Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Bemerkungen zu einer neuen didaktischen Situation im Kunstunterricht der allgemeinbildenden Schulen | APuZ 18/1972 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 18/1972 Zum Problem einer Kommunikation von Kunst und Gesellschaft Bemerkungen zu einer neuen didaktischen Situation im Kunstunterricht der allgemeinbildenden Schulen

Bemerkungen zu einer neuen didaktischen Situation im Kunstunterricht der allgemeinbildenden Schulen

Gert Selle

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Untersuchung stellt den Problemzusammenhang dar, in welchem sich die neuere Didaktik der . Visuellen Kommunikation'als die historisch fällige Ablösung der traditionellen Kunsterziehung an unseren Schulen begreift. Indem nach den Gründen der fundamentalen Revision der Inhalte und Ziele gerade dieses Bildungsbereiches gefragt wird, ergeben sich Rückschlüsse auf das Rollenverständnis der gesellschaftlichen Institution Schule überhaupt. Die in Fachkreisen anhaltende, oft scharf polemische Diskussion neuer Ziele und Inhalte sollte auch dem Außenstehenden transparent werden, gerade weil die Politisierung der Diskussion eines Randbereichs der Bildungsinstitutionen, der traditionell immer als völlig unpolitisch verstanden wurde, für viele befremdend sein muß. Es wird deutlich, daß in diesem Zweig der Didaktik und pädagogischen Praxis sich ein neues Selbstverständnis des erzieherischen Handelns und der Sozialisation durch Unterricht ausprägt. Emotionale Ablehnung oder vorschnelles Abqualifizieren eines solchen Bewußtwerdens gesellschaftlicher Verantwortung wirft notwendig die Frage nach dem Ideologiecharakter des traditionellen Bildungsauftrags der Schule und des herrschenden Bildungsverständnisses auf. Der Beitrag versucht aufzuweisen, daß es verfehlt wäre, die notwendige Radikalisierung didaktischer Fragestellungen und Zielsetzungen mit einer Attitüde bloß zeitgemäßer Links-Radikalisierung zu verwechseln. Deshalb wird hier versucht, die politische Fragestellung dieser neuen didaktischen Theorie unter dem Aspekt gegenwärtiger Kommunikationsverhältnisse in unserer Gesellschaft zu klären, ihre gegenwärtige Position kritisch zu ermitteln und an Beispielen zu zeigen, welche neuen Ziele sich als gesellschaftlich notwendig im Rahmen einer neuen Theorie . ästhetischer Bildung'erweisen.

I. Die Voraussetzungen der neuen Theorie

Daß die Geschichte der Kunsterziehung und ihrer verschiedenen didaktischen Theorien heute von einer progressiven Schule der Fachdidaktik als Ideologiengeschichte der ästhetischen Bildung kritisch interpretiert und zunehmend in Frage gestellt wird, hängt weniger mit der zunehmenden Politisierung der Schule und ihrer Inhalte zusammen als mit der heute zu Bewußtsein kommenden Bedeutung der gesellschaftlichen Funktion ästhetischer Prozesse und Phänomene, die zwar immer schon kommunikative Prozesse und Phänomene gewesen sind, jedoch eingegrenzt auf bestimmte künstlerische Ausdrucks-und Wahrnehmungsformen, und damit auch auf bestimmte, bildungsprivilegierte Gesellschaftsschichten. Gegenwärtig aber überwiegt eindeutig eine Form der ästhetischen Wahrnehmung, die durch die Massenmedien auf dem Wege der Massenkommunikation vermittelt wird. Es kann dabei nur sehr oberflächlich davon die Rede sein, daß dadurch die ästhetischen Phänomene oder ihr Erlebnis und Verständnis für breitere Gesellschaftsschichten .demokratisiert'würden.

Idealistische Weitsicht, das Verständnis von Kunst als eines besonderen Bereichs über den Realitäten der gesellschaftlichen Wirklichkeit und des sozialen Feldes, aus dem sie entstand, und in der Folge das pädagogische Bemühen primär um Erlebnis-und Erkenntnisvermittlung in diesem Bereich waren für die Kunsterziehung an den allgemeinbildenden Schulen noch bis in die Nachkriegszeit hinein bestimmend, als die allgemeinen Bildungsziele und der Fächerkanon bereits viel konkreter auf die gesellschaftliche Wirklichkeit bezogen wurden und der Bereich trivialästhetischer Wahrnehmungsformen im sozialen Alltag bereits in gewaltiger Ausdehnung begriffen war. Kunsterziehung hat so bis zur Gegenwart den Beigeschmack einer Randbeschäftigung mit dem Überflüssig-Schönen behalten und galt länge Zeit kaum mehr als der . musische Ausgleich zur anstrengenden Rationalität der _ issensvermittlungs-und Lernprozesse in aneren Fächern. Im Mittelpunkt stand das indiV uelle ästhetische Tun und Erleben, als Sozialisationsfeld kam dieser Unterricht kaum in Betracht.

Daraus erklärt sich auch die Randposition dieses Bildungsbereichs innerhalb der Schulen, dessen Daseinsberechtigung über traditionellemotionale Anmutungen hinsichtlich der Bedeutung ästhetischer Erlebnis-und Ausdrucksfähigkeiten und deren über weite Strecken pseudo-wissenschaftliche Begründung nie so recht transparent und deshalb immer wieder angezweifelt wurde. Als Lehrinhalt des Faches gilt heute in der Praxis noch weithin die künstlerisch-praktische Übung oder die Beschäftigung mit Werken der bildenden Kunst unter Berufung auf die . Bildungswerte', die daran zu vermitteln seien. Dieses Lehrverhalten gilt allerdings nicht mehr unbestritten.

