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Wirkungen der Massenkommunikation Ergebnisse und Kritik einer Forschungsrichtung | APuZ 39/1972 | bpb.de

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APuZ 39/1972 Wirkungen der Massenkommunikation Ergebnisse und Kritik einer Forschungsrichtung

Wirkungen der Massenkommunikation Ergebnisse und Kritik einer Forschungsrichtung

Kurt Koszyk

/ 102 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Wirkungsforschung, die in den Vereinigten Staaten seit 1940 mehr und mehr an Boden gewann und in Deutschland besonders durch Elisabeth Noelle-Neumann (Allensbach-Mainz) propagiert wird, hat eine Reihe von Hypothesen zum Prozeß der Massen-kommunikation entwickelt. Schleusenwärter, Meinungsführer, Zwei-Stufen-Fluß, kognitive Dissonanzen — das sind einige Begriffe, die Bedingungen der Wirkung definieren sollen. Im Gegensatz zum sozialwissenschaftlichen Funktionalismus oder zur Rollentheorie fehlt jedoch das übergreifende Konzept, das notwendig wäre, um die Bedeutung der Resultate von zahllosen Wirkungsanalysen bewerten zu können. Generalisierungen sind in Anbetracht der Kurzfristigkeit fast aller durchgeführten Experimente kritisierbar. Der Zusammenhang verschiedener Wirkungsfaktoren läßt sich theoretisch schwerlich nachvollziehen Die Wirkungsforschung wirft das Problem von „genau" und „richtig" auf. Die Ergebnisse sind zumeist genau im Kontext des experimentellen Apparates. Aber sie sind selten richtig im Sinne eines Abbildes der Realität. Die Erfahrung dieser Grenzen könnte die Kritik an der Überschätzung einer Forschungsrichtung begründen, deren Kostenintensität nach Auffassung des Autors in keinem Verhältnis zu ihrem Gültigkeitsanspruch steht. Vielmehr hat die Kommerzialisierung dieses Forschungszweiges verhindert, Projekte mit kommunikationspolitischer Relevanz zu fördern, die nicht zuletzt der politischen Bildung zugute gekommen wären. Die Wirkungsforschung hat insofern exemplarischen Charakter, als an ihr das Dilemma einer Wissenschaftsförderung deutlich wird, die sich mit statistischen Daten eher als mit Fortschritten im Erkenntnisprozeß zufrieden gibt.

Einleitung

Familie Menge Masse Gruppe Klasse Verband

Der Wirkungsforschung fehlt es bisher an einem umfassenden theoretischen Konzept, d. h. die generelle Fragestellung, von der Wirkungsforschung ausgeht, ist noch höchst unklar. Es handelt sich durchweg um empirische Untersuchungen, die — methodisch oft zu kritisieren — rein zufällig aus punktuellem Anlaß durchgeführt werden. Fraglich ist, ob eine Zusammenfassung dieser Einzelergebnisse ausreicht, das bisher fehlende theoretische Konzept zu begründen. Ganz im Gegenteil ist zu befürchten, daß ein Ansatz zur Theorie sehr stark unter dem Druck der Motivation von Auftragsforschung stehen würde. Es wäre wohl an der Zeit, das ganze Problem neu und grundsätzlich aufzurollen.

Genau diese Forderung hat bereits Carl Hovland in seinem Beitrag zum . Handbook of Social Psychology'(2. Bd. 1954, S. 1099) gestellt. Bisher hat man naturgemäß vor allem aus finanziellen Gründen aus diesem Postulat keine Konsequenzen gezogen. Hovland machte darauf aufmerksam, daß der Mangel an Theorie verbunden ist mit dem ungenügenden Wissen, wie man die Grundlagenforschung in bezug auf die praktischen Probleme anwenden soll. Die meiste Arbeit, die mit wissenschaftlicher Zielsetzung durchgeführt wurde, geschah unter zu künstlichen Bedingungen. Es fehlen Methoden, die Bedingungen, die bei jedem Experiment eine hervorragende Rolle spielen, tatsächlich bewerten zu können. Es ist z. B. schwierig, die Aussagen über die Wirkung auf das Publikum mit den Daten über das selektive Verhalten des einzelnen zu integrieren.

Ein weiterer von Hovland bereits 1954 betonter Mangel ist nach wie vor gültig. Das betrifft die Kurzfristigkeit aller Experimente. Sie beziehen sich meistens auf eine ganz bestimmte Situation in einer kurzen Periode. Hovland sagt, man habe die langfristigen Wirkungen den Historikern überlassen, während die Sozialpsychologen sich mehr auf die Kritik der historischen Methoden beschränkt haben.

Dabei wurde übersehen, wie schwierig es ist, den Zusammenhang zwischen verschiedenen Wirkungen zu untersuchen. Wenn die Einstellung des einzelnen darüber entscheidet, welche Informationen er aufnimmt, so können diese Informationen doch wieder die Einstellung beeinflussen, was wiederum einen Einfluß auf die Aufnahme weiterer Informationen haben kann.

Da man ein Individuum nicht vom Beginn seines Lebens an in seiner Einstellungsstruktur untersuchen kann und vor allem auch nicht alle Faktoren, die im Laufe von Jahrzehnten auf den einzelnen Einfluß haben, so muß bezweifelt werden, ob der Komplex dieser Einstellungsstruktur wirklich experimentell überprüft und definiert werden kann. Soviel läßt sich jedoch sagen, daß die traditionelle Vorstellung von den rationalen und emotionalen Bereichen im Verhalten eines Menschen durchaus zutreffend auf die Vorstellung von Wirkungen der Massenkommunikation übertragen werden kann. Hier unterscheiden wir zwischen Wirkungen auf Einstellungen und Wirkungen auf Verhaltensweisen, wobei die Wirkungen auf Einstellungen, weil es sich um tiefergehende Strukturprozesse handelt, wohl mehr mit rationalen Aspekten in Verbindung gebracht werden können, während die Verhaltensweisen sowohl rationaler wie auch emotionaler Natur sein können.

Da Verhaltensweisen und Einstellungen sehr komplexe Phänomene sind, ist es angebracht, auf die Problematik hinzuweisen, die daraus entsteht, daß Forschungen auf diesen Gebieten meistens fachspezifisch durchgeführt werden. Man müßte, um wenigstens Annäherungswerte an die Realität zu erhalten, interdisziplinär verfahren, einen ständigen Austausch unter Spezialisten haben, die auf allen möglichen Gebieten die Ansätze gegenseitig überprüften. Wenn man berücksichtigt, daß die dabei gewonnenen Daten nur im Wege der elektronischen Datenverarbeitung auszuwerten sind, kann man sich vorstellen, welcher finanzielle Aufwand erforderlich ist, um diese Dinge in den Griff zu bekommen. Die Erörterung über die Wirkung der Massenmedien hat sich in letzter Zeit von der Werbe-wirkung merklich auf das Problem der drohenden Gefahren, insbesondere für Kinder und Jugendliche verschoben. Die Londoner , Times’ brachte am 19. Oktober 1971 auf der ersten Seite einen Bericht aus New York über Vorträge amerikanischer Pädagogen. Dr. Gerald Looney von der University of Arizona wußte zu berichten, daß das durchschnittliche amerikanische Kleinkind (bis zu 4 Jahren) 64 °/o seiner Wachzeit vor dem Fernsehen zubringe. Das sei länger als ein Student während eines vierjährigen Studiums im Hörsaal sitze. Wenn das Kind 14 Jahre alt werde, so habe es vermutlich 18 000 Morde (6 pro Tag) im Fernsehen gesehen und 350 000 Werbespots. Der Durchschnittsamerikaner verbringe bis zu seinem Tode insgesamt etwa 10 Jahre seines Lebens vor dem Bildschirm. Dr. Looney ist der Meinung, daß der historische Primat der Eltern und Erzieher mehr und mehr durch die elektronischen Medien usurpiert werde.

Bei der gleichen Gelegenheit wußte Dr. Richard Finebloom von der Harvard University zu berichten, viele Eltern hätten sich angewöhnt, ihre Kinder vor dem Bildschirm abzustellen. Dies aber beraube die Kinder der so wichtigen sozialen Kommunikation. Aversion gegen das Fernsehen und gegen eine moderne Einstellung zu Erziehungsfragen scheinen hier zu korrelieren. Ernstlich wird man jedoch unterscheiden müssen zwischen der Unfähigkeit von Eltern, die Erziehungsaufgabe gegenüber ihren Kindern wahrzunehmen, und den Darbietungen eines Fernsehprogramms, das nicht auf eine unreflektierte Rezeption abgestellt sein kann. Daß allzuviel ungesund ist, gilt sowohl in physischer wie in psychischer Hinsicht ebenso sehr für Kinder und Jugendliche wie für Heranwachsende und Erwachsene. ES ist gewiß gut, daß im Wege der Diskussion über die Problematik der Brutalität im Fernsehprogramm die Frage der Gesamtstrukturen dieses Programms reflektiert wird.

I. Anfänge und Entwicklung der Wirkungsforschung

Die erste deutschsprachige Studie, die Publizistik im Hinblick auf Rezipienten untersuchte, wurde 1930 in Dortmund veröffentlicht. Ihr Titel: Die Zeitung und ihr Publikum'. Der Verfasser, Alfred Peters wollte einen Beitrag zur Soziologie der Zeitung, zur Grundlegung der Zeitungswissenschaft nach der soziologischen Seite liefern. Publikum wurde in seiner besonderen „Wesensfunktion", insbesondere gegenüber jeder Art von sozialer Organisation verstanden und „in seinem demgemäßen Eigenleben gegen die es in erster Linie beeinflussenden Faktoren, gegen Führer-und Vermittlertum" abgegrenzt. Die Mittlerfunktion der Zeitung ergab sich nach Peters einzig aus der Tatsache der Befriedigung eines vorliegenden Bedürfnisses im Publikum, einem Publikum, das nach damaliger Vorstellung als „unbegrenzte Menge von Menschen" definiert wurde, die ungeachtet ihrer Zerstreuung und endlosen Verschiedenheit möglicherweise in einem gleichen Sinne denke und urteile.

Damals begann die Soziologie mit dem un-differenzierten Massenbegriff unzufrieden zu werden. An Stelle des „zerstreuten dispersen Publikums" führte Peters die Begriffe des primären und des sekundären Publikums ein, von denen der erste das homogene und der zweite das „dishomogene" Publikum meinen sollte. Er sprach in diesem Sinne auch nicht mehr von öffentlicher Meinung, sondern von Öffentlichen Meinungen, die sich in dem primären Publikum bildeten.

Auch der Begriff der Prädisposition taucht hier schon auf, wenn auch in anderer Formulierung, wenn Peters sagt: „Sie (die öffentlichen Meinungen) stehen der öffentlichen Meinung an Dauer prinzipiell nicht nach, sie sind ebenso möglicherweise Träger von Traditionen wie diese." öffentliche Meinungen können nach diesem Verständnis als Auswirkungen der Massenkommunikation begriffen werden. Diese Differenzierung versuchte, den gewissermaßen überpersönlichen oder — nach Peters — unpersönlichen Charakter der öffentlichen Meinung auf das Individuum zu beziehen.

1932 wollte Hans Amandus Münster mit seiner Studie . Jugend und Zeitung die geisteswis senschaftlich-spekulative Richtung der Forschung durch empirische Erhebungsverfahren ergänzen. Münster konnte eine große Umfrage des Deutschen Instituts für Zeitungskunde in Berlin verarbeiten, die sich auf Erhebungen in Berliner Schulen und bei Jugend-verbänden stützte. In Anbetracht der noch wenig entwickelten Techniken hatte Münster aus dem Gesamt des Publikums die Gruppe der Jugendlichen als relativ überschaubar herausgegriffen. Anreger des Unternehmens war zweifellos Emil Dovifat, der damalige Direktor des Instituts für Zeitungskunde in Berlin, der bei einem Besuch in den Vereinigten Staaten die dort angewandten empirischen Verfahren kennengelernt hatte und sie nun punktuell in Deutschland anzuwenden begann. Aus der Schule von Dovifat ist ja auch Elisabeth Noelle hervorgegangen, die als Protagonistin der heutigen Wirkungsfor-

schung in der Bundesrepublik gilt

Die noch recht spekulative Betrachtungsweise von Peters erhielt ihre normativ-politische Dynamik in dem 1935 erschienenen Buch von Joseph H. Krumbach 'Grundfragen der Publizistik. Die Wesenselemente des publizistischen Prozesses, seine Mittel und Ergebnisse'5). Das erste, Propaganda überschriebene Kapitel, deutet die Richtung an. Trotzdem hat diese Arbeit wegen ihrer auf die „sozialpsychischen Tatsachen" bezogenen Thematik für die weitere theoretische Entwicklung eine gewisse Bedeutung. Auch hier wird vom Publikum als dem zentralen Begriff der Zeitung gehandelt und schon so etwas wie ein kommunikativer Aspekt bei der Betrachtung von „Ich-Du-Beziehungen" und „WirErleben im Publikum" angewendet. Solche terminologischen Fortschritte werden aber unter einem Wust von massenpsychologischen Gemeinplätzen verdeckt. Die Zeitung wird allerdings im Sinne nationalsozialistischer Propaganda allein in ihrer Meinungsführungs-Funktion begriffen.

Schon im Titel ganz ausgeprägt ist die gleiche Tendenz in der Münchener Dissertation von Fritz List , Die Tageszeitung als publizistisches Führungsmittel unter besonderer Berücksichtigung der Reichweite und der Grenzen ihrer Wirkung', aus dem Jahre 1939. Im Gegensatz zu den vorher genannten Arbeiten, die weitgehend spekulativ, also im traditionell geisteswissenschaftlichen Sinne arbeiteten, wurde von List erstmals eine Befragung durchgeführt, und zwar mit der Prämisse „Da der Führungseinfluß der Zeitung nicht nur vom Bezugsverhältnis, sondern auch von wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und psychologischen Bedingungen abhängt, konnte auf den Versuch, die Berufs-und Bildungsverhältnisse und die politische und sonstige Interessiertheit festzustellen, nicht verzichtet werden." List bemühte sich, sowohl die Objekte des Zeitungswirkens exakt zu befragen, wie auch von denen Auskünfte zu erlangen, die durch ihre tägliche berufliche Arbeit in engster Fühlung mit dem für den Zeitungsbezug in Frage kommenden Publikum stehen. List war sich bewußt, daß er bei seiner Methode sogenannte pseudostatistische Verfahren in Anspruch nahm. Er hielt das damals noch für einen methodischen Vorteil, weil nach seiner Ansicht gerade die Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens dem Statistiker immer wieder zeigten, daß sie sich einer quantitativen Erfassung und Analyse gegenüber als außerordentlich spröde erweisen. Wenn die von List vorgelegten Ergebnisse auch wenig wissenschaftliche Relevanz hatten, so zeigen sie doch, daß man in der Zeitungswissenschaft die Problematik, die heute mit Wirkungsforschung umschrieben wird, erkannt hatte.

Die 1936 in der Festgabe für Oskar Wettstein erschienene Studie . Psychologie und Zeitungskunde'von Jules Suter ist zweifellos nicht das Ergebnis einer systematischen Neuorientierung in Richtung auf die Psychologie gewesen, sondern dem zeremoniösen Anlaß zuzuschreiben, daß ein Psychologe seinem Kpllegen aus der Zeitungskunde eine Geburtstagsgabe überreichen mußte. Immerhin ist doch interessant, was bei einer solchen flüchtigen Begegnung herauskam. Wohl nicht zufällig schreibt Suter nämlich über die Psychologie der Leserschaft und das Verhältnis von Redaktion und Leserschaft. Schließlich läßt sich Suter auch über die Aufgaben der Zeitung aus. Heute würde man von Funktionen sprechen.

Suter hat später einen seiner Schüler, Hanns Heinrich Baumann, angeregt, eine Dissertation . über die psychologische Funktion der Presse zu schreiben, die erste kontinentaleuropäische Studie, die sich empirisch um „das psychologische Verstehen des Zeitungs-lesers" bemüht. Baumann konnte darauf aufmerksam machen, daß die einseitige Bezugnahme auf die sogenannte Massenpsychologie unzureichend war; auch die moderne Presse habe nur zum Teil Massenwirkungen erzeugt, diese auch gar nicht immer beabsichtigt. Trotzdem sei die Zeitungswissenschaft bei älteren psychologischen Ansätzen geblieben. Sie habe in der Anwendung der Psychologie nicht Schritt gehalten mit der Entwicklung dieser Disziplin. Andererseits habe sich die Psychologie nicht genügend mit der Kernfrage: Presse und individueller Zeitungsleser, beschäftigt. Baumann sah den Zeitungsleser in seiner individuellen Rezipienten-Situation, jedoch auch in seiner jeweiligen sozialen und kulturellen Den Stand der damaligen Forschung belegt gleich der erste der von Baumann: Absatz Dissertation „Die Presse gilt heute als integrierender Teil der modernen Kultur; ihre Bedeutung und Wirkung sind prinzipiell unbestritten. Dagegen wird der Bereich, die Art, Stärke und Tiefe der Auswirkungen ganz verschieden beurteilt, sowohl bei den praktischen Erfahrungen wie auch in der wissenschaftlichen Erforschung des Zeitungswesens." Baumann arbeitete bei seiner Erhebung mit formalisierten Fragebogen, die er einer nicht näher bezeichneten Zahl von Erwachsenen im Kanton Zürich und mehr als 1800 Schülern dortselbst vorlegte. Er konnte sich dabei auf die Mitarbeit des Journalistischen Seminars der Universität Zürich stützen. Uber Verhalten und Erleben beim Zeitungslesen schreibt Baumann: „Der Leser strebt als Individuum nach einer Orientierung in seiner Umwelt, und zwar nach verschiedenen Richtungen. Seine Bedürfnisse werden zum Teil durch die Presse befriedigt. Andererseits macht ihn die Tatsache, daß die Ereignisse und Sachverhalte in den verschiedenen Zeitungen bei der Berichterstattung verschieden ausgewählt, nach verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt und kommentiert werden, gegen die Zeitungen kritisch, mißtrauisch. Besonders die Parteipolitik ruft eigentliche Abneigung gegen die Zeitungen hervor, eine Erscheinung, auf die in der Zeitungskunde schon oft hingewiesen wurde."

Fast gleichzeitig mit der Studie von Baumann erschien 1940 in Deutschland eine Arbeit von Karl Kurth und Wolfgang Hollmann 'Die Wirkungsgesetze der Presse. Gedanken über den Zusammenhang von Volkstum und Nachrichtengestaltung Sie ist stark propagandi-stisch angelegt und behandelte einleitend „Das Geheimnis der Pressewirkung": „Nicht der Zeitungsgegenstand, das in regelmäßigen Abständen überall käufliche mit schwarzen Zeichen bedruckte Stück Papier ist die Ursache der Pressewirkung: Die Menschen sind es, die sich dieses Mittels 'Zeitung'bedienen und mit ihm wirken wollen."

Das „Geheimnis der Pressewirkung" erweise sich als identisch mit dem „Geheimnis der Pressegestaltung". Kurth und Hollmann bezogen sich ihrer Untersuchung, bei die wiederum nicht statistisch-empirischer, sondern exemplarischer Natur war, auf höchste Anweisungen; denn Reichspressechef Dietrich hatte auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP 1938 davon gesprochen, daß die Fragen nach der Daseinsberechtigung den -und Wirkungs gesetzen der Presse tief in das Bewußtsein der Massen gedrungen seien — ein Wort, das in einer Schrift von Reichshauptstellenleiter Helmut Sündermann, dem Stabsleiter des Reichs-Pressechefs, zu einem unmittelbaren Arbeitsauftrag an die deutsche Zeitungswissenschaft zur Erforschung des „Psychologischen Wirkungskreises der Zeitung" geworden war. Fast gleichzeitig mit der erwähnten propagandistischen Untersuchung von Kurth und Hollmann veröffentlichte Elisabeth Noelle 1940 ihre Berliner Dissertation 'Amerikanische Massenbefragungen über Politik und Presse'. Die Verfasserin hielt sich 1937/38 als Austauschstudentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der University of Missouri auf. Sie beginnt mit einer Definition der Rolle, die die Öffentlichkeit in Amerika und Deutschland spielt: „In der großen 'Demokratie'jenseits des Meeres hat sie die Stellung einer Aktiengesellschaft, deren Millionen Teilhaber die Politik des Unternehmens diktieren. Im nationalsozialistischen Deutschland erscheint sie uns als Volkskörper, der seine Anweisungen vom Kopf empfängt und deren Durchführung gewährleistet, so daß durch Zusammenarbeit von Kopf und Gliedern überzeitliche politische und kulturelle Werte geschaffen werden können. Im einen Fall herrscht die Öffentlichkeit, im anderen wird sie geleitet. Gemein ist beiden Ländern die Auffassung, daß ohne Anteilnahme und Unterstützung der Öffentlichkeit eine Regierung keine Daseinsberechtigung hat.“ Den Ursprung der Massenbefragungen sah Noelle in der „Kaufmannsmentalität'der Amerikaner: Befriedigung der Nachfrage als Dienst an der Öffentlichkeit. Als methodische Ansätze, in das Wesen der Massen einzudringen, boten sich nach Noelle die mehr psychologische und die soziologische Methode an. Die psychologische Methode löse das Problem der Masse auf, indem sie die Vielzahl verschiedener Individuen auf eine Formel, die Formel der typischen Menschen bringe. Zu dieser Formel gelange der Behaviorismus, der in den USA besonders wirksam sei, indem er von den inneren und damit unbeweisbaren Vorgängen im Menschen abseha und nur das nach außen hin sichtbare menschliche Verhalten registriere. Bestimmte regelmäßige Verhaltensweisen des Menschen in Berührung mit der Umwelt würden als gesetzmäßig gedeutet, und zwar als eine gesetzmäßige Abfolge von Reizen und Reaktionen.

Das 1937 erschienene Buch von Dale Carnegie 'How to win friends and influence people machte von den grundlegenden Erfahrungen des Behaviorismus Gebrauch, um die Prinzipien der Psychologie im täglichen Umgang der Menschen anzuwenden. Der Psychologismus, der nach dem Erscheinen dieses Werkes die Amerikaner ergriff, war von Elisabeth Noelle bei ihrem Aufenthalt erlebt worden. Die Verwendung von Symbolen im politischen Kampf, Symbole, die sorgsam berechnet, freundliche oder unfreundliche Reaktionen auslösten, spielten von nun an eine wichtige Rolle. Die Propagierung solcher Symbole und die Überzeugung von ihrer Wirksamkeit haben wiederum dazu geführt, daß in der Inhaltsanalyse politischer Aussagen die Entwicklung eines auf solchen Symbolen basierenden Kategoriensystems möglich war. Wir haben es also bei der Massenbefragung mit der Vorstufe jener Erhebungsverfahren zu tun, die in der systematischen Inhaltsanalyse gewissermaßen den umgekehrten Weg zur Aussage zurück und zu ihrer Intention verfolgenn). Elisabeth Noelle schilderte die soziologische Methode als das Verfahren, das ebenfalls davon ausgehe, daß sich Öffentlichkeit aus Individuen zusammensetze. Individuen aber könne man beobachten und um ihre Meinung befragen. Aus solcher Beobachtung sei der Behaviorismus zu der Formel vom typischen Menschen gekommen. In dieser Formel werde von allen Einzelheiten und individuellen Besonderheiten abstrahiert und nur die grundsätzlich sich wiederholende

Persönlichkeitsstruktur herausgearbeitet, die sich aus dem arithmetischen Mittel von Daten ergebe. Aus der Überzeugung, daß dieser Durchschnitt das soziologische Maß für die gesellschaftlichen Verhältnisse darstelle, entstand die Qualität, daß dieser Durchschnitt zugleich das Richtige und Beste verkörpere. Zunächst wurden diese Prinzipien in der Werbung angewendet, und zwar entsprechend dem Stand der amerikanischen Entwicklung in der Rundfunkwerbung. Das 1938 erschienene Buch von Herman S. Hettinger und Walter J. Neff Practical Radio Advertising’ beschrieb den Durchschnittsamerikaner als einen verheirateten Mann mit einem Jahresverdienst von etwa 2000 Dollar und 2 Kindern. Er war vorzeitig aus der Schule abgegangen, besuchte wöchentlich einmal das Kino und interessierte sich für Sport, insbesondere für Baseball.

