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Friedenschancen im Nahen Osten | APuZ 12/1972 | bpb.de

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APuZ 12/1972 Friedenschancen im Nahen Osten Jugoslawiens System der Selbstverwaltung Ein Weg zu einem sozialistischen Pluralismus?

Friedenschancen im Nahen Osten

Eliashiv Ben-Horin

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Obwohl von zahlreichen Staaten zu einer nachgiebigeren Verhandlungsposition gedrängt, ist die israelische Regierung gewillt, weiterhin mit den arabischen Staaten nur einen Friedensvertrag zu schließen, der eine wirklich dauerhafte Regelung der beiderseitigen Interessen gewährleistet. Aufgrund der geschichtlichen Erfahrung ist es Israel nicht zuzumuten, auf Garantien fremder Staaten hin seine Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Der scheinbar gewonnene Frieden im Nahen Osten durch eine weit entgegenkommende Haltung Israels wäre nur sehr kurzfristiger Art und würde lediglich zu neuen, schwereren Konflikten führen. Die Äußerungen zahlreicher arabischer Führer sowie die massive Aufrüstung deuten darauf hin. Solange sich an diesen Sachverhalten nichts ändert, bleiben die Verständigungsbemühungen Israels gegenüber der arabischen Bevölkerung sowie eine klare Verhandlungsposition die einzigen Chancen für einen Frieden im Nahen Osten.

i.

Traumatische Erfahrungen beeinflussen das Verhalten des einzelnen wie das der Gemeinschaft; sie beeinflussen das Verhalten von Völkern und von Staaten. Es ist eine wiederholte Erfahrung des Staates Israel — von der geschichtlichen Erfahrung des jüdischen Volkes ganz zu schweigen —, daß alle Welt sein Schicksal mitbestimmen will, daß alle Welt am besten zu wissen glaubt, was für Isreal gut ist, daß man gern gute Ratschläge gibt, sich aber allzuoft der Verantwortung, die mit einer Mitbestimmung zusammenhängt, entzieht, sobald die Lage schwierig oder unbequem wird.

Einige Meilensteine dürften das wohl illustrieren: Vom internationalen Standpunkt aus gesehen wurde die Selbständigkeit des Staates Israel im November 1947 auf einer Vollversammlung der Vereinten Nationen bestimmt und bestätigt. Israel hat dem Beschluß der Vollversammlung schweren Herzens zugestimmt, der Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat teilte. Als fünf arabische Staaten den Beschluß jedoch mit Waffengewalt rückgängig machen wollten und in das den Juden zugeteilte Gebiet einmarschierten, um, wie sie frohlockend sagten, die Bevölkerung des neugegründeten Staates in das Meer zu werfen, in einem „Massaker, wie es seit Dshingis Khan keines mehr gegeben hatte", da freilich schauten die Mitglieder der Welt-organisation nur zu; die einen händeringend, die anderen nicht.

Nadi demselben Beschluß sollte Jerusalem zu einem international bevormundeten „Corpus Separatum" werden. Als aber die Stadt eingeschlossen, belagert, ausgehungert und von arabischen Kanonen zum Teil zerstört wurde, blieben die weltlichen und geistigen Kräfte, die auf die Schaffung des Corpus Separatum am meisten gedrängt hatten, tatenlos. Nach Beendigung des ersten arabisch-israelischen Krieges wurden Waffenstillstandsabkommen mit jedem einzelnen unserer Nachbarn geschlossen. Die Bestimmungen der Abkommen waren recht klar.

Querst als Vortrag gehalten bei einer Veranstalung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige holitik am 24. September 1971 in Bonn-Bad Godes-Als diese Vereinbarungen jedoch gebrochen wurden — kaum daß die Tinte trocken war —, hatte die Welt uns nichts Besseres anzubieten als die Entsendung von Beobachtern.

Im Jahre 1950 versicherten die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich in einer feierlichen Erklärung, der sogenannten „Drei-Mächte-Erklärung", jeder Aggression entgegenzutreten und im Falle einer Kriegsgefahr einzugreifen. Als im Mai 1967 Präsident Nasser seine Truppen in der Sinai-Wüste aufmarschieren ließ und das be-Heribert Kohl:

Jugoslawiens System der Selbstverwaltung — Ein Weg zu einem sozialistischen Pluralismus?................................................... 9 vorstehende Ende Isreals verkündete, erklärten zwei der drei Mächte ihre Verpflichtungen für nicht mehr gültig.

