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Curriculumentwicklung in den New Social Studies in den USA Entwicklungstendenzen und gegenwärtiger Stand | APuZ 6/1972 | bpb.de

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APuZ 6/1972 Artikel 1 Curriculumentwicklung in den New Social Studies in den USA Entwicklungstendenzen und gegenwärtiger Stand

Curriculumentwicklung in den New Social Studies in den USA Entwicklungstendenzen und gegenwärtiger Stand

Christoph Wulf

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Zusammenfassung

In der Überzeugung, daß die Curriculumreform in den amerikanischen Social Studies für die Entwicklung von Curricula im Bereich der politischen Bildung in der Bundesrepublik von großer Bedeutung ist, wird in diesem Beitrag das Ergebnis dieser Reform, die New Social Studies, in fünf interdependenten Bereichen kritisch dargestellt-. 1. Im Wandel der Prinzipien zur Bestimmung von Zielvorstellungen und Curriculuminhalten haben sich zwei konträre Ansätze herausgebildet. Der eine zielt darauf, den Unterricht durch die Entwicklung von Curricula zu reformieren, die auf den Sozial-wissenschaften basieren. Der andere versucht, systematisch die unterrichtliche Auseinandersetzung mit strittigen öffentlichen Problemen curricular zu planen und so die Schüler für ein stärkeres politisches Engagement zu gewinnen. 2. In der curricularen Ausarbeitung und Planung heuristischer Methoden („Entdeckungs" -Methoden) liegt ein weiterer Schwerpunkt der Reform. Bei ihnen kommt es u. a. darauf an, daß der Schüler möglichst viel Verantwortung für selbständige „Entscheidungen hinsichtlich der Sammlung und Interpretation von Informationen übernimmt", für deren Realisierung bestimmte curriculare Bedingungen geschaffen werden müssen. 3. Wegen der Unzulänglichkeit vieler Schulbücher kommt es zur Entwicklung von Curricula, bei denen mehrere Medien (Texte, Bilder, Filme) für die Konkretisierung der Ziele und Inhalte verwendet werden. 4. Wenn Curriculumrevision zu einer Reform der Unterrichtswirklichkeit beitragen will, muß Lehrerbildung mit ihr verbunden werden. Daher ist es auch in den New Social Studies zur Entwicklung verschiedener Modelle der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung gekommen. 5. Um unter bestimmten Kriterien optimale Curricula zu entwickeln, bedarf es der kritischen Bewertung („Evaluation"), die im Prozeß der Konstruktion von Curricula zu ihrer Verbesserung beitragen kann.

„Unzureichende Lehrpläne; methodische Unsicherheit; die nicht gerade glückliche Konzeption des Sammelfaches Gemeinschaftskunde; ein unzureichendes System der Leistungsauswertung; ungenügende Lehr-und Lernmittel; überfüllte Klassen; ein starres Jahrgangs-system usw. . . — so charakterisiert Rebel die Unterrichtswirklichkeit im Bereich der politischen Bildung. Hält man dieses Urteil für einigermaßen zutreffend, wird man nicht umhin können, sie verändern zu wollen. Für die ferne Zukunft lassen Curriculumtheorien und Curriculummodelle, für deren Entwicklung in Deutschland Robinsohn bereits 1967 einen Vorschlag gemacht hat, eine Verbesserung der Unterrichtswirklichkeit erhoffen; für die nächste Zeit ist von derart anspruchsvollen Modellen nur eine begrenzte Unterstützung für einzelne Fachbereiche zu erwarten. Zu groß ist die Anzahl der sich aufdrängenden Probleme, als daß man sich mit dem bisherigen Zustand in der politischen Bildung, dem Geschichtsunterricht, der Sozialkunde und der Gemeinschaftskunde zufriedengeben oder sich mit der Hilfe der wenigen Institutionen begnügen könnte, die sich mit den Fragen allgemeiner Curriculum-theorie und mit der Curriculumentwicklung selbst befassen.

Die von Rebel genannten Unzulänglichkeiten weisen auf Probleme hin, wie sie in allen Industrieländern in den letzten Jahren ins Bewußtsein getreten sind. In den USA führte ihre Diagnostizierung vor etwa zehn Jahren zu einer Reformbewegung, in deren Verlauf die heutigen New Social Studies entstanden. Eine Analyse und kritische Wertung dieser Reform kann einen Beitrag zur Verdeutlichung unserer Probleme in der Bundesrepublik Deutschland leisten, in dem einen oder anderen Fall auch Anregungen zu ihrer Lösung geben. Man kann dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß bei den beiden industriell hochentwickelten Nationen USA und BRD trotz großer Unterschiedlichkeit gleiche Probleme bestehen, die sich im Curriculum der Social Studies und im entsprechenden Bereich der deutschen Schule spiegeln. Wie diese unter den unterschiedlichen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen gelöst werden, ist aus drei Gründen interessant: 1. Die Interdependenz der Nationen und ihre Probleme machen es erforderlich, die Beantwortung curricularer Fragen in verschiedenen Ländern zur Kenntnis zu nehmen. 2. Erfolgreiche Lösungen curricularer Probleme können modifiziert übernommen werden bzw. dazu anregen, eigene Wege der Problembewältigung einzuschlagen. 3. Das Studium curricularer Entwicklungen in anderen Ländern kann zur Distanzierung vom eigenen Schul-und Bildungssystem führen und dadurch für neue Lösungen curricularer Fragen offen machen. Dies sind Gründe für die große Zunahme der Bedeutung der vergleichenden Erziehungswissenschaft, ohne die die heutige Bildungs- reform kaum denkbar ist. Im folgenden Beitrag soll die Curriculumreform in den amerikanischen Social Studies in ihren fünf wichtigen Bereichen beschrieben und kritisiert werden. In einem abschließenden Teil sollen einige Schlußfolgerungen für die Curriculum-reform in der Bundesrepublik im hier thematisierten Bereich gezogen werden

Ein wenig verspätet erfaßte die große Curriculumreform der späten fünfziger Jahre nach der Mathematik und den Naturwissenschaften am Anfang der sechziger Jahre die Social Studies. Vier Hauptursachen lassen sich für diese Reformbewegung feststellen, die zur Schaffung der New Social Studies führten: 1. Eine allgemeine Verunsicherung des amerikanischen Selbstbewußtseins entstand als Folge des Sputnik-Schocks, die sich in den sechziger Jahren durch Konflikte um den Vietnamkrieg, die Rassendiskriminierung und die soziale Sicherheit noch verstärkte; in mancher Hinsicht ist sie vergleichbar mit der totalen Verunsicherung in Deutschland infolge des Krieges und des Zusammenbruchs. 2. Der Systemzwang führte nach der teilweise erfolgten Reform des Curriculum der Naturwissenschaften und der Mathematik zur Reform der Social Studies. 3. Lehr-und Lernmethoden wurden entdeckt und entwickelt, die die vorhandenen vielfach als veraltet erscheinen ließen. 4. Große Geldsummen, die von staatlicher und privater Seite investiert wurden, förderten die Reformbewegung.

Nach einem Jahrzehnt Curriculumreform stellt sich die Frage, was die Reform bewirkt hat, welche Verbesserungen sie herbeigeführt hat, wo sie scheiterte und in welcher Richtung sie sich in den siebziger Jahren bewegen wird. Die Fülle der sich ergebenden Probleme kann im Rahmen dieses Beitrages nur angedeutet werden.

In den USA hat die Curriculumreform, deren Ergebnis die New Social Studies sind, vor allem in fünf Bereichen stattgefunden, die in hohem Maß interdependent sind und in denen von vielen Gruppen Unterschiedliches geleistet worden ist. In groben Zügen soll eine Übersicht über den gegenwärtigen Stand versucht werden: 1. Ausgangspunkt der Curriculumreform ist die Formulierung von Bildungszielen, Qualifikationen und Lernzielen. 2. Vorherrschende Methode ist die „Inquiry" -oder „DiscoveryMethode", hier als heuristische Methode eingeordnet. 3. Die Produktion von Unterrichts-materialien verschiedener Qualität hat sich gewaltig vermehrt. 4. Versuche finden statt, durch bestimmte Formen der Lehrerbildung und Lehrerfortbildung die Reformen zu implementieren 5. Verschiedene Techniken zur Evaluation des Unterrichtserfolges werden entwickelt.

I. Prinzipien-Wandel zur Bestimmung der Lernziele

Für die Tatsache, daß die amerikanische Social-Studies-Erziehung bei der Formulierung ihrer Aufgaben die soziale Realität der amerikanischen Gesellschaft weitgehend aus den Augen verloren hat, wird häufig der traditio-nelle Aufbau der Social Studies verantwortlich gemacht, der, seit 1916 geringfügig verändert, auch heute noch in sehr vielen amerikanischen Schulen fortbesteht. Ihm wird die Tradierung längst nicht mehr relevanter Inhalte und der Mangel an Bereitschaft, den neu entstandenen Bedürfnissen der Schüler und der Gesellschaft zu entsprechen, angelastet. Im Gegensatz zu dem traditionellen Aufbau der Social Studies in den Sekundarstufen, die, von 1916 bis zum Beginn der Reformen nur geringfügig verändert, in vielen Schulen auch heute noch ähnlich unterrichtet werden, gab es für die Grundschule (1. — Klasse) kein in gleicher Weise akzeptiertes Auswahl-und Organisationsprinzip innerhalb der Social Studies. Relativ verbreitet war allerdings das Prinzip der konzentrischen Kreise, mit Hilfe dessen dem Kind von seiner Lebenswelt ausgehend — in immer weiteren Kreisen — die Realität erschlossen werden soll 6). Die typische Organisation der Social Studies vor dem Beginn der Reformen sah in etwa so aus: 1. Klasse: Das Heim und die Schule 2. Klasse: Die Nachbarschaft, die Gemeinde, das Transportwesen 3. Klasse: Die Stadt, die Großstadt und der Kreis 4. Klasse: Amerikanische Staaten und Regionen 5. Klasse: Die Vereinigten Staaten (Geschichte und Geographie)

6. Klasse: Lateinamerika, Kanada, Europa Klasse: Europäische Geschichte (ein Semester Geographie)

8. Klasse: Ein Semester amerikanische Geschichte, ein Semester Staatsbürgerkunde (Civics)

9. Klasse: Ein Jahr Staatsbürgerkunde oder Staatsbürgerkunde und Wirtschaftsgeschichte 10. Klasse: Europäische Geschichte 11. Klasse: Amerikanische Geschichte 12. Klasse: Probleme der Demokratie, ein oder zwei Semester.

Gegen dieses Auswahl-und Organisationsprinzip in den Social Studies wird u. a. folgende Kritik vorgebracht:

Lempsychologische Forschungen haben ergeben, daß das Organisationsprinzip der konzentrischen Kreise nicht die ihm oft zugesprochenen lernpsychologischen Vorteile hat.