Solche Faustregeln waren aber selbst den Amerikanern unheimlich, und man verlangte danach, daß das Studium der Gesellschaft objektiviert werden müsse. So entstand die moderne empirische, induktive, quantitative Soziologie, die glaubte, der Mensch werde von seiner Umwelt geformt. Mit Hilfe statistischer Verfahren versuchte man die Auswahl typischer Umwelten nach Bevölkerungsdichte (Großstadt, Kleinstadt, ländlicher Bezirk), nach geographischer Lage und nach der Erwerbsstruktur. Die Wirkung von Schule, Kirche, Klub, Zeitung, Kino, Radio usw. wurde analysiert und der Mensch selbst in seiner primären Umgebung.

Die ersten beiden Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg waren angefüllt mit sozialer Demologie, wobei ähnlich wie in Deutschland der Begriff der Masse eine erhebliche und komplizierte Rolle spielte. Dem Zeitgeist entsprechend, meinte Noelle, die amerikanische Massenbefragung beziehe sich immer noch auf die Vorstellungen von Le Bon dessen Massenpsychologie auch in Hitlers 'Mein Kampf eine erhebliche Rolle spielte. Diese Art von Massenpsychologie stellte es als typisch dar, daß der Mensch in der Masse als bewußte Persönlichkeit verlorengehe, daß emotionale Erlebnisse und Gedanken durch Suggestion und gegenseitige Ansteckung in eine Richtung orientiert werden könnte, daß Autoritatismus und Intoleranz, Simplizität des Seelenlebens und ähnliches die Verschiedenartigkeit der Individuell aufhebe. Diese Erscheinungen, die Le Bon nur bei der in Aktion befindlichen, zusammengerotteten Masse beobachtet haben wollte, und zwar, wie wir wissen, rein spekulativ, am Beispiel der Revolutionen, glaubte nun Noelle, beständig in einem großen Teil der amerikanischen Bevölkerung verzeichnen zu dürfen, die sie als eine latente Masse ansprach.

Aus solchen Vorstellungen entwickelte sich die Anschauung von der Gültigkeit der repräsentativen Querschnitte, d. h.der Gültigkeit von Befragungen einer Auswahl von 2000 und weniger Menschen als repräsentativ für eine wesentlich größere Zahl von Individuen. Bei Elisabeth Noelle las sich das 1940 so: „über die Eignung des amerikanischen Publikums, Gegenstand von Massenbefragungen zu sein, kann kein Zweifel bestehen, wenn man an der Annahme eines latenten Massencharakters der Amerikaner festhält." Und sie zitierte einen amerikanischen Soziologen aus dam 19. Jahrhundert, der eine ungewöhnliche Homogenität als günstige Vorbedingung für das Funktionieren einer 'wahren Demokratie'bezeichnet hatte, wenn er schrieb: „Was der Unternehmer denkt, denkt sein Arbeiter. Was der Großhändler fühlt, fühlen die kleinen Ladenbesitzer und die ärmeren Kunden. Es liegt auf der Hand, daß dies dazu beiträgt, die öffentliche Meinung leichter zu ermitteln."

Die Arbeit von Noelle zeigt, daß man in den Vereinigten Staaten in der Kritik der Befragungstechniken 1940 ziemlich weit vorangekommen war. Im Gegensatz zum heute vielfach üblichen Gültigkeitsanspruch vertrat sie die Ansicht, daß der Zweck der Massen-befragungen nicht die Errechnung absoluter Zahlen, sondern die Ermittlung von Annäherungswerten menschlicher Verhaltensweisen sei, die schon ihrer Natur nach nicht absolut meßbar seien Noelle betonte, die Zahl der Befragten müsse wachsen, wenn die innere Ungleichartigkeit der zu analysierenden Masse zunehme und demzufolge die Ansichten sehr stark divergieren.

Wegen der hohen Kosten hatte man das soge-nannte Panel-System entwickelt, das von Lazarsfeld 1938 im „Public Opinion Quarterly" geschildert wurde Danach befragte man einen einmal ausgewählten repräsentativen Querschnitt in gewissen Abständen immer wieder. Seit der Jahrhundertwende waren in den Vereinigten Staaten Befragungen mit Hilfe von Fragebogen durchgeführt worden, wobei man eine Ausfallquote von bis zu 75 % in Kauf nehmen mußte. Um 1930 entschied man sich jedoch mehr und mehr für die mündliche Befragung, das Interview, insbesondere seitdem 1926 in einem Standardwerk über die Prinzipien der Werbung in den USA bezweifelt worden war, daß die unpersönlichen Fragebogen gute Ergebnisse bringen könnten. So entstand der Kompromiß zwischen Interview und Fragebogen, der die Vorteile beider Verfahren zu vereinigen suchte.

Bis auf wenige methodische Verfeinerungen ist die Demoskopie und damit die Publikums-forschung seither nicht wesentlich verändert worden. So hat auch die jüngste Entwicklung auf dem Gebiet der Umfrage keine Revolution gebracht. George Gallup jr. schildert im Heft 2/1971 von „Public Opinion Quarterly" das sogenannte „public opinion referendum", das im November 1970 vom American Institute of Public Opinion angewendet wurde. Man geht dabei von regionalen Einheiten aus, in denen jeder Haushalt befragt wird, wobei die Erhebungen in den Bezirken selbst organisiert werden statt durch professionelle Interviewer. Diese Art von Referendum soll die Befragungs-Situation der Wahlsituation angleichen.

Schon wesentlich früher ist dieses Verfahren auch auf die Situation von Rundfunk-und Fernseh-Hörern angewendet worden, die man unmittelbar nach bestimmten Sendungen telefonisch ansprach. Das reine Messen von Einschaltquoten hat sich sehr bald als wenig aufschlußreich erwiesen, weil man nie wußte, wieviel Leute denn nun wirklich vor einem eingeschalteten und erfaßten Empfangsgerät saßen und wie sie auf die dargebotene Kommunikation reagierten.

Ihre während des Studiums gewonnenen Erfahrungen hat Elisabeth Noelle bei der Gründung des Allensbacher Instituts für Demoskopie nach 1945 sehr geschickt ausgewertet. Es gelang ihr, in Zusammenarbeit mit Fritz Eberhard, der 1961 Nachfolger von Emil Dovifat in Berlin wurde, ihre Vorstellungen von empirischer Wirkungsforschung in die Publizistikwissenschaft einzubringen. Zuvor hatte sie jahrelang mit Eberhard, der Inten, dant des Süddeutschen Rundfunks war, dis Rundfunkhöreranalyse im südwestdeutschen Raum betrieben

Für die Darstellung der Entwicklung in der Wirkungsforschung, soweit sie sich in der Publizistikwissenschaft etabliert hat, bieten sich die Jahrgänge der „Publizistik" an In der 1960 erschienenen Festschrift für Emil Dovifat gab Elisabeth Noelle zum ersten Mal einen Bericht über den Stand der empirischen Studien unter dem Titel „Die Wirkungen der Massenmedien". Elisabeth Noelle mußte gestehen: „Obwohl wir heute über die Massenkommunikationsmittel und ihr Publikum mehr wissen, als je zuvor in der Geschichte Publizistikwissenschaftler gewußt haben, fühlen wir uns, wenn wir ausdrücklich auf die Funktion und die Wirkung der Massenmedien angesprochen werden, unsicher." Diese Unsicherheit ist auch in der Zwischenzeit nicht beseitigt worden, weil das Anhäufen quantitativer Daten nicht einen plötzlichen Umschlag ins Qualitative verbürgt, sondern ganz im Gegenteil wegen der Widersprüchlichkeit dieser Zahlen und ihrer methodischen Probleme neue Unsicherheiten verursacht. Nach Noelle fallen unter den Begriff Forschung im Bbreich der Massen-kommunikation alle jene Bemühungen, die sich statistischer Nachweismittel bedienen. Es ist also empirische Forschung im weitesten Sinn gemeint. Das geläufigste Instrument der empirischen Sozialforschung, die repräsentativ-statistische Erhebung, ist heute in Verbindung mit dem Begriff „Meinungsforschung" oder „Marktforschung" allgemein bekannt.

Wenn sich Forschung damals offensichtlich nur als kommerzielle Meinungs-oder Marktforschung darstellte, so erhebt sich die Frage, in welcher Relation diese Auftragsforschung, die sie ja doch ist, zur Wissenschaft steht. Diese Frage wird aber von den Demoskopen nicht gestellt, sondern sie neigen dazu, alles für wichtig und wertvoll zu halten, wenn es einen Auftraggeber interessiert. Selbst wenn es, wie in der Auftragsforschung üblich, nicht zur Publikation der angewendeten Verfahren und der Ergebnisse solcher Untersuchungen kommt, so halten sie doch die Ergebnisse für die wissenschaftliche Wirkungsforschung für äußerst wertvoll. Der wissenschaftliche Nutzen ist jedoch gering, denn indem man die Auftraggeber, die zum Teil öffentliche Auftraggeber sind, in dem Glauben läßt, hier geschehe wissenschaftliche Forschung im Interesse der demokratischen Öffentlichkeit, nimmt man den Instituten geradezu die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, weil die Mittel kommerziell verwaltet werden.

So ist es dazu gekommen, daß in der Wirkungsforschung heute nicht die Interessen der Forschung an sich im Vordergrund stehen, sondern die Bedürfnisse eben jener Praxis, die sich darüber orientieren will, wie die Reichweite von Zeitungen nnd Zeitschriften und die Resonanz von Programmen des Hör-und Sehfunks beim Publikum is:. Mit den Worten von Elisabeth Noelle: „Heute will man wissen, nicht was eine Anzeige pro 1000 Exemplare kostet, sondern pro 1000 Kontakte, d. h. pro 1000 Personen, die ein Blatt in die Hand nehmen, und man verlangt einen Nachweis der statistischen Zusammensetzung des Leserkreises. Heute orientiert sich in bestimmten Rundfunkstationen, beispielsweise im BBC oder im Süddeutschen Rundfunk, kein Programmgestalter mehr anhand von Hörer-briefen über die Wirkung seiner Programme oder jedenfalls nicht allein anhand von Hörer-briefen." Unsere maßgebende Demoskopin behauptete 1960, daß es zuverlässige Methoden gebe, mit denen man feststellen könne, wie groß die Leserschaft einer Nummer oder eines Exemplars einer Zeitschrift sei, wieviel Leser pro Exemplar die Tagespresse besitze, wieviel Menschen einer Rundfunksendung zuhören oder einem Fernsehprogramm zuschauen, wie-viel Filmbesucher sich den Vorspann ansehen, wieviel Menschen durch eine Plakat-Aktion erreicht werden. Das inzwischen eingetretene Debakel in der Leserschaftsforschung, das 1970 fast zur Einstellung aller Arbeiten auf diesem Gebiet geführt hat, relativiert diese vor elf Jahren gegebenen Prognosen ebenso wie die Behauptung, daß die Publikumsanalysen unter der Voraussetzung, daß sie von geschulten Kräften durchgeführt werden, zuverlässige Ergebnisse liefern müßten. Das erste Ergebnis, daß die Demoskopie der 50er Jahre zutage förderte, war, daß die Auflagenziffer, die immer noch einen Anhaltspunkt für die Verbreitung und die Reichweite einer Zeitung ist, im Grunde keinen echten Maßstab liefere, weil man nämlich davon sprechen könne, daß einige Zeitschriften pro Exemplar 3 Leser, andere aber bis zu 20 Lesern verzeichnen. Ferner beseitigten die Leser-9 analysen den Begriff des sogenannten „Exklusiv-Lesers" bei großen Publikumszeitschriften. Man hatte gefunden, daß die meisten Menschen neben Illustrierten auch noch andere Periodika lesen. Der Exklusiv-Leser aber, soweit er sich überhaupt ausfindig machen ließ, wäre „ein ganz armer Wicht", der in bescheidenen Verhältnissen lebt, mit geringer geistiger Neugier und sozialem Kontakt ausgestattet sei sowie wenig Interesse für Publizistik besäße

So hatte die Leserschafts-„Forschung" zutage gefördert, was einiger logischer Überlegung sich auch so hätte herausfinden lassen, allerdings viel billiger, daß nämlich die Gemischtwarenhandlung „Illustrierte" einen ziemlich heterogenen Käuferkreis besitzt, zumal wenn man berücksichtigt, daß ein großer Teil der Exemplare dieser Illustrierten im Wege von Lesemappen durch Wartezimmer und Familien geschleust wird.

Als einen fulminanten Erfolg buchte Elisabeth Noelle, daß sie den Glauben zerstören konnte, für das Fernsehen in erster Linie interessierte Leute fänden den Rundfunk unbefriedigend — und umgekehrt: wer den Rundfunk unbefriedigend finde, interessiere sich für das Fernsehen. Obwohl nicht bekannt ist, wer zuvor diese Behauptung aufgestellt hatte, wenn nicht die Demoskopie selbst, um eine Hypothese zu haben, die man falsifizieren könne, muß doch eine solche Untersuchung im Hinblick auf den rapiden Vormarsch des Fernsehens ganz allgemein als ziemlich sinnlos bezeichnet werden. Wenn praktisch alle Haushalte in der Bundesrepublik in einem Prozeß von 20 Jahren ein oder mehre Jahren ein oder mehrere Fernsehgeräte anschafften, so spielte dabei die Frage, warum die Leute das tun, im Grunde keine Rolle mehr, sondern es wäre interessanter gewesen, zu untersuchen, welche Funktion der Hörfunk in diesem Prozeß noch besitzt. Im übrigen würde man wahrscheinlich bei einer Untersuchung der Basis unserer Konsumgesellschaft, ferner der Werbung und der Verhaltensweisen in den Primärgruppen wieder auf die Bedürfnisfrage zurückkommen, wobei man berücksichtigen muß, daß Bedürfnisse in der Konsumgesellschaft auf ganz bestimmte Weise entstehen: erinnert sei nur an den Auto-Boom und den Geschirrspüler-Boom, wie sie von unserer Industrie mit Erfolg betrieben wurden. Die Demoskopie lieferte die für die Werbung erwünschten Prestige-momente, daß derjenige, der sich ein Fernsehgerät möglichst bald anschaffte, ein überaus interessierter Mensch sei, und zwar an Nachrichten und Unterhaltung interessierter Mensch: „Es waren Leute, die sich intensiv für die weitere kulturelle und politische Umwelt interessierten und daher im übrigen auch mehr Zeitschriften und Zeitungen lasen als andere." 19) Mit solchen Werten ausgestattet, konnte die Rundfunkindustrie gleich einen ganzen Satz neuer Fernsehgeräte aufs Band legen. Denn wer will schon in unserer Gesellschaft als armer Wicht gelten, der nicht ständig an seiner kulturellen und politischen Umwelt interessiert ist.

Und auch die Zeitungsverleger konnten mit den Interpretationen von Noelle zufrieden sein: denn sie konnten den Werbetreibenden sagen, „daß eine Bevölkerungsgruppe, die von einem Medium besonders gut erreicht wird, — auch von anderen Medien gut durchdrungen wird" 20). Fürwahr, die Zukunft unserer Tagespresse kann man unter solchen Aspekten nur als gesichert betrachten, selbst wenn es während der letzten zehn Jahre zu bedauerlichen Ausfallerscheinungen im Rahmen des Konzentrationsprozesses gekommen ist. Und auch jene, die über die Monopolisierungstendenzen etwa besorgt sein könnten, werden von Noelle beruhigt: „Damit wird zugleich klar, daß die Massenkommunikationsmittel gar nicht jene Ubiquität, jene totale und gleichförmige Wirkung haben, die man ihnen zu unterstellen gewohnt ist .... Für die politische Unterrichtung und Beteiligung einer Bevölkerung hat das gewisse Konsequenzen: Der sozusagen trägste Teil der Öffentlichkeit entzieht sich durch seine allgemeine Interessenlosigkeit gewissermaßen der politischen Aufklärung. In der Tat sind denn auch, um jene Bevölkerungskreise anzusprechen, politisch wie werblich, besondere Werbeinstrumente in Deutschland entwickelt worden. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte 'Mobil-werbung', eine Werbeorganisation, die motorisiert und mit Filmvorführgeräten ausgestattet in ländlichen, verkehrsarmen Gegenden jene Bevölkerungskreise anspricht, die sonst nur in dürftigem Kontakt mit der größeren poli tischen und sozialen Umwelt leben. Die Entwicklung dieses merkwürdigen Mediums, eines mobilen Film-und Tonträgers, geht un-mittelbar auf empirische Sozialforschung, auf Erfahrungen des communication research zurück." Aber mit der Reichweite, nicht genug, es muß auch noch etwas über die Wirkung gesagt werden. Noelle schreibt: „Bei einer experimentellen Überprüfung der Wirkung eines Informationsfilmes über die NATO wurde das Wissen der Bevölkerung über die NATO zunächst vor Anlauf einer speziellen Film-kampagne, die das Wissen über die NATO verbreiten sollte, getestet, und dann abermals nach Abschluß der Laufzeit."

Und was stellte sich heraus? Die Information der Bevölkerung über ds westliche Verteidigungsbündnis hatte sich in den Orten, wo der Film gezeigt worden war, praktisch kaum verbessert. Dagegen will das Bundesministerium für Verkehr 1957/58 bessere Erfahrungen gemacht haben, denn es konnte mit einer Film-serie über das Verhalten im Straßenverkehr angeblich einen deutlichen Eindruck bei den Zuschauern hinterlassen. Hier wird der Erfolg von Filmserien verglichen, die miteinander gar nicht verglichen werden können; denn dem NATO-Film hätte etwa ein Film des Bundesverkehrsministeriums entsprochen, der für den Verzicht auf Beteiligung am Kraftfahrzeugverkehr plädiert hätte.

Aber 1960 lagen wohl noch keine Kenntnisse darüber vor, daß Wirkungen von Massen-kommunikation abhängig sind von der Aufnahmebereitschaft und dem Interesse beim Rezipienten. Die Tatsache, daß ein Film irgendeinen Eindruck auslöst, bedeutet übrigens noch nicht eine Verhaltensänderung, ganz zu schweigen von Kurz-und Langzeitwirkungen. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer z. B. hat sich in den letzten 13 Jahren wohl nicht grundlegend verändert. Noelle reflektierte 1960: „Die Massen-kommunikationsmittel wirken nicht auf ein isoliertes Individuum, auf einen für sich, sozial vollkommen unabhängig arbeitenden Kopf ein, der, von der Zeitung, vom Rundfunk, vom Fernsehen mit Daten gefüttert wird, sondern sie wirken ein auf merkwürdige Sozialwesen, die sich je nach ihren sozialen Bindungen, in denen sie leben, recht verschiedene Informationsnahrung suchen."

Die Demoskopie — als Wirkungszoologie gleithsam — arbeitete damals auch daran, zu erkunden, ob man durch den Rundfunk „politische Bildung", oder bescheidener ausgedrückt, die Kenntnis politischer Begriffe verbessern könne. Zwei Jahre lang hatte man über den Süddeutschen Rundfunk bei der Erwähnung des Bundesrats jeweils die Bedeutung dieser Einrichtung erklärt. Aber nach einer Befragung mußte man feststellen, daß sich dadurch am Wissensstand der Hörer nichts änderte. Aus diesem sehr punktuellen Resultat zog Noelle die weitreichende Folgerung:

„Den pädagogischen Einwirkungsmöglichkeiten der Massenmedien sind also gewisse Grenzen gesetzt, vor allen Dingen, wenn es sich um die Vermittlung abstrakter oder, anders ausgedrückt, sozial nicht in unmittelbarem Sinne bedeutungsvoller Informationsstoffe handelt. Der Bundesrat gehört dazu. Man fühlt sich von seinen Entscheidungen kaum irgendwie betroffen. Das sähe vielleicht anders aus, wenn der Bundesrat Renten erhöhen könnte, oder wenn der Bundesrat durch eine weiten Bevölkerungskreise bekannte Persönlichkeit repräsentiert würde. Es liegt nach diesem Experiment klar auf der Hand, daß der Rundfunk durch partielle Bemühungen nicht die politische Bildung nachholen kann, die in den Bildungsinstitutionen versäumt worden ist."

Nach dem Stande der Forschung von 1960 ließ sich die Frage der Wirkung der Massen-kommunikation so beantworten, daß die Wirkung nicht nur von der Verbreitung, der Lautstärke, dem redaktionellen Stil, nicht nur vom Niveau und den Themen abhing, sondern vor allem davon, welchen Informationsstoff die Menschen annehmen oder zurückweisen. Und dies war wiederum nicht eine Frage zufälligen oder durch frühere Bildungseindrücke ausgelösten Interesses, sondern des aktuellen sozialen Kräftespiels, in dem sich ein Individuum befindet, seiner psychologischen Bedürfnisse, seiner materiellen Interessen Bei diesen Resultaten einer „Anpassungsdemoskopie" wird nie die Frage gestellt, woher die Interessen und Bedürfnisse des Menschen kommen, wer die Bildungsinstitutionen betreibt und welche Bildungsinhalte mit welcher Zielsetzung verbreitet werden. Man nimmt die Institutionen als solche hin, man nimmt als gegeben an, daß die Menschen die demokratischen Institutionen nicht kennen und fragt nicht, was die Gründe für diese Unkenntnis seien, weshalb es notwendig ist, daß in einer Demokratie eine demokratische Institution durch eine bekannte Persönlichkeit repräsentiert sein muß, um sie überhaupt bekanntzumachen, und warum nicht die Funktion in der Verfassung verankerter Institutio-nen vom Staatsbürger als notwendig akzeptiert wird. Diese Fragen liegen außerhalb der Interessen unserer Demoskopie.

1965 hat Noelle „Die Rolle des Experiments in der Publizistikwissenschaft" in der Zeitschrift „Publizistik" behandelt. Als wesentliches Element eines Experiments, auch im Bereich der Publizistikwissenschaft, wird die Kontrollgruppe angesehen, die gewissermaßen den Maßstab für Veränderungen in einem be'stimmten Zeitraum unter der Einwirkung von Massenkommunikation liefert: Findet man bei Kontrollgruppe 1 und Kontrollgruppe 2, experimenteller Gruppe 1 und experimenteller Gruppe 2 nach dem Experiment die gleichen Befunde, so ist erwiesen, daß die Vorherbeobachtung die Versuchsperson nicht beeinflußt hat bzw. bei der experimentellen Gruppe, daß nur der Testfaktor, aber nicht die erste Messung, sich auswirkte

Amerikanische Psychologen haben an diesem Verfahren Kritik geübt, weil das menschliche Verhalten nicht berücksichtigt werde. Allein die Tatsache der Messung am Anfang eines Experimentes kann das Verhalten von menschlichen Kontrollgruppen bereits verändern, so daß die Veränderung in Richtung auf das zweite Experiment überhaupt nicht mehr in Erscheinung tritt, weil man die Veränderung in der ersten Kontrollgruppe bereits als eine gegebene Ausgangslage betrachtet. Es wird also immer schwierig sein, zu bestimmen, ob vor Beginn eines Experiments die Kontrollgruppe und die Experimentalgruppe, an der die Veränderungen untersucht werden sollen, tatsächlich in ihren Werten übereinstimmen. Alles dies und manche anderen Probleme hat dann 1963/64 am Institut für Publizistik der Universität Münster zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der amerikanischen Kommunikationswissenschaft geführt. Darüber haben Franz Dröge und Winfried Lerg berichtet Sie stellten fest, daß in den Vereinigten Staaten das Interesse an einer „Theorie des Wesens aller Publizistik" zurücktrat hinter eher pragmatischen Suchaktionen nach ihrer Wirkung. Dennoch bleiben auch die amerikanischen Forschungen nicht von kulturkritischen Auslegungen verschont, wie das an den Publikationen von Schramm, Lazarsfeld, Merton und Klapper zu beobachten ist. Im Bereich der Wünsche und Ängste im Publi-kum haben sich die empirischen Verfahren jedoch als äußerst unzulänglich erwiesen. Vielmehr hat die inhaltsanalytische Untersuchung publizistischer Aussagen weitestgehende Erkenntnisse vermittelt im Hinblick auf die Normenstruktur einer Gesellschaft, wie sie sich in der Publizistik niederschlägt, wenn man voraussetzt, daß Publizistik in einem bestimmten Verhältnis zu den Erwartungen des Publikums steht. Andererseits hat die Münsteraner Kritik auf der Basis des damals dort uneingeschränkt akzeptierten Funktionalismus versucht, die empirischen Ergebnisse in diesen Zusammenhang hineinzuinterpretieren. Man glaubte 1965 bereits, die Hypothese als bestätigt ansehen zu dürfen, daß bestimmte informelle und formelle Bindungen des einzelnen in Gemeinschaft und Gesellschaft bestehen, und daß neben den publizistischen Zielen und prozessualen Faktoren auch das Publikum selbst einen solchen Faktor darstellt, der über den Wirkungsgrad des publizistischen Prozesses bestimmt.

