Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Consensus omnium zwischen Minimum und Staatsgesinnung Ein , Politischer Pädagoge'antwortet seinen Interpreten | APuZ 29/1972 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 29/1972 Artikel 1 Instrumente zur Emanzipation der Schüler Die Rolle der Schülervertretung und der Schülerpresse bei der politischen Selbstbefreiung der Schüler Consensus omnium zwischen Minimum und Staatsgesinnung Ein , Politischer Pädagoge'antwortet seinen Interpreten

Consensus omnium zwischen Minimum und Staatsgesinnung Ein , Politischer Pädagoge'antwortet seinen Interpreten

Kurt Gerhard Fischer

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Für diesen Beitrag wurde auf die sonst übliche Zusammenfassung verzichtet, weil er den Charakter einer Anschlußfolge hat: K. G. Fischer, der in der von E. A. Roloff in B 41/71 begonnenen und später von Hugo Andreae und Bernhard Sutor in B 10/72 fortgesetzten Diskussion zum Thema Politische Bildung zitiert, aber seines Erachtens nicht immer zutreffend interpretiert wurde, erhält hier in einer abschließenden Stellungnahme die Gelegenheit, seine Position darzustellen.

In einigen Beilagen zur Wochenzeitung Das Parlament der letzten Monate wurde mein Name mehrfach zitiert; so erfreulich dies ist, insofern damit kundgetan wird, daß — in diesem Falle — eines Außenseiters nahezu zwanzigjähriges Denken und Wirken in Sachen Politischer Bildung wenn nicht Anerkennung, so doch Beachtung zu finden beginnt, so bedenklich stimmen den . Betroffenen'diese und jene Unterstellungen, die sich teilweise nur noch schwierig als . Interpretationen'kennzeichnen lassen

Darum sei dem also mehrfach Zitierten gestattet, daß er seinen Interpreten antwortet, wohl wissend, daß auf knappem Raum nur einige Aspekte angesprochen werden können. Nebst anderen Verdiensten, so zeigt es sich gerade in letzter Zeit, öffnet sich das Periodicum „aus Politik und Zeitgeschichte" mehr und mehr einer fachmännischen Diskussion, einem Dispute gar, der bisher nur gelegentlich und punktuell von den hierfür von ihrem Anspruch her kompetenten Zeitschriften geleistet wurde, vielleicht auch von ihnen gar nicht bewerkstelligt oder verkraftet werden kann

Zunächst zur Vorgeschichte: Gewiß nicht nur eine Enttabuisierung dürfte die Erwähnung meiner Gedanken und Veröffentlichungen in den „Beilagen" der letzten Monate begründet haben, sondern nicht zuletzt ein Ereignis aus dem Sommer 1971, an das einige der Beiträge anknüpfen, während dieses Ereignis nur einmal im redaktionellen Teil erwähnt wird: die Sektion Niedersachsen der . Deutschen Vereinigung für Politische Bildung'veranstaltete damals, wie immer hervorragend von Hannah Vogt inszeniert, eine . disputatio'im Wortsinn, zu der als Kontrahenten über die Frage „Grundrechte — ewiges Fundament oder wandelbare Satzung?" Hans-Günther Assel und ich selbst geladen waren. Ernst-August Roloff referierte — neben Helga Grebing — am folgenden Tage über „Das Grundgesetz als Problem der Didaktik"

Da Assels und Roloffs Äußerungen in einer „Beilage" veröffentlicht wurden und da beide sich auch auf meine Ausführungen in Hildesheim beziehen, dürfte es legitim sein, zunächst jene elf Thesen vorzulegen, die ich seinerzeit im voraus der Tagungsleitung zur Vervielfältigung übergab. Sie werden hier so der Öffentlichkeit angeboten, wie dies damals geschah, um neue und weitere Mißverständnisse neben den durch meine Interpreten verbreiteten zu verhindern. Nur den Titel darf ich abändern, weil die folgende Formulierung meiner Auffassung von der Alternative näherkommt als die seinerzeit vorgegebene und von Hans-Günter Assel übernommene.

Elf Thesen zum Thema: Grundrechte — ewige Satzung oder wandelbare Setzung?

1. Was wir als , Grundrechte'(Menschenrechte, Freiheitsrechte) bezeichnen und verstehen, kann nicht anders als geschichtlich geworden vorgestellt werden. Das bedeutet auch: es gibt keine ewigen Werte; vielmehr sind die Vorstellungen der durch Wörter bezeichneten Werte ebenfalls geschichtlich vermittelt. Ihre Bedeutungen wandelten und wandeln sich in der Geschichte.

2. Die Entwicklung der Grundrechte kann als vertragsgeschichtliche Widerspiegelung der Emanzipationsbewegungen aus der Sklavenhaltergesellschaft zu einer Gesellschaft von Gleichen gedeutet werden.

3. Schon die Tatsache, daß im Zusammenhang der Grundrechte von . Werten'gesprochen wird, verweist auf einen ökonomischen Zusammenhang; denn . Wert'ist ursprünglich ein Begriff der Ökonomie, und jede der uns bekannten Fixierungen von Grundrechten stellt die vertragliche Festlegung von Beteiligung an ökonomischen Werten, durch Jahrhunderte primär an Grund und Boden, unter dem Prinzip . pacta sunt servenda', dar.

4. Der Versuch, Grundrechte in der . politischen Theorie'in Korrespondenz zur . Natur des Menschen'(o. ä.) festzumachen, bezweckt ihre Zukunftssicherung gegenüber gleichviel welcher Sozialvertragslehre; dennoch identifiziert sich eine Theorie des . political natural law'nicht notwendig mit den Prämissen des philosophischen Naturrechts.

5. Es ist allgemein bekannt, daß das Grundgesetz der BRD eine Kompromiß-Vereinbarung der Mitglieder des Parlamentarischen Rates darstellt, die zudem durch die seinerzeitigen Besatzungsmächte im Zeichen des . Kalten Krieges beeinflußt wurde. Kennzeichnend für die mittlere Lösung'des GG ist die Rücknahme fesp. Relativierung radikal-demokratischer Vorstellungen, wie sie in den Aufrufen und ersten Programmen aller Parteien kurz nach 1945 nachweisbar sind. 6. Die Relativität der Geltung der Grundrechte kommt im GG selbst sprachlich unmittelbar zum Ausdruck im Hinweis, daß sie nur im Wesensgehalt unantastbar sind; sie kommt ferner in der bisherigen . Fortschreibung’ des Verfassungstextes zur Geltung, die als permanente Einengung der Geltungs-Bandbreite gerade der Grundrechte angesehen werden muß. ökonomischer Zusammenhang und geschichtliche Vermittlung können gar nicht besser belegt werden.