2. Wenn die Organisation und Stoffauswahl diesem Prinzip folgt, ist es zweifelhaft, ob wirklich die ausgewählten Lernziele erreicht werden können.

3. Vom Beitrag der Sozialwissenschaften zur Erreichung von Lernzielen wird zu wenig Gebrauch gemacht, obwohl sie wesentliche Hilfe zur Realisierung von Bildungs-und Lernzielen im Bereich der Social-Studies-Erziehung leisten können.

4. Die starre Organisation der Social Studies macht sie wenig aufnahmebereit für Innovationen. 5, Geschichte hat die zentrale Stellung in den Social Studies vor allem in der Sekundarstufe. Dadurch wird z. B. die Erfüllung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben nicht geleistet.

6. Die ethnozentrische Konzentration auf amerikanische und europäische Geschichte führt zur Vernachlässigung wesentlicher Länder und Kulturen, in denen heute viele internationale Probleme und Konflikte ihren Ursprung haben.

Diese Kritik beinhaltet bereits wesentliche neue Ansätze zur Formulierung von Lernzielen, zur Auswahl neuer Themenbereiche und ihrer methodischen Organisation. Die entsprechende Neudefinition der Social Studies findet auf drei Ebenen statt: 1. in den nationalen Kommissionen der schulischen Berufsverbände und in den Curriculumreformkommissionen 7), 2. bei der Entwicklung konkreter materialisierter Curricula in den entsprechenden Curriculumprojekten, 3. in den zahlreichen Initiativgruppen an den Schulen. Im folgenden behandeln wir vor allem einige Ansätze innerhalb der Reformbemühungen auf der zweiten Ebene. Dabei gehen wir von der Annahme aus, daß die hier geleistete Neudefinition der Ziele, Inhalte und Unterrichtsmethoden trotz mancher Unzulänglichkeiten für die Curriculumreform in den New Social Studies entscheidend ist.

Die Innovationen innerhalb der New Social Studies dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß in den USA Unsicherheit über die Zielvorstellungen herrscht.

Viele Gruppen mit unterschiedlichen Interessen stehen einander gegenüber und versuchen, Einfluß auf die Social Studies zu gewinnen. Die für eine pluralistische Gesellschaft konstitutiven gegensätzlichen Auffassungen haben noch wenig Eingang in die Zielvorstellungen der verschiedenen staatlichen Curricula und in die Social-Studies-Materialien gefunden. Vielmehr ist eine Tendenz zur Harmonisierung der amerikanischen Gesellschaft und damit auch der Social-Studies-Erziehungsziele vorherrschend, die allerdings in den letzten Jahren an der einen oder anderen Stelle durchbrochen wurde. So erschienen von Januar 1969 bis Mai 1970 in den Heften von Social Education, der Zeitschrift des National Council for the Social Studies in der National Education Association, längere, wenn auch nicht immer kritische Beiträge über den Indochina-konflikt, die internationalen Beziehungen, Asien, die urbane Krise und den Rassenkonflikt — Themen, die Jahre zuvor noch tabuiert waren. Auch haben die Neger, die seit einiger Zeit „Black History" als Hilfe zur Lösung ihres Identitätsproblems fordern, die realitätsfernen Konzepte der Social-Studies-Erziehung in Frage gestellt. Robert Hess, Autor eines Buches über die Entwicklung politischer Haltungen bei Kindern, deutet die Situation so: „Die Schulen haben zu den Konflikten der Gesellschaft beigetragen, indem sie eine Sicht der Nation und ihrer politischen Prozesse vermitteln, die unvollständig und vereinfachend ist, da sie Werte und Ideale betonen, aber die sozialen Realitäten ignorieren."

Der Mangel an Bezug auf die soziale Realität der amerikanischen Gesellschaft ist in der Curriculumreform der sechziger Jahre nicht durch die Neuformulierung von Lernzielen beseitigt worden. Erst am Ende der sechziger Jahre finden sich einige entsprechende Versuche. Eine Ursache dafür ist sicherlich die eilige Produktion von Unterrichtsmaterialien, die nach der Bereitstellung der entsprechenden Gelder begann und bei der die theoretischen Voraussetzungen der Produktion nicht genügend geklärt wurden.

Ein weiterer Grund für den Mangel an sorgfältigen, die soziale Realität erfassenden Ziel-bestimmungen liegt darin, daß die Ziele mittlerer Reichweite überwiegend von den akademischen Disziplinen her bestimmt wurden, daß aber nicht die realen Situationen und Konflikte und die für ihre Meisterung notwendigen Qualifikationen den Ausgangspunkt bildeten.

Ein Überblick über 26 nationale Social-Studies-Curricula im April 1970 in Social Education ergibt, daß 13 Projekte unter der Kategorie „disziplinorientierte Curricula" verzeichnet sind; von den 13 nicht unter dieser Kategorie subsumierten Projekten sind mehr als die Hälfte auch noch disziplinorientiert. Daran wird deutlich, daß die disziplinorientierten Curricula ein gewaltiges Übergewicht über die wenigen haben, die einen anderen Ansatz wählen. Dafür sind zwei Gründe zu nennen: Einmal der Einfluß des Brunerschen Gedankens vom didaktischen Wert der Struktur einer wissenschaftlichen Disziplin, der zu einem der tragenden Gedanken der Curriculumreform wurde, zum anderen die Tatsache, daß viele Fachwissenschaftler sich der Aufgabe zuwandten, Curricula für die Schulen zu konstruieren, wobei sie von dem ihnen vertrauten Gebiet der wissenschaftlichen Disziplin ausgingen.

Eines der Brunerschen Hauptthemen in „The Process of Education" ist die Entwicklung dieses Strukturgedankens. Die Struktur soll aus dem Fach herausgearbeitet werden; sie bietet die Verbindung zwischen den Grund-vorstellungen und Grundbegriffen des Faches. Außerdem schreibt ihr Bruner . vier lernpsychologische Vorteile zu. Sie macht a) einen Sachzusammenhang besser verständlich, sie vereinfacht b) die Erinnerbarkeit eines Sachzusammenhanges, sie verhilft c) zum Transfer, und sie vereinfacht d) intuitives Denken.

Die Kombination des Fachspezifischen mit dem Lernpsychologischen verhilft diesem Strukturgedanken zu seinem gewaltigen Einfluß.

Von den in der Curriculumentwicklung tätigen Fachwissenschaftlern aufgegriffen, führt dieser Ansatz zu einer ambivalenten Verwissenschaftlichung der New Social Studies. Einerseits befreit er die Social Studies von ihrem indoktrinierenden Charakter, andererseits hilft er nur bedingt, die soziale Realität wiederzugewinnen. Die Frage: Was sind die Social Studies? wird traditionellerweise so beantwortet: Die Adaptation der Sozialwissenschaften (Psychologie, Soziologie, Ökonomie, Anthropologie, Geographie) und der Geschichte für das Curriculum der Schule.

Die Frage: Warum Social Studies? wird von dieser Position der Social Science Education erst in letzter Zeit gesehen Sie führt zu einer Infragestellung der Wissenschaften, ihrer Struktur, ihrer Grundvorstellungen und Begriffe im Blick auf Bildungsziele und Lernziele. Hier könnte dieser Ansatz die soziale Realität wiedergewinnen, wenn die Beantwortung der Frage von den Grundproblemen der amerikanischen Gesellschaft und des jugendlichen Amerikaners ausgeht. Aus einer Analyse dieser sich wandelnden Probleme können Kriterien für die Formulierung von Lemzielen gewonnen werden; zu ihrer Erarbeitung und Bewältigung bieten die Ergebnisse und Methoden der Sozialwissenschaften und der Geschichte ihre Hilfe an.

Bleibt hingegen Social-Studies-Erziehung bloße sozialwissenschaftliche Erziehung im oben beschriebenen Sinne, wird sie sich zwei Vorwürfe gefallen lassen müssen: Einmal droht sie, der sozialen Realität nicht habhaft zu werden, da viele Probleme sich in den Wissenschaften erst später, oft nur unter begrenzter Perspektive zeigen, zum anderen droht sie, die entscheidende Aufgabe, die Jugendlichen zum gesellschaftlich-politischen Engagement zu erziehen, zu vernachlässigen. Letzteres wäre eine Flucht vor dem gesellschaftlichen Auftrag der Civic Education bzw. Citizenship Education. Lange haben die Social Studies in den USA der Indoktrination der Jugendlichen mit dem kulturellen Erbe, den amerikanischen Werten und Ideologien gedient; jetzt haben sie sich großenteils zu einer an den Sozialwissenschaften orientierten Erziehung entwickelt, innerhalb derer die „controversial puplic issues" und die in ihrer Behandlung liegende Aufforderung zum politischen Engagement immer noch vernachlässigt werden.

Lediglich eine relativ kleine Gruppe von Autoren, als deren Repräsentanten Hunt und Metcalf Oliver und Shaver angesehen werden können, drängt auf die Notwendigkeit, mit der Behandlung dieser Fragen die verlorene soziale Realität wieder zu gewinnen. Dabei geht es Hunt und Metcalf um die Behandlung der interpersonalen und intrapersonalen Konflikte, die vor allem in den „Closed Areas", den gesellschaftlich tabuierten Bereichen, auftauchen: „Eine Social-Studies-Erziehung, die jungen Leuten dazu helfen würde, offen und rational ihre Konflikte, die die Überzeugungen und Werte in gesellschaftlich tabuierten Bereichen betreffen, zu analysieren, würde wahrscheinlich das Auftreten von Neurosen eher reduzieren als erhöhen. “

Shaver definiert wie Oliver „Social-StudiesErziehung als Teil der schulischen Allgemeinbildung, die sich um die Vorbereitung von Bürgern für das Engagement in einer demokratischen Gesellschaft bemüht" Ausgangs-punkt für Oliver und Shaver ist die Überzeugung, daß die Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft den gleichen grundlegenden Werten verpflichtet sind. Durch die (gegensätzliche) Entscheidung für verschiedene Werte zur Steuerung des Verhaltens in konkreten Situationen kommt es zu Wertkonflikten. Sie zeigen sich besonders in den „strittigen öffentlichen Fragen". Dem Schüler muß geholfen werden bei seiner Analyse, den Wertkonflikt zu erkennen und seinen Ursprung in den verschiedenen Bezugsystemen (Frames of Reference) der Vertreter der gegensätzlichen Positionen zu verstehen. Die Zielsetzungen dieser Social-Studies-Curricula gehen über die der Social-Science-Curricula hinaus, indem sie ethisch-politische Fragen thematisieren. Zu ihrer Klärung können die Sozialwissenschaften zwar aber einen Beitrag leisten, sie können nicht die Entscheidungen in den einzelnen strittigen öffentlichen Fragen abnehmen. Ziel der Social-Studies-Erziehung als politischer Bildung ist jedoch nicht nur die analytische Klärung der Probleme, sondern das selbst verantwortete, auf eigenen Entscheidungen basierende Engagement für die eine oder andere Position, das zu sozialem Handeln führt.

