I. Vorbemerkung
In der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gibt es — zumindest hört man es so aus allen Massenkommunikationsmitteln — zwei Flügel: einen sozialistischen und einen reformistischen. Natürlich ist dies eine vom weit entfernten Standort der Beobachter herrührende gewaltige Untertreibung: Die Gruppie-, rangen dieser Massenpartei sind viel zu vielfältig, als daß man sie einfach in zwei Heer-lager aufteilen könnte; im übrigen ist zumindest die Behauptung, es gebe eine reformistische purer Aberglaube. Zwar hat die
linke Minderheit alle anderen bisher zu einer Mehrheitsfraktion zusammengezwungen. Daß diese Mehrheitsfraktion aber wirklich durch ein Konzept — und gar durch einen reflektierten Reformismus — zusammengehalten würde, ist nichts als Propaganda.
Wie dem auch sei: es ist jedenfalls nicht zu bezweifeln, daß es in der SPD heute eine Gruppierung gibt, die auf Parteitagen eine feste Mannschaft von ca. 80 Delegierten auf die Beine bringt, und deren einflußreichste Fraktion eine bestimmte Gruppe um den Bundesvorstand der Jungsozialisten sein dürfte. Diese Gruppe diskutiert seit langem ein Konzept „systemüberwindender Reformen" bzw. „antikapitalistischer Strukturreformen" für die Bundesrepublik, auf das die Gesamtpartei zwar mit Schrecken, nicht aber mit qualifizierten Antworten reagiert hat
Genausowenig bezweifelt werden kann überdies, daß die Konservativen sich daran machen, dieses Konzept zum Hauptthema ihres Bundestagswahlkampfes im Jahre 1973 zu machen. Ob sie mit dieser Taktik Erfolg haben werden, kann heute niemand voraussagen. Wie auch immer: eine ernsthafte, von tages-politischen Rücksichten freie Diskussion dieses Konzepts ist unbestreitbar notwendig.
Obwohl ich diese Notwendigkeit klar sehe, ja sie sogar immer wieder selbst betont habe Matzke:
Der Widerpruch zwischen Handels-und Entwicklungspolitik ................... S. 25 habe ich doch lange gezögert, ob ich die folgenden Überlegungen in der vorliegenden Form veröffentlichen soll. Meine Analyse des Konzepts der Jungsozialisten kommt nämlich zu einem negativen Ergebnis: Idi behaupte, daß in dieser „Strategie" eigentlich strategische Überlegungen weitgehend fehlen’ und daß die Hypothesen weniger auf einer empirischen Analyse der sozialen Situation der Bundesrepublik als auf einer intensiven Lektüre marxistischer und neomarxistischer Autoren beruhen. Auch fürchte ich, daß in vielen Fällen eine ziemlich schematische und holprige Übertragung von französischen und italienischen Analysen auf die Wirklichkeit der Bundesrepublik versucht worden ist, die nicht gelingen kann; kurz, ich bin der Meinung, daß in diesen Analysen, in denen sehr viel von der Macht (nämlich der Kapitalisten) die Rede ist, gerade die Aspekte einer „Machtkunstlehre" sträflich vernachlässigt worden sind. Man-cher Leser wird jetzt fragen, warum ich mich scheue, derartige Analysen der offenen Diskussion auszusetzen. Vor allem aus einem Grunde: weil ich jener vorher zitierten Mehrheitsfraktion kein gutes Gewissen schaffen möchte. Die Jungsozialisten — oder wenigstens einige davon — haben ihren Marx, ihren Gorz und ihren Basso wenigstens gelesen und haben eine Analyse versucht; davon kann bei der anderen Seite keine Rede sein. Allerdings haben praktische Leistungen zur Verbesserung der Lebensqualität auch dann ihr Gewicht, wenn sie nicht auf reflektierten, weitgesteckten Zielen beruhen. Nur ist zu fragen: Wie lange behauptet sich eine theoretisch kurzsichtige Reformpolitik gegen den konservativen Gegner und die Faszination geschichtstheologischer Lehren? In jedem Fall würde ich ungern dasselbe Schicksal erleiden wie ein von mir sehr geschätzter Autor, Gerhard Szczesny, des-sen interessantes Buch „Das sogenannte Gute" inzwischen die (vom Autor sicher ungewollte) Funktion gewonnen hat, den liberalen Bürgern als Alibi zu dienen, wenn sie wieder auf den Bewußtseinsstand zurückkeh-ren, den sie vor der Jugendrevolte der Jahre 1967— 1969 gehabt haben. Andererseits: Die theoretische Auseinandersetzung in dieser Partei ist notwendig. Man wird die genaue Wirkung eines derartigen Diskussionsbeitrages nie völlig abzirkeln können. Deshalb habe ich der Veröffentlichung zugestimmt, will aber zwei Vorbemerkungen machen.
1. Ich halte mich an den Satz von Barrington Moore: „Eine Verherrlichung der Tugenden unserer eigenen Gesellschaft, die deren häßliche und grausame Züge ausläßt, die nicht die Frage stellt, ob vielleicht ein Zusammenhang zwischen den freundlichen und den grausamen Zügen besteht, bleibt bloße Apologie, auch wenn sie in den gemessensten akademischen Tönen vorgebracht wird."
Wenn ich also auch der Ansicht bin — oder sollte man lieber sagen: die Hoffnung habe-, daß ein demokratisch-kapitalistischer Sozialstaat nicht nur eine „Illusion" ist wie das der Bundesvorstand der Jungsozialisten formuliert, muß ich doch deswegen noch lange nicht die Augen verschließen vor der Brutalität, die in vielen Arbeitsbeziehungen dieser Gesellschaft herrscht, vor der Entfremdung zahlloser Arbeiter, denen jede Mitbestimmung über die Ziele ihrer Arbeit verwehrt ist, und vor der Ausbeutung, die durch das Konsummodell eben auch verursacht wird
Ich bin nur dagegen, daß wir uns blauen Dunst vormachen; und für blauen Dunst halte ich es, wenn heute einer von links den alten rechten Bernstein wieder aufleben läßt und seine Theorie vom friedlichen Hineinwachsen in den Sozialismus neu drapiert auf den Tisch bringt. Politik bedingt eine komplizierte Güterabwägung zwischen Zuständen, die meistens alle für die sozial schwachen und unteren Schichten ziemlich viel Brutalität mit sich bringen. Der Politiker muß trotzdem entscheiden, muß trotzdem handeln; nur hat er keinerlei Grund, so zu tun, als bringe die von ihm gewählte Alternative nun allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein. 2. Die folgenden Bemerkungen sind Teil einer größeren Arbeit, der ich den vorläufigen Arbeitstitel „Die historische Aufgabe des Reformismus" gegeben habe. Es sind, wie ich im Untertitel dieses Aufsatzes zu sagen versucht habe, strategische Überlegungen, und das heißt: es sind Überlegungen über die Durchsetzbarkeit und Machbarkeit bestimmter Ziele unter bestimmten politischen Konstellationen. Da derartige strategische Diskussionen in der idealistischen Tradition dieses Landes erstens sowieso nicht gedeihen und zweitens die politisch inhaltliche Zieldiskussion ausgeblendet bleibt, mögen die folgenden Gedanken auf viele Leser kaltschnäuzig und seelenlos wirken. Zwar fürchte ich diesen Vorwurf nicht besonders; denn wer, wie manche der neuen Sozialisten — und das noch möglichst schnell —, soziale Umwandlungen größten Stils erreichen möchte, muß schon ziemlich kalt an die Sache herangehen und sollte von seiner Seele nicht allzu viel Gebrauch machen. Andererseits ist die oben erwähnte Güterabwägung nicht durchführbar, wenn man über die Wünschbarkeit bestimmter Ziele nicht ausführlich diskutiert hat. Ich mache deshalb unter Punkt IV dieses Aufsatzes zu dieser Zieldiskussion einige fragmentarische Anmerkungen, die die Fragen, die zu beantworten wären, allerdings nur aufwerfen können. Ich weiß also, daß der Stellenwert der folgenden Überlegungen nur beurteilt werden kann, wenn klipp und klar gesagt worden ist, was denn „Reformismus" leisten kann und was nicht.
II. Die Strategie „systemüberwindender Reformen"
Was sind nun systemüberwindende Reformen? Ich benutze als Quellen für die Rekonstruktion dieses Konzepts einmal die Beschlüsse des Münchner Bundeskongresses der Jungsozialisten sowie die auf dem Strategiekongreß der Jungsozialisten in Hannover beschlossenen Papiere „Thesen zur polit-ökonomischen Analyse und zu strategischen Ansätzen", „Thesen zum Abbau der privaten Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, Betrieb, Gewerkschaft, Staat“ und „Thesen zur Massenmobilisierung und Organisation" Mit herangezogen werden die für diesen Bundeskongreß erarbeiteten Diskussionsgrundlagen des Bundesvorstandes sowie verschiedener Arbeitsgruppen Ihnen kommt — da sie nicht beschlossen worden sind — zwar nicht der gleiche Quellenwert zu wie den bisher genannten Papieren; auch sie geben aber zweifellos ein Bild vom Stand der Diskussion innerhalb der Jungsozialisten. Im übrigen hat der Strategiekongreß die weitere auch dieser Papiere durch einen 1skussion «gens gefaßten Beschluß ermöglicht
Das Konzept der systemüberwindenden Reformen geht aus von der klassischen marxistischen Analyse eines kapitalistischen Industriestaates: „Die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik ist vom Grundwiderspruch aller kapitalistischen Gesellschaftsordnungen geprägt, dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Die gesamt-gesellschaftlich bedeutenden Krisenerscheinungen und die strategisch bedeutsamen Widersprüche sind auf diesen Grundwiderspruch zurückzuführen."
Dabei wird auch die klassische marxistische Krisenanalyse beibehalten, jedoch modifiziert: „Die kapitalistische Produktionsweise bedingt eine ständige Unstabilität und Krisenanfälligkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Dabei hat es sich jedoch in der Vergangenheit gezeigt, daß der von vielen Sozialisten erwartete ökonomische Zusammenbruch des Systems ausblieb, da sowohl in der nationalen wie in der internationalen staatlichen Wirtschaftsregulierung Instrumente entwickelt wurden, die dies erfolgreich verhindert haben."
Die Folgen von Keynes werden also rezipiert. Trotzdem heißt es klipp und klar: 13 „Der Versuch, durch eine Vollbeschäftigungs-
Politik die Krisenhaftigkeit des Systems zu beseitigen, ist mißlungen."
