Instrumente zur Emanzipation der Schüler Die Rolle der Schülervertretung und der Schülerpresse bei der politischen Selbstbefreiung der Schüler | APuZ 29/1972 | bpb.de
Instrumente zur Emanzipation der Schüler Die Rolle der Schülervertretung und der Schülerpresse bei der politischen Selbstbefreiung der Schüler
Wolfgang W. Mickel
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Zusammenfassung
Schülervertretung und Schülerpresse sind Instrumente zur Selbstbefreiung der Schüler und zur Schulreform. Sie dienen der Demokratisierung, der Partizipation und Mitbestimmung in dem für den Jugendlichen wichtigsten öffentlichen Bereich: der Schule. Zu diesem Zwecke muß das Schulverhältnis streng funktional begriffen werden als eine Einrichtung, in der alle Beteiligten nach ihrer jeweiligen Funktion Kompetenz ausüben. Auf diese Weise wird es gelingen, überflüssige, dysfunktionale Autoritätsstrukturen abzubauen und die Schule zu einem bedeutenden Modell für Demokratie zu machen, in der nichtautoritäre, kooperative und kommunikative Verhaltensmuster eingeübt werden. Voraussetzung ist die Anerkennung der Konfliktgesellschaft, in der demokratische Attitüden sich in einem ständigen Prozeß der Auseinandersetzung mit der Gegenposition bewähren müssen. Dazu ist ein von Emotionen abstrahierendes rationales Problemlösungsverhalten notwendig, ist die Transparenz von Entscheidungsvorgängen und die Beteiligung der Betroffenen gleichermaßen erforderlich. Schule als Funktion der Gesellschaft impliziert eine kritische Position gegenüber ihrer eigenen Rolle. Schülervertretung und Schülerzeitschrift fungieren dabei als eine Art kritisches Korrektiv. Sie versuchen, gesellschaftliche Verantwortung auf dem für sie bedeutsamsten Gebiet wahrzunehmen und dadurch mit dem aufklärerischen Programm der Mündigkeit Ernst zu machen. Zu ihm gehören Nonkonformismus, personale Autonomie, eine ideologiekritische Haltung und die Bereitschaft zur Veränderung überlebter Strukturen. Zur Realisierung dieser Forderungen ist eine weitere, fortschrittliche, zeitadäquate Novellierung des gesetzlichen Rahmens notwendig. Wie sich aus der Analyse von Erlassen gezeigt hat, stehen diese häufig im Widerspruch zu einem progressiven und mehrheitlich anerkannten Bewußtsein. Will man nicht veraltete Strukturen reproduzieren, will man nicht besonders junge Lehrer in einen unaufhebbaren Dauerkonflikt zwischen Berufspflichten und gesellschaftspolitischen Überzeugungen bringen, will man nicht die Schüler noch weiter von der Schule entfernen, muß man auch von Seiten der Behörden Demokratie in der Schule ermöglichen und nicht nur als verbale unterrichtliche Pflichtübungen tolerieren.
1. Die neue Situation der Schülervertretung (SV) in der BRD
Die Schüler-und Studentendemonstrationen in der Bundesrepublik signalisieren seit dem Schah-Besuch in Berlin 1967 (1965 im kalifornischen Berkeley begonnen und seitdem ein weltweites soziales Phänomen, auch in den Ostblockstaaten) ein neues kritisches Bewußtsein der Jugend Die vorausgegangenen, auf Sozialisation und Akkulturation an die Erwachsenenwelt orientierten Verhaltensmuster sind einer selbständigen jugendlichen Subkultur mit eigenen Ritualisierungen und Denkschemata gewichen. Die früher auf bloße Anpassung an das Wertsystem der Erwachsenen ausgerichteten Jugendlichen haben sich verselbständigt, entwickeln ihre eigenen Normen, vollziehen eine radikale Enttabuisierung unkritisch tradierter Wertvorstellungen und versuchen sich zu emanzipieren. Was sich auf diese Weise vollzieht, ist eine soziale Revolution, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Ihre Besonderheit liegt in der qualitativen Verschiedenheit von ähnlichen „Jugendbewegungen" früherer Zeiten. Jene zielten auf mehr Freiheitsraum für den einzelnen und auf das Erlebnis in der Gruppe („Gemeinschaft") durch temporäre Absonderung von der Gesellschaft, diese stellt sich bewußt außerhalb des für sie gesellschaftspolitisch fragwürdig gewordenen .. Systems", Sie gibt sich kaum mit evolutionären Veränderungen zufrieden. Die Auswir-kungen zeigen sich in einer veränderten Einstellung zum Leben schlechthin, besonders zu Problemen wie Arbeit und Leistung, Macht und Herrschaft, Autorität und Verantwortung, Privatheit und Öffentlichkeit, Sexus und Eros, Mitbestimmung usw. Insgesamt handelt es sich um politische, soziale und psychologische Fragen, die einer neuen Interpretation unterzogen werden im Anschluß an Sozialphilosophen und -psychologen wie Adorno, Marcuse, Habermas, Mitscherlich u. a.
Unabhängig davon, wie man die Möglichkeiten einer Realisierung neuartiger Gesellschaftsmodelle beurteilt, ihren ideologischen oder (real-) utopischen Charakter einschätzt, haben sie zur Politisierung der Jugend entscheidend beigetragen. Politisierung heißt dem Konflikt nicht ausweichen, Widersprüche im System aufdecken und rational austragen, bedeutet Mitbestimmung auf allen Ebenen, heißt ferner die Verwirklichung einer „kritischen Schule" sowie die Negierung obrigkeitlichintegrativer Tugenden. Mit dieser Haltung hat die Jugend nicht zuletzt auf die zunehmende Entpolitisierung des öffentlichen Lebens in einer materiell weitgehend saturierten, geistig immobilen Gesellschaft negativ reagiert. Die in den sechziger Jahren propagierte „formierte Gesellschaft“ entbehrte in ihrer harmonisierenden Verschleierung der Gegensätze und der Konflikte eines kritischen Korrektivs. Anstelle der Partizipation des einzelnen drohten Parteioligarchien und bürokratische Großorganisationen die Macht zu übernehmen. Auch die neoliberale Wirtschaftstheorie, praktiziert als soziale Marktwirtschaft in der BRD, konnte keine liberalen politischen Strukturen hefvorbringen. Infolge der Akkumulation des absolut verstandenen Privateigentums an Produktionsmitteln in wenigen Händen hat sich eine Wirtschaftsform entwickelt, die die politischen Rechte dem einzelnen im Betrieb verwehrt und das weitgehend sozial motivierte Mitbestimmungsgesetz als demokratisches Feigenblatt zur Kaschierung latenter Herrschaftspositionen benutzt.
In dieser für die Freiheit des Individuums gefährlichen Situation — der ökonomische Neoliberalismus hat zu einer gewissen materiellen Verbesserung, aber zugleich zur politischen Entmündigung beigetragen — haben vor allem neomarxistische und Freudsche Sozialtheorien ihre faszinierende, weil Emanzipation des Menschen von sozialen und psychischen Zwängen versprechende Wirkung ausgeübt: Abbau von dysfunktionalen Autoritätsstrukturen, Abschaffung von Herrschaft über Menschen, Beseitigung der Entfremdung, Freilegung der triebbedingten menschlichen Antriebskräfte, Aufhebung von Frustrationen und Aggressionen mit erheblichen Konsequenzen für eine künftige Friedenserziehung. Insbesondere hat die neomarxistische Sozialphilosophie zur Politisierung der Jugend entscheidend beigetragen. Sie hat zum erstenmal den sozio-politischen Aspekt im Sinne kritischer, auf praktische Veränderungen angelegte Gesellschaftsanalyse und damit die Sozialwissenschaften selbst in den Vordergrund des jugendlichen Bewußtseins gerückt.
Dieses systemtranszendierende Verhalten mußte Konsequenzen für die als besonders systemkonform und organisatorisch angepaßt geltende Schule nach sich ziehen. Als nicht rechtsfähige öffentliche Anstalt ist die Schule ein Teil der staatlichen Großorganisation und in deren Befehlshierarchie eingebettet wie ein Finanzamt oder Postamt. Jedoch — im Gegensatz zu den meisten staatlichen Anstalten — hat es die Schule nicht mit der Verwaltung von Sachen, sondern mit der Erziehung und dem Unterricht von jungen Menschen zu tun. Von daher stellt sich die Frage: Paßt die Schule von ihrer spezifischen Aufgabenstellung her überhaupt in das großorganisatorisch-bürokratische Verwaltungsmodell? Sollte die Schule nicht nach einem kooperativen Human-Relations-Modell organisiert werden? Diese Fragen berühren die Substanz der konformistisch und obrigkeitlich strukturierten (meist staatlichen) Schule.
Die politischen Implikationen einer Erziehung und eines Unterrichts, in dem vorwiegend angeordnet, aber kaum etwas von den Betroffenen selbständig geplant, entschieden und durchgeführt wird, sind evident. So wird ein unpolitisches Verhalten trainiert und internalisiert, an dessen Ende nicht der kritische, sondern der angepaßte Bürger steht.
Die „kritische Theorie" der Gesellschaft, wie sie besonders von der Frankfurter Schule vertreten wird, wurde von Studenten, Schülern, Lehrlingen und jungen Lehrern in Gestalt kritischer Reflexion und Aktion auf die Institutionen Universität, Schule und Lehre angewandt. Die Schüler entdeckten im Zusammenhang mit der allgemeingesellschaftlichen Analyse die Widersprüche zwischen dem autoritären (Schul-) System und der (wenigstens verbal) auf Emanzipation bedachten politischen und humanen Bildung. Der Widerspruch wird im Rahmen der Schule offensichtlich in der sichtbaren Diskrepanz zwischen intentionaler und funktionaler Erziehung. Dem Ziel eines mündigen, kritischen Bürgers steht die Schulwirklichkeit mit ihren einem überholten Ge-
• 115 sellschaftsmodell verpflichteten persönlichen und institutioneilen Regelungen häufig entgegen. Daraufhin wenden die Schüler sich gegen ein schulbürokratisches Establishment, das eine freie Entfaltung und Arbeitsweise infolge normierter Leistungscodices eher verhindert als fördert, das ökonomische Interessen als konstituierende Merkmale unseres Bildungswesens toleriert Die hohe Quote der , Dropouts’ ist Beleg für die Ineffizienz des auf normierte Anpassung ausgerichteten Systems. So geraten die Schüler in den Konflikt zwischen ihren emanzipatorischen Interessen und den von Schule und meist bürgerlich-mittelständischem Elternhaus oktroyierten Wertvorstellungen.
Die Protesthaltung der Schüler ist eine Antwort auf strukturelle Defizite der Gesellschaft. Die Schule wird als ein demokratisch nicht legitimiertes Machtinstrument erfahren, das tradierte Herrschaftsstrukturen zu reproduzieren und soziale Ungleichheit zu perpetuieren sucht. Diese Tatsache wird vor allem manifest in einer integrativen Gesellschaftsideologie, die zur Verschleierung realer, z. T. antagonistischer Verhältnisse dient. Sie täuscht über die Polarisierung von Schüler und Schule sowie über die Entemotionalisierung des Schulbetriebs hinweg und spiegelt eine Schein-freiheit vor. Sie ist mitschuldig an der unpolitischen Konsumentenhaltung vieler Schüler.
Was fehlt, ist ein auf einer kritischen Theorie beruhendes Bewußtsein von Schule und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Demzufolge müßte die Schule vor allem kritisches Denken lehren und die Schüler mittels der kritischen Gesellschaftsanalyse — unter dem zunehmenden Einfluß der Sozialwissenschaften — auf ihre eigene Interessenlage stärker hinweisen. Wo kritisches Bewußtsein bei den progressiven Schülern vorhanden ist, führt es zur Verbesserung der Bedingungen und Organisation von Lernprozessen und zur Bereitschaft von Verhaltensänderung. Mitbestimmung im Schulbereich wird sich demgemäß u. a. auf die Gestaltung des Unterrichts konzentrieren, auf Lehrplan-fragen, Auswahl der Unterrichtsmittel, auf die Unterrichtsmethoden, die Information, die Notengebung und Leistungskontrolle
Um den Hintergrund der Argumentationsbasis zu skizzieren, muß man einige themenrelevante Punkte der sozialen Situation der Schule und der Schülermitverantwortung (SMV) vor der Protestbewegung von 1967 schildern: Die Schulorganisation wurde aus dem vorigen Jahrhundert übernommen und folgte dem Muster der staatlichen Verwaltung. H. Becker hat zum erstenmal eindringlich auf die „verwaltete Schule" hingewiesen, die infolge ihrer unzeitgemäßen Struktur und ihren rigorosen Selektionsmechanismen zu der in den sechziger Jahren von Picht Dahrendorf Erlinghagen u. a. beklagten „Bildungskatastrophe" geführt hat. Die Schule ist „administrativ verstört" (Rumpf). Nach ihrer Funktionstüchtigkeit für eine hochindustrialisierte, technokratische Gesellschaft, die qualifizierte Kader aller Ausbildungsstufen und vor allem ein großes Reservoir an selbständig denkenden und demokratisch kooperierenden Menschen benötigt, wurde lange nicht gefragt; ebensowenig nach den Gründen sozialer Ungleichheit und ökonomischer Manipulation innerhalb des Schul-Systems Innere Struktur und Bildungskanon blieben substantiell fast unverändert, bis das allgemeine Unbehagen die Kritik der schulischen Adressaten herausforderte. Sie entzündete sich an der zu geringen Effizienz (output), an den z. T. archaischen Unterrichtsinhalten, am Fehlen wesentlicher, die Gegenwart und Zukunft bestimmenden Unterrichtsgegenstände (z. B. Technik, Medizin, Recht, Wirtschaft, Pädagogik), an den lehrerdominanten Unterrichtsstilen, an der mangelnden Erfolgskontrolle, der Nichtberücksichtigung kreativer, von der eindimensionalen Norm abweichender Fähigkeiten, nonkonformistischen, divergenten Denkens, der Offenheit der Erfahrung und des Urteils sowie an der unterentwickelten Innovationsbereitschaft insgesamt, nicht zuletzt an den fragwürdigen Sozialisationspraktiken.
