Die Produktivkraft Wissenschaft als publizistisches Problem
Ulrich Lohmar
/ 33 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Der Kreislauf von Forschung, Entwicklung und gesellschaftlichen Wandlungen ist das entscheidende Merkmal unserer Industriegesellschaft. Das Aufkommen etwa der Datenverarbeitung, des Fernsehens und der Kernenergieverwendung für wirtschaftliche Zwecke in den letzten zwei Jahrzehnten zeigen dies beispielhaft. Die Wissenschaft ist zur wesentlichen Produktivkraft unserer Gesellschaft geworden, ohne daß deren Selbstverständnis diesen Tatbestand bislang hinreichend erkannt hätte. Das drückt sich auch in der Wissenschaftspublizistik aus. Das Fernsehen beschränkt sich auf eine populär-wissenschaftliche Information über Technik und Forschung, im Hörfunk hat man vorwiegend das wissenschaftliche Feature entwickelt, in der Tagespresse wurde die Wissenschaft in das Feuilleton abgedrängt, die wissenschaftlichen Zeitschriften sind in ihrer Thematik parzelliert und vermitteln keinen Gesamteinblick in den Stand von Forschung und Entwicklung. Der vermutete Dualismus von Zivilisation und Kultur, von Technik und Geist überlagert die Einsicht in das Wesen der Produktivkraft Wissenschaft. Wissenschaftliche Experten, Ideologen und Intellektuelle haben noch keinen gemeinsamen Zugang zur Einschätzung dieses Phänomens gefunden. Hinzu kommt, daß die Fachsprachen der Wissenschaft die „Übersetzung" wissenschaftlicher Arbeit in die allgemeine Umgangssprache erschweren. Gerade im entstehenden Multimediamarkt kommt es deshalb zugleich auf die Demokratisierung der Wissenschaftspublizistik und auf ihre größere Wirksamkeit an. Dies kann durch eine Zusammenarbeit der verschiedenen Medien und durch eine Kooperation von Staat, Wissenschaft und Wirtschaft erreicht werden. Die Produktivkraft Wissenschaft ist ein weiterer Anlaß für die demokratische Gesellschaft, ihr Selbstverständnis neu zu durchdenken.
Seit Jahren ist es in der Bundesrepublik und überhaupt in den größeren Industriestaaten unumstritten, daß die Wissenschaft zur entscheidenden Produktivkraft unserer Industriegesellschaft geworden ist. Genauer gesagt: Der Kreislauf von naturwissenschaftlicher Forschung, technologischer Entwicklung und ökonomischer Anwendung samt deren gesellschaftlichen Folgen bestimmt das Gesicht unserer Welt weithin. Wie schnell sich Wissenschaft in gesellschaftliche Wirkung umsetzt, mögen drei Beispiele zeigen: Die Kernenergie, das Fernsehen und die Elektronische Datenverarbeitung. Alle drei Faktoren kamen vor etwa 15 Jahren in Deutschland gerade auf, und heute sind sie zu bestimmenden wirtschaft-liehen und gesellschaftlichen Tatbeständen mit weitreichenden sozialen Folgen geworden.
Auch die Sozialwissenschaft hat in der Form der Meinungsforschung einen größeren Einfluß auf Marktbeeinflussung und auf politische Zielbestimmung gewonnen. Andere und neuere Sozialtechniken erlauben es, die Gesellschaft technokratischer zu gestalten, wenn man diese Techniken nicht in gesellschaftliche Zielvorgaben einfügt. Demgegenüber ist die organisatorische und bewußtseinsmäßige Verfassung der Gesellschaft in Deutschland hinter ihrer eigenen Basisentwicklung als Ausdruck der Produktivkraft Wissenschaft zurückgeblieben. Zwar versucht man, mit der Demokratisierung von Teilbereichen der Bildung und Forschung einen kooperativen Arbeitsstil zu praktizieren, der in den USA längst selbstverständlich und erfolgreich erprobt wurde. Gleichzeitig aber hält die Wissenschaft an einem Autonomieverständnis fest, daß in seiner Undifferenziertheit an der Tatsache vorbeigeht, wieweit unsere Wissenschaft eben unabsehbare gesellschaftliche Konsequenzen aus ihrer Forschung, aber auch aus der Art und den Inhalten ihrer Ausbildung hervorbringt. Aus einem beginnenden politischen Selbstverständnis der Wissenschaft sind noch keine angemessenen organisatorischen Repräsentations-und Entscheidungsformen der Wissenschaft als Institution entwickelt worden. Andererseits ist die Wissenschaft nicht nur durch ihre gesellschaftlichen Ergebnisse sichtbar und wirksam, sondern zugleich ist sie verkettet mit Wirtschaft und Staat durch vielfältige Formen der Finanzierung und der Ziel-bestimmung, vor allem in der Forschungspolitik. Ein transparentes, an gemeinsam erarbeiteten politischen Zielen orientiertes Zusammenwirken von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat gibt es kaum in Ansätzen, weil Selbstverständnis, Führungsstil und innere Struktur der drei Bereiche Staat, Wirtschaft und Wissenschaft noch zu unterschiedlich sind und zudem nur in Teilbereichen aufeinander abgestimmt werden. In der staatlichen Administration setzt sich der Gedanke der Leistungsverwaltung gegenüber einer überkommenen Vorstellung von der Hoheitsverwaltung erst allmählich durch. Hierarchisches Denken und eine beträchtliche Immobilität des Beamtenrechtes sind die wesentlichen Barrieren auf dem Weg zu einer demokratischen Leistungsverwaltung. In der Wissenschaft ist die alte Hierarchie zwar formal demokratisiert worden, aber die verschiedenen Gruppen an den Hochschulen haben noch nicht zu einem wirksamen Kooperationsstil gefunden. In der Wirtschaft schließlich ringen autokratische und patriarchalische Führungsvorstellungen mit modernen, partnerschaftlichen und kooperativen Auffassungen. Die Konservativen auf den Ebenen des Staates, der Wissenschaft und der Wirtschaft gehen nach wie vor von dem Irrtum aus, als ob Demokratisierung und Effektivität einander ausschließen müßten. Daß dies keineswegs der Fall ist, sondern daß beide einander bedingen, setzt sich als Einsicht und Erfahrung erst allmählich durch. Die drängenden Aufgaben des Tages, vor denen Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler stehen, verstellen vielfach die Einsicht in die sachliche Vordringlichkeit eines neuen Kooperationsverständnisses und -gefüges zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat. So ist die Produktivkraft Wissenschaft zwar zum entscheidenden Hebel der Gesellschaft und in weiten Maßen auch der Politik geworden, aber einen neuen Standort in Selbstverständnis und Struktur unserer Gesell-3 schäft hat diese Produktivkraft noch nicht gefunden. Man sollte meinen, daß wenigstens die Publizistik auf diesen Tatbestand seit langem vernehmlich aufmerksam gemacht hätte. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Es gibt zwar eine Wissenschaftspublizistik in der Bundesrepu-blik Deutschland, aber sie ist eher ein Reflex auf die geschilderte Situation im Spannungsfeld von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat als daß sie von sich aus mehr Klarheit in dieses Beziehungsgeflecht gebracht und präzisere Möglichkeiten der Situationsbestimmung und -entwicklung aufgezeigt hätte. Diese Problematik soll im einzelnen untersucht werden.