Am Ende des Krieges von 1956 zog sich Israel unter entscheidendem amerikanischen Druck auf seine Ausgangspositionen zurück. Dies geschah nach Erhalt von eindeutigen Garantien, daß der für Israel lebenswichtige Schifffahrtsweg in den Golf von Akaba unter allen Umständen offengehalten würde. Als jedoch am 22. Mai 1967 Präsident Nasser die Blockade des Meeresweges verhängte, blieben die Garantien wiederum nicht mehr als ein verstaubtes Dokument.

Israel ist sich bewußt, daß im Nahen Osten die arabischen Staaten mehr an Erdöl anbieten können als Israel, daß sie internationale Schiffahrtswege haben (auch wenn sie mehrmals willkürlich geschlossen wurden), daß sie für sowjetrussische Ambitionen geopolitisch und strategisch interessanter sind als Israel. Es hat Verständnis dafür, daß Erdölgesellschaften ihr Geld in Ruhe verdienen wollen, daß in der Kashmir-Frage und in der Zypern-Frage für die jeweils gegenüberstehenden beiden Parteien 17 arabische Stimmen wichtiger sind als die eine Israels, daß Kaufleute mehr Ware in Ägypten und dem Sudan sowie in anderen Ländern absetzen möchten, auch wenn Handelsschulden nicht immer bezahlt werden. Israel bringt sogar dafür Verständnis auf, daß man sich nach einem gutgeführten Goethe-Institut in Kairo sehnt. Für all dieses und vielleicht noch manches mehr haben wir Verständnis. Aber daraus ergibt sich für uns kein zwingender Grund, den Hals in eine arabische oder sowjetische Schlinge zu legen. Für andere sind es Fragen der Handels-und Außenpolitik; für Israel ist es die viel einfachere Frage des überlebens. Wir in Israel existieren nicht in einem Vakuum der Ge-schichtslosigkeit. Nach zweimaliger Zerstörung und Verbannung, nach einer langen und schwierigen Geschichte haben wir dennoch die Kraft zum Wiederaufbau einer lebenswerten Existenz gefunden. Eine dritte Zerstörung würde wohl das Ende bedeuten. Es wird nicht dazu kommen.

Mit dieser etwas ausführlichen Einleitung möchte ich betonen, daß das Zeitgeschehen verständlicher werden kann, wenn man die größeren Zusammenhänge vor Augen hat. Erst dann fügen sich die Tagesmeldungen, wie wichtig sie auch sein mögen, in eine sinnvolle Perspektive. Wir haben alle diese Zusammenhänge erlebt. Daher unser Beharren auf einem wahren, unwiderruflichen Frieden und auf einem für uns notwendigen Maß an Sicherheit. II.

Wie sieht die heutige Lage, wie sehen die Chancen für den Frieden aus? Die hauptsächlichste Aufmerksamkeit gilt der Möglichkeit, mit Ägypten zum Frieden zu kommen.

Die drei Jahre, dem Juni-Krieg von 1967 die folgten, haben Frieden, nicht einmal keinen Ruhe gebracht. Zunächst waren es meist nur kleine Kampfhandlungen, dann kündigte Präsident Nasser die Waffenruhe auf und verhängte den sogenannten Abnützungskrieg. Seit August 1970 gibt es eine erneute, durch amerikanische Initiative erreichte Waffenruhe. Sie ist zustandegekommen, weil der Abnützungskrieg für die andere Seite nicht sehr gut verlaufen war.

Israel hoffte — und hofft auch heute noch —, während einer langen Waffenruhe mit Ägypten in ein sinnvolles Gespräch zu kommen (zunächst vielleicht indirekt), um auf diese einzig mögliche Weise zu verläßlichen Vereinbarungen zu gelangen, die den Krieg verhindern, den Frieden gewährleisten und die Beziehungen zwischen Israelis und Arabern neu gestalten sollen.