Es wird dabei als selbstverständlich vorausgesetzt, daß das politische Engagement im Rahmen der von der amerikanischen Verfassung formulierten Werte bleibt und daß die bestehende Herrschaftsstruktur in den USA nicht radikal in Frage gestellt wird. Die im Rahmen der New Social Studies fast ausschließlich als Bezugssystem vorausgesetzte Gesellschaftstheorie ist der Pluralismus. In dem von ihm gebildeten Rahmen können Konflikte ausgetragen werden. Dabei wird die Fiktion aufrechterhalten, daß alle Schichten bzw. Klassen das gleiche Recht und die gleichen Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen haben. Es wird aber im allgemeinen übersehen, daß die unteren Schichten keineswegs die gleichen Chancen haben, ihre Interessen mit Hilfe der von einer pluralistischen Gesellschaft tolerierten Mittel (etwa der Massenmedien) durchzusetzen. Das heißt: Die Pluralismusideologie erfüllt die Funktion, Freiheiten und Möglichkeiten der politischen Interessenvertretung vorzutäuschen, die in Wirklichkeit für breite Schichten der amerikanischen Gesellschaft nicht existieren.

II. Heuristische Methoden

1965 stellte Shaver in seiner Studie von 93 Texten über das amerikanische Regierungssystem fest, daß die Reflexion gesellschaftlicher Vorgänge in den Schulen nicht gefördert wird, da sich diese Texte nicht eigneten, 1. gesellschaftliche Probleme zu behandeln, 2. systematisch die pluralistische Gesellschaft zu begreifen, 3. Wertkonflikte zu durchschauen, 4. Jugendlichen ein realistisches Verständnis der gesellschaftlichen Fragen und Probleme zu vermitteln

Das Erlernen „reflektierenden Denkens" gilt als ein zentrales Lernziel der Social Studies, da es den Schüler in die Lage versetzen soll, 1. sich in neue Wissensbereiche schnell und gut einzuarbeiten — eine Fähigkeit, der bei der gewaltigen Wissensexplosion besondere Bedeutung zukommt —, 2. sich Problemen und Wertkonflikten gegenüber kritisch und rational zu verhalten, 3. die so erarbeiteten Kennt-pisse leicht zu transferieren.

Deweys „How we think" kann als die programmatische Gründungschrift einer Bewegung angesehen werden, die für die Verwendung heuristischer Methoden im Unterricht eintritt In der pädagogischen Diskussion tauchen heuristische Methoden unter den Begriffen „Problemlosen" oder „induktive Methode", „kreatives Denken", „wissenschaftliche Methode“, „Forschungsmethode" (inquiry method) oder „Entdeckungsmethode“ ’ (discovery method) auf. Im folgenden gebrauchen wir „heuristische Methoden" als überbegriff für die verschiedenen genannten Methoden

Für Dewey zielen diese Methoden auf „ein reges, andauerndes, sorgfältiges Prüfen von etwas, das für wahr gehalten wird, und zwar im Lichte der Gründe, auf die sich die Ansicht stützt, und der weiteren Schlüsse, denen sie zustrebt" Er sieht fünf Phasen des Denkens, in denen es sich vom Stadium des Zweifelns zur Gewißheit bewegt:

a) Eingebung b) verstandesmäßige Umsetzung in Probleme c) Hypothese d) intellektuelle Ausarbeitung e) Testen der Hypothese

Diese Phasen sind in der amerikanischen Diskussion über Unterrichtsmethoden immer wieder aufgetaucht und zum Teil leicht verändert gesehen worden. Durch die beherrschende Stellung der Wissenschaftler in der Curriculumentwicklung findet die für die Wissenschaften konstitutive Forschungshaltung als Methode des Unterrichts verstärkt Eingang in die Social Studies. Sie ist in der Theorie die am meisten verbreitete Lehr-und Lernmethode, und es gibt kaum Theorien, die der Notwendigkeit der Einübung dieser Methode widersprechen. So groß das allgemeine Bekenntnis zu ihr ist, so selten entspricht ihm das stark strukturierte Unterrichtsmaterial. Auch sind Lehrer oft nicht in die Lage, die Schüler in die „inquiry“ -Methode einzuführen Dennoch scheint sie sich langsam im Unterricht der Social Studies durchzusetzen. Selten aber wird sie auf die Bestimmung und Auswahl der Unterrichtsgegenstände angewandt. Man greift im allgemeinen zu ihr nach erfolgter Auswahl der Lernziele und der Thematik durch den Lehrer.

So ist ihr Geltungsbereich beschränkt und gewährt den Schülern kaum Freiheit in substantiellen Fragen, etwa in den Entscheidungsfragen über Zielsetzung und Thematik des Unterrichts. Umstritten ist in der Theorie das Maß an methodischer Freiheit, das die Schüler fruchtbar bewältigen können. Die Standpunkte reichen von minimalen Spielräumen bei der „guided inquriy" bis zur wirklichen Forschung durch Schüler, in der auch Freiheit in Fragen der Auswahl von Unterrichtsinhalten besteht. Mit Richard Suchmann kann man aus einer Fülle von Ergebnissen aus Forschungen über Auswirkungen von Lehrstrategien auf den Lernprozeß folgende Schlußfolgerungen ziehen: „Es ist ein klares Ergebnis der Erforschung von Lehrstrategien: je aktiver und autonomer der Lernende in einem Lernprozeß wird, je mehr Verantwortung er für Entscheidungen hinsichtlich der Sammlung und Interpretation von Informationen selbst übernimmt, desto bedeutungsvoller wird das Lernen und desto größer wird die Motivation des Lernenden."

Damit tritt Suchmann für einen großen Freiheitsspielraum zur Steigerung der Effektivität dieser Lehrmethode ein. Für ihn ist seine Einschränkung Verlust des Wertes der Methode. Er definiert sie entsprechend als „Lernen, das von dem Lernenden selbst angebahnt und kontrolliert wird, als ein Mittel zur Erweiterung seines eigenen Verständnisses vom Forschungsprozeß"

Um von forschendem Lernen (inquiry method) zu sprechen, müssen drei Bedingungen erfüllt werden.'1. Der Schüler muß in eine Lernsituation gestellt werden, die ihn herausfordert. Das geschieht bei widerstreitenden Ereignissen, die eine Dissonanz im kognitiven System des Schülers schaffen. Durch sie findet eine Eingangs-Lernmotivation statt, welche Initiation in den Forschungsprozeß ist. 2. Forschendes Lernen kann freilich nur in einem Klima der Freiheit des Schülers stattfinden. Freiheit muß bei der Mitbestimmung der Lernziele und der Auswahl der Themen gewährt werden. Sie muß sich außerdem auf den Datensammlungsprozeß und die Entwicklung von Hypothesen erstrecken. Es kann davon ausgegangen werden, daß optimale Lernleistungen nur bei Bedingungen erreicht werden, die für jedes Individuum optimal sind. An ihrer Optimierung muß der Schüler notwendig selbst beteiligt werden. 3. Es muß eine Lernumgebung geschaffen werden, welche die Eigentätigkeit der Schüler anregt und begünstigt. Sie sollte Material und Daten zur Fragen-und Hypothesenbildung anbieten. Dazu gehören auch Hilfestellungen seitens älterer Schüler und seitens des Lehrers.

Diese auf die Selbsttätigkeit der Schüler gerichtete Methode zielt auf die Entwicklung einer bestimmten Haltung gegenüber dem Lernen. Hinter ihr steht eine Erziehungsphilosophie, deren zentrale Werte in der Weltoffenheit und in der Emanzipation des Schülers liegen. Es gibt viele Wege, auf denen das Forschen stimuliert werden kann. Einer von ihnen ist die Einführung eines schwierigen fremdartigen Gegenstandes, der die Phantasie herausfordert. Dabei gilt es, dem Schüler etwas vorzuenthalten, was seine kognitiven und affektiven herausfordert.

Im forschenden Prozeß sind vier Elemente wichtig:

Die Formulierung von Fragen, die hypothetische Entwicklung von Theorien durch Informationssammlung, die Prüfung dieser Theorien an der Realität, die Bereitschaft zur permanenten Überprüfung der gewonnenen Ergebnisse.

Es finden sich innerhalb der New Social Studies verschiedene Versuche, die Forschungsmethode für die Bedürfnisse der verschiedenen Fächer zu spezialisieren. Es sollen hier exemplarisch Fentons Ergebnisse dargestellt werden, die er für die Anwendung der Methode im Geschichtsunterricht gewonnen hat. Er benennt sechs Stufen, die er noch weiter unterteilt. „ 1. Erkennen eines Problems aus Daten 2. Formulierung von Hypothesen a) Stellen analytischer Fragen b) Aufstellung von Hypothesen c) Ständiges Bewußtsein der Versuchs-natur von Hypothesen 3. Erkennen der logischen Implikationen von Hypothesen 4. Sammlung von Daten a) Entscheidung, welche Daten gebraucht werden b) Wählen und Verwerfen von Quellen 5. Analyse, Bewertung und Interpretation von Daten a) Selektion relevanter Daten b) Auswertung relevanter Quellen (1) Bestimmung des Bezugsrahmens eines Autors (2) Bestimmung der Richtigkeit von faktischen Aussagen c) Interpretation der Daten 6. Überprüfung der Hypothesen aus Daten a) Modifizierung der Hypothesen, wenn nötig (1) Ausschluß von logischen Implikationen, die nicht von Daten unterstützt werden (2) Neuformulierung der Hypothese b) Formulierung einer Generalisation" 2).

Es kann im Rahmen dieses Beitrags keine ausführliche Kritik dieser Stufen geliefert werden. In welche Richtung sie zielt, sei jedoch angedeutet. Problematisch ist, was diese Stufen für den Unterricht bedeuten sollen. Ist daran gedacht, daß der Lehrer den Schüler durch jede Stufe führt? Dann kann nur bedingt von Forschungsmethode gesprochen werden, da für den Schüler keine Möglichkeit der Selbstbestimmung besteht. Oder sind es Stufen, die der Schüler im Untersuchungsprozeß durchläuft? Dann kann es sich nur um idealtypische Stufen handeln. Die Wirklichkeit des forschenden Lernens wird in diesem Schema nur mittels eines Beschreibungsmodells gedeutet; sie sieht anders aus. So brauchen sicher nicht alle Stufen mit ihren „Unterstufen" immer durchlaufen zu werden, um „forschendes Lernen" stattfinden zu lassen. Auch müßte Kritik an der Formulierung der einen oder anderen Stufe einsetzen, wenn man schon das in der modernen Lernpsychologie verworfene Stufenmodell akzeptiert. Immerhin ist es der Versuch eines Historikers, für seine cürriculare Arbeit das Problem des forschenden Lernens zu klären; es hat als solches in den Diskussionen über heuristische Methoden in den Social Studies viel Aufmerksamkeit gefunden.