So zieht heute H. R. Möller als Vertreter einer neuen fachdidaktischen Theorie das kritische Fazit: „Kunsterziehung ist Eintreten in selbstverschuldete Unmündigkeit — das Gegenteil von Aufklärung." 1) Für den Außenstehenden, ja selbst für die Mehrzahl der praktizierenden Pädagogen, der Hochschullehrer und der Didaktik-Theoretiker muß die Vehemenz dieser Kritik erschreckend wirken, zumal der dar-an sich anschließende Theorienstreit noch immer mit teilweise erbittert polemischer Schärfe geführt wird

Inzwischen hat sich die neue didaktische Theorie in einer Reihe von Publikationen ausformuliert sie steht öffentlich zur Diskussion, und wo in ihrer Konsequenz für den Unterricht Inhalts-und Methodenentscheidungen faktisch getroffen worden sind, geraten die neuen didaktischen Vorstellungen schon mit der bestehenden Wirklichkeit in der Schule in Konflikt. Ehe diese Vorstellungen erläutert werden können, gilt es einen grundsätzlichen Vorbehalt wegzuräumen. Daß die neue, radikale Revision der Inhalte und Ziele der Kunsterziehung bzw.des Kunstunterrichts oder des damit gemeinten, überhaupt vorstellbaren Bildungsfeldes bloß marxistisch motiviert sei, ist sicher ein unhaltbares Vorurteil, das sich lediglich auf einige Argumentationsweisen der neuen fachdidaktischen Theorie oder ihre ideologiekritische Verfahrensweise beziehen kann. Dahinter stehen nämlich die mehr oder weniger gleichen gesellschaftskritischen Tendenzen, die z. B. zu den gewiß unmarxistischen Umweltschutzgesetzen geführt haben, also eine Besinnung auf gesellschaftliche Notwendigkeit und gesellschaftlich verantwortliches Handeln.

Daß die neue didaktische Theorie der . Visuellen Kommunikation'sich im Aufbau ihres eigenen kritischen Potentials und zur methodischen Klärung ihrer Vorstellungen und Ziele der Denkkategorien und der analytisch-ideologie-kritischen Methode u. a.der Frankfurter Schule bedient oder teilweise ganz offensichtlich sich auf marxistische Gesellschaftstheorie rückbezieht, kann keineswegs prinzipielle Skepsis gegenüber ihren Zielen begründen.

Pressekonzentration und Meinungsmonopole werden nicht nur von marxistischer Seite als gesellschaftlich unzuträglich erkannt und als Ursache einer allgemeinen . Kommunikationsverschmutzung hingestellt. Zur Kommunikationspathologie in unserer Gesellschaft trägt schließlich die ständige Überschüttung der Öffentlichkeit und der Individualsphäre mit Informationsmaßnahmen bei, denen der Empfänger und Kosument sich kaum entziehen und die er in ihrem Funktionszusammenhang nur selten durchschauen kann.

Dabei erleben wir in jüngster Zeit eine Inflation des Begriffs „Kommunikation" im Bereich der Politik, Publizistik und Wirtschaft, die gegenüber diesem Schlagwort empfindlich machen sollte.

Als immer selbstverständlicher wird überdies vorausgesetzt, daß die gemeinten Kommunikationsprozesse als gesellschaftliche Interaktionsprozesse in der gesellschaftlich . richtigen’ Weise funktionieren und demokratisches Agieren und Reagieren ermöglichen. Daß jenes . richtige’ Funktionieren durch einseitige Informationsmaßnahmen gesteuert und von bestimmten Interessen-Ausgangslagen derer, die im Besitz der Produktionsmittel für Informationen sich befinden, abhängig ist, wissen wir heute mindestens so gut, daß die so verlaufenden Prozesse der Massenkommunikation unter dem Aspekt gesamtgesellschaftlicher Notwendigkeiten sehr fragwürdig erscheinen. Mit eben dieser Fragwürdigkeit befaßt sich die Didaktik der . Visuellen Kommunikation’ in einer dezidierten Weise, weil hier vermutlich auf die Dauer nur radikale Gegenmaßnahmen den Prozeß der gesellschaftlichen Verstrickung im undurchschauten Zwang bewußt machen und neutralisieren können.

II. Der neue kritische Gesellschaftsbezug des Faches Kunstunterricht

Kunstunterricht versteht sich daher in diesem Sinne als ein neues Sozialisationsfeld, in dem pädagogisch-therapeutische Maßnahmen zu planen sind in einer ganz anderen Zielsetzung, als dies früher das . musische Prinzip’ beinhalten konnte, was zur Folge hat, daß dieser Unterricht notwendig politisch werden muß. So müssen zwangsläufig alle ästhetischen Phäno-mene, auch bildende Kunst, auf ihren immanent politischen Gehalt an gesellschaftlichen Voraussetzungen, Wirkungen und Rückwirkungen abgefragt werden, ein übrigens seit langem fälliger Prozeß