Irrational gewordene Autoritätsstrukturen (von den Jugendlichen mit neuralgischer Sensibilität registriert und kritisiert) geraten zunehmend in Widerspruch zu den Zielen der Schule: Selbständigkeit, relative Autonomie und Selbstverantwortung. Die Schülerproteste richten sich am stärksten gegen die als dysfunktional und systemstabilisierend empfundenen Autoritätsansprüche. Mit ihrer Hilfe würden innerschulische Konflikte domestiziert, aber nicht ausgetragen.
Hinzu kommt der weitverbreitete „Widerspruch zwischen der restriktiven und instrumentellen Definition der schulischen Leistungen mit Hilfe von Noten und den im Unterricht vermittelten kulturellen, bildungshumanistischen Inhalten" Alle Schüler werden ohne die nötige Differenzierung und Individualisierung dem gleichen Leistungszwang unterworfen und müssen das gleiche Programm im gleichen Lerntempo absolvieren.
Die Aufgabe der SMV in einer so verfaßten Schule wurde von dem ehemaligen Standardwerk über diesen Fragenkreis wie folgt gesehen: „Die Schülermitverantwortung setzt eine bestimmte pädagogische Haltung in der Schule voraus, und zwar besonders im Lehrer-Schüler-Verhältnis, und einen bestimmten Geist der ganzen Schule. Ist dieser nicht vorhanden, dann kann sie nicht gedeihen, dann ist sie ein Fremdkörper im Ganzen. Die Schule ist eine Einheit und muß es sein, bei aller inneren Spannung, die wie in jedem so auch in ihrem Sozialkörper besteht und bestehen muß und die ein Zeichen innerer Lebendigkeit ist. Besteht keine Zusammenstimmung zwischen Schülermitverantwortung und dem Schulganzen, dann bleibt sie in den Anfängen stekken." Und an anderer Stelle heißt es weiter: „Die Schülermitverantwortung setzt die Gemeinschaft der Schule voraus, sie will ihr dienen und sie fördern. In ihr hat sie ihr Betätigungsfeld, ihren Inhalt. Lehrer und Schüler gehören zu ihr. Die Schulgemeinschaft stellt die Aufgaben, sie ist das Element, in dem die Schülermitverantwortung lebt und wirkt. Einzelne Schüler übernehmen Aufgaben für die Mitschüler, alle sollen sich verantwortlich wissen füreinander."
Auf die ideologische Herkunft dieser Zitate braucht nicht näher eingegangen zu werden.
Demgegenüber käme es darauf an, die Aufgaben der SMV aus soziologischer Sicht zu bestimmen ausgehend von der Schule als einem pluriform strukturierten sozialen Gebilde, worin die Beteiligten verschiedene Interessenrichtungen repräsentieren, die zu Konflikten führen müssen. Aus der Art, wie sie ausgetragen werden sollen, ergeben sich unterschiedliche Modelle der Mitbestimmung von der „Übernahme politisch-parlamentarischer Formen (Gewaltenteilung, Zweikammersystem u. a.) über das Gewerkschaftsmodell bis hin zum Rätemodell.... so muß die neue Entwicklung verstanden werden im Zusammenhang mit dem Verständnis von Demokratie als Mitbestimmung, Kontrolle, Transparenz der Entscheidungen, Öffentlichkeit, Diskussion und Mündigkeit" Inwieweit die politische Bildung das Protest-potential beeinflußt hat, wird verschiedenartig beurteilt Primär ist politischer Unterricht kognitiv, weniger voluntaristisch orientiert. Er versucht Einsichten, Erkenntnisse und Kategorien zu vermitteln und gibt kaum Anleitungen zur direkten Aktion. Immerhin kann man feststellen, daß politisch engagierte Schüler die Protestbewegungen angeführt haben. Auf die Ziele der politischen Schülergruppen wie AUSS (Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler), USV (Unabhängige Schülervertretung) und LS (Liberaler Schülerbund) kann hier nicht eingegangen werden
Soviel ist anzumerken: Die liberalen Gruppen vertrauen mehr auf die Wirksamkeit vernünftiger Argumente und moralischer Appelle bei den schulischen Autoritäten wie bei den Mitschülern. Sie operieren dezentral an einzelnen Schulen und treiben überzeugungs-und Bildungsarbeit. Ihre Bestrebungen erfolgen systemimmanent. Die radikalen Gruppen streben eine kollektive, überregionale Selbstorganisierung der Schüler an und provozieren den Konflikt, um damit die autoritären Strukturen des „Systems" öffentlich zu entlarven. Ihre Kritik ist systemtranszendent. Ein bevorzugtes, anfangs die Mitschüler mobilisierendes und solidarisierendes Moment der schulischen Linken war die Enttabuierung des Sexualbereiches. Die von den gesellschaftlichen Konventionen verlangte Triebunterdrückung wurde im Sinne sozialer Anpassung und ökonomischer Manipulation interpretiert, d. h., Triebsublimierung wurde politisch verstanden als Disziplinierungsmittel zu systemkonformer Verhaltensweise
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat im September/Oktober 1968 eine Tagung in Tutzing/Obb. über die Demokratisierung der Schule und die Stellung des Schülers in der Schule sowie die Rolle der SMV abgehalten Dabei wurden neben den pädagogisch-gesellschaftlichen Aspekten auch die rechtlichen Probleme der Schülervertretungen diskutiert.
Die SMV/SV ist in den Schul(verwaltungs) gesetzen der Bundesländer rechtlich verankert Damit ist sie zu einer meist selbständigen, von der Schulleitung weitgehend unabhängigen Institution geworden, die bestimmte Rechte für sich beanspruchen darf. Diese schulrechtliche Fixierung der SMV/SV ist in der Praxis kontrovers. Allgemein kann man sagen, daß die Schulrechtler in den vergangenen Jahren oft progressiver als furchtsame Pädagogen waren. Abgesehen von der allgemeinen Justifizierung relevanter pädagogischer Akte (Versetzungen, Prüfungen usw.) im Sinne ihrer verwaltungsrechtlichen Nachprüfbarkeit, sind die Schulrechtler eingetreten für eine Beschränkung der Aufsichtspflicht und für die Mitbeteiligung älterer Schüler als Aufsichtspersonen, für die Aufhebung des generellen Rauchverbots, für die Begrenzung schulischer Verpflichtungen und Amtshandlungen auf Schulgelände und Unterrichtszeit, für die Ersetzung der besonderen „Anstaltsgewalt" durch ein der allgemeinen Rechtspraxis unterworfenes „Schulverhältnis", für die Großzügigkeit bei der Handhabung der Präsenzpflicht, für die Garantie der Grundrechte, insbesondere der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift (Schüler-Zeitschrift, Flugblätter), schließlich für die politische Betätigung der Schüler innerhalb der Schule. Unterricht und Erziehung, die wesent-liehen Aufgaben der Schule, dürfen allerdings nicht behindert werden, ferner sei auf Gewaltanwendung und Streik zu verzichten
Die fortschrittlichste, eine moderne, gesellschaftsadäquate Schulentwicklung fördernde Position vertritt Wolfgang Perschei Nach seiner Auffassung ist das (spärliche) Schulrecht im Geiste der freiheitlich-rechtlichen Demokratie (Art. 20, 28 und 80 GG) neu zu interpretieren. Das liberal-bürgerliche Rechtsstaatsverständnis hätte die Schule eigentlich nicht als fast rechtsfreien Raum bis in die Nachkriegszeit bestehen lassen dürfen, sondern hätte sie längst inhaltlich normieren müssen und sich nicht mit Blankoermächtigungen der Exekutive begnügen dürfen. (Die meisten Anordnungen der Kultusbehörden erfolgen durch behördliche, von der direkten parlamentarischen Einwirkung und Kontrolle unabhängige Erlasse.) Insbesondere verlange das in den meisten Länderverfassungen enthaltene erzieherische Postulat der politischen Mündigkeit den praktischen Gebrauch der Grundrechte, die im Vorfeld politischer Teilhabe stehen: Meinungsund Pressefreiheit, Vereins-, Versammlungsund Demonstrationsfreiheit. Dies zielt auf freie Betätigung der Schüler auch innerhalb der Schule, soweit grobe Störungen vermieden werden. Das vielzitierte Hausrecht dürfe bei einer öffentlichen Anstalt, der Schule, nicht mißbraucht werden, um die Öffentlichkeit auszuschließen. Ferner dürfe die berechtigte Vertretung und Entfaltung von Individual-oder Gruppeninteressen der Schüler nicht unterbunden werden. Als Folge davon ergibt sich für die SV deren Anerkennung als Interessenvertretung. Von Perschei wird sie mit der arbeitsrechtlich gesicherten gewerkschaftlichen Interessenvertretung gleichgesetzt. (Diese Gleichsetzung ist rechtlich sehr umstritten.) Die Konsequenzen daraus sind „Mitentschei-dungsrechte“, z. B. bei der Einzelgestaltung des Lehrplans; Hausrecht und Disziplinarbefugnisse seien durch Formen egalitärer Kooperation zu ersetzen; direktoriale Alleinentscheidungsrechte sollen zugunsten kollegialer Organe abgebaut werden. Dagegen sei eine Mitentscheidung auszuschließen, wo die Schule als Teil der Behördenorganisation aufgrund von Gesetzen tätig wird, d. h. vor allem bei Entscheidungen über die Grundlagen des Schulwesens: über die Gliederung in Schulformen und -zweige, Grundsatzfragen der Lehr-und Stoffpläne, aber auch über Personalfragen. In diesen Fällen ist eher ein Mitwirkungsrecht im Sinne einer Mitsprache geboten, die die Verantwortlichen zur Rationalisierung ihrer Entscheidungen zwingt. Dazu gehört auf der Ebene der Schule die Teilnahme der Schüler an Konferenzen über alle sie angehenden Punkte.
Jede Kritik an der Schule wird schwierig, wenn sie konkret werden soll. Die einen rufen nach Drittelparität von Lehrern, Schülern und Eltern, die andern nach der von behördlichen Weisungen freien Schule. Modelle für das eine oder andere gibt es in unserem Lande nicht (die freien Privatschulen arbeiten unter anderen Bedingungen als die Staats-schulen). Realistisch erscheint ein Vorgehen, das das bestehende Schulsystem immanent zu ändern versucht, unabhängig von der Schulart und vom Schultyp. Fragen wir die Schüler: Sie sind mit der Forderung nach Demokratisierung angetreten, ihrer Schule eine gesellschaftskonforme Struktur zu geben. Ein wesentliches Merkmal ist die angemessene Partizipation der Beteiligten an den Entscheidungsprozessen. Daß Schüler und Eltern eine besondere Interessenlage haben, wird von der Schule allgemein anerkannt. Die Problematik besteht in der Art der Mitbeteiligung und Mitbestimmung. Debus hat in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hingewiesen, „daß eine neue Entwicklung der SMV nur sinnvoll sein kann, wenn sie die Schule als Stätte des Lernens, der Bildung = der Ausbildung nicht gefährdet oder gar aufhebt, sondern wenn durch eine aktivere Beteiligung der Schüler, ihre Mitsprache und Mitbestimmung bessere Bedingungen dafür geschaffen werden und überhaupt eine bessere Schule entsteht"
In richtiger Einschätzung der realen schulischen Möglichkeiten schlägt er daraufhin vor, formal zu unterscheiden zwischen „Anhörungsrechten, Mitwirkungsrechten und Mitbestimmung". In diesen Punkten gehen die Meinungen der Bundesländer auseinander, wie die Analyse neuerer Erlasse zeigen wird (s. u.). übrigens besteht die gleiche Problematik für die Lehrer, denen bisher nur eine bescheidene Mitsprache bei ihren eigenen Angelegenheiten, einschließlich Lehrplänen usw., eingeräumt wurde.