Drei Defizite im Bereich heuristischer Methoden gilt es abschließend zu formulieren: Erstens fehlen befriedigende empirische Untersuchungen zur Evaluation der Methoden in den Social Studies. Dabei käme es vor allem auf schwierig zu entwerfende Effektivitätsuntersuchungen und auf Bereichsuntersuchungen an. Hierbei geht es darum, Bereiche zu erarbeiten, in denen heuristische Methoden in der einen oder anderen Modifikation effektiv sind. Es gilt aber auch, Bereiche abzugrenzen, in denen sie wenig ergiebig sind. Zweitens müssen die Versuche verstärkt werden, heuristische Methoden zu implementieren, was neue Anforderungen an die Lehrerbildung und Lehrerfortbildung stellt. Drittens gilt es, in verstärktem Maße Unterrichtsmaterial herzustellen, dessen Autoren nicht nur von forschendem Lernen sprechen, sondern denen es auch gelingt, ihr Material so auszulesen, daß an ihm heuristische Methoden gelernt werden können.

III. Unterrichtsmaterial

Die Reform der Social Studies in den sechziger Jahren führte zur Herstellung von umfangreichen Unterrichtsmaterialien, überspitzt kann formuliert werden: Die Reform in den Social Studies war eine Revolution in der Produktion von Unterrichtsmaterial.

Angegriffen wurde das traditionelle Unterrichtsbuch, das folgendermaßen kritisiert wurde: 1. Es erfüllt nicht neuere curriculare Zielsetzungen, sondern übermittelt vorwiegend unkritisch die Inhalte der Disziplinen. Dabei tradiert das Schulbuch sich selbst, ohne die sich ändernden Bedürfnisse der Gesellschaft und der Schule zu reflektieren. Palmer fand, daß 82°/0 der Textbücher den Schülern kein Verständnis für sozialen Wandel vermitteln. Kennedy konnte zeigen, daß die Darstellung der mohammedanischen Nationen, Indiens und Israels veraltet waren. Lemmond erforschte, welche Werte in den Schulbüchern vermittelt wurden; Reichtum und Macht erhielten große Aufmerksamkeit, Rechtschaffenheit und Vertrauen geringere. 2. Das Unterrichtsbuch bietet zu wenig methodische Möglichkeiten. Es enthält überwiegend Darstellungen und bietet keine Materialien für selbständige Arbeit der Schüler. Es steht dabei dem forschenden Lernen entgegen, bei dessen Realisierung es nur zum Teil auf das Erlernen von bereitgestellten Daten ankommt Da das traditionelle Unterrichtsbuch dies nicht leistet, müßten wenigstens Arbeitsbücher hergestellt werden. 3. Die einseitige Betonung des verbalen Lernens ist nicht zeitgemäß. Der außerschulische Bereich, vor allem das Fernsehen, überschüttet die Schüler mit Informationen, bei denen durch das audiovisuelle Medium wichtige Lernprozesse stimuliert werden. An ein derartiges Lernen, das viele medienspezifische Vorteile hat, sind die Schüler gewöhnt. Fehlt es in der Schule, werden die didaktischen 27 Möglichkeiten des Mediums nicht genützt und werden die Schüler einer ihnen vertrauten Form des Lernens beraubt.

4. Ein überwiegend verbales Medium wie das Schulbuch begünstigt Kinder der Mittelschicht und diskriminiert Unterschichtenkinder.

Aus diesen Gründen begannen am Anfang der sechziger Jahre Lehrmittelverlage und vom Erziehungsministerium und von Stiftungen unterstützte Gruppen, Mehrmedienmaterialien zu entwickeln. Im allgemeinen enthalten diese Materialien, die oft halb-oder gar mehrjährige Kurse sind, genaue Zielangaben. Sie umfassen Lernziele im kognitiven, affektiven und manchmal im psycho-motorischen Bereich; z. T. sind sie als Verhaltensziele formuliert. Die Zielangaben richten sich auf inhaltliche und methodische Erkenntnisse, oft jedoch auch auf Fertigkeiten. Die Mehrmedienkurse enthalten neben Bänden mit Darstellungen auch Arbeitsmaterialien in Form von Quellen, Statistiken und anderen Daten. Sie enthalten alle ein Handbuch für den Lehrer, in dem er auf didaktische und methodische Probleme aufmerksam gemacht wird. Sie bieten Hinweise für eine Ausweitung der Kurse und auf Möglichkeiten zur Evaluation der Lernergebnisse. Sie umfassen Schallplatten und Lichtbildreihen (Strips), die Probleme und Informationen im audiovisuellen Bereich antragen. Auch gibt es besondere Materialien, z. B. Simulationsspiele, die für die Kleingruppenarbeit hergestellt werden. In den meisten Kursen liegt die Entwicklung der Instrumente zur Evaluation der Lernergebnisse noch im argen. Die vorliegenden Tests sind dürftig und begnügen sich mit dem Erfassen faktischen Wissens. Selten prüfen sie den Transfer von gewonnenen Erkenntnissen. Viele vorliegende Materialien sind nicht ausgereift und enthalten inhaltliche oder methodische Fehler. Auch sind erst in letzter Zeit Materialien für unterschiedliche Anspruchsniveaus entwickelt worden, z. B. Kurse für die sogenannten langsamen Lerner Oft stehen kommerzielle Gesichtspunkte einer Überarbeitung der Materialien entgegen. 1969 stellte Sid Lester einen Führer durch die in den New Social Studies entwickelten Programme zusammen. Er umfaßte rund 100 Curricula sehr unterschiedlicher Qualität. Das Social Science Education Consortium in Boulder verfügt über eine Bibliothek mit Curriculum-materialien. Sie enthält etwa 50 Curricula. Ein kritischer Überblick über die Curriculumproduktion in den New Social Studies enthält 26 Projekte Sie lassen sich in vier Gruppen unterteilen: 1. Gesamtprojekte (comprehensive projects), 2. disziplinorientierte Projekte, 3. landschaftsorientierte (area oriented) Projekte, 4. Projekte mit speziellen Zielsetzungen.

Manche Curricula umfassen den Gesamtbereich der Schule vom Kindergarten bis zur 12. Klasse, wie z. B. das Curriculum der Universität Minnesota; die Mehrzahl ist jedoch auf bestimmte Altersgruppen und Schulstufen beschränkt. Unter der Gruppe „Gesamtprojekte" sind z. B. Fentos High School Social Studies Curriculum (9. bis 12. Klasse) oder Tabas Curriculum (1. bis 8. Klasse) zu erwähnen. Disziplinorientiert sind überwiegend die von den nationalen Berufsverbänden entwickelten Curricula, z. B. das High School Geography Project (9. Klasse) oder das Sociological Resources for the Social Studies Project (9. bis 12. Klasse) oder das Anthropology-Project (9. Klasse) der Universität Chicago. Aber auch ECON 12, das 'Ökonomie-Curriculum des San Jose State College, und das Elementary School Economic Program der Universität Chicago gehören zu dieser Gruppe.

Landschaltsorientierte Curricula sind das Asian Studies Inquiry Project (10. Klasse), das von Michaelis entwickelt wurde, das Project Africa (7. Klasse) und die World Studies Inquiry Series (7. Klasse). Zu den Projekten mit speziellen Zielsetzungen gehören Olivers Harvard Social Studies Project und das Law in American Society Project.

Die meisten dieser Projekte versuchen, die Geschichte aus ihrer dominierenden Stellung zu verdrängen. Viele sind interdisziplinär oder multidisziplinär; zum größten Teil orientieren sie sich an Bruners Vorstellungen von der „Struktur eines Faches" mit entsprechender Betonung des heuristischen Lernens; nur wenige thematisieren Wertkonflikte. Einige erörtern asiatische und afrikanische Probleme, wobei im allgemeinen die gründliche Behandlung einzelner Fragen der Vermittlung von überblickswissen vorgezogen wird.

Fentons Materialien dürften mit einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren in zwei Jahren zusammen mit Olivers AEP-Materialien zu den auflagestärksten gehören. Qualitativ sind die von Wissenschaftlern unter Verwendung öffentlicher Gelder oder mit Unterstützung von privaten Stiftungen entwickelten Materialien im allgemeinen besser als die der mehr am Gewinn orientierten Verlage. Gewaltige Summen sind für die Entwicklung derartiger Projekte nötig. Preiswerte Curricula wie Fentons kosten einige hunderttausend Dollar, teurere wie das Geographieprojekt 21/2 Millionen Dollar. Um einen Eindruck von der Art der Curricula zu vermitteln, sei als ein Beispiel „Man — a Course of Study" kurz beschrieben.

Nach mehr als fünfjähriger Entwicklungszeit lag das Curriculum Ende 1969 in seiner Verkaufsfassung vor. Der Kursus umfaßt 22 Heftdien verschiedenen Stils und mit unterschiedlicher Zielsetzung, die das übliche Textbuch ersetzen. Manche enthalten Datensammlungen, andere betonen bestimmte Vorstellungen wie Struktur, Adaptation oder enthalten Übungen und Beobachtungsaufgaben oder Lieder, Geschichten und Spiele. Ziel war es, durch Inhaltsüberschneidungen in verschiedenen Medien immanentes Wiederholen zu ermöglichen und höhere Lernmotivation zu erreichen. Der Kursus schließt 16 Filme, 13 Lichtbildreihen und Schallplatten, 9 Karten und Photographien und 8 Spiele ein. Ebenso gehören 7 Lehrerhandbücher und Evaluationshilfen dazu. Die Verwendung des Kurses ist nur möglich, wenn eine entsprechende Ausbildung der Lehrer erfolgt ist, auf die als ein Verbreitungsmodell im nächsten Abschnitt näher einzugehen ist.

Das Curriculum geht von drei Hauptfragen aus: Was ist das Menschliche am Menschen? Wie wurden die Menschen, wie sie sind? Wie können Menschen „menschlicher" gemacht werden? 10-bis 12jährige Schüler sind die Adressaten. In diesem einjährigen Kursus wird versucht, Probleme und Vorstellungen im Rahmen der drei Grundfragen zu vermitteln. Dazu werden folgende allgemeine Lernziele formuliert, deren Erreichung das Curriculum anstrebt: Die Schüler sollen Vertrauen in ihre eigenen geistigen Kräfte gewinnen. Sie sollen Achtung vor der Macht des Gedankens über die menschliche Situation, des Zustandes und der Möglichkeiten des Menschen bekommen. Ihnen sollen arbeitsfähige Modelle zur Analyse der sozialen Welt, in der sie leben, der Situation, in der der einzelne sich selbst findet, vermittelt werden. Sie sollen Verständnis für die Fähigkeiten des Menschen als Spezies im Gegensatz zu anderen Lebewesen gewinnen. Sie sollen Interesse für die menschliche Situation in allen ihren Formen und Ausprägungen in verschiedenen Rassen und Kulturen erhalten

Die Fragen nach dem Menschen werden im Kontrast zu tierischem Verhalten eingeführt. In der Einheit über den Lebenszyklus wird die Überlappung der Generationsphasen gezeigt. Die Darstellung des Verhaltens von Lachsen, bei denen ohne elterlichen Schutz genügend Fische überleben, so daß die Spezies am Leben bleibt, stimuliert die Frage nach der Bedeutung der elterlichen Sorge für die Entwicklung des Menschen. Durch Filme und Feldstudien können die Kinder herausfinden, wie instinktive Mechanismen bei den Lachsen wirken, und so die Unterschiede zum Menschen entdecken.