1. Die populärwissenschaftliche Information über Technik und Forschung im Fernsehen
Das Fernsehen als das neueste und zugleich wirksamste Medium der öffentlichen Meinungsbildung hat die größten, aber auch schwierigsten Möglichkeiten, die Wissenschaft transparent, öffentlich verständlich und damit in gewisser Weise kontrollierbar zu machen. Die Mittel, deren sich die Wissenschaft zur Mitteilung ihrer Probleme und Ereignisse herkömmlich bedient, sind das Wort und die Formel. Das Fernsehen ist jedoch ein Medium, das vorwiegend mit der optischen Darstellung arbeitet. Dies erleichtert zwar die Präsentation mancher exemplarischer Vorgänge, erschwert aber aus zeitlichen, technischen und kommunikativen Gründen die Wiedergabe und Vermittlung wissenschaftlicher Aussagen in ihrem wesenseigenen Zusammenhang. Zudem bedingt die Konkurrenz zwischen dem Ersten und Zweiten Fernsehen in der Bundesrepublik, daß beide Fernsehanstalten möglichst hohe Zuschauerzahlen aufweisen möchten. Darin liegt eine Versuchung zur Anpassung an die Verständnismöglichkeiten der großen Zahl, oder — positiv ausgedrückt — die Notwendigkeit, schwierige wissenschaftliche oder technische Sachverhalte auf eine Weise zu vereinfachen, daß sie verständlich werden, ohne falsch zu sein. In dieser Schwierigkeit entschied sich die Wissenschaftspublizistik des Fernsehens für die populärwissenschaftliche Darstellung. Sie hat ganz sicher wesentlich dazu beigetragen, daß viele Bürger unseres Landes mehr als aus anderen Quellen über Probleme und Möglichkeiten der Wissenschaft erfahren haben. Doch das Fernsehen ist dabei immer in dem Zwiespalt, einerseits Ergebnisse oder Chancen der Wissenschaft für den Mann auf der Straße aufzeigen zu müssen, andererseits aber einen kritischen Beitrag zu inhaltlichen oder methodischen Problemen der Forschung oder Lehre selbst leisten zu wollen. Für die eine Absicht bietet sich die wissenschaftliche Reportage, für das andere Vorhaben das analytische Gespräch an. Beide Formen hat das Fernsehen entwickelt, aber abgesehen von einigen Sendungen vor allem Rüdiger Proskes ist es selbst den Wissenschaftsjournalisten kaum einmal gelungen, in die guten Sendezeiten des Fernsehens zu kommen. Meist werden solche Sendungen nach 21. 30 Uhr ausgestrahlt, zu einer Zeit also, in der zwar intellektuelle Nachtarbeiter, nicht aber der normale Konsument des Fernsehens vor dem Bildschirm sitzen kann oder mag. Zudem lassen sich sowohl die wissenschaftliche Sprache als auch die wissenschaftliche Formel nur mit Schwierigkeiten optisch so einfangen und wiedergeben, daß sie allgemein begreifbar werden. Dies bedeutet nicht nur in der Aussage auf populärwissenschaftlichem Niveau bleiben zu müssen, sondern auch in der Auswahl der Gegenstände dei Darstellung meist auf die Arbeitskulissen del Wissenschaft ausweichen zu müssen. Im Zu sammenhang mit der Neigung der Fernseh Intendanten, Sendungen mit größerer Hörer zahl in die besten Sendezeiten zu rücken, führ dies zu dem Ergebnis, daß nur ohnehin infor mierte und teilweise auch kritische Minder helfen voh den Wissenschaftssendungen de: Fernsehens erreicht werden. Dadurch wird die Informationskluft zwischen den einzelner Gruppen der Fernsehzuschauer und damit de Bürger im Ergebnis vergrößert, während e: doch im Hinblick auf eine demokratische Fun dierung der Meinungsbildung zur Produktiv kraft Wissenschaft in ihrem gesellschaftlicher Verwertungszusammenhang gerade auf der gegenteiligen Effekt ankommen müßte. Und di sich nicht nur die Fernseh-Intendanten, son dem auch die Politiker in der optischen Rang folge ihrer Ziele nach Meinungsmehrheitei richten, hat das Fernsehen bis heute leider kei nen nennenswerten Beitrag dazu leisten kön nen, die Wissenschaft in die Spitzengruppe de Themen zu bringen, auf die der Mann auf de Straße anzusprechen ist, von denen er rede und von woher auf diese Weise auch der Po litiker veranlaßt werden könnte, sich vorran gig mit dem Thema Wissenschaft zu befasse: — eben weil er in Bürgerversammlungen dai auf kaum angesprochen würde. Der Wider Spruch zwischen gesellschaftlicher Wirksam keit und publizistischem Interesse hinsichtlic der Wissenschaft ist somit für die vorwiegen populärwissenschaftliche Darstellung im Fernsehen nicht aufgehoben worden. Die populärwissenschaftliche Form der Darbietung hat nicht zu einer Popularisierung des Themas Wissenschaft geführt, weil die Entscheidungs-kriterien über den zeitlichen Rang der Sendungen, die Schwierigkeit der Übersetzung von Wissenschaft in aufnehmbare Informationen und der fehlende Rückkopplungseffekt zur Politik hin dies erschweren.
2. Das wissenschaftliche Feature im Hörfunk
Besser als im Fernsehen ist die Wissenschaftspublizistik in den Hörfunkprogrammen plaziert worden. Das hängt einmal damit zusammen, daß sich der Hörfunk wie die Wissenschaft des Wortes bedient, um sich verständlich zu machen. Die Formelsprache der Naturwissenschaft, der modernen Sozialwissenschaft und der Technik finden hingegen auch hier kaum einen publizistischen Eingang. Zweitens aber steht in den Hörfunkprogrammen mehr Zeit zur Verfügung, um ein komplexes Problem auf angemessene Weise zu behandeln. Und drittens führt die relative wechselseitige Unabhängigkeit der verschiedenen westdeutschen Rundfunkanstalten dazu, daß insgesamt mehr Sendezeit für die Wissenschaft im Hörfunk zur Verfügung steht als im Fernsehen, relativ und absolut gesehen. Auch hier beobachten wir zwar wie beim Fernsehen die Neigung, Wissenschaftssendungen auf die späten Abend-stunden zu legen, aber Kommentare zu diesem Themenkreis hört man hin und wieder auch zu Zeiten, wo viele Hörer ihr Gerät eingeschaltet haben. Das gilt vor allem für die populären Magazinsendungen zur Morgen-und Mittagszeit. In den Hörfunkredaktionen findet man auch mehr sachkundige Journalisten, die sich mit dem Thema Wissenschaft befassen. Häufig sind sie nicht fest angestellt, sondern arbeiten als freie Mitarbeiter für diese oder jene Rundfunkanstalt mit. So haben nicht wenige Wissenschaftler eine unmittelbare Gelegenheit, sich des Mediums Hörfunk zu bedienen, direkt über ihre Arbeit zu berichten oder über Probleme mit anderen zu diskutieren. Der Durchbruch zum Frühschoppen Werner Höfers ist der Wissenschaftspublizistik dennoch auch im Hörfunk noch nicht gelungen. Die Dritten Programme öffnen hier wie beim Fernsehen der Wissenschaft eher ihre Möglichkeiten als die Konsumenten-Programme der normalen Wellenbereiche. Die Wirkung auf große Hörer-kreise ist gleichwohl begrenzt, denn einmal bevorzugt der normale Informationskonsument das Fernsehen gegenüber dem Hörfunk, und zum anderen wird durch zeitliche Bevorzugung der Abendstunden auch beim Hörfunk eine Schicht angesprochen, die zu solchen Zeiten eben den Rundfunk hört. Die publizistische Funktion des Hörfunks ist also im Grund die gleiche wie die des Fernsehens: Sie vertieft die Kluft zwischen ohnehin Informierten und eigentlich zu Informierenden, abgesehen von den eingeblendeten Kurzkommentaren und Statements in den Magazinsendungen, die eine beträchtliche Breitenwirkung haben.