In Anlehnung an politische Forderungen in unserer Gesellschaft versteht die Erziehungswissenschaft ihre Aufgabe als eine emanzipatorische, ohne sich normativ festlegen zu können. Das allgemeine Erziehungs-und Bildungsziel wird man in einer pluriformen, offenen Gesellschaft formal als Mündigkeit, Kritikfähigkeit, Selbständigkeit, Kreativität, Sachlichkeit, Vernünftigkeit bestimmen und es material mit den Inhalten der Grundrechtskataloge des Grundgesetzes und der Länder-verfassungen umschreiben können. Die Nähe dieser Zielforderungen zur politischen Bildung ist naheliegend. Genau das ist gemeint, wenn von einer Umstrukturierung der SMV zur SV die Rede ist. Bisher richteten sich die Bestrebungen der SMV auf das Funktionieren des Lehrbetriebs. Künftig wird sie sich als SV seiner Kritik (Organisation, Lernprozesse, Fächerkanon usw.) widmen. Die veränderte Einstellung drückt sich in der neuen Namensgebung der Bundes-SMV-Zeitschrift „Wir machen mit" in „SV-Zeitschrift" aus.
Mitbestimmung ist ein politisches Postulat. Die SV muß politisch werden, will sie ihrer zeitadäquaten Aufgabe nachkommen. Vielerorts ist das zunächst so geschehen, indem sie sich verweigert, d. h. aufgelöst hat. Dadurch ist eine gewisse Dysfunktionalisierung des Schulbetriebs erreicht worden. Es wirkt peinlich, wenn die Betroffenen, die Schüler, nicht mehr mitmachen. Dieser paradoxe Zustand veranlaßte die Kultusministerien zu Zugeständnissen gegenüber den Schülerforderungen wie Mitwirkung bei der Erstellung von Lehrplänen, Kenntnisgabe aller Erlasse, Teilnahme an den Konferenzen, Mitarbeit an der Schulordnung, Beschwerde-und Schlichtungsausschuß, Möglichkeit der Kritik an Lehrern, Bekanntgabe der Maßstäbe für die Zensurgebung, Verwendung moderner Methoden im Unterricht, Mitbestimmung bei der Stoffauswahl in den Klassen, freie Wahl von Kursen, Erweiterung der Befugnisse der SV usw. über die Berechtigung dieser Forderungen besteht kein Zweifel. Als demokratisches Minimum darf die Anhörung des Betroffenen bei allen ihn angehenden Angelegenheiten gelten. Voraussetzung ist die weitreichende Öffentlichkeit, (behördliche und verwaltungsgerichtliche) Nachprüfbarkeit, Rechtlichkeit und Transparenz schulischer Akte. Erst auf dieser Basis kann eine SV effektiv mitarbeiten. Dieser Tatsache wurde von einigen Kultusministerien durch die Änderung der betreffenden Erlasse Rechnung getragen. Inwieweit sie eine progressive, d. h. emanzipative Linie vertreten und damit einem allgemeinpolitischen Trend folgen, wird die qualitativ-differentielle Analyse der seit 1968 publizierten Erlasse nachzuweisen haben. Auf praktische Organisationsfragen kann dabei weitgehend verzichtet werden
Auf die Schülerprotestbewegung hat die Kultusmihisterkonferenz rasch reagiert mit ihrem Beschluß über die SMV vom 3. Oktober 1968. Er gibt wesentliche Anregungen für eine Neuorientierung des Verhältnisses von Schüler und Schule und überläßt den Bundesländern eine detaillierte Aüsgestaltung in eigenen Erlassen. Insgesamt kann der KMK-Beschluß als gemäßigt fortschrittlich bezeichnet werden. In den „Grundsätzen" (I) werden sowohl die „Interessen" der Beteiligten wie ihr „partnerschaftliches Verhalten" angesprochen. Allerdings werden „Konflikte" nur als „Begleiterscheinungen" des schulischen Lebens gekennzeichnet, die „fair und rational ausgetragen werden" sollen. „Insbesondere ist die Schule als gesellschaftliche Institution weder eine konfliktlose Gemeinschaft noch ein Betrieb mit den spezifischen Konflikten des Arbeitslebens." In ihr „wirken sich vielfältige personelle, soziale und kulturelle Zusammenhänge aus". Aus diesen Zitaten geht eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Konfliktgesellschaft hervor. Zwar lassen sich Konflikte nicht leugnen, jedoch werden sie als ein Randgeschehen apostrophiert, obwohl es im ersten Satz der „Grundsätze" heißt, daß die Schule die Jugend „auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft" (I 1) vorzubereiten habe.
Die politischen Implikationen dieser Feststellung klingen erst in dem (vorletzten) Abschnitt 6 an: „Die Fähigkeit zu Kritik und Kooperation und damit zu sozialer und politischer Verantwortung wird gestärkt, indem die Schüler Gelegenheit erhalten, in altersentsprechenden Formen sich selbst Aufgaben zu stellen, an ihnen übertragenen Aufgaben der Schule mitzuarbeiten und ihre Interessen zu vertreten."
In der Hervorhebung der Interessenvertretung liegt das Novum dieses KMK-Beschlusses. Seine Exekution ist ohne Konflikte nicht möglich, auch wenn dies in einer expressiven Form von dem Beschluß selbst nicht gemeint zu sein scheint, überdies ist terminologisch bemerkenswert, daß der Beschluß zwar in seinem ersten Teil von „SMV" im übergeordneten Sinne der allgemeinen Mitverantwortung der Schüler an den Aufgaben der Schule spricht, jedoch im Sinne der Organisierung der Schüler von „Schülervertretungen (SV)".
Zu den als fortschrittlich formuliert anzusehenden Schülerinteressen gehören: „Teilnahme von Schülervertretern unter bestimmten Voraussetzungen an Konferenzen der Lehrer, Unterstützung einzelner Schüler auf deren Wunsch durch Schülervertreter bei der Wahrnehmung von Rechten, insbesondere bei Disziplinar-und Beschwerdefällen, Einsicht in alle Erlasse und Verfügungen der Schulaufsichtsbehörden, soweit sie für Schüler von Bedeutung sind, regelmäßige Besprechungen über aktuelle Schulfragen zwischen Schulleitung und Schülervertretung, Beteiligung der Schülervertreter in altersentsprechender Weise an Planung und Gestaltung des Unterrichts." (II c)
Von den eigentlichen Mitbestimmungsrechten ist aber nirgends die Rede. Dadurch wird Abschnitt 7 der „Grundsätze" zur Leerformel: „Schülermitverantwortung ist als Bestandteil der Demokratie in der Schule ein Mittel jugendlicher Selbsterziehung und bereitet auf das Leben in der Demokratie vor." Demokratie wird hier pädagogisch reduziert auf Selbst-disziplinierung.
Bayern hat in seiner „Entschließung über das Verhältnis Lehrer-Schüler-Eltem, über die SMV und über die Schülerzeitungen an Gymnasien" vom 6. September 1968 den in Frage stehenden Komplex geregelt. Die SMV ist nach diesem Erlaß nach wie vor Hilfsorgan der Schule und soll höchstens den kleingruppenhaften Erfahrungs-und Verantwortungsbereich der Schüler erweitern helfen. Ein „Mitbestimmen" ist nicht vorgesehen. Entscheidend für den Rang der SMV sind folgende grundsätzliche Ausführungen: „Der wesensgemäße Unterschied zwischen den Aufgaben der Lehrenden und der Lernenden, der Erziehenden und der zu Erziehenden grenzt die Mitwirkung gegen die Mitbestimmung ab. Mitwirkung und Mitgestaltung der SMV stehen unter dem Vorbehalt des Erziehungsrechtes der Erziehungsberechtigten und der von Lehrerrat und Direktor für Leben und Arbeit an der Schule zu tragenden Verantwortung." über die ideologische Herkunft von „Wesens" -aussagen braucht nicht berichtet zu werden. Eine gewisse Konkretisierung des Zitierten erfolgt in den Hinweisen zu den „Formen der Mitwirkung":
a) „ 5. Die Aufgabe der Schülervertretung gibt der SMV das Recht, Wünsche und Anregungen der Schüler an Lehrer, Direktor und Elternbeirat zu übermitteln, ihre Hilfe und Vermittlung einzusetzen, wenn ein Schüler glaubt, es sei ihm Unrecht geschehen, und Beschwerden allgemeiner Art bei Lehrern, beim Direktor und im Schulforum vorzubringen."
Konflikte werden nicht erwähnt, Beschwerden über Lehrer ausgeklammert, übrig bleibt ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Dies wird insbesondere anhand einiger organisatorisch-technischer Bestimmungen verstärkt:
b) „ 4. Der Direktor unterrichtet den Schülerausschuß über Angelegenheiten, die für die Schule von allgemeiner Bedeutung sind, über Lehrerratsbeschlüsse, soweit sie für die Schüler in Betracht kommen, und über Rechts-und Verwaltungsvorschriften, soweit sie Schülerangelegenheiten betreffen.
5. Der Lehrerrat soll dem Schülerausschuß und den Sprechern von Arbeitsgruppen auf deren Wunsch Gelegenheit geben, gehört zu werden. 9. In die Einrichtungen der Schülervertretung kann jeder Schüler gewählt werden, der nicht wegen eines Vergehens gerichtlich bestraft ist und gegen den in den letzten zwölf Monaten keine Schulstrafe durch den Lehrerrat ausgesprochen worden ist..."
Der Text spricht für sich. Nur solche Schüler dürfen verantwortlich mitarbeiten, die vorher die schulischen Anpassungsmuster bereits internalisiert haben.
Eine Arbeitsgruppe der SMV wird nur zugelassen, wenn sie „keine einseitig politischen und weltanschaulichen Ziele verfolgt" (a 3). „Das Wesen der SMV ist dadurch bestimmt, daß ihre Arbeit den Zielen und Aufgaben der eigenen Schule dient. Zusammenschlüsse von Schülervertretungen mehrerer Schulen sind daher nicht möglich" (h 1). Das ist das einzige Verbot überregionaler Schülerzusammenarbeit in der BRD. Nach der „Entschließung über die Schülermitverwaltung (SMV)" vom 29. 4. 1971 können mehrere Schulen eines Ortes oder benachbarte Schulen gemeinsame Veranstaltungen durchführen. Ein Bezirksschülersprecher für Gymnasien wird gewählt, seine Aufgaben nicht genannt. Jährliche Zusammenkünfte von Schülersprechern, Vertrauenslehrern, den Bezirksjugendringen des Bayerischen Jugend-rings mit dem Ministerialbeauftragten sollen stattfinden. „ 7. Jede SMV einer Schule hat die Möglichkeit, Wünsche und Anregungen über die Schule hinaus auf dem Weg über den Direktor der Schule der Landesarbeitsgemeinschaft SMV oder dem Staatsministerium vorzulegen."
Diese Hinweise lassen den Wunsch nach einer unpolitischen, konfliktfreien, obrigkeitlichen und lehrerzentrierten Schule erkennen.
Nach den grundsätzlichen Bemerkungen der niedersächsischen „Vorläufigen Richtlinien zur Schülermitverantwortung" vom 16. September 1968 bildet sich „demokratisches Bewußtsein" „insbesondere im Handeln nach demokratischen Grundsätzen" (I 1). Dies möchten die Richtlinien sicherstellen u. a. mittels eines paritätisch von Schülern und Lehrern besetzten „gemeinsamen Ausschusses", der „Empfehlungen an den Schulleiter, an die Konferenz oder an den Schülerrat beschließen" kann. Ein paritätischer Schlichtungsausschuß ist für solche Angelegenheiten zuständig, „die das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern belasten". Ferner haben gewählte Schülervertreter das Recht, von der Konferenz zu Angelegenheiten der Schülerschaft gehört zu werden. Das Beschwerderecht steht jedem Schüler gegenüber jedem Lehrer oder gegen die Schulleitung zu. Arbeitsgemeinschaften „dürfen nicht einseitig den Zielsetzungen bestimmter politischer, konfessioneller oder weltanschaulicher Gruppen dienen" (V 1 a). Am fortschrittlichsten regeln die Richtlinien das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, indem sie zur Kooperation zwingen und Konflikte durch entsprechende Ausschüsse beizulegen suchen. An ein Mitspracherecht der Schüler ist nicht gedacht. Dagegen ist den Schülern „Gelegenheit zu geben, in den dafür geeigneten Aufgabenbereichen der Schule mitzuarbeiten" (V 2).