Dabei tritt zutage, daß ästhetische Phänomene und Prozesse überhaupt nicht unpolitisch interpretiert werden können, es sei denn in der Form von Ideologien, und daß der Begriff oder die Kategorie des Ästhetischen sich konkret auf jede wahrnehmbare Struktur unserer Artefakten-Umwelt bezieht, nicht nur — im Sinne idealistischer Eingrenzung — auf künstlerische Phänomene. Die Hereinnahme aller In-formationsträger in den kritisch-analytischen Unterricht (also auch Werbung, Fernsehen, Produktform, Architektur usw.), die im traditionellen Kunstunterricht keine, in seinen progressiven Formen nur am Rande eine Rolle spielten, bedeutet in der Konsequenz nicht nur eine gewaltige Erweiterung des Inhalts-katalogs und die Forderung nach neuen, angemessenen Vermittlungsmethoden, sondern ein Umpolen der didaktischen Zielsetzungen überhaupt. Sie besteht wesentlich im Versuch, über neue Verhaltensweisen und Reaktionsdispositionen, die durch Unterricht zu fundieren sind, die Möglichkeit zu freier zwischenmenschlicher Kommunikation und sozialer Interaktion wiederherzustellen. Dieses Fernziel setzt die Emanzipation der Individuen von undurch-

schauten Kommunikationszwängen voraus, also ein kritisches Bewußtsein der Lehrer und Schüler gegenüber allen ästhetischen Umwelt-Phänomenen und multimedialen Informationsflüssen, denen jeder unablässig ausgesetzt ist und auf die jeder längst unbewußt zu reagieren gelernt hat. Deshalb kann eigentlich nicht mehr von Kunsterziehung oder Kunstunterricht gesprochen werden, auch nicht von einer neutralen Medienkunde, sondern nur von einem Kontinuum der Lernsituationen im Gesamtbereich Schule; denn solcher Unterricht muß notwendig die Fachgrenzen sprengen.

Die Forderung, daß die gesellschaftliche Umwelt selbst Gegenstand des . Kunstunterrichts'

sein solle, ist neu und etwas überraschend.

Aber die dahinterstehende pädagogische Zielvorstellung ist nichts anderes als ein Ausdruck der Vernunft. Der Heranwachsende soll dieser in vieler Hinsicht ihn bedrängenden und sein Leben einengenden Umwelt gegenüber nicht unkritisch verharren, sondern sich ihren Zwängen zu widersetzen und sie so weit als möglich aufzulösen lernen. Er soll politisches Bewußtsein auch dort zu entwickeln lernen, wo bislang politische Motive nicht offenkundig und öffentlich waren.

Die emanzipatorische Grundtendenz der neuen Didaktik ist nicht zu übersehen. Denn Umwelt bedeutet ihr nicht nur vorgegebene, dingliehe Welt, die durch Planungs-oder Schutzmaßnahmen staatlicher Organe zu verbessern wäre, sondern sie rechnet die gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse und die darin verborgenen Ideologien hinzu. Gesellschaftliehe Umwelt ist, obwohl das nicht so deutlich ausgesprochen wird, für diese didaktische Theorie die Gesamtheit der materiellen und geistigen Bedingungen, unter denen Individuen oder Gruppen an einem bestimmten Ort innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsordnung arbeiten, leben, kommunizieren, d. h. sozial interagieren müssen.

Damit wird zum neuen Unterrichtsgegenstand des Faches notwendig alles, was an visuellen Phänomenen , ästhetisch', d. h. wahrnehmbar und wirksam diese Umwelt konkret konstituiert. Außerdem gehört naturgemäß zu diesem neuen Unterricht, daß nach den Gründen und Bestimmungsfaktoren gefragt wird, welche die konkrete Umwelt und die sie mitbedingenden visuellen Phänomene entstehen und weiterwirken lassen.

Man würde also fehlgehen in der Vermutung, der traditionelle Kunstunterricht sollte bloß um die phänomenologischen Aspekte der Medien und Kommunikationsprozesse erweitert werden, was an sich schon einer Revision des überlieferten musischen Prinzips und einer Versachlichung des Unterrichts gleichkommen würde. Einer Versachlichung des Kunstunterrichts in diesem Sinne steht die neuere didaktische Theorie sehr kritisch gegenüber, weil man gegenüber der positivistischen Tendenz bloß informationstheoretisch-deskriptiver Methoden der Analyse visueller Phänomene argwöhnt, daß die gesellschaftlichen Wirkungsund Rückwirkungszusammenhänge ästetischer Strukturen nicht erkannt oder nicht berücksichtigt werden.

Die neue didaktische Theorie der . Visuellen Kommunikation'kann zwar auf jene wissenschaftliche Methodik und die zur Verfügung stehenden Verfahren der Analyse nicht verzichten, es sei denn, sie würde ihren eigenen Wissenschaftsanspruch Lügen strafen wollen. Aber sie muß unter ihrer Zielsetzung versuchen, über die Formen des statistischen Abtastens der Strukturen und ästhetischen Sachverhalte und über das Spielen mit diesen scheinbar zweckfreien bildnerischen Mitteln im praktischen Unterricht hinauszugelangen, damit ihre prinzipielle Verfügbarkeit zur Herstellung gesellschaftlicher Umwelt transparent wird, im negativen wie im positiven Sinne.

