Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soll die Entwicklung und der Aufbau der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule in der DDR dargestellt sowie ihre Stellung innerhalb des sozialistischen Gesellschaftssystems aufgezeigt werden.
Da man bis vor kurzem in der Bundesrepublik auch auf wissenschaftlicher Seite kaum ernsthaft Notiz von der stets als „sozialistisch" ab-qualifizierten und damit für indiskutabel erachteten Bildungspolitik der DDR genommen hat, finden sich erst in jüngster Zeit spärliche Ansätze einer brauchbaren Literatur zu diesem Thema. Auch die Selbstdarstellungen der DDR lassen an ausreichender Information zu wün-sehen übrig und bieten kaum Ansätze einer kritischen Darstellung. Dennoch wurde für diese Arbeit vorwiegend Quellenmaterial der DDR, Stellungnahmen des Zentralkomitees der SED, Verordnungen und Gesetze über die Bildungspolitik herangezogen. Somit trägt die Arbeit aufgrund der mangelnden Informationsgrundlage vornehmlich deskriptiven Charakter und vermag gelegentlich keine so erschöpfende und detaillierte Darstellung zu liefern, wie zu wünschen gewesen wäre. Trotzdem kann der entwicklungsgeschichtliche Abriß und die Darstellung des Aufbaus der Oberschule einen ausreichenden Einblick in das Wesen der sozialistischen Einheitsschule bieten.
1. Entwicklungsgeschichtlicher Abriß des Schulsystems der DDR
Bereits am September 1946 wurde in der damaligen SBZ mit dem „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule" eine grundlegende Schulreform eingeleitet. Das Gesetz sah ein organisch gegliedertes Einheitsschulsystem vor, dessen Kernstück eine achtjährige — für alle Kinder verbindliche — Grundschule war. Auf Grund dieser Schulreform wurden — wie im Potsdamer Abkommen gefordert — alle nazistischen Lehrer aus dem Schuldienst entfernt und eine Neuorganisierung nach demokratischen Prinzipien angestrebt. — An die Stelle der entlassenen Nazilehrer traten 43 000 politisch integere Neulehrer, die in Kurzkursen auf ihren Beruf vorbereitet wurden und später eine volle Qualifikation durch ein Direkt-oder Fernstudium nachholten. Auch Lehrer, die nur formal Mitglied der NSDAP waren, wurden nach einer Bewährungszeit wieder in den Schuldienst übernommen, zumal der Lehrbetrieb in den ersten Nachkriegsjähren ohne diese Kräfte nur mit Mühe hätte aufrechterhalten werden können.
„Die demokratische Einheitsschule verwirk-
ichte zum ersten Mal in der deutschen Geschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Groß-Berlin die schulpolitischen Forderungen der sozialistischen Arbeiterbewegung nach einer einheitlichen Schule und nach gleichen Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder des Volkes ... Die demokratische Schulreform brach das Bildungsprivileg der Besitzenden. Der Aufbau eines breiten Netzes von Zentralschulen beseitigte weitgehend die Rückständigkeit der Landschulen." 1)
Damit begann der Abbau des bisherigen dreigliedrigen, hierarchisch aufgebauten Schulsystems, wie es in der Bundesrepublik noch bis heute besteht.
Die bisher vierjährige Grundschule wurde auf acht Jahre ausgedehnt und für alle Kinder obligatorisch. Erst nach der 8. Klasse war dann ein Übergang in die zweijährige Mittel-schule oder die vierjährige Oberschule möglich. „Eine frühzeitige Auslese, die vor allem den Arbeiterkindern zum Nachteil gereicht hatte, war damit aufgehoben worden."
Mit der Gründung der DDR und dem Beschluß über die Durchführung des ersten Fünfjahrplans begann eine zweite Phase der Entwicklung des Schulwesens: „Der Aufbau des Sozialismus erforderte den Übergang von der antifaschistisch-demokratischen zur sozialistischen Schule, d. h. zu einer höheren Qualität im Bildungsund Erziehungswesen.
Die Partei der Arbeiterklasse faßte dazu seit 1950 auf mehreren Parteitagen und Parteikonferenzen richtungweisende Beschlüsse. Die Durchführung dieser Beschlüsse wurde jedoch jahrelang verzögert, weil leitende Mitarbeiter im Volksbildungswesen die sozialistische Perspektive nicht erkannten und die Auffassung vertraten, mit der demokratischen Schulreform sei die Umgestaltung des Schulwesens abgeschlossen."
Der entscheidende Schritt zur neuen sozialistischen Schule wurde auf dem V. Parteitag vollzogen. Die SED beschloß, die achtklassige Grundschule stufenweise bis 1964 in eine zehnklassige allgemeinbildende Schule umzuwandeln.
„Die notwendige sozialistische Entwicklung unseres gesamten Schulwesens ist nicht einfach die Weiterführung der schulpolitischen Maßnahmen, die seit 1945 durchgeführt wurden. Es geht darum, die Schule in qualitativer Hinsicht zur sozialistischen Schule umzuwandeln. Zur Verwirklichung der höheren Aufgaben reicht die achtklassige Grundschulausbildung nicht mehr aus. Deshalb wird der Vorschlag unterbreitet, eine zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Schule aufzubauen."