Da die Bahnen der klassischen marxistischen Analyse im wesentlichen eingehalten werden, erübrigt sich hier eine ausführliche Darstellung. Modifizierungen gibt es bei der Darstellung der Rolle des Staates: Hier setzte sich der Bundesvorstand gegen die Hamburger und Berliner Jungsozialisten mit einer Version durch, die den Staat nicht als reines Ausbeutungsorgan der herrschenden Klassen sieht. Die Rolle des Staates bei der Krisenvermeidung, die verschiedenen Ausgangsbedingungen des Kampfes der Lohnabhängigen in den verschiedenen europäischen Ländern, die Ausschaltung der Konkurrenz durch zunehmende Monopolisierung werden betont Es folgt das klassische Theoriestück der Kritik am Konsummodell, einschließlich der Kritik an Verschleißproduktion und Werbung. Die Ziel-Projektion lautet:
„Die Demokratisierung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, die die Vergesellschaftung notwendig einschließt, ist also auch heute noch der entscheidende Hebel zur Abschaffung des kapitalistischen Systems." Daß dabei Vergesellschaftung und Verstaatlichung nicht in primitiver Weise vermischt werden, sei ausdrücklich betont. Das Problem wird gesehen:
„Ziel antikapitalistischer Strukturreformen ist die Ablösung der Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung und Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten. Fragen der Mobilisierung und Organisierung abhängig Beschäftigter betreffen das umfassende strategische Problem, wie eine unterdrückte und zunächst noch weitgehend passiv in einer fremdbestimmten Rolle verharrende Klasse im Prozeß zunehmender Bewußtwerdung sich nach und nach gegen die Fesseln der bestehenden unsozialen und undemokratischen Verhältnisse als aktionsfähiges Kollektiv in selbstbestimmter Form und Zielsetzung organisieren kann." Hier ist das strategische Problem also schon formuliert. Noch klarer heißt es an anderer Stelle:
„Die Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel taugt in ihrer allgemeinen Form noch nicht dazu, die Massen für eine sozialistische Politik zu gewinnen. Es ist notwendig, aus ihr Forderungen abzuleiten, die zur Vergesellschaftung hinführen, die aber an den für den Menschen erfahrbaren Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft ansetzen. Die subjektiv erfahrbaren Widersprüche sind besonders wirksame Ansatzpunkte, um die Lohnabhängigen die politischen Widersprüche erkennen zu lassen und zur Entwicklung sozialistischer Perspektiven zu führen."
In diesen Formulierungen ist das strategische Konzept der systemüberwindenden Reformen bereits im Kern enthalten. Es geht um „anti-kapitalistische Strukturreformen". Da diese — mit dem Hauptziel der Abschaffung privater Verfügungsmacht über die Produktionsmittel — den passiv gemachten, „entpolitisierten“ Massen aber nicht auf einmal verständlich gemacht werden könnten, soll ihnen der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit an einzelnen, in ihrem Lebensbereich erfahrbaren Problemen aufgezeigt werden. Solche Aktionsfelder sind die Probleme um Mieten, Sanierung, Schulen, Umweltschäden, Berufsausbildung, Hochschulen etc.
Bei der Selbstorganisation der Arbeitenden in Straßenaktionen, Betriebsund Projektgruppen usw. soll ihnen klargemacht werden, daß Widerstand gegen die kapitalistische Gesellschaft lohnt, und dieser summierte Widerstand soll dann, über die Institutionen transformiert, zu'einer Ablösung des kapitalistischen Gesellschaftssystems führen. Dies ist allerdings nicht schnell zu erreichen:
„Unter den gegenwärtigen Bedingungen geht es jedoch vorrangig darum, Gegenmachtpositionen der Lohnabhängigen aufzubauen und von dort ausgehend auf die staatliche Wirtschaftspolitik einzuwirken."
Für die Transformierung des systemkritischen Bewußtseins einzelner Gruppen über die Institutionen ist nun die vieldiskutierte Doppelstrategienotwendig:
„Die praktisch erfahrbaren Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind die Ansätze für systemkritisches Bewußtsein. Da-mit sich Bewußtsein in praktischem Veränderungswillen fortsetzt, genügt es nicht, verbale Aufklärung zu betreiben: Es muß die praktische Veränderbarkeit der Verhältnisse erfahrbar gemacht werden. Dieses wird letztlich nur in der Selbstorganisation der jeweils Betroffenen erreicht. Die Doppelstrategie stellt den JUSOS die Aufgabe, auf der einen Seite: punktuelle Selbstorganisation von fallweise Betroffenen zu initiieren und deren Effektivität und Kontinuität zu gewährleisten; auf der anderen Seite: durch den so entstehenden Druck die Partei und die Institutionen zu zwingen, die Bevölkerungsinteressen wirksam zu vertreten und durchzusetzen."
Diese Institutionen, mit denen in der Bundesrepublik eine Zusammenarbeit angestrebt wird, sind die Gewerkschaften und die SPD. Zwar wird eine weitgehende „Anpassung der Gewerkschaften und der SPD an das kapitalistische System — verbunden mit einer wachsenden Entpolitisierung weiter Teile der Arbeiterklasse —" konstatiert; trotzdem wird eine Arbeit in diesen Institutionen für sinnvoll gehalten:
. Eine schlüssige sozialistische Strategie muß unter den kapitalistischen Bedingungen der Bundesrepublik von den bestehenden Massenorganisationen der Arbeiterklasse ausgehen, da diese als die Grundlage der bestehenden Arbeitermacht und auch als Gradmesser für den Stand des Klassenbewußtseins angesehen werden müssen."
Und noch klarer:
Die Jungsozialisten halten die Arbeit in der SPD für notwendig, weil diese Partei nach wie vor von der Mehrheit der Lohnabhängigen als ihre Interessenorganisation betrachtet wird.
Die sozialistischen Kräfte in der SPD müssen gestärkt werden, damit sie von einer Minderheit zur Mehrheit werden können."
Adressaten der politischen Arbeit sollen also Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien sein. Dabei wird der internationale Aspekt berücksichtigt:
. Eine derartige Strategie muß allerdings beim heutigen Stand der Kapitalkonzentration auf multinationaler Ebene abgesichert werden.
Eine Politik der Kooperation mit den antikapitalistischen Kräften auf westeuropäischer Ebene in den entsprechenden Parteien und Gewerkschaften ist unerläßlich. Der organisierten Macht des Kapitals steht heute noch eine in sich uneinige Arbeiterbewegung auf westeuropäischer Ebene gegenüber, die noch keine gemeinsame Strategie für ein demokratisches, sozialistisches Europa erarbeitet hat.“
Dies heißt — blickt man einmal auf die westeuropäischen Staaten, die in der EWG zusammengeschlossen sind — die Zusammenarbeit der heute noch zersplitterten Organisationen der »Arbeiterbewegung": also sowohl der sozialdemokratischen als auch der christlichen eh auch der kommunistischen Gewerkschaften und zum Teil auch der Parteien. Sie sollen nach
Meinung der Jungsozialisten — gemeinsam — den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen. Die Thesen versuchen dann, dieses Konzept in verschiedenen Bereichen zu konkretisieren. Hierbei wird sowohl der Produktionsais auch der Reproduktionsbereich berücksichtigt. Die antikapitalistischen Kräfte müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen. Ein erster, großer Schritt, dem viele kleine Schritte vorangehen müssen, ist dabei beispielsweise eine öffentliche Kontrolle der Investitionspolitik über eine Kontrolle des privaten Bankenapparates Aber:
„Eine öffentliche Kontrolle des Kreditwesens ist freilich nicht als eine Teilverwirklichung des Sozialismus aufzufassen, sondern erhält ihren strategischen Stellenwert vor allem dadurch, daß auf der Grundlage dieser Forderung eine Problematisierung des Privateigentums möglich ist."
Wer der Analyse bis hierher gefolgt ist, erkennt — sofern er sich einigermaßen mit der neueren marxistischen Forschung vertraut gemacht hat — unschwer die Grundlagen dieses strategischen Konzepts: diese Gedanken sind zuerst, in nur wenig anderer Form, von italienischen und französischen Gewerkschaftlern formuliert worden. Andre Gorz und Lelio Basso, von denen seit der Mitte der sechziger Jahre verschiedene Arbeiten auch ins Deutsche übersetzt wurden haben hier einen entscheidenden Einfluß ausgeübt. Die Identität geht bis in die Begriffsbildung: die „antikapitalistischen Strukturreformen" stehen bei Gorz (und Basso) ebenso wie die „Gegenmachtpositionen" etc.
Ausgangspunkt aller Überlegungen dieser sozialistischen Theoretiker war die Kritik einerseits am dogmatischen Sozialismus der kommunistischen Staaten (Gorz nennt das den Sozialismus der „Akkumulation") und andererseits die Kritik an der Politik der westeuropäischen kommunistischen Parteien. Diese hätten es nicht vermocht, den Kampf für den Sozialismus mit dem Kampf um Tagesforde-rungen zu verbinden und hätten ihre Zeit mit dem „revolutionären Warten auf die Krise"
verbracht.
„Mindestens Jahre lang hat die kommunistische Bewegung einen prophetischen Glauben an die Katastrophe verbreitet und den zwangsläufigen Zusammenbruch des Kapitalismus vorausgesagt . . . Man dachte, daß die inneren Widersprüche des Kapitalismus immer stärker, daß die Lage der arbeitenden Massen schlechter würde. Die revolutionäre Erhebung galt als eine Frage der Zeit.“ 30)
Mit dieser Warterei wollen die neuen Theoretiker der Arbeiterbewegung nun Schluß machen. So konzipierte Gorz eine „Strategie der fortschreitenden Eroberung der Macht durch die Arbeitnehmer". Von unten her, von der Kommunalpolitik, von der Ebene des Betriebes aus, sollen „Gegenmachtpositionen" als Teil-ziele des sozialistischen Weges errichtet werden. Gorz sagt:
„Gewiß, Sozialismus kann nur die Vorherrschaft der Arbeiterklasse, nur das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln sein. Aber um dorthin zu gelangen, muß man zunächst versuchen, Zwischenziele zu erreichen. Nur so wird der Sozialismus schließlich als möglich erscheinen, eine konkrete Bedeutung erhalten, sich als wünschenswert erweisen."
Hier findet sich übrigens auch schon das voluntaristische Element des Gorzschen Sozialismus, das aus der engen geistigen Verbindung der französischen Linken zum Existenzialismus herrühren mag. Eben dieses Element ist auch von den Jungsozialisten mit aufgenommen worden: nämlich die (in einem bestimmten Kontext auch zweifellos richtige) Idee, daß die Mobilisierung des Bewußtseins der Massen nur möglich ist durch gemeinsame erfolgreiche Aktionen, und nicht durch irgendwelche administrative Maßnahmen von oben. „Der Kampf um autonome Teilmacht und um ihre Ausübung soll Len Massen ermöglichen, den Sozialismus als eine R a’ität zu erleben, die schon begonnen hat; eine Wirklichkeit, die auf freie Entfaltung drängt und den Kapitalismus von innen aushöhlt. Statt dichoto-misch die Gegenwart der Zukunft gegenüber-zustellen, wie das Böse dem Guten, die augenblickliche Ohnmacht der künftigen Macht, gilt es, die Zukunft gegenwärtig und die Macht schon spürbar zu machen. Aktionen sollen den Arbeitnehmern ihre wirkliche Kraft zeigen, ihre Fähigkeiten, sich mit der Macht des Kapi29) tals zu messen und ihm ihren Willen aufzu.
zwingen."
Daß sich aus dieser — aus französischer Perspektive — für Gewerkschaften wie die links-demokratische CFDT oder die kommunistische CGT konzipierten Strategie eine ganz andere Beurteilung des politischen Alltagskampfes und beispielsweise des französischen Mai 1968 oder der spontanen Septemberstreiks 1969 in der Bundesrepublik ergibt als für die deutsche Sozialdemokratie, steht außer Zweifel.
Selbstverständlich lassen sich beim Konzept der systemüberwindenden Reformen, wie es in der Bundesrepublik rezipiert wurde, auch Abweichungen vom eigentlichen Vorbild registrieren. Die gravierendste ist wohl die, daß in der Bundesrepublik als institutioneile Ansatzpunkte jener Strategie nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die sozialdemokratische Partei gesehen wird. Dies würde Gorz selbst nicht mitmachen. Für ihn sind selbst (oder erst recht) die kommunistischen Parteien als Bündnispartner kaum zu gebrauchen. Er ist davon überzeugt, „daß in der neokapitalistischen Gesellschaft die Gewerkschaft viel mehr als die Partei der Katalysator und der Ort der Bildung des Klassenbewußtseins ist."
Auf einige andere, wesentliche Unterschiede in der Durchsetzungsstrategie, in der Konsequenz, werde ich im folgenden mehrfach zu sprechen kommen. Die Grundsätze aber sind identisch. Die folgende Formulierung von Lelio Basso könnte genauso in einem der Papiere des Strategiekongresses der Jungsozialisten stehen:
„Die entscheidende Aufgabe einer sozialistischen Strategie ist daher, die Tagesaktion, den Kampf zur Durchsetzung ökonomischer Forderungen, mit antikapitalistischen Strukturreformen zu verknüpfen, kurz: mit Zielsetzungen, die als Zwischenstufen auf dem Weg zum Sozialismus gelten können. Wo diese Verknüpfung fehlt, wo der ökonomische Tageskampf um das sozialistische Endziel als zwei getrennte und voneinander unabhängige Momente der Aktion gesehen werden, verfällt man entweder einem subalternen Reformismus, der das kapitalistische System nicht in Frage stellt, sondern es lediglich verbessern will, oder einem abstrakten, maximalistischen Revoluzzertum, das die Revolution zwar proklamiert, aber sich damit begnügt, wunder-gläubig auf sie zu warten."
III. Fünf Thesen zur Strategiediskussion in der SPD
Wie ich zu Anfang dieses Aufsatzes schon angedeutet habe, halte ich derartige strategische Überlegungen für unrealistisch. Um genauer zu sein: Ich bin vor allem der Meinung, daß es ein ganz und gar illusionärer Glaube ist.derartige Theoriestücke aus der französischen und italienischen Wirklichkeit ohne viel Veränderungen in die ganz anders geartete deutsche ökonomische Situation transplantieren zu können. Und für ganz und gar unpraktikabel halte ich es. dieses Konzept nun auch noch mit Apparaten vom Typ der deutschen oder skandinavischen sozialdemokratischen Parteien verwirklichen zu wollen; dies widerspricht auch ganz und gar den Überzeugungen von Leuten wie Gorz und Basso, überhaupt: aus Unwissenheit oder auch aus taktischen Gründen wird nur ein kastrierter, von der Konsequenz seiner eigenen Theorie gereinigter Gorz weitervermittelt. (Für Lelio Basso gilt übrigens mit wenigen Abstrichen dasselbe. Ich konzentriere mich in meiner Beweisführung aber auf Beispiele aus den Arbeiten von Gorz, weil dieser, wie es der frühere stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, Norbert Gansel, selbst formuliert hat, „den stärksten Einfluß auf die Theoriediskussion der Jungsozialisten hat"
Der wichtigste Teil meiner Argumentation bezieht sich also auf die deutsche Situation. Da ich der Meinung bin, daß auch bei der heute gegebenen starken Verflechtung zwischen den EWG-Ländern eine gleichartige Beeinflussung des sozialen Wandels aufgrund allgemeiner (beispielsweise marxistischer) historischer Gesetzmäßigkeiten weit schwieriger ist, als allgemein angenommen wird, ist diese Beschränkung nur selbstverständlich. Im übrigen will ich aber im Zusammenhang mit dem Problem der Macht und der außenpolitischen Bündnisfrage nicht nur die Gorz-Rezeption in Deutschland, sondern auch Gorz selbst kritisieren. Mag sein, daß auch ich, durch jahrelange praktische Arbeit in der Politik, schon vollständig im Apparat-Denken verhaftet bin; aber ich kann mich in diesem Punkt der Überzeugungskraft der orthodox-marxistischen Kritik an Gorz nicht entziehen.
Ich weise nochmals darauf hin, daß die folgenden Bemerkungen rein strategischer Natur sind Ich diskutiere also nicht die Frage, ob es Ökonomisch sinnvoll ist, den staatsinterventionistischen Kapitalismus, wie wir ihn heute in der Bundesrepublik vorfinden, durch einen Sozialismus der Selbstverwaltung abzulösen; ich beschäftige mich schlicht und einfach mit der Möglichkeit der Durchsetzung derartiger Ziele. Das bedeutet nicht, daß ich mich stillschweigend mit allen antikapitalistischen The-sen einverstanden erkläre; es kann aber auch nicht bedeuten, daß es sinnvoll wäre, ohne eine eingehende Diskussion über sie hinwegzugehen: Denn daß die marxistische Kritik an der sozialen Wirklichkeit des demokratischen Kapitalismus viel Wichtiges enthält, kann mit dem Hinweis auf die ökonomischen Probleme und den politischen Terror in vielen sozialistischen Ländern nicht abgetan werden.
Ich habe versucht, meine Argumente in fünf Thesen zusammenzufassen. Diese Thesen sind deutlich und ohne viel taktische Rücksichtnahme formuliert, im Sinne der nützlichen methodischen Bemerkung, die Barrington Moore in seinem vorzüglichen Buch über Bauernrevolutionen macht:
„Meine Bemerkungen über diese Ideen werden nicht nur kurz, sondern auch provozierend sein, im guten Sinne dieses Wortes, wie ich hoffe, in dem nämlich, daß sie andere dazu anregen, diese Probleme näher zu untersuchen."
1. Der Verlauf des sozialen Wandels und die
Rolle der Gewalt Die Strategie der systemüberwindenden Reform geht darauf aus, Gegenmachtposition von unten her zu erobern, dadurch das Bewußtsein der „Arbeiterklasse", von der man sehr wohl weiß, daß sie in zahllose Fraktionen zerspalten ist — zu stärken. Und dann? In den Münchner Beschlüssen der Jungsozialisten heißt es:
„Die effizienteste Möglichkeit, gegen das System vorzugehen, bestünde zweifellos in seiner Abschaffung, d. h. in der Substitution von privater Verfügungsgewalt über Produktionsmittel durch gesellschaftliche Verfügungsgewalt. Wir meinen aber, daß es zur Zeit durch die Verfilzung der verschiedensten subjektiven Interessenlagen quer durch die Klasse der Lohnabhängigen und sogar quer durch die verschiedensten Schichtungen dieser Klasse in der BRD nicht möglich ist, eine radikale Veränderung zu erreichen. Es gibt aber sehr viele Vorstufen, die zur Vergesellschaftung der Pro-duktionsmittel führen oder zumindest schrittweise zum gleichen Effekt und die nicht so viele Vorurteile mobilisieren wie etwa eine Enteignung. Eine solche Wirtschaftsverfassung muß schrittweise eingeführt werden, ohne daß dadurch Belastungen der Stabilität oder gar handfeste Wirtschaftskrisen entstehen dürfen."
Auf die Reaktion der heute herrschenden Oberklassen auf ganz entscheidende, ihre Herrschaftsposition gefährdende „systemüberwindende Reformen" oberhalb einer bestimmten Schwelle, will ich in der These 2 ausführlich eingehen. Hier nur soviel: Wer glaubt, den Kapitalisten den Kapitalismus „schrittweise“ aus der Hand winden zu können — sozusagen ohne daß diese herrschenden Ober-klassen es richtig bemerken —, der unterschätzt die historische Erfahrung dieser Klassen gewaltig (obwohl sie kleiner ist als die vergleichbarer Gruppen in anderen Ländern). Die Einführung des Sozialismus ist etwas anderes als die Jagd nach Eisbären; die kann man nämlich, hinter einem Eisbrocken lauernd — und weil sie darauf rechnen können, in der Antarktis keinen Menschen zu treffen — einfach durch einen Schuß aus einer Injektionspistole betäuben, um sie dann in aller Ruhe davon und in den Zoo zu schaffen. Mit herrschenden Oberschichten im XX. Jahrhundert ist das nicht ganz so einfach.
Andre Gorz schwindelt sich um diese Erkenntnis übrigens ganz und gar nicht herum. Der Erfinder der Strategie der „fortschreitenden Eroberung der Macht" sagt klar, was ihm in Deutschland wegredigiert wird: daß nämlich der Eroberung von Gegenmachtpositionen (in einem überschaubaren, relativ kurzen Zeitraum übrigens) irgendwann die revolutionäre, gewaltsame Aktion folgen muß:
„Es gibt keinen . allmählichen'und unmerklichen . Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, und es kann ihn auch nicht geben. Die wirtschaftliche und politische Macht der Bourgeoisie ist nicht durch einen langsamen Aushöhlungsprozeß oder eine Folge von partiellen Reformen zu zerstören, die für sich offenbar harmlos und akzeptabel für den Kapitalismus wären, deren Effekt aber einer im stillen vor sich gehenden Einschließung des Gegners durch eine geheime sozialistische Armee gleichkäme, die verborgen voranmarschiert, ohne Lärm und im Schutze der Nacht, um sich eines schönen Tages im Besitze der Macht wiederzufinden. Nein, darum handelt es sich hier nicht. Allmählich voranschreitend kann und muß in einer sozialistischen Strategie die Vor bereitungsphase sein, die den Prozeß auslöst, der zum Ausbruch der Krise und der letzten Kraftprobe führt. Die Wahl dieses Weges, unangemessen als .friedlicher Weg zum Sozialismus'bezeichnet, beruht nicht auf einer a-priorischen Option für den . Gradualismus'oderauf der a-priorischen Ablehnung der gewaltsamen Revolution oder eines bewaffneten Aufstandes, sondern sie ist die Konsequenz von deren faktischer Unmöglichkeit im europäischen Kontext."
Das geistige Klima in Deutschland würde nun den Schluß zulassen, daß mit derartigen Bemerkungen die Vertreter einer systemüber. windenden Reform auf schlichte Weise diskriminiert werden sollten: Da in Deutschland jeder, der für gewaltsame soziale Veränderungen eintritt oder zumindest nicht von vornherein bereit ist, solche gewaltsamen Veränderungen für verbrecherisch und bösartig zu halten, als politisch tot gelten kann, könnte schon die Tatsache, daß man von einem revolutionären Theoretiker wie Gorz lernt, als triumphierender Beweis für demokratische Unzuverlässigkeit gewertet werden. Nichts ist törichter als eine solche Haltung. Wer sich in Deutschland mit dickem Hintern in den Sessel setzt und chinesische Bauern kritisiert, weil sie die Kuomintang mit revolutionärer Gewalt davongejagt haben, oder wer — rückwärts in die Geschichte gewendet — die Politiker in gute oder schlechte einteilt, je nachdem, ob sie für einen gradualistischen oder einen revolutionären Weg waren, ist ein Schwachkopf. Ich bin weit davon entfernt, beispielsweise die 1100 bis 1400 Menschen, die in dem September-Massaker von 1792 ums Leben kamen, oder die Opfer der blutig unterdrückten Gegenrevolution in der Vende zu verschweigen oder zu entschuldigen; aber es wäre eben auch nicht gerecht, wenn man die Opfer vergessen wollte, die der Faschismus in Japan und Deutschland gekostet hat. Daß dieser Faschismus aber eine wesentliche Wurzel in der Tatsache hat, daß in diesen beiden Ländern aufgrund einer Koalition zwischen den alten agrarischen Eliten und den Handels-und Industriekreisen eine „Modernisierung von oben" also eine Modernisierung ohne gewaltsame historische Umwälzungen und unter Beibehaltung möglichst vieler der alten sozialen Strukturen versucht wurde, kann heute nicht mehr bestritten werden Selbstverständlich: dies ist kein Plädoyer für die Gewalt, schon gar nicht für die Anwendung von Gewalt in entwickelten Industriegesellschaften. Es ist auch nicht der Versuch, vergessen zu machen, welch beispiellos scheuß-
liche Diktatur das Ergebnis der russischen Revolution unter dem Stalinismus war und zum Teil auch heute ist. Es soll nur soviel sagen:
Mandarf über den Folgen der revolutionären Gewalt auch nicht die Folgen jener Gewalt vergessen, die in der normalen Gesellschaft — jedenfalls in vielen Gesellschaften — tagtäglich geübt wurde und geübt wird.
Anders ausgedrückt: Man kann, spricht man von sozialem Wandel, nicht „grundsätzlich" für oder gegen Gewalt sein. Man muß jeweils abwägen, und meist ist die Abwägung schwierig. Eins darf man allerdings nicht: man darf sich nicht über die Folgen bestimmter strategischer Maßnahmen hinwegmogeln. Genau werfe ich aber denjenigen vor, die dieses heute von systemüberwindenden Reformen sprechen: Sie denken nicht — jedenfalls nicht ausreichend — über die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nach, noch schlimmer: Sie unterschätzen den Gegner. Für „Strategen" ist dies ein ziemlich katastrophaler Fehler.
Falsch eingeschätzt wird dabei auch die Massenmobilisierung als psychologischer Prozeß.
Die Serie punktueller Aktionen muß auf einen Höhepunkt zutreiben; sie muß gleichzeitig in einem übersehbaren Zeitraum vor sich gehen. Sicher wird man nicht sagen können, wie viele Monate oder Jahre ein solcher Prozeß umfassen kann. Genauso sicher aber ist es unrealistisch, zu glauben, man könne sozusagen das Stüde Erkenntnis, das die einzelne Aktion mit Mietern, Studenten oder Arbeitern im Betrieb erreichen mag, über Jahre hin wachhal-ten. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Erregung, die Empörung verraucht, wenn der aktuelle Streitfall beigelegt ist; sie verdichtet sich entweder zu Resignation oder einer bescheidenen Art neuer Zufriedenheit. Gorz sieht das mit aller Klarheit:
Um es noch einmal zu sagen: eine sozialistische Strategie der Reformen muß sich vornehnen, das Gleichgewicht de.. Systems zu bre®en und diesen Bruch auszunutzen, um den revolutionären Prozeß des Übergangs zum Sozialismus auszulösen, was „wie wir gesehen sich haebießn')
ist," nur machen läßt, wenn die Sache enn die Sache heiß ist — gerade diese zeite Dimension (und die Zeit spielt in jeder Strategie eine entscheidende Rolle: es ist wichtig zu wissen, ob man im Morgengrauen oder in der Abenddämmerung angreift) wird mißachtet. Gorz erteilt seinen Jüngern — übrigens in diesem Punkt auch Lelio Basso — eine Lektion, die man sich klarer nicht wünschen kann:
„Eine Strategie dieses Typs ist einzig in Zeiten der Bewegung, auf der Basis von offenen Konflikten und breit angelegten gesellschaftlich-politischen Aktionen praktikabel. Man darf sie nicht als eine aufreibende Schlacht in einem Stellungskrieg begreifen. Denn wenn die gesellschaftliche Front sich stabilisiert und ein Gleichgewicht der Kräfte sich wieder herstellt, dann ist der Kampf um einen Einbruch ins System — den eine sozialistische Strategie vorzubereiten hat — schon kaum noch zu leisten. Gewiß, das neue Kräftegleichgewicht kann für die Arbeiterklasse vorteilhafter sein als das alte, und die zur Logik des Kapitalismus in Widerspruch stehenden und sich antagonistisch zu ihr verhaltenden Elemente können sich deutlicher herausgebildet haben. Aber wenn der Kampf um die Reformen erst einmal zu dem Punkt gelangt ist, wo seine Dynamik praktisch blockiert ist, dann haben diese Widersprüche ihre Gewalt verloren, und der Kampf verkümmert zu armseligen, mal von dieser, mal von jener Seite geführten Attacken, die gegnerischen Positionen zu erschüttern. Aus diesen, ihrem Wesen nach taktischen Geplänkeln kann keine Strategie mehr werden. Denn so labil das Kräftegleichgewicht auch sein mag: es findet seine wesentliche Stütze darin, daß es unmöglich ist — was hier und dort auch eingesehen wird —, eine Entscheidung zu erzwingen. Es ist daher unrealistisch, diesen abgestumpften, nur mehr taktischen Konflikten die Bedeutung zu verleihen, daß sie auf lange Sicht zu einem „revolutionären Prozeß", der in einem oder mehreren Jahrzehnten heranreifen würde, führen könnte ... Virtuell antikapitalistische Institutionen oder Eroberungen werden auf lange Sicht geschwächt, entstellt, wieder aufgesogen und ihres Inhalts ganz oder teilweise entleert, wenn der durch sie geschaffene Ungleichgewichtszustand nicht gleich bei seinem Eintreten durch neue Offensiven ausgenutzt wird. Unter dem Zwang, mit den Institutionen auskommen zu müssen, die anfangs noch seiner Logik direkt entgegenstanden oder seinen Herrschaftsbereich beschränkten, lernt der Kapitalismus, sie sich unterzuordnen, ohne sie frontal anzugreifen ..."
Und an anderer Stelle:
„Es ist . . . unmöglich, die Periode des Über-gangs oder die Phase, die den Übergang vor-bereitet, als eine lange, nach Jahrzehnten zu bemessende Zeitspanne zu fassen."
Das ist aber noch nicht alles. Die Strategie der punktuellen Angriffe, wenn sie außerhalb einer heißen Phase der Klassenauseinandersetzung erprobt wird, wenn man sie nicht als Vorbereitung einer großen Aktion mit der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt konzipiert, führt nicht nur zu nur partiellen Siegen, sie führt sogar zu Niederlagen und Schwächungen derer, die man eigentlich stärken will. Solche Aktionen führen zur Enttäuschung der Beteiligten, die in den Kampf gerissen wurden, zu einer leeren, ungerichteten Unzufriedenheit, deren Entladung nicht kontrolliert werden kann. Auf der Basis der Erfahrungen des französischen Mai 1968 formuliert Gorz:
„Das Gleichgewicht des Systems zerstören, ohne seine Krise zum Vorteil der Arbeiterklasse auszunutzen und zu lösen zu wissen, heißt, ihre Siege sich in Niederlagen verkehren zu lassen."
Hierbei könnte man auch denken: es sei nur das „Zerstören" gemeint. Also eben eine Situation wie der Mai 1968 in Frankreich. Schon beim nächsten Satz weiß man aber, daß Gorz dasselbe auch auf weniger dramatische Kampfsituationen bezieht:
„Ebenso bedeutet die momentane Erschütterung der Macht der Bourgeoisie schließlich ihre Verstärkung, wenn man ihr nicht Machtpositionen zu entreißen versteht, von denen aus der Kampf weitergeführt und die Macht des bürgerlichen Staates in eine Krise gestürzt werden kann, und so zuläßt, daß die Bourgeoisie die Breschen, die in ihr Machtgefüge geschlagen wurden, auf ihre Weise wieder schließt."
Selbstverständlich kann dies nicht heißen, daß jede „Aktion an der Basis", jede Aktion, in der unmittelbare Interessen von Unterprivilegierten vertreten werden, strategisch sinnlos sei. Viele dieser Aktionen gewinnen ihren Sinn einfach durch das Maß an Hilfe, das sie den Betroffenen gewähren. Auch sind im Rahmen eines taktischen Konzepts — beispielsweise im Rahmen einer Wahlauseinandersetzung, bei der Ablösung eines reaktionären Funktionsträgers in einem Betrieb oder einer anderen sozialen Institution — punktuelle Aktionen, die aufeinander aufbauen und zu einem benennbaren Ende führen, möglicherweise durchaus sinnvoll. Aber man wird jede Rote-Punkt-Aktion, jeden Sitzstreik auf Stra-ßenbahnschienen, jeden Mieter-Sternmarsch genau darauf prüfen müssen, für wen er welchen Zweck erfüllt und im Rahmen welchen Konzeptes er sinnvoll ist. Der Glaube jedenfalls, daß alle möglichen derartigen Aktionen wenn man sie nur in ausreichender Zahl durchführt und aufeinander häuft, zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt irgendwann die Ablösung des Kapitalismus bedeuteten, ist mit Sicherheit falsch. Eine realistische Analyse der gegebenen sozialen Situation wird zur Basis einer Strategie werden müssen, die heute mehr aus der Lektüre klassischer und neoklassischer Texte abgeleitet wurde. Norbert Gansel hat recht:
„Die nächste Aufgabe wäre eine gründliche, empirisch bearbeitete Analyse der gesellschaftlichen und . staatspolitischen'Entwicklung der Bundesrepublik unter Berücksichtigung aller internationalen Verpflichtungen und Abhängigkeiten, die Überprüfung schon vorhandener und der Entwurf neuer, realisierbarer Reformpläne und damit die notwendige Entscheidung über die entsprechende Strategie." 2. Das Element „demokratisch" beim „demokratischen Sozialismus"
Ich gehe jetzt davon aus, daß ein langwieriger und komplizierter Kampf gegen die herrschenden Oberschichten diese so sehr geschwächt hat, daß die Macht von der Arbeiterbewegung und ihren Verbündeten übernommen werden kann. Da meine Phantasie nun ganz und gar nicht ausreicht, mir dieses für eine so stabile Gesellschaft wie die Bundesrepublik (zumindest in einem absehbarer? Zeitraum) vorzustellen, schlage ich vor, als Modell für eine derartige Überlegung Italien zu wählen. Natürlich bin ich weit davon entfernt, hier leichtfertig irgendwelche Prognosen über die soziale Entwicklung eines Nachbarlandes zu produzieren; aber eins wird man sagen können: Wenn schon eins der westeuropäischen Länder für einen sozialen Wandel in Richtung Sozialismus in Frage käme, dann vermutlich Italien, das aufgrund des Nord-Süd-Gegensatzes und gemessen am Entwicklungsstand seiner Produktiv-kräfte und seiner Koalitionskonstellation dafür am ehesten in Frage kommt. Ob man sich nun eine große Koalition zwischen bestimmten Kräften aus der Democratia Christiana mit den Kommunisten vorstellt (was wohl am wahrscheinlichsten wäre) oder irgendeine andere Form der Volksfront-Koalition, ist gleichgül tig: In jedem Fall gehe ich für unsere Diskussion einmal davon aus, daß die Vertreter der Strategie der systemüberwindenden Reformen auch in einer solchen Situation zu ihrem Wort stünden und die Etablierung eines Systems nach dem Muster des autoritären Sozialismus ablehnten. Denn dies ist die erklärte Politik der westeuropäischen Linken, die heute system-überwindende Reformen verlangen. Die deutschen Jungsozialisten vertreten dies ebenso wie Gorz, Basso, Angehörige der außerparlamentarischen Oppositionen anderer westlicher Länder oder kritische Intellektuelle der osteuropäischen Staaten. Ich halte es für richtig, diese Versicherungen ernst zu nehmen. Im übrigen wissen wir, daß — um beim Beispiel Italiens zu bleiben, — eine solche Politik auch bis weit in die Reihen der kommunistischen Partei Italens vertreten wird.
Der Wille zu einem demokratischen Sozialismus ist also sicherlich vorhanden; und dieses würde heißen: die Erhaltung wesentlicher Schlüsselelemente der liberalen Gesellschaftsordnung: Redefreiheit, das Recht, sich friedlich zu versammeln, Wahlrecht, ein objektives Rechtssystem etc.
Meine Behauptung lautet nun folgendermaßen: Wenn man den Begriff Sozialismus nicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wenn man also nicht den Versuch macht, einen parlamentarischen Rechts-und Verfassungsstaat mit weitgehender sozialer Sicherung (wie heute beispielsweise in Schweden) als Sozialismus zu bezeichnen, sondern wenn man in der Tat mit Sozialismus die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und des kapitalistischen Staate r meint, wird aufgrund der scharfen Gegenreaktion der Ober-schichten, die aus den ökonomischen Machtpositionen verdrängt werden sollen, eine Verbindung der Elemente „demokratisch" und «sozialistisch" nicht möglich sein.
Denn was würde geschehen, wenn in einer der zahllosen Krisen eines unstabilen politischen Systems — bleiben wir einmal beim Beispiel Italien — eine entschlossene Volksfront-Koalition für jede Branche zulässige Gewinnspannen festsetzen, die Investitionen kontrollieren oder die Werbung verbieten würde? Gorz sieht die Wirkung solcher Maßnahmen mit vollständiger Klarheit; seine deutschen Schüler sehen sie — fürchte ich — leider nicht immer: „Aber die Durchführung solcher Direktiven der öffentlichen Hand würde recht bald mit der Logik des Kapitalismus in Kollision geraten und dessen Gefüge zerstören. Sie wäre in der Tat gleichbedeutend mit der Aufschiebung der unternehmerischen Souveränität, der faktischen Sozialisierung der unternehmerischen Tätigkeit und der indirekten öffentlichen Leitung der Firmen. Sie würde die Beschlagnahme (oder die sehr starke Übersteuerung) der hohen Gewinne bis zu ihrem durchschnittlichen Niveau als Sanktion nicht ausschließen. Schließlich würden dadurch den privaten Gesellschaften alle Rationalisierungs-oder Innovationsmotivationen, die ihre Profite über das für normal gehaltene Maß hinaussteigerten, genommen und damit eine der Haupttriebfedern für den technischen Fortschritt zerstört werden. Kurz, wenn der Staat aus den Unternehmern Beamte macht, ihnen eine schwerfällige Bürokratie aufbürdet und an das Gewinn-motiv rührt, greift er in das Getriebe des Systems selbst ein und führt über kurz oder lang seine Lähmung oder Verkalkung herbei."
Gorz zieht aus dieser Diagnose die Konsequenz, daß man in die Mechanismen des kapitalistischen Systems nur eingreifen könne, wenn man entschlossen sei, es abzuschaffen. Und er macht sich keine Illusionen darüber, wie die Oberschichten darauf reagieren würden: Er prophezeit für diesen Fall „eine brutale Reaktion des Systems, ein großes Durcheinander in der Wirtschaft und, mit aller Wahrscheinlichkeit, wenigstens für eine kurze Zeit eine Verschlechterung der materiellen Lage der Massen"
Ich würde das mit der „kurzen Zeit" nicht ganz für realistisch halten, wenn nicht in den meisten anderen Nachbarstaaten das gleiche geschähe; wenn eine derartige abrupte Veränderung nur in einem Land, sozusagen auf einer Insel in einem kapitalistischen Ozean, statt-fände, würde meines Erachtens die Wirtschaftsblockade für lange Zeit fortgeführt werden. Aber darauf kommt es im einzelnen gar nicht an. Entscheidend ist dies: Ich vermute, daß auch die beste Propaganda und die härteste, langfristigste Basisarbeit nicht ausreichen würde, um der Masse der Arbeitnehmer eine massive Verschlechterung der materiellen Lage auch nur über ein Jahr lang zu erklären. Anders ausgedrückt: Ich glaube, daß die Einleitung des Sozialismus mit all ihren notwendigen strukturellen Maßnahmen von der Landwirtschaft bis zur Großindustrie Rebellionen in allen möglichen Bevölkerungsschichten hervorrufen würde. Wer in einer derartigen Situation das Prinzip allgemeiner Wahlen, die Presseund Meinungsfreiheit, kurz, die vollständige Bewegungsfreiheit aller Gesellschaftsmitglieder (und auch der politischen Gegner) aufrechterhalten will, wird ganz schnell aus der Macht entfernt werden. Mit einem Satz: Ich meine, daß die Unterdrük-kungsmaßnahmen in den sozialistischen Ländern einschließlich der DDR — vielleicht nicht in ihrem Umfang, jedenfalls aber in ihrer Grundlage — nicht auf die persönlichen Schwächen oder verbrecherischen Anlagen ihrer Führer von Stalin bis Ulbricht, sondern auf strukturelle Ursachen zurückzuführen sind.
A’ Ire Gorz s eht es genauso:
„Wir dürfen uns meines Erachtens keine Illusionen machen über die Möglichkeit, die Souveränität und die Demokratie der Produzenten, die sich in der Phase der Errichtung der Grundlagen des Sozialismus zu demokratischen Gemeinschaften gruppiert haben, zu erhalten. Wir müssen im Gegenteil die dialektische Notwendigkeit einer teilweisen staatlichen Zentralisierung anerkennen . . ."
Nun muß man bei derartigen Äußerungen berücksichtigen, daß für einen Mann mit den theoretischen Positionen von Gorz die Revolution geradezu metaphysische Quellen hat. Man müßte genau untersuchen, wo seine Analyse des revolutionären Prozesses wirklichkeitsfern und romantisch ist'
„Im Augenblick der revolutionären Vereinigung zur Eroberung der Macht fallen individuelle und kollektive Freiheit zusammen, und es besteht eine reale Souveränität des Individuums, insofern dieses f ü r und durch die Gruppe in Ansehung eines gemeinsamen Zieles, das mit seinem individuellen Ziel übereinstimmt, existiert."
Für denjenigen, für den die Revolution ein Akt der Befreiung — auch ein psychologischer Akt der Befreiung — ist, ist natürlich die darauffolgende Konstruktionsperiode — die Zeit, in der eine neue Gesellschaftsordnung aufgebaut und gefestigt wird — psychologisch und gesellschaftlich besonders enttäuschend, Aber trotzdem (und auch wenn man die romantischen Aspekte der Gorzschen Revolutionstheorie nicht teilt) wird man ernst nehmen müssen, was Gorz sieht:
„Deshalb ist die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus notwendig begleitet von einem Niedergang der direkten Demokratie und der Macht des Volkes, wie sie während der revolutionären Eroberung der Macht bestanden haben."
Denn unabhängig vom revolutionären Akt und seiner Beurteilung weiß dieser in Deutschland immer nur halb zitierte Autor:
„Ich halte daran fest, daß eine autoritäre Staatslenkung und Bürokratie während der Periode des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in allgemeinen Mangelsituationen nicht ganz zu vermeiden sind. Nur wenn gewisse historische Bedingungen erfüllt sind, ist es möglich, die Tendenzen zum Bürokratismus und zur Zentralisation zu mildern und zu korrigieren."
Man muß sich klarmachen: Wenn man eine herrschende Struktur mit zumeist doch noch sehr vitalen Oberschichten in Systemen mit nicht unbeachtlichem Wachstum und der Hoffnung auf eine Vergrößerung des Wachstums stürzen will, wird es harte Gegenwehr geben. Die Schichten, die abgelöst werden sollen, werden imstande sein, Mangel zu produzieren. Und in Mangelsituationen werden die „Arbeitermassen" nicht bei der Stange bleiben. Wer das „System" also überwinden oder sprengen will, darf nicht hoffen, daß er dabei sanft, demokratisch und parlamentarisch bleiben kann. Der Rasen wird nicht geschont werden können, die Systemveränderer werden ihn betreten müssen — und wahrscheinlich mit schweren Fahrzeugen. Flurschaden wird nicht zu vermeiden sein 3.
Das Koalitionsproblem in soziologischer Perspektive
Die Strategie der systemüberwindenden Reform ist — das sollten wir voraussetzen — das Ergebnis einer Analyse. Ich behaupte, daß diese Analyse allzu soziologistisch ist und historisch unterbelichtet bleibt. Das ist die eine Seite der Medaille: Die Generalisierbarkeit von historisch vorfindbaren Aktionsmodellen wird übertrieben; man geht allzu unkritisch davon aus, daß sich historische Konstellationen wie physikalische Versuchsanordnungen wiederholen. Die andere Seite dieser Medaille: Die Analyse ist viel zu wenig konkret, berücksichtigt viel zu wenig empirische Fakten, ist ein wenig mechanisch aus dem „Büchl" übernommen. Ich benutze zur Untermauerung dieser These vor allem das Quellen-Material, das Barrington Moore in seinem schon zitierten Buch in über zehnjähriger Forschungsarbeit zusammengetragen hat. Bei ihm steht auch die folgende Maxime, die ich für richtig halte:
„Historische Generalisierungen sind keine un-abhänderlichen Gesetze wie die der Physik: Der Lauf der Geschichte reflektiert in der Hauptsache die Bemühung, den Bindungen der bisherigen Bedingungen zu entrinnen, die sich in solchen Generalisierungen ausdrücken."
Das Unhistorische und Unkonkrete an der An-alyse, die hier zur Debatte steht, zeigt sich meines Erachtens ganz besonders gut am sogenannten Koalitionsproblem. Dies ist die Frage: Mit Hilfe welcher Gruppen und Schichten wird in einer bestimmten historischen Situation eigentlich regiert? Welche Gruppen und sind zu gewinnen, um gegen die Schichten alte Ordnung zu revoltieren? Für welche Gruppen und Schichten würde eine solche Revolte welche angebbaren Folgen (oder besser: Erfolge) mit sich bringen? All diese Fragen sind auseinanderzuhalten. Nur ihre exakte Beantwortung ermöglicht planvolles soziales Handeln. Alle diese Fragen scheinen mir von den Befürwortern der systemüberwindenden Reformen nicht beantwortet.
Idi glaube auch, daß man die Aspekte für derartige Fragen nur durch eine sorgfältige, vergleichende Analyse der verschiedenen sozialen Umwälzungen in den letzten 500 Jahren in verschiedenen Kulturkreisen bekommt. Beispiel: In Deutschland und Japan haben, wie schon erwähnt, agrarische Oberschichten eine Koalition mit Handelsund Industriekreisen gefunden und haben es geschafft, „die Industriearbeiter vermittels einer Mischung von Repression und väterlicher Fürsorge niederzuhalten"
In den Vereinigten Staaten ist diese Koalition — die verheerende Folgen für die Demokratisierung der Gesellschaft hatte — nicht zu-Stande gekommen; unter anderem, weil die Industriekreise des Nord-Ostens sich mit den Farmern des Westens gegen die Sklavenwirtschaft des Südens verbunden haben, d. h. also, weil die Koalitionspartner der Industrie unabhängige Farmer, selbständige Familienbetriebe waren, die die Konkurrenz des Südens fürchteten und dadurch den Nord-Süd-Gegensatz züchteten. Selbstverständlich gibt es noch eine Reihe weiterer derartiger Gründe, die wir hier nicht zu erörtern brauchen. Wichtig ist nur eins — und Moore weiß das:
„Es gibt keinen abstrakten allgemeinen Grund, warum der Norden und der Süden sich hätten bekämpfen müssen. Mit anderen Worten, es mußten besondere historische Bedingungen gegeben sein, um das Einvernehmen zwischen einer auf unfreier Arbeit beruhenden Agrargesellschaft und einem aufsteigenden Kapitalismus zu verhindern."
Die jeweiligen besonderen historischen Bedingungen scheinen in der der Systemüberwindung zugrunde liegenden Analyse nicht berücksichtigt. Ich glaube, daß man, — will man wirkliche politische Erfolge erzielen — noch viel mehr und noch viel genauere Fragen stellen muß, als heute überhaupt bewußt ge-worden sind. Wo ist — wenn man schon auf Kraftproben zusteuert — ein radikales Potential? Wem hilft welche Maßnahme? In welchem Zeitpunkt ist was möglich? Um an einem überspitzten Beispiel deutlich zu machen, was gemeint ist: Zum Zustandekommen der französischen Revolution war neben hundert sozialen, ökonomischen und sicher auch kulturellen Gründen halt auch noch eine Naturkatastrophe notwendig: der Ernteertrag im Herbst des Jahres 1788 war sehr gering, der anschließende Winter ungewöhnlich streng, der Frühling brachte heftige Stürme und Hochwasser
Ich wiederhole nochmals: Es handelt sich hier um ein überspitztes Beispiel. Niemand verlangt von den Strategen sozialer Wandlungen, daß sie auch noch das Hochwasser programmieren sollen. Niemand wird auch glauben, daß es in der französischen Gesellschaft keine Revolution gegeben hätte, wenn 1788 die Ernte besser gewesen wäre. Nur: Eine epochale soziale Veränderung läuft nicht ab wie die andere, und schematische Übertragungen von politischen Versuchsanordnungen aus einem Land ins andere, aus einer Epoche in die andere, sind zum Scheitern verurteilt. Um zu exemplifizieren, was ich meine, will ich gegen die zur Diskussion stehende Analyse vier Einwände formulieren:
a) Das strategische Konzept berücksichtigt überhaupt nicht die „alten" Klassen, die im Begriff sind, von der historischen Bühne abzutreten. Gerade sie aber sind es, die bei jenen „Kraftproben", von denen wir sprechen, immer eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben. Mao hat zwischen 1921 und 1926 mehrfach — mit verheerendem Verlust an Menschen — den Versuch gemacht, der klassischen marxistischen Analyse folgend, in den Städten mit dem städtischen Proletariat gegen die Kuomintang anzutreten. Erst um 1926 herum bemerkte er, daß dies nicht erfolgversprechend war und änderte seine Strategie; er konzentrierte sich auf die Bauern. Seine Revolution war dann — wie ganz ähnlich auch die Lenins in Rußland -— eine Bauernrevolution. Moore folgerte daraus:
„Ein großer Teil der Konfusion und der Abneigung gegen die Verwendung umfassenderer Kategorien rührt daher, daß diejenigen, die die Massenunterstützung für eine Revolution liefern, diejenigen, die sie führen, und jene, die letzten Endes von ihr profitieren, ganz verschiedene Gruppen von Menschen sind . . . " „Die Bauernrevolutionen des Zwanzigsten Jahrhunderts fanden ihre Massenunterstützung bei den Bauern, die dann die Hauptleidtragenden der von kommunistischen Regierungen durchgeführten Modernisierung waren."
Die Ausgangssituationen in der Bundesrepublik oder irgendeines anderen westeuropäischen Landes heute ist von der Situation Chinas im Jahre 1921 oder der Situation Rußlands im Jahre 1917 selbstverständlich vollständig verschieden; aber auch heute gibt es depravierte, unzufriedene, an den Rand gedrängte soziale Schichten wie den alten Mittelstand, die Bauern, einen bestimmten Teil mittlerer Industrie in bestimmten Branchen usw. Welche Rolle sollen und können sie spielen? Wie muß man sie beeinflussen, wie sind sie in die Strategie eingebaut? Darüber hört man meistens kein Wort: Die Rede ist immer nur allgemein von „Lohnabhängigen". Das reicht nicht aus. b) Wer verändern will, darf sich in der Auseinandersetzung nicht nur um seine Verbündeten kümmern; er muß auch den Gegner analysieren. Eine solche Analyse fehlt vollständig: Moore sagt:
„Bevor ein revolutionärer Durchbruch möglich wird, müssen die Oberklassen ein beträchtliches Maß an Blindheit an den Tag legen, die in der Hauptsache das Produkt besonderer historischer Umstände ist und von der es immer eine Reihe bedeutsamer individueller Ausnahmen gab."
Schon wieder die „besonderen historischen Umstände". Aber sie sind eben zu berücksich-tigen: Wie steht es mit den Oberklassen in der Bundesrepublik? Haben sie ein „beträchtliches Maß an Blindheit" an den Tag gelegt? Wie sehen sie eigentlich aus? All diese Fragen sind ungestellt. c) Auch unterdrückte Klassen können uneins sein; ein klassisches Beispiel sind etwa die japanischen Bauern in der späteren Phase der Meiji-Ära, etwa ab 1887. Genauso ist es natürlich mit den „Lohnabhängigen" in der Bundesrepublik. Dies wird zwar in den Analysen etwa der Jungsozialisten immer wieder betont; es ist mehrfach von „Fraktionen" die Rede. Aber dies sind meist Feststellungen, die zwar zeigen, daß das Problem erkannt ist, die aber nicht zu Konsequenzen führen. Will man mit Hilfe der an den Rand gedrängten Zwischenschichten, der ungelernten Arbeiter, der Arbeiter in absinkenden Industriezweigen und zusammen mit den unzufriedenen jungen Leuten aus der Oberschicht und der oberen Mittel-schicht zu etwas kommen? Wie will man die heute bestehende Koalition der aufstrebenden Mittelschicht, der Facharbeiter und der modernistischen Fraktion der Großindustrie — eine Koalition, mit der viele sozialdemokratische Parteien arbeiten — aufbrechen oder verändern? Was wird mit der technischen Intelligenz, was mit den verschiedenen Gruppierungen des öffentlichen Dienstes? Sicher nützen da Schlachtordnungen, die nur auf dem Papier stehen, wenig; sicher läßt sich nicht alles programmieren. Aber: exakte Fragen wären auch hier nützlich; das romantische Gerede von der „Arbeiterbewegung" und den „Lohnabhängigen" allein hilft gar nichts.
d) Neben den ganz wesentlichen ökonomischen werden die nichtökonomischen oder nur vermittelt ökonomisch beeinflußten Konfliktursachen zu wenig berücksichtigt. Die Analysen etwa der japanischen Entwicklung durch Barrington Moore oder der chinesischen durch Wolfgang Bauer zeigen, welch wichtige Wirkung auch nicht-ökonomische Fakten für soziale Wandlungen gespielt haben. Unser ganzes Denken wäre ohne Marx völlig anders verlaufen; aber auch ohne Max Weber. Auch diese Erkenntnis wäre bei der Entwicklung strategischer Konzepte zu berücksichtigen.
Vor allem aber eins: solche Analysen — und die Fragen unter a bis d sind selbstverständlich keineswegs vollständig — müßten angestellt werden, bevor man das Ergebnis mit lautem Hallo in die Welt hinausposaunt. Wer weiß, was solche Analysen ergeben würden! Aber was sie auch ergeben: Wer, bevor er sich zum Handeln fit gemacht hat, allzu laute Drohungen gegen einen mächtigen Gegner ausstößt, könnte eine Koalition der Oberklassen herbeiführen, die ganz und gar nicht mehr aufzubrechen ist. Historische Beispiele gibt es dafür mehr als genug. 4. Das innenpolitische Bündnisproblem Die Idee, eine Strategie systemverändernder Reformen mit Hilfe der sozialdemokratischen Parteien durchzuführen, wie sie heute in West-europa existieren, scheint mir nicht erfolgversprechend. Nun wird man darauf sofort antworten: „Wir wollen sie ja gerade verändern". Ich verstehe diese Intention sehr wohl; ich glaube aber trotzdem nicht, daß sie auf einer realistischen Analyse beruht.
Ich räume ein, daß alle Erwägungen dieses Problems heute nur auf schwankendem Grund vorgenommen werden können: Parteiensoziologische Untersuchungen auf empirischer Basis gibt es in größerem Umfang nicht; vor allem liegen keine zureichenden internationalen Vergleiche vor. Ich beschränke mich in meinen Bemerkungen also ganz auf die deutsche Sozialdemokratie und formuliere Erfahrungen, die ich durch meine Arbeit in dieser Partei gewonnen habe. Daß eine solche unsystematische Art der teilnehmenden Beobachtung wissenschaftliche Analysen nicht ersetzen kann, ist selbstverständlich.
Meine These läuft darauf hinaus, daß, mit einer Partei wie der SPD, die heute eher eine Mittelschicht-als eine Arbeiterpartei ist, eine Strategie systemüberwindender Reformen — wenn man nicht nur davon redet, sondern auch konsequent nach diesem strategischen Plan handelt — nicht durchführbar ist. Blanke Daten, die die SPD-Mitgliedschaft nach Schichtzugehörigkeit, Beruf oder Einkommen gliedern, reichen zu strategischen Folgerungen selbstverständlich ganz und gar nicht aus Aber ich würde die Hypothese formulieren, daß sowohl die Mehrheit der Mitglieder als auch die Mehrheit der aktiven Funktionäre entweder aus der oberen Unterschicht oder aber der unteren oder mittleren Mittelschicht stammen und daß sehr viele von ihnen in den letzten 20 Jahren (in der Selbstbeurteilung) in der sozialen Hierarchie einen Schritt nach oben gemacht haben. Diese leistungsorientierte, aufstiegsbewußte und — andererseits — sicherheitsabhängige Schicht dürfte auch dann die Mehrheit behalten, wenn der Trend anhält, den wir heute konstatieren: Der Trend nämlich, daß viele junge Leute aus der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht zur SPD stoßen, die mit antiindividualistischen, konsumfeindlichen und sozialistischen Idealen ge-gen die Normen ihrer Erziehung protestieren
Wenn diese Grundhypothese richtig ist, bahnt sich in unserer Gesellschaft in der Tat eine Verlagerung der politischen Gegensatzachse an die dann auch in der SPD wirksam werden wird. Kahn glaubt, daß ein Teil der heutigen Linken sich in Fortsetzung eines alten säkularen Trends im Westen in Richtung auf eine sensualistische Kultur mit kosmopolitischen, intellektuellen und relativistischen Zielen zur „humanistischen Linken" formieren wird. Ein anderer Teil werde zur (in der Mehrheit befindlichen, regierenden) „verantwortlichen Mitte" stoßen, während auf der rechten Seite ein konservatives Reservoir in Opposition verbleibe. Ich will die Wertungen, die in Kahns Begriffen enthalten sind, gar nicht übernehmen. Seine Prognose erscheint mir aber wahrscheinlich. Mit einem Wort: Ich glaube nicht, daß ein entscheidender Teil der sozialdemokratischen Partei zu einer konsequenten Politik der „systemverändernden" Reformen gewonnen werden kann. Dies — und das muß einschränkend gesagt werden — heißt selbstverständlich nicht, daß ich es bei der schwächlichen Taktik des reformistischen SPD-Flügels für unmöglich halte, daß der sozialistische Flügel eines Tages die Mehrheit bekommt. Ich glaube nur, daß — selbst wenn dies passierte — der dann übernommene Apparat bald zur leeren Hülse würde — es sei denn, man vergäße seine eigenen Ziele und setzte die jetzige Politik (mit gewissen, aber nicht zu weitgehenden Modifikationen) fort. Eine konsequente Politik der Systemsprengung ist mit der SPD nach Tradition und Zusammensetzung nicht zu machen.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal auf Andre Gorz verweisen, der genau diese Ansicht vertritt:
„Eine solche Strategie ist offenbar im Rahmen von Gipfelbündnissen mit neokapitalistischen Gruppierungen, d. h. mit Sozialdemokraten und Zentristen, nicht zu verwirklichen, weil diese von Anfang an versuchen, die Reform-aktionen auf ein für die Bourgeoisie annehmbares Maß zu beschränken, und von ihren Partnern verlangen, diese Grenze bei ihren Programmentwürfen streng einzuhalten."
Was andererseits der Sozialdemokratie passierte, wenn sie sich auf ein Bündnis mit Volksfrontcharakter, das ja wohl auch die Jungsozialisten mehrheitlich ablehnen, einließe, sagt Gorz ebenso deutlich. Im Rückblick auf den Mai 1968 und eine mögliche linke Koalition unter Mitterand oder Mendes-France meint er:
„Für eine revolutionäre Partei, die imstande wäre, eine Übergangsstrategie zu entwickeln, hätte die Formel für eine provisorische Regierung der Einheit der Linken . . . nichts Erschrek-kendes gehabt. Damit hätte sich die Gelegenheit geboten — und wäre sie auch noch so zweifelhafter Art gewesen — dem Sieg des Volkes über das Gaullistische Regime einen Inhalt zu geben und den Kampf — der zu diesem Zeitpunkt stockte — in eine neue Phase zu führen. Die Frage eines „gemeinsamen Programms" war nicht von so entscheidender Bedeutung: Denn welches Programm die Führungsstäbe auch in aller Eile aufgestellt hätten, es wäre sehr schnell von der Radikalität und der Stärke der weitergehenden Massen überholt worden. Das Machtverhältnis zählte mehr als das geschriebene Programm."
Und dann folgt eine klassische Darstellung der Doppelstrategie, wie Gorz sie versteht.
„Im übrigen hätte eine revolutionäre Partei nichts daran gehindert, sich dafür einzusetzen, daß das von den Führungsstäben entworfene Programm von der Basis über den Haufen geworfen worden wäre. Es hätte genügt, daß sie „auf zwei Hochzeiten getanzt", d. h. eine Doppelstrategie verfolgt hätte: zum einen die politische und programmatische Vermittlungsarbeit bei den reformistischen, von der Basis getrennten Führern, die an der Spitze der provisorischen Regierung gestanden hätten; und zum anderen bei den Initiativgruppen der Bewegung — den Aktions-, Streik-und Selbstverteidigungskomitees, den Studenten-, Lehrer-, Mediziner-, Architekten-, Journalisten-komitees usw., denen sie mit all ihren organisatorischen Mitteln hätte helfen können, ihre eigenen Reformpläne auszuarbeiten, zu koordinieren und sie ohne Zögern durchzusetzen, wo immer es möglich gewesen wäre, und zwar auf dem Wege einer „Machtergreifung" auf lokaler oder berufsspezifischer Ebene . . .
Es ist an dieser Stelle unnötig, die Erörterung fortzusetzen. Angesichts der gegebenen sozialen Konstellationen in der Bundesrepublik wird die Sozialdemokratie sich fragen müssen, ob sie — wenn sie eine Modernisierung bei allmählichem sozialem Wandel durchführen will — nicht eher als auf eine Volksfront auf eine Spaltung der Konservativen hinarbeiten muß. Dies aber ist selbstverständlich schon ein reformistischer Strategieansatz. 5. Das außenpolitische Bündnisproblem Die folgende These richtet sich — ich habe darauf schon hingewiesen — nun nicht mehr nur gegen die Adaption der Theorien von Andre Gorz in Deutschland und in der deutschen Sozialdemokratie, sondern auch gegen Gorz selbst. Ich glaube nämlich, daß die Strategie der systemverändernden Reform außenpolitisch völlig unreflektiert ist. Eine Außenpolitik ohne gesellschaftspolitische Kategorien ist hilfslos; aber eine Gesellschaftspolitik ohne Abschirmung durch außenpolitische Überlegungen geht ins Leere.
Weder Gorz noch irgendeiner seiner Anhänger sehnt sich nach dem autoritären Sozialismus der Ostblockländer. Gorz hält vielmehr vor allem unabhängige Gewerkschaften innerhalb des Sozialismus für dringend notwendig. Er will also — wie so viele schon vor ihm — eine Art dritten Weg. Seine Kritik am autoritären Sozialismus ist scharf:
„ ... Die Logik und die Aufgabe der Akkumulation mußten von den Arbeiterführern angenommen werden, und so konnte man sehen, wie diese Führer eine Arbeitsethik wieder-erfanden, die in gewisser Hinsicht der Ethik der puritanischen Bourgeoisie im heroischen Zeitalter des Kapitalismus ähnelte, d. h. eine Ethik des Verzichtes, der Genügsamkeit, der Strenge, der Gewinnsucht in der Arbeit, der Selbstdisziplin sowie des moralischen Rigorismus, nämlich der Prüderie, der Reinlichkeit und der sexuellen Repression."
Um es ganz kurz zu sagen: Ein derartiger Standpunkt — wer einerseits den Kapitalismus stürzen will, andererseits aber den Sozialismus, der heute als politische Macht existiert, als Verbündeten auch nicht apzeptiert — ist naiv, dilettantisch und unpolitisch. Wenn man einerseits dem „amerikanischen Imperialismus" jede Schlechtigkeit zutraut und überall die CIA am Werke sieht (und sie ist ja auch wahrlich oft am Werke), dann kann man nicht andererseits hoffen, ein ganzes westeuropäisches Industrieland einfach aus der westlichen Allianz herausbrechen zu können, ohne daß die westliche Führungsmacht oder die anderen Verbündeten mit der Wimper zucken. Wenn man aber — und zurZeit muß man das noch —-davon ausgeht, daß die westliche Allianz eine Schwächung genauso wenig hinnehmen wird, wie dies die östliche im Falle der Tsche-
choslowakei tat, dann wird man bei der Planung von „Kraftproben" und bei der dahin führenden systemverändemden Reformen tunlichst auch überlegen müssen, wie man eine derartige Strategie außenpolitisch absichert. Und dann gibt es eben keine Illusion vom dritten Weg mitten in Westeuropa, dann gibt es nur ein Entweder/Oder. Wobei übrigens selbst das „Oder", d. h. also die mögliche Anlehnung an den Ostblock, zweifelhaft ist: Es könnte nämlich leicht sein, daß dieser Ostblock sich gegenüber einer linken Regierung in Italien oder einem anderen westeuropäischen Land nicht viel anders verhält (und verhalten kann) als die westliche Allianz gegenüber der Regierung Dubcek.
Hinsichtlich der inneren Ordnung der soziali-
stischen Länder halte ich es mit Barrington Moore, der dazu gesagt hat: „Es steht außer jedem Zweifel, daß der Anspruch der bestehenden sozielistischen Staaten, eine höhere Form der Freiheit zu verkörpern als der demokratische Kapitalismus des Westens, auf Versprechungen, nicht auf Leistung beruht. Die offenkundige Tatsache, daß die bolschewistische Revolution dem russischen Volk nicht die Befreiung gebracht hat, läßt sich nicht leugnen. Sie hat höchstens die Möglichkeit zu einer Befreiung geschaffen. Das stalinistische Rußland war eine der blutigsten Tyranneien, die die Welt je gesehen hat."
Ungeachtet dessen bin ich der Meinung, daß die Kritik, die aus den sozialistischen Ländern oder von den orthodoxen Kommunisten im Westen an der Strategie der systemüberwindenden Reformen geübt wird, richtig ist. Ich würde die Akzente anders setzen; im Tenor aber hat Josef Schleifstein recht, wenn er sagt, „daß Gorz in seinem Buch (Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, der Verfasser) nicht nur die Forderung nach Strukturreformen von der Politik und der politischen Machtfrage isoliert, sondern daß er auch die Entwicklung der Arbeiterbewegung in den westeuropäischen Ländern völlig von den internationalen Faktoren, von der Entwicklung der Welt, von der Auseinandersetzung der beiden Weltsysteme, von der anti-imperialistischen Befreiungsbewegung loslöst. Aber wie will man Klassenbewußtsein bilden, ohne den Arbeitern die internationalen Zusammenhänge ihres Kampfes zu erläutern, ohne sie für die Unterstützung des vietnamesischen Volkes und der anderen um ihre Befreiung vom Imperia-lismus kämpfenden Völker zu gewinnen, ohne sie zur Solidarität mit den sozialistischen Staaten, mit der Sowjetunion zu erziehen, die noch immer die Hauptlast der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Imperialismus zu tragen hat?"
Norbert Gansel zitiert irgendwo beiläufig die Strategiedefinition von Clausewitz, nach der Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges sei. Der Zweck des Krieges aber sei es, den Gegner zum Erfüllen unseres Willens zu zwingen
In diesem Sinne ist das Konzept der system-überwindenden Reformen eine schlechte Stra-73 tegie: Die Schätzungen über die zur Verfügung stehenden Truppen sind vage, die Kenntnisse über ihre Kampfbereitschaft gering, der Ort der Auseinandersetzung unvorsichtig ausgesucht. Ich glaube nicht, daß das Ausmaß des Leidens, das dieser Krieg bringen würde, ausgelotet ist. Aber ich gestehe zu, daß viele, die Systemüberwindung entrüstet ablehnen, sich auch nicht um das Leiden gekümmert haben, das diese Gesellschaft duldet.
Für das Europa dieses und wohl auch des nächsten Jahrzehnts ist der „dritte Weg" eine Illusion. Der, der ihr erliegt, würde das gleiche Schicksal erleiden wie zwei Politiker mit großen Zielen und hohem politisch-moralischem Verantwortungsgefühl, die im Europa dieses Jahrhunderts schon einmal versucht haben, alle Machtkonstellationen mißachtend, das Unmögliche möglich zu machen: Kurt Eisner und Alexander Dubcek. Ihr strategisches Versagen hat viel zusätzliches Unglück produziert. Wir alle müssen darauf achten, daß wir nicht Ähnliches verschulden.
Dabei ist die Entscheidung nicht leicht. Die kommunistische Repression richtet sich gegen die eigene Bevölkerung. Die Repression des demokratischen Kapitalismus geht nach außen: Nur allzu oft unterstützt sie den bewaffneten Kampf alter und ungerechter Oberschichten in zurückgebliebenen Gebieten Wer diese Alternativen identifiziert, der verliert allzu oft die Strategie und er beschränkt sich auf die Taktik der Objektivität.
Der Politiker müßte trotzdem die Souveränität aufbringen, zu handeln und eine Welt auszuhalten, in der die blutigste Brutalität oft neben der Vernunft liegt, ohne daß das Ganze immer einen erkennbaren Sinn abgibt. Bei einer Strategie, die dieses Handeln leitet, müssen wir berücksichtigen, daß „bei einem Test, der die Bedingungen einer möglichen Einschränkung des Leidens erproben soll ... das Risiko erhöhten Leidens nicht zum Bestandteil der Versuchsanordnung selber gemacht werden darf.