Zunächst aber geht es um das Erlernen der Kritikfähigkeit, um das Erkennen politischer Gehalte und Wirkungen an scheinbar unpolitischen Strukturen. Dabei werden die trivialen Formen, die unsere Umwelt ausmachen, notwendig bedeutsamer als die Formen bildender Kunst, die im öffentlichen Leben heute kaum eine Rolle spielt und erst hier und da sich neu zu definieren und neue Wege gesellschaftlicher Kommunikation zu suchen beginnt. Möglicherweise werden diese Neubestimmungen der Kunst, sofern sie zu Ergebnissen führen, auch für die . Visuelle Kommunikation'einmal bedeutsam werden. Zunächst aber sind Werbemedien, Film, Fernsehen, Comics, die Presse, Architektur, Design, also die Produktformen unserer täglichen Umwelt, Informationsträger und ästhetische Ereignisse besonderer Art. Die durch sie hergestellte gesellschaftliche Umwelt führt eine besondere Sprache, von Machtinteressen untergründig oder offen vorgeprägt. Diese Sprache ist vielschichtiger und . wortreicher’, d. h. reicher an Zeichen als die normale Wortsprache, sie ist gleichzeitig eine nicht-verbale Umgangsprache des gesellschaftlichen Verkehrs. Umwelt aber stellt sich im Bewußtsein eigentlich erst durch diese Sprache und ihr Verständnis her. So kann man vereinfachend sagen, daß der neue Unterricht in . Visueller Kommunikation'auch ein Sprachunterricht ist. Er vermittelt Verständnis, Kritik und Gebrauch der Bild-sprachen des Alltags und versucht, Bewußtlosigkeit und Sprachlosigkeit gegenüber der Fülle von Umweltinformationen abzubauen und sozialtherapeutisch deren Folgen zu begegnen, indem er die Gesetzmäßigkeiten dieser Sprachformen, ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen und ihre Auswirkungen dem Schüler bewußt macht.

III. Die Konsequenzen für den Unterricht

Möller umreißt die Folgen der neuen Vorstellungen und die Forderungen an Lehre und Lehrer folgendermaßen: „Dabei müssen die von den Fachdisziplinen bürgerlicher Wissenschaft und Kunst her bestimmten Fächergrenzen aufgelöst werden zugunsten bedarfsmäßig wechselnd strukturierter und kooperierender interdisziplinärer Sachbereiche. Mitbestimmung von Unterricht durch Schüler nach deren Bedürfnissen ist hierbei Voraussetzung für Pri-

mär-Motivation, für . Abbau von funktionaler Gebundenheit im Wahrnehmen, Urteilen und Handeln’, für . Selbstsicherheit und Freiheit von Angst', für herrschaftsfreie Kommunikation. Damit ist Kommunikation Gegenstand und Prinzip emanzipatorischen Unterrichts." Letztlich bedeutet diese Vorstellung nicht nur die totale Umstrukturierung eines Faches, sondern eine inhaltliche und organisatorische Umstrukturierung der Schule schlechthin. Möller gibt dazu auch einen Katalog neuer Lehrkompetenzen an, wie sie 1970 für Kunstpädagogen an der Staatl. Hochschule für Bildende Künste Braunschweig vorgeschlagen wurden: „... die Fähigkeit zu kooperativem Verhalten; die Fähigkeit zur Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge; die Fähigkeit zur Problematisierung — als Voraussetzung für die Entwicklung von Methoden und Strategien -zur Veränderung gesellschaftlicher Situationen; die Fähigkeit zu forschendem Lernen; die Fähigkeit, potentielle Lerninhalte .... zu vermitteln"

Das Berufsbild vom Kunsterzieher, der für gewöhnlich an den Schulen als . Künstler'eine Art Sonderstatus oder genauer: Narrenfreiheit in gewissem Grade genoß, dürfte damit gründ-lieh revidiert sein. Dieser neue Kompetenzen-Katalog dürfte auch den Umfang fragwürdig erscheinen lassen, mit dem manchenorts der Mangel an Kunstpädagogen durch den Einsatz ehedem freier Künstler behoben wird. Der Aufgaben-und Inhaltskatalog des neuen Unterrichts ist so umfangreich, daß er hier nur ausschnittweise zitiert werden kann: „Gegenstand von Unterricht in Visueller Kommunikation sind visuelle Medien und visuelle Informationen ohne Rücksicht auf deren mögliche Gestaltung. ... Allgemeine Zielsetzung ... ist die Befähigung zu kritischem Medien-konsum und emanzipatorischem Mediengebrauch. Aufgabe ... ist die Vermittlung von Sachwissen über visuelle Medien (Medien-kunde): Sachwissen über die historischen, soziologischen, psychologischen, technologischen und informationstheoretischen Grundlagen visueller Medien. Weitere Aufgabe ist die Erarbeitung und Vermittlung von Methoden zu selbstständigem Erwerb von Informationen und selbständigem Gebrauch der Medien .. " Weiterhin sei erforderlich „die kritische Auseinandersetzung mit den visuellen Medien“ (Medienkritik): die Auseinandersetzung mit ihren historischen, soziologischen, psychologischen, technologischen und informationstheorethischen Grundlagen und Wirkungen. ... In den Analysen und Interpretationen visueller Informationen wird die gesellschaftliche Umwelt selbst Gegenstand des Unterrichts. • Aufgabe von Unterricht in Visueller Kommunikation ist die Heranbildung eines progressiven Potentials für einen emanzipatorischen Mediengebrauch. Emanzipatorischer Mediengebrauch bedeutet nicht nur die Benutzung der Medien zu qualifizierender Meinungsbildung, zu Lernprozessen, zu Ausgleich und Verbesserung von Start-und Aufstiegschancen in einer Leistungsgesell schaft, sondern vor allem den Schritt aus dem Abhängigkeitsverhältnis eines Konsumenten-daseins zu kommunikativer Aktivität."

Die konkrete Benennung und Begründung differenzierter Lernziele, wie sie z. B. Möller für den Unterrichtsbereich der . Visuellen Kommunikation’ aufschlüsselt, ist charakteristisch für die gesellschaftsbezogene Sachlichkeit dieser neuen Lehre und gleichzeitig für eine neue Dimension des didaktischen Denkens.

