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Entnazifizierung Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945 | APuZ 24/1972 | bpb.de

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APuZ 24/1972 Artikel 1 Strukturelemente des Linksradikalismus Entnazifizierung Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945

Entnazifizierung Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945

Robert Fritzsch

/ 53 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Obwohl in der Nachkriegszeit von den Folgen der Entnazifizierung Millionen Deutsche unmittelbar betroffen waren, ist dieser Versuch einer politischen Säuberung aus dem heutigen Bewußtsein weitgehend verschwunden und wurde auch von der Zeitgeschichtsforschung nur spärlich beachtet. Der Beitrag stellt Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkungen der Entnazifizierung dar, soweit es sich um gegen Personen gerichtete Maßnahmen handelte, und versucht anhand charakteristischer Stimmen der damaligen politischen Publizistik die verschiedenen zeitgenössischen Einstellungen und Beurteilungsaspekte zu verdeutlichen. Das Fehlen verbindlicher Richtlinien für eine einheitliche Durchführung der von den Alliierten während des Krieges im Grundsatz beschlossenen politischen Säuberung und das Nichtzustandekommen einer gemeinsamen Deutschlandpolitik begünstigten eine unterschiedliche Entwicklung der Entnazifizierung in den vier Besatzungszonen. In der US-Zone geriet die außerordentlich breit angelegte Ausschaltungspolitik der Besatzungsmacht infolge der Bemühungen um eine Lösung auf streng individueller, gesetzmäßiger Basis in ein schier auswegloses Dilemma; ähnlich zwar, doch sehr abgeschwächt, auch in den Zonen der beiden anderen Westmächte. Die meisten Folgen blieben durch die Entwicklung der innen-und gesellschaftspolitischen Konstellationen in den westlichen Besatzungszonen und der späteren Bundesrepublik Deutschland aber nur von begrenzter Dauer. In der Sowjetzone konzentrierten sich die Entnazifizierungsaktivitäten von Anfang an auf eine sozio-ökonomische Entmachtung der bisherigen Führungsschicht und wurden konsequent als Instrument zu einer dauerhaften Umschichtung der Eigentums-und Gesellschaftsstrukturen gehandhabt. Die bereits in den ersten Nachkriegsjahren in den Westzonen weitverbreitete Kritik an den Methoden der Entnazifizierungspraxis (Stimmen aus der SBZ fehlen) verdichtete sich ab 1948/49 zum übereinstimmenden Urteil vom Scheitern der politischen Säuberung überhaupt. Abschließend werden einige Überlegungen über Ergebnisse und Auswirkungen der Entnazifizierung angestellt.

„Mit Gesetzen, Verordnungen und staatlichen Hoheitsakten ist der unseligen Entnazifizierung nicht mehr beizukommen. Nur ein Akt menschlicher Hoheit kann sie in die Tiefe des Vergessens bannen. Da gehört sie hin", schrieb im Jahre 1951 die Wochenzeitung „Christ und Welt" Die Entnazifizierung ist in der Tat dort gelandet, wohin diese Zeitung sie wünschte. Der Begriff und die damit bezeichneten Ereignisse sind aus dem Bewußtsein der heute Lebenden fast völlig verschwunden, obwohl viele von ihnen noch selbst Betroffene und Ausführende der soge-nannten „Entnazifizierung" waren. Als das Wort (eine Übersetzung von denacification) nach Kriegsende auftauchte, begann es Millionen von Deutschen Angst und Sorgen einzujagen. Die Maßnahmen der Entnazifizierung hatten einschneidende Folgen für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Existenz eines großen Teils des deutschen Volkes, jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren. Daß diese Folgen nur von sehr begrenzter Dauer sein sollten, ahnte damals niemand. Verfolgt man heute die Geschichte der Entnazifizierung, ist es allerdings weniger erstaunlich, daß so gründlich „vergessen" werden konnte.

Die Auflösung von nationalsozialistischen Organisationen, die Entfernung von NS-Symbolen und dergleichen war zwar auch „Entnazifizierung", aber im Bewußtsein und Sprachgebrauch der Zeitgenossen wurde der Begriff schon 1945 auf die gegen Personen gerichteten Maßnahmen eingeengt; es geht auch im folgenden nur um Entnazifizierung in diesem engeren, personellen Sinn.

I. Vorgeschichte

Das nationalsozialistische Deutschland hatte durch seine hegemoniale Machtpolitik Großbritannien, die Sowjetunion und die USA zu Partnern einer Kriegskoalition gemacht. Zu den wenigen Zielen, über die grundsätzlich Einvernehmen zwischen den ungleichen und von sehr unterschiedlichen Interessen bestimmten Partnern herrschte, gehörte Absicht, die nicht militärisch poli Deutschland nur und -tisch niederzuringen, sondern es nach Kriegsende derart zu schwächen, daß es die Sicherheit der europäischen Staatenwelt in absehbarer Zeit nicht wieder gefährden konnte. Dazu mußte nach Auffassung der Alliierten -zwin gend die vollständige Ausschaltung und Vernichtung des Nationalsozia 1 mus gehören, da man in ihm neben dem traditionellen Militarismus die Haupttriebkraft der deutschen Politik zwischen den beiden Weltkriegen erblickte. Bereits in der „Atlantik-Charta" vom 12. August 1941, in der der amerikanische Präsident Roosevelt und der englische Premierminister Churchill die gemeinsamen Friedensziele ihrer Länder darlegten, ist von der Hoffnung die Rede, „daß nach der endgültigen Zerstörung der Nazityrannei ein Friede geschaffen wird, der allen Nationen die Möglichkeit gibt, in Sicherheit innerhalb ihrer eigenen Grenzen zu leben"

Angesichts der für die Alliierten wenig günstigen Kriegslage von 1943 war für diese die Erörterung der Frage, wie vage formulierte Kriegsziel der Vernichtung des Nationalsozialismus erreicht werden sollte und welche Konsequenzen sich daraus für die Regelung der deutschen Nachkriegsverhältnisse ergeben mußten, nicht dringend. Auf der Moskauer Konferenz der Außenminister der drei Groß-mächte (18. — 30. Oktober 1943) wurde die gemeinsame Bildung einer „Europäischen Beratenden Kommission" (European Advisory Commission, EAC) in London vereinbart, die zu den Fragen der europäischen Nachkriegs-ordnung und, als „die einzige Institution zur Vorbereitung und Festlegung der alliierten Nachkriegspolitik in Deutschland" vor allem auch zu den Fragen der Behandlung Deutschlands nach dessen Kapitulation Empfehlungen ausarbeiten sollte. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Westmächten und der Sowjetunion, wie sie in nahezu allen Konferenzen und Gremien der Alliierten in der zweiten Kriegshälfte zutage traten, behinderten auch die Tätigkeit dieser seit dem 14. Januar 1944 arbeitenden Kommission. Es kam zu Vereinbarungen über die Besetzung und Kontrolle Deutschlands und über die gemeinsame Verantwortung der vier Siegermächte, aber nicht zur Fixierung einer interalliierten Deutschlandpolitik. Um die Kriegsallianz nicht übermäßig zu belasten und die zugesagte Mitarbeit der Sowjetunion bei einer zur Sicherung des Weltfriedens zu gründenden internationalen Organisation nicht zu gefährden (ein besonders dringendes Anliegen Roosevelts), nahm man es seitens der Westmächte in Kauf, Meinungsverschiedenheiten nicht bis zum Ende auszutragen und Festlegungen vor sich herzuschieben. Die Verhandlungen der „Großen Drei" (Stalin, Roosevelt, Churchill) auf der Konferenz in Jalta bis 11. Februar 1945) brachten zur Frage, wie Deutschland nach Kriegsende zu behandeln sei, nur in einigen konkreten Punkten Einigung. In der „Amtlichen Verlautbarung" über die Konferenz erklärten die „Großen Drei": „Es ist unser unbeugsamer Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, daß Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.,., Es ist nicht unsere Absicht, das deutsche Volk zu vernichten, aber nur dann, wenn der Nationalsozialismus und Militarismus ausgerottet sind, wird für die Deutschen Hoffnung auf ein würdiges Leben und einen Platz in der Völkergemeinschaft bestehen." 4) Die weiteren Aussagen über die geplante politische Säuberung waren spärlich: Die NSDAP und alle nationalsozialistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen sollten beseitigt und alle nationalsozialistischen Einflüsse aus öffentlichen Dienststellen und dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben des deutschen Volkes ausgeschaltet werden.

Die zu jener Zeit in den USA sich geltend machende Neigung zur Moralisierung der Politik, d. h.der Einbeziehung moralischer Kategorien in politische Entscheidungsprozesse und Aktionen, gewann zunehmende Bedeutung auch für die Entwicklung des Entnazifizierungsproblems. Mit der politischen Zielsetzung — Ausschaltung aller nationalsozialistischen Ein-flüsse auf die Nachkriegsentwicklung im Interesse der Sicherung des Friedens — verband sich untrennbar ein moralischer Aspekt: Entnazifizierung als Bestrafung von Anhängern des Nationalsozialismus. Der allgemeinen Deklaration des Ziels, den Nationalsozialismus zu vernichten, folgten keine Ausführungsbestimmungen, so daß, verstärkt durch die unterschiedlichen Auffassungen der Siegermächte über die Lösung der Nachkriegsprobleme, eine sehr unterschiedliche Auslegung und Handhabung der im Grundsatz beschlossenen politischen Säuberung möglich wurde. Den Ober-befehlshabern der alliierten Streitkräfte, die zum Zeitpunkt der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands die oberste Gewalt in den besetzten Gebieten übernahmen, und später den Militärgouverneuren standen keinerlei von den Siegermächten gemeinsam ausgearbeitete Richtlinien zur Verfügung, wie das Problem einer politischen Säuberung praktisch und in allen Besatzungszonen einheitlich durchgeführt werden sollte.

Beim Oberkommando der US-Besatzungsstreitkräfte traf Mitte Mai 1945 als Geheimdokument eine Direktive ein, die die Grundsätze und Ziele der US-Besatzungspolitik zusammenfaßte und Anweisungen für die Arbeit der US-Militärregierung enthielt. Diese Direktive JCS 1067, von mehreren amerikanischen Bundesbehörden in langwierigen Verhandlungen 1944/45 erarbeitet und deutlich vom Geist einer Bestrafungspolitik geprägt (sie hatte nach dem Urteil von General Lucius D. Clay, dem Stellvertretenden US-Militärgouverneur, „einen Karthagofrieden zum Ziel, der unser Handeln in den ersten Besatzungsmonaten bestimmte" enthielt erstmals Einzelheiten zur praktischen Durchführung der Entnazifizierung. Obwohl sich die Hoffnung der Amerikaner auf Annahme durch die Regierungen der anderen Besatzungsmächte nicht erfüllte, wurde die Direktive JCS 1067 in der Folge zur wichtigsten Grundlage der Entnazifizierung nicht nur in der US-Besatzungszone Die Vorstellungen von JCS 1067 über Ziele und Methoden einer politischen Säuberung im besetzten Deutschland wurden, z. T. nahezu wörtlich, in die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz (17. 7. — 2. 8. 1945) übernommen. Zu den zahlreichen Zielen dieser längsten und letzten Zusammenkunft der Regierungschefs der im Zweiten Weltkrieg verbündeten Groß-mächte gehörte die endgültige Festlegung einer gleichgeschalteten Besatzungspolitik der Alliierten im besiegten Deutschland. In dem Deutschland betreffenden Teil des umfangreichen Abschluß-Kommuniques, das die Beschlüsse und Empfehlungen der Konferenz zusammenfaßte (meist als „Potsdamer Abkommen" bezeichnet), hieß es eingangs, daß das deutsche Volk anfange, „die furchtbaren Verbrechen zu büßen, die unter der Leitung derer, welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt hat und denen es blind gehorcht hat, begangen wurden" Als Ziele und Bereiche einer notwendigen politischen Säuberung wurden im einzelnen aufgeführt: Vernichtung der NSDAP und ihrer angeschlossenen Gliederungen und Organisationen — Gewährleistung dafür, „daß sie in keiner Weise wieder auferstehen können" — Abschaffung aller vom NS-Geist geprägten Gesetze — Verhaftung leitender NS-Funktionäre und einflußreicher Anhänger des Nationalsozialismus — Entfernung aller mehr als nominellen Parteimitglieder aus öffentlichem und halböffentlichem Dienst und wichtigen Stellungen der Wirtschaft — Ausschaltung von nationalsozialistischen Lehren aus dem Erziehungswesen. Der Katalog von Negativ-Forderungen wurde ergänzt durch Bestimmungen, die eine spätere demokratische Verwaltung und Politik in Deutschland vorbereiten sollten.