Der Hörfunk bevorzugt für die Berichterstattung über Wissenschaftsthemen die journalistische Form des Features, also eine Mischung von Reportage, Erzählung und Kommentar. Daneben kommt der wissenschaftliche Vortrag hier und da zur Geltung. Manche Rundfunk-anstalten sind in den vergangenen Jahren so weit gegangen, ganze Programmfolgen einer bestimmten wissenschaftlichen Thematik zu widmen und sie nachher auch einem interessierten Leserpublikum gedruckt zugänglich zu machen. Insoweit übernahm der Hörfunk teilweise die Funktion wissenschaftlicher Periodica bzw. Zeitschriften. Der Aufbau einer Funkuniversität — wie auch einer Fernsehuniversität — ist gleichwohl über Anfänge nicht hinausgekommen, wenn man von Experimenten des WDR etwa in der Mathematik, vom Bildungsfernsehen des Bayerischen Fernsehens und einigen anderen Ansätzen absieht. Hier aber läge ebenso wie für das Fernsehen die große Chance auch des Hörfunks: Die wissenschaftliche Information im Zusammenhang mit Ausbildungsgängen und -chancen dem Hörer oder Zuschauer ins Haus zu liefern und damit die ungleiche Verteilung stationärer Bildungseinrichtungen — vor allem im Hochschulund Fortbildungsbereich — mit ausgleichen zu helfen. Das Stad/Landgefälle könnte auf diese Weise mit überwunden werden. Das britische Experiment einer Fernsehuniversität verdient aus solchen Erwägungen die Aufmerksamkeit unserer Rundfunk-und Fernsehanstalten. Beträchtliche organisatorische Schwierigkeiten liegen in der Bundesrepublik dabei sicherlich in unserer föderalistischen Grundstruktur, die eher zu einer Parzellierung als zu einer Kooperation im Wissenschaftsbereich geführt hat, und in der schwerfälligen Organisation des Funk-und Fernsehbereichs, die ihrerseits ja ähnliche strukturelle Ursachen und Kooperationsmängel hat wie das Wissenschafts-und Bildungssystem im ganzen, soweit es sich um seine verfassungsrechtliche Zuordnung handelt
3. Experteninformation oder feuilletonistische Verfremdung der Wissenschaft in der Tagespresse
Noch deutlicher als beim Fernsehen oder Funk sind die Grenzen der Wissenschaftspublizistik in der Tagespresse markiert. Bedient sich das Fernsehen immerhin der wenigen Publizisten, die sowohl von den Problemen der Wissenschaft etwas verstehen als auch das Medium abschätzen und nutzen können, und ist diese Situation beim Hörfunk um einiges besser, so blieb bislang auch in der überregionalen Tagespresse die Wissenschaft eine Aufgabe von wenigen Experten in den Redaktionen. In vielen Fällen ordnete man die Wissenschaft und die Technik einfach dem Feuilleton zu, weil man davon ausging, daß Wissenschaft ja irgendwo vor allem mit Kultur etwas zu tun haben müsse. Die Qualität der Wissenschaft als gesellschaftliche Produktivkraft ist dabei kaum in ihrer ganzen Bedeutung gesehen worden, soweit es sich um die Zuordnung der Wissenschaftspublizistik in den Redaktionen handelt. Eigene Redaktionsbereiche für Wissenschaft und Forschung unterhalten nur überregionale Tageszeitungen, und selbst ihnen gelingt es kaum einmal, ihre Berichte oder Analysen jeweils in den relevanten politischen oder wirtschaftlichen Teil ihrer Zeitung zu bringen. Im besten Fall hat man eine Sparte Wissenschaft und Technik, die Integration der Thematik in die Struktur der Tageszeitungen ist nicht gelungen und wird nur selten überhaupt angestrebt
Die Wissenschaftsjournalisten der Tagespresse greifen überdies häufig auf die wissenschaftlichen Informationsdienste zurück, deren Sprache der jeweiligen wissenschaftlichen Fachwelt nähersteht als dem Zeitungsleser einer Tageszeitung. Einen „Redaktionsdolmetscher* zur Übersetzung wissenschaftlicher Sachverhalte und Probleme in die Sprache des normalen Zeitungslesers gibt es bei den wissenschaftlichen Diensten ebensowenig wie in den Tageszeitungen. Ein Versuch der dpa, einen eigenen Wissenschaftsdienst herauszubringen, blieb in Anfängen stecken, und so finden sich Informationen über die Wissenschaft in der Tagespresse eben weiterhin meist im Feuilleton oder am Rande der Nachrichten-teile der Zeitungen wieder. Besonders in der Plazierung und im Anteil an der Nachrichtenübermittlung rangieren die Wissenschaftsinformationen ziemlich am Schluß der Berichterstattung. Die wissenschaftlichen Experteninformationen sind dabei meist für den Leser schwer verständlich, oder sie werden andererseits so vereinfacht wiedergegeben, daß die Nachricht zum Gag verdünnt und damit verfälscht wird. Der Herzspezialist Barnard beispielsweise hat mit seiner Heirat mehr Headlines gemacht als mit seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit, und von solchen auf Personen basierenden „Informationen* abgesehen findet man in der Tagespresse bestenfalls Kongreßberichte über Ärztetagungen und ähnliches. Die sprachliche Barriere von der Wissenschaft zum Leser der Tageszeitung hin wird nicht überwunden, und die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft im ganzen wird nur am Rande sichtbar, weil die Wissenschaftspublizistik in der Tagespresse nebenher behandelt wird.
Man muß sich in diesem Zusammenhang klarmachen, daß zwei Drittel der deutschen Zeitungen Regionalzeitungen sind. Bei ihnen ist die Informationschance über Wissenschaft noch ungleich geringer als bei der überregionalen Presse, denn sie müssen sich noch eindeutiger als die große Presse an die Lesebedürfnisse der Abonnenten anpassen oder an das, was sie dafür halten. Auf diese Weise reproduziert der Großteil der Tagespresse durch Nachrichten und Kommentare vor allem die Meinungen, die im Leserkreis ohnehin vorhanden sind. Innovative, die tatsächlichen Lebensverhältnisse des einzelnen Bürgers und sein Bewußtsein formende neue Tatbestände, die fast alle aus der modernen Wissenschaft hervorgehen oder mit ihr Zusammenhängen, dringen nicht durch und haben keine Chance, die Schallmauer der taktischen Kalkulation auf das vordergründige Augenmerk des regionalen Zeitungslesers zu durchbrechen. Infolgedessen kann man, nimmt man die wissenschaftlichen Dienste zugunsten der Tagespresse, deren eigene wissenschaftliche Mitarbeiter und die überregionalen Wissenschaftspublizisten zusammen, kaum mehr als drei Dutzend Wissenschaftsjournalisten in der Bundesrepublik aufzählen, die in der Tagespresse der Wissenschaft einen Raum schaffen möchten.
4. Die Parzellierung der wissenschaftlichen Zeitschriften
Bei der Analyse der wissenschaftlichen Zeitschriften muß man zwischen deren qualitativer und deren Breitenwirkung unterscheiden. In fachlicher Hinsicht gibt es eine große Zahl von Zeitschriftenpublikationen, die dem jeweiligen beruflichen Informationsbedürfnis unterschiedlicher akademischer Berufsbereiche Rechnung tragen. Ihre Zahl geht in die hunderte, und sie erreichen insgesamt auch auflagen-mäßig eine nennenswerte Größenordnung. Das gemeinsame Merkmal aller dieser Fachzeitschriften ist jedoch zugleich, daß sie eine integrative, fächerübergreifende Wirkung in der Wissenschaftspublizistik weder anstreben noch erreichen. Gerade ihre weitgehende Spezialisierung macht ihren jeweiligen Marktwert und -erfolg aus. In der ökonomischen Grundlage sind diese Fachzeitschriften Weitgehend auf Anzeigen der jeweiligen Hinter-grundindustrien angewiesen.
Neben den wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es die Gruppe der wissenschaftlichen Informationsdienste, die teilweise auch sehr spezialisiert sind, die hin und wieder aber auch übergreifende Informationen über das wissenschaftliche Leben bringen. Davon gibt es in der Bundesrepublik aber kaum mehr als ein halbes Dutzend. Und drittens schließlich gibt es einige allgemein gehaltene wissenschaftspolitische Zeitschriften, die einen mehr oder minder großen, im ganzen aber kaum signifikanten Leserkreis erreichen. Soweit sie auf dem Markt einigermaßen Fuß fassen, haben sie das dem Magazincharakter ihrer Aufmachung, der auf konkrete Lebensprobleme des Bürgers abgestellten Auswahl von Informationen und einem populärwissenschaftlichen Niveau zu danken. Große, fächerübergreifende Wissenschaftsdebatten werden in keiner Zeitschrift in Deutschland geführt, weder unter Wissenschaftlern noch gar unter Beteiligung von Wirtschaftlern oder Politikern. So ist insgesamt die wissenschaftliche Zeitschriftenpublizistik fachlich oft gut, manchmal ausgezeichnet, weil hochspezialisiert, andererseits aber ohne integrativen wissenschaftsinternen oder gesellschaftlichen Informationswert. Die Rückkopplung mit der öffentlichen Meinung geschieht durch die wissenschaftlichen Zeitschriften in noch geringerem Maße als durch das Fernsehen oder dürch den Hörfunk, während ihre Wirkungsmöglichkeiten gegenüber der Tagespresse verhältnismäßig hoch zu veranschlagen sind.
Die illustrierte Zeitschriftenpresse, in der Regel Wöchentlich erscheinend, hat sich des Themas Wissenschaft nur gelegentlich, beispielsweise bei den Mondlandungen, angenommen, Weil der normale Illustriertenleser offenbar auf andere Weise nicht anzusprechen ist. Es gibt nur eine einzige, dafür aber bemerkenswerte Ausnahme. Der „Stern" veranstaltet seit einigen Jahren regelmäßig den Wettbewerb „Jugend forscht". Daß darin an junge Leute ausgesprochene Angebot zu einer originellen wissenschaftlichen, vor allem naturwissenschaftlichen Mitarbeit im Rahmen eines Leistungswettbewerbs hat über die Jahre hinweg einige tausend begabte junge Menschen zu einem forschenden Engagement bewogen, wobei die ausgesetzten Preise wahrscheinlich nicht die Ursache, sondern allenfalls der aktuelle Anlaß für ihre Mitarbeit waren. Man mag es als einen Schönheitsfehler ansehen, daß diese großartige Aktion, die über die Information hinaus zu einem qualitativen Rückkopplungseffekt geführt hat, ausschließlich mit dem Image großer Unternehmen verbunden worden ist. Aber es bleibt festzuhalten, daß ein solcher Vorstoß über die oberflächliche Information hinaus nur von einer einzigen Illustrierten gewagt wurde, während FUnk und Fernsehen sich ihrer Möglichkeiten in diesem Rahmen bisher nicht bedient haben und die staatlichen Behörden sich auf Grußworte beschränken. Die Aktion „Jugend forscht" zeigt jedoch in ihren erkennbaren Grenzen, daß es durchaus Wege gibt, Wissenschaftspublizistik mit der Entwicklung neuer Möglichkeiten aktiven wissenschaftlichen Interesses zu verbinden und zugleich die Kluft zwischen dem gesellschaftlichen Gewicht der Produktiv-kraft Wissenschaft und ihrer öffentlichen Betrachtung allmählich zu schließen.