Nach dem saarländischen „Vorläufigen Erlaß betreffend die Aufgaben und die Tätigkeit der Schülermitverantwortung . . vom 16. Juli 1968 „hat die SMV die Aufgabe, an der Erziehung der Schüler zu selbständig denkenden und mitverantwortlich handelnden Gliedern einer demokratischen Gesellschaft mitzuwirken". Dies geschieht in der bisher üblichen Weise sowie durch Teilnahme von Schüler-vertretern an Gesamtkonferenzen mit beratender Stimme, sofern über folgende Dinge verhandelt wird: Schulzucht und Ordnung, Probleme der Vereinheitlichung der Notengebung und Versetzung, Hausaufgaben, Androhung der Verweisung oder Verweisung, Zusammenarbeit mit Eltern und Verbänden, Beschwerde-fälle. Ferner ist die Teilnahme an Klassen-und Fachkonferenzen vorgesehen. Für die Tagesordnung aller Konferenzen können die Schüler Beratungsgegenstände beantragen. „Durchführung von eigenen Veranstaltungen kultureller, sportlicher und allgemeinpolitischer Art, die nicht einseitig den Interessen und Auffassungen einer Organisation oder Gruppe dienen dürfen", ist erlaubt. Aber: „Der Schulleiter kann die Durchführung einer Veranstaltung untersagen, wenn sie den Erziehungsauftrag oder das Ansehen der Schule gefährdet." Damit wird das alte Herrschaftsund Abhängigkeitsverhältnis restauriert. Neu an diesem Erlaß ist das Aufzählen von Tagesordnungspunkten einer Konferenz, an denen die Schüler zu beteiligen sind. Der Akzent der Neuerungen liegt auf der Mitberatung der Schüler in allen sie betreffenden Fragen.
Nach dem schleswig-holsteinischen Erlaß über die „Schülermitverantwortung (SMV) für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen" vom 25. Juli 1969 gilt das Folgende: „III 2 (4) ... Die Schülervertretung hat das Recht, durch den Schulsprecher der Konferenz Anträge einzureichen. Der Schulsprecher und sein Stellvertreter haben Sitz und Stimme in der Gesamtkonferenz. Ausgeschlossen sind sie nur von der Beratung von Personalangelegenheiten der Lehrkräfte und von Zeugnisfragen . . . Bei der Beratung von Angelegenheiten, bei denen familiäre oder sonstige private Fragen eines Schülers berührt werden, ist ihre Teilnahme nur zulässig, wenn der betroffene Schüler und seine Erziehungsberechtigten dieses wünschen . . .
(5) Vor der Entscheidung über schwere Schulstrafen . . . muß der Schulleiter sowohl dem Schulsprecher als auch dem Verbindungslehrer Gelegenheit geben, sich zum Verhalten des betroffenen Schülers zu äußern."
Bei schweren Disziplmarfällen kann sich der Schüler ernen Beistand im Sinne eines Verteidigers aus den Reihen der Lehrer oder Schüler wählen (111 5). Diese Einrichtung ist eine Novität. Lediglich Hessen läßt die Vertretung durch einen Anwalt zu.
Wie in einigen anderen Bundesländern kann ein Schlichtungsausschuß, paritätisch mit drei Lehrern, drei Schülern und drei Eltern besetzt, eingerichtet werden (III 6). Allerdings werden über die Verbindlichkeiten seiner Beschlüsse keine Aussagen gemacht.
Der Schulsprecher, der mit allen wichtigen Erlassen vertraut zu machen ist, vertritt die Schülerschaft nach außen (vgl. Hessen), jedoch mit der Einschränkung:
„III 2 (2) ... Daher gilt die Vertretung des Schulsprechers nach außen nur im Rahmen der Aufgaben der SMV. Der Schulsprecher kann nicht auf allen Gebieten für die Schule sprechen." Die emanzipative Unsicherheit dieses gemäßigt fortschrittlichen Erlasses zeigt sich nicht nur in der unexakten Verwendung der Begriffe . Schülermitverantwortung'und . Schülervertretung'sondern auch in seinem ambivalenten Verhältnis zum Freiheitsspielraum der Schüler bei SMV-Veranstaltungen:
Bei Veranstaltungen der SMV außerhalb der Schule ist eine ordnungsgemäße Aufsicht von der Schule durch Stichprobe festzustellen, als hätte die Schule außerhalb ihres Bereichs irgendwelche Kompetenzen. Ebensowenig ist die folgende Feststellung juristisch abgesichert: „III 7 (6) Der Schulleiter kann nach Anhören der SMV der Durchführung einer Veranstaltung widersprechen, wenn sie mit einer besonderen Gefahr für die Schüler verbunden ist oder wenn befürchtet werden muß, daß sie geeignet ist, den Schulfrieden zu stören, den Erziehungsauftrag der Schule zu gefährden und das Ansehen der Schule in der Öffentlichkeit zu schädigen. “
Bremen ist das einzige Bundesland, das nach wie vor die „Richtlinien für die Schülermitverantwortung an den allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen" vom 1. 12. 1964 (ergänzt durch den Erlaß vom 10. 9. 1969, s. u.) für ausreichend hält. In affirmativer Weise, unter Benutzung gemeinschaftsideologischer Vokabeln werden die Aufgaben der SMV wie folgt bestimmt:
I. „ 1. Die SMV soll die Schüler am Leben der Schule und an der Gestaltung der Schulgemeinschaft beteiligen. Voraussetzung hierfür ist Vertrauen zwischen den Schülern und zwischen den Lehrern und Schülern.
2. Die Schüler sollen u. a. lernen, sich in eine Gemeinschaft einzuordnen und in ihr Aufgaben zu übernehmen, sowie den anderen anzuhören und seine Meinung zu achten. Sie sollen dabei mit demokratischen Lebensformen vertraut werden. Je mehr die Schüler ihre Aufgaben selbst wählen und selbständig zu lösen versuchen, um so größer ist der erzieherische Wert ihrer Mitarbeit."
Diesen sozialerzieherischen, unpolitischen, auf gesellschaftliche Anpassung bedachten Ausführungen entspricht der konventionelle Aufgabenkatalog. Die gewählten Schülervertreter können von der Schule ihres Amtes enthoben werden: II A. „ 7. Den Schulsprecher, einen Klassensprecher oder einen anderen in ein Amt gewählten Schüler kann die Schule nur aus begründetem Anlaß (welchen? W. M.) auf Beschluß der Gesamtkonferenz vorzeitig seines Amtes entheben."
Die gleiche Unselbständigkeit der SMV wird durch die Person des obligatorischen Verbindungslehrers verstärkt. Nach III. 5. hat er zwar nur eine „beratende Aufgabe", jedoch die „Pflicht, die Geldangelegenheiten des Schülerrings (= SMV der einzelnen Schule.
W. M.) bzw.der Arbeitsgruppe mindestens zweimal jährlich, die der Schülerzeitung laufend zu überprüfen und die Prüfung durch Unterschrift in den Kassenbüchern zu bestätigen." Dieser SMV-Erlaß gilt zusammen mit dem Erlaß über „Gemeinsame Ausschüsse an den allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen im Lande Bremen" vom 10. 9. 1969.
Das Novum besteht in der Einrichtung gemeinsamer Ausschüsse:
" 1. Der Elternbeirat, der Schülerring und die Gesamtkonferenz der Lehrer sind die Selbstverwaltungsorgane der Schule. Um die Beratung und Entscheidung anstehender Schulfragen in wechselseitiger Abstimmung der Selbstverwaltungsorgane voranzubringen, kann jede Schule einen Gemeinsamen Ausschuß bilden aus bis zu 4 Vertretern jedes ihrer Selbstverwaltungsorgane ...
4. Seine Entscheidungen werden von den Selbstverwaltungsorganen entweder zustimmend übernommen oder mit einfacher Mehrheit zur erneuten Beratung an den Gemeinsamen Ausschuß zurückverwiesen. Die zweite Entscheidung des Gemeinsamen Ausschusses bindet alle Beteiligten, wenn die Gesamt-konferenz sie nicht mit Zweidrittelmehrheit außer Kraft setzt."
Die Hamburger „Bestimmungen über Schüler-vertretungen und Schülergruppen" vom 14. Februar 1969 überlassen es mehr oder weniger den Schülern, ob sie Vertretungen bilden oder sich freiwillig zu Gruppen zusammenschließen. Die Schule muß die nötigen sächlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen (Räume, Schwarzes Brett, Telefon). Verbindungslehrer sind zu wählen. „ 9. (3) Die Verbindungslehrer müssen Beschlüssen der SV, deren finanzielle Deckung nicht gesichert ist, widersprechen. Das gleiche gilt für die Be13 auftragten der Schulbehörde gegenüber Beschlüssen des Hamburger Schülerparlaments."
Die Sitzungen der SV sind schulische Veranstaltungen (5, 1). Andere Veranstaltungen der SV sind schulisch, wenn sie vom Schulleiter bzw. von der Behörde genehmigt werden (5, 2 und 3). Lehrer oder durch den Schulleiter beauftragte Schüler führen die Aufsicht (5, 4).
Der Erlaß kennt folgende „Formen der Mitwirkung": „ 3 (2) Anregungen zum Unterricht und Fragen der Leistungsbeurteilung" sind dem Klassen-oder Schulleiter vorzutragen. Bei ungerechter Behandlung durch den Lehrer kann sich der Schüler an den Klassen-oder Schulleiter wenden (3 [3]). Anläßlich einer „disziplinarischen Maßnahme" kann der Klassen-oder Schulsprecher gehört werden, wenn der Betroffene es will und seine Eltern nicht widersprechen (3 [4]).
„ 3 (5) Die Schulsprecher tragen dem Schulleiter Wünsche und Vorschläge der Schülervertretung vor. ...
(6) Die Lehrerkonferenz, der Elternrat und der Schulbeirat ziehen die Schulsprecher zur Beratung hinzu, bevor sie über Angelegenheiten oder die Schule betreffende Vorschläge der SV beschließen." Zu allen Konferenzen können Schülervertreter hinzugezogen werden (Stimmrecht ist nicht geregelt). Gemischte Ausschüsse für Sonderaufgaben sind möglich. „ 3 (9) Streitfälle sollen, wenn nicht anders möglich, durch Beratung in einem paritätisch aus Lehrern, Elternvertretern (bzw. Vertretern des Schulbeirats) und Schülervertretern gebildeten Schlichtungsausschuß beigelegt werden." Die Bestimmungen dieses Erlasses lassen keine Fortschritte im Sinne einer zeitgemäßen Schulreform qua Reform der Schülermitbestimmung erkennen. Dies gjit auch für die vom Schulleiter zu genehmigenden Schülergruppen (bei Einwänden entscheidet die Behörde): „ 4 (1) Eine Schülergruppe kann als schulische Gruppe nur zugelassen werden, wenn sie politisch, weltanschaulich und konfessionell nicht gebunden ist und grundsätzlich allen Schülern der Schule offensteht." Der hinter dieser Bestimmung stehende Begriff von Neutralität erfüllt eine ideologische Funktion, indem er geistige Positionen jeder Art denunziert.
In Nordrhein-Westfalen vertritt die SMV nach dem Erlaß über die „Schülermitverwaltung (SMV)" vom 16. Oktober 1968 „die Interessen der Schüler". Im wesentlichen geht es um „Mitarbeit" und „Mitwirkung". Aufgabe der SMV ist es, „die politischen, kulturellen, sozialen, fachlichen und sportlichen Interessen der Schüler zu fördern" (3. 2). Darüber hinaus dürfen der Schulsprecher, sein Stellvertreter und ein weiterer Schüler an den Gesamtkonferenzen beratend teilnehmen (nach dem Erlaß vom 24. Juli 1970 kann ihnen durch Konferenzbeschluß das Stimmrecht verliehen werden), außer an Zensuren-, Versetzungs-und Abschlußkonferenzen sowie an Konferenzen mit privaten Belangen von Lehrern und Schülern. Sie können zusätzliche Tagesordnungspunkte beantragen. An jeder Schule wird ein paritätisch besetzter Schlichtungsausschuß eingerichtet, der bei Meinungsverschiedenheiten zwischen SMV und Schule Empfehlungen auszuarbeiten hat
Erwähnenswert sind die zwar nicht durch Erlaß, aber als Ergebnis der allgemeinen Diskussion etablierten sog, Fachschaften. Ab Klasse 10 wählen die Schüler einer Schule für jedes Fach oder Projekt (z. B. Curriculum, Schulreform) kompetente Mitschüler als Fachschaftsvertreter. Sie können den Fachkonferenzen Vorschläge unterbreiten.
Nach den baden-württembergischen „Richtlinien für die Einrichtung und die Aufgaben der Schülermitverantwortung gemäß § 40 SchVOG für die Schulen sämtlicher Schularten nach § 3 Abs. 2 SchVOG (Vorläufige SMV-Richtlinien)" von 1970 hat die SMV die „sich aus dem Schulleben ergebenden Interessen der Schüler zu vertreten" (III 15. 1. 2.). Der Wirkungsbereich und die Zusammenarbeit ergibt sich aus der eigenen Schule. Insbesondere handelt es sich um „Gemeinschaftsaufgaben'Die SMV soll „die fachlichen, sportlichen, kulturellen, sozialen und politischen Interessen der Schüler fördern.“ Veranstaltungen „dürfen nicht einseitig den Zielsetzungen bestimmter politischer, konfessioneller oder weltanschau-licher Gruppen dienen" (III 15. 1. 1.). Ferner kommt eine Mitarbeit bei der Gestaltung des Unterrichts, der Erprobung neuer Unterrichts-formen, bei Verwaltungs-und Organisationsaufgaben der Schule, bei Ordnungs-und Aufsichtsdienst in Betracht. Die Beteiligung an Lehrerkonferenzen richtet sich nach besonderen Vorschriften. Schülervertreter dürfen „Anregungen, Vorschläge und Wünsche" gegenüber Lehrern, Schulleiter und Eltern vorbringen (IV 17). Regelmäßige Besprechungen mit dem Schulleiter und dem Verbindungslehrer finden statt.