Im übrigen trugen Lerg und Dröge 1965 vor: „Wirkungen hängen überdies nicht zuletzt von den Motivationen der Rezipienten und von deren Aufmerksamkeit (attention), der Erwartungslage der Aussage gegenüber ab. Auf diese Weise wird die Erforschung von Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu einer wichtigen Voraussetzung jeder Wirkungsforschung, wobei die Einstellungsanalyse vor allem Bedeutung hat, weil Einstellungen die Wahrnehmungen und die Art des Rezeptionsverhaltens beeinflussen. Meinungsforschung dagegen wird Wirkungsmöglichkeiten erkennen lassen, wo es um Ablehnung oder Bestätigung kollektiver Meinungen durch Publizistik geht: Wo Publizistik kollektive Meinungen bestätigt, ist sie wirksamer als dort, wo sie sich solchen entgegenstellt. Die Selbstwählmechanismen sind zum Teil hier angesiedelt. Neben der Bezeichnung Wirkung (effect) findet sich in der amerikanischen Literatur wechselweise das Wort 'Antwort'(answer) oder 'Rückäußerung (response) zur Charakterisierung der Kommunikationsfolgen (consequences), so vielfältig sie auch sein mögen. Man könnte den Begriff Wirkung für die sozialen, Antwort für die individuellen Weiterungen des Produkts der Funktion aus Kommunikator und Rezipient heranziehen." Unausgesprochen wird hier von der Münsteraner Schule Kritik an dem Noelleschen Kon-zept geübt, indem nämlich, ganz deutlich zwischen Wirkungsforschung und den Ergebnissen der Demoskopie unterschieden wird. Dieser Unterschied besteht tatsächlich in der Fixierung der Demoskopie auf die quantitative Erfassung von Einstellungen, während es der Wirkungsforschung vornehmlich um das Verhalten des einzelnen im Kommunikationsprozeß geht, also um die von dem Verhalten beeinflußten Einstellungsänderungen bzw. um das Verhältnis zwischen Verhalten und Einstellungsänderung. Das erschwert zweifelsohne die Arbeit und macht heute noch nicht entwickelte Techniken für die Experimente auf diesem Gebiet notwendig.

Weit schematischer hat Henk Prakke in seinem Beitrag zur Geschichte der Lasswell-Formel die Entstehung des Interesses an der Wirkungsforschung formuliert Harold Dwight Lasswell hatte 1947 in einem Vortrag angeregt, zur Beschreibung eines Kommunikationsprozesses fünf bestimmte Fragen zu beantworten, und dieser Fragenkatalog hat in der amerikanischen Massenkommunikationsforschung dann eine sehr wichtige Rolle gespielt: Who says what in which channel to whom with what effect? (Wer sagt was auf welchem Wege zu wem mit welcher Wirkung?) Im Grunde ist aus diesem Fragenbündel das heute allgemein akzeptierte Kommunikationsschema entstanden. Die letzte Frage, die nämlich nach der Wirkung, wird Basis der Wirkungsforschung, die eben doch mehr ist als Rezipientenforschung. Prakke meinte: „Der Bereich der Wirkungsforschung ... ist mit der bis heute entwickelten Methodik vorwiegend spekulativ zu umgreifen. Was an gesicherten Erkenntnissen vorliegt, haben Psychologen, Sozialpsychologen herausgefunden; doch lassen sich die Ergebnisse ihrer Betrachtungen und Experimente nicht verallgemeinern. Aus diesem Grunde sind sie gerade für die Publizistikwissenschaft nur bedingt brauchbar. Was die Soziologie unter dem Kennwort 'Meinungsforschung'an empirischen Ergebnissen zutage fördern konnte, war zumindest der Erkenntnis dienlich, daß publizistische Wirkungen komplex und deshalb selten ohne die Berücksichtigung mehrstufiger Prozesse und nichtpublizistischer Nebenwirkung festzustellen sind. Gerade die Isolierung publizistischer von einer Vielzahl weiterer Bestimmungsfaktoren für die Bildung 2 von Meinungen, Einstellungen, Verhaltensweisen ist das Kernproblem einer exakten Wirkungsforschung der Publizistik."

Erwähnt man schließlich noch die ebenfalls in der . Publizistik'1965 von Fritz Eberhard gestellte Frage „Macht durch Massenmedien?", so hat man in etwa den Kreis der damals an Wirkungsforschung interessierten Vertreter der Publizistikwissenschaft in der BRD umrissen. Eberhard versuchte im Gegensatz zu Noelle, die Frage zu beantworten, welche politische Relevanz Wirkungsforschung haben könnte und wie weit Publizistik im Herrschaftssystem nicht nur ein Instrument ist, sondern selbst wieder zu einem Wirkungsfaktor wird, für jene nämlich, die sonst in einer gate-keeperPosition vermutet werden, also den publizistischen Prozeß gewissermaßen in Betrieb halten. Eberhard führte drei Beispiele dafür an, welche Macht durch Massenkommunikatipnsmittel ausgeübt werden kann: 1.den Wahlsieg des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Kennedy 1960 über seinen Rivalen Nixon, ein Sieg, der angeblich durch Kennedys bessere Wirkung im Fernsehen beeinflußt gewesen sein soll, 2. die Ablösung des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß Anfang 1962 als Folge seines Verhaltens in der sog. Spiegel-Affäre, und 3. das Interview des Chefreporters der Süddeutschen Zeitung, Hans-Ulrich Kempski, im Januar 1960 mit dem Oberbefehlshaber der französischen Landstreitkräfte in Algerien, General Massu, das indirekt zum Aufstand in Algerien und damit zur Beendigung des Algerienkrieges durch de Gaulle geführt haben soll. Mit diesen Beispielen wollte Eberhard ausdrücken, daß die durch Massenmedien ausgeübte Macht offensichtlich von zwei Selektionsprozessen abhänge, einem zu Beginn des Kommunikationsprozesses auf der Seite der Kommunikatoren und einem am Ende des Kommunikationsprozesses auf der Seite der Rezipienten. Was aber den Prozeß der Meinungsbildung und Willensbildung betreffe, so verlaufe er in „äußerst komplizierten Bahnen". Die Ergebnisse der Meinungsforschung zeigten, daß die Massen-kommunikationsmittel in diesem Prozeß nur einen Faktor oder einige Faktoren darstellen. Der wichtigste Schutz der Demokratie besteht nach Eberhard darin, die Massenkommunikationsmittel unabhängig von den Regierungen zu halten und sie nicht einzelnen Par-teien monopolartig auszuliefern. Es sei eine der Publizistikwissenschaft, durch systematische Erforschung des Kommuni-kationsprozesses und seiner wirtschaftlichen Voraussetzungen genau die Stellen aufzuAufgabe zeigen, an denen die Unabhängigkeit der Massenkommunikationsmittel beeinträchtigt oder beseitigt werden könne.

II. Methodologie, theoretisches Konzept und einige Resultate der amerikanischen Wirkungsforschung

Die amerikanische Journalistik (journalism research) hat nicht viel eher als die deutsche Publizistikwissenschaft empirische Verfahren angewendet. Jedenfalls läßt sich aus der seit 1924 erscheinenden Fachzeitschrift 'Journalism Quarterly erkennen, daß man sich zunächst vorwiegend für historische und presserechtliche Themen interessierte. Daneben gab es eine schon recht intensive Kommunikationsforschung (commünication research), die im Bereich der experimentellen Psychologie und der empirischen Sozialforschung angesiedelt war. In den 30er Jahren kam es zur Begegnung zwischen Journalistik und Kommunikationsforschung, insbesondere unter dem Einfluß des Politologen Harold D. Lasswell, des Soziologen Paul F. Lazarsfeld und des Psychologen Carl I. Hovland. Die Ergebnisse dieser Arbeiten versuchte Wilbur Schramm in der 'mass commünication research'zusammenzufassen Pragmatisch, wie die Amerikaner denken, haben sie sich stets freigehalten von ideologischen Auseinandersetzungen über die Abgrenzung von Fächern, sondern sich weitgehend auf Themenbereiche konzentriert. In zahlreichen Anthologien wurde die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen fruchtbar gemacht, und es hat sich gezeigt, daß Kommunikationsvorgänge ein Gegenständ von Forschung und Lehre sowohl in der Psychologie wie der Soziologie, in den Wirtschafts-, Rechts-und Staatswissenschaften, in der Anthropologie und in der Politologie sein können, wie eben auch in der Publizistikwissenschaft. Man kann aber von den anderen Fachdisziplinen nicht unbedingt erwarten, daß sie Massenkommunikation als ihren zentralen Gegenstand betrachten.

Nachdem schon Anfang des 20. Jahrhunderts die Primärgruppen in ihrer soziologischen Relevanz entdeckt worden waren, haben Elihu Katz und Paul Lazarsfeld das Auftreten vn Variablen bei der Erforschung von Wirkun-gen, die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Normen in Kleingruppen behandelt Sie haben großen Einfluß auf die Münsteraner Schule gehabt, wo W. B. Lerg ein Protagonist der informellen Kleingruppenforschung geworden ist Man hat diese „originäre Publizistik" in Beziehung gesetzt zu der intermediären Publizistik, also jener Form von Kommunikation, die durch die Rezeption von mediärvermittelten Aussagen bestimmt ist.

Diese Phase der amerikanischen Forschung wurde abgelöst von der unter dem Eindruck des Koreakrieges wieder stark inspirierten Propagandaforschung, die im 2. Weltkrieg ihre erste Blüte erlebt hatte. Man versuchte ähnlich wie im Dritten Reich für die Propaganda gewisse Normensysteme zu entwickeln, um bestimmte Wirkungen zu sichern. Hauptvetsechser dieser Richtung war Wilbur Schramm. Er hat seine Ziele folgendermaßen formuliert

1. Publizistik als soziale Institution:

Der Kommunikator als Institution, seine Organisation und seine Rolle als Agent der sozialen Kontrolle (social cöntrol) sowie die Gesamtstruktur der Publizistik iit ihren dominanten Funktionen sollen unter die Lupe genommen werden. Dabei möchte Schramm die Verantwortung (responsibilities)

in der Publizistik, d. h. Normen publizistischen Handelns bestimmen.

2. Voraussetzungen publizistischer Wirkung:

Systematische Beschreibung und Deutung der verschiedenen Stufen publizistischer Prozesse, nicht der eigentlichen Wirkung;

Kommunikation als Ergebnis des Prozeßablaufs.

3. Ergebnisse publizistischer Wirkung:

Hier kommt ein sozialer Funktionalismus ins Spiel; denn es geht um die Leistung der Publizistik für den einzelnen und für die Gesellschaft; Integration und sozialer Wandel des Kommunikationssystems.

Bei diesen Bemühungen geht es aber auch darum, die Fülle der einzelnen empirisch gewonnenen Daten zu einer Theorie und in Modellen zusammenzufassen. An diesem Prozeß hat sich die 1953 gegründete Zeitschrift „Audio-visual communication review“ beteiligt. Wer sich über gemeinsame Forschungsarbeit mehrerer Disziplinen, über das mathematische Modelldenken und die Mathematisierung der Methoden sowie über die Ansätze zur Theoriebildung informieren will, sollte auf diese Zeitschrift zurückgreifen. Das Material aus 30 — 40 Jahren Forschung liegt nunmehr systematisch erschlossen vor Trotz aller methodischen Präzision, die in der amerikanischen Kommunikationsforschung angestrebt wurde, ist doch der kulturkritische Unterton in der Interpretation dieser Ergebnisse nicht zu überhören. Daneben stand der stets sehr starke Pragmatismus, der bis zu einem gewissem Grade auch einen soziologischen Opportunismus förderte, indem man nämlich nur das untersuchte, was aktuell war und daher finanziert wurde.

/Nicht zuletzt aber reüssierte eine dritte Richtung, die unter massivem Druck von Interessenten der publizistischen Praxis entstand. Man brauchte empirisches Dokumentationsmaterial in Industrie und Wirtschaft, um im Verein mit Werbeagenturen und ähnlichen Einrichtungen publizistisch wirksam werden zu können. Paul Lazarsfeld gründete 1944 das 'Bureau of Applied Social Research'an der Columbia University in New York. Es wurde eine Fülle von empirischem Datenmaterial erarbeitet, ohne daß dabei Wert auf eine formulierte Theorie gelegt worden ist Was die anzuwendenden Techniken betrifft, so gibt die bereits zitierte Lasswell-Formel von 1947 darauf keine Hinweise, ebensowenig wie die systematischen Versuche in Deutschland kaum ein Wort darüber verlieren. Alle empirischen Verfahren — das hat sich mittlerweile herausgestellt — müssen bei ihrer Anwendung auf konkretes Material angepaßt werden, so daß die Techniken, die zwar gemeinsame Methoden haben, in der Praxis meistens sehr stark modifiziert werden. Es gibt im wesentlichen drei Methoden: 1. die experimentelle Methode des Labor-versuchs, die zunächst einmal testet, wie sich bestimmte Verfahren in der Praxis anwenden lassen;

2. die Feldforschung, die im Grunde auf der Kulturanthropologie von Bronislaw Malinowski einem der Väter des Funktionalismus, beruht. Die teilnehmende Beobachtung hat dabei eine wesentliche Funktion;

15 9I 3. die Aussagenanalyse (content analysis)

Unter dem Aspekt dieser allgemeinen Methoden haben sich verschiedene Techniken entwickelt. Es hängt stark von der Orientierung des einzelnen Forschers ab, ob er Verfahren der allgemeinen Sozialforschung oder Statistik bzw. andere analytische Mittel in den Vordergrund rückt. Alle interessiert zweifelsohne die Wirkungsproblematik; denn man will die beiden Kausalfaktoren, Aussage und Rezipienten, näher bestimmen. Was die amerikanischen Untersuchungen gelehrt haben, seien es nun die Laborversuche, sei es die Feldforschung, sei es die Aussagenanalyse, das ist die Erkenntnis der engen Zusammengehörigkeit der Resultate aus allen drei Verfahren.

Dröge und Lerg haben 1965 auf diesen Tatbestand hingewiesen „Entsteht z. B. bei der Beobachtung des Fernsehprogramms der Eindruck, daß ein hoher Prozentsatz der Spiele kriminelle Gewalttätigkeit als zentrales Handlungselement aufweisen, und bestätigt eine exakte Aussagenanalyse diese Beobachtung, ergeben Untersuchungen des Fernsehpublikums ferner einen großen Anteil jugendlicher Zuschauer bei eben diesen Sendungen, dann kann die experimentelle Methode zur Prüfung und Hypothese herangezogen werden, daß eine Abhängigkeit zwischen steigender Jugendkriminalität und den Aussagen jener bestimmten Kategorie von Fernsehspielen besteht."

Ob allerdings der Optimismus berechtigt ist, der 1965 bei Dröge und Lerg noch zu verzeichnen war, daß man im Wege zusammenfassender Experimente die Variablen, die an solch einem Kommunikations-und Wirkungsprozeß beteiligt sind, näher bestimmen könne, ist fraglich geworden Da die meisten Ergebnisse auf der Basis von Laborversuchen erarbeitet worden sind, ist die Beziehung zur Wirklichkeit nicht genügend ausgeleuchtet worden.

Alles dies soll nicht bedeuten, daß wir die amerikanische Wirkungsforschung grundsätzlich in Frage stellen. Aber man hat sie mit der notwendigen Distanz und Kritik zu prüfen. Beim Thema Gewalt im Fernsehen und seinem Zusammenhang mit der Jugendkriminalität z. B. wird die Kriminalitätsstatistik fast gar nicht zur Kenntnis genommen, sondern unscharf mit vulgären normativen Axiomen operiert.

Herausragende Fragestellungen in der Kommunikationsforschung sind die Beeinflussung von Einstellungen und die Wandlung von Verhaltensweisen, sowie die Beziehungen zwischen Einstellungen und Verhalten. Solche Beziehungen zeigen sich z. B. bei den Wahl-entscheidungen, die eine politische Verhaltensweise auf der Grundlage einer politischen Einstellung bekunden. Ein Wandel in der Einstellung ist die Voraussetzung für eine Wandlung im politischen Verhalten. Wirkungsforschung hat es im wesentlichen also mit den Faktoren zu tun, die die Einstellungen von Menschen beeinflussen. Einstellungen sind zumeist entweder als eine mentale Bereitschaft als implizite Prädipositionen angesehen worden, die einen allgemeinen oder ständigen Einfluß auf eine ziemlich große Gruppe von Wirkungsfaktoren ausüben. Die Reaktionen sind auf einen Gegenstand, eine Person oder eine Gruppe gerichtet. Außerdem sind Einstellungen als dauernde Prädispositionen angesehen worden, aber als solche, die eher erlernt als angeboren sind. Deshalb wird angenommen, daß Einstellungen, obwohl sie nicht rasch vergehen, sich doch wandeln können

Wenn Einstellungen auf erworbenen Prädispositionen basieren, können auf sie alle Techniken angewendet werden, die auch für die Erforschung des Lernprozesses in Betracht kommen. Lohn und Strafe werden deshalb als höchst effektive Mittel angesehen, die Einstellungswandel erzeugen. Diese Kategorien werden z. B. in der Dissonanztheorie systematisch eingesetzt, um Einstellungswandlungen vorauszusagen. Davon wird noch die Rede sein. Auf der Basis des Axioms, das Einstellungen längerdauernde Faktoren sind, ergibt sich die Hypothese, daß man mit ihrer Hilfe auch längerdauernde Wandlungen im Verhalten herbeiführen kann. Als Beispiel wird in der Soziologie häufig das Problem der Geburten-kontrolle angeführt, bei dem es sich um ein langwirkendes Einstellungsproblem handelt, das auch ganz bestimmte Verhaltensweisen im Bereich der Moral und der Sexualität hervorbringt. Ähnlich könnte man die Selektion bestimmter Zeitungen oder Programmteile durch einen Rezipienten verstehen, die auf ganz bestimmten Einstellungen beruht. Zweifelsohne ist die Voraussetzung für einen Wandel in diesem Bereich immer eine entsprechende Motivation, denn durch die Tatsache, daß ein Werber an der Tür eine andere Zeitung einem Abonnenten als besonders interessant darstellt, entsteht noch kein Verhaltenswandel. Ganz im Gegenteil wird jemand, der jahrelang eine bestimmte Zeitung gehalten hat, sich nur sehr schwer von ihr trennen, wenn nicht gewisse Interessenkonflikte zwischen dem Rezipienten und dem Medium entstehen.

Man hat Einstellungen in drei Komponenten geteilt: in die affektive, die kognitive und die Verhaltens-Komponente. Verhalten wird auch hier als eine Erscheinungsform der Einstellung betrachtet. Die Affektiv-Komponente artikuliert sich in der Weise, wie eine Person auf bestimmte Gegenstände oder andere Personen emotional reagiert. Die kognitive Komponente ist als die eigentliche Meinungskomponente eines Menschen definiert worden oder auch als Gewissens-Komponente in bezug auf bestimmte Objekte oder Personen. Die Verhaltens Komponente wiederum impliziert die offenen Reaktionen, also die erkennbaren Handlungen gegenüber einem Gegenstand oder einer Person.

Diese Differenzierung hat einen sehr großen Einfluß auf die Verwendung von Techniken zur Analyse dieser Komponenten gehabt. Die affektive Komponente kann durch die Analyse psychologischer Reaktionen oder verbaler Äußerungen des Behagens oder Mißfallens untersucht werden, die kognitive Komponente durch die Messung des Selbstverständnisses oder des Wissens, welches eine Person über einen bestimmten Gegenstand besitzt; die Verhaltenskomponente kann gemessen werden durch direkte Beobachtung, wie eine Person sich in einer bestimmten Stimulus-Situation verhält. In der amerikanischen Kommunikationsforschung lassen sich im wesentlichen zwei Schulen im Hinblick auf die Beurteilung des formellen Einstellungswandels unterscheiden: Carl Hovland und die gruppen-dynamische Richtung von Kurt Lewin.

Hovland geht von der Lerntheorie aus. Sie nimmt an, daß der Mensch einen rationalen, informationsverarbeitenden Organismus darstellt, der motiviert werden kann, eine Kommunikation aufzunehmen, ihre Inhalte zu lernen und sie in sein verbales Repertoire von Reaktionen einzufügen, wenn Belohnung für das Lernen in Aussicht steht. Durch diesen Vorgang wird der Wandel strukturiert.

Im Gegensatz dazu vertritt die gruppen-dynamische Richtung die Ansicht, daß der Mensch als soziales Wesen andere Menschen braucht, um sich selbst zu erkennen, um angemessene Verhaltensweisen gegenüber den Anforderungen seiner Umgebung zu entwickeln und die normalen Verhaltensweisen durch die Anwendung von Gruppennormen zu kanalisieren und zu regulieren. Die Ursache der Wandlung ist dann eine Gruppennorm, die von der individuellen Einstellung oder dem individuellen Verhalten abweicht, eine Norm, die nicht unbedingt formell, d. h. durch Medienkanäle, sondern informell übermittelt werden kann. Das Sozialisations-Konzept, das in der Massenkommunikationsforschung eine große Rolle spielt, hat hier seinen Ursprung Der Mensch muß die Isolation fürchten, wenn er sich nicht den Gruppen-normen anpaßt.

Im Prinzip sind beide Ansätze sehr ähnlich, nur die Begründung für die Anpassung ist jeweils eine andere. Im Falle von Hovland geschieht sie wegen der zu erwartenden Belohnung oder Strafe, im Falle von Lewin wegen des drohenden Ausschlusses aus der Gruppe. Die Massenmedien haben nach dieser Hypothese die Funktion der Lebenshilfe, d. h. sie sollen es dem einzelnen ermöglichen, einerseits die gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu lernen, andererseits die gesellschaftlichen Normen zu erkennen. Da die pluralistische, demokratische Gesellschaft einen Zwang zur Integration angeblich nicht kennt, spielt in dem Prozeß der Anpassung der Begriff der Überredung (persuasion) eine große Rolle. Der Kommunikator ist in diesem Konzept immer ein Uberreder, und zwar ist seine Wirkung um so größer, je höher seine Glaubwürdigkeit erscheint. Glaubwürdigkeit ist verbunden mit einem Expertenprestige, d. h.der Fähigkeit, korrekt über eine Angelegenheit zu berichten, zum anderen Vertrauenswürdigkeit, d. h.der Fähigkeit, Wissen ohne Vorurteil zu vermitteln. Die Glaubwürdigkeit des Kommunikators ist weniger ein Faktor des Meinungswandels, sondern der Aufnahme von Aussagen. Die Wirksamkeit eines Kommunikators wächst, wenn er zu Beginn einige Ansichten äußert, die mit denen seines Publikums übereinstimmen. Was ein Publikum über einen Kommunikator denkt, kann direkt beeinflußt werden von dem, was es über seine Aussage denkt. Je extremer der Meinungswandel ist, den der Kommunikator anstrebt, desto größere Veränderung wird er wahrscheinlich bewirken. Allerdings hängt dieser Prozeß sehr stark von der Glaubwürdigkeit der Quelle ab.

Die Sozialpsychologie hat auf Grund von Tests einige Erkenntnisse formuliert, wie man bestimmte rhetorische Wirkungen erzielt 1. Nur eine Seite eines Arguments präsentiert man am besten dann, a) wenn das Publikum positiv eingestellt ist, b) wenn man eine kurzfristige Meinungswandlung anzielt.

2. Beide Seiten eines Arguments sollte man bringen, wenn das Publikum beginnt, mit dem Kommunikator nicht mehr übereinzustimmen, oder wenn es wahrscheinlich ist, daß das Publikum die Alternative von anderer Seite erfährt.

3. Wenn kontroverse Positionen nacheinander vorgetragen werden, so wird diejenige, die zuletzt vorgetragen wird, wahrscheinlich die wirksamere sein — allerdings mit der Einschränkung, daß die erste Position besser abschneidet, wenn man die zweite Position unmittelbar auf die erste gebracht hat. 4. Es wird wahrscheinlich stärkeren Meinungswandel geben, wenn man seinen Standpunkt mit den Schlußfolgerungen vorträgt, als wenn man diese Schlußfolgerung dem Publikum selbst überläßt, abgesehen bei sehr intelligenten Zuhörern.

5. Es hängt sehr von der Art des Publikums ab, ob emotionale oder rationale Argumente stärker wirken.

6. Angst erzeugt den stärksten Meinungswandel, wenn man bestimmte Empfehlungen für ihre Neutralisierung gibt.

7. Je weniger eine Kommunikation abnormes Verhalten rechtfertigt, um so größer wird der Einstellungswandel sein, wenn dieses abnorme Verhalten tatsächlich übernommen wird.