IV. Wichtige Themen reformistischer Politik
Nun wird man bei derartigen, rein strategischen Überlegungen selbstverständlich nicht stehen bleiben können; die Mahnung, daß bestimmte politische Ziele nicht (oder: zur Zeit nicht) durchsetzbar sind, wird einen aktiven, auf Veränderung drängenden Menschen nur wenig beeindrucken, — vor allem, wenn diese Ziele ihm einen „Sinn" für sein soziales Handeln vermittelt haben, nach dem er lange und intensiv gesucht hat und der ihm plötzlich genommen würde, wenn er jene Mahnung beherzigte. Es wird vielmehr nötig sein, die politischen Ziele selbst zu analysieren und zu ihnen „methodisch" d. h. jeden Schritt des Urteilens rechtfertigend, Stellung zu nehmen. Konkret auf die Situation der deutschen Sozialdemokratie bezogen, heißt das, daß sie den in Godesberg 1959 erreichten Scheinfrieden zwisehen den verschiedenen Begründungen ihres „demokratischen Sozialismus" brechen muß. Der Regreß auf irgendwelche allgemeinen, von niemand bestreitbaren Grundwerte reicht nicht aus. Nur wenn der heute pejorativ gebrauchte Begriff des Reformismus positiv umgewertet und mit Hilfe praktischer Vernunft begründet wird, besteht eine Chance, wenigstens einen Teil jener jungen Leute zurückzuholen, die heute auf eine strikt sozialistische Sozialphilosophie und eine Strategie systemüberwindender Reformen schwören und ohne die die SPD in zwanzig Jahren eine Quantite negligeable sein würde. Die als Toleranz kostümierte sozialphilosophische Ignoranz der Partei muß durchbrochen werden, wenn diese Partei überleben will; die beiden Wurzeln dieser Ignoranz — der Feld-, Wald-und Wiesen-Positivis mus oder -Szientismus der späten fünfziger Jahre („darüber kann man nicht reden") und die bauernschlaue Aufsaugungstaktik (darüber soll man nicht reden, um Katholiken, Protestanten, Marxisten, Positivisten etc. in einer „Volkspartei" zu integrieren) müssen freigelegt und sorgfältig entfernt werden. Um dies zu leisten, müßte die Partei für die Diskussion verschiedener Fragen sorgen. Man wird darüber heutzutage nicht mehr, wie in früheren Zeiten, Parteitagsbeschlüsse herbeiführen können; aber schon die konsequente und kompetente Diskussion könnte manche Verkrampfung lösen. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich sieben Fragekomplexe, die mir besonders wichtig zu sein scheinen. Es sind alles „große Themen"; durch je zwei oder drei Seminare oder die Exzerpte von ein paar begabten Assistenten sind sie nicht zu „lösen". Und doch: wenn die Partei sie nicht aufgreift, ist sie auf die Dauer nur noch durch katastrophale Fehler des politischen Gegners zu retten.
Die Themen 1 und 2 sind, im alten Sinn, sozialphilosophische Fragen, die Themen 3 bis 5 betreffen im wesentlichen ökonomische Sachverhalte, und die Themen 6 und 7 beschreiben eigentlich „Aufgaben": historisch-psychologische Ableitungen aus den gewonnenen Erkenntnissen. 1. Gorz und seine Schüler gehen nach wie vor vom Marxschen „Polytechnismus" und der Notwendigkeit der Abschaffung des Staates aus. „Polytechnismus“ meint „die vielfältige Ausbildung der Individuen, die eine unendliche Abwechslung der verschiedensten Produktions^, Verwaltungs-und Führungsaufgaben sowie der freien schöpferischen Tätigkeit gestattet. Diese Auswechselbarkeit der Aufgaben ist die Bedingung für die Abschaffung der Spezialisierungen, der Verstümmelungen der Menschen, der sozialen Schichtung und des Staates und für die Verwirklichung einer auf freiwilliger Basis beruhenden Teilung der gesellschaftlichen Arbeit und für die Selbstverwaltung aller Bereiche der gesellschaftlichen Praxis durch die assoziierten Individuen."
Dieser Anthropologie wird man allerdings nicht dadurch begegnen können, daß man ihr schlicht die Theorie des Besitzindividualismus — auch ein Kulturprodukt, das es vor Hobbes nicht gab — als „wahre Menschennatur" entgegenhält Aber eine ernsthafte Diskussion darüber, wie brauchbar das Ideal des Polytechnismus für durchorganisierte Großstaaten mit großen Bevölkerungsmassen und hohen Zivilisationsansprüchen ist, wäre schon sinnvoll; es könnte sein, daß mancher, der für sy-stemüberwindende Reformen ist, die Konse-
uenzen — oder besser: die Voraussetzungen seiner Strategie — noch gar nicht überdacht hat.
Aber auf dieses Jahrtausendthema will ich gar nicht hinaus. Zuerst einmal sollte man viel bescheidener überprüfen, inwieweit die Strategie der Systemüberwindung auf einer spezifischen Verbindung marxistischer mit existenzialistischen Gedanken beruht. Die Anbetung der „kollektiven Macht" die Theorie der „fusionierenden Gruppe" und der „Brüderlichkeit als Terror“ sind integrierende Bestandteile der Gorzschen Theorie, die man akzeptieren muß, wenn man diese Theorie sinnvoll anwenden will. Es könnte sein, daß eine intensive Diskussion dieser Theoriestücke ergäbe, daß sich hier eine ziemlich dunkle Gruppenphilosophle mit irrationalen und romantischen Ursprüngen in den Marxismus eingeschlichen hat.
2. Das große Thema der Gedanken-und Redefreiheit, der Toleranz, — heute diskutiert an den Beispielen Meinungs-, Presse-, Versammlungsfreiheit, — wird seit 15 Jahren in Deutschland unter Wert verschleudert. Die einen haben damit auf primitive Weise Kalten Krieg betrieben und den anderen so erlaubt, sich auf ein paar Gemeinplätze über Springer oder die „Unwichtigkeit" der Meinungsfreiheit für den Arbeiter zu beschränken.
Dabei steckt dahinter die zentrale Frage der Erkenntnistheorie. Wenn ich sicher sein kann, daß die Bewegungsgesetze der Geschichte erkennbar sind und daß Ich sie erkenne, ist jeder Terror gegen Andere (Blinde) erlaubt Bisher hat man es dem linken Flügel der europäischen Linken gestattet, sich über dieses Problem mit einem dogmatischen Abbild-Realismus ä la Lenin hinwegzumogeln. Wer sagt eigentlich den linken Studentengruppen an deutschen Universitäten, daß Lenins Buch „Materialismus und Empiriokritizismus"
eher parteigeschichtlich als philosophisch rele21 vent ist? Man soll sich nicht täuschen: eine derartige, scheinbar akademische Erkenntnis könnte sehr handgreifliche politische Folgen haben.
3. Zentral für die gesamte ökonomische Analyse der Neomarxisten ist die Krisentheorie. Gorz sagt klar: der amerikanische Kapitalismus sei etwas „Einzigartiges", andere Länder könnten das gleiche Wachstum nie erreichen Die Krise komme — trotz Keynes und der Folgen — bestimmt. Wenn das richtig wäre, müßte man sich in der Tat anders verhalten, als wenn man es für möglich hält, daß ohne gewaltsame soziale Umwälzungen im Jahr 2000 in allen nachindustriellen Gesellschaften nur noch 1100 Stunden im Jahr gearbeitet werden muß: 7, 5 Stunden am Tag, vier Tage in der Woche bei 39 Arbeitswochen, zehn gesetzlichen Feiertagen, drei zusätzlichen Wochenendtagen und 13 Urlaubswochen Selbstverständlich: die Prognosemethoden der Ökonomie, die theoretischen Ansätze sind umstritten; aber auf den puren Glauben sind wir heutzutage ja auch nicht mehr angewiesen. Ein rationale Diskussion des Krisentheorems in der politischen Arena wäre deshalb sinnvoll. 4. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, daß ich es für richtig halte, die Kommunismus-Kritik der westeuropäischen Linken ernst zu nehmen: die meisten von ihnen wollen kein System wie die Sowjet-Union; sie anerkennen die Vorteile der Liberalität des demokratischen Kapitalismus und hoffen (meiner Meinung nach irrtümlicherweise), diese Liberalität auch beim Übergang zum Sozialismus erhalten zu können. Daß sie oft trotzdem eine gewaltsame Umwälzung für richtig halten, hängt mit einer anderen Überlegung zusammen: Sie fürchten, ihre (problematische) Freiheit auf Kosten der Menschen in weniger entwickelten Gesellschaften zu genießen. Und ohne Zweifel ist diese Furcht nicht ohne Berechtigung. Auf der anderen Seite wird sie normalerweise mit einer Imperialismustheorie begründet, die wahrlich nicht mehr auf dem letzten Stand der Erkenntnis ist. Mit einer Mischung von Lenin, Luxemburg, Hilferding und Hobson ist heute nur noch weniges sinnvoll zu erklären Eine systematische Analyse des Imperialismus-Problems wäre deshalb wichtig. 5. Der einzig wirklich schon definierte (wenn auch keineswegs konkretisierte) Schritt zum „Sozialismus" in der Strategie systemverändernder Reformen ist die „Investitionskontrolle" (die, ebenso vage, auch im Godesberger Programm steht), bzw. die Kontrolle des Bankenwesens. Frage: Warum wird dieses Problem (samt aller Schwierigkeiten) nicht einmal auf den Tisch gelegt? Immerhin: Forderungen dieser Art kommen nicht nur von radikalen Jungsozialisten, sondern sogar von Galbraith Es sollte geklärt werden, was sinnvoll und machbar ist — und was nicht.
6. Die deutsche Sozialdemokratie und die deutschen Gewerkschaften haben — im Grunde seit dem 19. Jahrhundert — „Reformismus“ betrieben. Nicht, daß dieser auf einer reflektierten Strategie beruht hätte; schon am jahrzehntelangen Auseinanderklaffen von revolutionärer Theorie und reformistischer Praxis kann man sehen, daß die Führungen oft bei der Taktik stecken blieben. Aber trotzdem: die Auseinandersetzung ist auf vielen Feldern, getragen von viel Idealismus und Augenmaß, aufgenommen und geführt worden. Warum fragt diese geschichtsträchtige Arbeiterbewegung nicht einmal nach ihrer Geschichte? Idi meine: nicht, um Fakten aufeinanderzustapeln und stolze Vereinsgeschichte zu dokumentieren, sondern um die Gegenwart zu beeinflussen? Eine ehrliche Bestandsaufnahme, historische Längsschnitte, kritische Analysen der Ergebnisse des Reformismus wären notwendig. Was ist in den Arbeitsbeziehungen verändert worden von der Betriebsverfassungsdiskussion und-gesetzgebung in den zwanziger über die fünfziger bis zu den siebziger Jahren? Wie weit sind wir bei der kritischen Diskussion des Eigentums an Grund und Boden in den letzten 50 Jahren bis hin zum Städtebauförderungsgesetz gekommen? Wie hat sich die Lohnquote entwickelt? Wie veränderte sich die soziale Rolle der Frau?
Ich glaube nicht, daß alle diese Analysen Anlaß zum Feiern geben würden; es könnte aber sein, daß die modische Geschichtsphilosophie, die alles abwärts gleiten sieht, korrigiert würde. 7. Entschlossenes, planvolles Handeln auf ein großes Ziel hin übt Faszination aus; das erklärt einen Teil der Begeisterung junger Leute aus der Ober-und oberen Mittelschicht für voluntaristische Strategieansätze. Entschlossenes, planvolles Handeln ist aber auch im zähen, reformistischen Kampf um die Macht in den Institutionen des demokratischen Kapitalismus notwendig; man darf nur nicht ver-
schleiern wollen, daß auch dies Kampf ist, daß es um Macht geht. Macchiavelli hat im . Principe'analysiert, wie die politische Energie, die notwendige , virtü'des Fürsten, aussehen muß, der sich die Macht erwerben oder erhalten will. Auch die , virtü'des Reformisten verdient eine solche Analyse. Fähigkeit zur Prognose, Mißtrauen gegen Prophetie, Präzision im Detail, Begabung zum systematischen Experiment, Geduld — es wäre zu überprüfen, ob nicht auch diese Techniken des politischen Handelns faszinieren können
Wer der Strategie der Systemüberwindung nicht folgen will, muß ihr eine Strategie der kontrollierten Systemveränderung entgegensetzen; eine Koalition aus dem „juste milieu'der Arbeiterbewegung, aus der alten linken Subkultur reicht nicht zum Erfolg. Die deutsche Linke wird als politische Kraft nur weiter-existieren, wenn sie die historische Aufgabe des Reformismus bewußt macht: nicht als Weltanschauung oder Patentrezept für alle geschichtlichen Situationen, sondern als konkrete Strategie für bürokratisierte, nachindustrielle Gesellschaften am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Aufgabe wäre, Marx schöpferisch anzuwenden, ohne Lorenz von Stein zu vergessen.