5. Der Bewußtseinsrückstand der Öffentlichkeit gegenüber der Produktivkraft Wissenschaft
Die wirksamen Medien der öffentlichen Meinungsbildung in der Bundesrepublik haben es, aufs Ganze gesehen, bislang nicht vermocht, den Bewußtseinsrückstand der Öffentlichkeit gegenüber der Produktivkraft Wissenschaft zu überwinden. Dies ist nur in Ansätzen auf der Ebene der Information, kaum aber auf der Ebene einer kritischen gesellschaftlichen Re7 flexion und noch weniger hinsichtlich der Entwicklung eines wissenschaftlichen Engagements geschehen. Die Ursachen dieses Tat-bestandes sind bei der Darstellung der Wirkungsweise und des Wirkungsgrades der vier wesentlichen Medien deutlich geworden, ihre Folgen liegen auf der Hand.
Die erste und wichtigste Konsequenz dieses Bewußtseinsrückstandes ist, daß durch das Fehlen eines breiten öffentlichen Echos auf die Wissenschaft auch die Politik nur schwer dazu zu bewegen ist, diesem Bereich das Maß an effektiver Aufmerksamkeit zuzuwenden, das er verdient. Aus den Grundsatzerklärungen politischer Parteien, Bildung und Wissenschaft seien das innenpolitische Thema Nr. 1, sind bisher keine angemessenen Konsequenzen gezogen worden.
Die zweite Folge liegt darin, daß die Vorgänge in der wissenschaftlichen Forschung, auch in der Ausbildung, sich einer inhaltlichen Transparenz gegenüber der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit entziehen. Denn Wissenschaft besteht ja nicht nur aus ihren methodischen Dimensionen, sondern sie entsteht zuvor aus den Motivationen für wissenschaftliche Arbeit, die über Ziele und Schwerpunkte in der Wissenschaft entscheiden. Man kann jedoch eine gesellschaftspolitische Orientierung solcher Zielbestimmungen nicht durchsetzen, solange eine wirksame Rückkopplung mit der öffentlichen Meinung und damit mit der Mehrheit der Politiker nicht erreicht wird. Der Mann auf der Straße nimmt die Wissenschaft heute vor allem in dem Bereich wahr, wo er sie trotz ihrer mangelnden informatorischen Rückkopplung unmittelbar spürt: In der Medizin. Aber die Fremdheit der Wissenschaft ihm gegenüber wird dadurch nicht aufgehoben, zumal der Transformator der medizinischen Wissenschaft, der Arzt, dem normalen Bürger ohnehin mit der „Autorität“ des weißen Kittels und der medizinischen Fremdsprache begegnet Die dritte Folge der Struktur und des Funktionierens unserer Wissenschaftspublizistik liegt in der wachsenden Spezialisierung wissenschaftlicher Informationen unter den jeweiligen Fachleuten einerseits und dem größer werdenden Abstand hinsichtlich des Informationsstandes zwischen jeweils fachlich informierten Minderheiten und der Mehrheit der Bürger, die keinen unmittelbaren, jeweils fachlichen Zugang zu irgendeinem Wissenschaftsbereich haben.
Die politische Führung der Bundesrepublik in Bund und Ländern hat nicht nur im Hinblick auf eine begründete gesellschaftspolitische Zielsetzung für die Wissenschaft und hinsichtlich der erforderlichen finanziellen und organisatorischen Maßnahmen zu spät und zu zögernd reagiert, sondern auch zu wenig getan, um die Wissenschaftspublizistik nachhaltig zu fördern. So ist das einzige wissenschaftspolitische Dokument der Bundesregierung, der seit einigen Jahren in regelmäßigem Abstand erscheinende Forschungsbericht, auf einen kleinen Kreis von Empfängern und einen noch kleineren Kreis kritischer Leser beschränkt geblieben. Hans Leussink hat dies einmal mit dem Bonmot gekennzeichnet, er wisse nur drei Leute, die den Forschungsbericht mit Sicherheit lesen würden: Der Schlußredakteur des Berichts in seinem Ministerium, der Minister für Bildung und Wissenschaft und der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft. Mit dem Anfang 1972 veröffentlichten Bundesbericht Forschung IV machte die Regierung nun zum ersten Mal den Versuch, wenigstens der inhaltlichen Struktur ihres Reports einen erkennbaren gesellschaftspolitischen Aussagewert zu geben, indem sie die Fragen nach dem gesellschaftlichen Nutzen großer Forschungsprojekte und nach ihrer Rangordnung aufnimmt. Eine neue Strategie zur Aufschließung einer kritischen, zunächst wissenschaftsinternen Meinungsbildung zur Forschungspolitik der Bundesregierung war mit der Vorlage des neuen Forschungsberichts noch nicht verbunden. Im Gegensatz zum Bildungsbericht der Bundesregierung, wo die Einleitung einer relativ breiten und qualifizierten öffentlichen Diskussion gelungen ist, bleibt die Forschungspolitik im Gehege der Experten befangen und gefangen.
6. Der Dualismus von Zivilisation und Kultur, Technik und Geist
Das Erscheinungsbild der Wissenschaft in der ihr zugewandten Publizistik und in der öffentlichen Meinung ist natürlich nicht lediglich aus der wirtschaftlichen oder politischen Markteinschätzung der Wissenschaft als Thema zu erklären. Es hängt, speziell in Deutsch-land, mit dem gespannten Begriffsverständnis von Zivilisation und Kultur, von Technik und Geist zusammen. Die Mehrheit unserer Gymnasien reproduziert immer noch ein wissenschaftliches Weltverständnis, das die Geistes-wissenschaften als eigentliche Wissenschaf-B ten sieht und die Naturwissenschaften, gar die Technik, lediglich als eine Art Erfüllungsgehilfen für ökonomische, zivilisatorische Entwicklungen sieht und abwertet. Eine integrative Übersetzung wechselseitiger Art ist nur in Teilbereichen der Soziologie gelungen und bleibt auf wenige Wissenschaftler beschränkt. Dies gilt auch für die Mehrheit der Universitäten, wo der traditionelle Gegensatz vermeintlich kulturell orientierter Geisteswissenschaften und zivilisatorisch orientierter Naturwissenschaften immer noch den normalen Bewußtseinsstand widerspiegelt. Man sollte meinen, daß es eine moderne Sozialwissenschaft, daß es einen Karl Marx überhaupt nicht gegeben habe, wenn man sich diesen Sachverhalt vor Augen führt. Die dieser Grundhaltung entgegenwirkende, gesellschaftspolitisch offene Betrachtungsweise z. B.der Bundesassistentenkonferenz hat sich mittlerweile vielerorts wieder zu einem ökonomischen Determinismus verengt, der das komplexe Geflecht geistes-und naturwissenschaftlicher Dimensionen in seiner gesellschaftlichen Bedeutung nur unzureichend reflektiert. Helmut Schelskys schon Jahre zurückliegender Vorschlag, die für die Entwicklung der Gesellschaft wesentlichen Wissenschaften unter dem neuen Begriff der Handlungswissenschaften zusammenzufassen und damit eine gesellschaftsorientierte Brücke zwischen Geistes-und Naturwissenschaften zu schlagen, hat keine wissenschaftliche Breitenwirkung erlangen können.