8. Es kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob es besser ist, das wichtigste Material zu Beginn oder am Ende einer Kommunikation zu bringen.

9. Wenn ein Publikum vor der manipulativen Absicht einer Kommunikation gewarnt wird, so verstärkt sich der Widerstand gegen einen Meinungswandel.

Die Meinungen und Einstellungen eines Menschen werden sehr stark beeinflußt durch die Gruppen, denen er angehört oder angehören möchte. Je stärker diese Gruppenbindungen sind, um so schwieriger ist es, einen Menschen gegen ihre Normen zu beeinflussen. Die Beteiligung des Publikums an gewissen Diskussionen und Entscheidungen hilft Widerstände zu überwinden, wie auch Wandlungen, die durch eigene Entscheidungen eines Rezipienten entstehen, von längerer Dauer sein können. Da die Rezeption von massenmedialen Aussagen meistens ein passiver Vorgang ist, so werden diese Aussagen beim Rezipienten in der Regel keine langdc. uernden oder tiefgreifenden Einstellungsänderungen erzielen können. Es müssen immer zusätzliche Faktoren hinzukommen, die eine massenkommunikative Aussage auf Dauer wirksam machen; es sei denn, es besteht schon eine auf andere Weise erzeugte Prädisposition beim Rezipienten, die seinen Einstellungswandel begründet. Das Merkmal der Wiederholung, das in der Werbung angewendet wird, ist hier zu berücksichtigen.

Katz und Lazarsfeld haben in diesem Zusammenhang das Phänomen untersucht, wie Rezipienten beeinflußt werden können, die von den Massenmedien nicht direkt erreicht werden. Hier spielt die Hypothese vom Meinungsführer eine gewisse Rolle, der selbst im massenkommunikativen Prozeß steht und die dort aufgenommenen Informationen auf informellem Wege an jene weitergibt, die Massenkommunikation nicht oder passiv rezipieren. Es handelt sich hier um die Zwei-Stufen-Theorie des • Massenkommunikationsflusses. Allerdings hatte man Mitte der 50er Jahre zur Zeit der Aufstellung dieser Hypothese noch nicht hinreichendes empirisches Material, um Beweise für eine ausformulierte Theorie liefern zu können. Auch heute sind diese Beweise nicht da, sondern man hat inzwischen das gesamte Konzept in Richtung auf eine Mehr-Stufen-Theorie korrigiert

Ralf Zoll und Eike Hennig meinen, daß die entscheidende Frage nach den tatsächlichen Wirkungen der Massenmedien in weitem Umfange unter falschen Voraussetzungen diskutiert worden sei. Dafür seien vor allem drei Ansätze verantwortlich, wenn man von der rein ideologischen Sicht absehe, nach der die Erscheinungsform der Medien einzig in den Bedürfnissen der Rezipienten begründet liege: „Einmal bedeutet die Bindung des Urteils über eventuelle Wirkungen der Medien an die empirische Überprüfbarkeit eine Verabsolutierung der Methoden, wo ihren Möglichkeiten bislang besonders enge Grenzen gesetzt sind. Zweitens führt der Umstand, daß kommerzielle Interessen in hohem Maße Umfang und Richtung der Kommunikationsforschung bestimmen, zu einer weitgehenden, zeitlichen wie sachlichen Einengung der Frage-und Themenstellung. Der dritte Aspekt spielt in der Argumentation eine besondere Rolle. Er bezieht sich auf die Erkenntnis, daß der einzelne den Medienaussagen nicht ungeschützt begegnet, daß seine Verhaltenspositionen wie ein Filter ihn nur gewisse Mitteilungen überhaupt auf-bzw. wahrnehmen lassen. Danach besitzen die Medien im wesentlichen verstärkte Wirkung auf bereits vorhandene Einstellungen. Allen drei Positionen ist gemeinsam, daß sie das Phänomen der Wirkung nur kurzfristig betrachten, bzw. angehen.

Die Filterwirkung von Bezugssystemen, von Verhaltensdispositionen hängt in hohem Maße davon ab, auf welche Weise die Bezugssysteme entstehen. Heute bilden aber gerade die Medien einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Sozialisationsfaktor. Insofern rekurrieren Massenmedien auf Bezugssysteme, die sie wenigstens mitgeschaffen haben. In der Argumentation erscheinen die Verhaltens-dispositionen jedoch als Konstante, obwohl sie durch dieselben Faktoren zu klären sind wie die dynamischen Prozesse der Wirkung.

Man muß Zoll und Hennig recht geben, wenn sie betonen, daß Modelle des Kommunikationsprozesses in der Art der Theorie von den „Vielfachfunktionen" und „Vielfachkanälen" oder der vom „Two-step-flow" von Kommunikation keine grundsätzliche Modifikation bedeuten, da sie die dispositionenbildende Wirkung der Medien nur indirekt berühren Was man der Wirkungsforschung, so wie sie heute betrieben wird (nicht zuletzt unter dem amerikanischen Einfluß) vorwerfen muß, ist, daß weitgehend außer Betracht gelassen wird, welche Konzeption hinter den Wirkungsabsichten oder der Wirksamkeit, wenn man einmal von der unbeabsichtigten Wirkung ausgeht, steht, jene gesellschaftspolitische Konzeption nämlich, die in den Massenmedien einen Sozialisationsfaktor erheblicher Bedeutung sieht. Diese Tatsache wird aber kaum ins Blickfeld gerückt, wenn man eine Fülle von Einzeldaten vorträgt, aus denen man dann irgendwelche Schlußfolgerungen über die gesellschaftlichen Zustände zieht. Ganz im Gegenteil sind die gesellschaftlichen Zustände vor diesen Daten vorhanden, und die Daten sind nicht etwa ein Ergebnis der Analyse dieser Zustände, sondern ihr Axiom selbst. Erst wenn man in dieser Weise das Konzept der Wirkungsforschung gewissermaßen auf den Kopf stellen würde, käme man zu angemessenen Ergebnissen und zu ihrer richtigen Interpretation.

III. Publikum und Individuum im Wirkungsprozeß

Die Theorie der Wirkungsforschung arbeitet mit ziemlich allgemeinen Kategorien; denn Generalisierung ist ein Erfordernis jeder Theorie. Es besteht aber die Gefahr, daß dabei Spezifika nicht hinreichend berücksichtigt werden. Man vermeidet es geradezu, den Begriff des „Publikums" zu definieren; er ist weder im „Handbuch der empirischen Sozial-forschung" zu finden, noch etwa in einem Werk wie dem von Berelson und Steiner über „Human behavior" Im Register wird dort unter, “ audience" schlicht auf Massenkommunikation verwiesen. Auch Klapper umgeht eine Definition des Begriffs „Publikum". Er reiht verschiedene Kriterien auf, die mit dem Wirkungsprozeß in bezug auf Publikum verbunden sind Im Wirkungsprozeß scheint »Publikum" nur gruppenspezifisch betrachtet werden zu können. Woher diese eigenartige Zurückhaltung rührt, wird bei Katz und Lazarsfeld ganz deutlich, wenn sie betonen, * daß im Mittelpunkt der Erforschung von Massenmedien die Untersuchung von Werbefeldzügen stehe, und daß die verschiedenen Teilgebiete der Forschung — Publikumsforschung, Inhaltsanalyse usw. — keineswegs für sich bestehen, sondern tatsächlich nur Neben-fragen dieses Hauptproblems darstellen.

In der Publikumsforschung steht die Untersuchung von Wirkungen im Mittelpunkt, „womit Erhebungen über die Größe des Publikums, seine charakteristischen Eigenschaften, seine Neigung und Abneigung usw. gemeint sind". Es kann diese Beschreibung von Merkmalen des Publikums allerdings nicht das Ende der Bemühungen sein, sondern nur eine Zwischenstufe. Denn solange diese Zwischenstufe als eine Untersuchungsphase verstanden wird, kann man sie nicht definieren.

Wir verzeichnen also, daß die Wirkungsforschung in ihrer Fixierung auf Wirkungen übersieht, wo eigentlich diese Wirkungen ausgelöst werden und mit welchen Konsequenzen. Zweifellos haben aber diese Forschungen dazu beigetragen, das Geschehen und die Vielfalt von Faktoren, die zwischen der Wirkung der Massenmedien und der Reaktion des einzelnen stehen, besser zu erklären. Wie Katz und Lazarsfeld richtig feststellen, haben die neu eingeführten Aspekte dazu beigetragen, daß die am Beginn der Forschung bestehenden Modellvorstellungen von dem allmächtigen Medium aufgegeben wurden, einem Medium, das seine Botschaft an eine amorphe Masse richte, die nur darauf warte, sie zu empfangen, obwohl zwischen beiden ein Vakuum bestehe. Es zeigt sich nämlich, daß diese im Wirkungsprozeß zu beobachtenden Faktoren — z. B. Aufgeschlossenheit des Publikums, das Medium, der Inhalt und die Voreingenommenheit — nicht isoliert betrachtet werden können, sondern insgesamt in ihren Ergebnissen zum Verständnis des Komplexes der Wirkung von Massenkommunikation beitragen. Und bei allen diesen sind die zwischenmenschlichen (informellen) Beziehungen nicht außer Betracht zu lassen.

Die Interessen der Werbeforschung haben auch die Publikumsforschung hinsichtlich der Programmgestaltung beeinflußt, weil das Programm oder der Inhalt von Zeitungen als die eigentliche Konsumware betrachtet werden, mit deren Hilfe gleichzeitig Werbung verkauft wird. Nach Lucas und Britt ist das praktische Maximum der Anzahl von Menschen, das einem Werbetreibenden durch eine einzige Zeitungsnummer oder eine Sendung zur Verfügung steht, die gesamte Leserschaft oder Hörerschaft dieser Ausgabe bzw. Sendung.

Man wird bei diesem Modell unterscheiden müssen zwischen dem potentiellen und dem tatsächlichen Empfangsbereich. Wenn man das Publikum als potentielle Rezipientenschaft insgesamt betrachtet, d. h. also jene Leser, die im Verbreitungs-oder Sendegebiet eines Kommunikators leben, so muß man die tatsächliche Rezipientenschaft als solche bezeichnen, die von der Kommunikation der Aussage tatsächlich Kenntnis nimmt. Da eine Aussage von vielen Menschen rezipiert werden kann, ist bei den gedruckten Medien die Zahl der Rezipienten nicht identisch mit der Zahl der tatsächlich verbreiteten Exemplare. Bei den audiovisuellen Medien liegen die Verhältnisse ähnlich, da die Zahl der aufgestellten Empfangsgeräte nicht identisch ist mit der Zahl der tatsächlich vorhandenen Rezipienten. Diese Differenzierung deutet an, daß man bei Wirkungsuntersuchungen nicht allein von der Verbreitung eines Mediums ausgehen kann, sondern vom tatsächlichen Empfang durch das Publikum.

Zu den Kriterien, die eine Rezipientenschaft strukturieren, gehören Geschlecht, Alter, Beruf, Stand, geographische Herkunft, Einkommensverhältnisse, Bindungen an politische und sonstige gesellschaftliche Gruppen. So gesehen bedeutet Massenkommunikation und bedeuten Massenmedien, daß der Begriff „Masse" nicht im Hinblick auf das Publikum verstanden werden kann, d. h. also auf ein unstrukturiertes Gebilde, sondern nur im Hinblick auf die massenhafte potentielle Verbreitung. Beschäftigen wir uns kurz in diesem Zusammenhang mit den Merkmalen, die Hofstätter vorträgt Er nennt seine Darstellung im Untertitel „Kritik der Massenpsychologie". Die massenpsychologische Literatur seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wird von Hofstätter als ein kultursoziologisches Phänomen verstanden, dessen Paradoxie darin liege, daß der Verdammung der Massen von den Massen selbst zugestimmt wird. Die Widersprüchlichkeit bestehe darin, daß der einzelne, obwohl selbst zur Masse gehörig, die Masse als exkulpierendes Element empfinde, in das er alle schlechten Eigenschaften, über die er selbst in hinreichendem Maße verfüge, projiziert und sich damit von seinen Vorurteilen und sonstigen gesellschaftlichen Fehlem entlaste. Ganz in diesem Sinne hat Le Bon mit dem Massenbegriff manipuliert, indem er ihn praktisch überall dort anwandte, wo sich unangenehme Reaktionen des Publikums abzeichneten: „In gewissen historischen Augenblicken kann ein halbes Dutzend Menschen eine psychologische Masse ausmachen, während hundert zufällig vereinigte Menschen sie nicht bilden können. Andererseits kann bisweilen ein ganzes Volk ohne sichtbare Zusammenscharung unter dem Druck gewisser Einflüsse zur Masse werden." Hofstätter weist darauf hin, daß diese Erkenntnisse offenbar durch den Humanismus übertragen worden sind; denn sie lassen sich schon in einigen römischen Distichen finden, von denen Schiller eins übersetzt hat: „Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich klug und verständig, sind sie in corpore, gleich wird ein Dummkopf daraus.“

Auch C. G. Jung ist nicht frei von diesen Simplifizierungen: „Eine große Gesellschaft, aus lauter trefflichen Menschen zusammengesetzt, gleicht an Moralität und Intelligenz einem großen, dummen und gewalttätigen Tier." Selbst in dem Humboltschen Ideal von Einsamkeit und Freiheit steckt eben diese antike Vorstellung, die Le Bon in eine Massenpsychologie transformiert hat, daß nämlich nur in der Einsamkeit Freiheit und freies Entscheiden möglich sei.

Wenn man diese Zusammenhänge jedoch einmal durchdenkt und sich etwa jemanden vorstellt, der einsam in seiner Klause vor dem Massenmedium Fernsehapparat sitzt oder ganz einsam seine Zeitung oder auch ein Buch mit hoher Auflage, also einen sogenannten Bestseller, rezipiert, und man befragt später diesen Einsamen und andere Einsame und addiert die Ergebnisse, so wird man, das läßt sich unschwer prognostizieren, ziemlich ähnliche Reaktionen finden. Die Einstellungsstruktur läßt sich durch die Rezeptionssituation nicht unbedingt beeinflussen; denn wenn bei der Rezeption durch das Individuum sehr starke Reize ausgelöst werden, so ist mit Sicherheit zu vermuten, daß dieses Individuum sehr bald in Austausch mit anderen Gruppenangehörigen tritt, um seine Erfahrungen zu verfestigen und den Normen der Gesellschaft anzupassen.

Das Wort Joule', französisch für . Masse’, stammt vom lateinischen , fullo’ und heißt nichts anderes als 'Tuchmacher, Walker'(von 'durchwalken'), was also bedeutet, daß etwas Ungeformtes durch äußeren Druck gestaltet wird Das deutsche Wort , massa‘ kommt vom griechischen „massein’ und bedeutet . kneten'. Insofern ist also die Masse etwas, das sich nicht aus sich selbst heraus gestaltet, sondern durch äußere Einflüsse formuliert wird. Im Englischen ist , crowd'eng verbunden mit dem mittelhochdeutschen , kroten', was soviel wie . pressen'bedeutet. Hofstätter meint ironisch: „Ist das Teigmodell einmal für den Menschen oder für die menschliche Gruppe akzeptiert, dann ergeben sich sämtliche Thesen der Massenpsychologie nahezu von selbst."

Die Sozialpsychologie gliedert Menschen dagegen in Familien, Mengen oder Klassen. Eine Klasse umfaßt sämtliche Träger der zum Definitionsmerkmal erhobenen Eigenschaftskombination. Die Klasse wird zum Verband in dem Augenblick, in dem sie gemeinsam in Aktion tritt, d. h. ein gemeinsames Ziel durchzusetzen bestrebt ist. In diesem Sinne hat auch Marx den Begriff „Klasse" als einen zwingenden Auftrag zur Assoziation der Klassengenossen betrachtet. Von der Klasse als einer abstrakten Gemeinschaft unterscheidet Hofstätter die Menge äls eine konkrete Gemeinschaft, etwa als alle Personen, die zur gleichen Zeit auf einen Bus warten oder in einer Vorlesung sitzen. Erst in dem Augenblick, wo diese Menge aus dem reinen Nebeneinander ein Miteinander oder Zueinander entwickelt, d. h. handlungsrelevante Faktoren hinzutreten, kann es entweder zu einer unstrukturierten Masse kommen oder zu einer Strukturierung im Sinne einer Gruppe Aus diesen Begriffsbestimmungen ergibt sich eine Minimaltypologie der menschlichen Plurale. Natürlich sind die Übergänge zwischen diesen Typen fließend.

Den grundsätzlichen Fehler in Le Bons Konstruktion erkennt Hofstätter darin, daß er das Ordnungsgefüge einer Gruppe willkürlich zerschneidet, und zwar in den Führer und in die Geführten. Der Führer wird im Sinne einer Elite ausdrücklich aus dem Plural der übrigen gesellschaftlichen Personen herausgenommen. Diese Konstruktion übersieht, daß die Relation zwischen Rollen innerhalb einer Gemeinschaft aufeinander abgestellt ist. Eine Trennungslinie, wie sie Le Bon zieht, verwischt das tatsächlich vorhandene Reziprozitätsverhältnis zwischen Kommunikator und Rezipienten. Selbst in totalitären Regimen, wo die Normen, die vom Führungskollektiv gesetzt werden, als verbindlich für die Rezipientenschaft betrachtet werden, gelten diese Normen doch nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Bedingungen. Sie unterliegen beständig der Modifikation, sofern das totalitäre System überhaupt eine Überlebenschance haben soll. Dies leitet sich aus der empirisch gewonnenen Tatsache ab, daß niemand auf die Dauer agieren kann, ohne sein eigenes Handeln beständig an dessen Resultaten zu kontrollieren. Wer prinzipiell nicht bereit ist, die Normen des Systems zu internalisieren, wird von den Gliedern der Gesellschaft als Idiot betrachtet im Sinne des Begriffs von Plato, also nicht im Sinne eines Intelligenzmangels, sondern der Andersartigkeit

Das Individuum wird in seiner Struktur weitgehend durch die Gemeinschaft bestimmt. „Die Eigenart des Individuums ist eine Funktion des Staates", insofern nämlich, als der Staat den Bereich des Individualrechts abgrenzt durch die gesellschaftlichen Normen. Diese gesellschaftlichen Normen werden über die Sprache vermittelt, die das Kind in der Familie lernt. Die Sprache ist die Grundlage auch der Massenkommunikation, die den Sozialisationsprozeß, der mit der Erziehung in der Familie einsetzt, praktisch bei den Erwachsenen fortführt. Allerdings besteht nicht unbedingt Konformität zwischen den von der Massenkommunikation oder durch Massenkommunikation vermittelten Normen und den Normen, wie sie in der Schule als integrativer Bestandteil einer Sozialordnung vermittelt werden. Je mehr eine Gesellschaft sich im Umbruch befindet, in der Weiterentwicklung zu einem anderen, nicht unbedingt höherem Niveau, desto stärker fällt die Diskrepanz ins Auge, die zwischen Massenkommunikation und allgemeinem Erziehungssystem besteht. Die Wirkungsforschung hat auf diesen Aspekt bisher überhaupt keine Rücksicht genommen, weil sie eben kommerziell orientiert ist. Sie sucht nach Regeln, mit deren Hilfe man den Rezipienten zu einem bestimmten Konsumverhalten bewegen kann.

Da Massenkommunikation sehr viel mit Propaganda und Meinungsbildung zu tun hat, gehört die Beziehung zwischen Erziehung und Propaganda in diesen Bezugsrahmen. Gemeinhin wird Propaganda als die Verbreitung von Unwahrheiten und Erziehung als die von Wahrheiten aufgefaßt In dieser Simplifizierung steckt eine unbewiesene Behauptung. Denn derjenige, der Reklame für eine schlechte Ware macht, muß nicht unbedingt davon überzeugt sein, daß die Ware schlecht ist. Da Erziehung auf die Internalisierung sozialer Normen abzielt, wäre es falsch, Erziehung ganz ohne propagandistischen Aspekt zu betrachten. Die Objektivierung von Erziehungsmaximen ist nämlich sehr schwer. Ob die Massenkommunikation, d. h. die Aussagen der Massenmedien einen erzieherischen oder propagandistischen Effekt erzielen, hängt wohl vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab. Die Reaktion des Individuums jedenfalls ist determiniert durch seine Gruppenzugehörigkeit, d. h. durch die Art und Weise, wie Massenkommunikation zum Handeln des einzelnen beiträgt. Dieses Handeln kann nicht Einzelhandlung sein, weil sie sich jeweils in einem sozialen Bezugsrahmen vollzieht.

Beschäftigen wir uns nun mit den Faktoren, die auf der Rezipientenseite den Einfluß der Kommunikation betreffen. Einige Menschen sind äußerst leicht zu beeinflußssen. Sie nehmen praktisch unreflektiert alles das hin, was sie lesen, sehen oder hören. Sie entscheiden sich für eine Meinung und können im nächsten Augenblick genau das Gegenteil annehmen. Andere wieder, die der Überredung durch Massenkommunikation wesentlich reservierter gegenüberstehen, neigen doch dazu, wenn sie ganz individuell angesprochen werden, sich rasch festzulegen. Emotionale Kommunikation beeinflußt einige Menschen mehr als andere. Manche sind besonders leicht durch Angst-Appelle, andere durch rationale Appelle, aber selten durch emotionale Propaganda zu beeinflussen So unterschiedlich der Grad der Beeinflußbarkeit sein mag, so wird doch behauptet, daß die meisten Menschen auf dem Kontinuum der Beeinflußbarkeit in der Mitte angesiedelt seien.

Ein weiterer Faktor, über dessen Wirksamkeit Sozial-und Individualpsychologen einig zu sein behaupten, ist die angeblich leichtere Beeinflußbarkeit von Frauen. Andere interne Faktoren, über die berichtet wird, sind Selbsteinschätzung, autoritäres Verhalten, Aggressi-vität, Bedarf nach sozialer Anerkennung, Dogmatismus usw. Nach einer Mitte der 60er Jahre entwickelten amerikanischen Theorie vollzieht sich Meinungswandel in einer Serie von . Verhaltensschritten Der erste Schritt umfallt das traditionelle Modell des Meinungswandels: a) das Individuum muß die Kommunikation aufnehmen, b] es muß sie verstehen und c) es muß dem, was es verstanden hat, nachgeben. Diesen Schritten werden nun zwei weitere hinzugefügt, nämlich: d) das Individuum muß behalten, was es ausgenommen hat und e) es muß mit dem übereinstimmen, was es ausgenommen hat.

Wenn man den Nachdruck nur auf. die beiden ersten Schritte, nämlich auf die Aufmerksamkeit, und das Verstehen (gemeinhin als Rezeption beschrieben) legen würde und den dritten Schritt, das Nackgeben, vernachlässigte, würde man ein überaus simples, verzerrtes Konzept des Beeinflussungsprozesses haben. Es wäre auch verfehlt, in diesem Zusammenhang etwa die Theorie der Furcht als einzige ins Spiel zu bringen, weil nämlich jemand, der besondets ängstlich ist, kaum auf Kommunikation achtet, es sei denn, sie steht in irgendeinem Zusammenhang mit der ihn beherrschenden Furcht. Wenn man nur das Konzept das 'Nachgebens berücksichtigte, so würde das bedeuten; daß man praktisch nur mit einem Einfluß und nicht mit einem negativen Erfolg rechnet. .

Je höhet die Selbsteinschätzung eines Individuums ist, desto größer ist auch sein Selbstvertrauen und um so weniger wahrscheinlicher ist, daß er einer Beeinflussung nachgibt. Aber da Selbsteinschätzung wahrscheinlich positiv mit Intelligehz zusammenhängt, muß auch festgestellt werden, daß bei größerer Selbsteinsehätzung die Wahrscheinlichkeit größer ist, daß jemand auf eine Aussage achtet und sie versteht. Das heißt also, daß der intelligentere Mensch in jedem Falle äußeren Eininflüssen in weit höherem Maße ausgesetzt ist, daß er aber durch den Selbsteinschätzungsmechanismus in der Lage ist, diesem Einfluß stärker zu widerstehen. Da aber die Zahl der ihn beeinflussenden Faktoren größer ist, mag es trotzdem seih, daß der Intelligentere seine Meinung ebenso oft wandelt, wie derjenige, der nicht so intelligent ist.