An die Potsdamer Beschlüsse war der am 5. Juni 1945 geschaffene Alliierte Kontrollrat für Deutschland gebunden. Aufgrund eines Viermächteabkommens der Siegermächte übten in den Besatzungszonen die jeweiligen Oberbefehlshaber im Namen ihrer Regierungen die oberste Gewalt aus. Für alle Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten war dagegen ein oberstes Regierungs-und Kontrollorgan zuständig, der erwähnte Kontrollrat, den die vier Oberbefehlshaber gemeinsam bildeten. Er sollte ausdrücklich laut Proklamation vom 5. Juni 1945 „für eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens der einzelnen Oberbefehlshaber in ihren entsprechenden Besatzungszonen" sorgen Die nach Kriegsende rasch wachsenden Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen den Siegermächten erschwerten aber erheblich die Arbeit des Kontrollrats, dessen Entscheidungen einstimmig getroffen werden mußten. Im Bereich der Entnazifizierung erließ der Kontrollrat die Direktiven Nr. 24 vom 12. Januar 1946 („Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen") und Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 („Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und die Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen"). Die Kontrollrats-Richtlinien zur Durchführung der politischen Säuberung stützten sich weitgehend auf die Entnazifizierungs-Gesetzgebung und -Praxis der US-Zone. Aber diese spät erlassenen Direktiven konnten die Entnazifizierungsmaßnahmen der vier Besatzungszonen praktisch nicht mehr vereinheitlichen. Die unterschiedliche Entwicklung der Zonen, die schon bald nach Kriegsende eingesetzt hatte, vermochte der Kontrollrat nicht mehr zu steuern. 8a)

II. Verlauf

In den ersten Monaten der Besatzungszeit waren Art und Weise der politischen Säuberung in den vier Zonen sehr ähnlich. Anhand von Listen, die von den Führungsspitzen der Besatzungstruppen herausgegeben und in denen sowohl bestimmte Personen als auch Kategorien von NS-Funktionären, hohen Beamten und dergleichen aufgeführt waren, erfolgten zahlreiche Verhaftungen. Teilweise geschah das in Form „eines Wettkampfs aller um die Inhaftierung von Naziführern als den eigentlichen Kriegstrophäen" In allen Zonen entstanden Internierungslager bzw. begannen erst vor kurzem geräumte Konzentrations-lager, wie z. B. Buchenwald, sich wieder zu füllen. Bei den Aktionen der ersten Monate wurden inhaftiert: in der US-Zone 95 250, in der britischen Zone 64 500, in der französischen Zone 18 963, in der sowjetischen Zone 67 179 Personen (von diesen insgesamt rd. 245 000 Inhaftierten wurden bis 1. Januar 1947 rd.

100 000 wieder entlassen). Viele Betriebe wurden beschlagnahmt und besonders im öffentlichen Dienst zahlreiche Entlassungen und Berufsverbote angeordnet. Daneben gab es eine Vielzahl spontaner örtlicher Aktionen, bei denen gelegentlich auch politische Gegner des Nationalsozialismus die Initiative ergriffen: die Beschlagnahme von Wohnräumen ehemaliger Nationalsozialisten in den zerbombten Großstädten, die Verpflichtung zu Schutträumungsarbeiten (z. B. in Würzburg), der Entzug von Lebensmittelkarten (z. B. in Berlin-Reinickendorf). Mit Ausnahme der Sowjetzone, wo die Besatzungsmacht schon frühzeitig sich der Mitwirkung „antifaschistischer" Ausschüsse unter Führung von Linksgruppen bediente, spielten in der ersten Phase der Entnazifizierung deutsche Stellen nur eine sehr geringe Rolle.

Für die politische Säuberung in den Zonen der Westmächte, für deren Besatzungsstreitkräfte bis zum 14. Juli 1945 ein gemeinsames Hauptquartier bestand, war die bereits erwähnte Generalstabsdirektive JCS 1067 richtungweisend. Sie schrieb vor, daß alle mehr als nominellen Mitglieder der NSDAP und alle aktiven Anhänger des Nationalsozialismus aus dem öffentlichen Dienst und aus wichtigen Stellungen in staatlichen und wirtschaftlichen Organisationen und Verbänden, in Wirtschaftsbetrieben, Bildungswesen, Presse und Rundfunk zu entlassen seien. Als mehr als nominelle Mitglieder der Partei bzw. Anhänger des Nationalsozialismus sollten alle diejenigen gelten, die in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen ein Amt innehatten, an NS-Verbrechen oder rassischen Verfolgungen bzw. Diskriminierungen teilgenommen hatten, sich offen zum Nationalsozialismus bekannten oder ihn freiwillig in besonderer Weise moralisch oder materiell unterstützten. Unmißverständlich galt als Regel, daß Belastete keinesfalls „aus Gründen administrativer Notwendigkeit, Bequemlichkeit oder Nützlichkeit" in derartigen Stellungen verbleiben sollten Ergänzt wurde die Direktive durch eine Liste von politisch verdächtigen Organisationen und von Personengruppen, die nach den drei Kategorien „Automatisch zu verhaften", „Automatisch zu entlassen" und „Nach Gutdünken zu entlassen" verzeichnet waren.

Der öffentliche Dienst wurde besonders gründlich gesäubert. Zunächst war auf Anweisung der Militärregierung jeder im öffentliehen Dienst Stehende, der vor dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP geworden war, zu entlassen. Die Bestimmung wurde durch eine am 7. Juli 1945 erlassene Direktive dahingehend verschärft, daß jeder, der vor dem 1. Mai 1937 der NSDAP beigetreten war oder, unabhängig vom Beitrittsdatum, ein Amt innehatte, entlassen werden mußte. Diese neue Entnazifizierungsdirektive enthielt nicht weniger als 136 verbindliche Ausschluß-und Entlassungskategorien. In den Amtsblättern deutscher Stadtverwaltungen erschienen 1945/46 lange Listen mit den Namen der vom Dienst suspendierten Mitarbeiter. In diesen Listen waren Dezernenten und Schuldirektoren ebenso wie Straßenbahnschaffner und Polizeiwachtmeister vertreten. In Bayern mußten z. B. von 18 000 an Volksschulen tätigen Lehrkräften 10 000 entlassen werden.

Um Nationalsozialisten als solche ausfindig zu machen und „nominelle" von „mehr als nominellen" unterscheiden zu können, entwickelte die Militärregierung einen Erhebungsbogen. Jeder Deutsche, der sich um eine halbwegs wichtige Stelle bewarb oder sich um Wiedereinstellung bemühte, mußte einen derartigen „Fragebogen" ausfüllen. Er umfaßte 131 Fragen, wobei nicht nur nach politischen Tätigkeiten und Mitgliedschaften gefragt wurde, sondern auch nach der Partei, die man im November 1932 gewählt hatte, sogar nach etwaigen Adelstiteln der Großeltern. Auf Fälschung oder Unterschlagung von belastenden Tatsachen standen schwere Strafen. Für die Überprüfung der Fragebogen kam den Amerikanern ein Zufall zu Hilfe. In einer Münchener Papierfabrik wurde eine riesige amtliche Kartei von Mitgliedern der NSDAP und ihrer Gliederungen entdeckt, die dort zur Verarbeitung in neues Papier bereitlag. Die Militärregierung ließ den wertvollen Fund nach Berlin bringen und zentral auswerten.

Das am 26. September 1945 erlassene Gesetz Nr. 8 der US-Militärregierung dehnte die Entnazifizierung schließlich auf die gesamte private Wirtschaft aus. Alle ehemaligen Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen mußten, unabhängig vom Beitrittszeitpunkt, aus allen qualifizierten Stellungen der freien Wirtschaft entlassen werden; eine Beschäftigung war nur noch in „gewöhnlicher Arbeit“ erlaubt. So wurden aufgrund des Gesetzes Nr. 8 z. B. 25 000 Bankbeamte, etwa die Hälfte der gesamten Bankbeamtenschaft der US-Zone, entlassen. Den Betroffenen blieb es überlassen, nachzuweisen, daß sie keine Aktivisten waren, falls sie wiedereingestellt werden wollten. Durch die Möglichkeit des Einspruchs gegen ein ergangenes Urteil seitens des Betroffenen war beim Gesetz Nr. 8 erstmals eine individuelle Behandlung des Entnazifizierungsproblems vorgesehen. Charakteristisch für die damalige Haltung der Amerikaner ist eine Erinnerung General Clays: „Einmal gab es bei uns Aufregung, als heräuskam, daß eine der Putzfrauen in unserem Hauptquartier der NS-Frauenschaft in einer niederen Stellung ängehört hatte. Mir schien es überflüssig, sie zu entlassen, weil ich mir keine passendere Beschäftigung für eine ehemalige Nationalsozialistin vorstellen konnte." Und General Joseph T. McNarney, seit Novetaber 1945 Militärgouverneur der US-Besatzungszbne, erklärte auf einer Pressekoni ferenz kurz nach seiner Amtsübernahme wörtlich, ihm täten auch jene nicht leid, die nur Mitläufer waren: „Ich möchte jeden ehemaligen Nazi soweit wie möglich von jeder verantwortlichen Stellung entfernt als gewöhnlichen Tagelöhner sehen.“

Missionarischer Eifer, unerbittliche Strenge und Perfektionsstreben dominierten bei der US-Militärregierung in der Ausführung ihrer Entnazifizierungsbestimmungen. Der hochdekorierte Panzergeneral George S. Patton, der zu den populärsten Kriegshelden der Amerikaner zählte, wurde im Herbst 1945 als Militärgouverneur Bayerns amtsenthoben, weil er die Entnazifizierung nicht energisch genug durchführte und sie öffentlich kritisierte. Auch der erste von der Militärregierung eingesetzte Ministerpräsident Bayerns, Fritz Schäffer (der spätere langjährige Bundesfinanzminister), wurde u. a. wegen seiner widerstrebenden Haltung gegenüber der befohlenen politischen Säuberung im September 1945 kurzerhand abgesetzt

Weniger konsequent und in der Auswirkung für die Betroffenen milder gingen die englischen Besatzungsbehörden vor. Vielfach gaben bei ihnen wirtschaftliche Erwägungen und Verwaltungsbedürfnisse gegenüber Belangen der politischen Säuberung den Ausschlag. So erwog die englische Militärregierung im Frühjahr 1946 angesichts der personellen Schwierigkeiten im Bergbau, die Entnazifizierung in diesem Wirtschaftszweig ganz einzustellen. Auch die Franzosen praktizierten weder Konsequenz noch doktrinäre Handhabung. Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit ihren Besatzungsbehörden und Absage an zentralistische Zukunftsvorstellungen waren ihnen wichtiger als Ausschaltung und Bestrafung. Die verschiedenen Bestimmungen der Militärregierungen und des Kontrollrats, zuletzt besonders die Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 mit ihrer Aufzählung von 99 Kategorien automatisch zu entlassender Personen, hatten den Kreis der Betroffenen immer mehr anwachsen lassen. Auch die Kritik von seifen völlig unbelasteter deutscher Persönlichkeiten und Gruppen an der bisherigen Entnazifizierungspraxis der Besatzungsbehörden verstärkte sich. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, daß auf längere Sicht eine im Sinne der Besatzungsmächte befriedigende Lösung nur durch stärkere Beteiligung der Deutschen selbst möglich sei. General Clay schrieb nach Washington, „auch wenn das Kriegsministerium 10 000 Amerikaner für diese Aufgabe schicke, könne er die amerikanische Zone nicht wirksam entnazifizieren und weiter entnazifiziert halten"

Auch in der folgenden neuen Phase der politischen Säuberung waren es die Amerikaner, die neue Methoden entwickelten. Am 4. Dezember 1945 forderte General Clay den im November 1945 als gemeinsames Koordinierungsund Gesetzgebungsorgan der Länder der US-Zone gegründeten „Länderrat" auf, einen Entwurf für ein deutsches Enfnazifizierungsgesetz auszuarbeiten. Nach vielen Beratungen der Länder-Justizmiriister und des Entnazifizierungsausschusses des Länderrats wurde den Amerikanern ein deutscher Entwurf vorgelegt. Die Militärregierung lehnte ihn ab. Sie bestand strikt darauf, daß alle Hauptpunkte der Kontrollrätsdirektive Nr. 24 mit ihren 99 Entlassungskategorien in das deutsche Gesetz übernommen wurden. Die Bemühungen der deutschen Politiker, den Kreis der Betroffenen zu beschränken, und die meisten anderen Änderungswünsche blieben ergebnislos. Im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes im großen Rathaussaal in München am 5. März 1946 wurde im Beisein zahlreicher US-PrOminenz das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" Verkündet und von den Ministerpräsidenten der Länder der US-Zone, Wilhelm Hoegner für Bayern Reinhold Maier für Württemberg-Baden und Karl Geiler für Groß-Hessen, unterzeichnet. „Der deutschen Instanz", urteilte Reinhold Maier später, „war eine höchst unglückliche Rolle zugewiesen. Die Besatzungsmacht hatte gehandelt, Fakten geschaffen ... Jetzt sollten und durften deutsche Instanzen die Spreu vom Weizen sondern." Hätten die Deutschen das Gesetz allein ausarbeiten können, wäre es erheblich anders ausgefallen. Sie entschieden sich dennoch zur Unterzeichnung und aktiven Mitarbeit, weil sie in dem Gesetz eine wenn auch späte Chance zur Selbstreinigung des deutschen Volkes erblickten und weil sie hofften, durch vernünftige Gesetzesausführung die Entnazifizierung in sinnvolle Bahnen lenken zu können.

Nach dem „Befreiungsgesetz" mußte jeder über 18 Jahre alte deutsche Staatsangehörige einen „Melde Jahre alte deutsche Staatsangehörige einen „Meldebogen" zwecks politischer Über-prüfung ausfüllen; von der Abgabe dieses (neuen) Fragebogens waren der Empfang von Lebensmittelkarten und jegliches Beschäftigungsverhältnis abhängig. Ergaben sich Anhaltspunkte für eine Belastung, so wurde Anklage erhoben. Für zahlreiche Personengruppen, die in einer dem Gesetz beigefügten Liste aufgeführt waren, mußte nach dem Gesetz automatisch Anklage erhoben werden. In jedem Stadt-und Landkreis wurden, unter Beteiligung der neu zugelassenen politischen Parteien, sog. „Spruchkammern" errichtet, die in einem prozeßähnlichen Verfahren die Betroffenen in eine von fünf vorgesehenen Belastungskategorien einreihten (I Hauptschuldige, II Belastete, III Minderbelastete, IV Mitläufer, V Entlastete) und dementsprechende Sühnemaßnahmen verhängten. Für die Gruppen I und II waren Einweisung in Arbeitslager (zwei bis zehn Jahre), Einziehung des Vermögens, Pensionsverlust, Aberkennung der Staatsbürgerrechte und langjährige Berufsbeschränkungen vorgesehen, für die Gruppen III und IV Zahlungen an einen Wiedergutmachungsfonds (die Höhe der Geldbuße für Mitläufer wurde auf 50 bis 2000 RM festgesetzt) und bei Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst evtl, vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Von weitreichender Bedeutung war ein gesetzliches Tätigkeits-und Beschäftigungsverbot: Alle ehemaligen Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen durften bis zur Behandlung ihres Falles durch eine Spruchkammer nur in gewöhnlicher Arbeit bzw. in untergeordneter Tätigkeit beschäftigt sein. Außerdem wurde eine Vermögenssperre angeordnet. Sogenannte „Berufungskammern" dienten als 2. Instanz.