Man kann aus all dem die für die Soziologie seit langem bekannte Beobachtung ablesen, daß die Anpassung des Bewußtseins an das Sein mit zeitlichen Verzögerungen großen Ausmaßes verbunden ist. Dieser time lag'geht zu Lasten sowohl einer Demokratisierung der Wissenschaft als auch ihrer Unterstützung durch den Staat und ihrer gesellschaftspolitischen Einbindung. Professor Ganzhort, der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, hat auf dem letzten Kongreß der Physiker auf dieses Dilemma hingewiesen und gefordert, daß sich die deutschen Forscher zu einem Forschungsparlament zusammenfinden sollten, um auf diese Weise einen eigenen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufschließung der Wissenschaft und zur wissenschaftlichen Erschließung des Bewußtseins der Gesellschaft zu leisten. Daß dieser Aufruf von einem Mann kam, der aus der industriellen Praxis und zugleich als Naturwissenschaftler die gegenwärtigen Bewußtseinsspannungen aus eigener Anschauung kennt und abschätzen kann, ist sicher kein Zufall. Leider haben die großen deutschen Forschungsinstitutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft bisher keinen beachtlichen Versuch unternommen, um die gesellschaftspolitische Relevanz der Forschung im ganzen einer größeren Öffentlichkeit einsehbar und damit bewußt zu machen. Sie verharrten bei dem dualistischen, Natur-und Geisteswissenschaft getrennt sehenden Verständnis, bei einer vermeintlichen Autonomie der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, die hinsichtlich des wissenschaftlichen Arbeitsstils und der wissenschaftlichen Methodik, auch in der Freiheit der Themen-wahl für Lehre und Forschung, durchaus ihren fundamentalen Sinn hat, aber die Frage nach einem integrativen Wissenschaftsverständnis vor sich her schiebt und die andere Frage nach der Zuordnung von Wissenschaft Und Gesellschaft in plakativen Kongreßreden in der Sache umgeht. Eine unmittelbare, aber in ihrer Wirkung wesentliche Dimension dieser Situation ist die Tatsache, daß Wir in den Parlamenten der Bundesrepublik, auch in der staatlichen Administration, nur wenige Naturwissenschaftler und Techniker finden. Umgekehrt ist es kaum vorstellbar, daß aktive Politiker den Weg in das Forschungsmanagement finden könnten. Die einzige Schaltstelle von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat ist heute, allerdings auch in sehr engen Grenzen, die Wirtschaft, weil sie von einem unmittelbar einsichtigen Verwertungszusammenhang der Produktivkraft Wissenschaft ausgeht und damit die komplexen, aufeinander nicht präzise bezogenen Formen natur-und geisteswissenschaftlichen Bewußtseins scheinbar aufhebt. Wenn es aber zutrifft, daß die Produktivkraft Wissenschaft heute die entscheidende Basisgröße unserer gesellschaftlichen Entwicklung ist, dann ist ein adäquates Selbstverständnis dieser unserer Gesellschaft nicht mehr von einer traditionell auf einem Scheingegensatz beruhenden Kluft zwischen Kultur und Zivilisation her zu gewinnen.
7. Der personale Aspekt des Dilemmas: Experten, Intellektuelle, Ideologen
Wenn man unter einem Intellektuellen einen kreativen Menschen versteht, der sich um Einsicht in komplexe Zusammenhänge bemüht, und den Experten als spezialisierten Fachmann sieht, dann stehen beide Gruppen dem Beziehungsgeflecht von Wissenschaft, Wissenschaftspublizistik, Staat und Wirtschaft einander in diesen jeweiligen Institutionen gegenüber. Das entspricht hinsichtlich der Experten der Arbeitsteilung in der Wissenschaft, der hierarchischen Zergliederung der staatlichen Administration und in der Wirtschaft den spezialisierten Marktfeldern. Natürlich muß es nicht so sein, daß der Experte keinen intellektuellen Zugang zu seinem spezialisierten Arbeitsbereich oder zu dessen großräumiger Einordnung hat, aber im Regelfall bleibt er in seinem beruflichen Spektrum befangen. Die Gruppe der Intellektuellen hingegen konzentriert sich in der Wissenschaftspublizistik, vor allem im Fernsehen und im Hörfunk. Ihnen geht oft die Übersicht über wichtige Details der wissenschaftlichen Forschung ab, sie sind eine Art wissenschaftliche Laienspielgruppe. Die Experten in der Administration und in der Wissenschaft werfen den intellektuellen Publizisten sachliche Halbbildung vor, die Intellektuellen halten ihrerseits den Experten deren Beschränktheit und mangelnde Reflexionsfähigkeit vor. Eine Schnittstelle liegt in diesem Bezugsfeld nicht in der Wirtschaft, sondern in der Wissenschaft. An den Hochschulen, vor allem unter jüngeren Wissenschaftlern, findet man Experten des einen oder anderen Faches, die zugleich die Fähigkeit zur intellektuellen und gesellschaftlichen Reflexion entwickelt haben. Aber sie verharren bei der nur kritischen Analyse der Tatbestände: Oberflächlichkeit von Wissenschaftspublizisten und Spezialisierung der wissenschaftlichen Experten, oder führen beides einfach auf den „kapitalistischen" Charakter unserer Gesellschaft zurück. Ein Blick in das Bezugsgeflecht von wissenschaftlichen Experten und Intellektuellen in kommunistischen Gesellschaften würde sie rasch eines besseren belehren können. Dort gibt es zwar diesen Dualismus von Intellektuellen und Experten nicht, aber keineswegs deshalb, weil er von der Klassenlage oder vom Bewußtsein her überwunden wäre, sondern weil es eine relativ unabhängige Funktion von Intellektuellen in kommunistischen Gesellschaften nicht gibt. Insoweit verharren die wenigen Wissenschaftler bei uns, die zugleich Experten und Intellektuelle sind, nicht nur in einer einseitigen kritischen, analytischen Position, sondern sie haben auch keine methodischen oder instrumentellen Vorschläge entwickelt, um den Graben zwischen Experten und Intellektuellen bei der Präzisierung eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Produktivkraft Wissenschaft zu überwinden und etwa neue soziale Rollen wie einen wissenschaftspolitischen Dolmetscher oder einen Kommunikationsingenieur zu entwickeln. So halten die Intellektuellen die Experten für Technokraten, die ohne gesellschaftliche Zielvorgabe und ohne kritische Reflexion an einer Steigerung der Effektivität schlechthin, als Selbstzweck, interessiert seien, und die Experten wehren diesen Vorwurf mit dem Gegenargument ab, die Intellektuellen wüßten ja meist gar nicht, wovon sie konkret sprächen. Die simple antikapitalistische Orientierung von Wissenschaftlern an der Schnittstelle zwischen Experten und Intellektuellen führt weder die Experten unter den „Machern" noch die Intellektuellen unter den „Merkern" zur einer neuen Stufe komplexer Einsicht in mögliche Bewertungen und Alternativen bei der Einfügung der Produktivkraft Wissenschaft in einen gesellschaftlichen Kontext, sondern fordert sie allenfalls zu einem ideologischen Bekenntnis heraus: „Progressiv" oder „konservativ“ zu sein und zu reagieren. Daß diese ideologischen Bekenntnisse dabei sehr leicht zu neuen Leer-formeln gerinnen können, eben weil ihnen die analytische und gestalterische Komplexität abgeht, verlieren dabei die meisten aus dem Blick. Insoweit führen die wenigen, die Fach‘wissen mit intellektueller Zusammenschau verbinden, die „feindlichen Brüder“ der Experten und Intellektuellen kaum zusammen, sondern sie trennen sie zusätzlich zu ihrem unterschiedlichen Denk-und Arbeitsansatz außerdem noch hinsichtlich der von ihnen geforderten ideologischen Grundsatzentscheidung. Die beruflich und habituell vorgeprägte Frontstellung zwischen Experten und Intellektuellen wird auf diese Weise ideologisch verfestigt und einer pragmatischen Annäherung weithin entzogen. Das Dilemma wird nicht aufgehoben, sondern stabilisiert und verschärft.
8. Die Fachsprachen der Wissenschaft als Barriere für die Wissenschaftspublizistik
Der Versuch, eine internationale sprachliche Verständigung zwischen Völkern und Menschen mittels der Kunstsprache Esperanto zu entwickeln, ist bekannt, ebenso sein Scheitern. Ähnlich wäre das Resultat, wenn man es unternehmen würde, die spezialisierten Fachsprachen der Wissenschaft und eine Art wissenschaftliches Esperanto auf einen gemeinsamen, mittleren Nenner des Verständnisses zu bringen. Gegenüber der Aufgabe, Wissenschaft als gesellschaftliche Produktivkraft öffentlich transparent zu machen, erweist sich die babylonische Sprachverwirrung in der Wissenschaft als ein schwer zu überwindendes Hindernis. Es ist ja nicht nur so, daß Biologen einen Nationalökonomen, Juristen einen Chemiker und Soziologen einen Mediziner kaum noch verstehen können. Allen diesen wissenschaftlichen Disziplinen ist wiederum gemeinsam, daß sie vom wissenschaftlichen Laien alle miteinander nicht mehr verstanden und deshalb auch nicht eingeordnet werden können.