An der bisherigen Situation der SMV hat sich durch den neuen Erlaß kaum etwas geändert. Wenn die SMV ein anderes als das übliche Organisationsmodell verwirklichen möchte, „bedarf sie der Zustimmung der Gesamtlehrerkonferenz" (II 13. 2).
Hessen hat am 3. August 1970 eine umfangreiche „Verordnung über die Schülervertretungen (SV) an öffentlichen Schulen" vorgelegt. Durch die etwas ungewöhnliche Form der Veröffentlichung als Rechtsverordnung wird die Bedeutung der Sache dokumentiert. Sie geht nicht zuletzt aus der appellativen Diktion der Formulierungen hervor. Als programmatisch im Sinne einer Politisierung und Mitbestimmung darf die Verwendung des Begriffs SV für Organisationsform und inhaltliche Struktur der vereinigten Schülerinteressen gelten.
Die SV gliedert sich in eine Stufenvertretung I (Klassen 5— 10) und II (Klassen 11 und höher). Diese Einteilung ist zugleich für Gesamtschulen, Kollegs usw. praktikabel. Damit wird eindeutig die unterschiedliche Interessenlage jüngerer und älterer Schüler, die in vielen Bundesländern aus pädagogisch nicht einsichtigen Gründen völlig verwischt wird (der Primaner unterliegt dem gleichen Reglement wie der Sextaner), anerkannt. Sie läuft parallel mit einer graduellen Abstufung von Rechten und Pflichten.
Die Sitzungen der Schülervertretung sind öffentlich, an ihnen können, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, der Schulleiter, ein von der Gesamtkonferenz beauftragter Lehrer, der Verbindungslehrer sowie Angehörige der überörtlichen SV teilnehmen. ihnen ist auf Antrag im Rahmen der GO zu den Beratungsgegenständen das Wort zu erteilen" (§ 5 [3]). Das gleiche gilt für die Schüler(voll) -Versammlungen. Entsprechend nehmen der Schulsprecher, die Stufensprecher, ihre Stellvertreter und drei weitere Angehörige der SV an Gesamtkonferenzen mit beratender Stimme teil und können Vorschläge zur Tagesordnung einbringen sowie Anträge stellen. Ähnliches gilt für die übrigen Konferenzen, mit Ausnahme von Zeugnis-und Versetzungskonferenzen sowie bei persönlichen Angelegenheiten.
Im Sinne der Argumentation von Perschei und Debus (s. o.) unterscheidet die hessische SV-Verordnung zwischen Mitwirkung, Beteiligung und Mitbestimmung der Schüler. Dazu die entsprechenden Beispiele:
„§ 9 (1) Die Schülervertretung hat den Auftrag, nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen an der Arbeit der Schule mitzuwirken.... § 11 (1) Die Schülervertretung ist in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Schüler berühren, zu beteiligen." Die Mitbestimmung betrifft vor allem die StufenVertretung II:
„§ 11 (4) 1. Erarbeitung, Änderung oder Aufhebung der ergänzenden Schulordnung, 2. einheitliche Durchführung von Rechts-und Verwaltungsvorschriften, 3. Angleichung und Vereinheitlichung der Maßstäbe bei Notengebung und Versetzung, 4. Aufstellung von Richtlinien über Art und Umfang der Schulaufgaben, 5. Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen der Schule. Widerspricht die Stufenvertretung II einem Beschluß der Gesamtkonferenz in vorbezeichneten Angelegenheiten, so ist ein Verfahren nach § 15 Abs. 2 einzuleiten. (5) In Fachkonferenzen steht der Stufenvertretung II ein Mitwirkungsrecht zu."
Am einschneidendsten gegenüber der seitherigen SMV-Struktur ist die Einrichtung und Funktion der „Ausschüsse für Zusammenarbeit" und der „Vermittlungsausschüsse": „§ 14 (2) Die Ausschüsse für Zusammenarbeit haben die Aufgabe, Beschlüsse der Lehrerkonferenzen und der Schülervertretung, die die Interessen von Lehrern und Schülern gemeinsam berühren, vorzubereiten. Die Ausschüsse haben das Recht, Empfehlungen auszusprechen, über die in den Lehrerkonferenzen und in dem Schülerrat beraten werden muß." „§ 15 (2) Die Stufenvertretung II hat den Vermittlungsausschuß anzurufen, wenn sie einen Konferenzbeschluß in Angelegenheiten nach § 11 Abs. 4 nicht billigt. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses muß innerhalb einer Woche nach Mitteilung des Konferenzbeschlusses erfolgen: die Anrufung hat aufschiebende Wirkung. Der Vermittlungsausschuß soll innerhalb von zehn Unterrichtstagen nach Anhörung der Stufenvertretung II einen Vermittlungsvorschlag erarbeiten und diesen der Gesamtkonferenz und der Stufenvertretung II zuleiten. Die Gesamtkonferenz und die Stufen-vertretung II beraten den Vermittlungsvorschlag und beschließen erneut. Wird der Vermittlungsvorschlag von der Gesamtkonferenz oder von der Stufenvertretung II mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt, wird er nicht wirksam. Im anderen Fall gilt er als angenommen. Die Gesamtkonferenz oder die Stufenvertretung II kann im Falle der Ablehnung die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde herbeiführen. In dringenden Fällen, insbesondere wenn eine ernsthafte Gefahr für Sicherheit, Unterricht oder Erziehung besteht, kann der Schulleiter den vorläufigen Vollzug einer Maßnahme anordnen."
Diese Ausschüsse sind Organe der Mitbestimmung mit weitreichenden Vollmachten. Sie führen im Normalfall zu einer Vielzahl, meist in der Unterrichtszeit stattfindenden Konferenzen. Signifikante Erfahrungen liegen noch nicht vor.
Alle Bestimmungen der Verordnungen sind vor dem Hintergrund eines konflikttheoretischen Schulmodells zu verstehen und gleichen einer Institutionalisierung der permanenten Auseinandersetzung zwischen Schülern und Schule angesichts ihrer unterschiedlichen Interessenlagen. Dadurch wird die erwähnte Politisierung wie in keinem anderen Bundesland prinzipiell verankert. Dies zeigt sich des weiteren an der Stellung der SV. Sie erhält das Recht zu Presseerklärungen: „§ 8: Die Vertretung der Interessen der Schüler in schulischen Angelegenheiten gegenüber der Öffentlichkeit schließt das Recht zur Abgabe von Erklärungen und von Presseveröffentlichungen ein. Derartige Erklärungen dürfen nur abgegeben werden, wenn ein Beschluß der zuständigen Schülervertretung vorliegt, und sollen vorher im Vermittlungsausschuß erörtert werden." „Der Schülervertretung soll die Benutzung der Schulverwaltungseinrichtungen gestattet werden" (§ 12 [4]). Ferner ist in diesem Zusammenhang die generelle Zulassung von Schülervereinigungen mit mindestens zehn Mitgliedern an einer Schule zu vermerken. Solche Vereinbarungen sind nach der Intention der hessischen SV-Verordnung vor allem als politische Vereinigung zu verstehen, z. B. als Jugendorganisationen politischer Parteien. Ihnen ist gestattet „ 1. Teilnahme an den Wahlen der Schülervertretung, 2. Beteiligung an den Veranstaltungen der Schülervertretung". Das Bemühen um Sitz und Stimme in der SV kann sich demnach in Zukunft auch in Gestalt eines den politischen Parteien nachgeahmten Wahlkampfes vollziehen.
Bei der Gesamtbeurteilung der durch die neuen Erlasse zur SMV/SV zweifellos überall erzielten Fortschritte muß man von dem terminus a quo der einzelnen Bundesländer sowie der dortigen politischen Mehrheitsverhältnisse ausgehen. Linksgerichtete Regierungen neigen eher dazu, die politischen Momente in allen gesellschaftlichen Bereichen — auch in der Schule — durchzusetzen, ander Regierungen ziehen ein vorsichtiges Taktieren vor und berufen sich stärker auf pädagogische Vorbehalte. Eine zusammenfassende Würdigung kann, unter Berücksichtigung der im ersten Teil dieser Arbeit gemachten theoretischen Ausführungen über die anläßlich der jugendlichen Protest-bewegung artikulierten Gedanken zum gesellschaftlichen Selbstverständnis der Schüler, folgende Trends und Veränderungen im Hinblick auf die S(M) V feststellen: Es wird allgemein zugestanden, daß Schüler in der Schule ihre eigenen Interessen verfolgen — dies hat sich inzwischen in der stärkeren Jugend-und Gesellschaftsbezogenheit moderner Lehrpläne niedergeschlagen —, die, da sie häufig den Intentionen der von den Erwachsenen gesetzten und teilweise obsoleten Ziele der Schule zuwiderlaufen, zu Konflikten mit der Institution und ihren Repräsentanten führen. Allerdings werden die Interessengegensätze und Konflikte noch zu sehr als zu eliminierende Störfaktoren, nicht als systemkonform betrachtet. Infolgedessen wird eine durchgehende Demokratisierung und damit Politisierung, mit Ausnahme von Hessen, zugunsten einer Harmonisierung und Kanalisierung der Gegensätze abgelehnt. Selbst der ältere Schüler wird mehr als ein ens educandum denn als ein homo politicus et oeconomicus et sociologicus angesehen, der Erziehungsauftrag der Schule wird weniger auf die Gesellschaft als vielmehr auf ein unpolitisches Erziehungsziel bezogen. Man ist in erster Linie am reibungslosen Ablauf des Betriebs interessiert. Dagegen müßte die Korrelation von Pädagogik und Politik stärker anerkannt werden. Andernfalls gerät die Schule in Gefahr, eine marginale Rolle in unserer Gesellschaft einzunehmen. Dies zeigt sich u. a. an der Furcht der Erlasse, Mitbestimmung anstelle bloßer Mitarbeit und MitWirkung zuzulassen. Immerhin haben in den meisten Bundesländern die S(M) V-Vertreter ein Anhörungs-und Vortragsrecht, z. T. ein Konsultativrecht bis hin zur Schulaufsichtsbehörde. Am besten scheint sich die Mitbeteiligung im Binnenbereich der Klasse (Gruppe) durchgesetzt zu haben. Stoffauswahl und Unterrichtsmethode werden weitgehend von den Schülern mitbestimmt.
Der Begriff der Schülervertretung ist, wenn auch noch nicht überall in der gewünschten Akzentuierung, in die Erlasse eingedrungen. Die Konsequenz aus dem Vertretungsbegriff besteht in der (politischen) Repräsentation der Vertretungsorgane. Diese Folgerung kann man einmal als Vertretung der Schüler gegenüber Schule und Öffentlichkeit verstehen, zum anderen als politisches Mandat. Letzteres ist strittig, zumal ein solches Mandat für die Allgemeinen Studentenausschüsse richterlich negiert wurde und die Erlasse die Aufgaben der SMV/SV vorwiegend auf die Angelegenheiten der einzelnen Schule beschränken. Etwas anderes ist die politische Aktivität im Rahmen der politischen Bildung. Ein Mandat würde die politische bzw. syndikalistische Organisierung der Schülerschaft voraussetzen.
Das bei den Schülern weit verbreitete Gefühl, einer repressiven Schulhierarchie und -bürokratie ausgeliefert zu sein, wird durch die Teilnahme der Schülervertreter an Konferenzen, durch Anhör-und Antragsrechte, durch Errichtung von (meist paritätisch besetzten) Beschwerde-und Vermittlungsausschüssen sowie durch die Pflicht zur vollen Information abzubauen versucht. Die Verbesserung des Informationsniveaus ist eine wesentliche Voraussetzung für Demokratisierung. Die Transparenz und Öffentlichkeit der Entscheidungsvorgänge und die Kooperation zwischen Lehrern, Schülern und Eltern ist sicher größer geworden. Allerdings gewährt nur Schleswig-Holstein das Stimmrecht dem Schulsprecher und seinem Stellvertreter in der Gesamtkonferenz (Nordrhein-Westfalen fakultativ), in Hessen wird es über den Vermittlungsausschuß geltend gemacht. Das Wahlrecht stellt gerade für ältere Schüler eine wichtige Form der Mitbestimmung dar. Dennoch besteht durchweg eine Diskrepanz zwischen verbaler Teilnahme der Schüler an Entscheidungsprozessen (Konferenzen usw.) und Mitbestimmung, nicht zuletzt wegen ihrer zahlenmässigen Unterrepräsentanz. Selbst die als fortschrittlich anzusehenden Schlichtungsausschüsse verfügen über keine Sanktionsgewalt. Bei persönlichen Konflikten ist es den Betroffenen überlassen, sich einem solchen Ausschuß zu stellen oder nicht.