An der Spitze des umfangreichen Behörden-apparats, der für die Durchführung des Gesetzes nötig wurde, entstanden in den Ländern Ministerien für die politische Befreiung. Die ersten „Staatsminister für Sonderaufgaben“, wie sie auch genannt wurden, waren: Heinrich Schmitt (KPD) in Bayern, Gottlob Kamm (SPD) in Württemberg-Baden, Gottfried Binder (SPD) in Groß-Hessen. (Bayern hatte wenig Glück mit seinen Sonderministern: knapp eineinhalb Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes amtierte bereits der vierte Minister).

Es war eine kaum zu bewältigende Arbeit, die man sich gestellt hatte. In der US-Zone waren insgesamt 13 Millionen Meldebogen zu überprüfen. Dabei ergab sich, daß 27 % der Bevölkerung vom Gesetz betroffen und daß 3, 5 Millionen Fälle zu behandeln waren. „Wohl noch nie zuvor in der Geschichte ist versucht worden, einen Reinigungsprozeß durchzuführen, der solche Massen betraf“, meinte General Clay 17). Zur Zeit des stärksten Arbeitsanfalls waren allein in der US-Zone 545 Spruchkammern mit über 22 000 Bediensteten beschäftigt. Die personelle Besetzung dieser Spruchkammern bereitete ständig Ärger und Schwierigkeiten. Es standen nur wenige politisch unbelastete Fachleute zur Verfügung. Zudem galt die Entnazifizierung als ein höchst unbequemes und undankbares Geschäft. Wie gering die Bereitschaft zur Mitarbeit war, enthüllt sehr deutlich ein Aufruf, den die Bayerische Staatsregierung und die Vorsitzenden der politischen Parteien am 21. Juni 1946 erließen. Die Unterzeichneten, hieß es darin ausdrücklich, „verbürgen sich dafür, daß niemand, der bei der Durchführung dieses Gesetzes beteiligt ist oder ihm seine Unterstützung gewährt, etwas zu fürchten hat. . . . Wenn das bayerische Volk diese seine sittliche Pflicht nicht erfüllt und seine eigene innere Reinigung nicht fertigbringt, läuft es Gefahr, das Recht auf Selbstverwaltung zu verlieren". 18) Schließlich mußte Ende 1946 sogar ein Gesetz erlassen werden, das das zuständige Ministerium zur Dienstverpflichtung geeigneter Personen ermächtigte — „eine Art Kidnapping zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Materialismus" Daß im Zuge der Durchführung des Gesetzes Bestechungsfälle und Irrtümer vorkamen, ist angesichts der Tatsache, daß in den Spruchkammern hauptsächlich Laien amtierten und in jener Zeit große materielle Not herrschte, nicht verwun-derlich Doch stellte selbst ein Politiker wie Reinhold Maier, dem die Entnazifizierung, wie aus seinen Erinnerungen deutlich wird, eine Herzenssache war, fest, daß sich das Spruchkammerpersonal „überraschend korrekt" verhalten habe

Häufige Reibereien gab es zwischen den deutschen Entnazifizierungsbehörden und der Besatzungsmacht. Die Spruchkammern behandelten vor allem die leichteren Fälle, weil hierfür das vorliegende Material auszureichen schien und weil man deutscherseits daran interessiert war, die Masse der Mitläufer möglichst rasch wieder in den Wirtschafts-und Verwaltungsprozeß eingliedern zu können. Die Amerikaner dagegen drängten auf vorrangige Behandlung der schweren Fälle und waren ungehalten darüber, daß Mitläufer in so großer Zahl wieder in ihre alten Stellungen zurückkehren konnten. Auf einer Sitzung des Länderrats am 5. November 1946 machte General Clay den deutschen Länderregierungen heftige Vorwürfe und drohte, daß die Militärregierung die Entnazifizierung wieder allein übernehmen werde, wenn nicht innerhalb von zwei Monaten deutliche Verbesserungen einträten (entsprechende Pläne wurden in Clays Stab anfangs 1947 tatsächlich ausgearbeitet). Die Militärregierung verschärfte ihre Überwachungstätigkeit und verlangte die Aufhebung zahlreicher zu mild erscheinender Spruchkammerentscheidungen. Zwei große Amnestien schränkten anderer-seit den riesigen Kreis der vom Gesetz Betroffenen ein: Im August 1946 wurden alle nach dem 1. Januar 1919 Geborenen amnestiert („Jugendamnestie"), einige Monate später auch alle Kriegsbeschädigten und diejenigen, die während der NS-Zeit nur geringe Einkünfte hatten („Weihnachtsamnestie").

Die buchstabengetreue Durchführung des Gesetzes blieb aber nach Lage der Dinge weiterhin eine quantitativ wie qualitativ kaum zu bewältigende Arbeit. Unablässig bemühten sich die deutschen Entnazifizierungsbehören um Revisionen, vor allem das automatische Berufsverbot, den zu großen Kreis der Betroffenen und die Unabhängigkeit der Spruchkammern gegenüber der Militärregierung betref-fend. Aber ebenso unablässig drängten die Amerikaner auf schärferes und rascheres Vorgehen. Gemeinsame Sitzungen der deutschen Sonderminister mit Vertretern der Militärregierung waren ein „regelrechtes Tauziehen", wie sich Walter Dorn, Clays Entnazifizierungsreferent, erinnerte Anfangs 1948 waren noch 450 000 Fälle zu behandeln, in Internierungslagern warteten noch 17 000 auf eine Verhandlung.

Unter dem Eindruck der verschärften weltpolitischen Lage, der Wandlung der öffentlichen Meinung in den USA (ein Ausschuß des US-Repräsentantenhauses erklärte im Mai 1948 die bisherige Entnazifizierungspolitik für rundweg verfehlt) und der Prioritätsverlagerung innerhalb der amerikanischen Deutschlandpolitik änderte die US-Militärregierung ihre bisherige starre Haltung in der ersten Jahreshälfte 1948 vollständig und beinahe übergangslos. Es waren nunmehr die Amerikaner, die förmlich darauf drängten, die gesetzlichen Bestimmungen im Sinne einer Milderung und eines raschestmöglichen Abschlusses der gesamten Entnazifizierung einzuschränken und zu ändern. Bisher hatte es stets geheißen, die Entnazifizierung sei eine unabdingbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands, jetzt wurde ihr rascher Abschluß als Voraussetzung genannt. Die deutschen Behörden mußten dagegen regelrecht Widerstand leisten, damit alle von den Amerikanern angestrebten Erleichterungen nicht vorzugsweise den schweren Belastungsfällen, die noch unbehandelt waren, zugute kamen. Schon 1947 war die Ansicht weit verbreitet, daß jeder Monat Zeitgewinn beim Spruchkammerverfahren den Aktivisten ein Jahr Arbeitslager erspare. Nach Auskunft von Ministerpräsident Hans Ehard vor dem Bayerischen Landtag am 24. Oktober 1947 waren zum damaligen Zeitpunkt in Bayern noch 541 662 Fälle zu bearbeiten, „von denen nahezu 400 000 in die Klassen I und II fallen" Oktober 1947 waren zum damaligen Zeitpunkt in Bayern noch 541 662 Fälle zu bearbeiten, „von denen nahezu 400 000 in die Klassen I und II fallen" 23). Aber die Amerikaner hatten 1948 offensichtlich jedes Interesse an einem der bisherigen Hauptthemen ihrer Besatzungspolitik verloren. Im Oktober 1948 stellten sie ihre Überwachung der deutschen Entnazifizierungspraxis und jede weitere Mitarbeit ein. „Zweifellos wurden in keiner anderen Zone die wirklichen Nazis so systematisch ausgesiebt; auch verhängte man nirgends Strafen, die mit denen bei uns vergleichbar gewesen wären", meinte General Clay aus der Rückschau 24). Im Gegensatz zu den Amerikanern war die englische Besatzungsmacht erst später und auch dann nicht in solchem Umfang bereit, die Verantwortung für die weitere Durchführung der Entnazifizierung den Deutschen selbst zu überlassen. In der englischen Zone wurden 1946 deutsche Entnazifizierungsausschüsse und, als 2. Instanz, Berufungskammern gebildet, Sie hatten politisch Belastete bestimmter Berufssparten bzw. die von der Besatzungsmacht aus ihren Stellungen Entfernten zu überprüfen; die Prüfungsergebnisse dieser Ausschüsse hatten jedoch für die Militärregierung nur Empfehlungscharakter. Die Betroffenen selbst besaßen keinen Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Offenlegung des Belastungsmaterials. Für die Entscheidung der Militärregierung gab es nur ein Entweder-Oder: Entlastung oder Entlassung.

Mit echter Entscheidungsbefugnis wurden deutsche Stellen erst aufgrund der Verordnung Nr. 69 der britischen Militärregierung vom 31. Dezember 1946 beteiligt: Für die Aburteilung der Ihsassen von Internierungslagern (nach Überprüfung durch englische Ausschüsse waren darin die Mitglieder der im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß für verbrecherisch erklärten Organisationen verblieben, d. h. Mitglieder von Führerkorps der NSDAP, Gestapo, SD und SS) wurden sogenannte Spruchgerithte — Einrichtungen der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit — gebildet, die innerhalb von zwei Jahren alle vorliegenden 27 000 Fälle strafrechtlich entschieden. Bei Schuldsprüchen wurden Gefängnisstrafen bis zehn Jahre, Vermögenseinziehung Und Geld-strafen verhängt.

Im Laufe der Zeit schaffte die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Belastungsfälle, wie sie natürlich auch aus der Presse bekannt wurde, Unruhe in der Bevölkerung und bereitete den Verantwortlichen vor allem in der US-Zone nicht wenig Kopfzerbrechen. In einer Entschließung vom 21. August 1946 forderten daher die Ministerpräsidenten der süddeutschen Länder, die Entnazifizierungsbestimmungen der britischen Zone an die der US-Zone anzugleichen. Spät erst, im Februar 1947, wurden durch die Zonenexekutivanweisung Nr. 54, gestützt auf die Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom Oktober 1946, gewisse Prinzipien der US-Zone übernommen: das Spruchkammerverfahren, die Einteilung der Betroffenen in fünf Kategorien und die Festlegung von Sühnemaßnahmen für jede Kategorie. Von der Einführung des automatischen Berufsverbots für die Betroffenen und der allgemeinen Registrierpflicht für die gesamte Bevölkerung sah die englische Militärregierung jedoch ab. Die deutschen Stellen hatten vorbereitende Arbeit zu leisten und schlugen vor, in welche Kategorie der Betroffene eingereiht werden sollte; die Einstufung selbst blieb weiterhin in den Händen der britischen Militärregierungsoffiziere. Daß die Verfahren nicht öffentlich waren, sondern „die Luft der unkontrollierbaren Heimlichkeit um sie weht" und daß die Entscheidungen allein bei der Militärregierung lagen, stieß auf wachsende Kritik nicht nur innerhalb der deutschen Bevölkerung. Die Folgen der Maßnahmen der Besatzungsbehörden waren, wie der erste Ministerpräsident von Schleswig-Holstein nach Kriegsende, Theodor Steltzer (CDU), in seinen Erinnerungen schrieb, „große Ungerechtigkeiten und eine weitere Verschlechterung der Stimmung. Und es trat gerade das ein, was ich von Anfang an befürchtet hatte: Die Mitläufer wurden strenger behandelt als frühere führende Nazis. Diesen gegenüber wurden bald die Äugen zugedrückt, wenn man sie ungeachtet ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit für tüchtige Experten hielt."

Unter dem Einfluß der öffentlichen Meinung in England, die die Entnazifizierung in der bisherigen Form ablehnte, Und einer Empfehlung der Moskauer Außenministerkonferenz vom Frühjahr 1947, die Verantwortung für die weitere Durchführung der politischen Säuberung deutschen Stellen zu übertragen, erließ die englische Militärregierung die Verordnung Nr. 110 „Zur Übertragung der Entnazifizierungsaufgaben auf die Regierungen der Länder" vom 1. Oktober 1947 (der entsprechende Auftrag der Amerikaner an den Länderrat war fast zwei Jahre früher ergangen!). Der Plan eines für die ganze Zone einheitlichen Gesetzes, wie er vom deutschen „Zonenbeirat" gewünscht worden war, konnte mit diesem späten Auftrag an die Länder nicht mehr verwirklicht werden. Auch in zwei anderen Punkten gelang keine Verständigung zwischen der Militärregierung und den deutschen Partnern (Landtagen und Landesregierungen): von den Engländern wurden die deutschen Forderungen abgelehnt, das starre Kategorisierungssystem wegfallen zu lassen und die von den Besatzungsbehörden bereits entschiedenen Fälle, die oft nach recht willkürlich wirkenden Kritetien behandelt worden waren und bei denen nicht selten die Militärregierung eine für deutsche Begriffe merkwürdige Milde hatte walten lassen, deutscherseits überprüfen zu können. So kam es nur in Schleswig-Holstein zur Verabschiedung eines deutschen Entnazifizierungsgesetzes. Die Landtage von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen lehnten die Übernahme der Verantwortung unter den Bedingungen und Vorbehaltsrechten der Militärregierung ab. In Nordrhein-Westfalen galt im Bereich der politischen Säuberung weiterhin Besatzungsrecht, in Niedersachsen gab es erst seit einer Verordnung vom 13. Juli 1948 eine in deutscher Regie geschaffene Rechtsgrundlage der Entnazifizierung.