Die zweite Einheit basiert auf den Erkenntnissen von Lorenz und Tinbergen. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Verhalten der Herings-möwen. Mit dem Studium der Möwen werden weitere Vorstellungen über das Verhalten von Tier und Mensch eingeführt, etwa durch die Beobachtung, daß junge Möwen sich ihre Nahrung durch das Pochen an den Schnäbeln der alten verschaffen müssen. Es wird in einer Einführung für Kinder erklärt, daß die Struktur eines Körpers seinen Funktionen entspricht und daß alles Verhalten auf das überleben einer Spezies ausgerichtet ist.

Die dritte Einheit beschäftigt sich mit Pavianen. Sie basiert auf Feldforschungen, die Scherwood Washburn und Irven de Vore in Kenia in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren unternommen haben. Sie handelt von der Rolle der Dominanz bei der Bestimmung der Gruppenstruktur und des individuellen Verhaltens der Gruppenmitglieder. Aggressions-, Verteidigungs-, Ernährungs-, Versorgungsinstinkte werden den Schülern nahe-gebracht. Höhepunkt des Kurses ist die Einheit, in der die Netsilik-Eskimos, ein Beispiel der traditionellen Eskimo-Kultur, dargestellt werden. Sie basiert auf den Forschungen des Dänen Rasmussen zwischen 1963 und 1965, die umfassende Aufzeichnungen dieser Kultur liefern. Die Schüler können Unterschiede und Varianten zum eigenen Leben entdecken, aber auch die Ähnlichkeiten, ja die identischen Strukturen in der Verfremdung aufspüren.

IV. Lehrerbildung

Bei der Einführung curricularer Innovationen kommt dem Lehrer zentrale Bedeutung zu. Seine vorberufliche Ausbildung ist ein entscheidender Punkt der Reformbemühungen in den Social Studies. Zahlreiche Untersuchungen, z. B. die Hansens über Sekundarschulcurricula in der 7. bis 12. Klasse, zeigen, daß Social-Studies-Lehrer mindestens vor dem Beginn der Reformen nicht gut ausgebildet waren. Vielfältig sind die Bemühungen, die Lehrerbildung zu verbessern. Daher ist es unmöglich, in diesem Abschnitt mehr als nur einige Punkte hervorzuheben, in denen in den letzten Jahren Verbesserungen stattfanden. Der junge Lehrer benötigte bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein mindestens den B. A. (Bachelor of Arts), heute wegen des verbreiteten Lehrerüberschusses oft auch für die Primarschule den M. A. (Masters of Arts). Die amerikanische Lehrerausbildung bis zum B. A. umfaßt drei Teile, auf die sich die 120 erforderlichen Stunden des Gesamtstudiums zu je einem Drittel verteilen: Kurse in Allgemeinbildung, berufsbezogener Pädagogik und spezifischen Fächern.

Bei der Faktorenanalyse von Schülern, die gute bzw. schlechte Leistungen im Verständnis grundlegender sozialer Vorstellungen und Begriffe aufwiesen, ergab sich eine große Korrelation zwischen dem Ausmaß der Fach-studien der Lehrer während der College-Ausbildung und den Leistungen der Schüler. In der geringen fachspezifischen Ausbildung bis zum Bachelor of Arts liegt oft ein wesentlicher Grund für mangelnde Unterrichtsqualität. Erst bei dem Studium für den Master of Arts besteht die Möglichkeit zur stärkeren Vertiefung in einem Spezialfach, das heute Voraussetzung für den Unterricht in den Klassen der High School ist. Die Grundschullehrer unterrichten meistens alle Fächer; tausende hatten kaum mehr als drei oder vier Kurse in den Sozialwissenschaften belegt. Es kann daher nicht erwartet werden, daß sie tiefere Einsichten in die Wissenschaft gewonnen haben.

Selbst die Lehrer der Junior und Senior High School, die als Hauptfach oder Nebenfach eine sozialwissenschaftliche Disziplin studiert haben, haben fast immer Geschichte gewählt. Blacks Untersuchung von 400 Sekundarschullehrern in den Klassen 7 bis 12 ergab, daß die meisten 18 Stunden oder mehr in einem Fach, meist Geschichte, und wenige Stunden in ein bis drei Sozialwissenschaften belegt hatten. Sie dokumentierte ferner, daß die Schulleiter Bewerber mit Kenntnissen in den fünf Sozial-wissenschaften und Spezialisierung in einem Fach als Social-Studies-Lehrer bevorzugten. Nur wenige Lehrer belegten eine größere Zahl sozialwissenschaftlicher Kurse. Die Veranstaltungen, die sie in einem Fach belegen, werden oft von wenig qualifizierten Dozenten abgehalten. Das gilt vor allem für die kleineren Lehrerbildungsanstalten, an denen die Ausbildung in den Sozialwissenschaften viel zu wünschen übrig läßt. Selbst wenn die Studenten an fachwissenschaftlich guten Vorlesungen und Seminaren teilnehmen, ist oft deren didaktische und methodische Qualität ungenügend.

Durch eine in didaktischer und methodischer Hinsicht bessere Qualifikation der Lehrer an Universitäten und Colleges kann die Qualität des Unterrichts der Schullehrer zunehmen, so lautet eine oft formulierte Hypothese. Zahlreiche Teaching-Teacher-Trainer-Projekte versuchen die Unterrichtsqualität an den Hochschulen zu verbessern. Verbreitung gewannen diese Projekte durch die Erkenntnis, daß Ausbilder von Lehrern Multiplikatoren sind, die gutes oder schlechtes Lehren vermitteln. Könnte die Qualität des Unterrichts dieser Multiplikatoren gehoben werden, so würde mit relativ geringen Kosten auch der Schulunterricht verbessert werden. Die Mehrzahl der „Triple-T-Projekte" ist noch nicht abgeschlossen, so daß ein endgültiges Urteil über ihre Effektivität nicht formuliert werden kann.

Durch Team-Teaching läßt sich die Qualität der sozialwissenschaftlichen Kurse in inhaltlicher und methodischer Hinsicht ebenfalls steigern. Durch Einführung innovativer Lehrund Lernmethoden an den Universitäten könnten diese von den Studenten internalisiert und möglicherweise später leichter beim Unterricht angewandt werden. Auch dem oft unterrichteten Social-Studies-Methoden-Kurs und dem halben Jahr Unterrichtspraxis kommt große Bedeutung für die Einübung von innovativen Unterrichtsstrategien zu. Vielleicht sollten, wie Conant es vorschlägt, häufiger Stellen für „Clinical Professors" eingerichtet werden, die gleichzeitig an der Universität und in der Schule tätig sind, um so die Einführung von Innovationen in den Schulen zu gewährleisten. Auf dem Gebiet der Ausbildung von Lehrern in den Sozialwissenschaften ist noch viel zu tun. Nur selten befriedigen die bestehenden Programme. Es macht sich das Fehlen einer zusammenhängenden Theorie der Social Studies und zufriedenstellender empirischer und theoretischer Untersuchungen über die optimale Ausbildung von Social-Studies-Lehrern bemerkbar.

Ein schwieriges Problem für die Einführung von Innovationen in den Unterricht besteht darin, daß die meisten aktiven Lehrer in ihrer Ausbildung nicht mit den neuen Ansätzen in Berührung gekommen sind. Wie können diese Lehrer für die Ergebnisse der Reform interessiert und für ihre Verwirklichung in der Schule gewonnen werden? Dieses Unterfangen ist Aufgabe der Lehrerfortbildung, für die es in den USA viele Wege gibt. Drei sollen hier skizziert werden.

Der erste zielt auf die Einführung der Lehrer in die Arbeit mit einem Curriculum, die fast immer mehr oder weniger stark mitgeplant ist. Sehr strenge Voraussetzungen gelten für Mana-Course of Study The Education Development Center hat mit vielen Universitäten und Colleges Disseminationsverträge geschlossen. Sechs Institutionen, als regionale Laboratorien bezeichnet, sorgen für die Ermutigung zur Teilnahme an Versuchsprogrammen, die Auswahl der Teilnehmer für Sommerseminare durch die Schulen, die Entwicklung von Lehrerfortbildungsprogrammen durch Schulbezirke, die Organisation örtlicher Seminare im Schuljahr, die Erstellung von Evaluationsinstrumenten, die Durchführung von Trainingskursen in der Lehrerausbildung und -fortbildung durch Colleges und Universitäten. Ein regionales Laboratorium besteht aus einem Koordinator, einem Professor der Sozial-oder Verhaltenswissenschaften und einem Professor der Erziehungswissenschaft. Sie arbeiten während der Sommerkurse direkt mit den Master Teachers zusammen, die wiederum in ihren Schulbezirken andere Lehrer in diese Programme einführen. Während des Schuljahres stehen ihnen die regionalen Zentren in den Schulbezirken für Beratung zur Verfügung. Bei der Unterrichtung der Master Teachers und der Lehrer werden Lehrerhandbücher, Unterrichtsmitschau-und Lehrerausbildungsfilme verwendet. Lehrübungen werden von Kollegen beobachtet und kritisiert. Mana-Course Study verlangt wie kein anderes Curriculum strenge Lehrerausbildungskurse, die von den Schulbezirken gewährleistet werden müssen, wollen sie das Curriculum einführen. Die Hersteller glauben, daß nur so der Kursus getreu seinem Ziel durchgeführt und zugleich verhindert werden kann, daß sein innovativer Charakter verwässert wird. Die meisten Curricula verlangen nicht derart sorgfältige Verträge über vorbereitende Lehrer-fortbildung, wenn auch manche sie empfehlen und gesondert Ausbildungsmaterialien zur Verfügung stellen.

Ein zweiter Weg, curriculare Innovationen in den Schulen einzuführen, liegt in der Einrichtung von sechswöchigen Sommerinstituten, die aus Mitteln des Titels XI des National Defense Education Act finanziert wurden. 1966 waren bereits mehrwöchige Fortbildungsseminare in Geschichte, Geographie, Staatsbürgerkunde und Ökonomie eingerichtet worden. Die teilnehmenden Lehrer, in den USA in den Sommerferien nicht bezahlt, erhielten 75 Dollar Unterhaltszuschuß pro Woche für diese Zeit. Ihre Ausbilder waren meist Universitätsprofessoren. Unterrichtsinhalte bildeten fachwissenschaftliche Probleme, die Einführung in bestimmte Curricula und die Einübung neuer Lehrstrategien und -methoden. Die Effektivität derartiger Institute, die auch aus Mitteln der

National Science Foundation bestritten werden, ist angezweifelt worden, da für die teilnehmenden Lehrer am Ende der Ferienzeit nach dem Sommerseminar kaum Möglichkeiten zur Anwendung der gewonnenen Kenntnisse in ihrem Unterricht, geschweige denn zur Weitergabe ihrer Erfahrungen an Kollegen bestehen. Würden diese Lehrer in den an das Seminar anschließenden Monaten eine Stundenentlastung erhalten, könnten sie ihre neuen Kenntnisse zur Konstruktion von Curriculumeinheiten und zur Beratung von Kollegen verwenden. Dazu fehlen aber oft die schulorganisatorischen Voraussetzungen.