Eine Weiterentwicklung der SV wird sich in Richtung der aufgezeigten Trends bewegen müssen. Um einiges, was in den Erlassen vorgesehen ist, operationalisierbar zu machen, bedarf es flankierender Maßnahmen in Gestalt einer effektiven politischen Bildung.
2. Die Schülerpresse als Instrument der politischen Selbstbefreiung
Eine ähnliche emanzipatorische Funktion wie die SV erfüllt die Schülerpresse Leider geht die Anzahl der selbständigen Publikationsorgane infolge der Kostensteigerung zurück. Um so notwendiger ist die Herausarbeitung ihrer Bedeutung und Rolle für die Selbst-befreiung der Schüler.
Presse schlechthin hat pragmatisch-politischen Charakter. Sie ist seit ihrem Bestehen ein Instrument in der Hand ihrer Besitzer zur Verbreitung von gesellschaftsverändernden oder -konservierenden Meinungen und Ansichten. So kann sie benutzt werden als ein Vehikel des Fortschritts oder der Bewahrung des Status quo, der sachlichen Information und Wahrheit oder der Verschleierung tatsächlicher Verhältnisse. In dem einen wie -in dem anderen Fall, in ihrer progressiven oder restaurativen Funktion, stellt die Presse das bedeutendste, die öffentliche Meinung bestimmende Politikum dar. Bekannt sind die Richtungskämpfe zwischen den verschiedenen Presseorganen in unserem Land, das Ringen um Marktanteile und das Bemühen um Einfluß. In einer liberalen Demokratie sollte es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den unterschiedlich orientierten Presseorganen geben, um einer einseitigen Manipulierung und der Gefahr der Indoktrinierung der Leser vorzubeugen. Dies hängt, solange es keine entsprechenden Gesetze gibt, von den ökonomischen Potenzen der Presseunternehmen ab. Die Situation in der BRD ist durch eine starke Konzentration im Pressewesen gekennzeichnet. Für ca. 1230 Tageszeitungen gibt es ca. 120 Hauptredaktionen. Als die von der Günther-Kommission ermittelte Toleranzgrenze der Pressekonzentration von etwa 40 v. H. Marktanteil durch den Springer-Konzern sowie dessen zahlenmäßiges Monopol über die Tagespresse in der Stadt Berlin erreicht war, erfolgten die Demonstrationen der Studenten und Schüler im Sommer 1968 gegen diese publizistische Machtposition. Im Gegensatz zu Funk und Fernsehen, als paritätisch vom Staat und den gesellschaftlichen Großgruppen besetzten Anstalten des Öffentlichen Rechts, unterliegt das einzelne Presseorgan oder -unternehmen keiner gesellschaftlichen Kontrolle. Der Verleger einer Zeitung kann im Rahmen der geltenden Gesetze seine Auffassungen zu Fragen der Zeit ungehindert verbreiten lassen.
Aus diesen knappen Hinweisen ergeben sich einige grundlegende Aspekte für die Beurteilung von Presseerzeugnissen. Danach ist eine Zeitung im allgemeinen ein Instrument zur öffentlich-politischen Meinungsbildung. Selbst die sich als überparteilich bezeichnenden Blätter vertreten einen bestimmten Standpunkt oder wirken durch ihre dezidiert unpolitische Haltung im negativen Sinne politisch. Jede Zeitung wird bestimmten geistigen Strömungen einen Vorrang einräumen, also subjektiv-selektiv und somit politisch sein, sofern sie die gesellschaftlichen Verhältnisse anspricht. Ferner ist die Zeitung eine politische Macht schlechthin. Die Politiker verfolgen sorgfältig, was die Zeitung bringt und was sie verB schweigt. Eine gelenkte Pressekampagne kann den Lauf der Dinge erheblich beeinflussen. Es braucht hier nur an Napoleons Angst vor Görres'„Rheinischem Merkur", an die Auswirkungen der „Spiegel" -Affäre (1962), an die Veröffentlichung der Pentagon-Papers oder Unterlagen zur Ostpolitik der Bundesregierung erinnert zu werden. Die Presse hat eine entscheidende Rolle in den politischen Machtkämpfen der letzten zwei Jahrhunderte gespielt. Entweder wurde sie als Herrschaftsinstrument der neuen Herren monopolistisch indoktrinierend, den neuen Kurs rechtfertigend eingesetzt, oder die Presse kämpfte selbst für eine politische Idee. In allen Ländern waren es nicht zuletzt Presseleute und Schriftsteller, die den Kampf um die politischen und persönlichen Freiheiten ihrer Völker führten. Stellvertretend seien Carl von Ossietzky und Solschenizyn genannt.
Die Grundtendenz der westlichen Presse, so kann man etwas vereinfachend sagen, ist seit der Französischen Revolution emanzipatorisch. Das Maß an persönlicher Freiheit kann in den westlichen Ländern an dem jeweiligen Stand der Pressefreiheit abgelesen werden. Immer wieder mußte die Presse gegen staatliche Bevormundung und Verbote angehen. Erst nach einem veränderten öffentlichen Bewußtsein änderte sich auch die Einstellung der Herrschenden gegenüber der Presse. Heute besteht weniger die Gefahr politischer Einschränkung der Pressefreiheit als diejenige ihrer Entmachtung durch ökonomische Manipulationen.
An Hauptkriterien für die Charakterisierung der Presse wurden aufgeführt: politische Wirksamkeit, Öffentlichkeit, Einfluß, Freiheit. Will man Beurteilungsmaßstäbe für die Schülerpresse als Teil der Jugendpresse gewinnen, muß man auf die für die Tagespresse konstitutiven Kriterien rekurrieren; denn seitdem sich das Bewußtsein von der Schule als einem öffentlichen Raum mehr und mehr durchsetzt, wird schulisches Handeln als ein die Öffentlichkeit mitbestimmendes Tun betrachtet. „Erziehung ist eine Funktion der Gesellschaft", hat bereits Dilthey gesagt. Dies kann heute nur im Sinne einer Integrierung der Schule in die Gesellschaft verstanden werden. Danach vollzieht sich die schulische Erziehung nicht nach einem idealtypischen pädagogischen Modell, sondern sie partizipiert an der vollen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dies hat auch die Erziehungswissenschaft durch ihre „realistische Wende" (H. Roth) anerkannt, und von hier aus ist politische Bildung als ein Bemühen um die Konfrontation und kritische Sozialisation des Jugendlichen mit/in Gesellschaft und Staat zu sehen. Die erzieherische Rolle der Schule muß sich im Einklang mit den gesellschaftlichen Ansprüchen befinden und gleichzeitig zu deren Kritik und Veränderung beitragen. Der von der Erziehungswissenschaft im einzelnen herausgearbeitete und von der Schulrechtskunde bestätigte Auftrag der Schule, die Gewährleistung von Unterricht und Erziehung, erfährt seine Inhalte von den Normen und Werthaltungen der Gesellschaft, wie sie insbesondere ihren Niederschlag im Grund-und Menschenrechtskatalog des Grundgesetzes sowie in den grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu wesentlichen Rechtsfragen gefunden haben. Der Katalog der Grundfreiheiten des Menschen fordert deren fast uneingeschränkte Gültigkeit für den Jugendlichen und die Pressegesetze der Bundesländer garantieren dem jugendlichen Redakteur die Freiheitsrechte für den besonderen Fall. Somit ist die Schülerpresse auch rechtlich voll abgesichert; ihr stehen die gleichen Rechte und Pflichten zu wie einem von Erwachsenen herausgegebenen Presseerzeugnis. Damit ist Ernst gemacht mit dem unabhängigen Charakter der Schülerpresse, und die Schule darf aus vermeintlich pädagogischen Gründen von sich aus keine Grundrechte einschränken bzw. über bestehende Gesetze hinwegsehen.
Politische Bildung, die ihren Auftrag, den jungen Menschen zum emanzipierten, kritischen, mündigen Bürger zu erziehen, ernst meint, darf die Schülerpresse nicht als bloßen Übungsraum betrachten (vielleicht mit Einschränkungen an Volks-und Realschulen, wo die Schülerzeitschrift häufig ein vom Lehrer betreutes sozialkundliches Praktikum darstellt). Sie darf eine Schülerzeitschrift nicht in ihren Dienst nehmen wollen, sondern muß dafür sorgen, daß sich kritisches Bewußtsein in ihr manifestiert. Dazu muß sie ihr Instrumentarium bereitstellen, das eine politische, soziologische, historische, geographische, rechtliche, ökonomische usw. Analyse vergebener Probleme erlaubt. Der politischen Bildung geht es nicht um die affirmative Tradierung irgendwelcher Werte, dagegen um die Öffnung eines von Freiheit und Toleranz geprägten geistigen Raumes, dessen Grundeinstellung durch sachliche Nüchternheit, gedankliche Offenheit und kritische Rationalität bestimmt wird. Durch die Schülerzeitschrift wird die kritische Öffentlichkeit innerhalb der Schule hergestellt.
Die Schülerpresse erweist sich in doppelter Hinsicht als ein Gegenstand der politischen Bildung als Objekt des Unterrichts (Arbeitsgrundlage für die Auseinandersetzung mit den Problemen Jugendlicher) und als sub-jektiv bezogenes, den Unterricht und die Erziehung beeinflussendes Instrument zur Darstellung und Verbreitung politisch-gesellschaftlicher Ideen der Jugendlichen. Die erste Weise liegt mehr im Interessenbereich Politischer Pädagogik, die zweite in der Absicht der Jugendlichen selbst. Beide Aspekte erweisen die Schülerpresse als ein hervorragendes Instrument politischer Bildung, wobei die aktiv-initiativen Momente der Jugendlichen gegenüber den pädagogisch-instrumentellen der Erzieher vorrangig geworden sind. Die Schüler-zeitschriften, häufig von Erwachsenen (mit-) gegründet, sind inzwischen aus den Händen der Lehrer, die sie als funktionale Instrumente zur Förderung verbal-kognitiver politischer Bildung benutzten, in die Regie der Jugendlichen als Instrumente aktionistischer Artikulation eigener Interessen übergegangen. Damit sind sie zu Mitteln politischer Selbstbildung und politischer Aktion der Schüler geworden.
Die folgenden Ausführungen gehen den politisch-sozialen Bestrebungen in der Schüler-presse nach, ohne eine strenge Inhaltsanalyse vornehmen zu wollen. Bei über 1000 Schüler-zeitschriften in der BRD, die meisten an Gymnasien mit ständig wechselnden Redaktionen, kann man nur Trends herausarbeiten und Tendenzen feststellen, hinter denen sich bestimmte Einstellungen und Haltungen verbergen überblickt man die Entwicklung der Schüler-presse in der letzten Zeit, so ist seit etwa fünf Jahren ein zunehmendes gesellschaftspolitisches Engagement zu bemerken. Vorher haben sie sich in theoretischer Form zwar mit Politik befaßt, aber mehr im Sinne der Überwindung des in unserem Lande gestörten Verhältnisses von „Geist und Politik" (C. Schmid). Man dachte jedoch nicht daran, daß mit diesen Stilübungen einmal Ernst gemacht werden könnte. Das Interesse jener Zeitschriften richtete sich vornehmlich auf schulische bzw. Schülerprobleme, im Rahmen der Fächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde, der Photo-AG, den Klassenfahrten, den Theater-und Musikabenden usw. Diese konservative Auffassung von der Aufgabe der Schüler-presse zeigt sich in der Äußerung eines Schülerredakteurs: „Die Schülerzeitung soll ihre Leser über das Schulgeschehen unterrichten. Dadurch wird das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schüler untereinander und zwischen Schülern und Lehrern gefestigt und somit das Verhältnis zwischen ihnen gebessert. Außerdem werden die Verbindungen zu den Ehemaligen und zu den Eltern aufrechterhalten. Die Zeitung wird also — bildlich gesehen — zu einer Tangente, die mehrere isoliert voneinander stehende Kreise zu einem Ganzen vereinigt." Die Schülerzeitschriften wurden in erster Linie als pädagogische Instrumente betrachtet, jedoch kämpften progressive Zeitschriften seit Jahren um die Gewährung der Presse-und Meinungsfreiheit, unterstützt von Schulrechtlern wie Perschei und Heckel Wie sich aus den unten zitierten Erlassen einiger Bundesländer ergibt, ist diese Frage keineswegs eindeutig entschieden. Leuschner tritt für eine abgestufte Freiheit ein, die dem Schulleiter ein Interventionsrecht zugestehen möchte. Dieser Auffassung schließen sich viele Erlasse über die Schülerzeitschriften an.
