnung und Entmilitarisierung vorsah und dann in Jalta noch modifiziert wurde Am 1. Mai 1945 erklärte sich die französische Regierung mit diesem Entwurf einverstanden, jedoch ist er bei der Kapitulation am 7. /8. Mai nicht verwendet worden c) Verwaltung und Kontrolle Hinsichtlich der Verwaltung Deutschlands ging die Planung der Alliierten entschieden getrennte Wege. Während sich bei den Amerikanern die Auffassung zeigte, in Deutschland so wenig politische Verantwortung wie möglich zu übernehmen und die Deutschen sich selbst zu überlassen, legten es die Sowjets darauf an, durch Einsetzen von deutschen kommunistischen Verwaltungsbediensteten ihre Zone dem sowjetischen Machtbereich einzugliedern. Für die sowjetische Besatzungszone wurde die Methode angewendet, die in Ungarn und Rumänien erprobt worden war: Als erste Besatzungsmacht errichteten die Sowjets in Deutschland Verwaltungsstellen und setzten auf nicht-exponierte, aber wichtige Posten deutsche Kommunisten, die seit Jahren in der Sowjetunion geschult worden waren
Die amerikanische Haltung war seit 1944 dazu diametral entgegengesetzt. Als am 19. De-zember 1944 Morgenthau die Nachricht erhielt, daß im besetzten Aachen die Lohn-und Preissituation und die Verteilung von Gütern so schlecht sei, daß, um ein Chaos zu verhindern, die amerikanische Armee die Verwaltung übernehmen müsse, lehnte Morgenthau dies entschieden ab: „Wir wollen diese Verantwortung nicht." Damit entsprach er nur der Richtlinie des von ihm verfochtenen Plans: „Die alliierte Militärregierung übernimmt keine Verantwortung für wirtschaftliche Probleme wie Preiskontrolle, Rationierung, Arbeitslosigkeit, Produktion, Verteilung, Konsum, Wohnungswirtschaft, Transportwesen und Wiederaufbau .. . Deutschland sorgt selbst für seine Wirtschaft und seine Bevölkerung." Die Verantwortung sollten die Deutschen aber nicht allein tragen, sondern an ihr sollten Nachbarstaaten Deutschlands wie die Sowjetunion, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Holland und Belgien, aber auch Griechenland, Jugoslawien und Norwegen teilhaben
Die Einsetzung einer neuen deutschen Regierung war von den Alliierten während des Krieges nicht vereinbart worden in Anbetracht der totalen Auflösung des deutschen Staats übernahmen die Alliierten — dem Morgenthauschen Denken entgegengesetzt — mit einer von der Europäischen Beratenden Kommission ausgearbeiteten Erklärung am 5. Juni 1945 in Berlin die Regierungsgewalt. Daß die Sowjets jedoch nicht voll hinter dieser Erklärung standen, zeigt die Tatsache, daß sie schon am 31. Juli in Potsdam auf die Errichtung deutscher Zentralbehörden drangen
Die höchste Ebene, auf der Deutsche ohne Einmischung fremder Staaten Politik betreiben sollten, war nach amerikanischer Vorstellung die der Länder. Der Morgenthau-Plan sah vor, daß in den deutschen Teilstaaten Länder gegründet würden, deren Regierungen „zu gegebener Zeit" von den — nicht aufgelösten — Kommunalverwaltungen gebildet würden Ähnlich wie nach 1918 zeigten sich auch während des Zweiten Weltkriegs Demokratisierungsabsichten gegenüber Deutschland, vor allem seitens der Westalliierten. Schon der amerikanische Entwurf auf der Moskauer Außenministerkonferenz beruhte neben den Prinzipien der Entmilitarisierung und Entnazifizierung auf dem der Demokratisierung Deutschlands, die in der Freiheit der demokratischen Parteienbildung, der Meinungsäußerung und Versammlung sowie in freien Wahlen bestehen sollte Nur ein oberflächlicher Blick in das Staats-und Gesellschaftsleben der Sowjetunion zur Zeit Stalins hätte die Westalliierten gelehrt, daß man dort von einem grundsätzlich verschiedenen Demokratieverständnis ausging und bei Übereinkünften wie dem auf der Moskauer Außenministerkonferenz höchstens Lippenbekenntnisse zur Demokratie im westlichen Sinne lieferte. — Währenddessen verstiegen sich die amerikanischen Planer bis in Detailfragen. Davon ausgehend, daß „die Umerziehung der Deutschen im demokratischen Sinne" „Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden sei" hielt Morgenthau auch schon die praktische Methode parat: „Ehemalige Offiziere der amerikanischen, englischen und russischen Armee müßten die Schulen, leiten und den Kindern den wahren Geist der Demokratie beibringen." Dieses Vorhaben zeigt zur Genüge, wie wenig die Amerikaner — zumindest Morgenthau — davon wußten, welche Art von Demokratie die sowjetischen Offiziere wohl gelehrt hätten.