So wurde mit dem Gesetz vom 2. Dezember 1959 die allgemeine Schulpflicht von acht auf zehn Jahre ausgedehnt und damit der Ausbau des Einheitsschulsystems konsequent weitergeführt. Die achtklassige Grundschule wurde zur „zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule", kurz Oberschule genannt. Die Mittelschulen wurden nach und nach aufgelöst. Die frühere Oberschule wurde in eine „Erweiterte Oberschule" (EOS) umgewandelt, die zunächst aus vier Klassen bestand, dem 9. bis 12. Schuljahr.
Die „zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule" wurde in zwei Stufen, eine Unterstufe (1. bis 4. Klasse) und eine Oberstufe bis 10. Klasse), gegliedert. Trotz der zehnjährigen Oberschulpflicht ist jedoch bereits nach dem Erreichen des Ziels der 8. Klasse eine Entlassung aus der Oberschule möglich; „in solchen Fällen soll die Ausbildung in den allgemeinbildenden Fächern im Rahmen der Berufsschulpflicht weitergeführt und auf dem Niveau der zehnjährigen Schulbildung zum Abschluß gebracht werden“ 5). Parallel zu dieser Entwicklung wurde aufgrund der fortschreitenden Technisierung und Automatisierung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion ein systematischer Ausbau einer „polytechnischen Bildung" als integrierter Bestandteil der allgemeinen Schulbildung für notwendig erachtet und durchgeführt. „Die fortschreitende Mechanisierung und Automatisierung der Produktion sowie die Einführung der modernen Technik in der Landwirtschaft stellen höhere Ansprüche an den Facharbeiter der sozialistischen Produktion. Diese Anforderungen kann man mit der bisherigen achtjährigen Grundschulausbildung, die noch dazu keine polytechnische Ausbildung vermittelt, nicht mehr erreichen.“ „Durch den Beschluß des V. Parteitages wurde eine klare Orientierung für die sozialistische Entwicklung unseres Schulwesens gegeben. Der Parteitag bezeichnete die polytechnische Bildung als das Kernstück der weiteren Entwicklung unserer Schule.“
Am ersten September 1958 wurde von allen Schulen der DDR der erste „Unterrichtstag in der Produktion" (UTP) durchgeführt, der das wesentliche Element des polytechnischen Unterrichts darstellt.
Der vom Ministerium für Volksbildung am 20. Juni 1959 erlassene Lehrplan der zehn klassigen Oberschule bildete die erste verbindliche Grundlage für den einheitlichen Unterricht in dieser Schule. Ihren vorläufigen Abschluß fand die Schulreform in der DDR mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem* vom 25. Februar 1965. Die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule wurde damit „der grundlegende Schultyp im einheitlichen sozialistischen Bildungssystem"
Die „Erweiterte Oberschule* wurde auf zwei Schuljahre und eine Vorbereitungsklasse, die als Übergangslösung gilt und abgeschafft werden soll, reduziert. Die zweijährige „Erweiterte Oberschule* schließt sich nunmehr an die zehnklassige Oberschule an und führt zur Hochschulreife.
2. Aufbau und Wesen der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule seit 1965
Die Neugestaltung der Oberschule hatte vornehmlich zwei Aufgaben: einmal die Anhebung des Bildungsniveaus auf breiter Basis, zum anderen die qualitative Weiterentwicklung des Einheitsschulgedankens.
Die Hauptaufgabe der Oberschule besteht darin, „die Kinder und Jugendlichen auf die Arbeit, die künftige berufliche Tätigkeit in Industrie, Landwirtschaft und in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft vorzubereiten. Diese Schule muß der Jugend eine Allgemeinbildung vermitteln, wie sie das Leben in der sozialistischen Gesellschaft erfordert. Von großer Bedeutung sind dabei der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht, der Werk-und Schulgartenunterricht, der polytechnische Unterricht in der 7. und 8. Klasse, die berufs-vorbereitende Ausbildung und die berufliche Grundausbildung in der und Klasse. 9) Seit 1965 gliedert sich die Oberschule in drei Stufen:
Unterstufe (Klassen 1 bis 3)
Mittelstufe (Klassen 4 bis 6)
Oberstufe (Klassen 7 bis 10)
Die 1959 eingeführte Zweistufengliederung wurde also durch eine Dreistufengliederung abgelöst. „Die traditionelle Form der eigenständigen vierjährigen Grundschule, die in gewisser Weise als Unterstufe innerhalb der Oberschule weitergelebt hatte, wurde damit endgültig beseitigt.“ 10) Die Neugliederung ermöglicht einen durchgehenden systematischen Lehrgang von der 1. bis 10. Klasse. Dabei beginnt der Fachunterricht in der Mittelstufe; die Oberstufe hat einen voll ausgebauten Fachunterricht, in dem „die Grundlage für die praktische Tätigkeit, eine verantwortungsbewußte Berufsentscheidung und die weiterführende berufliche und wissenschaftliche Ausbildung* geschaffen wirdlx). (über Lehrinhalte und Schwerpunkte der einzelnen Stufen vergleiche § 14, § 15 und § 16 des Bildungsgesetzes von 1965.
Obwohl das Bildungsgesetz von 1965 ausdrücklich die „allgemeine zehnjährige Ober-schulpflicht“ bestätigt, die ja schon 1959 eingeführt wurde, besteht weiter die Möglichkeit einer Entlassung nach vollendeter 8. Klasse. In § 8 (3) heißt es:
„Die allgemeine Oberschulpflicht ist durch den Besuch der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule zu erfüllen. In bestimmten Fällen kann die Oberschulbildung in den Einrichtungen der Berufsausbildung oder der Aus-und Weiterbildung der Werktätigen beendet werden.