7. Die Ausschöpfung der Substanz der Grundrechte des GG würde dennoch bereits bedeuten: , mehr Demokratie'im Sinn von Abbau von Herrschaft und Privilegien.

8. Die Tatsache der Geschichtlichkeitder Grundrechte schließt nicht aus, sondern impliziert geradezu, daß die politische und vertragsgeschichtliche Weiterentwicklung von Grundrechten nicht hinter den Stand der . bürgerlichen’ Freiheitsrechte zurückfallen darf, sondern darüber hinausgehen muß.

9. Hierzu bedarf es einerseits des ideologie-kritischen Kalküls gegenüber tradierten Implikaten falschen Bewußtseins in den Denkfiguren des Grundrechts-Kataloges. Das gilt insbesondere für die Stilisierung des Eigentumsbegriffs des Liberalismus zu einem Grundrecht, die im Widerspruch zu den Grundgedanken des historischen Entfaltungsprozesses von Grundrechten steht und im wesentlichen der Erhaltung von Privilegien — und damit gesellschaftlicher Ungleichheit — dient. Am Beispiel des Eigentums an Grund und Boden wird diese Problematik in unseren Tagen jedermann sichtbar. Andererseits ist vermittels formaler Logik den immanenten Widersprüchen der zu einem . Katalog'gebündelten Grundrechte nachzugehen. So sind geschichtlich vermittelte Gruppenrechte, die faktisch Privilegien darstellen und insofern gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse perpetuieren, als im Widerspruch zum prinzipiell unteilbaren Grundsatz der Gleichheit zu erkennen; das gilt ins-29 besondere für das Denkgebilde des „Elternrechts', dem in der Gestalt eines Grundrechts ein gleichgewichtiges . Kindesrecht'an die Seite zu stellen ist. 10. Die kritische Reflexion der Setzungen (= Satzungen) muß ständig auf zwei Bezüge hin erfolgen: einmal die gesellschaftliche Wirklichkeit (Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit), zum anderen eine . konkrete Utopie'(Gesellschaft von Gleichen und Freien). 11. Die kritischen Thesen zum Problem der Grundrechte bezeichnen gleichzeitig die Aufgabe der Politischen Bildung und im Politischen Unterricht, um steriler Verfassungskunde und einer Politischen Pädagogik des Disengagement zu entgehen.

Eine Vorbemerkung als Interpretationshilfe

Sowohl für die hier vorgelegten Thesen wie für alle Ausführungen und Stellungnahmen, die folgen werden, gilt für mich, was ich mit einer etwas ausführlichen Zitierung belegen möchte: „Die grundsätzliche Adresse alles wissenschaftlichen Wissens ist die Intersubjektivität, sie ist der . Verifikationshorizont', was bedeutet: sofern etwas wahr sein soll, muß es seine Wahrheit vor dem Gerichtshof der allgemein gedachten Vernunft der Menschen ausweisen und nicht etwa vor dem Forum einer außermenschlichen Wahrheitsquelle, handele es sich dabei um den Mythos oder die Inspiration . . . Die wichtigste Konsequenz ist, daß menschliches Wissen, auch in der Höchstform wissenschaftlichen Wissens, keine Möglichkeit hat, absolut zu werden, sondern der Endlichkeit derjenigen, die es hervorbringen, verhaftet bleibt. Menschliche Wissenschaft, die mit dem Anspruch der Absolutheit auftritt, hat die Basis verlassen, auf der sich die Wahrheit wissenschaftlichen Wissens qualifizieren kann, nämlich die Basis der Intersubjektivität. Es entzieht sich der Debatte, der Diskussion, der Kritik und hat das Bestreben, den Prozeß des Wissenserwerbs stillzulegen . .

Kurz und bündig: ehe ich aufs Detail eingehe, sei festgestellt, daß ich dieser wissenschaftstheoretischen Position resp. Aussage zustimme, daß ich in meinen Arbeiten zur Politichen Bildung versucht habe und mich bemühe, sie durchzuhalten und daß ich mich offenkundig darin ganz gewiß unterscheide von Hugo Andreae, Hans-Günther Assel und Bernhard Sutor (neben anderen, die hier nicht als meine Interpreten auftreten), und zwar von diesen drei Theoretikern der Politischen Bildung sowohl im Ansatz als auch in den Folgen, daß ich mich hierin wohl auch partiell von einigen, so etwa durch Andreae, andernorts aber etwa auch durch Antonius Holtmann mit mir teilweise oder ganz und gar in einen Topf Geworfenen wie Rudolf Engelhardt, Wolfgang Hilligen, Hermann Giesecke (nebst anderen) unterscheide, soweit deren wissenschaftstheoretische Position halbwegs zweifelsfrei erkennbar wird, auch aber in zahlreichen Folgerungen. Darin dürfte ich mich aber auch von Emst-August Roloff unterscheiden, wenngleich zwischen seinen Aussagen und meinen sowohl hinsichtlich der Streitfrage um die Grundrechte als auch angesichts der „Bereichsdidaktik 1'Politischer Bildung — Wolfgang Klafki prägte dieses Wort vor Jahren, ohne daß es seither im Pädagogen-Jargon reüssiert hätte — zahlreiche Übereinstimmungen festzustellen sind. Schließlich unterscheidet mich meine Zustimmung zur charakterisierten wissenschaftstheoretischen Position auch von soge-nannten . linken', , neomarxistischen'— oder wie immer man beliebt, mit Sprachzeichen zu operieren — Theoretikern der Politischen Bi düng, ohne daß dieser Unterschied zugleich in allen Folgerungen sich wiederholen müßte

Was Egon Schütz für . wissenschaftliches 'Wissen'geltend macht, trifft ungeschmälert auch auf andere Formen des Wissens zu; es gilt mithin ebenso für solches Wissen, das im Handeln der Politikmacher auf allen Ebenen, also einschließlich von Demonstranten, Hausbesetzern, Bundeskanzlern und Parteivorsitzenden, aktiviert wird, wie es auch für Verfassungsnormen sowie für alles Normative gilt.

Von den Widersprüchen meiner Interpreten und zwischen ihnen

Liest man die hier zu betrachtenden Artikel aus den verschiedenen „Beilagen", so kann man mandien Widerspruch bemerken; und zwar sind die Ausführungen der Autoren teilweise in sich selbst widerspruchsvoll, ferner widersprechen sie sich untereinander und insbesondere in der Einschätzung anderer, auf die sie sich hier berufen, die sie da kritisieren, von denen sie sich aber auch mit Ausdrücken der Empörung abwenden. Unter solcher Widersprüchlichkeit haben vorzugsweise solche zu leiden, die unbefragt strapaziert werden; zu ihnen gehöre auch ich solcherart, daß ich unlängst anhören mußte, ich sei ein Chamäleon.

Wie dies vor sich geht und was dabei heraus-schaut, sei an Beispielen vorgeführt:

Man wird Hans-Günther Assel zustimmen können, wenn er sagt: „Die politische Bildung stützt sich ... auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ... Solange man Politikwissenschaft oder politische Bildung als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachtet, besteht die Gefahr, daß sie einen apologetischen, affirmativen und doktrinären Charakter erhält; es bleibt der Ideologieverdacht und der Vorwurf bestehen, sich für eine normative Dogmatik zu engagieren." Doch er zieht hieraus nicht etwa die Folgerung, die man in Bernhard Sutors Formulierung, ebenfalls zustimmungswürdig, hier anfügen kann: „... daß ... auch der Inhalt des Minimalkonsensus ... Gegenstand des Zweifelns und Fragens sein muß" Vielmehr liest man bei Assel, und dies aparterweise auf der gleichen Seite: „Das demokratische System bekennt sich ... zu absolut gültigen Normen .. . Diese sind als . ewiges Fundament'zu betrachten. Sie stehen außerhalb von Kontroverse und Ermessen und bilden den Minamalkonsensus der politischen Gemeinschaft." Diese Aussagen widersprechen nicht nur dem von Assel selbst herangezogenen Gedanken von „Instanzen", sondern auch sowohl dem Wortlaut des Grundgesetzes als auch und insbesondere der Praxis von Grundgesetzänderungen zwischen 1949 und heute; offenbar ist es viel schwerer, den Wesensgehalt'auszumachen und zu respektieren, als Assel dies wahrhaben und anderen weismachen will. Aber auch Bernhard Sutor gerät im Fortgang seiner Gedankenführung in Widerspruch zu sich selbst, spricht er doch von der „Orientierung an . absoluten Werten'" es wäre zumindest interessant von ihm zu erfahren, welcherart Zweifeln und Fragen ans Absolute gerichtet werden . dürfen'— und zu welchem Zweck dies empfohlen wird. Angesichts solcher Auffasungen ist wohl Sutor zu den „Keinen" im Sinne Hugo Andreaes zu zählen, von denen er sagt: „.. . von ... bis ... findet sich bisher keiner, der der Jugend den Grundrechtskatalog in skeptischer Infrage-stellung darstellen wollte." Nochmals, ver8) stärkt, rhetorisch, fragt Andreae, sich auf Bußhoff stützend: „Wenn Pädagogen wie Bußhoff die Grundrechte als sittlichen Minimalkonsensus unserer demokratischen Ordnung vertreten — und gibt es überhaupt Pädagogen, die dies nicht wollten? ..

An dieser Stelle sei gestattet, daß ich mich zu Worte melde und, auf die Gefahr hin, daß Andreae mich als einen „umstürzlerischen Pädagogen" lehrerhaft abqualifiziert und zugleich Ernst-August Roloff in seiner Meinung vom . Dogmatiker'Fischer („. Einsicht'[d. h. das Dogma]" heißt es einmal bei ihm auf mich gemünzt) erschüttert wird, feststelle, was im übrigen aus meinem Disput mit Bußhoff wie aus dem anderen mit Assel hervorgeht und bei letzterem nachlesbar ist: der von meinen Freunden und mir entwickelte Vorschlag, . Einsichten" als Sinnelementares des Politischen Unterrichts zu verstehen und anzustreben, beinhaltet ein Minimum im Vergleich zum Minimum der Grundrechte. In allen Veröffentlichungen, in denen ich mich mit diesem Problem befaßte, wird davon gesprochen, daß es sich um einen Vorschlag handelt, der — auch den Schülern, aber zuvor natürlich den Politischen Pädagogen— zur Wahl gestellt werden soll Dies darf in der Attitüde des homo politicus ein wenig expliziert werden: * Ich bejahe die Verfassung der Bundesrepublik aber ich suche — gottlob nicht allein! — nach einer Zukunft mit , mehr Demokratie', um deren Verwirklichung willen nicht nur, aber in erster Instanz gleichsam, vom Grundgesetz jener Gebrauch gemacht werden sollte, der durch seine unzweideutigen Textenahegelegt wird.

Um deren Verwirklichung aber auch, wie dies seit eh und je als historischer Prozeß der Herausbildung des Grundrechtsgedankens als Manifestation von spolitical natural law'nachweisbar ist, gegebenenfalls Grundrechte revidiert, d. h. von immanenten Widersprüchen entlastet, hier ergänzt, da reduziert werden müssen Der Glaube an . ewige Werte'Inder Politik ist ein ewiger Aberglaube, an den wir endlich gemeinsam mit unseren Schülern die Frage stellen lernen sollten: wem nützt er, wem schadet er? Mehr als einmal habe ich es unmißverständlich ausgesprochen, daß rationale Politische Bildung eben davon nicht lassen kann, was Andreae, Assel und Sutor (nebst einigen anderen) Weltuntergangsgefühle einbringen dürfte: daß es darum gehe, . alles in Frage zu stellen'.

Bei unseren Autoren sieht es allerdings anders aus: ihre . Bekenntnisse'zum Infragestellen sind platonische Liebesschwüre, denen die rechte Gesinnung auf dem Fuße folgt.

So legt etwa Assel seine Karten auf den Tisch, wenn er postuliert, es sei die "... unabdingbare Aufgabe staatlicher Gemeinschaft (sic et semper!) . . ., sie vor jeder Krise zu bewahren .. ."

Wird hier wirklich jede Krise gemeint, oder vielleicht nur jene, bei denen die bestehende Herrschaft in einer gegebenen staatlich verfaßten Gesellschaft tabu bleibt? überspitzt könnte man auch fragen: Rezessionen: ja -

Demonstrationen: nein? Nicht minder deutlich wird Assel im Zusammenhang seiner Polemik gegen Kritik, wo er zwar eine „Kritik des Kritikbegriffes" fordert — und ich stimme ihm darin vollinhaltlich zu! —, dann aber nicht nur keine Definition seines Begriffsverständnisses liefert, sondern sich auf die Seite jener schlägt, denen . konstruktive Kritik’ das rechte Maß ist; denn er postuliert expressis verbis gegen das „alles in Frage stellen" . das richtige Maß der Kritik“ Ganz analog beschließt er seinen Artikel mit einer Fußnote, in der er zwar konzediert, „daß wir noch nicht genügend Fortschritte in der Konkretisierung unserer Grundrechtsideen gemacht haben", dann aber, gegen mich gewandt, warnt: man „sollte ... die Mängel ... nicht . überstrapazieren'und sie zum Anlaß einer alles verdammenden Kritik machen" Mein Postulat vom „immer wieder zu prüfenden Minimum-Consensus", das kurz zuvor von ihm zitiert wird, gerinnt nun zur „alles verdammenden Kritik"; wer soll das noch verstehen!

Gewiß folge ich Assel nicht, wenn er allgemein-gültig sich gebende Aussagen einer pessimistischen Anthropologie seinem politikwissenschaftlichen Denken zugrundelegt; ich halte vielmehr die uneingeschränkte Rede vom Menschen als einem — nun einmal und von Natur aus — „mängelbehafteten Wesen" für eine unangemessene Generalisierung Dennoch gestatte ich dem Menschen einschließlich des Rechtes auf Irrtum, das ich besonders gern für mich in Anspruch nehme, daß er fragt, zweifelt, permanent überprüft. Dann wird er von selbst dahinterkommen, daß die Kodifizierung der Grundrechte, wie sie uns vorliegt, historisch und heute schon, dreiundzwanzig Jahre nach ihrer . Genehmigung', teilweise revisionsbedürftig ist. Man kann an dieser Stelle nur Roloff neuerdings zitieren: „Allen didaktischen Konzeptionen, die von dem Axiom ausgehen, Politik und politische Bildung hätten sich gleichermaßen uneingeschränkt auf das Bekenntnis zu den in unserer Verfassung formulierten Grundrechten festzulegen, ist die politische Grundeinstellung gemeinsam, diese unsere Herrschaftsordnung sei im Prinzip die einzig richtige ..." Drei Anmerkungen seien in diesem Kontext gestattet: nicht nur als die . einzig richtige'würde derart die Verfassungsordnung der BRD apostrophiert, sondern auch als . Endstation der Geschichte', ein wahrhaft makabrer Gedanke angesichts der Verfassungsrealität hier und der normativen Defizite im Grundgesetz — man denke nur an das Kindesrecht. Zweitens: wer . Bekenntnis'sagt, hat sich schon aus der pädagogischen Diskussion ausgeschlossen; . Bekenntnis'ist per definitionem ein apädagogischer Terminus. Eben deshalb wirken Konzeptionen wie die von Andreae, Assel, Sutor und anderen als politische Dienstleistungen, die über dem partiell Identischen von Politik und Pädagogik ihre Unterschiede übersehen. Derart wird Lernziel-Diskussion zur Interpretation jeweiliger Herrschafts-Ideologie. Schließlich: insofern ist es, was Hugo Andreae verwundert zurückweist, eben gerade nicht verwunderlich, daß und wenn nationalistische Töne aus diesem Kontext aufsteigen Sie sind vielmehr konstitutiv, wenn vom Bekenntnis zum . Eigenen'die Rede ist, solange das je Eigene der Nationalstaat ist. Die Tabuisierung der gesellschaftlichen Institution Staat mündet in nationalistischen Seelenbräu, der sich nur graduell, aber nicht prinzipiell, von faschistoiden Tendenzen unterscheidet.

Zur Klärung: Was es mit einem Mini-Minimum-Consensus auf sich hat

Etwas wissenschaftstheoretische und/oder erkenntnistheoretische Vertiefung scheint mir notzutun: Mißverständnisse auf Seiten Hugo Andreaes, aber auch bei Roloff, veranlassen mich dazu. Zugleich mag dieses Eindringen auch der Abgrenzung von Freunden und Kollegen dienen: es gibt nicht, wie auch in den „Beilagen" unterstellt wird, d i e . hessische Didaktik der Politischen Bildung', und es gibt auch keine . Gießener Schule'unserer Fachdidaktik. Wer bereit ist, die einschlägigen Veröffentlichungen der . Hessen'nachzulesen, wer insbesondere den Denk-Werdegang von diesem und jenem rückgreifend verfolgt, wird und kann dies ohne Nachhilfe selbst leicht erkennen. Es gibt allerdings den Impuls . Fischer-Herrmann-Mahrenholz', der zu Reibungen führte und führt und an dem seit etwa 1960, gleichviel ob zustimmend, indifferent oder ablehnend, die Mitunterredner nicht mehr vorbeikommen

Und es gibt neben den vielfach in einem Atemzug Genannten — insbesondere Wolfgang Hilligen, Rudolf Engelhardt und K. G. Fischer — Hessen genug, die die Rede von einer hessischen Konzeption ad absurdum führen, so etwa Friedrich Roth, Rolf Schmiederer, Kurt Fackiner und sein Team, und andere . ..

Wir leben in einer politischen Gesellschaft, zu deren Vorzügen, einschließlich der Nachteile der Vorteile, die Pluralität von normativen Systemen und Normen gehört. Auseinandersetzungen wie jene um die §§ 175 und 218* StGB oder neuerdings die um die Veränderung des Volljährigkeitsalters weisen auf diese Tatsache hin. In meiner von Ernst-August Roloff zitierten Kontroverse mit Bußhoff habe ich mich bereits mit diesem Phänomen beschäftigt. Es sei allerdings vor voreiligem Jubel auf seifen jener gewarnt, die vielleicht meinen, damit ließe sich beweisen, daß wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben. Die Normen-Pluriformität in der Gesellschaft der BRD hat ihre Kehrseiten: so ließe sich erweisen, daß „die wirklich herrschenden normativen Systeme und Normen" öfters schon die Realisierung der grundgesetzlichen Normen zumindest teilweise behinderten oder bremsten. So ließen sich Beispiele genug dafür erbringen, daß zwar individuale und kleingruppenhafte Normabweichungen von Herrschaftsnormen mit Sanktionen belegt, poenalisiert werden, indes Großgruppen, Machtträger als Normträger tabuisiert bleiben. Das gilt auch und sogar für die „Schule als Teil der Herrschaftsordnung" — man denke nur an den teilweise sehr kulanten Umgang mit dem Verbot der körperlichen Züchtigung, von anderen Verhaltensweisen ganz zu schweigen.

In einer solchen Gesellschaft und angesichts der Probleme, die sich aus der Zulassung der Normen-Konkurrenz in ihr ergeben, ist es besonders schwierig, einen .consensus omnium’ zu finden; auch der kleinste gemeinsame Nenner erledigt diese Suche nicht, und das nicht nur, weil derart möglicherweise eine willkürliche Palette sekundärer Werte als konstitutiver Minimal-Consensus erscheinen könnte sondern auch und vor allem, weil derart Gesellschaft festgeschrieben werden könnte und würde. Dieses Problem haben die Väter des Grundgesetzes gesehen; sie haben sich auf die uns allen bekannte Weise aus der Affäre gezogen. Dieses Problem wird immer wieder in unserer Gesellschaft sichtbar: wer heute die . Freiheit der Wissenschaft'bedroht sieht, wünscht in Wirklichkeit, daß sein normatives Selbstverständnis tabuisierter Consensus omnium bleibe oder gar werde. Die Bedrohungen werden seit 1949 regelmäßig dann beschworen, wenn Vorherrschaft einer Gruppe oder von Individuen auf Grund von seither tabuisierten Normen in Frage gestellt wird; nicht erst Hochschullehrer rufen in einer soldien Situation nach dem starken Arm des Staates.

Nach wie vor halte ich aber auch daran fest: »Wer ... abstreitet, daß jede Gesellschaft eines Minimums gemeinsamer Grundüberzeugungen bedarf, daß ein rationaler, immer wieder zu prüfender Minimum-Consensus (Spinoza) unvermeidlich ist, liefert auch sich selbst der Gewalttätigkeit der jeweils Stärkeren aus."

Entscheidend kommt es mir auf das Minimum an, weil die Minimalisierung des normativen Consensus gesellschaftlichen Fortschritt ermöglicht: sekundäre und tertiäre Werte, Pseudo-Normen und ähnliches können dorthin verwiesen werden, wo sie ein Recht auf Hege und Pflege haben. Die Kehrseite der Minimalisierung lautet: Maximalisierung von Autonomie für Individuen und Gruppen.

Auf der Suche nach einer rationalen Herleitung und Begründung für einen Minimum-Consensus stößt man, Wissenschafts-und erkenntnistheoretisch reflektierend, da historische und andere Ableitungen nicht hinreichend tragen, unweigerlich auf das Evidenzproblem. An dieser Stelle reizt es, Hugo Andreae beim Wort zu nehmen. Er schreibt in der Absicht, Roloff aufzuspießen: „Was ein Axiom ist, unterliegt in der Gelehrtensprache keiner Mehrdeutigkeit, sein Kennzeichen ist die Evidenz. WelChen Sinn aber könnte es haben, sich zum Evidenten zu . bekennen'?" Ich halte diese Gedankenentwicklung für ein erkenntnistheore-tisches Eigentor, denn hierbei wird vielerlei Übergängen: so etwa, daß es einen Unterschied 5ibt zwischen empirischer und rationaler Evi2 denz, daß der Evidenzanspruch eines Axioms im von Andreae gemeinten Sinn nicht notwendig identisch ist mit Evidenzurteilen, schließlich, daß rationale Evidenzurteile als denknotwendige Denkvoraussetzungen durchaus auch an die Adresse der Intersubjektivität verwiesen sind

Das gilt mithin — und in diesem Zusammenhang habe ich die philosophische Problematik in mehreren meiner Arbeiten ausführlich diskutiert, was Andreae entgangen sein dürfte, sonst könnte er nicht zugleich über mich zu Gericht sitzen und solche Eigentore schießen — auch für jene Sätze, die ich in Übereinstimmung mit einer Gedankenentwicklung innerhalb der Theorie der Politischen Bildung, die schon in den zwanziger Jahren ansetzt, als . Einsichten'bezeichne Es kann natürlich keine Rede davon sein, daß für mich „die Axiomatik der eigenen Position nicht mehr Gegenstand des Zweifels ist", wie Roloff, sehr vorsichtig formulierend — „offensichtlich ... möglicherweise" — mehr anfragt als behauptet Wie sehr gerade dieser Teil der von mir vertretenen Bereichsdidaktik der Politischen Bildung Anlaß des Zweifels, des Suchens ist, beweisen meine Arbeiten zwischen der ersten Formulierung von . Einsichten'(1960 veröffentlicht) bis in die Gegenwart. Allerdings sehe ich auch bisher keinen Anlaß, davon abzugehen, ein Diskussionsangebot von den Minimum-Consensus konstituierenden Aussagen zu unterbreiten, für das gilt, es handele sich um „zur Diskussion zugelassene Grundwerte" Die von meinen Freunden und mir seit etwa 1955 entwickelte Konzeption für den Politischen Unterricht ist und bleibt wesentlich unvollständig, wenn wir dem gutgemeinten Ratschlag folgten, wir sollten die , Einsichten'abschaffen, weil man sich mit allem anderen durchaus identifizieren könnte. Vielmehr muß es darum gehen, im Miteinander und Gegeneinander der Basis der Intersubjektivität für und von Einsichten schrittweise näherzukommen, will sagen, einen Minimum-Consensus zu erarbeiten, dem rationale Evidenz und Intersubjektivität zuerkannt wird. Es geht also nicht um diese oder jene Einsichten, sondern um die Suche nach einem Minimum-Consensus. Da es aber nicht damit getan ist, daß wir uns immer wieder der Notwendigkeit von Suche und Minimum-Consensus gegenseitig versichern, und da die Grundrechte nicht ein „ewiges Fundament" darstellen, haben wir uns entschlossen, einen Vorschlag zu unterbreiten, der sowohl in seinem wissenschaftstheoretischen Horizont als auch in der Materialität seiner Aussagen zur Diskussion steht.

Die von Ernst-August Roloff skizzierte Verflechtung von Urteil, Meinung und Einsicht ist komplizierter, als sie in seinem Referat über meine Position erscheint Eine intensive Auseinandersetzung damit und insbesondere auch mit dem Zusammenrücken von Wolfgang Billigen und mir ist an dieser Stelle unmög-lieh. Nur dies sei angesprochen und angedeutet: daß „die richtige Lösung und die angemessene Haltung" per definitionem un möglich sei, kennzeichnet gewiß nicht meine Position; auch die „Fähigkeit zu alternativem Denken und Handeln" erscheint mir als zu wenig, zu sehr vereinfachend, als daß sie zum Selbstverständnis als homo politicus führen könnte. Allerdings stimmte und stimme ich auch nicht dem zumal von Otto Monsheimer vertretenen Satze zu: , Es gibt deine, meine und die richtige Meinung Meinung (doxa) ist eine an Interessen orientierte, normbesetzte Stellungnahme, von der man nur immer wieder hoffen kann, daß sie als solche zu intersubjektiv anerkannten Aussagen, nicht aber zu Vorurteilen oder vorläufigen Urteilen erfolge.

Zu den vorläufigen Urteilen gesellen sich aber auch die bereits oben angesprochenen unangemessenen Verallgemeinerungen als Basis von stellungnehmender Meinung; ihrer bedient sich vorzugsweise Hans-Günther Assel, so etwa, wenn er verkündet: „Es gibt eben keine Ordnung, die vor dem Mißbrauch ihrer Prinzipien von vornherein gewappnet wäre.“ Hier manifestiert sich historizistisches Denken, mag sich die Aussage auch auf Anthropologie berufen. Richtig wäre zu sagen: Wenn man der unbeweisbaren Behauptung zustimmt, daß der Mensch nun einmal ein „mängelbehaftetes Wesen" ist, dann gilt überzeitlich dies und jenes.

Einige abschließende Anmerkungen

Die hier herangezogenen Beiträge aus den „Beilagen" sind Anlaß genug zu vielen Äußerungen, die hier nicht vorgetragen werden können. Einige Aspekte indes dürfen wahl-und zusammenhanglos noch angesprochen werden:

Assel und Andreae neigen dazu, den Teufel an die Wand zu malen; ersterer operiert allzu gern mit „Gefahren" und „Bedrohungen“, und immer geht es gegen „die Demokratie" letzterer prophezeit eine „lange und mühevolle Unterminierungsarbeit"

und er spricht von einer „geltenden politischen Pädagogik der Bundesrepublik", deren Basis „geistig zu unterminieren" so böse Menschen wie Roloff und ich angetreten sind In beiden Fällen handelt es sich um Behauptungen, deren Zweck deutlich erkennbar ist: durch den Gebrauch von Reizwörtern soll Andersdenkenden Denkverbot auferlegt werden, und wenn sie sich nicht fügen, so ist der Ansatz zu ihrer Diffamierung und Diskriminierung bereitgestellt. Einigermaßen umfassende Literaturkenntnis, die nicht zuviel verlangt sein dürfte, läßt jedermann wissen, daß von einer „geltenden politischen Pädagogik" hierzulande erfreulicherweise nicht die Rede sein kann. Sie zu behaupten und sich zugleich mit Antonius Holtmann anzulegen, ist ein — mit Verlaub zu sagen! — starkes Stück Hier wird an Identifikationsmechanismen appelliert, über die ich für meine Person jedenfalls nicht verfüge; ich beanspruche aber auch keineswegs für die von mir in die Diskussion eingebrachten Gedanken, daß sie «die geltende politische Pädagogik" seien oder auch nur werden sollten. Ein solcher Anspruch ist dem Wissenschaftler unangemessen.

Wie schnell man bei der Hand ist, wenn es darum geht, „Gefahren" auszumalen, beweist Assel im Zusammenhang seiner Diskussion von „Neutralität" und „Wertfreiheitsprinzip", wobei er mich zitiert. Der Unterschied zwischen uns liegt auf der Hand: ich stelle fest, daß „Neutralität ... ein Interessen-Standpunkt" ist, um damit den Geltungsanspruch der auf Neutralität Eingeschworenen zu relativieren: ihre Position ist keine Meta-Position, wie sie meinen; Assel hingegen behauptet, daß «bewußte Neutralität ... erhebliche Gefahren mit sich bringt" — und dabei beläßt er es Da fragt man sich nur: was soll's?

Noch einmal darf ich mich an Hugo Andreae wenden. Bei ihm lesen wir: „Die Schule der Weimarer Republik ...sei mitschuldig am Faschismus geworden . . . obwohl auch niemand deutlich hat sagen können, wo eigentlich ihre Schuld gelegen habe." Auch dies ist einer der fast schon peinlichen Schlenker, die durch Literaturkenntnis aufgehoben werden könnten; solcherart wird handfest und standfest verschleiert

Schließlich seien nochmals Roloff und Sutor erwähnt, die einige fachdidaktische Fragen kontrovers diskutieren.

Gemeinsam mit Sutor möchte ich Roloffs These in Frage stellen, daß „der primäre Gegenstand der politischen Bildung in der Schule ... die Schule" sei Die originäre pädagogische Aufgabe der Antizipation würde vernachlässigt, wenn man eine solche Aussage unabgeschwächt gelten ließe. Gerade Roloffs Hinweis auf die . Betroffenheit'der Schüler sollte uns heute, im televisiven Zeitalter, vor hier nahe-gelegter Reduktion des thematischen Spektrums des Politischen Unterrichts bewahren

Mir sei allerdings in diesem Zusammenhang der Hinweis gestattet, daß gerade in meinen Veröffentlichungen zur Politischen Bildung intensiv für die Berücksichtigung der Betroffen-heit eingetreten wird Audi und ganz besonders das „ungeliebte Schulbuch" . Gesellschaft und Politik'versucht, mit der „Betroffenheit in der Ernstsituation“ ernst zu machen, die Roloff bei Billigen und Fischer vermißt Mit Roloff meine ich wider Sutor, daß wir — nach meiner Kenntnis übrigens in allen Bundesländern! — von der gemeinsam zu fordernden „demokratischen Transparenz" und der „Existenz von Kontrollmöglichkeiten" von Entscheidungsprozessen weit entfernt sind Dies konstatiere ich nicht nur — und nicht erst als ein als Schulbüchermacher von solchen Entscheidungen Betroffener, sondern seit Jahr und Tag. Bernhard Sutors Auffassung in dieser An-gelegenheit ist politisch naiv; sie wird die gebotene Demokratisierung von Schulpolitik und -Verwaltung bloß behindern

Der Streit darum, ob Politologen, Pädagogen oder andere — auch Soziologen haben ihren Anspruch längst angemeldet! — das letzte Wort in Sachen einer Theorie und Didaktik der Politischen Bildung haben, scheint mir müßig; Sutors Hinweis auf den Ausweg der „heute belächelten Orientierung an . absoluten Werten'" ist in Wirklichkeit gar keiner Die Diskussionen in den „Beiträgen" belegen es hinreichend; es gibt sowohl sich als Politologen wie als Pädagogen selbstverstehende Denker, die pro . ewige Werte'sind als auch solche, die diese Denkfigur ablehnen. Dieser Streit kam nur zu einem Zeitpunkt aufkommen, da die tradierten Fächergrenzen ins Wanken geraten, da der als verbürgt jahrhundertelang geltende Kosmos wohlgeordneter und wohlbegrenzter Disziplinen neuerlich fragwürdig geworden ist Wer in einer solchen wissenschaftstheoretischen und -politischen Situation für je , seine'Disziplin Erstgeburtsrechte, Alleinansprüche und ähnliches fordert, denkt im Grunde konservativ. Erziehungswissenschaft ist auch eine Sozialwissenschaft; der Erziehungswissenschaftler, der nicht, wie Roloff fordert, in von ihm gemeinten Sinn politikwissenschaftlich denkt oder womöglich gar nicht so denken kann, ist heute eher anachronistisch denn auf der Höhe der Zeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gemeint sind folgende Beiträge in: Aus Politik und Zeitgeschichte: Ernst-August Roloff, Politische Bildung zwischen Ideologie und Wissenschaft, in: B 41/71; Hans-Günther Assel, Die Grundrechte — ewiges Fundament oder wandelbare Satzung; Ernst-August Roloff, Das Grundrecht als Problem der Didaktik, in: B 1— 2/72; Hugo Andreae, über die Ideologisierung der politischen Bildung; Bernhard Sutor, Politische Bildung in der Sackgasse?; Ernst-August Roloff, Politische Didaktik als kritische Sozialwissenschaft, in: B 10/72; Fritz Sandmann, Rechtskunde und politische Bildung, in: B 13/72.

  2. Vgl. hierzu die auch thematisch relevante Auseinandersetzung zwischen Heinrich Bußhoff und mir im Anschluß an sein Buch: Politikwissenschaft und Pädagogik, Berlin 1968, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 1969, S. 409 f„ 1970, S. 1791 und 260 f; Roloff erwähnt diese Kontroverse in: B 41/71, S. 14.

  3. Vgl. B 1— 2/72, S. 30.

  4. Egon Schütz, Autorität. Ein Traktat, Heidelberg 1971, S. 61 ff.

  5. Antonius Holtmann, Die Anforderungen der politischen Didaktik an die Entwicklung von Le I und Lernmitteln, in: Lehr-und Lernmittel im PO tischen Unterricht, Schriftenreihe der Bundeszen trale für politische Bildung, H. 89, Bonn 1970, 65 S. 17 ff.

  6. Roloff kritisiert nicht ganz unberechtigt — in B 41/71, S. 11 — meine Feststellung — in: Neue Politische Literatur, H. 1/1971, S. 75 —, die Theoretiker der Politischen Bildung hätten ihr Hypothe-senpulver verschossen. In der Tat waren jedoch die auch von ihm erwähnten . linken'Autoren mit ihren Veröffentlichungen noch nicht auf dem Markt, als ich das Manuskript der Sammelbesprechung für die NPL abschloß. Meine Auseinandersetzung mit ieser Theoretikergruppe — insbes. Wilfried Gottschalch, Klaus Wallraven, Eckart Dietrich und ranz Heinisch — steht noch aus, ist aber in Bearbeitung.

  7. Assel, in: B 1— 2/72, S. 11.

  8. Sutor, in: B 10/72, S. 29.

  9. Assel, in: B 1— 2/72, S. 11.

  10. Sutor, in: B 10/71, S. 23.

  11. Andreae, in: B 10/72, S. 5.

  12. Ebenda, S. 6.

  13. Ebenda, S. 5.

  14. Roloff, in B 41/71, S. 13.

  15. Es ist zu hoffen, daß durch diese Aussagen die offenkundige Besorgnis Fritz Sandmanns — „Dazu drängt sich die Frage auf, ob Fischer ... überhaupt noch an der Gewinnung von bestimmten Einsichten interessiert ist. Leider bleibt diese Frage und damit die Grundsatzfrage nach seiner Intention in bezug auf Rechtskunde völlig offen." In: B 13/72, S. 7 — aus der Welt geschafft werden kann. Allerdings sehe ich nicht das gesamtgesellschaftlicli-politisdie System als einen Zusammenhang von wohlbegrenzten Subsystemen, deren eines , das Rechtssystem'ist. Bedauerlich finde ich, daß Sandmann im Zuge seiner Äußerungen über „Rechtskunde in Lehr-und Arbeitsbüchern für Sozialkunde“ (ebenda, S. 8 f.) auf das unter meiner Verantwortung erarbeitete Werk . Gesellschaft und Politik’, Stuttgart 1971, nicht näher eingeht, obwohl er feststellt, daß darin Fragen des positiven Rechts ca. 10 Seiten eingeräumt sind. Im übrigen sind Grundrechts-und Grundgesetzprobleme in diesem Buch im wesentlichen so aufgegriffen, wie dies Roloff — in: B 1— 2/72, S. 16 ff. — anregt.

  16. Man muß wohl unterscheiden zwischen der für mich selbstverständlichen Verfassungs-und Gesetzestreue als Bürger und Beamter, zumal kein Mensch gezwungen wird, Beamter zu werden, Und zwischen der Beanspruchung von Art. 5, 3 “ Darauf macht auch Assel aufmerksam: vgl. ® B 1— 2/72, S. 11: „Die politische Bi'dung stützt sih dabei auf das Grundrecht der Wissenschaftsfrer heit.“

  17. Assel, in: B 1— 2/72, S. 13.

  18. Ebenda, Anm. 57 und fortlaufender Text.

  19. Ebenda, S. 15, Anm. 69.

  20. Assel neigt in seinem Beitrag in B 1— 2/72 immer wieder zu Formulierungen mit überhistori-schem Geltungsanspruch; so bezeichnet er „die große Kluft von Verfassungsnorm und Wirklich-tat" als eine „an sich natürliche Spannung" IS: 13), oder er sagt, gleich einleitend: „Alle Kämpfe ... gingen letztlich (sic!) um Ordnungsprinzipien, denn die politische Realität stellt stets sic!) wertbewußtes und werterfülltes Leben dar."

  21. Roloff, in: B 41/71, S. 8.

  22. Andreae, in: B 10/72, S. 6 — vgl. hierzu Roloff, in: B 41/71, S. 8.

  23. Vgl. hierzu: Fischer-Herrmann-Mahrenholz, Der politische Unterricht. 1. Aufl. Bad Homburg, S. 28 f.; desgl., 2. Aufl. 1965, S. 32 f.; ferner: Fischer, Einführung in die Politische Bildung, Stuttgart 19712, S. 111 ff. Im Herbst d. J. wird von mir erscheinen: Überlegungen zur Didaktik des Politischen Unterrichts. Aufsätze und Vorträge. Darin wird der Aufsatz „Der Begriff der Einsicht im didaktischen Bedenken politischer Bildung", zuerst in: . Pädagogische Rundschau', H. 1/1965, S. 16 ff., neu abgedruckt werden, in dem ich ausführlich Herleitung und Begründung der Einsichten referiert habe.

  24. Zit. Fischer, in: Gesellschaft — Staat — Erzie hung, H. 4/1970, S. 261; hier zit. bei Roloff, in: B 1— 2/72, S. 20.

  25. Roloff, in: B 1— 2/72, S. 21.

  26. Fischer, Einführung .... a. a. O., S. 15 — hier stimmend zit. in Assel, B 1— 2/72, S. 15.

  27. Andreae, in: B 10/72, S. 6.

  28. Einmal mehr darf ich an dieser Stelle auf die einschlägigen Arbeiten von Wolfgang Stegmüller verweisen, insbes. auf sein Buch: Metaphysik — Wissenschaft — Skepsis, Frankfurt/Wien 1954.

  29. Vgl. z. B.: Gustav Radbruch, Die Aufgaben des staatsbürgerlichen Unterrichts, Neuabdruck in: Politische Bildung in der Weimarer Republik, hrsg. v. K. G. Fischer, Frankfurt 1970, S. 42 ff.

  30. Roloff, in: B 41/71, S. 12. Vgl. hierzu Anm. 23 und die dort gegebenen Literaturhinweise.

  31. Diese Feststellung aus meiner . Einführung in die Politische Bildung', a. a. O., zitiert Roloff wörtlich in: B 41/71, S. 12. Die von ihm folgend wiedergegebene „Zielvorstellung von absoluter Wertigkeit" erscheint bei mir weder als Einsicht noch als . absolut wertig', sondern als einer der „einsichtenhaltigen Grundsätze für Demokratie", was ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied ist. Vgl. Fischer, Einführung ..., a. a. O., S. 112/113.

  32. Vgl. Roloff, in: B 41/71, S. 11— 13.

  33. Ebenda, S. 14. Ich darf statt neuformulierter Argumentation hier auf meine Diskussion von Marx Horkheimers . Ideologie und Handeln’ in meiner „Einführung ...", a. a. O., S. 74 ff., hinweisen.

  34. Roloff, ebenda, S. 14.

  35. Diese Auffassung vertrat Otto Monsheimer in zahlreichen seiner Veröffentlichungen zur politi-

  36. Assel, in: B 1— 2/72, S. 13, Anm. 53. Vgl. hierzu meine Anm. 20.

  37. Vgl. Assel, in: B 1— 2/72.

  38. Andreae, in: B 10/72, S. 17.

  39. Ebenda, S. 7

  40. Vgl. Anm. 5.

  41. Assel, in: B 1— 2/72, S. 3.

  42. Andreae, in: B 10/72, S. 18.

  43. Vgl. Anm. 29. In meiner Einleitung zu dieser Edition habe ich den Versuch unternommen, auf die Perpetuierung monarchistischer Staatsbürger-kunde im . Volksstaat’ der Weimarer Republik — bekanntlich war Georg Kerschensteiner stolz darauf, daß der politische Umbruch des Jahres 1918 ihn zu keiner Veränderung seiner Theorie der Politischen Bildung veranlaßte; auch dies ein Eigentor! —, angereichert durch einen neuen Nationalismus und durch emotionale Republikfeindlichkeit hinzuweisen. Die Mitmacher der . Politischen Schulung'nach 1933 brauchten — und das bis in die Schulbücher hinein! —-nichts neu zu schreiben, sondern nur zu ergänzen.

  44. Roloff, in: B 41/71, S. 16. Daß es nicht ganz so rigid gemeint ist, wie es, apodiktisch formuliert, klingt, beweist Roloffs Beitrag in: B 1— 2/72.

  45. Vgl. die Arbeiten in: Zur Praxis des Politischen Unterrichts, hrsg. v. K. G. Fischer, Stuttgart 1971.

  46. In allen meinen pädagogischen Arbeiten ist vom . subjektiven Betroffensein'und von der . objektiven Betroffenheit'die Rede; im Fischer-Herrmann-Mahrenholz steht die seither gern problematisierte Hypothese von der Austauschbarkeit der Lehrgüter des Politischen Unterrichts in unmittelbarem Zusammenhang mit Begriffen wie . Schülerinteresse', . Fragehaltung’, Fragewille'.

  47. Roloff, in: B 41/71, S. 15; wirklich diskutabel ist der hier gebrauchte Terminus der „Ernstsituation" im Blick auf unsere Schüler.

  48. Roloff, in: B/10, S. 33. Wichtiger als das Ohr der Kultusminister, das hier Roloff apostrophiert, erscheinen mir die Ohren der Abgeordneten unserer Landtage; deren Kulturpolitische Ausschüsse sollten sich der heute herrschenden Verfahren — etwa bei der Zulassung von Schulbüchern — annehmen und neue Richtlinien erarbeiten, deren Minima etwa sein müßten: Gutachter zeichnen ihre Äußerungen mit Namen; die Gründe für Zulassung oder Ablehnung werden öffentlich gemacht; die Schulbuchmacher werden in den Entscheidungsgremien mit ihren Gutachtern konfrontiert und gehört; wissenschaftliche Institutionen, die fach-didaktische Lehre und Forschung leisten, treten neben Gutachter aus der pädagogischen Praxis.

  49. Sutor, in: B 10/72, S. 25.

  50. Ebenda, S. 23.

Weitere Inhalte

Kurt Gerhard Fischer, Dr. phil. Prof, für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Gießen, geb. 1928 in Leipzig; Studium der Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaften. Buchveröffentlichungen zur Politischen Bildung: (gemeinsam mit K. Herrmann und H. Mahrenholz) Der politische Unterricht, 19652, Fr. W. Foerster: Schriften zur politischen Bildung (Hrsg.), 1964; Politische Bildung — eine Chance für Demokratie, 1965; Polytechnische Erziehung (Hrsg.), 1970; Politische Bildung in der Weimarer Republik (Hrsg.), 1970; Zur Praxis des Politischen Unterrichts (Hrsg.), 1971; Einführung in die Politische Bildung, 19712, verantwortl. für die Schulbücher: Politische Bildung, 1967 u. ö.; Gesellschaft und Politik, 1971; Herausgeber (gemeinsam mit Rolf Schmiederer) der Reihe . Theorie und Geschichte der Politischen Bildung'.