Ein dritter Weg zur Durchsetzung von curricularen Innovationen besteht in dem soge-nannten Experienced Teacher Fellowhip Program des Erziehungsministeriums. Bereits 1965 konnten je 10 bis 25 ausgewählte Lehrer an zehn Universitäten — insgesamt 185 Lehrer — ein Fortbildungsjahr verbringen. Während dieser Zeit konnten sie ihre Kenntnisse in den Sozialwissenschaften erweitern, sich mit der Vielzahl der vorliegenden Social Studies Curricula vertraut machen, sich in die heuristischen Unterrichtsmethoden und in die Probleme der Evaluation von Social-Studies-Unterricht einarbeiten. Eines der besten Programme zur Fortbildung erfahrener Lehrer bietet das Social Science Education Consortium in Boulder an. Bei ihm liegt ein Schwerpunkt auf der Evaluation der Curriculum-materialien. Von dieser Art der Fortbildung ausgewählter Lehrer werden Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts in den Schulen erhofft. Befriedigende empirische Ergebnisse dazu liegen bisher nicht vor. Dennoch soll dieses Programm wie das Triple T und die Sommerseminare in den nächsten Jahren weitergeführt werden.

V. Evaluation

Evaluation ist ein — in Deutschland noch wenig bekannter — zentraler Begriff der Curriculumentwicklung Er soll deshalb kurz definiert werden. Summarisch läßt sich Curriculumevaluation begreifen als die Sammlung, Verarbeitung und Interpretation von Daten mit dem Ziel, bestimmte Typen von Fragen über ein Curriculum zu beantworten und Entscheidungen über dieses Curriculum zu trelfen. Das schließt die objektive Beschreibung von Zielen, Personal, Methoden, Inhalten und Umwelt und die Abgabe persönlicher Urteile über die Qualität und Angemessenheit von Zielen, Personal, Methoden, Inhalten, Umwelt usw. ein.

In vieler Hinsicht steht die systematische Evaluation von Social Studies Curricula erst in ihren Anfängen. Doch zeichnet sich Curriculumevaluation immer mehr als wichtiges Gebiet der pädagogischen Forschung ab Vier Gründe lassen sich dafür nennen, daß eine umfassende Evaluation von Curricula bisher nur zögernd erfolgt ist: 1. Oft reichen die verwendeten Instrumente nicht aus, um komplexe Unterrichtseffekte zu erfassen, so daß es den Meßergebnissen an Relevanz fehlt.

2. In der Lehrerschaft besteht eine starke Abneigung, Unterricht durch Außenstehende evaluieren zu lassen, wie Allens Dissertation deutlich belegt. Die Empfindlichkeit vieler Lehrer ist wohl oft die Ursache für ihre Scheu vor Evaluation. 3. Häufig bestehen unterschiedliche Erkenntnisinteressen bei dem Evaluierenden und dem Lehrer, so daß die Evaluation des Fachmannes dem Lehrer unergiebig erscheint. 4. Die Institutionen, die die Curriculumentwicklung finanzieren, haben auf umfassende Evaluation der Curricula wenig Wert gelegt, da sie sehr kostspielig ist.

Trotz dieser retardierenden Elemente wird Evaluation verstärkt als integraler Bestandteil der Curriculumentwicklung angesehen. Das High School Geography Project gibt bereits ein Beispiel für sorgfältige Evaluation, die großenteils vom Educational Testing Service, einer unabhängigen Institution, durchgeführt wurde Das National Assessment Program und die Studien der International Association for the Evaluation of Educational Achievement sind zwei weitere Beispiele für umfangreiche Evaluationsvorhaben. Wie die Diskussion zwischen Cronbach und Scriven über die verschiedenen Rollen von Evaluation zeigt, ist ihre Hauptaufgabe nicht eindeutig bestimmt. Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß zwei wichtige Bereiche des Curriculum, nämlich seine Voraussetzungen und seine Transaktionen, der Prozeß des Lehrens und Lernens, vernachlässigt worden sind, wie Stake verdeutlicht hat So ist es in diesen beiden Aufgabenfeldern auch nicht zur Entwicklung adäquater Instrumente gekommen.

Evaluation hat in der Curriculumentwicklung vor allem vier Funktionen: 1. Sie kann zur Identifizierung von Schwächen in entwickelten Curricula führen und eine sachgerechte Neufassung gewährleisten. 2. Sie liefert Daten für die Entscheidung über Planung individueller Studiengänge, indem sie die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler diagnostiziert. 3. Sie verhilft zur Verifizierung oder Falsifizierung von curricularen Hypothesen und Theorien.

4. Sie ermöglicht den Vergleich von Curricula und bietet wissenschaftlich ermittelte Kriterien für die Entscheidung über ihre Anschaffung oder Ablehnung durch Schulverwaltung und Lehrer.

Cronbachs 1963 erschienener Aufsatz „Evaluation for Course Improvement wurde ein wichtiger Einschnitt in der Theorie der Evaluation. Er definiert Evaluation als „Sammlung und Nutzung von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen über ein Erziehungsprogramm zu ermöglichen" Es ist wichtig, daß das Curriculum bei den Schülern einen allgemeinen Zuwachs an Kenntnissen erbringt und die Urteilsfähigkeit über die Beherrschung spezifischer Lektionen hinaus steigert. Die Effekte des Curriculum auf die Veränderung des Schülerverhaltens sollten im Rahmen der Curriculumevaluation untersucht werden: „Wenn Evaluation im Dienst der Verbesserung von Kursen ausgeführt wird, so ist das Hauptziel, zu ermitteln, welche Auswirkungen der Kursus hat, d. h. welche Veränderungen er in den Schülern hervorruft."

Eindeutig bestimmt Cronbach als wichtigste Aufgabe der Evaluation die Verbesserung der Curricula: „Der größte Dienst, den Evaluation leisten kann, liegt darin, diejenigen Aspekte des Kurses zu identifizieren, deren Überarbeitung wünschenswert ist."

Evaluation muß einen permanenten, die Curriculumentwicklung begleitenden Revisionsprozeß einleiten, so daß ein optimales Curriculum auf den Markt kommt. Sie soll während der Entwicklung des Curriculum zur Neufassung schwächerer Teile führen; sie mag zur Gewinnung theoretischer curricularer Einsichten führen, die generalisierbar sind. Cronbach führt aus, daß Hauptzweck der Evaluation nicht der Vergleich verschiedener Curricula sein kann: „Das Ziel, einen Kursus mit einem anderen zu vergleichen, sollte die Pläne zur Evaluation nicht beherrschen."

Denn es sei schwierig, die Bedingungen herzustellen, unter denen ein angemessener Vergleich möglich ist, da Schülern und Lehrern kaum verheimlicht werden kann, daß sie in einer experimentellen Gruppe sind, was notwendig zur Veränderung ihres Verständnisses und so zum Abweichen vom normalen Verhalten führt. Im Unterschied zu der Evaluation individueller Schüler und ihrer Leistungen geht es bei der von Cronbach zuerst betonten Aufgabe der Evaluation, die Scriven später als formative Evaluation bezeichnet hat, um die Optimierung des Curriculum in einem permanenten Prozeß der Revision seiner Teilstücke. Darüber hinaus möchte auch Cronbach den Gesamteffekt von Curricula auf „Haltungen, Berufswahl, allgemeine Verständnisfähigkeit und geistige Fähigkeiten" 53) erfaßt sehen Hier stößt der Evaluierende auf große methodische Schwierigkeiten, zu deren Meisterung herkömmliche Methoden vielfach nicht ausreichen. Die zuletzt dargestellte Art der Evaluation der sehr komplexen Lerneffekte des Curriculum nennt Scriven summative Evaluation. Formative und summative Evaluation kennzeichnen zwei verschiedene, gleichwichtige Funktionen der Evaluation. Cronbach, der in dem oben zitierten Aufsatz das Schwergewicht auf formative Evaluation legt, tritt für einen Methodenpluralismus ein, der die Vorherrschaft der „Bleistift-Papier-Evaluation" ersetzt. Dabei gilt es, entsprechend dem Erkenntnisziel verschiedene Methoden der Evaluation zu wählen. So hält er die Befragung von Wissenschaftlern, ob Äußerungen und Ansichten im Kursus mit den augenblicklichen Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmen, für eine Hilfe zur Evaluation. „Man kann das Bedürfnis für pragmatisches Testen des Curriculum akzeptieren und dennoch Meinungen als Quelle für Evidenz benutzen." 54) Im weiteren tritt er für die systematische Beobachtung des Unterrichts mit besonderer Berücksichtigung des Lernprozesses und der Interaktionen ein.

Für die Evaluation eines Curriculum schlägt Cronbach die Einrichtung einer Gesamtheit mit 700 verschiedenen Items vor. Diese sollten beispielsweise in Bündeln von siebenmal 100 verschiedenen Items sieben verschiedenen Schüler-gruppen zu je 50 Personen vorgelegt werden. Dabei wird man mehr Informationen über das Curriculum erhalten, als wenn z. B. 100 gleiche Items einzelnen der Grundpopulation Schüler vorgelegt von 350 würden. Es sollen nach Cronbach auch Fragen ohne vorgegebene Antworten in stärkerem Maße zur Evaluation ausgeteilt werden. Ferner sollten solche Fragen gestellt werden, deren Beantwortung nicht ohne weiteres aus dem Lernen des Curriculum erfolgt. Ob ein Curriculum zur Erreichung von Transfer-Fähigkeiten beigetragen hat, ist zu untersuchen. Cronbach greift damit eine verbreitete Testpraxis an, in der nur die Lernziele des unterrichteten Curriculum abgefragt werden, und tritt für die Evaluation anderer „wertvoller" Lernergebnisse ein, wie der Transferfähigkeit. Bei dem National Assessment of Citizenship und der College Entrance Examination geht es trotz unterschiedlicher Erkenntnisinteressen nicht um die Evaluation bestimmter Curricula, sondern um die Erfassung von Ansichten und Kenntnissen, die ein Staatsbürger haben sollte und die für den Eintritt in eine Universität oder ein College vorausgesetzt werden. Es geht also weitgehend um die Formulierung kursunabhängiger Items.

Cronbachs Sicht der Evaluation ist nicht unwidersprochen geblieben. Hier gilt es, einige Vorstellungen Scrivens heranzuziehen. Sie haben auch wegen der grundlegenden Unterscheidung von formativer und summativer Evaluation, mit der zwei verschiedene Aufgabenfelder gekennzeichnet werden, Verbreitung gefunden. Scriven widerspricht Cronbach in der Hochschätzung der formativen Evaluation nicht, er betont lediglich, daß der summativen Evaluation gleiche Bedeutung zukommt, da sie zwar eine andere Funktion hat, diese aber nicht ohne weiteres als weniger wichtig abgetan werden kann. Für diese letztere komplexe Evaluation sollten besonders ausgebildete, nicht an der Curriculumentwicklung beteiligte Experten herangezogen werden, während erstere auch von den Curriculumentwicklern selbst geleistet werden kann. Eine summative Evaluation wird trotz der hohen Kosten, die mit ihr verbunden sind, aus folgenden Gründen nötig, denen sich vor allem der Projektleiter und die geldgebende Institution nicht verschließen sollten: 1. Sie gewährleistet die Gewinnung von Kenntnissen, die im Material potentiell stecken. 2. Sie evaluiert das gesamte Curriculum einschließlich der Lehrer-aktivität und der Voraussetzungen bei den Schülern. 3. Summative Evaluation muß auch Verfahren entwickeln, über die Lernziele selbst zu urteilen, d. h. sie zu evaluieren.

In dem weiteren Verlauf seiner Ausführungen unterscheidet Scriven zwischen „intrinsischer" und „Ergebnis" -Evaluation, wodurch er zwei Verfahren kennzeichnet. Intrinsische Evaluation richtet sich auf das Curriculum selbst, auf Inhalte, Ziele, Notengebung usw., ohne seine Wirkungen auf die Schüler zu untersuchen. Ihre Ziele sind meist nicht operational definiert. In der Ergebnisevaluation wird versucht, die Wirkung des Curriculum auf Schüler, z. B. durch den Vergleich von Vor-und Nachtest, festzustellen. Sie fordert die Operationalisierung des Curriculum. Eine Mischform beider Verfahren, die sich am stärksten empfiehlt, nennt Scriven „mediated“ Verfahren.

Es kann in diesem Zusammenhang nicht auf die Ausführungen Scrivens zur Theorie dieser drei Verfahren eingegangen werden. Hier sollte nur der Versuch gemacht werden, eine kurze Übersicht über einige Probleme der Evaluation zu geben, die in den USA diskutiert werden und vor denen die Evaluation von Social-Studies-Curricula steht, vor allem wenn sie ihre Aufgaben im Prozeß der Curriculumentwicklung und der Verbreitung erfüllen will. Die Probleme der Evaluation haben in den letzten Jahren zunehmende Beachtung gefunden. Die Diskussion über eine Theorie der Evaluation ist in vollem Gange. So dürften für die nächsten Jahre auch weitere Fortschritte in der Methodologie und Technologie der Evaluation zu erwarten sein. Für die künftige Curriculumevaluation in der Bundesrepublik sind die bisherigen Ergebnisse der Evaluationsforschung in den USA von großer Bedeutung, da bei uns in diesem Bereich kaum vergleichbare Ansätze bestehen.

VI. Folgerungen für die Curriculumreform in der Bundesrepublik

Von den New Social Studies können zahlreiche Anregungen für die Reform des entsprechenden Bereichs in der deutschen Schule ausgehen, da unsere Situation in mancher Hinsicht den Social Studies vor dem Anfang der Reform vergleichbar ist. So bedarf z. B. die zentrale Stellung der Geschichte der Überprüfung. Bei einer Definition der Ziele des Teils des Curriculum, der heute von den Fächern Geschichte, politische Bildung, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde besetzt ist, würde sich sicherlich ergeben, daß die Sozialwissenschaften einen viel stärkeren Beitrag zur Operationalisierung der Lernziele leisten müßten. Die Schule muß sich — das lehren auch die amerikanischen Erfahrungen — den Sozialwissenschaften öffnen, will sie den Anforderungen der modernen Industriegesellschaft gerecht werden. Wie im 19. Jahrhundert die Naturwissenschaften einen festen Platz im Fächer-kanon der Schule erhielten, so müssen endlich die Sozialwissenschaften im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zur Erreichung der Lernziele eines schulischen Gesamtcurriculum stärker herangezogen werden. Dabei dürften der Soziologie, der Psychologie, der Sozialpsychologie, der Anthropologie und der Ökonomie besondere Bedeutung zukommen.

Nach dem heutigen Stand der Theorienbildung innerhalb der Curriculumforschung sind die Ergebnisse vieler großer amerikanischer Curriculumprojekte kritisch zu betrachten, bei denen die Lernzieldefinition vorwiegend von der „Struktur" der wissenschaftlichen Disziplin aus erfolgte. Durch diesen Ansatz — auch wenn seine Folgen durch formative Evaluation gemildert werden — kommt es leicht zu einer Vernachlässigung der Interessen und Bedürfnisse der Schüler. Außerdem entgehen auch oft gesellschaftlich wichtige Ziele und Probleme der Aufmerksamkeit, so daß leicht ein apolitisches Curriculum entsteht. Obgleich die Sozialwissenschaften einen entscheidenden Beitrag bei der Operationalisierung der Lernziele leisten können, ist ihr Beitrag zur Aufstellung der schulischen Bildungs-und Lernziele begrenzt.

Die Berücksichtigung der Sozialwissenschaften darf nicht unter dem Gesichtspunkt der Repräsentiertheit der Disziplinen im Gesamtcurricu lum erfolgen. Sie darf nicht — wie z. T. in der USA — zur Verdeckung gesellschaftlich wich tiger Fragen führen. Diese müssen vielmehr ir einem auf die soziale Realität bezogenen Cur riculum berücksichtigt werden, auch wenn sic ihren Niederschlag noch nicht in den Sozial Wissenschaften gefunden haben. Auch sollte der Schüler nicht als „tabula rasa" begriffer werden, in die Ziele und Inhalte sozialwissen schaftlicher Curricula — nach den Vorstellungen ihrer Produzenten — „eingeritzt" werder können. Jeder Schüler bringt vielmehr bereits eigene — und sei es noch so unzureichende — Vorstellungen von der gesellschaftlich-politischen Realität mit. Sie müssen bei der Herstellung von Curricula berücksichtigt werden Auch sollten Curricula mit sozialwissenschaftlichen Inhalten sich nicht wie z. T. in den USA als apolitisch begreifen. Sie sollten vielmehi ihren Beitrag dazu leisten, die Schüler zu einem kritischen politischen Engagement zu führen, das zu politischem Handeln führt.

Um die Operationalisierung des Bildungsziels „politisch-gesellschaftliches Engagement" bemüht sich Olivers Harvard Public Issues Series. Trotz vieler Unzulänglichkeiten ist es das einzige Projekt, das versucht hat, dieses wichtige Ziel politischer Bildung durch die Analyse öffentlicher politischer Streitfragen und der implizierten Wertvorstellungen operational zu machen. Es dürfte daher für jeden in der politischen Bildung Tätigen wichtige Anregung geben; seine Kenntnis dürfte bei Plänen zur Entwicklung von Curricula für politische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland unerläßlich sein.

In der Bundesrepublik ist das Problem der Unterrichtsmethoden in der Didaktik — sicherlich unter dem Einfluß der geisteswissenschaftlichen Didaktik, die sich als Didaktik im engeren Sinne als „Theorie der Stoffauswahl" verstand — vernachlässigt worden. Die zahlreichen Konzeptionen von Unterrichtsmethoden aus der Zeit der Reformpädagogik sind nur selten aufgegriffen und der veränderten Konzeption der Didaktik angepaßt worden. Auch wurden bei den Bemühungen um die Curriculumreform in den letzten Jahren die Aspekte der methodischen Realisation von Lernzielen und Inhalten bisher kaum berücksichtigt.

Innerhalb der New Social Studies gibt es mehrere beachtliche Ansätze zu Theorien heuristischer Methoden und zu ihrer Erforschung. Darüber hinaus aber hat man sich bemüht, das System „heuristischer Methoden" innerhalb der Curriculummaterialien operational zu machen, d. h. so mit dem Curriculum zu verbinden, daß der prozeßhafte Charakter der Kenntnisgewinnung dem Schüler in der Erarbeitung des Curriculum bewußt wird und er lernt, heuristische Methoden in den verschiedenen Formen zu gebrauchen.

In der Theorienbildung und der Operationalisierung heuristischer Methoden lassen sich für die Curriculumreform bei uns viele Anregungen gewinnen, die dazu helfen können, Rückstände aufzuholen. Der methodischen Dimension der Didaktik kommt wegen der Wissensexplosion in Zukunft große Bedeutung zu. Von der Erlernung heuristischer Methoden z. B. läßt sich ein Beitrag zum „Lernen des Lernens" erwarten, das zur Meisterung der neu entstandenen Probleme beitragen soll. Auch dürfte ihnen als wichtiges methodisches Vehikel zur Emanzipation der Schüler große Bedeutung zukommen.

Die Produktion der vielen Curricula in den USA ist eine Herausforderung für unsere Bemühungen um eine Curriculumreform. Denn erst die Umsetzung neuer Unterrichtsziele und Inhalte mit adäquaten methodischen und lernpsychologischen Konzeptionen in Mehrmediencurricula scheint ihre Einführung in die Schule zu ermöglichen. In der Bundesrepublik Deutschland beherrscht noch immer fast ausschließlich das Unterrichtsbuch die Schule, dessen. Mängel bei uns genau so wie in den USA (vgl. oben) evident sind. Wertvolle medien-spezifische Vorteile, die die audiovisuellen Medien für alle Schüler bieten, werden nur gering genutzt. Daher ist es auch verständlich, daß die Adaptation amerikanischer Curricula bzW. die Neuproduktion von Curricula, die sich am amerikanischen Vorbild orientieren, erwogen wird. So arbeitet eine Gruppe in Bielefeld an der Adaptation der „Social Science Laboratory Units" von Lippitt/Fox/Schaible, bei der es sich um eine kindgemäße Einfüh-

rung in sozialpsychologische Tatbestände (Klasse 4— 6) handelt. Die deutschen Schulgeographen bemühen sich um die Vorbereitung eines raumwissenschaftlichen Curriculum, das sich wenigstens in technologischer Hinsicht am High School Geography Project orientieren soll.

Auch die oben dargestellten Formen der Lehrerbildung und -fortbildung bieten wesentliche Anregungen. Lehrerfortbildung muß ein zentraler Bereich der Bildungsreform werden. Nur wenn die bereits tätigen Lehrer für Innovationen gewonnen werden, besteht eine Chance, die Schulwirklichkeit zu ändern. Dazu bieten sich folgende, oben bereits skizzierte Modelle an:

Sorgfältige Einführung der Lehrer in neue Curricula, sei es durch Lehrerhandbücher oder durch Fortbildungstagungen, mehrwöchige Lehrerfortbildungskurse und die Möglichkeit zu einem halbjährigen oder ganzjährigen Fortbildungsstudium in der Erziehungswissenschaft, unter Umständen mit der Aufgabe, während dieser Zeit bei der konkreten Entwicklung von Curricula mitzuarbeiten.

Auch eine stärkere Berücksichtigung der Erziehungswissenschaften im Rahmen der Lehrerausbildung empfiehlt sich — in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Bildungsrats — aufgrund der amerikanischen Erfahrungen.

Das Triple T-Project sollte desgleichen auf seine-Verwendbarkeit für die Lehrerausbildung in der Bundesrepublik Deutschland bedacht werden. Möglicherweise bietet es durch bessere didaktische Qualifizierung der Lehrer an den Hochschulen und Universitäten eine gute Möglichkeit, auch die Qualität des Schulunterrichts zu heben.

Begreift man Evaluation als die Sammlung, Verarbeitung und Interpretation von Daten mit dem Ziel, bestimmte Typen von Fragen über das Curriculum zu beantworten und Entscheidungen über das Curriculum zu treffen, so wird deutlich, welche Bedeutung dieser Zweig der erziehungswissenschaftlichen Forschung in den nächsten Jahren bekommen wird. Curriculumevaluation wird einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der in der Bundesrepublik Deutschland zu entwickelnden Curricula leisten und den Lehrern helfen, die Curricula auszuwählen, die die Bedürfnisse ihrer Schüler am ehesten treffen. Sie ist ein Kontrollund Bewertungsinstrument der Innovationen im curricularen Bereich und bedarf als solches sorgfältiger Entwicklung.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Curriculumreform der nächsten Jahre in der Bun-desrepublik im thematisierten Bereich kam wesentlich durch die kritische, systematisch, Aufarbeitung der in den New Social Studie während des letzten Jahrzehnts gemachte! Versuche und Erfahrungen gefördert werden Einen Beitrag zu dieser Aufgabe zu liefern war Ziel dieser Ausführungen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Karl-Heinz Rebel, Moderne Unterrichtsformen und Medien im Dienste der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/69, S. 6.

  2. Saul B. Robinsohn, Bildungsreform als Revision des Curriculum, Berlin 1971 3).

  3. Einen guten Überblick über die mit, Curriculum-entwicklung befaßten Institutionen und vor allem über die verschiedenen theoretischen Ansätze und zahlreichen Projekte bietet: Doris Knab, Ansätze zur Curriculumreform in der BRD, in: betrifft: erZiehung, 4. Jg., H. 2, 1971, S. 15 ff.; ebenso: Ludwig Huber, Curriculumentwicklung und Lehrerfortbildung in der BRD, in: Neue Sammlung, 11. Jg., H. 2, 1971, S. 109 ff. Darüber hinaus findet 1971/72 eine Erhebung des UNESCO-Instituts in Hamburg über den Stand der Curriculumentwicklung in der BRD statt.

  4. Am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung wird vom Autor dieser Studie eine umfassende kritische Veröffentlichung über die New Social Studies und ihren möglichen Beitrag zur Curriculumreform in der BRD für 1972 geplant. Teile dieser Veröffentlichung sind bereits erschienen ins Christoph Wulf, Die „New Social Studies“ in den USA, in: Die Grundschule, 3. Jg., H. 4, 1971, S. 19— 24.

  5. Der Terminus „Implementation" bedeutet die Einführung von Innovationen in die Schule mit dem Ziel, durch sie die Unterrichtswirklichkeit zu verändern.

  6. Vgl. Ralph Preston, Teaching Social Studies in the Elementary Schools, New York 1958, S. 32 ff.

  7. Zu Versuchen, Ziele für die Social Studies zu formulieren, vgl.: National Council for the Social Studies, Committee on the Role of the Social Studies; Social Education, 20. Jg., 1962, S. 315 ff. Ebenso: National Association of Secondary-School Principals, Social Studies in the Comprehensive School, in: Bulletin at the NASSP, 45. Jg., 1961. Ebenso: Report of the Statewide Social Sciences Study Committee of the State Curriculum Commission and the California State Board of Education, Social Sciences Education Framework for California Public Schools, Sacramento 1968.

  8. Robert Hess, in: Harvard Educational Review, 38. Jg„ 1968, S. 531.

  9. N. M. Sanders and M. L. Tanck, A Critical Appraisal of 26 National Social Studies Projects, in: Social Education, 34. Jg., H. 4, 1970.

  10. Jerome Bruner, The Process of Education, New York 1960.

  11. I. Morrissett/W. Stevens, Social Science in the Schools. A Search for Rationale, New York 1971.

  12. M. Hunt, L. Metcalf, Teaching High School Studies, New York 1968.

  13. D. Oliver/J. Shaver, Teaching Public Issues in the High School, Boston 1966.

  14. Hunt/Metcalf, a. a. O., S. 131.

  15. J. Shaver, The Social Studies: The Need for Redefinition, in: Social Education, 31. Jg. H. 7, 1967, S. 588.

  16. J. Shaver, Reflective Thinking. Values and Social Studies Textbooks, in: School Review, 1965, S. 226 ff.

  17. J. Dewey, How we think: A Restatement of the Relation of Reflective Thinking to the Education Process, Boston 1933 (revised edition).

  18. „Heuristisch" leitet sich ab von dem griechischen Wort „heuriskein", suchen, finden, was man sucht.

  19. J. Dewey, a. a. O., S. 9; zit. nach der deutschen Übersetzung in: Wie wir denken, Zürich 1951, S. 6.

  20. Ebenda, S. 106— 118.

  21. Zur Hypostasierung solcher Begriffe wie „in-quiry" -Methode vgl. die kritische Haltung der analytischen Philosophie, z. B. J. Scheffler, The Language of Education, Springfield 1960.

  22. Richard Suchman, Learning Through Inquiry, in: Childhood Education, 1965, S. 289 ff.

  23. Ebenda, S. 290.

  24. Edwin Fenton, The New Social Studies, New York 1967, S. 16.

  25. J. Palmer, The Treatment of Social Change in High School History Textbooks; Diss., University of Illinois 1960.

  26. L. Kennedy, The Treatment of Moslem Nations. India and Israel in Social Studies Textbooks Used in Elementary and Junior High Schools of the United States, Diss., Washington State University,

  27. L. Lemmond, A Value Analysis of Social Studies Textbooks, Diss., East Texas State College 1964.

  28. Vgl. Anmerkung 13.

  29. Edwin Fenton legte Ende 1969 einen solchen Kursus vor: The New Social Studies for the Siow Learner, nachdem zuvor von seinem Team das Holt Social Studies Curriculum hergestellt worden war.

  30. N. M. Sanders and M. L. Tanck, A Critical Appraisal of 26 National Social Studies Projects, in: Social Education, 34. Jg., H. 4, 1970.

  31. Diese Angabe wurde mir von Edwin Fenton in einem Gespräch gemacht.

  32. Man — a Course of Study, hrsg. vom Educational Development Center, Cambridge, Mass. 1968.

  33. Aus: Man — a Course of Study, Prospekt.

  34. J. Hansen, The Social Studies Program of a Representative Sample of Wisconsin Junior High Schools and the Preparation of Social Studies Teachers, Diss., University of Wisconsin 1964.

  35. R. Hart, An Analysis of Factors Related to High and Low Achievement in Understanding Basic Social Concepts, Diss., University of Nebraska Teachers College 1960.

  36. W. Black, The Undergraduate Content Background of Secondary Social Studies Teachers: An Evalution as Related to Teaching Assignments Accepted, Diss., Florida State University 1963.

  37. Man — a Course of Study, Prospekt.

  38. Unter Dissemination wird die Verteilung der Curricula in den Schulen und die Einführung der Lehrer in die Arbeit mit ihnen verstanden. Interessante Modelle der Dissemination haben einige Regional Laboratories in den USA entwickelt, die hier nicht weiter berücksichtigt werden können.

  39. Zu den Ansätzen einer Theorie, Methodologie und Technologie der Curriculumevaluation vgl. Christoph Wulf, Curriculumevaluation, in: Zeit-Schrift für Pädagogik, 17. Jg. 1971, Nr. 2, S. 175 bis 201; vgl. auch ders.: Internationale Kooperation bei der Curriculumentwicklung, in: Zeitschrift für Pädagogik, 17. Jg., 1971, Nr. 5, S. 631— 647.

  40. Vgl, dazu R. Stake, Toward a Technology for the Evaluation of Educational Programs, in: AERA Monograph Series on Curriculum Evaluation, Nr. 1, Chicago 1967.

  41. D. Allen, Evaluation in Social Studies Classrooms: Ideals and Practices, Diss., Stanford University 1959.

  42. The High School Geography Project (Vollständige Publikation), London 1969.

  43. National Assessment of Educational Progress, Ann Arbor 1970.

  44. Die Erhebung für den Bereich der Sozialkunde in der BRD wird vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung 1971/72 durchgeführt.

  45. L. Cronbach, Evaluation for Course Improvement, in: Teachers College Record, 64. Jg., 1963, S. 672 ff.

  46. Michael Scriven, The Methodology of Evaluation, in: AERA Monograph Series on Curriculum Evaluation, Chikago 1967.

  47. R. Stake, The Countenance of Educational Evaluation, in: Teachers College Record, 68. Jg., H. 7, 1967.

  48. Vgl. Anmerkung 45.

  49. L. Cronbach, Evaluation for Course Improvement, zitiert nach Abdruck in N. Gronlund, Readings in Measurement and Evaluation, London 1970, S. 38.

  50. Ebenda, S. 41.

  51. Ebenda, S. 41.

  52. Ebenda, S. 42. 53) Ebenda, S. 51. 54) Ebenda, S. 44.

Weitere Inhalte

Christoph Wulf, geboren 1944 in Berlin, Studium der Erziehungswissenschaft, Geschichte, Philosophie und Psychologie an der Freien Universität Berlin, der Sorbonne Paris und der Philipps-Universität Marburg; nach Assistententätigkeit an der FU Berlin und fast einjährigem USA-Forschungsaufenthalt seit Herbst 1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung. Veröffentlichungen: Curriculumevaluat-ion, in: Zeitschrift für Pädagogik, 17. Jg., 1971, H. 2; Die „New Social Studies" in den USA, in: Die Grundschule, 3. Jg., 1971, H. 4; Veränderte Bildungsziele im Schulfach Erdkunde, in: Gesellschaft—Staat—Erziehung, 16. Jg., 1971, H. 5; Internationale Kooperation bei der Curriculumentwicklung, in: Zeitschrift für Pädagogik, 17. Jg., 1971, H. 5; Schulverwaltung und Schulorganisation in den USA, in: Gesamtschule, 1972, H. 1 (im Druck); Heuristische Lernziele — Verhaltensziele, in: Bildung und Erziehung, 25. Jg., 1972, H. 2. In Vorbereitung: (Hrsg) Evaluation und Schule (München 1972).