Selbstverständlich neigt ein Individuum dazu, sich einer Gruppe anzuschließen, mit deren Meinung es übereinstimmt. Durch diese Strukturierung werden die vorherrschenden Einstellungen des Individuums intensiviert oder mindestens manifester. Es tritt gewissermaßen ein Solidarisierungseffekt ein, der sich sowohl psychologisch wie gesellschaftlich durch bestimm. a Handlungen auswirken muß. Während das Individuum isoliert vielleicht einem Meinungsw, echsel unterlegen wäre, gerät, es nunmehr in die Prozesse, die durch die Gruppenzugehörigkeit ausgelöst werden und die Beeinflußbarkeit mindern, d. h. gleichzeitig die bestehenden Einstellungen verstärken. Dieser Tatbestand gilt weniger für die Primärgruppenzugehörigkeit, weil sie nicht aus einer besonderen persönlichen Entscheidung herrührt, sondern naturgegeben ist.

Den gleichen Faktor sollte man als wirksam ansehen bei Einflüssen, die im Betrieb herrschen, obwohl hier das Prestige von Meinungsführern eine gewisse Rolle spielen mag. Andererseits zeigen amerikanische Untersuchungen, daß die Tendenz zur Familienhomogenität etwa bei Wahlentscheidurigen so stark ist, daß nur 4 0/0 einer Kontrollgruppe erklärten, anders als ihre Familienmitglieder gewählt zu haben. Dies ist vielleicht besonders typisch für die amerikanische Gesellschaft, weniger für Länder, wie Großbritannien, wo die Zahl derer, die von einer zur anderen Partei wechseln, ziemlich groß ist. Amerikanische Untersuchungen haben ergeben, daß der Widerstand gegen eine Wechsel mit den Familien-Bindungen korreliert. Man darf annehmen, daß in einer besonders homogenen Gesellschaft, in der Traditionen eine wesentliche Rolle spielen, ein Meinungswandel schwerer zu erzielen ist als in Bereichen, die sehr starken zivilisatorischen Einflüssen unterliegen.

Zahlreiche Untersuchungen in Kleingruppen weisen darauf hin, daß Kommunikation auch außerhalb der eigentlichen Medien stattfindet, und zwar etwa auf der Basis von Freundschaften, gemeinsamen Interessen und übereinstimmenden Meinungen. Die interpersonale Verbreitung von Inhalten der Massenkommunikation verursacht auf diese Weise einen sekundären Einfluß, den man nach dem englischen Begriff „exposure" auch als „Doppelbelichtung" bezeichnet hat. Nach den bisherigen Untersuchungen handelt es sich dabei aber um sehr spezifische Nachrich23 ten von geringem Umfang Aber es gibt einige Hinweise, daß der Inhalt von Massenmedien, besonders der persuasive Inhalt, durch informelle Kanäle selektiv weitergereicht wird. Untersuchungen wurden vor allem im Hinblick auf die Wirksamkeit von Propagandasendungen etwa der Stimme Amerikas oder von Radio Freies Europa durchgeführt.

Diese Hypothese geht von der Erkenntnis aus, daß politische Diskussionen in der Regel zwischen Personen stattfinden werden, die ähnliche Ansichten haben (Bestätigungseffekt). Daraus schließen amerikanische Sozialpsychologen, daß der Einfluß personaler (zwischenmenschlicher) Kommunikation stärker sei als der von Massenmedien. Die dazu vorliegenden Resultate sind aber zu punktuell, als daß sie sich generalisieren ließen.

IV. Faktoren der Rezeption

Außer den direkten Einflüssen, die von einem Massenmedium ausgehen, müssen weitere Faktoren berücksichtigt werden. Die Unabhängigkeit dieser Faktoren ist dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht auf bestimmte Inhalte hin intervenieren sondern immer operieren, wenn der Rezipient sich publizistischen oder anderen Kommunikationsreizen aussetzt. Nach Ansicht der Psychologen sind diese Faktoren am einfachsten zu untersuchen, weil sie nicht von anderen Einflüssen gestört werden.

Carl Hovland hat sich mit seiner Forschungsgruppe um diese Faktoren bemüht. Bevor darauf eingegangen werden kann, ist das Problem des Meinungsführers zu behandeln, das Lazarsfeld 1940 gemeinsam mit Berelson formuliert hat Man experimentierte damals mit dem sogenannten Panel-Verfahren im Zusammenhang mit dem Präsidentschafts-Wahlkampf in den Vereinigten Staaten. Dabei kam entgegen der Hypothese heraus, daß viele Befragte ihre Meinungsänderung gegenüber einem der beiden Präsidentschaftskandidaten (Roosevelt und Willkie) mit dem Einfluß von Individuen erklärten, die in ihrem persönlichen Lebensbereich eine Rolle spielten. Die Forschung hat solche Personen Meinungsführer (opinion leader') genannt und festgestellt, daß sie in praktisch allen Schichten, allen Berufsgruppen, allen Altersgruppen (gleichmäßig verteilt) auftreten können

Meinungsführer bilden Systeme von Erfahrungswerten, die durchaus im Wege der Massenkommunikation bezogen sein können. Dieses Wissen muß allerdings gegenüber dem Rezipienten mit einer gewissen Expertenqualität angereichert werden. Die Expertenqualität kann ganz realen Hintergrund haben als eine bestimmte Qualifikation, eine bestimmte Berufsausbildung oder Berufsausübung. Sie kann aber auch mit dem Charisma einer Persönlichkeit Zusammenhängen, die durch ihre natürliche Autorität, Überzeugungskraft und Beredsamkeit wirkt. Die assoziative Fähigkeit etwa, zwischen zwei Phänomenen zu differenzieren und gleichzeitig zu konkretisieren, was man angedeutet bekommt, scheint ebenfalls für das Verhältnis des Individuums zum Meinungsführer zu gelten. Der Meinungsführer ist offenbar derjenige, der bei einem Individuum eine vorgeprägte Grundstruktur (Prädisposition, Einstellungsstruktur) aktiviert.

Das Phänomen des Meinungsführers wurde in Bezug auf Massenkommunikation in die Theorie des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation eingebettet, die von Lazarsfeld und Berelson 1948 formuliert worden ist Nachdem man die Hypothese vom Meinungsführer entwickelt hatte, fand man bei weiteren Untersuchungen heraus, daß — verglichen mit den übrigen Rezipienten — die Meinungsführer beträchtlich mehr Gebrauch von Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften machen. Daraus schlossen Lazarsfeld und seine Gruppe, daß Informationen häufiger vom Radio und von den gedruckten Medien zum Meinungsführer fließen und von dort zu der weniger aktiven Gruppe der Bevölkerung

Die weiteren Forschungen haben sich darauf konzentriert, herauszufinden, wie Menschen sich in öffentlichen Angelegenheiten entscheiden, wie sie ihre Konsumgewohnheiten ändern, warum sie der Mode folgen und weshalb sie bestimmte Filme bevorzugen. Dieses weite Feld ist insbesondere von Lazarsfeld und seinem Schüler Elihu Katz einer empirischen Analyse unterzogen worden

Katz und Lazarsfeld schlossen aus ihren Ergebnissen, daß das Bestehen einer horizontalen Meinungsführung in vielen wichtigen Bereichen des Alltagslebens als eine feststehende Tatsache anzusehen ist, d. h. informelle Kommunikation auf dem gleichen gesellschaftlichen Niveau. Trotzdem muß zusätzlich berücksichtigt werden, daß beständig auch vertikale Meinungsführung, also von einem ,, höheren" Niveau auf ein niedrigeres erfolgt. Daraus ergibt sich die Frage, wie diese verschiedenen Arten der informellen Kommunikation sich zueinander verhalten. Diese Frage läßt sich bisher nur mit Einzelergebnissen beantworten: z. B. soll ins Kino gegangen werden, so beeinflussen die jungen Leute die älteren. Beim Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs berät die ältere Hausfrau die jüngere. Die Stimmabgabe bei einer Präsidentenwahl, bei der soziale Bedingungen eine erhebliche Rolle spielen, wird innerhalb einer sozialen Schicht ziemlich unabhängig davon, wie sich Personen höheren oder niederen Standes entschieden haben, beschlossen Obwohl diese Untersuchungen mit kommerzieller Motivation durchgeführt wurden, meinte Lazarsfeld doch, darauf hinweisen zu müssen, daß die Analyse des Verhaltens von Konsumenten weit über ihren kommerziellen Wert hinaus zu der allgemeinen Problematik des menschlichen Handelns vorstoße.

Bei Kommunikation innerhalb einer Gruppe sind hauptsächlich zwei Reihen von Erhebungen die bei der Erforschung kleiner Gruppen ständig vorkommen, von Bedeutung: 1. Angeblich eigene Meinungen und Haltungen werden oft in kleinen intimen Gruppen, wie der Familie, im Freundes-und Mitarbeiterkreis geboren oder verstärkt.

Die Meinungen sind beständiger, wenn sie von der Gruppe geteilt werden. Unter dem Druck eines Werbefeldzuges ändern die Leute eher gemeinsam als einzeln ihre Ansicht. 2. Familien, Freundschaften, Arbeitsgruppen und ähnliches mehr sind zwischenmenschliche Kommunikationsnetze, durch die Einflüsse auf vorgezeichneten Bahnen strömen.

Der Führer hat für die Gestaltung der Gruppenmeinung strategische Bedeutung.

Er erkennt am besten, was die einzelnen Mitglieder denken, er vermittelt zwischen ihnen und repräsentiert annäherungsweise die typische Gruppenmeinung.

Insbesondere die letzte Hypothese beweist, daß ein Meinungsführer sein Prestige innerhalb der Gruppe dadurch gewinnt, daß er sich als Gruppenmitglied darstellt. Er wird in dem Augenblick an Autorität verlieren, wenn die Gruppe Verdacht schöpft, es handle sich hier um den Versuch einer vertikalen, von oben nach unten gerichteten, d. h. autoritären Kommunikation. Es sei daran erinnert, daß selbst Hitler in seinen großen Propaganda-kampagnen immer versuchte, sich als den kleinen Mann darzustellen, als den einfachen Gefreiten des 1. Weltkrieges, als der er noch 1939 bei Ausbruch des 2. Weltkrieges auftrat.

Im Hinblick auf die weitverbreitete Konzeption der Wirkung von Massenmedien bedeutet die Hypothese vom Zwei-Stufen-Fluß und vom Meinungsführer zumindest eine erhebliche Differenzierung. Während bisher — und man kann diese Ansicht heute noch hören — angenommen wurde, daß einerseits die Massenmedien sehr stark an der Verbreitung des demokratischen Bewußtseins beteiligt seien, konnte man auf der anderen Seite vernehmen, daß sie einen zunehmend verheerenden Einfluß auf negative Erscheinungen in unserer Gesellschaft, wie etwa jugendliche Delinquenz, ausüben. Beide Behauptungen gehen von dem gleichen Konzept aus, näm-lieh dem, daß Massenkommunikation gewissermaßen unvergoren auf den Empfänger einwirken kann. Gegenüber einem solchen Input-output-Denken ist Skepsis wohl berechtigt. Wir haben in den letzten Jahren zu viele Überraschungen erlebt, zu viele Falsifikationen von in der Sozialforschung gewonnenen Ergebnissen, aber auch von klischeehaften Vorstellungen in unserer Gesellschaft, als daß wir uns noch dem naiven Glauben einer schematischen Darstellung dieser Problematik hingeben könnten.

Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten müssen wir nun versuchen, die Faktoren formeller Kommunikationswirkung zu bestimmen, nämlich 1. die Aufgeschlossenheit, 2. die Voreingenommenheit bei den Rezipienten, 3. die Unterschiede der Kommunikationsmittel und 4. die Unterschiede des Inhalts bei den Kommunikatoren — und sie in Beziehung setzen zu präkommunikativen oder postkommunikativen Prozessen. Lazarsfeld und Katz haben gefragt, wie gelegentliche und scheinbar unerhebliche gesellschaftliche Bindungen die Hör-und Sehweise einer Person beeinflussen können Sie stellten fest, daß für die Übermittlung von Information folgende Faktoren wichtig sind:

1. Die Häufigkeit von Verbindungen zu Gleichaltrigen.

2. Verbindungen zu anderen, die eine besondere Norm oder einen bestimmten Standard haben (Prestige, Expertenfunktion). 3. Die Mitgliedschaft zu einer Gruppe, die die Massenmedienbotschaft ergänzt und verstärkt.

4. Die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsgruppe, die ein eigenes menschliches Kommühikatioiissystem mit dem der Massenmedien zusammengespannt hat und 5. die Nähe einer geeigneten gesellschaftlichen Einrichtung für die Verwirklichung der beabsichtigten gesellschaftlichen Handlung.

(Hier ist vor allem die Wirkung eines Werbeappells gemeint.)

In diesem Zusammenhang muß der sog. Sleeper-Effekt (Spätzündereffekt) erwähnt werden, den Carl Hovland gemeinsam mit seinen Mitarbeitern an der Yale-Universität erforscht hat. Es handelt sich dabei nicht um die normale Wirkungsabnahme im Zeitverlauf, die allgemein nachgewiesen werden kann, sondern um eine plötzliche, unerwartete Zunahme bestimmter Wirkungen nach einiger Zeit. Dieses Phänomen tritt immer dann auf, wenn eine Aussage äußerst unwahrscheinlich (aber möglich) oder sehr ungewöhnlich oder urierwünscht ist, aber wenn Rezipienten später durch einen prestigebeladenen und besonders glaubwürdigen Kommunikator doch noch überzeugt werden Umgekehrt bedeutet dies aber, daß ein zunächst nicht überzeugender Kommunikator auf seinen Rezipienten nach einiger Zeit doch stark nachwirken kann und eine allmähliche Meinungsänderung erzielt. Nach Empfang einer Aussage beim Rezipienten tritt hier eine Trennung zwischen dem Wissen über die zunächst unglaubwürdige Quelle und dem eigentlichen Aussageinhalt ein. Der Sleeper-Effekt überbrückt so gewisse Erkennungsdissonanzen.

Man hat versucht, dieses Phänomen dadurch zu erläutern, daß man annimmt, der negativ bewertete Kommunikator, dessen Aussage zunächst nicht akzeptiert wird, werde im Laufe der Zeit vergessen, insbesondere dann, wenn der Inhalt der Aussage eigentlich der Einstellung des Rezipienten entspricht. In dem Maße, wie ein Rezipient, der die Substanz einer Aussage, nicht ihren spezifischen Inhalt lernt und internalisiert, sie also gewissermaßen seiner Einstellungsstruktur hinzufügt, im gleichen Maße können Substanzen wieder virulent werden, wenn das Gelernte für neue Erfahrungen des Rezipienten wichtig wird. Auch dies fällt unter die Kategorie „Spätzünder-Effekt"; die Wirkung, die latent im Individuum angebahnt ist, tritt im konkreten Fall bei Abruf des scheinbar schon vergessenen, aber substanziell noch vorhandenen Kommunikationsinhaltes ein.

Man muß dabei allerdings berücksichtigen, daß dieses Phänomen nur eintritt, wenn diese Substanzen sich mit der Einstellungsstruktur des Rezipienten vertragen. In diesem Sinne wäre es illusorisch zu glauben, daß ein dogma tisch-kirchengebundener Katholik je einer nichtchristlich signierten Partei seine Stimme geben könnte. Strukturveränderungen auf diesem Gebiet sind immer nur in den Rand-gruppen des orthodoxen Zentrums denkbar und möglich, Allerdings sind die Übergänge vom dogmatischen Kern zu diesen Rand-gruppen fließend. Es handelt sich hier aber um Prozesse, die Jahrzehnte dauern und die nicht unmittelbar mit Wirkungen von Massen-kommunikation in Zusammenhang gebracht werden können.

Das beim Spätzünder-Effekt wirksame Moment des Vergessens (es wird entweder der unsympathische Kommunikator vergessen oder der unsympathische Teil einer Aussage) spielt bei den Wirkungen von Propagandaaussagen eine besondere Rolle, insbesondere dann, wenn Rezipienten wiederholt Propagandaaussagen ausgesetzt werden und keine Kontrollmöglichkeit haben. Der Sleeper-Effekt kann niemals bewirken, daß eine ursprünglich als negativ verstandene Aussage beim Rezipienten später als positiv bewertet wird, vielmehr kann es in diesem Prozeß nur zu einer Neutralisierung kommen

Die letzte Erklärung geht von allgemeinen Prädispositionen beim Rezipienten aus. Der Grad der Bestätigung eines durch Aussagen bewirkten Meinungswandels und das Ausmaß der Wirkungszunahme nach längerer Zeit sind linear abhängig von der ursprünglichen Prädisposition, diese Aussage zu akzeptieren. Eine Person vergißt die Inhalte einer Aussage, die nicht mit ihren Prädispositionen übereinstimmen; aber sie behält sie oder akzeptiert sie noch besser, wenn sie mit ihren Prädispositionen übereinstimmen. Demnach sind Spätzünder-Effekte nur bei denjenigen zu beobachten, die dafür prädisponiert sind, eine Meinung zu akzeptieren, die es jedoch aus irgendwelchen Gründen, etwa wegen situationärer Faktoren im Augenblick der Kommunikation, nicht taten.

Katz und Lazarsfeld konnten bei ihren begrenzten Studien nicht nachweisen, daß der persönliche Einfluß eine überwiegende Rolle spielt, vielmehr stellten sie fest, daß fast 60 % aller Meinungswechsel hinsichtlich öffentlicher Angelegenheiten offensichtlich ohne persönliche Kontakte, also ohne informelle Kommunikation stattfanden und sehr oft von massenmedialen Aussagen abhingen. Welche Einflüsse dabei außer den informellen und den medialen Aussagen wirksam gewesen sein mögen, ist nicht bekannt In allen Fällen aber, in denen informelle Kommunikation eine Rolle spielte, war ihr Einfluß tiefergehend als bei der formellen Kommunikation. Das heißt, die informelle Kommunikation kommt fast immer dann als Wirkung in Betracht, wenn sie allein steht. Treten die Wirkungen von Massenmedien hinzu, so kann man annehmen, daß der Einfluß des Meinungsführers verstärkende Funktion hat.

Klapper hat zu recht festgestellt, daß die zahlreichen Studien über die informelle Kommunikation trotz ihres gewöhnlich großen technischen Aufwandes und ihrer häufig erschöpfenden Natur kaum zu einer Generalisierung ausreichen. Die Rolle des persönlichen Einflusses in Beziehung zur Massenkommunikation ist deshalb ziemlich ungeeignet für eine definitive Bewertung. Auch heute noch, mehr als 10 Jahre nach Erscheinen des Buches von Klapper, ist unsere Unkenntnis über diese Prozesse größer als unser Wissen. Grundsätzlich scheint jedoch gültig zu sein, daß, sofern persönlicher Einfluß wirksam wird, er stärker ist als der Einfluß von Massenkommunikation. Vielmehr wird die Wirkung von Massen-kommunikation in dem Maße geringer sein, wie sie nicht durch informelle Kommunikation flankiert wird.

In diesem Stadium der Forschung auf dem Gebiet des persönlichen Einflusses sind nun einige kritische Neuansätze zu verzeichnen. Karsten Renkstorf warnt vor jeder Euphorie: „Kritische Bestandsaufnahmen erscheinen um so dringlicher, als der Forscher im wissenschaftlichen Alltag nur zu häufig vor der peinlichen Situation steht, entweder den wissenschaftlichen Offenbarungseid abzulegen, oder auf anstehende Probleme der massenkommunikativen Wirklichkeit und drängende Fragen der publizistischen Praktiker mit kurzgeschlossenen Antworten zur Stelle sein zu müssen."

Renckstorf kritisiert an der Zwei-Stufen-Hypothese, daß sie nicht zwischen dem Kommunikationsfluß und dem Einfluß differenziere und folglich auch nicht zwischen der Übertragung von Aussagen und der eigentlichen überredenden Funktion einer Aussage.

Die Zwei-Stufen-Hypothese macht Aussagen in zweierlei Hinsicht: 1, antwortet sie auf die Frage nach dem Verlauf des Kommunikationsflusses.

Diese Aussage bezieht sich auf den Prozeß der Verbreitung von Informationen und lautet: Informationen werden von den Medien zunächst den Meinungsführern übermittelt, die ihrerseits die weniger aktiven Bevölkerungsteile informieren.

Der Verbreitungsprozeß läuft zweistufig ab. In der ersten Phase werden relativ wenige Meinungsführer informiert und in der zweiten Phase erfolgt die weitere Verbreitung an die Masse der Rezipienten;

2. antwortet die Zwei-Stufen-Hypothese auf die Frage, wie sich persuasive Einflüsse ergeben, wenn schon die Medien relativ erfolglos waren. Diese Aussage bezieht sich auf den Prozeß der Beeinflussung und lautet etwa: die eigentlichen Einflußquellen stellen nicht die Medien der Massenkommunikation, sondern die Meinungsführer dar, die aus zwei Gründen potentiell einflußreicher sind: „Der Bereich, den sie erfassen, ist größer und sie haben gegenüber den Massenmedien gewisse psychologische Vorteile."

Von Renckstorf scheint die Tatsache überbewertet zu werden, daß Massenkommunikation zuerst bei den Meinungsführern ankomme. Er beachtet nicht, daß in dem Zwei-Stufen-Prozeß auch der allgemeine Rezipient von der massenkommunikativen Aussage Kenntnis nimmt, daß diese Aussage aber erst in dem Augenblick voll wirkt, wenn sie auch vom Meinungsführer zusätzlich unterstrichen wird.

Interessanter ist, was Renckstorf über neuere Untersuchungen zur Zwei-Stufen-Hypothese mitteilt Er verweist dazu auf die von Deutsch-mann Studie und Danielsohn publizierte über die Diffusion (Verbreitung) von Aussagen. Die Autoren haben drei wichtige Nachrichten und ihre Verbreitung untersucht, und zwar einmal die Nachricht von der Erkrankung Eisenhowers im Jahre 1957, die Nachricht vom Explorer I 1958 und von dem Anschluß Alaskas an die USA 1958. Bei der Verbreitung wichtiger politischer Nachrichten spielt die personale Kommunikation, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Zudem hat seit den 60er Jahren zunehmend das Fernsehen eine Funktion in diesem Bereich erhalten; das Fernsehen ist nach Ansicht von Deutschmann und Danielsohn die vorherrschende erste Quelle für wichtige politische Informationen. Dies gilt für den eigentlichen Vorgang der Verbreitung, nicht aber der Überredung. Zwei Drittel der von Deutsch-mann und Danielsohn befragten Rezipienten erwähnten, daß sie über die Nachrichten mit anderen gesprochen hatten. Sie ziehen daraus den Schluß, daß der Massenkommunikationsprozeß viel regulärer verläuft, also direkter, als man nach der Zwei-Stufen-Hypothese annehmen müßte, insbesondere wenn man sie so einseitig und eng auslegt, wie das bei Renckstorf der Fall ist, wie es aber wohl von Lazarsfeld und Berelson niemals beabsichtigt wurde. 1964 haben Hill und Bonjean die Regularitätshypothese, also die Hypothese der regulären Diffusion von Nachrichten weiter untersucht, und zwar am Beispiel des Kennedy-Attentats von 1963, das verglichen wurde mit den Untersuchungen von Deutschmann, Danielsohn und einigen anderen. Die Autoren haben ihre Ergebnisse in vier Hypothesen zusammengefaßt

1. je größer der Informationswert eines Ereignisses, desto bedeutsamer ist die Rolle, die personale Kommunikation im Prozeß der Diffusion spielt;

2. je größer der Informationswert eines Ereignisses, desto schneller wird sich der Difussionsprozeß abspielen;

3. die Bedeutung der verschiedenen Medien als Informationsquellen hängt zum Teil von den Tagesabläufen der Rezipienten ab. Werden diese normalen Tagesabläufe durch das Auftreten eines bedeutenden Ereignisses unterbrochen, so kann die Bedeutung der verschiedenen Medien signifikant verschoben werden;

4. während gewisse sozio-ökonomische Klassenunterschiede in bezug auf die Nutzung der Medien bestehen mögen, verringern sich diese Unterschiede jedoch tendenziell, wenn es sich um die Verbreitung eines Ereignisses von großer Bedeutung handelt. 1966 haben Budd, MacLean und Barnes diese vier aufgestellten Hypothesen bestätigt, unter anderem am Beispiel des Rücktrittes von Chruschtschow (1964). Nur bei der 3. und 4. Hypothese haben sie gewisse Differenzie-rungen vorgenommen, besonders im Hinblick auf die sozio-ökonomische Situation der Rezipienten. Es zeigt sich nämlich nach ihrer Ansicht, daß Rezipienten mit höherer Ausbildung sich schneller von einem solchen Ereignis mitreißen lassen, als jene mit geringerer Ausbildung.