Diese neue Sachlichkeit der didaktischen Theorie, die eine erste Phase der Versachlichung der Inhalte und Verfahren des Kunst-unterrichts bereits wieder kritisch abzulösen beginnt, wird vor allem von zwei Richtungen her motiviert: Zunächst von einer neuen Reflexion des Didaktikbegriffs ganz allgemein, wie sie z. B. bei Robinsohn erfolgte, und schließlich von der Basis eines sich allgemein politisch konkretisierenden Bewußtseins her, dem die anhaltenden Kampagnen der gegenwärtigen Bewußtseinsindustrie nicht mehr gleichgültig bleiben oder in unverbindlich-allgemeine Kulturkritik aufgelöst werden können.

Diese Tendenz, die herrschenden Kommunikationsverhältnisse nicht mehr einfach hinzunehmen, bringen einzelne Gruppen in ihren Thesen dezidiert zum Ausdruck: „Als Inhalt eines neuen Unterrichtsfaches meint Visuelle Kommunikation die inhaltliche Bestimmung der herrschenden Kommunikation. Die herrschende Kommunikation aber ist die Kommunikation der herrschenden Klasse. Das wahre Wesen der Kommunikation im organisierten Kapitalismus ist ihr kumulativer Effekt: seine Funktion ist es, eine verbindliche Definition von sozialer Realität zu erzwingen, die Herrschaft legitimiert. Der Kunstunterricht muß in seiner bisherigen Form abgeschafft werden. An seine Stelle tritt nicht ein technokratisch reformiertes Unterrichtsfach, sondern ein gesellschaftskritisches Fach Visuelle Kommunikation, das sich zu legitimieren hat an seinem Beitrag für gesamtgesellschaftliche Veränderungen."

Hier wird das Motiv der Verweigerung von Mitarbeit innerhalb der herrschenden Machtstrukturen ganz deutlich. Wem dies zu linksradikal klingt, der steht allerdings unter Zug-zwang; er müßte nämlich beweisen, daß die getroffenen Grundaussagen nicht der gesellschaftlichen Realität entsprechen. In dieser Situation befinden sich im Augenblick die heftig attackierten . konservativen’ Fachdidaktiker, die wohl heute noch in der Mehrheit sind. Man wartet als Beobachter gespannt auf öffentliche Defensiv-Reaktionen von dieser Seite.

IV. Der Theorienstreit der Fachdidaktiker

Es dürfte sicherlich nicht leicht sein, eine Orientierung an anderen didaktischen Gewichtigkeiten im Kunstunterricht überzeugend darzulegen, nachdem Robinsohn schlüssige Kriterien für die Entscheidung über Unterrichts-inhalte aufgestellt hat, die sachlich, ideologie-frei und konkret auf gesellschaftliche Funktionszusammenhänge verweisen: „ 1. Die Bedeutung eines Gegenstandes im Gefüge der Wissenschaft, damit auch als Voraussetzung für weiteres Studium und weitere Ausbildung; 2. die Leistung eines Gegenstandes für Welt-verstehen, d. h. für die Orientierung innerhalb einer Kultur und für die Interpretation ihrer Phänomene; 3. die Funktion eines Gegenstandes in spezifischen Verwendungssituationen des privaten und öffentlichen Lebens." Allein diesen einfachen Kriterienkatalog ohne psychologisierende Anmutung und ohne ideologische Ausflucht und Verbrämung auf den Inhaltskatalog der traditionellen Kunsterziehung — aber auch auf andere Schulfächer — schlüssig anzuwenden, dürfte schwerfallen.

Der gegenwärtige Theorienstreit, das heißt die Diskussion zwischen . konservativen’ und . progressiven'Schulen der Fachdidaktik, ist insofern auf einem toten Punkt angelangt, als jede Verständigungsmöglichkeit, jeder Diskurs unmöglich erscheint, weil die Gegensätze zu groß und vermutlich die emotionalen Sperren zu dicht sind. Auch hier sind kommunikationspathologische Symptome zu vermuten, nicht nur, weil möglicherweise einige Vertreter der . konservativen'Theorie gegenüber den herrschenden gesellschaftlichen Realitäten durch deren erzwungene Verinnerlichung sich blind verhalten, sondern auch, weil einige Vertreter der neueren Theorie auf eine entsprechende Kommunikation verzichten. Dies ist zumindest in einigen Detailfragen nicht angebracht; denn es gibt unbezweifelbare Vorleistungen aus der heute schon als . konservativ’ zu bezeichnenden fachdidaktischen Schule, die vor etwa zehn bis zwölf Jahren eine erste didaktische Revision der Kunsterziehung in Angriff nahm, die in ihrem Gehalt aber heute unter Positivismusverdacht gestellt wird

Der Frustrationsschock und dementsprechende Sperren gegen die Zielsetzungen der neueren Theorie bei den Vertretern älterer Theorie-Modelle wären vermutlich geringer und die Verständigungsmöglichkeiten entsprechend größer, wenn kommunikationstaktisch so verfahren worden wäre, wie Hermann Glaser rät: „Die kritischen Markierungen müssen dabei so angebracht werden, daß sie vom Kritisierten nicht als Sanktion, sondern als Gratifikation empfunden werden können." Dies ist kein moralischer Vorhalt, sondern eine notwendige Erwägung für die Möglichkeit einer Breitenwirkung der neuen didaktischen Theorie, also ihre Realisierbarkeit und Verbindlichkeit für das Studium der Kunstpädagogik, das in der Ausbildungstendenz doch immer noch entscheidend von der Tendenz der einzelnen Lehrstühle abhängig ist.