In der französischen Besatzungszone wurde bereits im Herbst 1945 von der Militärregierung angeordnet, aus Vertretern der Parteien, Gewerkschaften und Kirchen für die einzelnen Berufs-und Wirtschaftszweige deutsche Untersuchungsausschüsse zu bilden, die politisch Verdächtige überprüfen und Sühnemaßnahmen Vorschlägen sollten. War die Militärregierung mit den Vorschlägen dieser Ausschüsse nicht einverstanden, wurden sie an deutsche Kontrollausschüsse auf Landesebene überwiesen. Alle Entscheidungen der deutschen Instanzen wurden erst nach Genehmigung durch die Militärregierung wirksam. Einheitliche Richtlinien für die Arbeit der zahlreichen lokalen Ausschüsse fehlten jedoch. Auch die unterschiedlich späte Konstituierung der Länder in der französischen Besatzungszone, wie sie den Dezentralisierungstendenzen der französischen Besatzungspolitik entsprach, erschwerte ein einheitliches Vorgehen auf Zonenebene. In einer Zeit, da in Baden und Rheinland-Pfalz die ersten deutschen Regierungen ernannt wurden (Dezember 1946), war in Württemberg-Hohenzollern, wo bereits seit Oktober 1945 eine vorläufige deutsche Regierung unter Carlo Schmid amtierte, ein Großteil aller Entnazifizierungsfälle schon abgeschlossen.

Im Februar 1947 übertrug die französische Militärregierung die Durchführung der Kontrollratsdirektive Nr. 38 deutschen Stellen (Verordnung Nr. 79 vom Februar 1947). Die daraufhin von den drei Ländern erlassenen Landesverordnungen zur politischen Säuberung gingen weitgehend auf einen Entwurf der Militärregierung zurück, der nach dem Muster der US-Zone ein Spruchkammerverfahren und eine Einteilung in fünf Belastungskategorien vorschrieb. Im November 1947 und im Juli 1948 erließ die Militärregierung zwei Amnestien, die alle nur nominellen Parteimitglieder aus der Entnazifizierung herausnahmen und ihnen die staatsbürgerlichen Rechte zurückgaben. In allen Phasen behielt sich die ranzösische Militärregierung die Oberaufsicht über die Spruchkammerarbeit, die Genehmigung aller Entscheidungen und das Gnaden-recht, von dem sie übrigens recht großzügig Gebrauch machte, vor. Sie war weitgehend frei von perfektionistischem Eifer und einem schematischen Denken, wie es vor allem bei den Amerikanern deutlich wurde (und von dort aus Eingang in die einschlägigen Kontrollratsdirektiven fand). Erst nach der Errichtung der Bundesregierung zog sich die französische Militärregierung vollständig und endgültig aus der Entnazifizierung zurück.

In dem Maße, in dem deutsche Stellen ab Herbst 1945 in den westlichen Besatzungszonen an der organisatorischen Durchführung der politischen Säuberung beteiligt wurden und später auch Einfluß auf deren Ziele und Prinzipien gewannen, geriet die Entnazifizierung in das Spannungsfeld der neuen politischen Gruppierungen Nachkriegsdeutschlands. Die ersten programmatischen Verlautbarungen der Parteien äußerten sich selbstverständlich auch zum Problem einer politischen Säuberung. Im Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 (die KPD konnte sich dank besonderer Umstände als erste politische Partei nach Kriegsende an die deutsche Öffentlichkeit wenden) wurde ausführlich dargelegt, daß und warum „das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen“ trage. An erster Stelle der „unmittelbarsten und dringendsten Aufgaben“ zur demokratischen Erneuerung Deutschlands waren genannt: „Vollständige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes und der Hitlerpartei, Mithilfe aller ehrlichen Deutschen bei der Aufspürung der versteckten Naziführer, Gestapoagenten und SS-Banditen. Restlose Säuberung aller öffentlichen Ämter von den aktiven Nazisten ..." und an anderer Stelle: „Enteignung des gesamten Vermögens der Nazibonzen und Kriegsverbrecher. Übergabe dieses Vermögens in die Hände des Volkes zur Verfügung der kommunalen oder provinzialen Selbstverwaltungsorgane.“ 27)

Eine radikale Sprache wurde ebenfalls im Aufruf der (Berliner Gruppe der) SPD vom 15. Juni 1945 hinsichtlich der politischen Säuberung gesprochen. Auch im Aufruf der SPD stand an erster Stelle eines Katalogs von Forderungen: „Restlose Vernichtung aller Spuren des Hitler-regimes in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung ... Haftpflicht der Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen für die durch das Naziregime verursachten Schäden. ... Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsge-* winne für die Zwecke des Wiederaufbaus." Im Aktionsprogramm des Landesverbandes Groß-Berlin der SPD von 1946 war die Forderung nach einem Gesetz enthalten, „das strenge, aber gerechte Richtlinien für eine Entnazifizierung enthält, den jungen Menschen eine großzügige Amnestie gewährt, aber genügend Vorsorge trifft, daß kein neues Konjunkturrittertum entstehen kann. Die nicht rehabilitierten Nationalsozialisten sind zu erhöhten Arbeits-und Steuerleistungen heranzuziehen."

Der Berliner Kreis um den vor 1933 einflußreichen Zentrumspolitiker Andreas Hermes gehörte zu den Zentren einer neuen christlich-demokratischen Sammlungsbewegung. In seinem „Aufruf an das deutsche Volk" vom 26. Juni 1945 hieß es unumwunden: „Groß ist die Schuld weiter Kreise unseres Volkes, die sich nur allzu bereitwillig zu Handlangern und Steigbügelhaltern für Hitler erniedrigten. Jede Schuld verlangt Sühne". An anderer Stelle ist von der Notwendigkeit die Rede, „die Schuldigen und ihre Helfershelfer unnachsichtig, in strenger Gerechtigkeit, jedoch ohne Rachsucht, zur Rechenschaft zu ziehen" Das Programm der rheinland-westfälischen CDU, die „Kölner Leitsätze" in der Fassung vom September 1945, drückte sich zurückhaltender aus: „Das öffentliche Leben und die gesamte Wirtschaft sind von unzuverlässigen Elementen zu säubern". . .. „Die für den Krieg und seine Verlängerung Verantwortlichen sind von der Entschädigung auszuschließen und zur Wiedergutmachung in besonderem Maße heranzuziehen. Die ungerechtfertigten Gewinne der nationalsozialistischen Konjunkturzeit und die Kriegsgewinne sind durch besondere Steuern zu erfassen" (Punkt 14 bzw. 21 von insgesamt 24 Grundsatzpunkten) Nach dem CDU-Parteiprogramm von Neheim-Hüsten vom 1. März 1946 gehörten zu den „vordringlichen Aufgaben der ersten Aufbau-periode"; „Bestrafung der für den Krieg Verantwortlichen; je nach Lage des Falles völlige oder teilweise Einziehung des Vermögens", „Erfassung der nationalsozialistischen Konjunkturgewinne und der Kriegsgewinne", „Besondere Heranziehung" des Vermögens besonders belasteter Nationalsozialisten für einen allgemeinen Schadensausgleich

Im Grundsatzprogramm von 1946 der in Bayern gegründeten CSU hieß es lediglich: „Wir bekämpfen Nationalsozialismus und Militarismus."

In den „Programmatischen Richtlinien" der FDP vom 4. Februar 1946 wurde die Notwendigkeit einer politischen Säuberung mit keinem Wort angesprochen, im Gegensatz zum „Aufruf der Liberal-Demokratischen Partei" vom 5. Juli 1945 (aus ihr ging die LDPD der SBZ hervor), in dem unter den Arbeitszielen an erster Stelle aufgeführt wurde: „Äußere und innere Befreiung des deutschen Volkes von den letzten Spuren der Schmach und Schande des Nationalsozialismus. Bestrafung aller derjenigen, die sich im Kriege und in der Vorkriegszeit gegen Gesetz und Menschlichkeit vergangen haben, sowie derjenigen, die die politische Verantwortung für die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten seit 1933 tragen."

Die Unterschiede in Umfang und Tonart der parteioffiziellen Bekundungen zur Aufgabe einer politischen Säuberung fanden z. T. weitgehende Entsprechungen in der Praxis der Entnazifizierung. Die Kommunisten beteiligten sich anfangs sehr energisch. Ihnen war es vor allem um wirtschaftliche und gesellschaftliche Entmachtung der „Großen", der im Dritten Reich einflußreichen Kreise zu tun. Sie distanzierten sich jedoch bald von der weiteren Mitarbeit, weniger der Verfahrensmängel als vielmehr der in ihrem Sinne unterbliebenen Folgen wegen. Die SPD war diejenige Partei, die sich am tatkräftigsten und beständigsten um eine durchgreifende politische Säuberung bemühte. Statistische Untersuchungen ergaben, daß die SPD den höchsten Anteil des Spruchkammerpersonals stellte, z. T. einen erheblich höheren als es den Wahlergebnissen entsprach Die SPD betrachtete die Entnazifizierung, und darin stimmten die Gewerkschaften mit ihr überein, als eine überwiegend politische Aufgabe, als ein Instrument zum Schutz des demokratischen Staates, und wehrte sich nachdrücklich gegen Versuche, die Folgen der Ausschaltungs-und Bestrafungsmaßnahmen schon nach kurzer Zeit wieder rückgängig zu machen. Sie widmete sich dieser Aufgabe auch noch zu einer Zeit, als die bürgerlichen Parteien und die Kirchen nur noch widerwillig oder in offener Opposition zum Problem einer politischen Säuberung standen und als die aktive Mitarbeit an der Entnazifizierung von einer großen Mehrheit des Volkes nicht mehr gebilligt, geschweige denn honoriert wurde.

CDU/CSU und FDP wandten sich, je länger die Entnazifizierung andauerte desto entschiede ner, gegen alle sozialrevolutionären Tendenzen der politischen Säuberung und etwaige Auswirkungen in dieser Richtung. Beide Parteien lehnten eine „politische" Lösung in Form einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umschichtung ab und waren bestrebt, die Entnazifizierung mit ausschließlich strafrechtlichen Mitteln zu verwirklichen. Der Befund eines „bestechend regelmäßigen Links-Rechts-Gefälles", den die Analyse der Landtagsprotokolle von vier deutschen Ländern hinsichtlich der Bereitschaft der Parteien zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus während des Zeitraumes 1946 bis 1951 ergab trifft, aufs Ganze gesehen, auch auf das Engagement und die Aktivität der Parteien im Bereich der politischen Säuberung nach 1945 zu.

Von den Entnazifizierungsbehörden in den Besatzungszonen der drei Westmächte wurden insgesamt 3 660 648 Fälle bearbeitet. Folgende Eingruppierungen wurden ausgesprochen:

1667 Hauptschuldige, 23 060 Belastete, 150 425 Minderbelastete, 1 005 874 Mitläufer, 1 213 873 Entlastete. Die restlichen Fälle wurden amnestiert oder aus anderen Gründen nicht aufgegriffen. In der sowjetischen Besatzungszone wurden die Maßnahmen zur politischen Säuberung anders als in den westlichen Zonen benannt. Bereits im Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration vom 11. Juni 1945 fiel das entsprechende Stichwort: unter den Zielen der politischen Parteien, deren Bildung dieser Befehl genehmigte, wurde an erster Stelle „die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus" genannt Dieser Begriff bot einen noch weiterreichenden Auslegungsspielraum als der schon reichlich vage Begriff „Entnazifizierung", Am 27. August 1945 ordnete die Sowjetische Militäradministration die Registrierung aller Offiziere der Wehrmacht und aller Angehörigen der NSDAP, SA, SS und Gestapo an; eine große Verhaftungswelle war damit verbunden. Eine Haupttendenz der Entnazifizierungspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht begann im Herbst 1945 sichtbar zu werden. Die im September 1945 von den Landes-bzw. Provinzialverwaltungen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mark Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen angeordnete „Bodenreform" bezweckte die entschädigungslose Enteignung des privaten Großgrundbesitzes über 100 Hektar. Das enteignete Land wurde landlosen und andarmen Bauern, Landarbeitern, Umsiedleramilien und kommunalen Körperschaften u ereignet. In die Enteignung durch die Bodenreform war auch, und zwar unabhängig von der Größe, der Grundbesitz von politisch Belasteten einbezogen, von „Naziführern und aktiven Verfechtern der Nazipartei und ihrer Gliederungen sowie führenden Personen des Hitlerstaates", wie es in der entsprechenden Verordnung der Provinz Sachsen hieß

In eine ähnliche Richtung wiesen die Befehle Nr. 124 und 126 der Sowjetischen Militäradministration vom 30. und 31. Oktober 1945. Sie verfügten die Beschlagnahme des Eigentums aktiver und einflußreicher Nationalsozialisten. Bei diesen Maßnahmen, die eine grundlegende Umstrukturierung der bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Sowjetzone einleiteten, wirkten von Anfang an Deutsche mit, die das Vertrauen der Besatzungsmacht genossen. Die Durchführung wurde deutschen Kommissionen übertragen, in denen die politischen Parteien, die Selbstverwaltungsorgane und die Belegschaften der Betriebe vertreten waren. Diese Kommissionen entschieden darüber, welcher Unternehmer als „Naziaktivist" zu gelten hatte und daher im Sinne der Militärregierungsbefehle der Eigentumsbeschlagnahme unterworfen werden sollte. In einem späteren Volksentscheid sollte die Bevölkerung dann über das weitere Schicksal der beschlagnahmten Betriebe entscheiden. Zur gleichen Zeit wurden die Bereiche des öffentlichen Dienstes von allen politisch Belasteten rigoros gesäubert. Am 3. November 1945 erließ die Sowjetische Militäradministration ihren Befehl Nr. 49, wonach alle Richter, Staatsanwälte und sonstigen Justizbediensteten, die zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen oder auch nur Anwärter waren, sofort entlassen werden mußten. Die politische Säuberung des gesamten Erziehungswesens war ähnlich kompromißlos. 80 °/o aller während des Dritten Reiches in Schulen und Verwaltung Tätigen wurden entlassen. Im ganzen wurden aus Verwaltung und anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes — nach einer DDR-Quelle — etwa 520 000 ehemalige Nationalsozialisten entlassen (bei einer damaligen Wohnbevölkerung von 18, 4 Millionen)

Der zu einem früheren Zeitpunkt bereits beschlossene „Volksentscheid über die entschädigungslose Enteignung der sequestrierten Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Faschisten" wurde nach intensiver propagandistischer Vorbereitung am 30. Juni 1946 ver-wirklicht. Für die Enteignung sprachen sich (in einem durchaus korrekt durchgeführten Verfahren) 77, 7 % der abgegebenen Stimmen aus. Auf der Grundlage dieses zustimmenden Ergebnisses wurden auch in den anderen Ländern der Sowjetzone, für die das Ergebnis in Sachsen ebenfalls als verbindlich erklärt wurde, entsprechende Enteignungsgesetze erlassen. Die enteigneten Betriebe überführte man „in das Eigentum des Volkes".