Man soll die Chancen für einen allgemeinen Frieden nicht zu hoch veranschlagen, ihn aber auch nicht für ausgeschlossen halten. Wir alle sind der Kämpfe und des Ringens müde. Israel würde aber fatal verantwortungslos handeln, wenn es nicht ganz kritisch untersuchte, was die andere Seite unter „Frieden" oder auch nur unter einer „Teilregelung" versteht, wenn es nicht ganz gründlich prüfte, was Israel im Namen des Friedens angeboten wird! Zum Friedenschließen sind zwei'nötig. Frieden schließen ist eine gemeinsame Sache zwischen den Parteien. Verstehen aber die beiden Parteien unter Frieden das Gleiche? Was Israel darunter versteht, ist, daß es und seine Nach-barn alle Energien dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistigen Aufbau widmen können. Isreal versteht darunter nicht, daß die andere Seite auf die ursprüngliche Ausgangsstellung zurückkehrt, um ihr Glück zu gegebener Zeit mit einer größeren Chance auf Erfolg erneut zu versuchen. Israel versteht darunter nicht eine kurzlebige Ruhe-und Atempause. Es erwartet, daß seine Nachbarn und eventuellen Vertragspartner seiner echten und tiefbegründeten Besorgnis um Sicherheit Rechnung tragen, so wie Israels Nachbarn erwarten dürfen, daß es auf arabische Gefühle von Stolz und Ehre Rücksicht nimmt. Wenn die arabischen Nachbarn den Frieden so verstehen, dann werden israelische Sicherheit und arabische Ehre nicht im Widerspruch zueinander zu stehen brauchen. Wenn sie aber Friedensregelungen und Abkommen so verstehen, wie Israel es augenblicklich befürchtet, dann sind die beiderseitigen Auffassungen nicht miteinander vereinbar.

III.

Man fragt sich, man fragt uns: Kann Präsident Sadat wirklich Frieden schließen? Die Frage ist nicht neu. Sie wurde während Präsident Nas-sers siebzehnjähriger Herrschaft immer wieder gestellt, oft im rhetorischen Sinne. Mal galt Nasser als zu stark, um den Ausgleich mit Israel zu benötigen, dann als zu schwach, um den Frieden mit Israel zu wagen. Mal empfahl man Israel, es sollte flexibler sein — was immer das auch bedeuten möge —, denn nur unter Nassers charismatischer Herrschaft gäbe es eine Chance für den Frieden. Nach Nassers Tod meinte man, daß erst jetzt, da der umstrittene Rais von der Bühne fort sei, die große Chance gekommen sei, die man nicht verpassen dürfe. Heute weist man auf eine gemäßigte Rede von Präsident Sadat hin, am nächsten Tag befürchtet man das Schlimmste, wenn der ägyptische Staatspräsident vor seinen Truppen erklärt, er wäre bereit, eine Million Menschen in einem Krieg gegen Israel zu opfern.

Man sollte Sadats Reden weder überbewerten noch bagatellisieren. Sadat hat eine Rede für jede Saison und für jeden Anlaß: Zu den Alten spricht er über Sozialversicherung, zu den Jungen über Wissenschaft, zu den Orthodoxen über Mohammed, zu den Fellachen über die Elektrifizierung ihrer Dörfer, zu den Soldaten jedoch spricht er über neue, Generationen andauernde Kriege gegen Israel. Dies ist seine Sadie. Er kann aber nicht Bevölkerung und Armee zum Krieg anfeuern und dann überzeugend an die Welt herantreten und sagen: „Seht, ich bin ein gemäßigter Mann, doch sind mir die Hände gefesselt, denn mein Volk ist aufgewiegelt." Vor ihm hat Nasser schon ähnliches getan. Man soll uns nicht zumuten, das auszulöffeln, was ein Führer auf der anderen Seite sich eingebrockt hat, um sich an die Macht zu klammern.