Die Reform-Linke an unseren Hochschulen hat sich manches Mal fragen müssen, warum die Bedeutung reformatorischer Entwicklungen in Hochschulsystemen von der außeruniversitären Umwelt mißverstanden oder gar nicht begriffen wird. Die Erklärung ist einfach: Aus einer Kombination von Wissenschaftschinesisch der Politologen, der Soziologen, der Pädagogen und der Ökonomen entstand ein Reformsuaheli, das außer den Beteiligten kein Mensch mehr begreift und deshalb auch in seiner möglichen sachlichen Tragfähigkeit für andere Bereiche der Gesellschaft außerhalb der Hochschulen nicht abschätzen kann. Diejenigen, die auf der staatlichen Ebene Wissenschaft und Politik betreiben, kennen dieses Dilemma und können ihm zugleich nicht entgehen. Wollen sie sich gegenüber den „Hochschulchinesen'verständlich machen, müssen sie deren Sprache sprechen, denn sonst fehlt ihnen dort jede Chance einer Überzeugungsmöglichkeit. Andererseits versteht die Mehrheit der Parlamentarier in den Ländern und im Bund aber eben diese Sprache nicht mehr, so daß die Wissenschaftspolitiker dort in die Gefahr geraten, ihren Kollegen etwas von böhmischen Dörfern zu erzählen. Kompromisse in der Sprache sind dabei kaum möglich, wenngleich sie in der Sache oft zu verwirklichen wären. Die Handlungsfähigkeit der Wissenschaftspolitiken reduziert sich deshalb in der Politik auf das Maß an allgemeinem politischen Vertrauen, das sie in ihren Fraktionen oder Administrationen genießen, und sofern dieses Vertrauen vorhanden ist, fehlt doch wiederum die sachliche Verbindung zu ihrem speziellen politischen Arbeitsfeld.
Man kann dieser die Wirkungsmöglichkeit der Wissenschaftspolitik und damit indirekt auch der Wissenschaftspublizistik einschränkenden Gefahr nur entgehen, wenn man die Diskussionen um den gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft als Produktivkraft sozusagen aus der wissenschaftsinternen Debatte herauslöst und sie in allgemein verständlichen Alternativen zur Meinungsbildung und Entscheidung stellt. Denn es ist sehr wohl über die gesellschaftliche Zweckmäßigkeit der Welt-raumforschung einerseits und der medizinischen Forschung andererseits, über Gründe und Gegengründe für ein demokratisches Ausbildungssystem bzw. für ein ständiges Ausbildungssystem zu diskutieren und zu entscheiden, ohne sich auf den nicht mehr verständlichen Meinungsstreit der beteiligten Experten, Intellektuellen und Ideologen einzulassen.
Weiterhin brauchen wir in diesem Zusammenhang neue gesellschaftliche Service-Gruppen, die die Übersetzung von jeweils voneinander getrennten Begriffssprachen leisten und deren Übertragung in den Raum der Politik und der Wirtschaft hinein übernehmen können. Dafür jedoch benötigen solche Gruppen klare inhaltliche Vorgaben für den Ansatz Ihrer sprachspezifischen Analysen und Übersetzungen. Das Berufsbild eines wissenschaftspolitischen Dolmetschers und eines Kommunikationsingenieurs zu entwickeln und in der Praxis zu erproben, ist erforderlich. Der Informatiker ist nur eine technokratische Vorstufe dazu.
Drittens kann uns, wie vergleichende Sprach-und Begriffsuntersuchungen zeigen, die elektronische Datenverarbeitung bei der Lösung dieses Problems helfen. Es ist möglich, gemeinsame Bezugsfragen und Auskünfte aus voneinander getrennten wissenschaftlichen Informationsmengen zu destillieren — aber wiederum nur, wenn Techniker, Mathematiker, Linguisten u. s. w. dabei Zusammenwirken. Die Überwindung der Wissenschaftssprachen als Barriere gegenüber der gesellschaftlichen Transparenz wissenschaftlicher Prozesse ist also keine Frage des guten oder schlechten Willens, sondern ein Problem der analytischen Einsicht in die hier liegenden Schwierigkeiten, der Entwicklung angemessener Verhaltensweisen und Kommunikationsformen.
9. Die Demokratisierung der Wissenschaftspublizistik
Demokratisierung ist ein Schlagwort, das zu progressiven Bekenntnissen oder konservativen Vorbehalten herausfordert. Dies muß nicht so sein, wenn man Demokratisierung an inhaltliche strukturelle Maßstäbe wie gleiche Chance, Transparenz, Kontrolle, Partizipation, Mandat auf Zeit, Minderheitenschutz bindet. Nur auf diese Weise lassen sich allgemeine Postulate der demokratischen Gesellschaft wie Freiheit und Gleichheit genauer beschreiben, und dies ist wiederum die einzige Möglichkeit, um einer ideologischen Verengung des Begriffs der Demokratisierung durch emotional eingetrübte Verhaltensweisen zu entgehen. Legt man die genannten Maßstäbe an die Wissenschaftspublizistik an, so bietet sich von dem vorhandenen Spezialistentum und dem zu entwickelnden allgemeinen gesellschaftlichen Informationsstand der am Wissenschaftsprozeß im weiteren Sinn Beteiligten her eine demokratisierte wissenschaftliche Öffentlichkeit als Meinungs-und Entscheidungsrahmen an. Wir meinen damit nicht nur Forumgespräche im Fernsehen oder im Hörfunk, Umfragen in der Tagespresse oder Fachbeiträge in Zeitschriften. Worum es geht, ist ein Kommunikationssystem, das die am Wissenschaftsprozeß Beteiligten in der Art eines kommunikativen Rohrpostsystems miteinander in Verbindung bringen kann. Dies kann geschehen z. B. durch die Einrichtung von Hochschul-und Forschungsparlamenten auf den jeweiligen Ebenen der Gesellschaft, es kann gefördert werden durch industrielle Forschungsgremien, die über den unmittelbaren ökonomischen Verwertungszusammenhang der Wissenschaft hinaus fragen und denken. Dies kann angeregt werden durch die klare Zuordnung der Wissenschaftspolitik zur allgemeinen Gesellschaftspolitik auf der staatlichen Ebene, wobei die Kriterien für mögliche Rangordnungen der Ziele und Mittel operationalisiert ünd transparent gemacht werden müßten. Warum beispielsweise kann die Bundesregierung nicht einen Wettbewerb veranstalten, der Wissenschaftler gleich welcher Fachrichtungen dazu auffordert, sich zu den Fragen der technologischen Prioritäten der Großforschung, zur Demokratisierung der Forschungseinrichtungen oder zur konkreten Strukturierung einer kritischen Öffentlichkeit zu äußern? Sicher wäre damit die Gefahr verbunden, daß in der Bewertung einzelner Arbeiten die politischen Präferenzen der Regierung durchschimmern könnten. Aber dem kann man entgehen, in dem man die sehr allgemeine Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Vorschlägen voranstellt und im übrigen die eingehenden Arbeiten in der Bewertung bindet an die wissenschaftlichen Kriterien der Logik, der empirischen Erfahrung und des experimentellen Nachweises. Auf solche Weise würde zugleich eine kritische und pragmatische Verhaltensweise gefördert — gegenüber konservativer Verharrung einerseits und ideologischer Selbstgerechtigkeit andererseits. Warum, um ein zweites Beispiel zu nennen, sollte die Regierung nicht dazu auffordern, Stiftungen mannigfacher Art zu fördern, die sich in jeweils unterschiedlichen, aber insgesamt bedeutsamen Forschungen mit einzelnen Problemen der gesellschaftlichen Zuordnung der Produktivkraft Wissenschaft befassen? Dies alles zu unterlassen, heißt doch entweder, die Konzentration möglicher Ideen bei den heute entscheidenden Gruppen zu vermuten, oder einfach nicht darauf zu vertrauen, daß in unserer Gesellschaft ein vielfach ungenutztes Potential an Ideen vorhanden ist. Für die eine Vermutung lassen sich ebensowenig überzeugende Gründe anführen wie für die andere. Für den Mangel an Phantasie und Initiative in dieser Hinsicht ist die geradezu sträfliche Vernachlässigung der sozialwissenschaftlichen Forschung durch die Regierungen der Länder und des Bundes nur ein Indiz, aber ein kennzeichnendes. Und warum sollte es schließlich unmöglich sein, die gesamte Wissenschaftspublizistik vom Fernsehen über den Hörfunk, von der Fachpresse bis zur Tagespresse für einen solchen Wettbewerb und für die Entwicklung des Stiftungsgedankens zu gewinnen? Niemand hat bisher einen ernsthaften Versuch dazu gemacht, das sicherlich begrenzte Informationspotential in der Wissenschaftspublizistik für solche Vorhaben zu engagieren. Genau dies aber wären gangbare Wege, um durch ein größeres Maß an Transparenz auch den anderen Kriterien für eine Demokratisierung in der Handhabung der Produktivkraft Wissenschaft Geltung Zu verschaffen, ohne dabei das gesellschaftlich Sinnvolle und das wissenschaftlich Mögliche dem Zufall einer allgemeinen staatbürgerliehen Plauderei auszusetzen.
10. Die Wissenschaftspublizistik im Multimediamarkt
Wir sind in der Untersuchung der Wissenschaftspublizistik ausgegangen von den bisher dominierenden Medien des Fernsehens, des Hörfunks, der Zeitschriften und der Tagespresse. Sie alle werden ihre Bedeutung auch in Zukunft behalten, und sie werden gewiß wirksamer sein können, wenn man sie in einen kooperativen und präzisen Kontext zu den Dimensionen der Produktivkraft Wissenschaft bringt. Aber nicht nur bei der Aufgabe der wissenschaftspolitischen Übersetzung und Transformation kann etwa die elektronische Datenverarbeitung hilfreich sein. Sie bietet neue Möglichkeiten der Information in den weiten Bereichen der Schulen und Hochschulen, in der Erwachsenenbildung, in der inhaltlichen Gestaltung der Möglichkeiten eines Bildungsurlaubs. Unproblematisch ist die Einbeziehung der programmierten Instruktion schon heute in den Bereichen, wo es um die Vermittlung feststehender Fakten geht, die man nicht so oder anders sehen oder bewerten kann. Das trifft für weite Teile der Naturwissenschaft, der Ingenieurwissenschaften und der Technik zu. Komplexer ist die Aufgabenstellung hingegen in dem Feld von Informationen, die zu einer gesellschaftlichen, d. h. im Kern politisch alternativen Meinungsbildung und Entscheidung Anlaß geben. Hier muß sehr darauf geachtet werden, daß keine inhaltlich einseitige Programmierung erfolgt, aber auch dies ist kein technisches, sondern ein politisches Problem, das mit dem Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft zusammenhängt.
Der Einsatz gespeicherter Fernsehaufnahmen und -Sendungen wird uns ein weiteres technisches Hilfsmittel an die Hand geben. Die Programme einer Fernsehuniversität beispielsweise sind nicht nur zu ergänzen durch Diskussionsgruppen, Tutorengespräche und Eigen-studium, sondern sie müßten konservierbar gemacht werden können, der jederzeitige Rückgriff auf ausgestrahlte Informationen muß möglich sein.
Dem relativ beziehungslosen Nebeneinander der wissenschaftlichen Fachbereiche, des Staates, der Wirtschaft und der Wissenschaft, der Intellektuellen und der Experten entspricht nun wiederum das unverbundene Nebeneinander verschiedener technischer Kommunikationsmittel. Und genauso, wie ein Verbund auf der Ebene des Verständnisses, der Informationen, der Umsetzung geschaffen werden muß, so ist auch ein Verbund der technischen Hilfsmittel in der Kommunikation denkbar und nötig. Die hier und da aufflammende Polemik gegen Gefahren der technischen Manipulation und der ökonomischen Konzentration in diesem Kooperationsbereich geht an der eigentlichen Problemstellung, aber auch an den gegebenen Tatbeständen im Kem vorbei: Nicht die Technik manipuliert die Bürger, sondern allenfalls deren Verwertung ohne demokratisierte Kommunikationsformen und ohne einen inhaltlich klaren gesellschaftlichen Kontext.
Nicht die ökonomische Konzentration in der Herstellung technischer Hilfsmittel ist das Problem für die Wissenschaftspublizistik in einer demokratischen Gesellschaft, sondern der mögliche Anspruch wirtschaftlicher Produzenten auf die inhaltliche Programmierung solcher Medien. Gerade hier aber hat sich die engagierte Industrie in der Bundesrepublik bislang große Zurückhaltung auferlegt. Wenn wir bisher nicht zu einem inhaltlich demokratisierten Multimedienkonzept z. B. in der Wissenschaftspublizistik gekommen sind, so deswegen, weil die Länder, der Bund und die Rundfunkanstalten sich darauf nicht einigen konnten und überdies die Wissenschaftspresse als wichtiger Partner außer Betracht gelassen wurde. Ganz zu schweigen von dem Versäumnis, den Herstellern technischer Medien klar zu sagen, von welchen nicht nur inhaltlichen, sondern auch didaktischen und methodischen Erfordernissen sie sich bei der Entwicklung und Produktion ihrer technischen Instrumentarien leiten lassen müssen. Es geht ja aber schlecht an, die Industrie für einen Mangel verantwortlich zu machen, den der Staat und die Gesellschaft zu vertreten haben. Demokratisch legimitierte und kontrollierte Institutionen müssen die inhaltlichen und didaktischen Vorgaben für die Herstellung der technischen Hilfsmittel bereitstellen und insoweit auch die Darstellung der Probleme, die mit der Produktivkraft Wissenschaft verbunden sind, vorab präzisieren — die Industrie muß nach diesen Maßen produzieren, und da sie bisher keinen anderen Anspruch erhoben hat, muß es hier auch nicht zu vermeidbaren Spannungen kommen. Die inhaltliche und didaktische Erschließung des Multimediamarktes und seiner vielfältigen, miteinander verschränkten Kommunikationsmittel ist eine Aufgabe, die im Vorfeld der industriellen Produktion bedacht und gelöst werden muß. Denn die Wirtschaft wird nur dann in die Versuchung kommen, die Politik und die Gesellschaft inhaltlich zu programmieren, wenn beide ihrerseits darauf verzichten oder sich als unfähig erweisen, das notwendige inhaltliche Koordinatensystem rechtzeitig mit Daten zu füllen.
11. Gesellschaftspolitische Ansätze der Wissenschaftspublizistik
Unabhängig davon, daß die Diskussion und Entwicklung von gesellschaftspolitischen Schwerpunkten der Wissenschaftspolitik einem offenen und effektiveren Kommunikationssystem im Rahmen einer kritischen Öffentlichkeit stärker als heute anvertraut werden muß, kann die Wissenschaftspublizistik das ihre dazu tup, um diesen Prozeß rascher in Gang zu bringen. Denn Politik und Publizistik stehen in einer Wechselwirkung zueinander, und es hat wenig Zweck, wenn der eine Partner auf den anderen wartet und sich dann darüber mokiert, daß nichts passiert. Gegenüber der Wissenschaftspolitik hat die Wissenschaftspublizistik auch in ihren heute gegebenen Grenzen eine größere Entfaltungsmöglichkeit, die Chance einer dynamischen Flexibilität und Kommunikation zu nutzen. Sie sollte diese Möglichkeiten ausschöpfen, ohne dabei auf Vorgaben eines zugleich oft noch selbstgefälligen und zugleich verunsicherten Wissenschaftssystems oder auf eine in wesentlichen Bereichen vorwiegend vordergründig ökonomisch orientierte Wirtschaft und eine noch hierarchisch strukturierte staatliche Administration zu warten. Natürlich interessiert Publizisten, vor allem Intellektuelle das, was sie denken und schreiben, nicht vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Wirksamkeit. Sie schreiben darüber oder senden das, was sie interessiert, was sie persönlich bewegt, worauf sie mehr oder minder zufällig stoßen, was ihnen Spaß macht. Das ändern zu wollen, wäre in einer offenen Gesellschaft nicht nur ein vergebliches Unterfangen, sondern oft töricht.
Aber niemand hindert die Wissenschaftspublizistik daran, aus dem Schatten ihrer begrenzten Wirksamkeit herauszutreten, eine engere Kooperation verschiedener Medien anzustreben und auf diese Weise eine größere Stoßkraft ihrer Argumentation zu entwickeln. Dies wiederum hängt ab von dem Maß an Verständnis, das die Publizisten in diesem Bereich dem Charakter der Wissenschaft als entscheidender Preduktivkraft der Gesellschaft entgegenbringen, yon ihrer Einsicht in die integrativen Zusammenhänge und die außerwissenschaftlichen Dimensionen dessen, worüber sie berichten oder was sie kommentieren. Die Reflexion ihrer eigenen Position nicht nur innerhalb des Marktes der Publizistik, sondern im gesellschaftlichen Spannungsfeld der Wissenschaftspublizistik ist ein erster, aber unerläßlicher Schritt zu einer solchen größeren Wirksamkeit. Engere Kommunikation der verschiedenen Medien wäre dann eine naheliegende Folgerung. Warum sollte es nicht eine bundesweite Konferenz aller Wissenschaftsjournalisten geben, ganz gleich, welchen Mediums sie sich in der Publizistik bedienen? Warum sollte es den Wissenschaftspublizisten schwerer fallen, sich ähnlich wie die Schriftsteller zu organisieren und Gehör zu verschaffen? Die Grundfrage des gesellschaftlichen Verwertungszusammenhangs der Produktivkraft Wissenschaft erlaubt und erfordert dann eine Spezialisierung der Grundthematik auf die Problemstellungen, die einer Demokratisierung und größeren Effektivität der Wissenschaft zugleich entgegenstehen. Denn beides, Demokratisierung und Wirksamkeit sind nur dann Gegensätze, wenn man sie in einem traditionellen Zusammenhang sieht. Bindet man die Demokratisierung an klare strukturelle Kriterien, löst map den Leistungsbegriff von der Erwartung einer intellektuellen Anpassung und von einer überkommenen hierarchischen Unterordnung, dann sind Demokratisierung und Leistung komplementäre Anforderungen unserer Gesellschaft, nicht einander ausschließende Zielvorgaben. Von da aus gesehen, ist die Überwindung des Bewußtseinsrückstandes der Öffentlichkeit gegenüber der Wissenschaft nicht ein formales und erst recht kein zweck-freies Problem, sondern eine definierbare gesellschaftliche Aufgabe, die auch den Stellenwert der Wissenschaftspublizistik verändert. Experten und Intellektuelle in einen neuen komplexen und inhaltlich klaren Gesprächszusammenhang zu bringen, den Dualismus von Zivilisation und Kultur, von Geist und Technik überwinden zu helfen, das Hindernis der Sprachverwirrung zu überwinden, dies alles sind Bedingungen für ein besseres Verständnis der Wissenschaft als Produktivkraft der Gesellschaft und zugleich für die Wirksamkeit der Wissenschaftspublizistik, die dem der jeweiligen Sache verbundenen Experten ebenso nahe-liegen muß wie dem distanzierten und reflektierenden Intellektuellen. Gesellschaftspolitische Schwerpunkte in der Wissenschaftspolitik auszumachen, ist deshalb keine Frage nach dem möglichen Vorher und Nachher im Detail, sondern sie setzt an bei dem übergreifenden Problem, welche Voraussetzungen für eine Entscheidung über Prioritäten und der Rangordnungen zunächst im ganzen geschaffen werden müssen, Dies sollte für die Wissenschaftspublizistik nicht nur eine interessante Aufgabe sein, sondern dieses Vorhaben fordert die Phantasie, das Wissen, das berufliche Können und zugleich den Durchsetzungswillen gleichermaßen heraus.
12. Die Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Verwertung
Ein technologischer Verbund der Kommuni-
kationsmittel in der Wissenschaftspublizistik und eine präzise, auf einsehbarem und rationalem Selbstverständnis beruhende Kooperation der Partner Staat, Wissenschaft und Wirtschaft in der Wissenschaftspolitik schließt eine der Sache nach unabhängige Wissenschaftspublizistik nicht aus, sondern als notwendige Voraussetzung geradezu ein. Mit dem Plädoyer für einen technologischen Verbund und für eine sachliche Kooperation, die auf Demokratisierung und zugleich auf Effektivität zielt, spricht man sich keineswegs für eine Inanspruchnahme der Wissenschaft im Sinne einer eindeutigen, inhaltlich einseitig vorgeprägten Wissenschaft durch die Gesellschaft aus. Es geht nicht darum, erlaubte und nicht erlaubte Meinungen wissenschaftlicher oder politischer Art zu wollen, . Richtiges“ oder „Falsches“ gegenüberzustellen, „objektives“ Bewußtsein gegen „subjektive“ Selbstentfremdung zu setzen, sondern um die ganze andere Frage, wie ein prinzipiell notwendig offenes System der Kommunikation aller Beteiligten zu sich selbst finden kann, sowohl in einem demokratischen Selbstverständnis als auch in seiner kooperativen Leistungsdimension. Dies ist das Problem, das aus dem im Grunde zufälligen Kontext taktischer Erwägungen und Konstellationen herausgelöst werden muß und in strategische Dimensionen einmünden sollte. Die Amerikaner sind zu ihren Weltraumexperimenten lediglich durch den Sputnik-Schock veranlaßt worden, ohne vorher die gesellschaftlichen Alternativen im Hinblick auf andere mögliche gesellschaftliche Verwendungsschwerpunkte der Produktivkraft Wissenschaft durchdacht zu haben, und wir sind in der Bundesrepublik Deutschland hinter dem Schlagwort der Bildungskatastrophe hergelaufen, ohne uns Rechenschaft über den gesellschaftlichen Stellenwert der vielfältigen Reformprojekte zu geben. Beide Beispiele verraten den Mangel an gesellschaftlicher Strategie, und darin wiederum kann man den Mangel an rational begründeter gesellschaftlicher Zuordnung der Produktivkraft Wissenschaft ablesen.
Für ausschließlich profitorientierte oder einseitig ideologische gesellschaftliche Systeme ist dies kein komplexes Problem, das einsehbar wäre. Solche Systeme entscheiden sich im einen Fall für den unmittelbaren und vordergründigen ökonomischen Nutzen, im anderen Fall für den vermuteten Stellenwert des Einsatzes der Wissenschaft zugunsten einer Verstärkung machtpolitischer Positionen und einer Verfestigung ideologischer Glaubensprämissen. Ein direkter Zuwachs von machtpolitischer Potenz ist im einen wie im anderen Fall die Folge, aber die Frage nach dem durch die Bürger selbst bedachten und mitzuentscheidenden Nutzen der Wissenschaft bleibt ungestellt und nicht beantwortet. Auf Demokratisierung hin tendierende gesellschaftliche Systeme, die in dem sachlich möglichen und von der Mehrheit gewollten gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft als nichttechnokratische und nichtideologische Vorfrage zur Debatte stellen und der Entscheidung anheimgeben müssen, können sich mit einer verkürzten ökonomischen oder ideologischen Beantwortung dieses Problems nicht zufriedengeben. Damit konfrontiert die Produktivkraft Wissenschaft demokratische Gesellschaften mit einem neuen, ungewohnten Niveau des Selbstverständnisses, der Kommunikation, des Engagements und der politischen Transformation. Daß die Produktivkraft Wissenschaft dabei dem Bewußtsein um Jahre, manchmal um Jahrzehnte voraus ist, erschwert die Bewältigung der Aufgabe, macht sie aber gleichwohl nicht überflüssig. Was wir konkret tun, ist unserem gemeinsamen Wissensstand vielfach weit voraus, und dieser Bewußtseinsstand wiederum setzt sich nur zögernd in gesellschaftliches, reflektiertes Denken und noch langsamer in ein angemessenes gesellschaftliches Verhalten um. Den Weg von dem objektiv gegebenen Fortschritt der Produktivkraft Wissenschaft zum gesellschaftlichen Verhalten über die beiden Zwischenstufen zu rationalisieren, im doppelten Sinn des Wortes, ist eine entscheidende Aufgabe von Menschen, die es unternehmen wollen, die Gestaltung unserer Gesellschaft rational zu profilieren und denjenigen, die in dieser Gesellschaft leben, gleichzeitig die Chance zu vermitteln, mit sich selber und mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Möglichkeiten im Einklang zu sein. Wir haben es hier, um es mit Karl Marx zu sagen, mit dem in unserer Zeit sachlich überwiegenden Aspekt der Frage nach der Selbst-entfremdung oder der Selbstverwirklichung von Menschen in einer technischen Zivilisation zu tun, die den Menschen beständig vorauszueilen droht. Wir müssen uns sozusagen selbst einholen.
Ulrich Lohmar, Dr. sc. pol., Professor für Politische Wissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Ruhr; geboren am 30. April 1928 in Engelskirchen; Studium der Rechts-und Staatswissenschaften; vor seiner Promotion im Jahre 1963 über das Thema „Innerparteiliche Demokratie" mehrere Jahre Mitarbeiter des Soziologen Professor Schelsky; Habilitation im Jahre 1968 mit einer Arbeit über „Wissenschaftsförderung und Politik-Beratung"; seit 1957 Mitglied des Bundestages; Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft.
Ihre Meinung ist uns wichtig!
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.