Ganz anders als vorstehend geschildert stellt sich die Situation in den letzten fünf Jahren dar. Es hat eine Politisierung der Schüler analog der Politisierung der Studenten stattgefunden, und oft sind Vertreter der Neuen Linken in die Redaktionen eingetreten. Diese Tatsache ist an einer veränderten, nämlich bewußteren und kritischeren Einstellung gegenüber der Schule — die in unserer pluralen Gesellschaft im Hinblick auf ihren Auftrag verunsichert ist — zu registrieren und manifestiert sich in der Schülerpresse, die von nun an gesellschaftspolitische Probleme quantitativ wie qualitativ vorrangig behandelt. Nicht mehr relativ geringfügige Mißstände in der einzelnen Schule sind Gegenstand der Artikel, sondern die Schule als Institution und mit ihr die Gesellschaft, die für den Zustand der Schulen und für die politische Wirklichkeit insgesamt verantwortlich gemacht wird. Die Konflikte werden offen dargelegt. Die Anklagen beschränken sich nicht mehr auf theoretische Darlegungen, sondern erhalten Kampfcharakter. Sie sind auf Veränderung des Bewußtseins und auf direkte Aktion gerichtet. Mittelständische, nach Meinung der Schüler veraltete Auffassungen werden kritisiert, die Lage der Jugendlichen in der heutigen, teilweise repressiven Gesellschaft wird schonungslos offen-gelegt, die Transparenz schulischer und öffentlicher Entscheidungen wird gefordert, die Interessen der Jugendlichen werden vertreten.
All dies ist nur als ein politischer Vorgang zu verstehen, was sich besonders an den dadurch provozierten Konflikten mit den etablierten gesellschaftlichen Kräften zeigt. So enthüllt die Schülerzeitschrift das bis vor wenigen Jahren als scheinbar konfliktfrei dargestellte Verhältnis zwischen Schule und Schüler, Schüler und Gesellschaft und trägt zur Politisierung der Schülerschaft entscheidend bei.
Dazu ein Beispiel: Fragebogen über das Sexualverhalten von Mädchen an einer Schule sind von den Autoren nicht als biologische oder religiös-ethische statistische Erhebungen gedacht und von bloß theoretischer Bedeutung; ihre Analyse will Tabus brechen und zu einer bestimmten Lebensführung anregen. Man hofft dadurch, die vermeintlich verlogene Sexualmoral der Erwachsenen als ein gesellschaftliches Fehlverhalten zu decouvrieren, die Lust als einen Wert zu postulieren und mit Hilfe der Freudschen Terminologie den Frustrations-Aggressions-Mechanismus als Folge von Triebunterdrückung aufzudecken. Solche Ereignisse haben die Entrüstung der Offent21 lichkeit hervorgerufen. Daran erweist sich das Ernstnehmen der Schülerzeitschrift als eines jugendsoziologischen Phänomens.
Es soll hier kein Werturteil über die ernst zu nehmenden Bemühungen der Jugendlichen, ganz gleich auf welchem Gebiet, gefällt werden. Der häufig zu beobachtende Mangel an Pragmatik entspricht einem Fehlen von Erfahrung und drückt sich aus in Nonkonformismus und in einer rigoristischen Ethik des Entweder-Oder. Allgemein läßt sich sagen, daß die tradierten Werte sowie alles, was für die Politik unseres Landes mehr oder weniger als selbstverständlich galt, scharfer Kritik unterworfen werden. Das Engagement der Jugendlichen hat sich in Gestalt von Informationen und kritischen Kommentaren vor allem entzündet an Erscheinungen wie Vietnam, Biafra, der Notstandsgesetzgebung, des Wehrdienstes und seiner Verweigerung, der Ostverträge, der Sexualität, der Bildungs-und Gesellschaftspolitik, den Fragen des Marxismus-Kommunismus und des Sozialismus, der Neuen Linken und der APO, der NPD, der Pressefreiheit, der Gegenwartsliteratur u. a.
Solche und andere Probleme werden in engagierten, auf Veränderung drängenden Stellungnahmen abgehandelt. Eine breite Solidarisierung unter den Jugendlichen ist festzustellen. Die in den Schülerzeitschriften weithin zu beobachtende verbale Radikalisierung versucht man in vielen Bundesländern durch Erlasse abzubremsen (s. u). Es läßt sich nicht leugnen, daß erst seit den politischen Kampagnen in der Schülerpresse und anderen demonstrativen Unmutbezeugungen in der Schule einiges in Bewegung gekommen ist.
Aus der Schülermitverantwortung (SMV) wurde in manchen Bundesländern eine Schülervertretung (SV); die Schul(Verwaltungs) gesetze und Schulordnungen, vor allem die SMV-Erlasse, wurden in diesen letzten fünf Jahren (besonders 1968) in den meisten Bundesländern zugunsten einer stärkeren Demokratisierung der Schule geändert (s. o.). Insgesamt kann man sagen, daß überall der Anfang gemacht wurde, amtliche Autoritätsstrukturen zugunsten von funktionalen abzubauen und eine stärkere qualifizierte Beteiligung der Schüler an den sie betreffenden Angelegenheiten vorzunehmen. All dies wäre ohne eine engagierte Pressearbeit nicht möglich gewesen. Damit hat sich die Schülerpresse, das Sprachrohr einer fortschrittlichen, häufig sich der Neuen Linken verbunden fühlenden Schülerschaft, als ein Politikum ersten Ranges erwiesen. Daran ist erkennbar, daß es sich bei den Schülerzeitschriften um gesellschaftsmitbestimmende Organe handelt. Noch vor wenigen Jahren fiel es schwer, die Schülerzeitschriften den Schülern gegenüber als etwas sie Betreffendes anzupreisen. Viele Zeitschriften hatten Absatzschwierigkeiten, weil sie in der Sicht der Schüler unbedeutend waren. Heute braucht die Schülerpresse um ein Echo aus dem schulischen und außerschulischen Raum nicht besorgt zu sein, sofern sie das Denken der Jugendlichen repräsentiert. Damit trägt sie zur geistig-politischen Emanzipation der Jugendlichen erheblich bei.
Die Wahrnehmung der emanzipatorischen Funktion durch die Schülerzeitschrift bringt diese in Konflikt mit den Erwachsenen. Einzelne Artikel werden amtlich und/oder privat inkriminiert bis hin zum behördlichen Verbot einer Zeitschrift oder bis zur Drohung mit dem Staatsanwalt. Die neue Situation besteht vielerorts darin, daß die jugendlichen Redakteure sich nicht mehr bereitwillig in das hierarchische Gefüge der Schule einordnen wollen, weil sie meinen, daß dies einer demokratischen Gesellschaft, in der der Jugendliche keine Persönlichkeit minderen Rechts sein soll, nicht entspricht. Freilich gibt es spürbare Unterschiede, ebenso muß darauf verwiesen werden, daß an den Schulen ein Generationsproblem besteht und daß sie die unterste Stufe in einer obrigkeitlich organisierten Behörden-struktur darstellen, d. h. die Schulen sind infolge ihrer Abhängigkeit an Weisungen gebunden, besitzen keine Autonomie und richten sich selbst nach dem behördlichen Organisationsmodell, in dem die Schulen fast keine Mitsprache oder -entscheidung genießen und das Prinzip des demokratischen Minimalismus praktiziert wird. Die einzelne Schule ist demnach häufig nichts als ein Abbild der bürokratischen Verwaltung der nächsthöheren Stufe. Daraus erklärt sich das gebrochene Verhältnis zu nicht in dieses Konzept passenden Einrichtungen wie der Schülerzeitschrift. Ihr soll plötzlich ein Freiheitsraum zugestanden werden, über den die Schule selbst nicht verfügt.
In Wirklichkeit ist die Schülerzeitschrift ein Instrument zur Schulreform. Es werden in ihr die Wünsche und Forderungen der Betroffenen artikuliert. Zum ersten Mal in der Schulgeschichte ist damit denen, für die alles veranstaltet wird, Gelegenheit geboten, ihre Gedanken mit der Möglichkeit, beachtet zu werden, zu formulieren. Der Schüler ist nicht zuletzt mit der Hilfe seiner Presseorgane vom Objekt zum Subjekt im Erziehungsprozeß geworden. Die ihn angehenden Veranstaltungen und schulischen Strukturen werden nicht mehr allein fremdbestimmt, sondern sind durch ihn beeinflußbar geworden.
Die entscheidende Frage für die Schule ist dabei die der erzieherischen Verantwortung. Für die die Funktion der Schule definierenden Komponenten, Unterricht und Erziehung, benötigt man den professionellen Unterrichts-fachmann und Erzieher. Der Streit um die Inhalte seiner Aufgabe ist nicht entschieden. Unterricht wird zunehmend als Organisieren von Lernprozessen mit dem Lehrer als Berater verstanden, und für das Erziehungsziel gibt es in einer pluriformen Gesellschaft keine eindeutigen Aussagen. Der Grundrechtskatalog der Länderverfassungen und des Grundgesetzes geben Hinweise, mehr nicht. Aus dieser offenen Situation entsteht eine Unsicherheit für die Schulen und ihr erzieherisches und fachliches Verhalten. Das Schulrecht kann nur den organisatorischen Rahmen abstecken. Vor diesem Hintergrund einer in sich unsicheren Schule in einer Gesellschaft ohne festes
Normensystem zeichnen sich Wagnis, Risiko und Verantwortung der Schülerpresse und ihrer Mitarbeiter ab. Sie haben nicht ein bestehendes politisch-gesellschaftliches System zeitgemäß zu interpretieren, sondern stoßen vielfach auf ein Vakuum bzw. auf ein System, das ihnen nicht mehr vertretenswert erscheint. Dabei bedienen sie sich häufig einer aggressiven Sprache — wie sie es aus der engagierten Literatur eines Brecht, Böll, Enzensberger u. a. gelernt haben und wie es Karl Kraus vor Jahrzehnten vorgemacht hat —, die die Adressaten schockiert. Zugrunde liegt die Erkenntnis, daß Sprache politisch wirkt, indem sie gesellschaftliche Verhältnisse benennt. Erzieherische Einsicht und persönliches Betroffensein polarisieren sich beim Erwachsenen. Er steht im Zwiespalt, ob er eine Äußerung wörtlich nehmen und den Schreiber zur Verantwortung ziehen oder ob er manches als einen verbalen Fauxpas eines noch im Reifeprozeß befindlichen jungen Menschen werten soll. Fest steht, daß die die Pressefreiheit in Anspruch nehmenden Schüler die volle Verantwortung tragen müssen, bis zu einer richterlichen Auseinandersetzung. Der Schüler, der den politischen Kampf bejaht und an ihm aktiv teilnimmt, genießt nicht mehr Schutz, als die Gesetze jedem Bürger zubilligen. Ein Schüler von über 18 Jahren, der den Papst als einen senilen Eunuchen und inkompetent in Sachen Sex bezeichnet, auch wenn er dieses Verdikt sinngemäß oder wörtlich aus einem Magazin oder einer Boulevardzeitung übernommen hat, trägt die zivil-und strafrechtliche Verantwortung für seine Aussage.
Erziehung und Politik stehen in einem korrelativen Verhältnis zueinander. Schon bei Plato gehören paideia und politeia zusammen. Jedoch ist, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ihr tatsächliches Aufeinanderbezogensein ungeklärt. Zwar sind Bildung und Erziehung heute zu einer politischen Größe geworden, und man spricht von der „Bildungskatastrophe" (Picht) und dem „Bürgerrecht auf Bildung“ (Dahrendorf), von der Bildung als Investition (Edding), von den sozialen Barrieren der Erziehung (Bernstein, Oevermann), aber die Politische Pädagogik, als Zusammenfassung beider, spielt an den Universitäten, im Gegensatz zu den Pädagogischen Hochschulen und Studienseminaren, kaum eine Rolle. Dies wirkt sich darin aus, daß an den Höheren Schulen (mit den meisten Schülerzeitschriften in der BRD) die Politik nicht genügend in das gesamterzieherische Tun integriert ist. In diesen Zwiespalt von Pädagogik und Politik gerät die Schülerzeitschrift hinein, sofern sie sich politisch versteht. Sie muß sich jedoch politisch verstehen, will sie nicht ihre Funktion in unserer Zeit einbüßen, Sprachrohr einer kritischen Jugend zu sein. Indem sie aber wirklidi politisch ist, gerät sie notwendigerweise in Widerspruch zu der bei uns unpolitisch verstandenen Pädagogik. Diese ist infolgedessen nicht emanzipativ, wie sie eigentlich sein sollte, sondern dient der Erhaltung von Autoritätsstrukturen und Herrschaftspositionen. Die sie vertretenden Institutionen, Schulen und Behörden, reagieren demgemäß restriktiv gegenüber freiheitlichen Regungen. Eine kritische Prüfung einiger Erlasse über Schülerzeitschriften aus den letzten Jahren soll diese Aussage belegen.
Am weitesten geht der hessische Erlaß über „Schülerzeitungen und Schulzeitungen,, vom 13. August 1964. Er überträgt die volle Verantwortung auf die Schüler: „Die verfassungsrechtlich gesicherten Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit stehen auch den Schülern und den Schülerzeitungen zu. Sie finden ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen. Eine Zensur der Schülerzeitungen findet nicht statt; ihre Herausgabe unterliegt nicht der Genehmigung des Schulleiters oder der Schulaufsichtsbehörde. Die presserechtliche Verantwortung für Inhalt und Form der Schülerzeitung tragen ausschließlich und allein die Herausgeber und Redakteure".
Damit ist der Schule jede Einflußnahme auf die Schülerzeitschrift verwehrt. Ein Lehrer kann als Berater gewählt werden, hat aber kein Stimmrecht. Ebenso bedarf der Vertrieb der Schülerzeitschrift auf dem Schulgelände keiner Genehmigung der Schulleitung. Nur wenn der Schulleiter der Auffassung ist, der Inhalt einer Schülerzeitschrift sei geeignet, „den Schulfrieden zu stören und den Eniehungsauftrag der Schule zu gefährden“, kann er seine Bedenken nach Aussprache mit der Konferenz und dem Schulelternbeirat der Schulaufsichtsbehörde vortragen. Diese entscheidet nach Anhörung der Schülerredaktion über die zu ergreifenden Maßnahmen. Daß ein solches Verfahren völlig unpraktikabel ist, braucht nicht begründet zu werden. Dort, wo es eingeleitet wurde, war der Schülerzeitschrift ein Verkaufserfolg sicher, die letzten Exemplare wurden zu hohen Preisen schwarz gehandelt.
An dieser Erlaßlage wird die Problematik von Pädagogik und Recht am Beispiel der Schüler-zeitschrift deutlich. Andere Bundesländer haben daher einen mittleren Weg zwischen totaler Freiheit und schulisch-pädagogischer Bindung einzuschlagen versucht. Der nordrhein-westfälische Erlaß über die Schülerzeitung vom 27. März 1968 erkennt die Grundrechte voll an: „Die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und Pressefreiheit stehen den Schülern zu. Sie finden ihre Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Die Herausgabe einer Schülerzeitung unterliegt nicht der Genehmigung durch den Schulleiter oder die Schulaufsichtsbehörde. Eine Zensur findet nicht statt." Dennoch wird es für notwendig gehalten, der Schülerzeitung einen beratenden Lehrer beizugeben. „Hat die Redaktion Zweifel, ob ein Beitrag die Grenzen der Pressefreiheit überschreitet oder die Erfüllung vonErzie hungs-und Unterrichtsaufgaben der Schule beeinträchtigt, muß sie diesen vor Drucklegung dem beratenden Lehrer zur Kenntnis bringen". Kommt keine Einigung zustande wird ein aus dem Vorsitzenden der Schul Pflegschaft, dem Schulleiter und dem Schul sprecher bestehender Schlichtungsausschuß angerufen. „Auch wenn keine Einigung zustande kommt, steht der Redaktion die Veröffentlichung frei. Für alle Veröffentlichungen in der Schülerzeitung tragen Herausgeber und Redaktion die Verantwortung in disziplinärer, presserechtlicher und zivilrechtlicher Hinsicht". Man fragt sich nach der Logik und schulrechtlichen Vertretbarkeit dieses Verfahrens. Insbesondere ist unklar, was eine disziplinäre Verantwortung ist. Einerseits muß ein Berater bestellt, ein Schlichtungsausschuß (mit dem zahlenmäßigen Übergewicht der Erwachsenen) eingerichtet werden, andererseits haben beide nichts zu sagen, abgesehen davon, daß sie erst auf Antrag der Schülerredakteure aktiv werden können. Dies ist ein Beispiel für die Scheinlösung eines pädagogischen und politischen Problems.
Bei allen Bedenken, die man gegen den hessischen und nordrhein-westfälischen Erlaß vorbringen kann, läßt sich nicht leugnen, daß sie mit den verfassungsmäßigen Rechten Ernst machen und die Jugendlichen nicht zu diskriminieren versuchen. Sie vertreten den oben postulierten Grundsatz, daß zur Voraussetzung einer Demokratisierung der Schule die vorbehaltlose Anerkennung von Gesetz und Recht gehört, die Schule als eine öffentliche Einrichtung keine Grundrechte von sich aus einschränken darf.
Auf einer ähnlichen, jedoch vorsichtigeren Linie liegen die Hamburger „Richtlinien für Schülerzeitungen" vom 24. 4. 1969. Danach gilt folgendes:
»Die Herausgeber sind verpflichtet, zwei Exemplare jeder Ausgabe spätestens zwei Tage vor Beginn des beabsichtigten Vertriebes dem Schulleiter zu übergeben. Der Schulleiter kann den Vertrieb einer Ausgabe auf dem Schulgrundstück untersagen, wenn ein Beitrag dieser Ausgabe gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt oder begründeten Anlaß zu der Annahme gibt, daß dadurch der Unterricht oder die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Schülern schwerwiegend gefährdet wird".
Um entsprechende Verstöße zu vermeiden, hat die Redaktion einen beratenden Lehrer zu wählen. Ferner soll die Schule einen Schlichtungsausschuß für Streitfälle bilden. „In ihm sind Lehrer, Schüler und Eltern bzw. Mitglieder des Schulbeirats in gleicher Anzahl vertreten", d. h., die Erwachsenen haben die Mehrheit. Beim Nichtzustandekommen einer Einigung entscheidet die Schulbehörde, unter Hinzuziehung einer Empfehlung des Unabhängigen Ausschusses für Schülerzeitungen.
Von der neueren, im Schulrecht sich durchsetzenden emanzipatorischen Position aus gesehen, machen die Ausführungen über die Schülerzeitschrift in der bayerischen „Entschließung über das Verhältnis Lehrer-Schüler-Eltern, über die SMV und über die Schüler-zeitungen an den Gymnasien" vom 6. September 1968 einen rechtlich anfechtbaren und pädagogisch anachronistischen Eindruck. Der Erlaß bestimmt: „Die Mitverantwortung und Mitwirkung der Schüler im Rahmen der Schülerzeitung stehen unter dem Vorbehalt des Erziehungsrechts der Erziehungsberechtigten und der Verantwortung von Lehrerrat und Direktor für Unterricht und Erziehung an der Schule. Alle Formen der Mitwirkung müssen im Einklang mit dem verfassungsgemäßen Auftrag der Schule stehen".
Hier ist, im Gegensatz zu dem hessischen und nordrhein-westfälischen Erlaß, nur die Rede von einer Mitverantwortung und Mitwirkung der Schüler. In erster Linie liegt die Verantwortung bei den Erwachsenen, was in Hessen und Nordrhein-Westfalen nur für die rechtsgeschäftliche Haftung der Erziehungsberechtigten zutrifft. Die Wahl eines beratenden Lehrers ist in Bayern obligatorisch wie in Nordrhein-Westfalen. Mögliche Konfliktfälle werden nach dem bayerischen Erlaß von vornherein durch folgende Regelung auszuschalten versucht: „Eine Schülerzeitung ist eine Einrichtung der einzelnen Schule." „Der Redaktionsstab ist dem Direktor dafür verantwortlich, daß diese Grenzen (Beachtung der Gesetze — W. M.) eingehalten werden und die Grundsätze einer fairen, ausgewogenen Berichterstattung in der Schülerzeitung gewahrt bleiben. Der Redaktionsstab muß sich auch seiner Verantwortung gegenüber den jüngern Schülern bewußt sein.
Sache des Direktors ist es, auf die Wahrung dieser Grundsätze zu achten. Befähigung zu freier Diskussion und objektiver Meinungsbildung setzt aber auch die Gewährung eines freien Spielraumes voraus und fordert einen Vorschuß an Vertrauen und Mut zum pädagogischen Experiment."
Diese Zitate können als Muster für eine obrigkeitlich regierte Schule gelten. Daran ändert der eine Scheinfreiheit gewährende letzte Satz nichts. Auf eine Interpretation der ins Auge fallenden autoritären Formulierungen kann verzichtet werden. Ebenso bedenklich sind die „Richtlinien für Schülerzeitungen und Schulzeitungen im Lande Bremen“ vom 16. Mai 1968. Hier ist die Herausgabe einer Schüler-zeitung zwar keine Schulveranstaltung und für sie gelten die Grundrechte der Meinungs-und Pressefreiheit, aber:
„Schülerzeitungen dürfen in jeder Schule von den Schülern der Schule verteilt oder vertrieben werden. Ein Exemplar jeder Zeitung ist vor der Verbreitung dem Schulleiter zur Kenntnisnahme zuzuleiten. Der Schulleiter kann im Einzelfall die Verbreitung in seiner Schule verbieten und die Zeitung einziehen, wenn er überzeugt ist, daß der Inhalt der Zeitung gesetzliche Bestimmungen verletzt oder den verfassungsmäßigen Erziehungsauftrag der Schule gefährdet."
Das Verbot darf zwar nur in einem eindeutigen Falle ausgesprochen werden und bedarf der schriftlichen Begründung. „In anderen Fällen" genügt Verwarnung und Androhung eines Verbotes für den Wiederholungsfall. Die Redaktion kann sich beim Senator für Bildungswesen beschweren.
Die in manchen Erlassen enthaltenen Verstöße gegen geltendes Recht sind leicht aufzudecken. Sie sollten notfalls mit Hilfe der Verwaltungsgerichte geklärt werden.
Hinter den verschiedenen Erlassen stehen unterschiedliche Auffassungen von der Funktion der Schule in unserer Gesellschaft. Diese sind insoweit als legitim zu betrachten, als sie den allgemein fortgeschrittenen Bewußtseins-Stand widerspiegeln und sich im übrigen im Rahmen der Gesetze bewegen. Die Schule sollte sich davor hüten, durch ein zurückgebliebenes Bewußtsein in das Getto einer kaum beachteten pädagogischen Provinz abgedrängt zu werden. Sie sollte eine kritische Haltung zu sich selbst und zur Gesellschaft einnehmen und sich dabei jener Instrumente bedienen, die kritisches Bewußtsein provozieren können: der Schülerzeitschrift und der Schülervertretung. Zu diesem Zwecke muß die Schule sich als eine gesellschaftspolitische Größe verstehen lernen, in deren Raum Konflikte stattfinden. Die Schülerzeitschrift und die Schüler-vertretung, als Organe einer nach Freiheit drängenden Schülerschaft, dienen der Offenlegung und Austragung solcher Konflikte und erfüllen damit eine sozialpolitische und sozialpsychologische Funktion. Gelegentliche Fehl-leistungen der Jugendlichen dürfen nicht höher bewertet werden als die von Erwachsenen, Wer in den seltenen Fauxpas der Schülerzeitschriften repressiv zu unterbindende Auswüchse sieht, traut der Selbststeuerung einer demokratischen Erziehung nichts zu. Das Ernstmachen mit dem aufklärerischen Programm der Selbstbefreiung des Menschen impliziert die politische Verantwortung der Jugendlichen, zu deren Instrumenten die Schülerzeitschriften und die Schülervertretungen gehören. Die Erwachsenen sollen tolerant und großzügig sein, wenn sich Jugendliche in die Freiheit einüben wollen. Beratende Hilfe, rational begründet und taktvoll erteilt, wird auf positive Resonanz stoßen.
Die Schülerzeitschrift und die Schülervertretung sind Mittel, den Jugendlichen zu Mündigkeit, Nonkonformismus und personaler Autonomie zu führen. Sie sind wesentlice Momente einer offenen, kritischen Schule Dem widerspricht weitgehend die Schulstruktur, die damit dysfunktional gegenüber den Ansprüchen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wird. Ein Abbau von nicht funk tionaler Autorität und eine Verstärkung der Partizipation der Schüler in den sie betreffenden Angelegenheiten ist notwendig. Indem sich die Schülerzeitschrift und die Schülervertretung dafür einsetzen, geraten sie leicht in ein Spannungsverhältnis zur tradierten Schul-autorität, ihr Verhalten wird eine dialektische Form zwischen Anpassung und Widerstand einnehmen müssen
Wolfgang W. Mickel, Dr. phil., Prof, für Wiss. Politik in Karlsruhe, geb. 1929, Studium der Polit. Wissenschaft, Geschichte, Philologie, Philosophie und Theologie, von 1953 bis 1972 im höheren Schuldienst des Landes Hessen, Studiendirektor a. D. Veröffentlichungen u. a: Zwanzig Jahre politische Bildung in der Bundesrepublik. Konzeptionen und Thematik des politischen Unterrichts 1945— 1965, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51— 52/65 vom 22. 12. 1965; Curriculumforschung und politische Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 19/71 vom 8. 5. 1971; Politische Bildung an Gymnasien 1945— 1965, Stuttgart 1967 (Bildungssoziologische Forschungen, Bd. 2); Methotik des politischen Unterrichts, Frankfurt/M. 19692, Lehrgänge und politische Bildung. Ein Beitrag zur Curriculumforschung und Didaktik, Berlin-Neuwied 1971; Politik und Gesellschaft. Lehr-und Arbeitsbuch für die Gemeinschaftskund/Polit. Weltkunde (Sekundarstufe II), Bd. 1, Frankfurt/M. 1972, Mitherausgeber Bd. 2, Frankfurt/M. 1972.