Die Diskrepanz zwischen den einzelnen Lehrmeinungen scheint nicht an allen Stellen unüberbrückbar. Zwar begann die didaktische Revision vor etwa zehn Jahren, verglichen mit den gegenwärtigen Bestrebungen, eher . harmlos'unpolitisch. Sie wird deswegen wohl mit Recht in Frage gestellt, aber ihre Kritiker vergessen an einigen Punkten, daß sie auf deren Sachfundament stellenweise weiteroperieren müssen. In den frühen 60er Jahren ging es bereits um eine Versachlichung der Kunst-erziehung insofern, als die Unverbindlichkeit und Verschwommenheit , musischer'Übung und Bildung ersetzt bzw. fundiert werden sollte durch einen rationalisierten Kunstunterricht nach einem aufgeschlüsselten Sachkatalog von konkreten Lehrinhalten und Lernschritten, verbunden mit rationalen, überprüfbaren Methoden zur Vermittlung gestalterischen Tuns und Erkennens. Es ging also durchaus schon um die Sachlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Unterrichtsgegenstände, um neue Methoden und Prinzipien, um „Sachlogik und Systematik" im Unterricht. Freilich wurden die Unterrichtsgegenstände und die Lernziele noch nicht politisch reflektiert. Aber die seit diesen ersten Bemühungen um Rationalität im Kunstunterricht geläufigen Verfahren zum Ermitteln der Gesetzmäßigkeiten der formalen Struktur ästhetischer Phänomene sind durchaus noch von Bedeutung für die von der neuen Fachdidaktik angestrebten Lernprozesse, allerdings sind sie hier eher Mittel zu einem anderen Zweck.

Es liegt auf der Hand, daß man die syntaktischen Mittel kennen und beherrschen muß, wenn man die visuellen Medien emanzipatorisch gebrauchen lernen will, soll dieser Versuch nicht im Dilettantismus und Mißerfolg enden. Daß der Kunstunterricht heute, auch der eher traditionelle, diese Mittel zur Verfügung stellen kann, ist ohne Zweifel ein Verdienst jener ersten Phase der didaktischen Revision. Sie steht heute aber deshalb unter Ideologieverdacht, weil sie über die Rationalität der bildnerischen Mittel nicht hinauszudenken vermochte, dem Kunstunterricht zwar zu einer gewissen kulturtechnischen Effektivität verhalf, die er vorher kaum aufzuweisen hatte, die entscheidende Reflexion aber unterließ: die der immanent politischen Struktur der ästhetisch vermittelten Kommunikationsprozesse.

V. Der Praxisbezug der neuen Theorie

Die unbezweifelbaren Verdienste der älteren Fachdidaktik müssen anerkannt werden. Gleichzeitig muß die neue Theorie sich als eine konkrete Theorie/Praxis-Strategie zur Umwandlung der Schule in einem bildungspolitisch-praktischen Sinne begreifen lernen; denn sie ist auf Solidarisierungseffekte in der Masse der praktizierenden Kunsterzieher ebenso angewiesen wie auf Solidarisierungseffekte im Bereich der Ausbildungsstätten für Kunstpädagogen und im gesamten schulischen Bereich. Die neue Didaktik kann ihre Ziele nur erreichen, indem sie politisch-pragmatisch auf ihre mögliche eigene Praxis reflektiert. Wer nämlich im Augenblick konsequent im Unterricht nach ihr handelt, kommt sofort mit der Schule als traditioneller Institution und Organisationsform in Konflikt und hat nicht ohne Grund mit Sanktionen zu rechnen. Diese BewährungsphaSe der praktischen Konkretisie-rung der neuen didaktischen Theorie in der Breite steht noch bevor. Ihre historische Chance ist die möglicherweise fruchtbare Unruhe im schulischen Bereich, die heute, vermittelt von gesamtgesellschaftlichen Veränderungstendenzen und radikaler Kritik, die erstarrten Strukturen der Bildungseinrichtungen aufzulockern beginnt.

Aber der Erfolg der neuen Fachdidaktik, die sich tatsächlich als eine der fortgeschrittensten pädagogischen Denkweisen darstellt, wird wesentlich davon abhängen, wieweit es ihr gelingt, sich Einfluß zu verschaffen auf die Gesamt-Curriculumrevision der Schulen, da das Fach Kunsterziehung notwendig seine isolierte Position verlieren und in den Gesamtrahmen der Schule neu integriert werden muß.

Die Auswirkungen nur exemplarischer Einzelleistungen in diesem heute neuartikulierten Fach sind sicher unzureichend.

H. J. Gamm, den man als einen der theoretischen Schrittmacher der neuen demokratischen Schule bezeichnen könnte, nimmt hier eine grundsätzliche Kritik voraus: „Diese Einsichten wirken unmittelbar auf das erzieherische Konzept zurück und erweitern den Begriff der Pädagogik. Erzieherische Aktivität kann hin-fort nicht mehr sinnvoll als Bemühung eines einzelnen verstanden werden, der mit dem ihm anvertrauten Lernverband isoliert neue Arbeitsstile einübt. Er würde . . . mancherlei Schwierigkeiten ausgesetzt sein, zumindest seine Absichten in ihren Verwirklichungsmöglichkeiten gefährden. Es kommt daher entscheidend darauf an, daß die zuvor angesprochene Kaderbildung erfolgt und daß die Solidarisierung selbst zu einem Prinzip pädagogischen Handelns wird. . . . Wo immer es nicht gelingt, den pädagogischen Fortschrittsaspekt — hier wesentlich unter dem Bild einer kritischen Schule —• so zu übersetzen, daß auf dem gleichen Felde wirkende Erzieher sich mit ihm solidarisch erklären, war er nicht pädagogisch. Er hat sich nämlich einer kategorialen Nachprüfung durch eine Gruppe nicht gewachsen gezeigt, bzw. es mangelte seinem Interpreten an werbender Kraft."