Wie schon gesagt, sollte man die Reden weder überbewerten noch bagatellisieren. Wir bagatellisieren sie nicht, denn man kann auch durch Gerede in den Krieg hineinschlittern. Israel muß bei allen Versuchen, einen erneuten Ausbruch von Kampfhandlungen zu verhindern, doch immer darauf gefaßt sein, daß aus innerpolitischen oder sonstigen Gründen die andere Seite sich entschließt, den Krieg wieder aufzunehmen. Wenn man das einfache Volk in Kairo, Alexandrien oder wo auch immer befragen könnte, dann würde sich sicher herausstellen, daß es vom Krieg nicht mehr begeistert ist als wir, daß eine arabische Mutter den Tod eines Sohnes genauso beweint wie eine Mutter in Israel. Wenn es aber zutreffen sollte, daß arabische Führer sich heute noch nicht zu einem allgemeinen Frieden durchringen können, dann wäre es doch zumindest ein guter erster Schritt, wenn sie aufhörten, zum Kriege aufzurufen. In demselben Zusammenhang wird oft gefragt, ob es sich arabische Führer erlauben könnten, den Krieg nicht wieder zu beginnen und das Feuer nicht wieder zu eröffnen. Mit demselben echt dürfte man fragen, auch in Ägypten, ob man es sich dort erlauben kann, das Feuer wieder zu eröffnen. Dies hängt wohl weitgeend davon ab, was die Schutzmacht Ägyptens beabsichtigt.

IV.

Was will die Sowjetunion? Eines, glaube ich, steht fest: mehr Macht. Israel ist, trotz aller Feindseligkeiten ihm gegenüber, nicht das Ziel oder der Gegenstand der Moskauer Politik. Israel — oder besser gesagt: der arabisch-israelische Konflikt — ist ein Mittel zum Zweck, eigene Positionen auszuweiten. Daran hat sich nichts geändert, auch nicht nach den jüngsten innerpolitischen Ereignissen in einigen arabischen Staaten. Es gibt genug Gründe, davon auszugehen, daß die Beschlüsse in Moskau darauf hinauslaufen, nichts von der eigenen Position aufzugeben, mit Lob und Tadel, mit Geben und Verweigern das Erreichte zu erhalten und all das auszuweiten, was sich ausweiten läßt. Wenn es dazu nötig ist, die Feindseligkeit Israel gegenüber weiterzuschüren, so wird dies getan. Wenn es dazu nötig ist, einigen arabischen Regierungen gegenüber auch andere Töne anzuschlagen, dann hört man auch sie aus Kommentaren und offiziellen Erklärungen heraus.

Es gibt kaum ein Land — geschichtlich gesehen gibt es kaum ein Volk •—, das Entspannung. Ruhe und Frieden so braucht und sich so danach sehnt wie Israel. Von sowjetischer Entspannung im Nahen Osten und im Mittelmeer hat Israel bisher leider wenig gemerkt. Die Frage für die westliche Welt — ich kann sie heute und vielleicht auch später nicht beantworten — ist, wie man dieser Entwicklung entgegentreten kann.

Eins jedoch scheint mir klar zu sein: Wenn man im Westen nicht nur einige eigene Positionen in arabischen Staaten verbessern will, sondern dort damit auch den Einfluß der anderen Seite abzukaufen hofft, dann wird man auf harten Wiederstand stoßen.

V.

Es ist durchaus möglich, daß der Weg zu einem allgemeinen Frieden noch weit ist und daß er über ein Zwischenabkommen führen wird. Es ist in letzter Zeit viel darüber gesprochen worden; von echten Verhandlungen ist vorläufig noch nicht die Rede. Es handelt sich um eine Zwischenregelung, die es Ägypten ermöglichen soll, den Suez-Kanal wieder zu öffnen und ihn für die internationale Schiffahrt freizugeben, mit all den wirtschaftlichen und anderen Vorteilen, die sich daraus für Kairo und auch für seine Schutzmacht ergeben. Um das zu ermöglichen, hat Israel sich zu einer gewissen Zurückziehung seiner Truppen aus den vordersten Positionen am Kanalufer bereit erklärt. Auch hier ist jedoch die Frage, wie beide Seiten eine solche Regelung verstehen. Israel sieht sie als eine mögliche Stufe zu einem frei miteinander vereinbarten Friedensabkommen. In Israel ist man der Meinung, daß die Bemühungen um einen endgültigen Frieden weiter fortgesetzt werden müssen, wenn diese Teil-regelung zustandekommt. Wenn die Auffassung der anderen Seite der unseren nicht widerspricht, dann kann es möglich sein, in einer oder zwei weiteren Stufen den Frieden zu erreichen. Wir haben aber den Eindruck, daß Ägypten eine solche Regelung immer noch nur als eine Stufe zur Wiederherstellung der Ausgangsposition vor dem Juni-Krieg 1967 ansieht. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn auf dieser heutigen Position beharrt wird, wird aus der Regelung nichts werden. Es handelt sich hier nicht um sprachliche Widersprüche, sondern um sehr konkrete Dinge. Diese drücken sich folgendermaßen aus:

1. Schließt die Regelung eine dauerhafte Waffenruhe bis zum Friedensschluß ein oder nicht? Darf das Schießen wieder beginnen oder nicht? 2. Dürfen militärische Streitkräfte, ägyptische oder andere, den Kanal überschreiten oder nicht? Was hat das überschreiten des Kanals durch Truppen mit der Wiedereröffnung des Kanals für die Schiffahrt zu tun?

Kairo sagt: Wir wollen keine Entmilitarisierung der geräumten Streifen auf der Sinai-Halbinsel; die Regelung muß so aussehen, daß Ihr Israelis Euch zurückzieht und unsere Armee entsprechend vorrückt. Wir sagen —• wenn ich ein anderes Abkommen zitieren darf —, daß eine solche Regelung „ohne Nachteile für die Beteiligten" zustande kommen muß. Wenn Israel seine vordersten Positionen nicht nur aufgeben, sondern sie dazu noch der ägyptischen Armee zur Verfügung stellen sollte, dann würde es wohl schwerwiegend benachteiligt sein.

3. Nach israelischer Auffassung muß eine solche Regelung ihren eigenen Lebenssinn haben, und ihr Bestehen oder ihre Dauer kann nicht davon abhängig sein, wie schnell man, mit oder ohne Botschafter Jarring, das Friedensabkommen erreicht. Israel sagt nicht, daß diese Regelung das letzte Wort ist und daß wir dann auf der neu vereinbarten Linie für alle Zeiten stehenbleiben. Israel wird die Verhandlungen für ein dauerhaftes Friedensabkommen weiterführen, aber eine Zwischenregelung, d. h. die Normalisierung des Suezkanalgebietes, muß bis dahin weiter funktionieren. 4. Der Suezkanal muß nicht nur gesäubert, sondern auch ausnahmslos für die internationale Schiffahrt freigegeben werden.

Wie bei einem späteren Friedensabkommen wird Israel auch bei einer Zwischenregelung auf eindeutigen und ganz präzisen Verpflich-tungen bestehen müssen. Israel wird aus den schon gemachten Erfahrungen einige Lehren ziehen. Es würde dem Frieden im Nahen Osten nicht dienlich sein, wenn Israel ausweichende oder ungenaue Formulierungen hinnehmen würde, die nachträglich widersprüchlich interpretiert werden können. Israel muß auch darauf bestehen, daß die beiderseitigen Verpflichtungen nicht nur niedergeschrieben werden, sondern daß von vornherein Vorkehrungen getroffen werden, um einem Bruch des Abkommens entgegenzutreten.

VI.

Man fragt uns manchmal: Was bedeuten schon sichere Grenzen im Zeitalter der Kem-und Fernwaffen? Ich hoffe, daß diese Frage an uns ehrlich gemeint ist — ich weiß nicht, ob das immer so ist. Denn wenn nur diese fürchterlichen Waffen Bedeutung hätten, dann könnten ja in aller Welt alle anderen Maßnahmen für die eigene Sicherheit fallengelassen werden. Dies tut aber niemand. Auch wenn es keine totale Sicherheit gegen die schrecklichste Art der Kriegführung gibt, aus der keiner als Sieger, sondern alle als Verlierer hervorgehen würden, so muß doch anderen Eventualitäten Rechnung getragen werden. „Gute Zäune schaffen gute Nachbarn“, sagt der Engländer. Ein guter Zaun ist für Israel der, vor welchem der Nachbar stehen bleibt und es sich besonders gut überlegt, bevor er ihn zu durchbrechen versucht. Sowohl für ein endgültiges, festes Friedensabkommen, das den Konflikt beilegt, als auch für ein wahres Teil-abkommen, das Ruhe schafft und es somit ermöglicht, frei miteinander die Bestimmungen des endgültigen Friedens auszuarbeiten —, fur jedes dieser Abkommen, gemessen an der Bedeutung des einzelnen Falles, würde Israel vieles leisten. Ohne Friedensabkommen, ohne wahre Teillösung mit unbefristeter Ruhe jedoch kann Israel keine Leistungen erbringen, die unwiderruflich sind. VII.