De facto ist die Zahl der vorzeitigen Abgänger jedoch gering. 1969 absolvierten bereits 82 % aller Schüler die zehnklassige Oberschule
Dennoch wird durch diese Zäsur innerhalb der Oberstufe das didaktische Strukturprinzip, das der Dreigliederung der Oberschule zugrunde liegt, gestört. Nach der 8. Klasse ist nicht nur ein Abgang möglich, zugleich beginnt hier noch immer die Vorbereitung für den Besuch der „Erweiterten Oberschule*. Somit kommt den beiden letzten Klassen eine Sonderstellung zu, die aber nur als vorübergehend betrachtet werden darf. Ziel der Schulpolitik ist es, sowohl den Abgang nach der 8. Klasse völlig abzuschaffen als auch die Vorbereitungsklassen für die „Erweiterte Oberschule* aufzuheben. Damit absolviert jeder Schüler der DDR in Zukunft regulär die zehnklassige Oberschule und hat danach — seinen Fähigkeiten entsprechend — die Möglichkeit, auf die „Erweiterte Oberschule" überzuwechseln. Mit dieser neuen Konzeption wurde Anfang 1966 die Aufgabe der Oberschule neu gefaßt: Danach ist sie der Ort „einer umfassenden, all-seitigen Grundlagenbildung", der „ein sicheres Fundament für alle Formen der Spezialbildung bietet, wie sie sich in der Regel erst der allgemeinbildenden Schule anschließen"
Mit der Verwirklichung der horizontalen Struktur des Schulsystems in der DDR wurde nicht nur ein hohes Bildungsniveau insgesamt erreicht, sondern zugleich der Grundsatz der Gleichheit der Bildungschancen weitgehend verwirklicht. Die Auslesefunktion der Schule — und damit die soziale Weidienstellung — wurde auf einen Zeitpunkt verlegt, wo sich Begabung und Neigung der Schüler deutlich abzeichnen und Entscheidungen über den weiteren Werdegang objektiver und unabhängiger vom sozialen Status des Elternhauses treffen lassen. 2. 1. Spezialschulen und -klassen Das horizontale einheitliche Schulwesen der DDR ermöglicht zweifellos eine gerechtere soziale Verteilung der Bildungschancen. Dennoch: Ein für alle Schüler einheitlicher Unterricht nach einem bis ins Detail festgelegten Lehrplan, der den eigenen didaktisch-methodischen Spielraum der Lehrer weitgehend einschränkt, kann sowohl auf individuelle Lernschwächen als auch auf besondere Interessen-schwerpunkte der Lernenden kaum Rücksicht nehmen. Eine optimale individuelle Bega-bungs-und Leistungsförderung ist schwer möglich, denn „in der Einheitsschule muß das Durchschnittsniveau gültige Leistungsnorm sein"
Diesen Mangel der Einheitsschule — auch von den Bildungspolitikern der DDR erkannt — versuchte man durch eine Differenzierung des Unterrichts innerhalb des linearen Systems zu beheben. Bereits Anfang 1959 regte Kurt Hager in einem Referat auf der 4. Tagung des Zentralkomitees der SED die Schaffung von Spezialschulen an: „Vom Ministerium für Volksbildung sollte geprüft werden, ob die Bildung einiger spezieller I 0-Klassen-Oberschulen zweckmäßig und möglich ist. Das können Schulen mit erweiter-tem naturwissenschaftlichen, sprachlichen, musischen oder Sportunterricht sein, die in bestimmten ökonomischen Schwerpunkten öder für künstlerisch begabte oder sportlich befähigte Kinder geschaffen werden. Diese Schulen sollen unter Beibehaltung der allgemeinen Grundausbildung für alle Schüler die Voraussetzung schaffen, um in bestimmten Fächert umfassende Kenntnisse zu erlangen."
In einem Beschluß des Politbüros des Zentral-komitees der SED vom 3. Juli 1963 wurde dann die schrittweise Errichtung einer begrenzten Zahl von Spezialschulen und -klassen ab 1. September 1964 festgelegt.
Die Spezialschulen oder -klassen beginnen mil dem 7. Schuljahr; sie führen in der Regel zum Abitur und zur Facharbeiterprüfung; sie sind „selbständige Einrichtungen der Volksbildung mit eigener Leitung"
Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt hier hauptsächlich auf den technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereichen Schulen mit spezieller sprachlicher oder künstlerischer Ausbildung gibt es in geringere; Zahl.
„In Spezialschulen und -klassen werden Schüler in solchen speziellen Berufen der führenden Wirtschaftszweige und der Landwirtschaft ausgebildet, die für die Durchsetzung des wis senschaftlich-technischen Fortschritts in diesen Bereichen und in der gesamten Volkswirtschaft von grundlegender Bedeutung sind und besonders hohe mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse verlangen. Diese Schulen und Klassen werden eng mit den Schwerpunktbetrieben der führenden Wirtschaftszweige und der Landwirtschaft sowie wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden. In den Spezialschulen und -klassen wird der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht erweitert. Einzelne mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer werden entsprechend den jeweiligen Anforderungen der führenden Zweige der Volkswirtschaft und den Erfordernissen der beruflichen Ausbildung inhaltlich differenziert." Die Schaffung von Spezialschulen und -klassen ermöglicht im Rahmen der allgemeinbildenden Einheitsschule eine spezielle Förderung und Selektion der Befähigten sowie eine Lenkung des Bedarfs an qualifizierten Führungskräften nach volkswirtschaftlichen Bedürfnissen. Diese Schulen stellen also ein differenzierendes Strukturelement im allgemeinbildenden Schulwesen dar.
„Der Bedarf an . hochqualifizierten Kadern'für wichtige Bereiche der Gesellschaft zwingt dazu, die Ausbildung einer bestimmten Gruppe auf den hierfür in Frage kommenden Unterrichtsgebieten frühzeitiger und intensiver zu betreiben, als dies im Rahmen der für alle gleichen , Normalbildung'bis zum 10. Schuljahr möglich ist. Das Ideal einer für alle Kinder und Jugendlichen einheitlichen Bildung, das der allgemeinbildenden Oberschule zugrunde liegt, erfährt mithin von zwei Seiten Einschränkungen: einmal von der psychologisch-pädagogischen Notwendigkeit her, die individuellen Begabungen differenziert zu behandeln, zum anderen durch die staatsökonomischen Bedürfnisse nach einer Entwicklung und Lenkung der Nachwuchskräfte für die besonders wichtigen Wirtschaftszweige.“
Hier sei darauf hingewiesen, daß wohl nicht zufällig zum Zeitpunkt der Errichtung solcher Schulen die meisten Arbeiter-und Bauernfakultäten aufgelöst wurden, die inzwischen ihren Zweck erfüllt hatten.
Die Tendenz zur Differenzierung des Einheitsschulsystems darf jedoch nicht als Abkehr vom Prinzip der Einheitsschule mißverstanden werden. Die zehnklassige Oberschule erfährt durch die Einrichtung von Spezialschulen und -klassen keine Abwertung. Ob allerdings diese Differenzierung des Schulsystems nicht doch wieder zum Spiegelbild bzw. zur Ursache sozialer Schichtung wird, bleibt abzuwarten. 2. 2 Der polytechnische Unterricht Die offizielle Einführung und Entwicklung des polytechnischen Unterrichts in der DDR begann am 1. September 1958 mit der Durchführung des ersten »Unterrichtstages in der Produktion". Doch bereits vor 1950 war die Arbeitserziehung an allen Schulen der damaligen SBZ durch Werkuntericht und Schulgärten intensiviert worden.
Der Aufbau des polytechnischen Unterrichts erfolgte zunächst nach sowjetischem Vorbild.
Die weitgehend ungeprüfte Übernahme der sowjetischen Praxis erwies sich jedoch bald als wenig brauchbar und wurde deshalb öfters revidiert und den eigenen Verhältnissen und Bedürfnissen angepaßt. Bis heute lassen sich daher mehrere Phasen der Entwicklung des polytechnischen Unterrichts konstatieren.
Grundsätzliches Ziel der polytechnischen Bildung — die einen wesentlichen Raum in der Ausbildung einnimmt — war und ist die Verknüpfung von Schule und Arbeitswelt, die Aufhebung der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, die Synthese von Theorie und Praxis.
Die Schule wird nicht als Schonraum verstanden, aus dem der Jugendliche später in das . wirkliche Leben'entlassen wird, sondern die Schüler sollen von Anfang an realitäts-und praxisbezogen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, das heißt vorwiegend Teilnahme am wirtschaftlichen Prozeß, an der Produktion zur unmittelbaren praktischen und theoretischen Erfahrung und Erkenntnis ökonomischer Vorgänge.
Der dafür vorgesehene polytechnische Fachunterricht, der durch Werk-und Schulgartenunterricht sowie die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer vorbereitet wird, setzt in der 7. Klasse ein und wird bis zum Abschluß der 10. Klasse durchgeführt.
In folgende drei Fächer gliedert sich der polytechnische Unterricht: 1. „Technisches Zeichnen"
„Durch das Technische Zeichnen wird die Entwicklung des technischen Verständnisses der Schüler gefördert. Es erzieht sie zu Sauberkeit und Exaktheit in der Arbeit.“ 2. „Einführung in die sozialistische Produktion“ „Die Schüler gewinnen hier einen Überblick über die wichtigsten Zweige der Volkswirtschaft, ihre Struktur, ihre Bedeutung und innere Verflechtung. Diese Kenntnisse müssen entsprechend der Altersstufe in faßlichen Darstellungen vermittelt und mit den Erfahrungen der Schüler verbunden werden. Die besten Ergebnisse werden dort erzielt, wo der Lehrer, unterstützt vom Fachmann aus der Produktion, die einzelnen Themen dieses Faches unterrichtet oder ein Fachmann aus der Produktion, vom Lehrer unterstützt, den Unterricht durchführt.“ In diesem theoretischen Fadi („ESP“) erhalten die Schüler eine Einführung in die Grundlagen der mechanischen Technologie, der Maschinen-kunde, Elektrotechnik und Ökonomie. 3. „Unterrichtstag in der Produktion"
„Im Mittelpunkt des polytechnischen Unterrichts steht der Unterrichtstag in der Produktion.“
Hier leisten die Schüler einmal wöchentlich praktische Arbeit in einem volkseigenen Industriebetrieb, einer landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Produktionsgenossenschaft oder in besonders für diesen Zweck eingerichteten polytechnischen Zentren unter sachkundiger Anleitung von Lehrerausbildern, Arbeitern, Genossenschaftsbauern und Gärtnern.
Wurde in den fünfziger Jahren der polytechnische Unterricht — auch wenn die technologischen Lehrinhalte schon stärker in den Vordergrund traten — vorwiegend als kontinuierliche Fortsetzung des bis dahin üblichen Werk-unterrichts praktiziert, so erfolgte Anfang der sechziger Jahre — wieder nach dem Vorbild sowjetischer Entwicklungen — eine „Professionalisierung“ des polytechnischen Unterrichts
„Der Unterricht diente kaum noch einer technisch-ökonomischen Allgemeinbildung, sondern wurde in die erste Stufe der Berufsausbildung umgewandelt. Nach längerer Erprobung von didaktischen Modellen und Lehrplänen wurde 1963 in vielen Schulen der polytechnische Unterricht durch eine berufliche Grundausbildung ersetzt, die in der 9. Klasse begann und in der die Oberschüler entsprechend der Wirtschaftsplanung für die vorrangigen Schwerpunktberufe ausgebildet wurden."
Auf eine polytechnische Ausbildung im echten Sinne des Wortes wurde in den allgemeinbildenden Schulen zugunsten einer Spezialisierung verzichtet. Es kam sogar zum Abschluß regelrechter Lehrverträge zwischen Schülern und Betrieben, die eine Entlohnung einschlossen.
1967 wurde diese ausschließlich berufsbezogene Ausbildung wieder rückgängig gemacht und durch einen wieder mehr allgemeinbildenden und theoretisch orientierten polytechnischen Unterricht ersetzt.
Diese Revision war notwendig geworden, da sich der eingeschlagene Weg einer gleichzeiti-gen Schulund Berufsausbildung als Mißerfolg erwies. Abgesehen von der verfrühten Berufs-orientierung auf Kosten einer postulierten vielseitigen technischen Bildung war die gewünschte Berufslenkung wenig erfolgreich, denn die Mehrzahl der Abiturienten entschied sich trotz eines Facharbeiterbriefs für ein vollkommen anderes Studium. Dies alles ging zu Lasten des Niveaus der allgemeinen wie der beruflichen Bildung. „Die mit den neuen Lehrplänen 1967 eingeleitete jüngste Reform der polytechnischen Bildung stellt zugleich ihre qualitativ überzeu-gendste Form dar. Der polytechnische Unterricht wird jetzt — vor allem durch die Konzeptionen von Heinz Frankiewicz — zu einem wissenschaftlichen und allgemeinbildenden Fach.“
So würd heute in der DDR mit Nachdruck betont, „daß sich die Zielsetzung des polytechnischen Unterrichts nicht darin erschöpft, ja daß es nicht einmal sein primäres Ziel ist, den Schüler sozusagen als künftigen Produzenten fit zu machen. Sein Hauptanliegen ist es, als integrierender Bestandteil des Erziehungsund Bildungsprozesses zur sozialistischen Persönlichkeitsbildung beizutragen und den Schülern jenes Verantwortungsbewußtsein und jene Verhaltensweise zu vermitteln, deren sie als sozialistische Eigentümer bedürfen." 2. 3. Elternvertretungen und Schülermitverantwortung Die Verordnung über die Eltembeiräte an den allgemeinbildenden Schulen (Elternbeiratsverordnung) vom 7. Januar 1960 sieht an jeder Oberschule einen Elternbeirat sowie Klassenelternaktivs als demokratische Vertretungsorgane der Eltern vor. Der Elternbeirat — für jeweils zwei Jahre von allen Eltern einer Schule gewählt — berät und unterstützt Schule und Eltern „bei der allseitigen Bildung und Erziehung der Schüler“ 3. Außer den gewählten Vertretern aus der Elterschaft gehören dem Elternbeirat als stimmberechtigte Mitglieder noch je ein Vertreter des Patenbetriebes, eine Vertreterin des DFD, der Vorsitzende der Freundschaftsleitung der Pionierorganisation „Ernst Thälmann" oder der hauptamtliche Sekretär der FDJ-Grund-einheit bzw. ein Vertreter der FDJ-Kreisleitung, ein Lehrer oder Erzieher als Vertreter der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung sowie ein Vertreter des jeweiligen Ausschusses der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und im zweisprachigen Gebiet ein Vertreter der Domowina an.
Zu den Hauptaufgaben des Elternbeirats zählen die Unterstützung der Lehrer und Erzieher in der sozialistischen Erziehung und Bildung, Hilfe bei der Verwirklichung und Durchführung schulgesetzlicher Bestimmungen und Verordnungen zur Sicherung einer festen Ordnung und Verbesserung der Disziplin in der Schule sowie Mithilfe bei der Lösung spezieller, schulinterner Probleme wie der Verbesserung der Lernergebnisse der Schüler, insbesondere der Arbeiter-und Bauernkinder.
So kommt diesem Organ weniger eine kritisch kontrollierende Aufgabe gegenüber der Schule und ihrer Leitung zu als vielmehr eine bloße Hilfsfunktion. Wieweit in der Praxis der Einfluß und die tatsächlichen Kompetenzen des Elternbeirats und seiner Kommissionen bei kontroversen Standpunkten von Schule und Elternschaft reichen, konnte nicht ermittelt werden. Ständige und zeitweilige Kommissionen werden vom Elternbeirat zur Durchführung seiner Aufgaben gebildet. Sie „unterstützen die Schule bei der Organisierung und Durchführung des Bildungsund Erziehungsprozesses" . Kommissionen sollten vor allen Dingen für die Unterrichtsarbeit, für die ganztägige Betreuung der Schüler, für die pädagogische Propaganda, für die sportliche Betätigung der Schüler, für die kulturelle Betätigung der Schüler, für materielle, wirtschaftliche und hygienische Fragen gebildet werden."
Eine ähnliche Rolle spielen die ebenfalls „demokratisch" für jede Klasse gewählten Klas-seneltemaktivs, die vornehmlich die Mitarbeit der Eltern zur Erreichung des Klassenziels durch alle Kinder organisieren. Darüber hinaus sollen die Klassenelternaktivs die Verbindung von Schule und Elternhaus enger knüpfen.
Eine institutionalisierte Schülervertretung, eine Schülermitverantwortung oder -selbst-Verantwortung gibt es an den Schulen der DDR nicht.
In der Schulordnung vom 12. November 1959 (Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden Schulen) heißt es zwar in § 31 pauschal: „Alle Schüler sollen sich aktiv am Leben der Schule beteiligen"; aber in § 33 wird dies lediglich wie folgt konkretisiert: „Den Schülern können durch Lehrer und Erzieher besondere, ihren Fähigkeiten entsprechende Aufträge erteilt werden, die geeignet sind, die Selbständigkeit, Selbsttätigkeit und Mitverantwortung der Schüler besonders zu entwickeln. Solche Aufträge können zum Inhalt haben: Hilfe für die schwachen und jüngeren Schüler, Mithilfe bei der Pausenaufsicht, Selbstbedienung im Speiseraum, Ausgestaltung der Klassen-und Horträume, Pflege der Lehrmittel und des Beschäftigungsmaterials, Mithilfe bei der Reinigung der Räume, besonders in Schulhorten und der Wohnräume in Internaten."
Die sog. Schülerkollektivs repräsentieren keine Interessenvertretung der Schüler, sondern sollen bei der Erziehung zur „bewußten Disziplin" mithelfen.
Eine besondere Bedeutung kommt hingegen den beiden großen Jugendorganisationen, der „Freien Deutschen Jugend“ und der Pionier-organisation „Ernst Thälmann", zu. Obwohl diese Organisationen kein integrierter Bestandteil der Schule sind, wird stets auf ihre Mitarbeit verwiesen.
Die Arbeit dieser Gruppen berührt weniger den unmittelbaren Unterricht in der Schule, sondern erstreckt sich auf das wichtige Gebiet der Freizeitgestaltung als Teilgebiet sozialistischer Erziehung. Auf der Durchführung außerunterrichtlicher Arbeit in mathematisch-naturwissenschaftlichen Kursen, in der Organisation sportlicher und kultureller Veranstaltungen sowie nicht zuletzt in gesellschaftspolitischer Arbeit und Bildung gemäß dem Grundsatz der Einheit von Bildung und Erziehung liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit. Auf diese Weise wird versucht, schulisches und außerschulisches Leben in einem großen, umfassenden Erziehungsprozeß zu verknüpfen.
3. Die Oberschule als sozialistische Schule
Das allgemeinbildende Schulwesen versteht sich — wie alle Bildungseinrichtungen der DDR — als sozialistische Institution.
„Wir machen keinen Hehl daraus, daß die Schüler in den Schulen der DDR für den Sozialismus, in der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus und zum Staatsbewußtsein eines Bürgers der DDR erzogen werden."
Wobei es nicht „um die Vermittlung von Glaubensdogmen oder um die Überredung der Schüler, sondern um wissenschaftliche Beweisführung nach Methoden geht, die in den Naturwissenschaften überall akzeptiert werden"
Gemäß dieser Erziehung zum Sozialismus herrscht in der DDR der Grundsatz der Staatlichkeit des Schulwesens.
Schulische Bildung und Erziehung sind ausschließlich eine Angelegenheit des Staates und somit individuellen Interessen einzelner oder Gruppen entzogen. Privatschulen sind in der DDR verboten.
Diesem Grundsatz entspricht auch die strikte Trennung von Kirche und Staat. Danach ist die Schule eine rein weltliche Einrichtung. Es gibt weder Konfessionsschulen noch wird Religionsunterricht erteilt. Dieser bleibt den Kirchen außerhalb der Schulen unbenommen. Was nun sozialistische Erziehung heißt, formulierte Walter Ulbricht in einem Referat auf dem V. Parteitag:
„Allseitige Entwicklung der Persönlichkeit, Erziehung zu Solidarität und kollektivem Handeln, Erziehung zur Liebe zur Arbeit, Erziehung zu kämpferischer Aktivität, Vermittlung einer hohen theoretischen und musischen Allgemeinbildung, Entfaltung aller geistigen und körperlichen Fähigkeiten, das heißt, Bildung des sozialistischen Bewußtseins zum Wohle des Volkes und der Nation.“
In § 5 des Bildungsgesetzes von 1965 wird dieses allgemeine sozialistische Bildungsziel präzisiert: „Im sozialistischen Bildungssystem gilt der Grundsatz der Einheit von Bildung und Erziehung. Die Schüler, Lehrlinge und Studenten sind zur Liebe zur Deutschen Demokratischen Republik und zum Stolz auf die Errungenschaften des Sozialismus zu erziehen, um bereit zu sein, alle Kräfte der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, den sozialistischen Staat zu stärken und zu verteidigen. Sie sollen die Lehren aus der deutschen Geschichte, besonders der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, begreifen.
Sie sind im Geiste des Friedens und der Völkerfreundschaft, des sozialistischen Patriotismus und Internationalismus zu erziehen.
Die Schüler, Lehrlinge und Studenten sind zur Liebe zur Arbeit, zur Achtung der Arbeit und der arbeitenden Menschen zu erziehen. Sie sollen darauf vorbereitet werden, körperliche und geistige Arbeit zu leisten, sich im gesellschaftlichen Leben zu betätigen, Verantwortung zu übernehmen und sich in der Arbeit und im Leben zu bewähren.
Den Schülern, Lehrlingen und Studenten sind gründliche Kenntnisse des Marxismus-Leninismus zu vermitteln. Sie sollen die Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens erkennen und anzuwenden verstehen und feste sozialistische Überzeugungen gewinnen. So werden sie befähigt, den Sinn des Lebens in unserer Zeit zu begreifen, sozialistisch zu denken, zu fühlen und zu handeln und für die Überwindung von Widersprüchen und Schwierigkeiten bei der Lösung von Aufgaben zu kämpfen. Der Bildungs-und Erziehungsprozeß und das Leben der Schüler, Lehrlinge und Studenten sind so zu gestalten, daß sie im Kollektiv und durch das Kollektiv zum bewußten staatsbürgerlichen und moralischen Verhalten erzogen werden. Sie sollen verstehen lernen, daß Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Höflichkeit und Zuvorkommenheit, Achtung gegenüber ihren Eltern und allen älteren Menschen sowie ehrliche und saubere Beziehungen zwischen den Geschlechtern Charaktereigenschaften der sozialistischen Persönlichkeit sind."
Zur Realisierung dieses sozialistischen Bildungsziels beschritt man den Weg der Zentralisierung der Bildungspolitik nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“, was eine relativ schnelle und einheitliche Durh führung von Schulreformen sowie eine weitgehende Kontrolle des gesamten Erziehungswesens ermöglicht. Der Schulunterricht selbst wird in starkem Maße staatlich kontrolliert und gelenkt. Durch inhaltlich konkretisierte und detaillierte Stoffpläne für jede Unterrichtsstunde bleiben dem Löhrer kaum eigene didaktische und methodische Auswahlmöglichkeiten. Für jedes Fadi und jede Klasse gibt es nur ein offiziell vorgeschriebenes Schulbuch. Die Ursache für diese starke Reglementierung ist in den besonderen bildungs-und gesellschafts-politischen Vorstellungen über Sinn und Funktion der Ausbildung in einer sozialistischen Gesellschaft zu finden, wie sie oben bereits skizziert wurde. Mit anderen Worten, man wird der zentralistischen Bildungspolitik in der DDR nur dann gerecht, wenn man sie mit den selbst gesetzten Maßstäben der Gesellschaft mißt, die sie praktiziert.
So erweist sich als wesentlicher Vorteil dieses normierten und standardisierten Unterrichts die weitgehende Aufhebung regionaler Chancenungleichheit; und die zentrale Bildungspolitik ermöglicht leichter die Verwirklichung der Einheit von Gesellschafts-, Wirtschafts-und Bildungsplanung.
„In der BRD geht man im allgemeinen davon aus, daß die Nachfrage der Volkswirtschaft nach bestimmten Qualifikationen durch ein entsprechendes Angebot an Schul-und Hochschulabsolventen gleichsam in einem Prozeß der kybernetischen Selbststeuerung, also durch Rückkopplung, gedeckt wird. Mit einer wachsenden Nachfrage in einem Wirtschaftszweig und auf einer Qualifikationsstufe wächst zugleich das Angebot an Nachwuchskräften, ohne daß der Staat regulierend eingreifen muß . .. In der DDR wird weder die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Weise dem freien Spiel dar Kräfte oder dem Zufall überlassen, noch verläßt man sich auf einen automatischen Ausgleich von Angebot und Nachfrage nach Schulabsolventen. Die Kapazitäten der einzelnen Bildungseinrichtungen werden aufgrund der volkswirtschaftlichen Perspektive geplant, durch Berufs-und Studienlenkung wird der Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften für die vorrangigen Wirtschaftszweige gedeckt,"
Nach einigen Fehlplanungen — besonders in den fünfziger Jahren (siehe polytechnischer Unterricht) — läßt sich heute in der DDR aufgrund einer weitgehenden empirisch abgesicherten Bildungsplanung ein hohes Maß an Koordination und Integration der Teilplanungen in die gesellschaftliche Gesamtplanung konstatieren. Darüber hinaus wird die Offent-
ichkeit sehr stark an den Planungsdiskussionen und der Gestaltung der Bildungspläne eteiligt. Die Bildungsplanung wird nicht nur m allen gesellschaftlichen Gruppen und in den etrieben diskutiert, sondern durch die Mit-
arheit zahlreicher Kommissionen und wissenschaftlicher Räte, die detaillierte Analysen und Prognosen erarbeiten und die politischen Entscheidungsinstanzen beraten, wird heute ein hohe» wissenschaftliches Niveau erreicht. „Die bisher dominierenden kurzfristigen und unmittelbar produktionsbezogenen Planungen werden so mehr und mehr durch wissenschaftlich fundierte langfristige Perspektivplanungen ersetzt."
Von Anfang an bemühte man sich in der DDR — gemäß der postulierten sozialistischen Erziehung —, das bürgerliche Bildungsprivileg zu brechen und die Schulen für alle Bevölkerungsschichten zu öffnen. Dies fand seinen Ausdruck in der massiven Förderung der bis dahin aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligten und in der Oberschule unter-repräsentierten Kinder der Arbeiter-und Bauernklasse. Dabei kam es noch in den fünfziger Jahren zu offenkundigen Bevorzugungen von Arbeiter-und Bauernkindern zum Nachteil von Kindern des Bürgertums. Doch bereits 1959 wandte sich das Zentralkomitee der SED entschieden gegen eine Auswahl ohne Rücksicht auf Leistung und Begabung:
„Die Partei verurteilt entschieden Auffassungen, daß die Förderung der Arbeiter-und Bauernkinder eine besondere Sitzordnung nach der sozialen Herkunft erfordere. Ebenso schädlich wirken sich Bestrebungen aus, die schulischen Leistungen der Arbeiter-und Bauernkinder besser zu bewerten. Solche Entstellungen verletzen die Grundsätze der sozialistischen Erziehung aller Kinder und widersprechen dem Bündnis der Arbeiterklasse mit den anderen Schichten der Werktätigen. Der sozialistische Staat sichert die Entfaltung der Fähigkeiten und Kräfte aller Menschen und sorgt dafür, daß jedem Kind vielfältige Möglichkeiten gegeben werden, eine wissenschaftliche, wesentlich höhere Bildung zu erwerben, als das im Kapitalismus geschehen kann."
Heute gelten — nach Beseitigung der Bildungsprivilegien des Bürgertums und der Realisierung einer gerechten Verteilung der Bildungschancen auf alle Schichten der Bevölkerung — durchweg Leistungskriterien als Beurteilungsmaßstab, auch wenn bestimmte politisch-ideologische Gesichtspunkte nicht ganz unberücksichtigt bleiben.
„Die Zulassung zur Abiturstufe erfolgt nach dem Leistungsprinzip, wobei natürlich die Persönlichkeit der Bewerber als Ganzes gewürdigt und nicht etwa eine simple Feststellung über die Durchschnittsquote aus allen Fächern zugrunde gelegt wird. Es werden be-sondere Leistungen in bestimmten, für die gewünschte Studienrichtung wesentlichen Fächern ebenso berücksichtigt wie das Verantwortungsbewußtsein, das der Bewerber bis zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Gesellschaft gezeigt hat, seine gesellschaftliche Aktivität usw.“
So wurde in der DDR wohl zum erstenmal tendenziell der Grundsatz der Chancengleichheit und das Prinzip der gleichen Bildung für alle mit dem Aufbau des Einheitsschulsystems verwirklicht. Dies fand auch seinen Niederschlag in der Verfassung von 1968.
In Art. 25, 1 heißt es: „Jeder hat das gleiche Recht auf Bildung. Die Bildungsstätten stehen jedermann offen.'Und Art. 26, 1 der Verfassung besagt: „Der Staat sichert die Möglichkeit des Übergangs zur nächsthöheren Bildungsstufe bis zu den höchsten Bildungsstätten, den Universitäten und Hochschulen, entsprechend dem Leistungsprinzip, den gesellschaftlichen Erfordernissen und unter Berücksichtigung der sozialen Struktur der Bevölkerung." Nach Siebert befindet sich die DDR-Schule heute zweifellos „auf dem Wege zu einer . sozialistischen Leistungsschule’ "
Aufgrund der breiten Förderung von Arbeiter-und Bauernkindern in der DDR kommt den Problemen der kompensatorischen Erziehung in der Pädagogik besondere Bedeutung zu. Zu diesem Thema lagen dem Verfasser jedoch kaum Arbeiten vor, so daß im folgenden die knappe Darstellung und Kritik der DDR-Pädagogik des Soziologischen Seminars an der Freien Universität Berlin von 1968/69 kommentarlos zur Diskussion gestellt werden soll: „Gemäß dem Selbstverständnis der DDR-Pädagogik spricht man nicht von kompensatorischer, sondern von Fördererziehung. Wenn ein Lehrer in seiner Klasse Schwierigkeiten beim einzelnen Schüler feststellt, versucht er, durch Zusammenfassung der förderbedürftigen Kin.der in Arbeitszirkeln außerhalb der regulären Schulzeit ihnen den Anschluß an die Klasse zu gewährleisten.
Schon der Unterricht in der Unterstufe ist so angelegt, daß kompensatorische Erziehung überflüssig wird. Möglichst früh wird auf die Entwicklung aller beim Lernen einzusetzenden Fähigkeiten hingearbeitet. Die Vermittlung von Regeln sorgt für eine rationelle und zweckentsprechende Organisation der geistigen Tätigkeit. Methodische Hilfen erlauben eine optimale Leistungssteigerung. Jeder einzelne Lernschritt wird funktional für die Leistungssteigerung angeordnet.
So durchdacht dieses System auf die Entwicklung kognitiven Potentials ausgerichtet ist, so erweisen sich gerade hierin die Schwächen der DDR-Erziehung. Der spontanen, im Hinblick auf das Klassenkollektiv nicht funktionalen Aktivität eines Schülers wird innerhalb dieser Methode kaum Raum gelassen.
Die sozialen Beziehungen werden als „Nährboden für die Bildung kollektiver Motiv-systeme" betrachtet. Das Klassenkollektiv wirkt als Verstärker der Lernanforderungen. Es ist fraglich, ob diese kooperativen Arbeitsformen solidaritätsstiftend sind, da sie vorwiegend als funktional für Leistungssteigerung betrachtet werden.
Indem diese Gesellschaft nie in Frage gestellt wird, sondern a priori vorausgesetzt wird, daß in ihr subjektive Interessen und objektive Anforderungen eine Einheit bilden, kann das emanzipatorische Potential, das durch die Unterrichtsmethode herausgefordert wird, in Repressivität umschlagen. Die Unterrichtsmethode wird zu einem leicht handbaren technologischen Instrument zur Anpassung an die normativen Leitsätze der DDR-Pädagogik.