Dies ist das entscheidende und durchaus auch politische Praxisproblem der neuen didaktischen Theorie der . Visuellen Kommunikation'. Versteht sie sich als konkrete Utopie, als Zugriff auf das gegenwärtig gesellschaftlich Not-wendige und Mögliche, also durchaus als Real-utopie, die unter dem Grundgesetz des Staates, in dem wir leben, nicht nur als notwendig und vorstellbar, sondern auch als ausführbar erscheint, so wird sie den angedeuteten Praxisbezug unablässig reflektieren müssen. In diese Phase tritt sie jetzt ein, nachdem das utopische Bewußtsein sich an der Kritik der ideologischen Struktur des noch herrschenden gesellschaftlichen und pädagogischen Bewußtseins ausgeformt hat. Dies wird notwendig eine Phase der kommunikativen Überzeugung sein müssen, das heißt: jetzt beginnt die mühsame Kleinarbeit in der Planungs-und Unterrichtspraxis, das Abtasten der Grenzen des Möglichen bzw.der schrittweisen Erweiterung dieser Grenzen, und es ist nachzuholen, was die vorwegeilende Theorienbildung bislang versäumen mußte, die jeweils einzelwissenschaftliche Fundierung ihrer hypothetischen Formulierungen an bestimmten Punkten, die von der Kommunikationswissenschaft, der Soziologie und der Sozialpsychologie z. B. noch zu leisten wäre.

Da an dem Ernst und der Richtigkeit der gesamtgesellschaftlichen Zielsetzung der neuen didaktischen Theorie kaum vernünftig gezweifelt werden kann — es sei denn durch bloß gegenutopische, also eindeutig ideologische Kritik —, so ist nur noch dieser letzte Einwand zu entkräften, den die . konservative'Didaktik zu Recht erhebt empirische Feld-forschung und spezialwissenschaftliche Fallstudien müßten die Theorie dort untermauern, wo sie bisher mit Vermutungen oder nicht-wissenschaftlicher Erfahrung operieren mußte.

Es wird also in Zukunft darum gehen müssen, jeden Verdacht auf Schein-Theorie zu entkräften, damit der Vorbehalt ausgeräumt wird, es würde bloß eine neue Ideologie installiert. Gesellschaftliche Notwendigkeit und Schlüssigkeit der Voraussetzungen und Ziele der didaktischen Theorie, das Fakten-und Beweismaterial und die Kommunikationstaktiken ihrer Interpreten ermöglichen zusammen erst die Verwirklichung dieser neuen pädagogischen Zielsetzung in unterrichtsverbindlichen Bildungsplänen. *

VI. Zusammenfassung der Ziele

Zum Schluß sei das neue Gesamtkonzept der . Visuellen Kommunikation'zusammenhängend in den Konturen skizziert: Ziel der neuen, politisch reflektierten Ästhetik-Didaktik ist die Schaffung eines konkret wirksamen, veränderten gesellschaftlichen Bewußtseins bzw. das Bereitstellen von Inhalten und Verfahren zur Erzeugung und Festigung dieses Bewußtseins, das wiederum zur Grundlage für bestimmte neue Verhaltensweisen im sozialen Feld werden soll. Aus dem Bereich der visuellen Medien sind dafür relevante Phänomene exemplarisch herauszulösen und in ihrer gesellschaftlichen Wirkung kritisch zu untersuchen. Die bewußte Wahrnehmung dieser Phänomene und ihrer Auswirkungen soll im Lernprozeß des Unterrichts zur kritischen Reflexion der gesellschaftlichen Bedingtheiten, Funktionen und Rückwirkungen visueller Informationen und ihrer vielfältigen Darbietungsweisen führen.

Der Begriff der ästhetischen Struktur und der gestalterischen Prozesse und ihrer Gesetzmäßigkeiten wird durch dessen immanent politische Dimension, die sichtbar gemacht werden soll, erweitert. Der Begriff des . Bildnerischen Denkens’ aus der ersten Phase der fachdidaktischen Revision wird dadurch nicht nur eingeschränkt, sondern durch den des kritischen Denkens schlechthin ersetzt.

Die so freigesetzte, nicht mehr bloß ästhetische Sensibilität soll sich schließlich in der Folge in Aktionen, in befreites, soziales Verhalten umsetzen können Dies steht als die gesellschaftlich-historisch notwendige und zu verwirklichende Grundidee hinter allen gegenwärtigen didaktischen Teilmodellen oder Gesamtkonzeptionen für einen neuen . Kunstunterricht’, die man unter der neuen Inhaltsbezeichnung . Visuelle Kommunikation’ summarisch zusammenfassen kann. Leitbild ist dabei letztlich, was als die Utopie von der herr schaftsfreien Kommunikation sich darstellt, ein Verhalten und Vermögen zur individuellen und gesellschaftlichen Freiheit hin, zu dem dei neue Unterricht grundlegend und vorbereitend beitragen soll, u. a. dadurch, daß hier die Voraussetzungen geschaffen werden sollen füi eine Neu-Komposition der Medien und dei Informationsflüsse als Produktionsmittel füi . wahres'Bewußtsein. Der unpolitische Ästhetik-Begriff der traditionellen Kunsterziehung konnte und wollte diese neuen Verhaltens-und Aktionsweisen nicht umgreifen, deshalb ist seine Ablösung gefordert und fällig.

Die Schule sieht sich heute mit Aufgaben konfrontiert, die sie als reine Institution für Ausbildungszwecke, also als das, was ihr heute auch im teil-reformierten Zustand noch als technokratisch verstandener Instanz vorgehalten wird, nicht lösen kann, wenn nicht Unterrichtsfelder wie das der , Visuellen Kommunikation'im allgemeinen Curriculum integriert und im Zuge der Bildungsreformen voll realisiert werden können. Freilich bedeutet dies eine Veränderung traditioneller pädagogischer Denkweisen einerseits und die Auflösung des festgefügten Fächerkanons andererseits. Denn die revidierte Kunsterziehung in Form der . Visuellen Kommunikation'erweist sich als komplexes interdisziplinäres Unterrichtsvorhaben, das über weite Strecken Inhalte umfaßt, die nur in einer ganz neuen, offenen Struktur der Schule erarbeitet werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heino R. Möller, Gegen den Kunstunterricht. Versuche zur Neuorientierung, Ravensburg 1970, S. 16.

  2. Vgl, als Diskussionsforum die Zeitschrift „Kunst + Unterricht", z. B. Nr. 11, 13, 14/1971.

  3. Vgl. dazu folgende Publikationen: H. R. Möller, a. a. O., S. 6— 25; Hermann K. Ehmer (Hrsg.), Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewußtseins-Industrie, Köln 1971, hier insbesondere: Helmut Hartwig, Visuelle Kommunikation. Methodologische Bemerkungen zur Ableitung von Lernzielen aus dem sozialen Bereich . Freie Zeit’, S. 334 ff.; Hans Giffhorn, Einfluß ästhetischer Phänomene auf politische Vorurteile, S. 277 ff.; Heino R. Möller, Kunstunterricht und Visuelle Kommu-nikation. Sieben Arbeitsthesen zur Konzeption eines neuen Unterrichtsfaches, S. 363 ff.; Ad-hoc-Gruppe Visuelle Kommunikation (IKAe Frankfurt), Visuelle Kommunikation - Zur gesellschaftlichen Begründung eines neuen Unterrichtsfaches, S. 367 ff; Hans Giffhorn (Hrsg.), Politische Erziehung im ästhetischen Bereich, Velber 1971, S. 138 ff; Heino R. Möller, Zur Didaktik der Visuellen Kommunikation, S. 1- 3 und Hans Giffhorn, Die „Ideologie des Bildnerischen" und politische Erziehung, S. 3- 5 in: Kunst + Unterricht, Nr. 14 /1971 (Hier wird eine sehr übersichtliche Kurzfassung der neuen Zielvorstellungen versucht.)

  4. Vgl. dazu z. B. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit Frankfurt 1970 und Martin Warnke (Hrsg.), Da Gütersloh 1970.

  5. H. R. Möller, Zur Didaktik der Visuellen Kommunikation, a. a. O., S. 3.

  6. A. a. O„ S. 2.

  7. H. S. 23 f. R. Möller, Gegen den Kunstunterricht, ä. a. O.,

  8. Vgl. Saul B. Robinsohn, Bildungsreform als Revision des Curriculum, Neuwied/Berlin 1967.

  9. Aus den Thesen und Forderungen der Ad-hoc-Gruppe Visuelle Kommunikation, in: Ehmer (Hrsg.), Visuelle Kommunikation, a. a. O., S. 367 f.

  10. Saul B. Robinsohn, a. a. O., S. 47.

  11. Vgl. H. R. Möller, Gegen den Kunstunterricht, a. a. O., S. 19.

  12. Hermann Glaser, Kybernetikon, Neue Modelle der Information und Kommunikation, München 1971, S. 18.

  13. Vgl. Gunter Otto, Kunst als Prozeß im Unterricht; Braunschweig 1964 (Dies dürfte die grundlegende und daher meistkritisierte Publikation aus der ersten Phase der fachdidaktischen Revision sein.)

  14. Hans-Jochen Gamm, Kritische Schule. Eine Streitschrift für die Emanzipation von Lehrern und Schülern, München 1970, S. 199 f.

  15. Vgl. Karl Bobek, in: Initiativen zur Veränderung der Kunsterziehung (Tagungsprotokolle, hrsg. vom Krefelder Kunstverein), Krefeld 1971, S. 10; ferner Wilhelm Ebert, Kunktdidaktik zwischen Kunst und Wissenschaft, Weinheim 1971, S. 11; S. 54.

  16. Vgl. H. R. Möller, Gegen den Kunstunterricht, a. a. O., S. 25; ferner Mayrhofer/Wiesinger/Zacharias in: Giffhorn (Hrsg.), Politische Erziehung im ästhetischen Bereich, a. a. O., S. 57 ff.

Weitere Inhalte

Gert Selle, geb. 1933; Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Kunstpädagogik; Gymnasialdienst in Frankfurt/Main; seit 1968 Dozent und Fachhochschullehrer in Darmstadt (Fachbereich Gestaltung) u. a. für Kunst-und Designgeschichte. Veröffentlichungen: Vorbereitung einer Buch-Publikation zum Thema . Ideologie und Utopie des Design'sowie Arbeit an designkritischen und design-didaktischen Studien.