Zur Überwachung der Durchführung von Bestimmungen, die Deutschland in einer Kapi-tulationsurkunde auferlegt werden sollten, mußte ein Kontrollapparat geschaffen werden. Hierzu sind seit Februar 1944 in der Europäischen Beratenden Kommission mehrere Vorschläge gemacht worden, die zu dem Abkommen vom 14. November 1944 führten, dessen Bestimmungen seit dem 1. Mai 1945 auch für Frankreich galten.
Dieses Abkommen über die Kontrolleinrichtungen machte die vier Oberbefehlshaber der Besatzungszonen zum Alliierten Kontrollrat und bestimmte sie zu Trägern der obersten Gewalt in Deutschland. Ein Koordinierungsausschuß bediente sich zur Durchführung der Kontrollratsbeschlüsse eines Kontrollstabes. Unabhängig vom Alliierten Kontrollrat, der für alle Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen zuständig war, arbeitete nach dem Abkommen die Berliner Kommandantur, die sich aus vier von ihren Zonenbefehlshabern ernannten Kommandanten zusammensetzte.
III. Zusammenfassung Generell ist zu sagen, daß bis zur Potsdamer Konferenz die Alliierten kein einheitliches Konzept entwickelt hatten.
In einzelnen Fragen ist Übereinstimmung erzielt worden, so z. B. als es darum ging, die polnische Westgrenze an die Oder zu verschieben; aber schon die Neiße-Regelung wurde einseitig von den Sowjets vorgenommen. Grundsätzliche Einigkeit bestand auch hinsichtlich der Teilung Deutschlands, obgleich durch Churchills Veto in Jalta ein Beschluß nicht gefaßt wurde. Im Detail unterschieden sich aber vor allem die amerikanischen von den englischen Teilungsplänen, wie überhaupt Roosevelt eine von Churchill völlig verschiedene Europa-und Rußlandpolitik zu verfolgen schien. In der Frage der französischen Beteiligung an der alliierten Deutschlandpolitik waren sich zwar die USA, Großbritannien und Frankreich weitgehend einig, befanden sich jedoch nicht in Übereinstimmung mit der UdSSR.
Im allgemeinen waren sich die Alliierten auch im Hinblick auf Entnazifizierung und Entmilitarisierung'einig, konnten im einzelnen aber wiederum zu keinem gemeinsamen Konzept gelangen: Während die Russen z. B. eine personelle Entmilitarisierungspolitik betreiben wollten, versuchten die Amerikaner, die Entmilitarisierung ideologisch-strukturell, d. h. im Zusammenhang mit Umerziehung und Entindustrialisierung durchzusetzen.
Besonders hervorzuheben ist, daß Uneinigkeit nicht nur zwischen den Alliierten, sondern auch bei den Verbündeten selbst herrschte, beispielsweise sowohl bei Engländern als auch bei Amerikanern und Russen bezüglich der Teilung, die jeweils die führenden Kräfte bejahten, die Fachleute aber ablehnten. George F. Kennan, der als amerikanischer Diplomat viele Jahre hindurch in Berlin Erfahrungen mit den Deutschen sammeln konnte, lehnte schon 1943 die später von Truman versuchte Entnazifizierungspolitik als undurchführbar, unwirksam und darüber hinaus als unnötig ab bei den Amerikanern ist weiterhin auf die Auseinandersetzungen um den Morgenthau-Plan hinzuweisen, die schließlich in der soge-nannten „Washington-Kontroverse" zwischen Finanzministerium und Präsident einerseits und Kriegs-und Außenministerium andererseits endeten. Unter diesem Aspekt der nur teilweise erreichten Einigkeit zwischen den Alliierten und den wenig planvollen Vorstellungen ist die historische Bedeutung der Kriegskonferenzen wesentlich einzuschränken.