Israel hat die vergangenen viereinhalb Jahre nicht völlig ungenutzt gelassen, um mit Arabern zu einem neuen Verhältnis zu gelangen. Wir befinden uns in einer für uns ungewohnten Lage: daß wir als Resultat dieses letzten Krieges Gebiete administrieren, die nicht von Israelis bewohnt sind. Da es noch nicht zu sinnvollen Verhandlungen über das Schicksal dieser Gebiete gekommen ist, hat Israel den Versuch unternommen, in der Zwischenzeit das zu tun, was möglich ist, um zusammen leben und sich gegenseitig verstehen zu können.

Wenn man eine Zwischenbilanz zieht, muß man feststellen, daß nach Ablauf von fast viereinhalb Jahren die Verständigung weitgehend gelungen ist; das bedeutet nicht, daß man uns besondere Zuneigung entgegenbringt oder in Zukunft entgegenbringen wird. Israel hat jedoch gezeigt — sich selbst und der arabischen Bevölkerung —, daß es in diesem Gebiet unter Wahrung der Verantwortung für Sicherheit vieles unternehmen konnte, was das Leben dieser Menschen fast grundsätzlich ändert. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, wir wissen es; jedoch haben sich in diesen Jahren langsam, aber unaufhaltsam Dinge in Bewegung gesetzt, die — so scheint es mir — auch nicht rückgängig gemacht werden könnten, wenn diese Gebiete sogar wieder an die andere Seite zurückfielen. Dort wo man generationenlang abhängig war von einer äußerst empfindlichen und verwundbaren Saison-Landwirtschaft, gibt es heute zum ersten Mal industrielle Landwirtschaft mit modernen Methoden, die in einer ruhigen, tagtäglichen, unpolitischen Zusammenarbeit zwischen einer Handvoll israelischer Techniker und einer Masse von arabischen Landwirten zustande gekommen ist. Es ist natürlich hauptsächlich von dem Gebiet die Rede, das wir die Westbank nennen, Zisjordanien — der nach dem Krieg von 1948 von Jordanien besetzte arabische Teil Palästinas —, und nicht so sehr vom Gaza-Streifen, wo die Lage viel schwie-

riger ist, wo Hunderttausende von Menschen weiterhin zusammengepfercht leben. In diesem Gebiet gibt es auch zum ersten Mal eigene Industrien — nicht in einem patriarchalen oder Patronisierenden System, sondern in der Anspornung zum eigenen Schaffen, zum eigenen Lernen.

Die Israelis, die in mehr als sechzig Ländern an technischer Entwicklungshilfe einiges geleistet haben, verstehen nicht, warum sie nicht zumindest ebensoviel in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft tun können. Israel sieht es als seine Aufgabe an — wenn sie ihm . erlaubt'wird —, dies auch dort zu leisten. Es haben sich in den von uns verwalteten Gebieten im Laufe der Jahre neue Interessen gebildet, nicht aus Sympathie zu Israel, sondern aus einem aufgeklärten, eigennützigen Bewußtsein heraus. Auch der Teil der Bevölkerung, der nach einem Friedensabkommen z. B. unter die jordanische Herrschaft zurückkehrt, hat schon heute ein reges Interesse daran, daß die Grenzen dann offenbleiben, daß es nicht wieder zu einer totalen Abriegelung kommt, wo Feinde sich gegenüberstehen. Israel hat im Laufe dieser Jahre versucht, daß nicht nur in diesen Gebieten etwas Konstruktives geschaffen wird, sondern auch dafür gesorgt, daß über Grenzen zwischen Staaten, die sich im Kriegszustand befinden, für den arabischen Teil der Bevölkerung unter israelischer Administration und für die Bevölkerung von Transjordanien die Möglichkeit bleibt, hin und her zu reisen.