V. Ansätze zur Theorie des Meinungswandels

Die Theorie der Wirkungen, die menschliches Verhalten beeinflussen, wird stark von der Vorstellung der Stabilität und der Labilität beeinflußt. Voraussetzung ist, daß der Mensch seine kognitive Struktur unter dem Einfluß von äußeren Reizen in Richtung auf einen Gleichgewichtszustand verändert In direktem Zusammenhang mit dieser Theorie sind die Forschungen zu sehen, die Leon Festinger in den 50er Jahren zur Theorie der kognitiven Dissonanz durchführte. Weiterführende Studien auf diesem Gebiet stammen unter anderem von Carl Hovland, der uns mehrfach im Zusammenhang mit Untersuchungen über den Kommunikationsfluß begegnete. Um Dröge zu zitieren: Das einfache Grundmodell der kognitiven Dissonanz reduziert die Variablen, welche die Wirkung einer Aussage determinieren, auf drei:

1. die präkommunikative Meinung des Rezipienten, 2. die Bewertung des Kommunikators, und 3. die in der Aussage manifestierte Meinung.

Jede Variable ist dabei durch Richtung (positiv-negativ) und Intensität (stark-gering) bestimmt. Damit impliziert die erste Variable die Stabilität der Meinung, die zweite Glaubwürdigkeit und Image des Kommunikators und die dritte die Adäquanz der Perzeption, wobei nur die in der Aussage implizierte Meinung aus der Sicht des Rezipienten (subjektive Meinung der Aussage) relevant ist, die allerdings von der tatsächlichen (objektiven) Meinung der Aussage abweichen kann. Befinden sich diese drei Variablen im Einklang, so ist die kognitive Struktur konsonant (konsistent, kongruent, im stabilen Gleichgewicht). Eine Beob-achtung aus dem alltäglichen Leben zeigt z. B. eine solche konsonante Struktur: Menschen neigen dazu, Leuten, die sie mögen, in ihrer Meinung zuzustimmen, und umgekehrt, Leute zu mögen, die ihrer Meinung zustimmen. Man hat insgesamt vier Grundmuster der konsonanten kognitiven Struktur ermittelt: 1. die positive Meinung des Rezipienten deckt sich mit der in einer Aussage manifestierten positiven Meinung, die von einem ebenfalls positiv bewerteten Kommunikator vertreten wird;

2. Die negative Meinung des Rezipienten deckt sich mit der in einer Aussage manifestierten negativen Meinung, die von einem positiv bewerteten Kommunikator vertreten wird;

3. die negative Meinung des Rezipienten deckt sich mit einer negativen Bewertung des Kommunikators, der in seiner Aussage eine andere (positive) Meinung vertritt;

4. die positive Meinung des Rezipienten steht der in einer Aussage manifestierten negativen Meinung gegenüber, was mit der negativen Beurteilung des Kommunikators übereinstimmt.

Entsprechend hat man vier Grundmuster der dissonanten kognitiven Struktur festgestellt: 1.der Rezipient hat eine negative Meinung, während der Kommunikator, den er positiv bewertet, in seiner Aussage eine andere, nämlich positive Aussage vertritt; 2. die positive Meinung des Rezipienten, der den Kommunikator ebenfalls positiv bewertet, deckt sich nicht mit dessen in der Aussage manifestierten negativen Meinung, 3. die positive Meinung des Rezipienten steht im Gegensat die positive Meinung des Rezipienten steht im Gegensatz zum negativ bewerteten Kommunikator, der in seiner Aussage ebenfalls eine positive Meinung vertritt, 4. die negative Meinung des Rezipienten deckt sich mit der in der Aussage manifestierten Meinung des Kommunikators, der aber ebenfalls negativ bewertet wird.

Es ist ganz klar, daß hier im Sinne mathematischer Vorstellungen (ausgehend von der Plus-Minus-Relation) ein Spiel mit Varianten getrieben wird, das naturgemäß der Wirklichkeit nur angenähert werden kann.

Erkenntnis (cognition) ist von der Psychologie als die Weltvorstellung definiert worden, die ein Individuum in sich trägt. Erkenntnis hängt eng zusammen mit dem Wissen, der Meinung und den Glaubensgrundsätzen über sich selbst und über alle Aspekte der psychologischen und physikalischen Umgebung, die ein Individuum hat. Es handelt sich hier also um Faktoren, die im Individuum selbst liegen und nicht um Situationäre Variable, deren Wirkung naturgemäß auch von Massen-kommunikation beeinflußt werden kann 2). Die kognitive Ko isistenzhypothese impliziert, daß es eine Tendenz gibt, das kognitive Gleichgewicht aufrechtzuerhalten oder zu ihm zurückzukehren, und daß diese Tendenz zum Gleichgewicht nicht nur die Art der persuasiven Kommunikation determiniert, der sich das Individuum zuwendet, sondern auch die Natur der Kommunikation, die es selbst äußert. Die Konsistenztheorie hat eine Vielzahl von Psychologen beschäftigt, aber die Variation, die von Leon Festinger in der Theorie der kognitiven Dissonanz vorgetragen wurde, hat das größte Interesse gefunden, aber auch Kritik.

Der Grundgedanke der Theorie der kognitiven Dissonanz ist folgender: Wenn eine Person verschiedene Dinge erfährt, die psychologisch nicht miteinander konsistent sind, dann wird sie versuchen, auf verschiedene Weise nach Möglichkeit eine Konsistenz zwischen ihnen herzustellen. Das Konzept der kognitiven Dissonanz bezieht sich auf den psychologischen Zustand in Situationen, in denen ein Individuum eine Entscheidung zu fällen hat oder fällen will. Weil aber die Entscheidung für eine Alternative gleichzeitig potentiell alle früheren Entscheidungen desavouiert, ist das Individuum, das zwischen Alternativen entschieden hat, sogleich mit dem psychologischen Unbehagen konfrontiert, das aus der Entscheidung für eine nicht völlig befriedigende Alternative resultiert. Dieses Unbehagen wirkt dahin, daß das Individuum versucht, die kognitiven Dissonanzen zu reduzieren und so sein Unbehagen zu eliminieren. Je größer die Dissonanz ist, desto stärker ist die Motivation, das Gleichgewicht herzustellen durch Eliminierung des Unbehagens.

Dieser Vorgang kann nun auf verschiedene Weise stattfinden. Das Individuum kann sein Verhalten ändern oder es kann auch seine kognitive Umgebung ändern, indem es tatsächlich vorhandene Vorgänge nicht akzeptiert. Um ein Beispiel zu nennen: jemand liest seit Jahren eine Zeitung, weil ihre Meinung ihm zusagte. Nun ändert diese Zeitung ihre Richtung; der Leser hat sich aber so an das Blatt gewöhnt, daß er versucht, durch eine Meinungsänderung sich der neuen Richtung der Zeitung anzupassen. Das Individuum kann aber auch neue kognitive Elemente finden, indem es etwa im Falle der Zeitung sich einzureden versucht, die Änderung in der Tendenz des Blattes beziehe sich nur auf ein nebensächliches Randgebiet. In diesem Zusammenhang sind Studien interessant, die die amerikanischen Psychologen Janis und King 3) über den Einfluß durchführten, den die Rollenfunktion im Kommunikationsprozeß auf den Meinungswandel ausübt. Sie stellten nämlich fest, daß Menschen eher Inhalte internalisieren, die sie anderen formuliert weitergeben mußten, als solche, die nur passiv rezipiert werden. D. h.der Formulierungsprozeß schlägt sich in einer Rationalisierung nieder. Sobald der Einzelne eine aufgenommene Information selbst weitergibt, identifiziert er sich mit ihr in höherem Maße als jemand, der nur stummer Empfänger ist. Man spricht hier von der aktiven und der passiven Teilnahme am Kommunikationsprozeß, eine wichtige Unterscheidung, die gerade bei der Frage nach der Wirkung von Massenkommunikation ein nicht zu unterschätzender Faktor ist.

Wenn man diese Erkenntnis in Beziehung zum Begriff des Meinungsführers setzt, so darf man schließen, daß der Meinungsführer durch die Übernahme von Informationen aus der Massenkommunikatiund ihre verbale Wieder-gäbe selbst mehr beeinflußt wird, als der von ihm angesprochene passive Rezipient von Massenkommunikation. Und in bezug auf den Meinungsführer setzen dann die kommunikativen Mechanismen wie Prestige, Glaubwürdigkeit ein, die nun wiederum eine verstärkende Wirkung auf den bloß passiven Rezipienten ausüben.

Janis und King haben in einer zweiten Untersuchung mit drei Gruppen von Studenten ein zusätzliches Moment ermittelt. Sie veranlaßten diese Studentengruppen, ein Papier zu lesen, in dem ihre baldige Einziehung und die Verlängerung der Dienstzeit gegenüber dem normalen Wehrdienstleistenden positiv begründet wurde. Die erste Gruppe hatte dieses Papier nur für sich zu lesen, die zweite Gruppe mußte das Papier laut lesen und die dritte Gruppe wurde veranlaßt, die aus dem Papier entnommenen Argumente mündlich an andere weiterzugeben. Bei der Überprüfung der Auswirkung dieses Verfahrens zeigte sich, daß den höheren Grad von Befriedigung mit der vorgelegten Information die zweite Gruppe von Studenten hatte, die das Papier laut vor sich hingelesen hatte. Aber ein bedeutungsvoller Meinungswandel war nur in der dritten Gruppe zu beobachten, die also aktiv den Inhalt des Papiers an andere wiedergeben mußte. Daraus läßt sich schließen, daß auch im Massenkommunikationsprozeß der Rezipient eher einen Meinungswandel akzeptieren wird, wenn er gezwungen ist, die aufgenommenen Informationen an andere weiterzugeben. Wie es sich allerdings in Fällen verhält, in denen der Rezipient diesem Zwang zur Weitergabe nicht unterliegt, sondern nur gelegentlich, völlig impulsiv solche Informationen weitergibt, läßt sich aus diesen Untersuchungen nicht erkennen Es handelt sich dabei quasi um das Prinzip der Selbstüberredung durch aktive Teilnahme.

Die Position von Festinger in bezug auf die Selbstüberredung ist jedoch eine andere als die von Janis und King. Festinger stellt die Frage, welchen Aufwand man treiben müsse, um jemanden so zu überreden, daß er tatsächlich seine privaten Ansichten ändert: »Nehmen wir z. B. eine Situation an, in der ein Mann zu Ihnen käme und Ihnen sagte, er würde Ihnen eine Million Dollar geben, wenn Cie öffentlich feststellten, daß Sie gerne Comic-Books lesen. Nehmen wir weiter an, daß Sie ihm glauben und daß Sie in Wirklichkeit nicht gern Comic-Books lesen. Wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich würden Sie öffentlich erklären, daß Sie Comic-Books bevorzugen, die Million einsacken und sehr damit zufrieden sein. Es gibt zwar eine kleine Dissonanz, ganz gewiß; Sie sagten, daß Sie Comic-Books lieben und in Wirklichkeit gar nicht so gern haben; aber es gibt wichtige Elemente, die sich mit ihrer öffentlichen Feststellung vertragen: nämlich das beruhigende Gefühl, jetzt das Geld in der Tasche zu haben. Verglichen damit ist die Dissonanz unerheblich. Sehr ähnlich wäre die Situation, hätte der betreffende Mann gedroht, Sie zu erschießen, wenn Sie nicht öffentlich erklärten, Comic-Books zu mögen. Wenn die versprochene Belohnung oder die drohende Strafe in ihrer Bedeutung geringer wird, dann wächst die Dissonanz, die aus dem Nachgeben resultiert. Die größtmögliche Dissonanz würde erzeugt, wenn die Belohnung oder die Bestrafung eben noch ausgereicht hätte, das erwünschte offene Verhalten oder die Äußerung hervorzubringen."

Im letzten Fall könnte also das Individuum seine öffentliche Stellungnahme vor sich selbst nicht hinreichend rechtfertigen. Die Folge wäre, daß es eher dazu neigen würde, seine Meinung über den betreffenden Gegenstand, in diesem Falle die Comics, zu ändern und auf diese Weise sich selbst wieder ins Gleichgewicht zu bringen. So ergibt sich nach der Festingerschen kognitiven Dissonanztheorie eine paradoxe negative Beziehung zwischen Meinungswandel und der Qualität der in Aussicht stehenden Belohnung oder Strafe. Je größer die Bestechung oder Belohnung, um so geringer ist die kognitive Dissonanz, weil das Individuum sein Verhalten mit dieser Belohnung oder Bestechung rechtfertigen kann, und um so geringer ist auch der Meinungswandel. Je größer aber der kognitive Konflikt ist, in dem Falle nämlich, in dem das Individuum sein Verhalten vor sich selbst nicht rechtfertigen kann, weil die Belohnung oder die Gefahr zu gering waren, um so eher wird es dazu neigen, seine Meinung zu verändern, um sich wieder in ein kognitives Gleichgewicht zu bringen. 1966 hat Milton Rosenberg die generelle Gültigkeit dieser Ergebnisse bezweifelt. Die Kritik bezieht sich insbesondere darauf, daß diese Ergebnisse bei Experimenten erzielt wurden, bei denen den Versuchspersonen der experimentelle Charakter bekannt war. Vielmehr glaubt Rosenberg, annehmen zu dürfen, daß Einstellungswandel eher erfolgt nach der Ausführung von einfachen, ziemlich un-differenzierten und offenen Handlungen oder bei Zusicherungen von gegensätzlicher Einstellungsstruktur. Von anderer Seite wurde festgestellt, daß die von Festinger eingesetzten Belohnungsbeträge in keinem Verhältnis zu der erwarteten Leistung stünden.

Interessanter als diese Belohnungshypothesen dürften die Anpassungshypothesen sein, die in engem Zusammenhang damit entstanden sind und wie sie Arthur Cohen und andere vorgetragen haben Die Aussicht auf positive Beurteilung einer niedergeschriebenen Kommunikation veranlaßt den Schreiber zu einer Verhaltensänderung, d. h.der Anpassungsprozeß ist etwa im Bereich der Schule und des Studiums sehr groß. Wenn z. B. ein Student vermutet, daß eine bestimmte Darstellung bei seinem Professor besonders günstig ausgenommen wird, dann kann es dazu kommen, daß die zunächst im Gegensatz zu seiner Überzeugung vorgetragene Auffassung später zu seiner eigenen Auffassung wird. Hier haben wir Manipulation in Reinkultur. Sie entsteht gewissermaßen aus der Selbstüberredung des Rezipienten.

Es kann bei all diesen Experimenten, die auf einer sehr schmalen Basis durchgeführt werden, nicht ausgeschlossen werden, daß die Versuchspersonen sich untereinander beeinflussen, und zwar im Sinne einer Dissonanz-reduktion durch soziale Unterstützung, was besagt, daß sozial integrierte Menschen viel eher geneigt sind, ihre Meinungen zu ändern, als isolierte, unabhängige. Die Vermittlung von Informationen führt immer dann zur Reduktion einer bestehenden Dissonanz, wenn sie mit einem zusätzlichen Versprechen oder einer Drohung verbunden ist, wobei der Meinungs-und Einstellungswandel sehr davon abhängt, in welchem Verhältnis Belohnung und Bestrafung zu dem Wert der geleisteten öffentlichen Bekundung steht.

Festinger hat sich mehr auf die Fragen konzentriert, die mit der Reduzierung von Dissonanzen Zusammenhängen, also mit ihren Ur

Sachen Auf eine einfache Formel gebracht, bedeutet die Dissonanztheorie, daß eine psychologische Inkonsistenz besteht zwischen dem, was Leute wissen, und dem, wie sie handeln, und der Art und Weise, in der sie mit diesen Inkonsistenzen fertig werden. Manchmal, wenn ein Individuum irgendeine Handlung vornimmt ohne angemessene Rechtfertigung, dann hat es ein starkes Bedürfnis, darüber zu sprechen, um sich die Rechtfertigung zu verschaffen. Oft wollen Menschen beispielsweise ihre Kaufentscheidung später rechtfertigen, indem sie sich diese durch Werbetexte bestätigen lassen.

Die Sozialpsychologen haben Schwierigkeiten, experimentell nachzuweisen, daß eine Beziehung zwischen der Einstellung auf der einen Seite und dem offenen Verhalten auf der anderen Seite besteht. Die Verfahrensweise, die von Festinger übernommen wurde, beleuchtet dieses Problem ein wenig; denn wo ein Verhalten oder Nachgeben im Widerspruch mit privaten Einstellungen steht, wird Dissonanz folgen, und es ist wahrscheinlich, wenn auch nicht unvermeidlich, daß das Individuum versuchen wird, diese Dissonanzen durch den Wandel seiner Einstellung zu reduzieren. Einige Kritiker haben aber angemerkt, daß das Konzept des Einstellungswandels bestimmte Grenzen hat, einfach weil niemand sicher sein kann, daß eine Person ständig in Einklang mit seinen verbal ausgedrückten Einstellungen handelt. Halloran hält es für eins der wichtigsten Ergebnisse der Dissonanztheorie, daß sie diesen Tatbestand erkennt und versucht, die Bedingungen zu spezifizieren, unter denen Einstellungen und Verhaltensweisen tatsächlich korrespondieren. Dissonanz hat im allgemeinen mit Inkonsistenz zwischen zwei oder mehr kognitiven Elementen zu tun, und für den Zweck dieses Modells sind die kognitiven Elemente Wissen, Meinung, Glauben und Verhaltensweisen eingeschlossen. Ob diese Elemente beim Informationsprozeß überhaupt miteinander in Relation stehen, ist fraglich. So muß man also diese Relation zunächst einmal bestimmen, bevor man die Dissonanzhypothese anwenden kann. Festinger hat, um zusammenzufassen, den Kern seiner Theorie als ganz einfach beschrieben und folgendermaßen formuliert: 1. Es können dissonante oder nicht zueinander passende Relationen bestehen und nicht-kognitive Elemente.

2. Das Vorhandensein von Dissonanz resultiert in dem Druck, die Dissonanz zu reduzieren und alles abzuwehren, was die Dissonanz erhöhen könnte.

3. Diese Versuche manifestieren sich in Verhaltensänderungen, Erkenntniswandel und Suchen nach neuen Informationen, neuen Meinungen.

Halloran hat aber eingewandt, daß bei der Anwendung dieser einfachen Theorie auf verschiedene Situationen ganz komplexe Tatbestände herauskommen, daß also ein höchst kompliziertes Bild entsteht, das mit der Einfachheit der Theorie nicht ganz in Einklang zu bringen ist. Der stärkste Widerstand gegenüber einem Wandel von kognitiven Elementen kommt zweifellos von dem Verhältnis dieser Elemente zur Realität. Der Mensch versucht ständig, alle seine Reaktionen in Einklang mit der Wirklichkeit zu bringen. Es gibt aber Tatbestände, die nicht so einfach einzusehen sind, wie das Erkennen einer bestimmten Farbe, über die es kaum einen Streit geben kann. In solchen Fällen hängt der Wandel davon ab, in welchem Maße ein Individuum Unterstützung von anderen erhalten würde.

Das Festinger-Modell versucht, die theoretischen Überlegungen auch in Bezug auf das selektive Verfahren gegenüber Informationen weiterzubringen; denn es ist wahrscheinlich, daß aus einer Aussage vor allem Faktoren ausgewählt werden, die eine bestimmte Handlungsweise rechtfertigen. Man sollte aber bedenken, daß die Dissonanztheorie zwar eine Möglichkeit ist, Einstellungs-und Verhaltens-wandel zu erklären, daß es aber eine Reihe anderer Hypothesen gibt, die solchen Wandel erklären. Arthur Cohen hat 2. B.den Grundsatz aufgestellt, daß die Dissonanz um so geringer ist, je zwingender die Gründe für eine gegen die Einstellung gerichtete Handlungsweise sind. Je geringer Unterstützung, Ausreden, Strafen oder Belohnungen für etwas sind, was man tut, um so größer ist die Dissonanz, um so größer ist auch die Anstrengung, sie zu reduzieren, und wenn diese Reduktion nicht gelingt, so resultiert dieser Mißerfolg meistens in einem Einstellungswandel.

Festinger hat seine Theorie in den letzten Jahren selbst ein wenig modifiziert Es geht ihm jetzt noch mehr als bisher um die Ursachen dieser Dissonanzen. Die Gültigkeit der Dissonanztheorie ist noch keineswegs voll erwiesen, vielmehr lassen einige Untersuchungsergebnisse eine widersprüchliche Auslegung zu. Daher rührt auch oft die Verwirrung in der Interpretation dieser Theorie. Wahrscheinlich kommt am Ende heraus; daß die Dissonanztheorie für viel weniger Flf angewendet werden kann und gültig ist, ‘aFes selbst von ihren kritischsten Interpreten akzeptiert wird. Manche Erklärungen, die mit der Dissonanztheorie leichthin gegeben werden, können vielleicht auf andere. Weise viel eindrucksvoller und mit größerer Wahrscheinlichkeit gegeben werden. So hat Andrzej Malewski einige Begrenzungen 'der Dissonanztheorie aufgezeigt Insbesondere konnte er experimentell nachweisen, daß gewisse Dissonanzsituationen nicht immer, ein Dissonanzreduktionsverhalten erzeugen. Diesem Tatbestand hat Festinger, der ihn zweifelsohne kennt, nach Ansicht von Malewski nicht Rechnung getragen. Z. B. hat Festinger die Frage offengehalten, ob durch Dissonanz verursachte Einstellungsänderungen nicht aus Furcht resultieren können und dann den Charakter einer Selbstbestrafung erhalten.

Chapanis vertritt die Ansicht, daß die Dissonanztheorie wegen des fehlerhaften und manipulativen Charakters der angewandten experimentellen Verfahren einer gründlichen Überprüfung nicht standhält. Der Erfolg und die große Resonanz der Festingerschen Thesen hängt wohl mit der Simplizität zusammen, die eine gewisse Attraktion auf jene ausübt, die auf dem Gebiet der Sozialpsychologie dilettieren. Chapanis hat zu Recht betont, daß es nicht realistisch sei, komplexe soziale Situationen auf zwei simple dissonante Feststellungen zu reduzieren. Wir haben es also bei der Dissonanztheorie von Festinger mit einer Forschungskrücke zu tun, deren Standfestigkeit sich bis heute nicht erwiesen hat.

VI. Massenmedien, Meinungsbildung, öffentliche Meinung

In dem von Wolfgang Böhme herausgegebenen Bändchen über „Die politischen Wirkungen von Funk und Fernsehen" wird ein Aufsatz von Erwin K. Scheuch „Die Bedeutung der Massenmedien im Prozeß der politischen Meinungsbildung" wiedergegeben. Scheuch sagt dort, daß die Wirkung der Veröffentlichung von Sachverhalten — ob nun demoskopisch getestet oder auf Grund von Erfahrungen vermutet — jenseits der sachlichen Kriterien einer Aussage immer einer der Hauptstreitpunkte sei. Die Berichterstattung, selbst wenn sie wertfrei sei, sei selbstverständlich in den „Wirkungen" nicht neutral. Man wird Scheuch Recht geben müssen, daß dies das eigentliche Thema der heutigen Kontroverse über die Rolle der Massenmedien im Prozeß der politischen Meinungsbildung ist. Er möchte mit diesem Hinweis allerdings den Vorwurf der „Manipulation" aus der Debatte ausklammern. Wir machen eine schärfere Unterscheidung dieses Tatbestandes, indem wir in dem Falle, den Scheuch hier meint, von Wirksamkeit sprechen, also von den unbeabsichtigten Wirkungen oder jenen Wirkungen, die mit der Existenz und der Funktion von Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft Zusammenhängen.

In der Interpretation von Scheuch steckt ein bestimmtes Maß von Wirkungsverhalten; denn er tut so, als wenn es sich bei den Kommunikatoren weitgehend um naiv selektierende Wesen handle, die ihre Informationen auf den Markt werfen, ohne sich darüber klar zu sein, was denn dadurch auf dem Markt bewirkt wird. Journalisten und Publizisten haben wohl stets die Absicht, Meinung zu bilden; insofern findet Wirksamkeit eigentlich nur immer indirekt statt, z. B. dann, wenn Politiker sich durch die bloße Existenz der Massenmedien zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt fühlen.

Scheuch spricht weiter davon, daß Massenmedien und öffentliche Meinung in den hochdifferenzierten Gesellschaften entscheidende Verbindungen zwischen jeweils spezialisierten Institutionen sowie allgemeinen und speziellen Öffentlichkeiten seien. Er schreibt ihnen gewissermaßen eine Ersatzfunktion für das unzureichende Netz der direkten Interaktion zu, weil sie die in dem jeweiligen Spezialbereich herrschenden Meinungen und Vorstellungen korrigieren, indem sie die fachlichen Überlegungen oder die speziellen Interessen mit einer „generell unsachgemäß urteilenden Öffentlichkeit" konfrontieren. Von dieser Warte aus reduziert Scheuch den politischen Kampf, den gesamten Bereich der Propaganda und der Kommunikationspolitik auf permanente Spannungen zwischen Sachverstand und Nicht-Sachverstand, und diese Spannungen werden durch Massenmedien aktualisiert. Den Pferdefuß in dieser Argumentation bemerkt Scheuch selbst, indem er davon spricht, daß er nicht ein Plädoyer für einen autonomen Sachverstand halten möchte, und es gehe auch nicht um die Frage, welcher Stellenwert dem Sachverstand in einer Demokratie legitimerweise zukomme. Vielmehr wolle er aufzeigen, daß in dem Prozeß der gesellschaftlichen Differenzierung die Massenmedien ein Korrektiv darstellen, das zugleich einen strukturell unlösbaren Konflikt aktualisiere. Scheuch sieht darüber hinaus eine beständige Konkurrenz zwischen den Bereichen der Politik und den Massenmedien, weil beide irgendwie, ausgesprochen oder unausgesprochen, den Anspruch erheben, sie selbst seien der Ausdruck der allgemeinen Vorstellungen oder des allgemeinen Interesses oder, populär gesprochen, der öffentlichen Meinung.

Man wird wohl mit gewisser Berechtigung feststellen können, daß selbst über problematisierte Vorgänge nie mehr als dreh bis vier verschiedene Ansichten geäußert werden. Diese Erkenntnis läßt sich auch dadurch rechtfertigen, daß selbst in Viel-Parteien-Demokratien die Koalitionsfähigkeit zwischen den unterschiedlichen politischen Richtungen gewahrt bleibt, da sonst die Ausübung politischer Macht überhaupt nicht mehr denkbar wäre, Solche Koalitionen sind pragmatische Zweck-bündnisse auf Zeit. Man kann sie nur dadurch zustande bringen, daß man sowohl in den Prinzipien als auch in der Strategie gewisse Zugeständnisse macht. Die Unfähigkeit der meisten Wähler, sich bei ihrer Wahlentscheidüng auf ein wesentliches Problem zu stützen, macht ihn eigentlich für das System der De-mokratie, wie es sich entwickelt hat, ungeeignet. Der Grund liegt zweifelsohne darin, daß der Prozeß der politischen Bildung, wie er von unserem Erziehungssystem in Gang gesetzt worden ist, unzureichende Ergebnisse erzielt. In diesem Prozeß könnten die Massenmedien eine große, eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie jene Rolle wahrnehmen würden, die die politische Bildung als Institution in unserem Staate nicht zu spielen Vermag. Ganz im Gegenteil aber müssen die Massenmedien, jedenfalls die gedruckten, wegen ihrer Kommerzialisierung und wegen der Rücksichtnahme auf den Markt sich genau jener Struktur anpassen, die wir als fehlerhaft und als Ergebnis unserer politischen Bildungsinstitutionen gekennzeichnet haben. Da aber die öffentlich-rechtlich gegliederten audiovisuellen Medien auf diesen Zustand abgestimmt sein müssen, weil sie von den politischen Entscheidungsträgern und der Reaktion der Offentlichkeit abhängen, ist in der Tat jener Verstärkungsprozeß dauernd im Gange, der als das Wesen der Wirkung von Massenmedien bezeichnet wird.

Aus diesem Dilemma wird das System unserer Massenkommunikation nicht herauskommen, wenn man nicht tatsächlich ernst macht mit den Vorstellungen von Presse-und Informationsfreiheit-: Die Frage ist, wer an diesem beklagenswerten Zustand mitwirkt, und wer ihn erhält. Die sogenannte öffentliche Meinung, verstanden als die bloße Addition von Einzelmeinungen, ist derart strukturiert, daß sie nicht in der Lage ist, die Fakten der geschichtlichen politischen Entwicklung zu erkennen. Jene aber, die an den Schaltstellen unserer Publizistik stehen (die Verleger, Intendanten und andere leitende Funktionäre in Medien-Institutionen)

sind nicht bereit, ein Risiko einzugehen, das über ein bestimmtes Maß hinausgeht.

Der Einklang mit den Normen der Gesellschaft wird durch die Stabilität oder die Steigerung der Auflage gekennzeichnet bzw. durch ein Minimum an Einsprüchen aus den Verwaltungs-und Programmbeiräten. Dieses schöne Bild einer heilen Welt läßt sich wohl nur dadurch zerstören, daß man kritischere Journalisten ausbildet, die die Funktion der Massenmedien so sehen, wie sie von der Verfassung vorausgesetzt wird. Scheuch spricht dagegen in dem bereits erwähnten Aufsatz davon, daß Massenmedien insofern ein primärer Einflußfaktor für politische Prozesse seien, als sie „aus sich selbst heraus" Thema und Zeitpunkt der Aufmerksamkeit zur öffentlichen Diskussion bestimmten.

Zweifellos schildert Scheuch damit den Tatbestand, den wir gerade kritisieren müssen, daß es nämlich zu den Aufgaben der Massenmedien gerechnet wird (upd das entspricht der Wirklichkeit), irgendwelche Dinge, die u. U. gar nicht das Problem des Augenblicks sein können, zu einer angeblich wichtigen Angelegenheit zu machen und damit die öffentliche Diskussion so einzunehmen, daß wesentliche Fragen dahinter verschwinden. Aber geschickt weiß Scheuch auch diesem Vorwurf auszuweichen, wenn er sagt, daß es Situationen gebe, in denen eine Massenkommunikationssendung Meinungen tatsächlich manipulieren könne, etwa bei einer neu oder zum erstenmal in den Scheinwerfer der öffentlichen Aufmerksamkeit tretenden Person. Die Präokkupation mit diesem zweifellos wichtigen Problem lenke ab von einer mindestens ebenso wichtigen Funktion der Massenmedien: Themen in die öffentliche Diskussion hineinzutragen, also nicht so sehr Meinungen zu beeinflussen, sondern Themen zu provozieren. Hier haben wir dann wieder das bekannte Modell des Pluralismus, das nach Scheuch voraussetzt, die Massenmedien sollten hauptsächlich die Rezipienten mit Themen überschütten, wobei die Frage der Wichtigkeit und Gewichtung wohl kaum eine Rolle spielen kann.

Um das zu vermeiden, will Scheuch dem Massenkommunikationssystem als besonders wichtige Funktion zuschreiben, die Aufmerksamkeit punktuell auf einige Themen aus der Fülle aller Themen zu konzentrieren. Genau das leisten unsere Massenmedien, wenn man etwa in letzter Zeit beobachtet, wie gewisse Probleme immer wieder an die Oberfläche gebracht werden: etwa die angebliche Kriminalität in unserer Gesellschaft, eine Vorstellung, die, wie schon gezeigt, aus dem Furcht-mechanismus herrührt, der zahlreiche Gesellschaftsmitglieder beherrscht, ohne daß die Furcht eine reale Grundlage hat. Wenn man diese furchtsamen Menschen einmal darauf ansprechen würde, wie viele Verbrechen sie wirklich miterlebt oder zumindest gesehen haben, dann werden sie wahrscheinlich nur auf den Bildschirm verweisen, weil in der Realität so viele Verbrechen nicht vorkommen, daß sie augenfällig werden.

Man wird der These von der Themenkonzentration durch Massenkommunikation, wie sie von Scheuch formuliert wurde, widersprechen müssen, weil diese Konzentration nur sehr kurzfristig sein kann, wenn man das Interesse nicht erschöpfen will. Indem man also in den Massenmedien solche Themen zu einem Kulminationspunkt treibt, erledigt man sie im Grunde damit und läßt den Rezipienten dann allein in der Überzeugung, daß, wenn dieses Thema aus der Massenkommunikation verschwunden ist, es im Grunde auch seine Bedeutung verloren habe.

Scheuch findet denn auch erwähnenswert, daß in den USA ein Kongreßausschuß zur Wiederherstellung sauberer Quizprogramme eingerichtet wurde. Es wird damit der Eindruck erweckt, als wenn in einer wichtigen Frage Korruption behoben worden sei. Wo bleiben aber die Kongreßausschüsse, die etwa Wirtschaftskriminalität beseitigen helfen? Hier hat man es wohl nach der Vorstellung der heutigen Gesellschaft immer noch mit Kavaliersdelikten zu tun; angefangen von der Steuerhinterziehung bis zur ungerechtfertigten Preistreiberei, alles Vergehen, die in unserer Gesellschaft weder hinreichend geprüft noch behoben werden. Gerade aus diesen Fehlern leitet der unpolitische Bürger ab, daß unsere Demokratie im Grunde nicht fähig sei, wesentliche Probleme zu lösen.

Welch ein Aufschrei ging durch unsere Öffentlichkeit, natürlich manipulierter Aufschrei, als Herr Kulenkampff in einer seiner Unterhaltungssendungen eine dezidierte politische Meinung äußerte. Nur die Tatsache, daß in Hessen eine sozialdemokratische Regierung im Amt ist, hat Kulenkampff wohl veranlaßt, diese dezidierte Meinung zu äußern. Er hätte sich vermutlich sehr gehütet, sie zur Kenntnis zu bringen, wenn er sich nicht des Schutzes der Institution in Hessen hätte sicher sein können.

Es ist also keineswegs möglich, selbstzufrieden zu sein mit den Kontrollmechanismen, die angeblich den Pluralismus in unserem Massenkommunikationsinstitutionen gewährleisten. Gunter Gaus hat sehr richtig auf ein Problem hingewiesen, das die Information durch unsere Massenkommunikationsinstitutionen belastet: überall werden Sachfragen zu Personenfragen gemacht. An den Preisen ist nur Willy Brandt schuld etc. Man wird den Menschen, die so etwas äußern, ihre Überzeugung kaum nehmen können. Willy Brandt ist auch schuld an der Ostpolitik, an dem Verzicht auf deutsches Land, an der Kriminalität in der Bundesrepublik usw. usw.

Vermutlich ist diese Betrachtungsweise das Ergebnis der bei uns im politischen Kampf zumindest seit 1961 üblichen Profilierung von Politik in Gestalt von Politikern. 1961 wurde zum erstenmal der Wahlkampf eindeutig als eine Auseinandersetzung zwischen ganz bestimmten politischen Persönlichkeiten geführt.

Es hat solche Erscheinungen schon früher, etwa in der Weimarer Republik gegeben. Sie hatten sich da aber im wesentlichen auf autoritäre Parteien vom Schlage der NSDAP beschränkt. Nun reagiert der Wähler unerwünscht, indem er das, was ihm vorher als Wesen der Politik dargeboten wurde, umkehrt und alle Schuld an politischen oder wirtschaftlichen Mißständen auf eine Person überträgt. Die Propaganda hat es dann sehr leicht, diese ohnehin in Mißkredit geratene Figur zum Popanz aufzubauen. Solche Politiker haben es schwer, sich in der Massenkommunikation so durchzusetzen, wie sie sich selbst eigentlich gern gesehen hätten.

Es gibt Konflikte in der Beurteilung, wie weit das Prestige eines Menschen, die Sympathie, die er erweckt, seine Beurteilung als Sündenbock gewissermaßen in eine Dissonanz in der Öffentlichkeit bringt. Während etwa ein Mann vom Typus „Strauß" zumindest in Norddeutschland wohl eher die Rolle des Sündenbocks zu spielen vermag, ist dieses Problem bei Brandt etwas differenzierter zu sehen. Es besteht gar kein Zweifel, daß die positive Resonanz, die Brandt durch die Außenpolitik im Ausland findet, bei seinen Kritikern Unsicherheit auslöst.

Der Zustand unserer Massenmedien, speziell des Fernsehens, wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Wir werden weiter Diskussionen, wie . Journalisten fragen — Politiker antworten', , Pro und Contra'haben. Wir werden sie weiter agieren sehen, unsere Schicksalsbringer, die sich so theatralisch zu erregen vermögen, wenn sie auch hinterher gemeinsam darüber witzeln, wie ihnen das ma wieder gelungen ist. Die Massenmedien werden jedenfalls nicht dazu beitragen, unsere Rezipienten zu überzeugen, als handle es sich hier um echte ideologische Auseinandersetzungen, als ginge es in der Politik um grundsätzliche Fragen und nicht doch nur um Personen. Denn genau das ist die Folge der Pointierung auf politische Persönlichkeiten — daß im Unterbewußtsein des Publikums wohl doch der Eindruck vorherrscht, als ginge es bei diesen Personen um persönliche Karriere-wünsche und nicht um die wesentlichen Sachfragen, die der Entscheidung bedürfen. In Anbetracht dieser Erkenntnis ist es konsequent zu folgern, daß unsere Massenmedien an der Verstärkung des herrschenden Zustandes erheblichen Anteil haben.

VII. Werbeforschung gleich Wirkungsforschung?

Eine Darstellung über die Wirkung der Massenkommunikation wäre ohne eine Behandlung der mit der Werbung zusammenhängenden Probleme unvollständig. Bei einem Volumen von jährlich fast 4, 5 Milliarden DM, die allein für die Werbung in den Massenmedien aufgebracht werden, haben wir es mit einem der bedeutendsten Faktoren zu tun, der die Wirkungsforschung beschäftigt. Von diesen 4, 5 Milliarden entfallen auf die Presse allein etwa 3, 4 Milliarden, auf das Fernsehen ca. 800 Mill. DM und auf den Hörfunk etwa 250 Mill. DM. Auch im Zeitalter des Fernsehens steht die Anzeige, d. h. die gedruckte Werbung, immer noch im Vordergrund. Seit die Werbeaufwendungen für die Presse einen wesentlichen Bestandteil der Finanzierung der Herstellungskosten darstellen, hat man sich mit der Frage beschäftigt, wie man diese Werbung möglichst effektiv gestaltet. Wichtigstes Argument für die Anzeige ist die Auflagen-höhe eines Periodikums — ähnlich wie bei den Fernsehsendungen die sogenannten Einschaltguoten (ratings). Obwohl wir in der BRD noch kein kommerzielles Rundfunk-und Fernsehnetz haben, wird doch auch bei uns die Zuschauerforschung im Hinblick auf die Ein-blendung von Werbesendungen betrieben.

Ganz gewichtig ist der Faktor Einschaltquote in Großbritannien, wo Wettbewerb zwischen einem öffentlich-rechtlichen und einem privaten Fernsehnetz herrscht. Die Auseinandersetzung über die Gültigkeit der Ergebnisse dieser Publikumsanalysen wird verbissen geführt: »In regelmäßigen Abständen kann man in einigen englischen Tageszeitungen und in der Fachpresse Bulletins über die permanente Schlacht der ratings lesen, sie widersprechen sich und müssen schon deswegen kritische Betrachter, zu denen eigentlich Generaldirektoren und Programmchefs gehören sollten, stutzig machen ..."

Die Ergebnisse in England vermitteln den Eindruck, daß sie nach den Erwartungen des jeweiligen Financiers der Analyse ausfallen. Die BBC-Forschung sieht stets die Programme der BBC im Vordergrund, die vom kommerziellen Fernsehen veranlaßten Untersuchungen bringen genau das gegenteilige Ergebnis. So betrieben, kann Wirkungsforschung nur Mißtrauen erwecken. Natürlich liegen die Unterschiede der Ergebnisse im angewendeten Verfahren. Die BBC läßt jeden Tag 2250 Personen, die in einer bestimmten Weise geschichtet sind, nach einem festgelegten Fragebogen über die Fernsehprogramme des vorhergehenden Tages interviewen. Da jeden Tag andere Personen befragt werden, erreicht man im Monat etwa 70 000 Hörer. Die kommerzielle Analyse arbeitet mit Elektrometern, von denen 350 in London angeschlossen sind, und zwar in Haushalten mit insgesamt 990 Personen, und weitere 2650 in ganz Großbritannien. Man hat es hier also mit einer Panel-Untersuchung zu tun. Diese Elektrometer zeigen allerdings nicht an, ob die Sendungen den Zuschauern gefallen und wieviel Menschen tatsächlich vor dem Fernsehgerät sitzen. Ähnliche Abweichungen gibt es bei den Ergebnissen der Leseranalyse in Deutschland, die einerseits vom Institut für Demoskopie in Allensbach durchgeführt wird, andererseits von der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse. Die Differenz zwischen den von beiden kommerziellen Unternehmen vorgelegten Reich-weitedaten hat sich 1971 vergrößert Im Gegensatz zur Zeit vor 1970, als man ausschließlich Leser auf der einen Seite und Hörer und Fernsehzuschauer auf der anderen Seite analysierte, hat man jetzt die Media-Analyse, d. h. ein kombiniertes System entwickelt, bei dem sowohl Leser von Zeitungen wie Rezipienten von Hör-und Sehfunk erfaßt werden. Die Schwierigkeit des neuen Verfahrens ist, daß seine Resultate wegen der neuen Basis niCht mehr vergleichbar sind mit den älteren Daten. Während Differenzen bei den bekannten Publikumszeitschriften 1970 zwischen + 0, 8 und — 1, 9 % lagen, erreichten sie 1971 zwischen — 0, 2 und — 4, 7%. Die mittlere Abweichung erhöhte sich von 6 % im Jahre 1970 auf 8, 2% im Jahre 1971. Eine gewisse Skepsis und ein neues Durchdenken der angewandten Verfahren hat nach diesen Erfahrungen eingesetzt.

Uns kann in diese 7%. Die mittlere Abweichung erhöhte sich von 6 % im Jahre 1970 auf 8, 2% im Jahre 1971. Eine gewisse Skepsis und ein neues Durchdenken der angewandten Verfahren hat nach diesen Erfahrungen eingesetzt.

Uns kann in diesem Zusammenhang weniger interessieren, was die Ergebnisse der Publikumsforschung an methodischen Mängeln implizieren, sondern interessanter sind psychologische Werte, die mit einem gewissen Anspruch auf Gültigkeit akzeptiert werden, können. Eine im April 1971 veröffentlichte Studie beschäftigt sich mit der Bedeutung des redaktionellen und werblichen Umfeldes für die Wirkung von Werbebotschaften 3). Eine weitere Studie vom Mai 1971, die von Winfried Schulz vorgelegt wurde 4), betrachtet Medienwirkung und Medienselektion aufgrund der Methoden und Ergebnisse der Forschungen zum Intermedia-Vergleich von Fernsehen, Radio, Zeitung und Zeitschrift. Eine 3. Studie wurde im Dezember 1971 veröffentlicht. Sie untersucht die Wirkung von Zeitschriften-Anzeigen und Fernsehspots. Es handelt sich also um zwei Studien, die aus dem Bereich der Werbepraxis kommen, und eine Studie, die sich bemüht, den theoretischen Rahmen dieser Untersuchungen abzugrenzen. Allen drei Untersuchungen ist gemeinsam, daß sie einen kritischen Ansatz gegenüber der bisherigen Verfahrensweise als Ausgangspunkt vorgeben.

Beschäftigen wir uns zunächst mit den beiden praktischen Beispielen. Bei der Wirkung von Werbemitteln werden endogene und exogene Faktoren unterschieden. Die endogenen Faktoren liegen in der Gestaltung des Werbemittels selbst, während die exogenen als situationäre Faktoren der Rezeption in Erscheinung treten, wie etwa Firmen-und Markenbekanntheit sowie die Vorwerbung, die Mitwerbung durch andere Medien im Rahmen der eigenen Kampagne, Produktinteresse und Produktbekanntheit auf Seiten des Verbrauchers, Firmen-und Markenimage, Bedarf und Bedürfnisse auf Seiten des Verbrauchers und die Rezeptionssituation. Die exogenen Faktoren sind gegenüber den endogenen die entscheidenden, weil sie von den Werbetreibenden weniger leicht beeinflußt werden können. Zu den exogenen Faktoren wird auch das Anzeigenumfeld gezählt. Jedenfalls gibt es Hypothesen, die behaupten, daß es solch einen Faktor gebe. Die Folge ist in der Praxis ein Ringen um Placierung und Seiten. Dabei geht man keineswegs von einer klaren Vorstellung dessen aus, was denn nun eigentlich konkret dieses Umfeld sei. Man wird zumindest theoretisch unterscheiden müssen zwischen dem direkten Umfeld einer Anzeige und dem Umfeld, das sich aus dem Charakter, dem Image, der redaktionellen Tendenz des Publikationsmittels ergibt. Ja, man könnte noch weitergehen und auch das Umfeld der Situation, in der jemand eine Anzeige rezipiert, einbeziehen. Wenig konkret sind auch die Auslassungen der Theorie über den Faktor Einfluß. Es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß eine lineare Beziehung zwischen dem Werbemittel-einsatz und beobachteten Veränderungen in den Umsatzziffern eines beworbenen Produktes als Maß für den Erfolg von werblichen Aktionen nicht hergestellt werden kann. Man möchte deshalb das Problem der Messung von Werbewirksamkeit eher auf den Kommunikationserfolg, auf die Identifikation und Isolierung einzelner Kommunique-Variablen bzw. bestimmter Merkmalskombinationen konzentrieren, d. h. man versucht im Test festzustellen, wie weit von einer Werbebotschaft Lernprozesse in Gang gesetzt worden sind, wobei natürlich noch nicht gesagt werden kann, daß sie zur Einstellungs-oder Verhaltensänderung gegenüber einem beworbenen Produkt führen. In der bisherigen Werbeforschung hat man sich sehr stark auf das Problem der Initialzündung und der Aufnahmebereitschaft eingelassen, und die meisten Marktforschungsinstitute liefern Daten zu diesen Wirkungsdimensionen. Die Autoren der Gruner & Jahr-Studie ziehen jedoch in Zweifel, ob die dabei angewendeten ehrwürdigen Verfahren dem Entwicklungsstand der modernen Psychologie und der empirischen Sozialwissenschaften methodologisch noch entsprechen. Insbesondere kritisieren sie, daß bei den traditionellen Studien Reliabilitäts-und Validitätsprüfungen nicht vorgenommen werden, um damit echte Aussagen über die Effektivitätsmessungen machen zu können.

Wenn man voraussetzt, daß ein Experiment eine Frage an die Wirklichkeit ist, eine Frage, welche die Prüfung einer Hypothese mit Hilfe willkürlicher, kontrollierter und systematisch variierender Änderungen der Beobachtungsbedingungen sicherstellt, so ergeben sich daraus für die Versuchsanordnung im Hinblick auf die Kontrolle von Wirkfaktoren bestimmte Konsequenzen. Diese Kontrolle kann im wesentlichen auf zwei unterschiedliche Weisen erfolgen: 1. durch Gleichsetzung der Faktoren, wobei diese einerseits durch die sogenannte Präzisionskontrolle und andererseits durch die Kontrolle der Häufigkeitsverteilungen erfolgt, und 2. durch eine Kontrolle mittels Herstellung maximaler Zufalls-streuung.

Von Kritikern der sozialwissenschaftlichen Forschung wird angenommen, daß eine Präzisionskontrolle unmöglich sei, und daß deshalb die experimentelle Methode in den Sozial-wissenschaften prinzipiell nicht angewendet werden könne. Von sozialwissenschaftlicher Seite wird eingewandt, daß hier ein typisches Mißverständnis vorliege, das auch in der Diskussion um die Validität und Reliabilität sozialwissenschaftlicher Methoden im Bereich der Marktforschung eine Rolle spielt. Dieses Mißverständnis hat nach dieser Auffassung seine letzte Ursache in der Verwechselung von Genauigkeit und Richtigkeit der anzuwendenden Beobachtungsmethode. Dennoch läßt sich manches tun, um die unvermeidbare Ungleichheit zu beseitigen, die Genauigkeit des Experiments also zu einer Richtigkeit im

Sinne des Abbildes der Wirklichkeit zu machen. Das Problem liegt einfach darin, daß ein Experiment die Zufallsstreuung, die in der Realität maximal sein kann, nie präzise zu wiederholen vermag. Eine theoretisch hergestellte Zufallsverteilung ist natürlich korrekt im Sinne der Prüfverteilung eines Experiments und insofern im Kontext des Experiments genau.

Um dem genannten Problem bis zu einem gewissen Grade aus dem Wege zu gehen, haben die Analytiker, die für Gruner & Jahr arbeiteten, zwei mögliche Einflußgrößen für die Umfeldwirkung von Anzeigen gewählt, und zwar das „Interesse" und die „Kompatibilität". Als Umfeld wurde die gegenüberliegende Seite einer Anzeige definiert Man benutzte im Versuch eine Anzeige für ein Produkt (Waschmittel), das noch gar nicht auf dem Markt war, den Versuchspersonen also unbekannt sein mußte. Die Hypothese lautete, daß das Ausmaß des Interesses für eine dieser Anzeige gegenüberliegende Seite bzw.deren Kompatibilität einen Einfluß hatte auf die Anzeigenwirkung im Hinblick auf die Dimensionen Aufmerksamkeitszuwendung, Interessenzuwendung, Erinnerung und Kaufbereitschaft. Bei der Beurteilung des Interesses und der Kompatibilität arbeitete man jeweils mit sechsgliedrigen Eindrucksskalen, oder, statistisch ausgedrückt, mit Intervallskalen, die von den Versuchspersonen kategoriale Urteile abverlangten

In der zweiten Studie, die die Wirkung von Zeitschriftenanzeigen und Fernsehspots verglich, wurde eine ganzseitige vierfarbige Anzeige mit einem 30 Sek. -Fernsehspot verglichen (Werbung für ein innenbeschichtetes Koch-und Bratgerät) Um das Ausmaß der Werbewirkung oder -Wirksamkeit beschreiben und messen zu können, wurden folgende Meßkriterien definiert:

1. Bekanntheit der Produktgattung 2. Erinnerung an die eingeschalteten Werbemittel 3. Penetration der Werbebotschaft 4. aktiver Bekanntheitsgrad des beworbenen Produkts 5. passiver Bekanntheitsgrad des beworbenen Produkts 6. Einstellung zur Produktgattung innen-beschichtete Koch-und Bratgeräte.

Bei der Untersuchung wurde eine Reihe von Faktoren konstant gehalten, die etwa den Besitz eines Fernsehgerätes bzw.den Bezug denrZeitschriften betrafen, die Anzahl der werhlichen Anstöße, das informative und situationäre Reizumfeld, die Gestaltung der die Zuwendungsbereitschaft generelle der Testpersonen, die Aufgeschlessenheit für werbliche Botschaften überhaupt sowie die Zugehörigkeit der Testpersonen, zu einer homogenen demographischen Gruppe Zu diesen konstant zu haltenden Wirkungsdeterminanten andere, die kamen nicht gleichgeschaltet werden konnten, aber dggh der Kontrolle unterlagen, wie das Alter der, Zielpersonen, die Einstellung zu Werbung und Medien generell.

Bei diesem Test waren die Basis insgesamt 28 artrerinnen und 133 -Gesprächsp Einzelexplora tionen bei Frauen. Als Ergebnis zeigte sich, daß Veränderungen in bezug auf die zu beobachtenden Wirksamkeitskriterien auftraten, . und daß diese Veränderungen auf die zu, untersuchenden Variablen, insbesondere die unterschiedlichen Mediaexpositionen der Gruppen einzelnen zurückzuführen waren. Die Zuwächse beim aktiven Bekanntheitsgrad betrugen ca. 45 °/o, beim Lernen der zentralen Werbebotschaft ca. 40 n/o.

Die zentrale Werbebotschaft der Anzeige enthielt das Argument, daß innenbeschichtete Koch-und Bratgeräte besonders leicht zu reinigen seien und dadurch eine Zeitersparnis aufttte. Man muß bei den Ergebnissen berücksichtigen, daß ca. 95 °/o der Befragten solche Koch-und Bratgeräte bereits vor der Kampagne kannten. Am Ende waren auch die fehlenden 5 °/o dazu gekommen. Das Meßkriterium Werbemittel-Erinnerung als die gewissermaßen niedrigste Stufe einer Werbe-wirksamkeit zeigte, daß bei einer Karenzzeit von 23 Tagen zwischen Exposition und Untersuchung beim Fernsehen höhere Vergessensanteile als bei den Zeitschriften zu -beobach ten sind. Bei einer Kombination der Werbebotschaften über Anzeigen und Spots ergab sich, daß das Produktwissen bei etwa 82 % durch die Werbebotschaft (leicht zu reinigen) bereichert worden war. In bezug auf das Wirkungskriterium Lernen der zentralen Werbe-botschaft überrundete die Zeitschrift nach Ansicht der Tester im Laufe der Versuchs-phase das Kontrastmedium Fernsehen. Quod est demonstrandum.

Dieses wie andere Beispiele zeigen, daß auch mit einem hohen kritischen Anspruch auftretende Versuchsreihen auf einer durchweg sehr schmalen Basis arbeiten und dann gegenüber den eigenen Ergebnissen meistens recht unkritisch sind. In Anbetracht dieser Situation bleibt eigentlich nur, sich abschließend einen Überblick zu verschaffen über das heute zur Verfügung stehende Instrumentarium zum Thema Medienwirkung und Medienselektion

Die kommerzielle Werbeforschung unterscheidet zwischen Laborexperiment und Feld-untersuchung. Dieser Unterschied kennzeichnet, ob ein Versuch auf der Basis künstlicher, der Wirklichkeit angenäherter Bedingungen stattfand oder gewissermaßen kontrolliert in den normalen Ablauf des Wirkungsgeschehens Die geschilderten eben Analysen zeigen, daß die Felduntersuchung in Deutschland noch äußerst selten ist, da sie kostenintensiv ist. Außerdem besonders beschränken sich fast alle verglaichbaren Mediastudien, auch die in den USA und in Großbritannien, auf einen Vergleich zwischen Fernsehen und Zeitschriften.

Bei der Beurteilung der realen Situation muß berücksichtigt werden, daß in Ländern mit kommerziellem Fernsehen Werbespots nicht etwa wie bei uns in festen zeitlichen Blöcken zusammengefaßt sind, sondern über das gesamte Programmangebot verstreut werden. Durch die englische kommerzielle Fernsehgesellschaft in den Jahren 1962 und 1963 durchgeführte Feldexperimente ergaben, daß bei zwei verschiedenen Anzeigen und Fernsehspots die Fernsehwerbung eine größere aktive Erinnerung zu verzeichnen hatte, also eine Erinnerung ohne Hilfen; die passive Erinnerung, d. h. unterstützte Wiedererkennen war bei der ganzseitigen Anzeige geringfügig größer als beim Fernsehspot, während sie bei einer halbseitigen Anzeige auch hinter der Fernsehwerbung zurückblieb.

Auf wesentlich größerer Basis arbeitete eine Untersuchung über eine achtseitige farbige Zeitungsbeilage, in der die neuen Modelle der amerikanischen Automarke Dodge bekannt-gemacht werden sollten. Die Beilage erschien in 608 Sonntagszeitungen in allen Landesteilen der USA im September 1967. Am gleichen Wochenende wurden auch Fernsehspots im Rahmen von 2 Unterhaltungssendungen ausgestrahlt. Am folgenden Montag und Dienstag wurden in 4 Städten insgesamt 401 Telefoninterviews mit Besitzern von gerade neu gekauften Autos durchgeführt. Sie wurden befragt, ob sie die Dodge-Werbung gesehen hatten, und ob ihnen irgendwelche Werbung für die neuen 68er Automobil-modelle aufgefallen war, ganz gleich, für welche Fabrikate. Es zeigte sich bei den Ergebnissen ein signifikanter Unterschied zwischen den Antworten derjenigen, die eine Zeitung mit Beilage und den Fernsehspot gesehen hatten und jenen, die keine Zeitung, aber den Fernsehspot gesehen hatten. Generell läßt sich sagen, daß ungefähr die doppelte Anzahl derer, die von beiden Medien erreicht worden waren, sich an die Werbung von Dodge erinnerte.

Eine groß angelegte amerikanische Untersuchung, die in drei Wellen im Frühjahr und Herbst 1960 und im Frühjahr 1961 lief, bemühte sich, festzustellen, in welchem Maße durch den Kontakt mit Zeitschriftenanzeigen und Fernsehwerbung Einstellungsänderungen hervorgerufen werden. Die Einstellungen vor und nach dem Kontakt mit der Werbung wurden unter vier verschiedenen Gesichtspunkten mit folgenden Fragen gemessen:

1. Nachfrage nach der Kenntnis der beworbenen Marke 2. Nachfrage dem nach erzielten Kaufwunsch.

3. nach der Überzeugung durch die in der Werbung herausgestellten Markenattribute 4. nach der Beurteilung der beworbenen Ware.

Die Indexwerte zeigten eine enorme Überlegenheit der Fernsehwerbung, und zwar insbesondere bei den Meßwerten Beurteilung der Ware und Kaufwunsch, wo sie beinahe dreimal so groß waren wie bei der Zeitschriften-

wexhung. 1963 erschien eine Panel-Studie, also eine Studie, die über einen gewissen Zeitraum an der gleichen Stichprobe durchgeführt wurde.

Es handelt sich um eine Serie, die von der amerikanischen Rundfunkgesellschaft NBC über die Wirkung von Fernsehwerbung veranlaßt worden war. Die Untersuchung zeigte, daß sich bei den Fernsehgruppen relativ große Änderungen im Kaufverhalten vollziehen, wenn sich das Medienverhalten ändert, während bei den Zeitschriftengruppen Medienverhalten und Kaufverhalten unabhängig voneinander zu verlaufen scheinen. Bei der Verfeinerung der Analyse kam zutage, daß bei der kontinuierlichen Nutzung des Fernsehens gegenüber der Zeitschriftengruppe der Anteil der Markentreue und der Zugänge deutlich größer ist. Auch beim Übergang der Nutzung vom Fernsehen auf die Zeitschrift ist der Anteil der Markentreue an der Gruppe der Personen, die das Medium gewechselt haben, größer als beim Übergang von der Zeitschrift zum Fernsehen. Das angewandte Verfahren hatte jedoch wesentliche Mängel im Hinblick auf die Aussagefähigkeit. Alle miteinander verglichenen befragten Gruppen des Panels kamen durch Selbstselektion zustande, d. h. es gab keine Sicherheit dafür, daß die befragten Gruppen nicht merkmaisgleich waren. Insofern ließ diese Studie keine Aussagen darüber zu, ob das Medienverhalten in irgendeiner Beziehung zum Kaufverhalten stand, sondern es waren nur Aussagen über jeden Bereich für sich möglich, also über das Kaufverhalten und das Medienverhalten.

Eine 1964/65 durchgeführte Studie, die fünf amerikanische Städte betraf, in denen die Zuschauer mindestens drei Programme zur Auswahl hatten, bezog sich nur auf Fernsehteilnehmer. Dabei wurde festgestellt, welche Programme sie am vorangegangenen Abend zwischen 20 und 23 Uhr angesehen hatten.

bekamen Zu Schließlich die Befragten eine -fallsauswahl von 18 bis 24 Werbespots über einen 16-mm-Projektor zu sehen. Es waren Spots aus allen Programmen vom Vorabend. Die Befragten sollten nun bestimmen, welche Spots sie gesehen hatten. Die Angaben wurden bei der Auswertung der Interviews daraufhin geprüft, welche Spots sie gesehen haben konnten, weil sie laut eigener Angabe das Programm angeschaut hatten, in dem die Werbung plaziert war, und welche Spots sie nicht gesehen haben konnten. Aus der Differenz der richtig wiedererkannten. und der fälschlicherweise genannten Spots wurde eine Netto-Wiedererkennungsrate errechnet Während der zweiten Phase der Untersuchung wurde in jeder Stadt eine repräsentative Stichprobe von „Life" -Lesern interviewt. Zunächst wurde ermittelt, ob die Befragten jeweils die neueste Nummer von „Life" innerhalb der letzten 24 Stunden gelesen oder angesehen hatten. Als Erinnerungshilfen dienten ein Titelblatt und das Inhaltsverzeichnis (man nennt das Copy-Test). Wurde dies bejaht, legte der Interviewer dem Befragten 30 Tafeln vor, auf denen jeweils eine ganzseitige Zeitschriftenanzeige aufgezogen war. Die Hälfte der Anzeigen war tatsächlich in der jeweils neuesten Nummer erschienen, die andere Hälfte in einem Zeitraum von mindestens drei Monaten zuvor enthalten gewesen. Diese Kontrollanzeigen dienten nur dazu, die Korrektheit der Erinnerung festzustellen. Die Befragten mußten nun bestimmen, welche Anzeigen ihnen in der am gleichen Tage oder am Tage zuvor gelesenen Nummer von „Life" ausgefallen waren. Auch hieraus wurde dann eine Netto-Wiedererkennungsrate ermittelt.

Die Interviews wurden nach Adressenstichproben durchgeführt. Da die Untersuchungsordnung verlangte, daß auf das Medienverhalten der letzten 24 Stunden bzw. von gestern abend konkret Bezug genommen werden mußte, konnten nur jeweils Interviews mit Personen durchgeführt werden, die bei der ersten Kontaktsuche auch zu Hause angetroffen wurden. Die Ergebnisse sind daher repräsentativ für Personen, die an einem durchschnittlichen Abend zu Hause angetroffen werden können. Insgesamt wurden 763 Fernseh-Interviews und 1173 Zeitschriften-Interviews abgeschlossen. Die Wiedererkennungsrate lag beim Fernsehen bei etwa 18 %, bei Zeitschriften bei 15 °/o, wobei die Männer jeweils etwas höhere Ergebnisse erzielten als die Frauen, bei denen auch der Unterschied zwischen Fernsehen und Zeitschriften nicht ins Gewicht fiel, während er bei den Männern auffällig zugunsten des Fernsehens ausfiel (20 °/o zu 16 %).

Weitere Untergliederungen der Ergebnisse nach demographischen Merkmalen der Befragten zeigten, daß die Wirkung des Fernsehens besonders ausgeprägt ist a) bei Personen mit niedrigem Einkommen b) bei Personen mit niedriger und durchschnittlicher verbaler Intelligenz c) bei Personen mit einfacher Bildung d) bei Personen im Alter unter 30 und zwischen 40 und 50 e) bei alleinstehenden Personen f) bei Personen in einem Haushalt mit Kindern unter 18 Jahren.

Zeitschriften erreichen demgegenüber einen Vorteil vor dem Fernsehen bzw. einen Gleichstand a) bei Personen der höchsten Einkommens-gruppen b) bei Personen mit überdurchschnittlicher verbaler Intelligenz c) bei Personen mit Universitätsbildung d) bei Personen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren e) bei Erwachsenen, die nicht Haushaltsvorstand sind.

Der größte Einwand gegen diese Studie ist, daß sie sich nur auf die kurzzeitigen Wirkungen bezog, und daß sie auch keine Unterschiede machte zwischen Werbebotschaft und ihrer Gestaltung.

Es ließe sich noch eine ganze Reihe ähnlicher Untersuchungen anführen. Sie bewegen sich alle auf ähnlichem Niveau. Schulz zieht aus den Ergebnissen den Schluß, das Fernsehen habe im allgemeinen gegenüber den anderen Massenmedien die größere Wirkungsmöglichkeit, und zwar einmal wegen der hohen Nutzungschance, d. h. wegen der großen Chance, vor allen anderen Medien gewählt zu werden. Das Fernsehen erfüllt danach in jedem Fall stärker die Erwartung auf Unterhaltung und es hat ein hohes Prestige als besonders leistungsfähiges Informationsmedium. Unterhaltungsleistung und Informationsleistung werden meistens undifferenziert gesehen, und Fernsehwerbung ist deshalb analog zu betrachten. Produktinformation und Unterhaltung verbürgen eine relativ hohe Wirkung (Mainzeimännchenserien). Hinzu kommt, daß der Zuschauer keine Möglichkeit hat, während der Betrachtung eines Programms zu selektieren. Er ist auf die Darbietung fixiert, während er beim Blättern in einer Zeitschrift sehr rasch über Dinge hinweglesen kann, die ihn nicht interessieren. Untersuchungen über den Aufmerksamkeitswert beim Betrachten von Fernsehsendungen sind bisher so gut wie gar nicht durchgeführt worden. Die erste Studie auf diesem Gebiet ist im August 1971 von Philip Palmgreen unter dem Titel „A daydream model of communication" in den „Journalism monographs'publiziert worden, die von der American Association of Schools and Departments of Journalism herausgegeben werden. Sie bejaht den Faktor des „Tagträumens" vor dem Bildschirm, ohne ihn näher präzisieren zu können.

Alle punktuellen Ergebnisse machen das Dilemma der gegenwärtigen Wirkungsforschung deutlich, daß sie dem unwissenschaftlichen kommerziellen Interesse dienen muß und deshalb auf ein theoretisches Konzept weitgehend verzichtet. Sie hat keine soziale Relevanz, sondern ihre Empirie dient ebenso ausschließlich der Faktenhuberei wie die viel-geschmähte historische Quellenanalyse.

Schriftenverzei chnis

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Alfred Peters, Die Zeitung und ihr Publikum, Dortmund 1930, S. 8

  2. Ebd. S. 37. Vgl. dazu auch F. Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922. Ferner: P. A. Palmer, Ferdinand Tönnies'Theory of Public Opinion, in: Public Opinion Quarterly, 1938, S. 584 bis 595.

  3. Berlin 1932.

  4. Elisabeth Noelle, Umfragen in der schaft, Reinbek 1963.

  5. Berlin 1935.

  6. A. a. O., S. 69.

  7. Zürich 1936.

  8. Phil. Diss., Zürich 1941.

  9. Essen 1940, S. 11.

  10. New York 1937.

  11. Hj. Bessler, Aussagenanalyse, Gütersloh 19691 G. Gerbner u. a. (Hrsg.), The Analysis of Communication Content, New York 1969.

  12. Gustave Le Bon, I. a Psychologie des Foules, Paris 1895.

  13. Noelle, a. a. O., S. 14.

  14. Ebd., S. 16.

  15. P. Lazarsfeld and M. Fiske, The „Panel" as a new tool for measuring opinion, in: Public Opinion Quarterly. 1938, S. 596— 612.

  16. Fritz Eberhard, Der Rundfunkhörer und sein Programm, Berlin 1962; Paul Lazärsfeld, Am Puls der „Gesellschaft, Wien 1968.

  17. Bremen, -später Konstanz 1956 ff.

  18. E. Noelle, in: Publizistik 1960, Festschrift für E. Dovifat, a. a. O., S. 215.

  19. Ebd.

  20. Ebd., S. 219.

  21. Publizistik, 1965, S. 242.

  22. Ebd., S. 251.

  23. Robert K. Merton, Social Theory and Social Structure, Glencoe, 111., 1958.

  24. Publizistik, 1965, S. 285 ff.

  25. Vgl. Henk Prakke u. a., Kommunikation der Gesellschaft, Münster 1968.

  26. Publizistik, 1965, S. 286.

  27. Published by the Association for Education in Journalism, Minneapolis.

  28. Vgl. dazu Wilbur Schramm, Grundfragen der Kommunikationsforschung, München 1968.

  29. Elihu Katz u. P. Lazarsfeld, Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, München 1962. . tS

  30. Winfried B. Lerg, Das Gespräch. Theorie und Praxis der unvermittelten Kommunikation, Düsseldorf 1970.

  31. Responsibility in Mass Commünication, Ne» York 1952; vgl. dazu Publizistik, 1965, S. 255.

  32. Vgl. dazu von den zahlreichen amerikanischen Bibliographien W. C. Price u. C. M. Pickett, The literature of journalism, 2 Bde., Minneapolis 1959 u. 1970.

  33. über die Ergebnisse hat W. Schramm (ed.), Mass Communications, Urbana, 111. 1960, berichtet; vgl. auch Dexter and White, People, Society and Mass Communications, Glencoe, 111. 1964.

  34. Vgl. etwa Walter Hagemann, Grundzüge der Publizistik, Münster 19662.

  35. Vgl. B. Malinowski, Die Dynamik des Kultur-wandels, Wien 1951; ders., Kultur und Freiheit, Wien 1951.

  36. Vgl. Kap. I, Anm. 11.

  37. Publizistik, 1965, S. 251 ff.

  38. Vgl. K. Koszyk, Massenmedien und jugendliche Delinquenz, in: Publizistik, 1971, S. 139 ff.

  39. Vgl Ph. Zimbardo u. E. B. Ebbesen, Influencing attitudes and changing behavior, Reading, Mass. 1969, S. 6.

  40. Vgl. F. Ronneberger (Hrsg.), Sozialisation durch Massenkommunikation, Stuttgart 1971.

  41. Zimbardo-Ebbesen, a. a. O„ S. 21 f.

  42. Katz-Lazarsfeld, a. a. O., S. 137 ff.

  43. Vgl. Renckstorf, in: Rundfunk und Fernsehen, 1970, S. 314 ff.

  44. Massenmedien und Meinungsbildung, München 1970, S. 27 f.

  45. Ebd., S. 279.

  46. Hrsg, von Rene König, 2 Bde., Stuttgart 1967 bis 1969.

  47. New York 1964, dt. Ausgabe Weinheim 1969 ff.

  48. J. T. Klapper, The Effects of Mass Communication, Glencoe, III. 1969, s-26.

  49. Persönlicher Einfluß u. Meinungsbildung, S. 24.

  50. Messung der Werbewirkung und Meinungsbildung, S. 24.

  51. Gruppendynamik, Reinbek 1965.

  52. Vgl. Kap. I, Anm. 12.

  53. Hofstätter, a. a. O., S. 13 f.

  54. Ebd., S. 22 f.

  55. P. Hofstätter: Einführung in die Sozialpsychologie, Stuttgart 1966, S. 36.

  56. Ebd., S. 280.

  57. R. L. Rosnow and J. P. Robinson (ed.), Experiments in Persuasion, New York 1967, S. 195 ff.

  58. Ebd., S. 201.

  59. Klapper, a. a. O., S. 30 f.

  60. F. Dröge, R. Weissenborn und H. Haft, Wirkungen der Massenkommunikation, Münster 1969, S. 31.

  61. Vgl. P. F. Lazarsfeld, B. Berelson und H. Gaudet, Wahlen und Wähler, Neuwied 1969; dazu W. B. Lerg, a. a. O., S. 232 und ö.

  62. Vgl. Kap. I, Anm. 15.

  63. Vgl. E. Noelle-Neumann, in: Publizistik, 1963, S. 319.

  64. Vgl. Anm. 2.

  65. Klapper, a. a. O„ S. 32 ff.

  66. Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung, München 1962.

  67. Ebd., S. 12 f.

  68. Ebd., S. 15.

  69. Ebd., S. 31 ff.

  70. Dröge u. a., a. a. O., S. 160 ff.

  71. Ebd., S. 164.

  72. Klapper, a. a. O., S. 69.

  73. Rundfunk und Fernsehen, Jg. 1970, S. 314 ff.

  74. Lazarsfeld, Bereisen, Gaudet, Wahlen und Wähler, S. 190.

  75. Journalism Quarterly, 1960, S. 345— 355.

  76. Journalism Quarterly, 1964, S. 336— 342.

  77. Journalism Quarterly, 1966, S. 221— 230.

  78. Dröge u. a., a. a. O., S. 53.

  79. Journal of Abnormal and Social Psycholog!, 1954, S. 211— 218.

  80. Human Relations, 1956, S. 177— 186.

  81. A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford, Cal. 1957, S. 91.

  82. In: S. Feldmann (ed.), Cognitive consistency, New York 1966, S. 147 f.

  83. Journal of Abnormal and Social Psychology, 1958, S. 276 ff.

  84. J. D. Halloran, Attitüde, Formation, and Change. Leicester 1967, S. 99 ff.

  85. Conflict, decision, and dissonance, Tavistock 1964.

  86. Polish Sociological Bulletin, 1964, S. 7— 15.

  87. Psychological Bulletin, 1964.

  88. Stuttgart 1970.

  89. Vgl. Funk-Korrespondenz, Nr. 1 vom 6. 1. 1972, S. 8 ff.

  90. Vgl. Die Anzeige, Nr. 11, Nov. 1971, S. 34 ff.

  91. W. Schulz, Medienwirkung und Medienselektion. G + J Schtiftenreihe. Gruner + Jahr GmbH & Co. Marketing Services, Mai 1971.

  92. Vgl. Lucas-Britt, Messung der Werbewirkung, Essen 1960.

  93. Es ging bei dem Test um den „Stern".

  94. E. M. Ruczinsky und K. Suthoff, a. a. O., S. 30.

  95. Es ging um „Brigitte", „Für Sie" und „ZDF".

  96. Frauen in der neuen Stadt Wulfen.

  97. Vgl. W. Schulz, a. a. O.

Weitere Inhalte

Kurt Koszyk, Dr. phil., geb. 1929 in Dortmund, Prof, für Publizistikwissenschaft und Leiter der Sektion für Publizistik und Kommunikation an.der Ruhr-Universität Bochum, nebenamtlich Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund; Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, Berlin 1966; Deutsche Presse-politik im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1968; (mit K. H. Pruys u. a.) dtv-Wörterbuch zur Publizistik, München 1970; (m. W. D. Fröhlich u. a.) Die Macht der Signale, Reinbek 1971; Deutsche Presse 1914— 1945, Berlin 1972; Vorläufer der Massenpresse, München 1972.