Zu einer Massen-Entnazifizierung nach dem Vorbild der US-Zone ist es in der sowjetischen Besatzungszone nie gekommen. Die in der „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien" zusammengeschlossenen Parteien der SBZ (KPD, SPD, CDU, LDPD) hatten schon im Oktober 1945 Richtlinien über die Behandlung der sogenannten kleinen Pg's veröffentlicht, in denen gefordert wurde, diese Pg's von der Bestrafung und Sühneleistung auszunehmen in der Erwartung, daß sie sich von ihrer politischen Vergangenheit entschieden distanzierten und mit ihrer ganzen Kraft am Wiederaufbau des Landes beteiligten. Am 20. Juni 1946, bei Bekanntgabe des Termins für die Gemeindewahlen, erschien eine seit langem vorbereitete Erklärung des Vorstandes der aus der Vereinigung von KPD und SPD zustande gekommenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zum gleichen Thema, in der es u. a. hieß: „Die SED hält den Zeitpunkt für gekommen, die einfachen Mitglieder und Mitläufer der ehemaligen Nazipartei in den demokratischen Aufbau einzugliedern." Als sich daraufhin in den Reihen der SED-Mitglieder ein Sturm der Entrüstung erhob, formulierte Wolfgang Leonhard im „Neuen Deutschland" im Auftrag des SED-Vorstands, daß Kriegsverbrecher und aktive Nazis selbstverständlich schnell und streng bestraft werden müßten: „aber keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen". Auf einer der zu dieser Zeit von der SED inspirierten und organisierten Versammlungen mit ehemaligen Parteigenossen beendete einmal ein Diskussionsredner aus den Reihen der Pg's seinen Beitrag mit der selbstformulierten Losung „Es lebe die SED, der große Freund der kleinen Nazis." Konsequent setzte die Sowjetische Militäradministration ihre Entnazifizierungspolitik, mit der die Haltung der SED in völligem Einklang stand, fort. Der Befehl Nr. 201 der Sowjetischen Militäradministration vom 16. August 1947 verlangte zwecks gerichtlicher Aburteilung von bestimmten Kategorien besonders Belasteter (Grundlage hierfür war die Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom Oktober 1946) die Bildung von „Sonderstrafkammern“

bei den Landgerichten. Er ordnete scharfe Bestrafung der Schuldigen, aber die politische Gleichstellung aller nur nominellen Mitglieder der früheren NSDAP an. Sie erhielten das aktive und auch das passive Wahlrecht zurück.

Um ehemalige Mitglieder und kleinere Funktionäre der NSDAP (und Berufssoldaten) zu sammeln und für die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung der SBZ zu aktivieren, wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht die Gründung einer neuen Partei angeregt und diese am 16. Juni 1948 als „Nationaldemokratische Partei Deutschlands" lizensiert. In ihrem Programm forderte sie, daß ehemalige Nationalsozialisten, „die guten Willens sind und die sich keiner Verbrechen schuldig gemacht haben, jetzt vorbehaltlos in der demokratischen Nation als Bürger gleichen Rechts beheimatet werden" Aber zu diesem Zeitpunkt war die Entnazifizierung offiziell längst abgeschlossen: Mit Befehl Nr. 35 vom 27. Februar 1948 hatte die Sowjetische Militäradministration die Beendigung der Entnazifizierung angeordnet.

Die 1949 auf dem Boden des früheren Deutschen Reiches entstandenen beiden deutschen Staaten hatten sich mit dem Erbe der aus der Besatzungszeit übernommenen Entnazifizierung in sehr unterschiedlichem Maße auseinanderzusetzen. Im Bereich der neu gegründeten „Deutschen Demokratischen Republik" war die politische Säuberung zügig und zielstrebig im Sinne der den neuen Staat tragenden Kräfte und der sie stützenden Besatzungsmacht zum faktischen Abschluß gebracht. Politische Säuberung bedeutete dort totale wirtschaftliche Entmachtung der früheren Führungsschicht und der den neuen Machtträgern oppositionell gegenüberstehenden bürgerlichen Kreise. Die „Volkskammer" der DDR verabschiedete am 11. November 1949 ein Gesetz, wonach allen früheren Mitgliedern der NSDAP, sofern sie nicht zu einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden waren, das aktive und passive Wahlrecht zurückgegeben wurde. Außerdem konnten sie künftig wieder in allen Berufen mit Ausnahme der inneren Verwaltung und der Justiz tätig sein. Enteignungen und Vermögensentziehungen aufgrund von Entnazifizierungsmaßnahmen wurden jedoch nicht rückgängig gemacht. Das Problem der alten Rechte der aus politischen Gründen entlassenen Beamten bestand nicht mehr, da in der Sowjetzone der Status des Berufsbeamten und die damit zusammenhängenden besonderen Beamtenrechte schon vorher abge-

schafft worden waren.

Erheblich anders sah die Situation in der im Herbst 1949 entstandenen „Bundesrepublik Deutschland"

aus. Durch die Rechtsunsicherheit infolge der sehr unterschiedlichen Durchführung der Entnazifizierung in den verschiedenen Besatzungszonen und Ländern wie überhaupt durch ihren in jeder Hinsicht unbefriedigenden Verlauf war die politische Säuberung 1948/49 zu einem für alle Seiten höchst verdrießlichen Kapitel geworden. Ablehnung der Entnazifizierung und Widerstand gegen ihre Fortführung hatten einen spektakulären Höhepunkt in einer Kanzelverkündigung des Kir-

chienpräsidenten Martin Niemöller am 1. Februar 1948 gefünden, in der den Gläubigen der Ev. Kirche Hessen-Nassau abgeraten und den Geistlichen sogar verböten wurde, bei der Durchführung des „Befreiungsgesetzes" weiterhin mitzuwirkeh. Die beiden großen Kir-

chen hatten von allem Anfang an Bedenken gegen eine breit angelegte politische Säuberung geäußert und sich unermüdlich für die von der Entnazifizierung Betroffenen eingesetzt. Niemöllers Aufruf kam einer zu dieser Zeit weitverbreiteten Stimmung entgegen] General Clay warf ihm allerdings „schlechtes Staatsbürgertum" vor und der hessische Minister für politische Befreiung sprach von „Flucht aus der Verantwortung" Das unterschiedlich motivierte, aber einmütig empfundene und artikulierte Unbehagen am Fortgang der Entnazifizierung veranlaßte im Juni 1949 eine Gewerkschaftszeitung zu der bitteren Feststellung: „Es gibt wohl kaum einen Deutschen, mag er politisch stehen, wo er will, der nicht heilfroh ist, wenn dieses Trauerspiel ... endlich sein Ende findet."

Nadi längeren Auseinandersetzungen, ob Bund oder Länder für eine Abschlußgesetzgebung zuständig seien, verabschiedete der Bundestag am 15. Oktober 1950 Richtlinien, nach denen die Länder Gesetze zum Abschluß der Entnazi-

izierung erlassen sollten (und in den folgenden Jahren dann auch erließen). Die wichtigsten Empfehlungen waren: neue Verfahren werden nicht mehr eingeleitet, laufende Verfahren eingestellt (Ausnahme: Betroffene der Gruppen 1 und II). Berufs-ünd Tätigkeitsbeschränungeh werden aufgehöbeh (mit wenigen Ausnahmen auch für rechtskräftig eingestufte auptschuldige und Belastete). Alle Vermö-genssperren werden aufgehoben (Vermögenseinziehungen dagegen nicht sie waren aller-ings kaum verhängt worden). Bei Verurteinng sollten zu die Länder vom Gnadenrecht Gebrauch machen. Das geschah auch: Hauptschuldige und Belastete wurden, Wenn keine strafrechtlichen Delikte vorlagen, weitgehend amnestiert. Noch bestehenbleibende Einschränkungen der Rechte einzelner Betroffener wurden durch Bestimmungen der Länderverfassungen und Artikel 139 des Grundgesetzes legalisiert. Im Bundeswahlgesetz vom 8. Juli 1953 blieb den Hauptschuldigen das passive Wahlrecht vorenthalten, im Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956 entfiel auch diese Einschränkung.

Heftig umstritten blieb das Problem der aus dem öffentlichen Dienst Ausgeschiedenen, dem das Grundgesetz einen eigenen Artikel gewidmet hatte (Art. 131). Die bürgerlichen Parteien setzten sich nachdrücklich für die Wiederherstellung der verlorenen Rechte der Betroffenen ein, die SPD lehnte dagegen einen Rechtsanspruch auf automatische Wiedereinstellung ab. Am 11. Mai 1951 wurde schließlich ein Ausführungsgesetz zu Artikel 131 GG verabschiedet-, es legte Bund, Ländern und Gemeinden die Pflicht zur Wiedereinstellüng dieses Personenkreises auf (mit Ausnahme derjenigen, die durch Spruchkamiherbescheid ausdrücklich als untragbar für den öffentlichen Dienst bezeichnet worden waren) und sicherte die Erfüllung dieser Pflicht durch eine Einstellungssperre für andere Personen und durch Beitragszahlungen, falls der Arbeitgeber nicht eine bestimmte Mindestquote an „ 131ern" beschäftigte. Kein Wunder, daß unter solchen Umständen Gemeinden, Länder und Bund sich um möglichst räsche und Vollständige Wiederverwendung der ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes bemühten.

In den frühen fünfziger Jahren täuchte die Entnazifizierung nochmals in programmatischen Äußerungen westdeutscher Parteien auf, mit erheblich andersartigen Akzenten allerdings als in den Parteiprogrammen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im Programm des GB/BHE (= Gesamtdeutscher Block/Block der Heimat-vertriebenen und Entrechteten) von 1952 hieß es: „Die Kriegsgeneration und die Jugend sind von dem politischen Geschehen enttäüscht und lehnen es ab. Millionen gutwilliger Deutscher sind ohne eigenes Verschulden bestraft und zu Unrecht verfolgt worden." Im Arbeitsprogramm der DP (= Deutsche Partei) für den 2. Deutschen Bundestag 1953 waren „Schluß mit der fortdauernden Diffamierung, wirtschaftlichen Schädigung und beruflichen Entrechtung der ehemaligen Soldaten und Nationalsozialisten" und „Beseitigung moralischen und wirtschaftlichen Schäden der Ent-nazifizierung" gefordert und die verstärkte Fortsetzung des Kampfes gegen die „fortdauernde Neu-Entnazifizierung" angekündigt Mit ähnlicher Tendenz hieß es im „Aufruf zur Nationalen Sammlung", einem Entwurf des Landesverbands Nordrhein-West falen der FDP aus dem Jahre 1952, lapidar „Wir fordern Wiedergutmachung des Unrechts das Nationalsozialismus, Siegerwillkür um Entnazifizierung schufen."

III. Beurteilung

Die Entnazifizierung war nach Durchführung und Auswirkung in den Besatzungszonen sehr verschieden, so daß eine Beurteilung der Entnazifizierung differenzieren muß. Eine politische Säuberung dergestalt, daß sie neben der politischen Ausschaltung die wirtschaftlichen Grundlagen und gesellschaftlichen Privilegien der Betroffenen auch auf längere Zeit veränderte, gab es nur in der sowjetischen Besatzungszone. In der SBZ wurde die Entnazifizierung konsequent als ein Instrument zur Umschichtung der Gesellschafts-und Eigentumsverhältnisse benutzt und dabei keineswegs auf den Bereich einer politischen Säuberung von nationalsozialistischen Einflüssen beschränkt. Sie wird in DDR-Sicht zu den „revolutionären Umgestaltungen" gezählt, „die zur Beseitigung der Grundlagen des Imperialismus und Militarismus und zum Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung führten" Der Entnazifizierungskurs der SBZ fand auch den Beifall zeitgenössischen in den Links-Presse Westzonen. In der SBZ, urteilte 1947 (in die Stuttgart erschienene) Zeitschrift „Das neue Wort", werde bei der Entnazifizierung „der Grundsatz der Postdamer Beschlüsse verwirklicht. Die Großen werden bestraft und die den Kleinen in demokratischen Aufbau als gleichberechtigte Bürger eingegliedert. Diese Entscheidung wurde nur möglich durch klare solche demokratischen Reformen wie die Bodenreform und die Enteignung der Kriegsverbrecher. Dadurch wurden in den Ländern der Ostzone die ökonomischen Grundlagen des Faschismus und der Reaktion erschüttert und die Machtpositionen der Junker und Konzern-herren vernichtet. Eine gründliche Reform der Justiz . .. machte es möglich, den deutschen Gerichtsorganen der Ostzone die Aburteilung der Aktivisten anzuvertrauen. Damit dürfte in der Ostzone die Entnazifizierung in kurzer Zeit — vor allen übrigen Zonen — mit Erfolg beendet sein."

Genaue Zahlenangaben über die Entnazifizierung in der früheren SBZ liegen nicht vor.

Auch ist ungeklärt, in welchem Umfang es ehe maligen NS-Funktionären und „alten“ Pgs gelungen ist, einflußreiche Stellungen in de DDR einzunehmen Angesichts der dortiger straffen Presselenkung und des Fehlens von zeitgenössischen Stellungnahmen sowie von Forschungsergebnissen ist eine angemessene Beurteilung der Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone heute kaum noch möglich. Manches spricht aber dafür, daß die Sowjetunion die politisch vernünftigste und, aus ihrer Sicht, erfolgreichste Entnazifizierungspolitik aller vier Besatzungsmächte betrieben hat.

Die Entnazifizierung in den Westzonen scheint hinsichtlich ihrer Beurteilung leichter auf einen können. länge! Nenner zu Je gebracht werden sie praktiziert wurde, desto stärker überwogen schon bei den Zeitgenossen deutliche Distanzierung und negative Beurteilung, auch bei sehr entschiedenen Gegnern des Nationalsozialismus. Alle ernst zu nehmende Kritik der ersten Jahre bezog sich so gut wie ausschließlich auf die Methoden der Durchführung. Daß eine völlige Ausschaltung nationalsozialistischen Ideenguts unabdingbare Voraussetzung für jede Erneuerung Deutschlands und auch eine Bestrafung gewordener NS-An schuldig hänger notwendig seien, darin waren sich die Nachkriegspolitiker der „ersten Stunde“ in allen politischen Lagern einig. Auch die breite Mehrheit des Volkes war unter dem Eindrud der Folgen nationalsozialistischer Politik, der bekannt werdenden Verbrechen und des größtenteils kläglichen Verhaltens der führenden NS-Funktionäre bei Kriegsende durchaus za einer spontanen Selbstreinigung im Sinne einer Bestrafung der großen und kleinen „Nazis" bereit, und hätten die Besatzungsmächte diesem Impetus freien Lauf gelassen, so wäre das für viele Betroffene gewiß weniger glimpflich verlaufen als die spätere „legale" Entnazifizierung. Daß die Besatzungspolitik der Alliierten den Deutschen in den ersten Monaten nach Kriegsende keinen Einfluß auf Zielsetzung und Durchführung der politischen Säuberung gewährte, ist schon frühzeitig als einer der Gründe für ihren fehlerhaften Ansatz beklagt worden. Theodor Heuss notierte sich am 17. Mai 1945: „Das politisch so Belastende ist das, daß die Feindmächte auch die von Deutschen gegen Deutsche begangenen Ausschreitungen, Verbrechen, Korruptionen als ihr Rechtsressort zu betrachten scheinen, entweder mißtrauisch, ob es in Deutschland Richter findet, die zur vollen Sühne die innere Freiheit besitzen, oder gewillt, geschichtlich den totalen Ruin der staatlichen Souveränität dar-zutun. Das ist eine falsche Politik.“ Bei diesem an sich naheliegenden und in ähnlicher Weise von vielen Seiten geäußerten Verdikt ist das damals bei den Siegermächten weitverbreitete Mißtrauen gegenüber den Deutschen in ihrer Gesamtheit, das in der leidenschaftlich diskutierten Kollektivschuld-These seinen extremen Ausdruck fand, zu berücksichtigen.

Noch am 29. Juli 1946 vertrat der Abgeordnete Nigel Birch im englischen Unterhaus die Auffassung: „Eine umfassende Entnazifizierung ist nur dann richtig, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die große Masse des deutschen Volkes nicht nationalsozialistisch war. Aber die Geschichte der letzten zwölf Jahre läßt sich nur erklären, wenn man von der Hypothese ausgeht, daß die breite Masse des deutschen Volkes nazistisch war." Wenn man überzeugt war, das ganze deutsche Volk habe die NS-Politik gebilligt und im Grunde seien mehr oder minder alle Deutschen Nazis gewesen: welchen deutschen Kräften hätte man da die Aufgabe einer politischen Säuberung übertragen sollen? Und falls es eine demokratische Minderheit gab — konnte sie sich gegen die große Mehrheit politisch Belasteter durchsetzen? Aber auch organisatotische Voraussetzungen fehlten: Es gab nach Kriegsende keine funktionierenden deutschen Behörden, die eine Entnazifizierung auf breiter Basis hätten durchführen können.

Darin sahen die Zeitgenossen eine der Wurzeln allen späteren Übels, und in diesem heil stimmten viele überein: Kritiker aller Politischen Richtungen, engagierte Befürporter einer durchgreifenden Lösung und ppruchkammer-Mitarbeiter mit praktischer Wahrung Die vor allem auf Initia-tive der Amerikaner zustande gekommene ständige Ausdehnung des von der Säuberung betroffenen Personenkreises brachte unabsehbare organisatorische Schwierigkeiten und gravierende Folgen für den Wiederaufbau von Wirtschaft und Verwaltung mit sich. Aber die so überaus breite Anlage der Entnazifizierung erklärt nicht allein das spätere Fiasko. Die Ausschaltung und Sühneleistung großer Massen von Belasteten wäre auf der Grundlage vorstellbar gewesen, daß man ihnen nach rein schematischen Kriterien Sühnemaßnahmen auferlegte, so daß etwa der Beitritt zur NSDAP zu einem gewissen Zeitpunkt oder das Inne-haben des Amts z. B. eines Ortsgruppenleiters automatisch ganz bestimmte Sühnemaßnahmen und Nachteile (wie Beförderungssperren, Sondersteuern) zwingend zur Folge gehabt hätte.

Lösungsmöglichkeiten solcher Art tauchten aber in der zeitgenössischen Presse verhältnismäßig selten auf Gegen eine schematische Behandlung der Entnazifizierungsfrage wurden schon 1945 von deutscher Seite rechtliche und politische Bedenken geltend gemacht. Eine der allerersten umfangreicheren Äußerungen der deutschen politischen Publizistik zum Problem der politischen Säuberung, das im Herbst 1945 von dem Münchener Journalisten Ernst Müller-Meiningen verfaßte und weithin beachtete Buch „Die Parteigenossen", wandte sich mit Nachdruck gegen eine schematisch-formalistische Lösung und forderte eine individuelle Prüfung aller Belastungsfälle nach der Devise:

„Nicht Parteizugehörigkeit allein, nicht Stichtag darf maßgebend sein, auf die Gesamtpersönlichkeit kommt es an." Auffassungen dieser Art waren vorherrschend und beeinflußten die Arbeit an dem für die gesamte Entnazifizierung der Westzonen richtungweisenden süddeutschen „Befreiungsgesetz" in entscheidender Weise. Gerade den Ausschaltungs-und Bestrafungsschematismus, der den Entnazifizierungsdirektiven der Besatzungsmächte zugrunde lag, wollte man deutscherseits ja überwinden. Durch die Auflösung der von den Besatzungsmächten verlangten Massen-Entnazifizierung in eine Unzahl individuell zu behandelnder Einzelfälle geriet die politische Säuberung in ein schier auswegloses Dilemma. Neben der außerordentlich breiten Anlage stießen bestimmte Erscheinungsformen der Ent-nazifizierungspraxis auf die einmütige Ablehnung und Verurteilung durch die Zeitgenossen:

1. Die unterschiedliche Handhabung der politischen Säuberung in den Besatzungszonen, die nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern auch die Gewährung „verschiedenartiger Chancen in der Übernahme neuer demokratischer’ Verantwortungen und Funktionen" zur Folge hatte.

2. Die Langsamkeit .der Aktion mit ihren oft als ungerecht empfundenen Auswirkungen für die Betroffenen, die bis zu ihrem Verfahren, auf das sie nicht selten jahrelang warten mußten, auch ohne Schuldnachweis durch Beschäftigungsverbot und andere Beschränkungen „bestraft" blieben.

3. Die Vorbehaltsrechte der Militärregierungen hinsichtlich der endgültigen Entscheidung, wodurch die Entnazifizierung als Racheaktion des Siegers aufgefaßt werden konnte.

4. Die gesetzliche Schuldvermutung und die Umkehrung der Beweislast: beweispflichtig war, im Gegensatz zur üblichen Rechtspraxis, der Betroffene.

5. Die rückwirkende Kraft des Gesetzes, d. h. die Bestrafung von Taten, die zur Zeit der Begehung nicht (ausdrücklich) verboten waren. 6. Die unterschiedliche Härte der Bestrafung: die „Kleinen" wurden in der Anfangszeit vielfach wesentlich härter verfolgt als die in der Regel später an die Reihe gekommenen „Großen". Viele der kritisierten Mängel hingen ungewollt, aber untrennbar mit dem Bemühen zusammen, die auf breitester Basis eingeleitete und befohlene Massen-Entnazifizierung streng gesetzmäßig und individuell durchzuführen, bzw. resultierten mehr oder minder zwangsläufig daraus. Im innen-und gesellschaftspolitischen Kräftespiel zwischen sozialrevolutionären und konservativ-restaurativen Tendenzen konnten die Kräfte, denen die Rückkehr zu rechtsstaatlichen Prinzipien in allen Bereichen und unter allen Umständen oberstes Gebot war, im Lauf der späten vierziger Jahre politisch und gesellschaftlich ein klares Übergewicht gewinnen. Für die politische Säuberung, die als eine Aufgabe von weitreichender Auswirkung und größtem öffentlichen Interesse mitten in diesem Spannungsfeld stand, bekamen damit rechtliche und moralische Kategorien, Fragen nach persönlicher Schuld und Verantwortung, immer mehr ausschlaggebende Bedeutung. Ließ sich das politische Ziel der Entnazifizierung, die Ablösung und dauernde

Ausschaltung einflußreicher Nationalsozialisten aus allen wesentlichen Positionen, allein mittels gesetzlicher Maßnahmen erreichen? Diese Frage wurde in der zeitgenössischen Publizistik oft gestellt und erörtert. „Am verhängnisvollsten wirkte sich ... aus, daß nicht scharf geschieden wurde zwischen dem Zweck rein politischer Hygiene und der ihrem Wesen nach strafrechtlichen Verantwortung. Die erste besteht darin zu verhindern, daß an irgendeine Stelle, die mit gesellschaftlicher Macht oder geistigem Einfluß (Lehrer!) ausgestattet ist, jemand gelangt, von dem eine Ausnutzung von Macht oder Einfluß im anti-demokratischen Sinn zu erwarten oder dessen Charakter nicht die Gewähr bietet, daß er einem erneuten faschistischen Druck standhält. Das hat nichts mit der Verantworung für das zu tun, was der einzelne für Aufkommen und Erhaltung der nationalsozialistischen Despotie getan hat. Nur für dies zweite Verfahren waren die Garantien des liberalistischen Strafrechts und Strafprozesses sinnvoll. Praktisch überwucherte die strafrechtliche Anschauungsweise von vornherein die ganze sogenannte Entnazifizierung."

In die gleiche Richtung zielt die Auffassung, viele der mit der Durchführung Beauftragten legten es bewußt „darauf an, die Möglichkeiten des Gesetzes bis zum letzten zu erschöpfen, um an der eigentlichen Aufgabe des Gesetzes vorbeizugehen und eben keine strukturellen Änderungen, notwendig für die Demokratie, noch notwendiger aber für den wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands, durchzuführen. ... Indem die Spruchkammern es mehr und mehr ablehnten, politisch zu urteilen (politisch heißt hier natürlich nicht parteipolitisch, sondern muß im Sinne der politschen Aufgabenstellung der legalen Revolution verstanden werden), und nur die formale Belastung in Betracht zogen ..., wurden sie zu den direkten Helfern jener, die das reaktionäre Deutschland erhalten wollen."

Das Spannungsverhältnis zwischen politischer Zielsetzung der Entnazifizierung und möglicherweise (oder, nach Meinung der Linken: absichtlich) inadäquaten Methoden wurde auch auf Seiten der „Legalisten" angesprochen. Die Entnazifizierung „dürfte der erste Versuch in der Geschichte sein, zwar nicht die Revolution selbst, wohl aber ihr wichtigstes Produkt, die Ablösung der Elite, durch Organisation und Gesetzgebung . legal'herbeizuführen. Man kann eine solche künstliche Lösung des Problems durchaus für möglich halten und bejahen, man muß sich nur darüber klar sein, daß es sich im Grunde doch um einen revolutionären Akt handelt, wenn er sich auch in zivile-ren und rationaleren Formen abspielt als eine , wilde'Revolution. Man muß aber auch die Gefahr sehen, die darin besteht, daß der Ehrgeiz, . legal'und im Rahmen von , Ruhe und Ordnung'zu bleiben, allzuleicht den Effekt der ganzen Aktion, die wirkliche Umwälzung der Elite, beeinträchtigen oder gar zunichte machen kann. Gegen die Revolution, die . ausgebrochen'ist, gibt es nämlich keine Argumente, die künstliche Revolution kann man dagegen auf ihrem eigenen rationalen Felde mit Argumenten und Akten ersticken." Ein Kommentar von BBC London brachte diese ganze Problematik auf die bündige Formel: „Verpaßte Revolutionen kann man nicht mit Fragebogen nadiholen. Das ganze Dilemma der Entnazifizierung ist zum größten Teil das unerfreuliche Nachspiel einer gründlich verpaßten historischen Gelegenheit ... Eine revolutionäre Säuberung wurde verpaßt, eine bürokratische, die an Stelle des Volkszornes den Fragebogen setzte, langsam und umständlich in Bewegung gesetzt."

Ein anderer Schwerpunkt der Diskussion und Bewertung betraf den Fragenkomplex von persönlicher Schuld und Schulderkenntnis, von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit: „Die Erkenntnis eigener Mitschuld und das Wiedererstehen der Achtung vor dem Recht können durch eine bloß gesetzliche Reinigung von Nationalsozialismus und Militarismus nicht wesentlich gefördert werden. Beides kann aber sehr wohl in verhängnisvoller Weise durch eine Gesetzgebung, die über Anhänger des Nationalsozialismus ein Urteil fällt, das nicht als gerecht anerkannt wird ünd das sie in eine Haltung der Selbstrechtfertigung hineinzwingt, gehemmt werden. Neue Achtung vor dem Recht könnte nur entstehen, wenn das deutsche Volk jetzt Gesetzen begegnet, die ihm überzeugend als Auswirkung göttlicher Gerechtigkeit erscheinen und die frei sind von menschlicher Rache oder menschlicher Macht-politik." Auch bei einer derartigen Betrach-tungsweise wurde immer wieder auf die notwendige Unterscheidung zwischen den Aspekten einer politischen Säuberung und den einer Massenbestrafung hingewiesen. Die Unerläßlichkeit einer „Bereinigung des öffentlichen Lebens von all den Persönlichkeiten, die in ihm bis 1945 als Stützen des Regimes eine aktive Rolle gespielt haben", wurde auch bei betont rechtsstaatlicher Sicht nicht in Zweifel gezogen: „Dabei braucht die Frage, ob und inwieweit der einzelne das Unheil vorhersehen und abwenden konnte, nicht allzu eng gefaßt und beantwortet zu werden. Im politischen Bereich ist das reine Wollen und das aufs eigene Ressort beschränkte, vermeintlich pflichttreue Handeln eben nicht genug. Vielmehr entscheidet der Erfolg, und zu ihm hat jeder beigetragen, der an seinem Platz, wenn auch mit sauberen Händen, das Regime stützte." Aber solche „politische Schuld" oder auch „moralische Schuld" kann nicht „Gegenstand eines öffentlichen Strafrechts" sein. Bleibt also die eigentlich kriminelle Schuld als letzte Begründung einer Bestrafung? „Aber es hieße kriminelles Unrecht um seine wahre soziale Bedeutung, seine Bestrafung um ihre ethische Begründung und Autorität bringen, wollte man ihm die von einem ganzen Volk millionenfach begangenen . Verbrechen'der Partei-oder Formationszugehörigkeit unterschiedslos gleichstellen. Die Folgen einer so mißverstandenen Entnazifizierung zeichnen sich bereits deutlich ab: das soziale Unwerturteil, auf dem jedes Strafrecht beruht, wird nicht etwa auf die bisher nicht als kriminell empfundenen politischen Handlungen erstreckt, sondern auch noch gegenüber den echten kriminellen Verbrechen an Leib, Leben oder Vermögen abgestumpft, das Rechtsbewußtsein des Volkes also weiter geschwächt statt gestärkt". Nach weit-verbreiteter Auffassung hatte die Masse der Mitläufer nichts im rechtlichen Sinne Strafbares begangen, sie waren Opfer ihrer politischen Torheit, Schwäche oder opportunistischen Haltung geworden. Große Resonanz und Zustimmung fand die 1947 von Eugen Kogon in den „Frankfurter Heften" formulierte These vom „Recht auf den politischen Irrtum": „Es ist nicht Schuld, sich politisch geirrt zu haben. Verbrechen zu verüben oder an ihnen teilzunehmen, wäre es auch nur durch Duldung, ist Schuld. Und Fahrlässigkeit ist ebenfalls Schuld, wenn auch eine von anderer und von geringerer Art als Verbrechen und Verbrechensteilnahme. Aber politischer Irrtum — in allen Schattierungen — samt dem echten Fehlentschluß gehört weder vor Gerichte noch vor Spruchkammern." Bei einer Dominanz rechtsstaatlich-strafrechtlicher Aspekte stieß die Entnazifizierungspraxis in jedem Fall auf größte Bedenken, zugespitzt formuliert in der Feststellung: „Die Scheinrevolution der Entnazifizierung hat sich darauf eingelassen, den Gegner mit den Argumenten des Rechts zu widerlegen. Sie muß sich nun gefallen lassen, selbst mit den Argumenten des Rechts widerlegt zu werden."

Juristische, moralische und politische Einwände, oft in enger Verknüpfung, mündeten häufig in die Warnung, daß eine falsch durchgeführte Entnazifizierung der „beste Schrittmacher der Renazifizierung" sei. Ab 1948 waren es vielfach nicht mehr bloße Warnungen, sondern regelrechte Feststellungen, daß die bisherige Entnazifizierung in Wirklichkeit als eine „Technik der Renazifizierung" (so der Titel eines Aufsatzes) fungiert habe. „Die Betroffenen und ihre Angehörigen repräsentieren die Mehrheit des Volkes. Ohne sie kann ein demokratischer Apparat logischerweise nicht funktionieren. Dennoch nahm man ihnen die Möglichkeit, die Rechnung mit dem Vergangenen im stillen Kämmerlein abzumachen und ohne viel Aufhebens in die demokratische Front einzuschwenken. Man ließ sie statt dessen im Büßerhemd auf dem Bauche liegen und züchtete jene giftigen Ressentiments, die nie ihren Frieden mit der Demokratie machen werden. Man erhob, vom Pharisäertum mancher Ausländer angesteckt, das Verlangen nach einem Exhibitionismus der Reue, der menschlichem Richtertum schlecht zu Gesicht steht und gerade dem ungebrochenen Rückgrat die Einsicht versperrt. Man schuf die Staatsfeinde aus gekränktem Ehrgefühl und beeilte sich dann, sie auf ihre alten Plätze zurückzustellen. Und man verkehrte auf diese Weise den Zweck des Gesetzes, die Sicherung der Demokratie, in sein genaues Gegenteil."

Spätestens ab 1949 stand für die gesamte Öffentlichkeit und Publizistik, unabhängig vom politisch-gesellschaftlichen Standort, definitiv fest, daß die politische Säuberung gescheitert sei. Bezeichnungen für die Entnazifizierung wie „weitgespannte Justiztragödie" „Denazifizierungs-Komödie" „Versagen und Skandal 62 vom Anfang bis zum Ende" waren an der Tagesordnung. „Nie kann und wird das Verlangen aufhören, daß das zum Himmel schreiende Verbrechen der wirklich Schuldigen seine gerechte Sühne findet. Wenn trotzdem auch die Nazigegner das Ende der , Entnazisierung'[sic! ] wünschen, so deshalb, weil es unerträglich ist, täglich die empörenden Urteile nach dem Motto , Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen'länger mitansehen zu müssen, Vernünftig denkende Menschen sind längst zu der Überzeugung gekommen, daß die ganze Entnazisierung [sic! ] von Anfang an falsch aufgezogen wurde und in ihrem Verlauf zum Teil Kreisen zur Entscheidung zugewiesen wurde, die weder gewillt noch fähig sind, wirklich Recht zu sprechen. Statt in der Bevölkerung das Gefühl einer ernsthaften Überwindung des Nationalsozialismus zu schaffen, ist das Ergebnis eine Vergiftung.“

In manchen Zeitungen — einer ganz anderen Richtung als die eben zitierte — blieb es in der Schlußphase der Entnazifizierung nicht dabei, ihr Scheitern teils zornig, teils schadenfroh zu kommentieren. Die Wochenzeitung „Christ und Welt" stellte Anfang 1950 die Frage, ob diejenigen deutschen Nachkriegspolitiker, die für das Befreiungsgesetz und sein „Unheil" die Verantwortung trügen, auch für das künftige politische Leben noch geeignet seien. „Für einen guten Anfang — und er muß heute geschehen — ist unerläßliche Voraussetzung, daß jenes bittere Erbe des staatlich sanktionierten kalten Bürgerkriegs abgeschüttelt" werde Die Auswirkungen der politischen Säuberung der Hochschulen wurden in der gleichen Zeitung als „Demontage der deutschen Wissenschaft" beklagt und die Forderung der Westdeutschen Rektorenkonferenz nach weiteren Überprüfungsmaßnahmen für „amtsverdrängte" Hochschullehrer mit der kaum verhüllten Drohung kommentiert, daß offenbar bald „ganz persönliche Verantwortungen derjenigen festgelegt werden müssen, die schuld daran sind, daß diese Mißstände", nämlich der Widerstand gegen die Wiedereinstellung der aus politischen Gründen entlassenen Professoren, „noch immer fortbestehen" In einem anderen Artikel jenes Blattes wurde der (in einem Leserbrief vorgebrachte) Vorschlag erörtert, die Entnazifizierung auf dem Rechtsweg dadurch zu beenden, „daß den Entnazifizierern ihre Schuld aufgerechnet und den Entnazifizierten zugefügtes Unrecht als solches anerkannt wird" _ nach Meinung der Zeitung ein „aus tiefen und an sich gesunden Schichten des Gefühls gespeister Wunsch"

Schließlich soll als letzte Stimme aus der damaligen Publizistik ein sehr bemerkenswerter Aufsatz, 1950 in der angesehenen Zeitschrift „Die Sammlung" erschienen, zitiert werden. Darin wurde von den Lebensschicksalen einer Gruppe von Lehrern berichtet, die 1905 gemeinsam ihr Examen an einem Seminar in Schleswig-Holstein absolviert hatten. Fast alle dieser 17 Schulmeister hatten beim Nationalsozialismus „irgendwie mitmachen müssen", als kleine Parteigenossen oder als Funktionäre; jeder wollte durch sein Mitmachen nichts anderes „als die Voraussetzung erfüllen für die Fortsetzung seiner ihm von Gott aufgegebenen Berufsarbeit". Nach 1945 kam dann das „Trauerspiel der Entnazifizierung" und spielte ihnen übel mit: es brachte den Betroffenen „großen materiellen Schaden und ein schweres, lebenbedrohendes Leid". Ohne jedes eigene Verschulden, denn sie waren „im Grunde unpolitische Menschen" und hatten gegen die Ideale des Geistes, in dem sie erzogen worden waren und aus dem heraus sie 40 Jahre lang gewirkt hatten, nämlich „Achtung der Menschenwürde, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz", in keiner Weise verstoßen. Daher, durchaus folgerichtig aus solcher Sicht, stand am Ende des Berichts die Forderung nach Wiedergutmachung des ihnen „angetanen Unrechts" durch den Staat. Keine Andeutung eines auch nur leisen Zweifels, ob auch eigenes Mit-Verschulden vorliegen könne, kein Wort des Bedauerns über das »Mitgemachthaben" beim Nationalsozialismus.

Ein Dokument weinerlicher Selbstgerechtigkeit und totaler Einsichtslosigkeit — auch dies ein «Beitrag zur Frage der Entnazifizierung" (so der Untertitel des Berichts) I

Alle negativen Erfahrungen, alle Verfahrens-mängel und Zielverfehlungen beim Versuch einer politischen Säuberung nach 1945 können keinen Zweifel daran wecken, daß sie unter allen Umständen, auch trotz der widrigen Konstellationen der damaligen Zeit, versucht werden mußte. Die entschiedene Ausschaltung des Einflusses von Mitbürgern, die die Herrschaft des Nationalsozialismus mitgetragen und sich zu seiner Ideologie bekannt hatten, war zwingende Voraussetzung für alle deutschen Bemühungen, Grundsätze von Demokratie und Menschenwürde zu verwirklichen und das Vertrauen des Auslandes zurückzugewinnen. Darrn stimmten nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die meisten politischen und gesellschaftlichen Gruppen, die Publizistik und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung überein, daß eine gründliche Säuberung (keine Massenbestrafung) eine politische und moralische Aufgabe von höchster Dringlichkeit war. Aber Individualisierungstendenzen der Säuberung und Bestrafungsgesichtspunkte und damit zusammenhängend der ganze Komplex von persönlicher Schuld oder Unschuld traten immer stärker in den Vordergrund und verdeckten mehr und mehr das politische Ziel der Entnazifizierung.

Die Erfahrungen vieler Mitbürger mit der Entnazifizierung haben sicher ihre Bereitschaft nicht gefördert, sich im neuen demokratischen Staat politisch zu engagieren und an den Belangen der res publica aktiv mitzuwirken. Ob ein solcher Rückzug aus der Politik die „dauerhafteste" der „von der verfehlten . Entnazifizierung'hinterlassenen Spuren" war, wie gelegentlich behauptet worden ist, bleibe dahingestellt. Daß Zusammenhänge zwischen den Auswirkungen der politischen Säuberung nach 1945 und der sich auf vielfältige Weise geäußerten Entpolitisierung der Nachkriegsgesellschaft Bestehen, ist anzunehmen. Um so wichtiger ist, unablässig darauf hinzuweisen, daß politische Abstinenz in einer demokratisch sich verstehenden Gesellschaft nicht von politischer Mitverantwortung des einzelnen für das Schicksal der Gemeinschaft zu dispensieren vermag. Unter Hinweis darauf, daß viele Belastete, wie Richter und Künstler, sich erfolgreich verteidigen konnten mit dem Argument, sie hätten sich ausschließlich um ihren Beruf gekümmert, wurde in einem zeitgenössischen Kommentar zum heftig umstrittenen Freispruch des im Dritten Reich renommierten Filmregisseurs Veit Harlan die Empfehlung ausgesprochen: „Es sollte Allgemeingut in der Rechtsprechung werden, daß die Behauptung, jemand habe sich nicht um Politik gekümmert, bei seiner Beurteilung strafverschärfend wirkt und nicht entlastend."

Es ist ohne Frage gelungen, die frühere Führungsschicht und ihre aktiven Anhänger nach 1945 für einige Jahre hinsichtlich ihrer direkten politischen Einflußmöglichkeiten auszuschalten. Die schon bald, vor allem in der SBZ, aufgestellte Behauptung, eine politische Säuberung sei in Westdeutschland schlechterdings unterblieben hält kritischer Nachprüfung nicht stand. Da aber die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der Betroffenen kaum angetastet worden waren sowie infolge der innenpolitischen Entwicklung mit ihren restaurierenden Tendenzen gelang es den meisten früheren Anhängern des Nationalsozialismus, auf allen Gebieten wieder Fuß zu fassen. Die durch die politische, rechtliche und gesellschaftliche Wiedereingliederung der ehemaligen Nationalsozialisten bewirkte Aufhebung der (äußeren) Entnazifizierungsfolgen innerhalb relativ kurzer Zeit hat dem Mißtrauen des Auslandes gegenüber der Bundesrepublik ohne Zweifel Auftrieb gegeben Die unglückliche Personalpolitik der Bundesrepublik bei der Auswahl der führenden Mitarbeiter hat hierbei ein übriges getan; die „Fälle" Globke Oberländer, Krüger und Vialon bis hin zu Schrübbers stellen nur besonders herausragende, keineswegs vereinzelte Beispiele dar. Auch die Tatsache, daß die Wiedereinstellung der wegen politischer Belastung entlassenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes möglich wurde, gehörte zu den Erscheinungen, die im In-und Ausland als Symptome einer allgemeinen Tendenz verstanden werden und Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Bemühens, mögliche Nachwirkungen des Nationalsozialismus konsequent und dauerhaft auszuschalten, wecken konnten. Die unzulänglich gebliebene politische Säuberung nach 1945 bzw. die baldige Annullierung ihrer Folgen in der Bundesrepublik hat zweifellos den Abbau des Mißtrauens gegenüber den Deutschen, besonders in den Ländern, die unter dem Nationalsozialismus hart gelitten hatten, und die Ausöhnung mit den östlichen Nachbarn nachhaltig erschwert. Es ist aus mehreren Gründen nicht verwunderlich, daß die Entnazifizierung, sofern sie nicht total „vergessen" wurde, nur bittere Erinnerungen weckt, sowohl bei den Betroffenen als auch bei denen, die seinerzeit ihre Durchführung für eine der wichtigsten Aufgaben der Nachkriegszeit hielten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Christ und Welt, 4 (1951), Nr. 44, S. 4.

  2. Zit. nach: Ernst Deuerlein, Die Einheit Deutschlands, Band 1 Frankfurt 19612, 3S. 304.

  3. Boris Meissner, Die Vereinbarungen der Europäischen Beratenden Kommission über Deutschland von 1944/45, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/70, S. 4.

  4. Zit. nach: Ernst Deuerlein, a. a. O., S. 326.

  5. Lucius D. Clay, Entscheidung in Deutschland, Frankfurt 1950, S. 33.

  6. JCS 1067 wurde erstmals veröffentlicht am 17. 10. 1945 und bestimmte offiziell die US-Besatzungspolitik bis zur Ablösung durch JCS 1779 am 11. 7. 1947. Entstehungsgeschichte und Text (im Auszug und in Übersetzung): Ernst Deuerlein, a. a. O., S. 52 f. und 335 ff.

  7. Zit. nach: Ernst Deuerlein, Potsdam 1945, Mün*en 1963, S. 353.

  8. Zit. nach: Ernst Deuerlein, Die Einheit Deutschlands, a. a. O., S. 341.

  9. Lutz Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht zwischen Verwaltungstradition und politischen Parteien in Bayern 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 15 (1967), S. 163.

  10. Michael Balfour, a. a. O., S. 264.

  11. Lueius D. Clay, a.a. O„ S. 86.

  12. Ziet. nach: Justus Fürstenau, a. a. O., S. 41.

  13. S. hierzu: Lutz Niethammer, a. a. O„ S. 195 ff.

  14. Jhn Gimbel, a. a. O., S. 141.

  15. Eine 1957 erschienene Lebensbeschreibung Wilhelm Hoegners glaubt ihn wegen seiner seinerzeit scharfen Haltung in der Entnazifizierungsfrage in Schutz nehmen zu müssen und versucht eine nunmehr gewandelte Einstellung deutlich zu machen: Albrecht Graf Montgelas und Carl Nützel, Wilhelm Hoegner, München 1957, S. 82 ff. In seiner Selbstbiographie dagegen (Der schwierige Außenseiter, München 1959) steht Hoegner voll zu seinen engagierten Bemühungen um eine gründliche politische Säuberung nach 1945. Er bequemte sich auch aus dem Abstand der Jahre heraus nicht zu einer opportunistischen Distanzierung.

  16. Reinhold Maier, Ein Grundstein wird gelegt, Tübingen 1964, S. 219.

  17. Zit. nach: Wilhelm Hoegner, Der schwierige Außenseiter, München 1959, S. 235.

  18. Wilhelm Hoegner, a. a. O., S. 236.

  19. Aufsehenerregende Korruptionsskandale aus späteren Phasen der Entnazifizierung drehten sich um den Chefkläger bei der württ. Zentralspruch-Kammer (s. hierzu: „Meyer madit's", in: Christ und Welt, 3 (1950), Nr. 5, S. 12) und den Stellvertretenden Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Land Nordrhein-Westfalen, Robert Saal-Wächter (s. hierzu: „Wie war es möglich, daß der Eo Gärtner blieb?", in: Die Zeit, 7 (1952), Nr. 10, >. 3).

  20. Reinhold Maier, Erinnerungen 1948— 1953, Tübingen 1966, S. 226.

  21. Zit. nach: John Gimbel, a. a. O., S. 212.

  22. Lucius D. Clay, a. a. O., S. 292.

  23. Göttinger Universitätszeitung, 2 (1947), Nr. 3, S. 7.

  24. Theodor Steltzer, Sechzig Jahre Zeitgenosse, München 1966, S. 190.

  25. Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, hrsg. von Ossip K. Flechtheim, Berlin 1962 ff., Bd. 3, S. 314 ff. (Im folgenden zitiert als „Dokumente ...“).

  26. Dokumente . .., Bd. 3, S. 2 f.

  27. Dokumente . . ., Bd. 3, S. 29.

  28. Dokumente . . ., Bd. 2, S. 27 f.

  29. Dokumente . . ., Bd. 2, S. 35 f.

  30. Dokumente . . ., Bd. 2, S. 52.

  31. Dokumente . . ., Bd. 2, S. 218.

  32. Dokumente . . ., Bd. 2, S. 269 f.

  33. Zahlen bei Justus Fürstenau, a. a. O., S. 177 ff

  34. Billerbeck, a. a. O„ S. 60.

  35. Zit. nach: Ernst Deuerlein, DDR 1945— 1970, München 1971’, S. 47.

  36. Zit. nach: Ernst Deuerlein, DDR, a. a. O., S. 52.

  37. Stefan Doernberg, Kurze Geschichte der DDR, Berlin (Ost) 1964, S. 115.

  38. Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1964, S. 457 f.

  39. Dokumente . .., Bd. 3, S. 443.

  40. Der Überblick, 3 (1948), Nr. 7, S. 6 ff.

  41. Der Bund, 3 (1949), Nr. 12, S. 2.

  42. Dokumente ..., Bd. 2, S. 421.

  43. Dokumente . . ., Bd. 2, S, 388.

  44. Dokumente . . Bd. 6, S. 297.

  45. Stefan Doernberg, a. a. O., S. 113.

  46. Karl Weber, Die Entnazifizierung in den vier Zonen, in: Das neue Wort, 2 (1947), H. 16, S. 20.

  47. Die diesbezüglichen Angaben in dem in mehreren Auflagen erschienenen Handbuch: SBZ von A bis Z (Neueste Auflage unter dem Titel: Abis 'Bonn 1969) helfen nicht weiter: ein Großteil oe dort unter dem Stichwort „Nationalsozialisten, eW malige“ aufgeführten Personen mit höheren Kat gen in der DDR war bei Ende des Dritten Rei® -im Alter von. weniger als 22 Jahren.

  48. Theodor Hauss, Aufzeichnungen 1945-1947, Tübingen 1966, S. 76.

  49. Zit nach: Michael Balfour, a. a. O., S. 279.

  50. Nur zwei Beispiele für unzählige: Wilhelm do 2 er, a'a'O., S. 237, und Karl Hammer, Bankrott Entnazifizierung?, Stuttgart 1948, S. 3 f. (diese

  51. Eines der wenigen Beispiele: Walther v. Hollander, Ein Jahr Entnazifizierung, in: Nordwestdeutsche Hefte, 2 (1947), H. 1/2, S. 37.

  52. Ernst Müller-Meiningen jr., Die Parteigenossen, München 1946, S. 14.

  53. Die Gegenwart, 2 (1947), Nr. 9/10, S. 9.

  54. Walter Mannzen, Die Technik der Renazifizierung, in: Neues Europa, 3 (1948), H. 23, S. 25 f.

  55. Leo Bauer (KPD-Fraktionsvorsitzender im Hess Landtag), Entnazifizierung — Renazifizierung, in Wissen und Tat, 2 (1947), S. 5.

  56. Karl Heinrich Knappstein (Ministerialdirektor im neSs. Befreiungsministerium und später Botschafer m Spanien und den USA), Die versäumte Revosution, in: Die Wandlung, 2 (1947), S. 664 f.

  57. Zitiert bei: Karl Anders, Fragebogen statt Rew? pV 0“'in: Neues Abendland, 2 (1947), S. 88.

  58. Elisabeth Schwarzhaupt (Oberkirchenrätin bei er „Kanzlei der Ev. Kirche in Deutschland" und pater Bundesminister für das Gesundheitswesen), ie Evangelische Kirche und das Befreiungsgesetz, : Frankfurter Hefte, 1 (1946), S. 872.

  59. Ludwig Raiser, Entnazifizierung, in: Göttinger Universitätszeitung, 2 (1947), Nr. 3, S. 8.

  60. Eugen Kogon, Das Recht auf den politischen Irrtum, in: Frankfurter Hefte, 2 (1947), S. 649 f.

  61. Wilhelm Clever, Massenstrafe, in: Die Gegenwart, 3 (1948), Nr. 16, S. 13 f.

  62. Ernst Friedlaender, Großreinemachen, in: Die Zeit,'2 (1947), Nr. 23, S. 1.

  63. Neues Europa, 3 (1948), H. 23.

  64. Wilhelm Clever, a. a. O., S. 12 f.

  65. Rheinischer Merkur, 4 (1949), Nr. 14, S. 3.

  66. Christ und Welt, 4 (1951), Nr. 36, S. 4.

  67. Der Bund. Gewerkschaftszeitung für die britische Zone, 3 (1949), Nr. 12, S. 2.

  68. Der Bund, a. a. O., S. 2.

  69. Christ und Welt, 3 (1950), Nr. 5, S. 12.

  70. Christ und Welt, 4 (1951), Nr. 36, S. 4.

  71. Christ und Welt, 4 (1951), Nr. 44, s’ 4.

  72. Heinrich Sievers, Nach vierzig Jahren, in: Die Sammlung, 5 (1950), S. 370 ff.

  73. Alfred Grosser, Deutschlandbilanz, München 1970, S. 74 f.

  74. Die „Unpolitischen", in: Geist und Tat, 4 (1949), S. 229.

  75. Z. B. bei: Rudolf Appelt, Wesen und Ziele der Blockpolitik, in: Einheit, 2 (1947), S. 825 f.

  76. „Nun, da Deutschland seine volle Souveränität wiedererlangt hat, ist es natürlich einzig und allein Sache der Deutschen, wen sie als Richter, Lehrer, Ärzte und Verwaltungsbeamte verwenden wollen. Für diejenigen unter uns jedoch, die auf ein neues Deutschland gehofft hatten . . ., das im Bewußtsein der begangenen Verbrechen Hitler und sein Regime endgültig abtun würde, bedeutet das Wiederauftauchen so vieler Männer, die Hitlers Mordregime unterstützt haben, eine tragische Enttäuschung": Diese harte Feststellung des englischen Journalisten Sefton Delmer repräsentiert gewiß nicht nur die Meinung einiger besonders kritischer Betrachter der deutschen Szene und sollte nicht als Urteil eines Außenseiters abgetan werden. Sefton Delmer, Die Deutschen und ich, Hamburg 1962, S. 683 f.

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Robert Fritzsch, Dr. phil., Bibliotheksdirektor; geb. 29. 10. 1928; Studium der Geschichte, Literaturwissenschaft und germ. Philologie; anschließend bibliothekarische Fachausbildung; 1961— 1966 Leitung der Stadtbücherei Kassel; seit 1967 Leitung der Stadtbücherei Nürnberg. Veröffentlichungen: Aufsätze über bibliothekarische und literaturwissenschaftliche Themen in verschiedenen Fachzeitschriften.