Die offenen Brücken über den Jordanfluß haben dazu geführt, daß der Warenaustausch zwischen diesen beiden Gebieten — Trans-jordanien und dem von uns verwalteten Zisjordanien — nicht weniger rege ist als in den Zeiten der jordanischen Herrschaft. Aber darüber hinaus hat Israel unter den bestehenden Umständen etwas Originelles eingeführt, nämlich die offenen Brücken für Besucher aus arabischen Staaten — ob sie nun in dem von Israel verwalteten Gebiet Verwandte haben oder vorgeben, Verwandte oder Bekannte zu besuchen. Und dies im Zustand der Krieg-führung zwischen zwei heute verfeindeten Staaten! Im ersten Jahr kamen 16 000 Besucher in den Sommermonaten, im zweiten Jahr waren es 30 000, im dritten Jahr 53 000. 1971 wurden 70 000 erwartet; gekommen sind jedoch 106 000 zum großen Teil junge Besucher aus allen arabischen Staaten, die sich nicht nur das Dorf ihres Verwandten oder Bekannten ansahen, sondern an die Mittelmeerstrände kamen und durch Israels Städte und Siedlungen frei wanderten.

Es ist kaum anzunehmen, daß alle Leute, die von ihrem Sommerbesuch in Israel zurückkehrten, nun Beitrag für die Zionistische Bewegung zahlen. Wenn aber auch nur das bescheidene Ziel der Entdämonisierung erreicht ist, dann ist langfristig sehr viel erreicht. VIII.

Wir wissen, daß alle Welt um den Frieden bangt und Unruhe und Krieg fürchtet. Alle Welt möchte, daß jemand „nachgibt", in der Hoffnung, daß dann Frieden auf Erden herrschen wird. Viel bequemer, viel angenehmer sähe es für den Augenblick aus, wenn die Israelis zum Ausgangspunkt des Juni-Krieges zurückkehrten und ihre Hoffnung auf den guten Willen von Freund und Feind setzten. Wir könnten unseren eigenen Kindern jedoch nie in die Augen sehen, wenn wir uns auf etwas einlassen würden, das für sie über kurz oder lang wieder Krieg unter schlechteren Umständen bedeuten müßte, als es die heutigen sind. Wir können uns nicht auf sogenannte politische Lösung einlassen, die nur das Rezept für den nächsten Krieg ist — und all dies, um von wohlmeinenden Freunden lächelnd auf die

Schulter geklopft zu werden. Von anderen würden wir hämisches Lachen ernten.

Aber würden Israels wahre Freunde dies wirklich wollen? Ein geschwächtes, an seinen Grenzen tödlich verwundbares Israel? Und würde der Friede wirklich durch einen totalen Rück, zug gewährleistet sein? Würde es um den Frieden, um uns und um andere wirklich besser bestellt sein, wenn Flugplätze auf der Sinai-Halbinsel in unmittelbarer Nähe unserer Bevölkerungszentren wieder in ägyptische oder gar noch andere Hände zurückgelangen würden? Alle diejenigen in der westlichen Welt, die für sich selbst beharrliche, vorsichtige und hartnäckige Verhandlungen mit ihren Gegenspielern beanspruchen, werden es sich überlegen wollen, bevor sie uns drängen, anders vorzugehen. Kriege werden heraufbeschworen, wenn eine Seite so „nachgiebig" wird, daß sie mit ihrer Sicherheit leichtfertig umgeht.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Eliashiv Ben-Horin, geb. 1921 in Sos-nowitz (Polen). Rechtsstudien an der Universität in Jerusalem und in London. 1948 bis 1950 Offizier in der israelischen Armee, 1951 Mitglied der Ständigen Delegation Israels bei den Vereinten Nationen, 1952 bis 1954 Erster Sekretär an der israelischen Botschaft in Washington, 1954/55 an der israelischen Gesandtschaft in Ankara, 1955 bis 1957 Stellvertretender Leiter der Afro-Asiatischen Abteilung im Außenministerium in Jerusalem, ab 1957 Leiter dieser Abteilung, 1960 bis 1963 Botschafter in Burma, 1963 bis 1967 Botschafter in Venezuela, 1967 Leiter der Südamerika-Abteilung im Außenministerium in Jerusalem, seit Februar 1970 Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland.