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Planziel Literaturgesellschaft oder Gibt es zwei deutsche Literaturen? | APuZ 51/1971 | bpb.de

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APuZ 51/1971 Artikel 1 Planziel Literaturgesellschaft oder Gibt es zwei deutsche Literaturen?

Planziel Literaturgesellschaft oder Gibt es zwei deutsche Literaturen?

Jörg Bernhard Bilke

/ 89 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es wird die SED-These untersucht, die sozialistische Gesellschaftsordnung in der DDR habe auch eine neue, nichtbürgerliche Literatur entstehen lassen. Der im Begriffspaar „Weimar und Bitterfeld" proklamierte Traditionsanspruch der „sozialistischen deutschen Nationalliteratur“ wird dargestellt und unter dem Stichwort „Literatur als Planfaktor" ein Überblick über kommunistische Literaturpolitik im anderen Teil Deutschlands seit 1947 gegeben. Als wichtiger Einschnitt bei der Entwicklung der DDR-Literatur innerhalb eines von der Kulturpolitik vorbestimmten Rahmens hat die „Bitterfelder Konferenz" von 1959 zu gelten, die mit der „Bewegung des schreibenden Arbeiters“ eine Laienliteratur aus dem Erfahrungshorizont des Werktätigen an der „ökonomischen Basis“ schaffen sollte, die aber durch das „Mauerbewußtsein" nach 1961 und die dadurch ausgelösten Denkprozesse unterlaufen wurde. Autoren, die dabei den kulturpolitischen Rahmen ignorierten, wurden von der Partei zur Rechenschaft gezogen. Erst nach 1961 konnte sich neben der offiziellen DDR-Literatur auch eine Art „gegenoffizieller" Literatur entwickeln, die fast nur in der Bundesrepublik gedruckt wird und die nicht mehr nur — wie die nach 1963 veröffentlichten Bücher im Zeichen des gescheiterten Siebenjahrplans — Fehlentwicklungen kritisieren, sondern Staat und Gesellschaftsordnung überhaupt in Frage stellen. Mitte der sechziger Jahre wurde dann auch von der DDR-Germanistik eine Revision des zu statischen Realismusbegriffs versucht, ohne jedoch die sich zunehmend stärker bemerkbar machenden Tendenzen einer „neuen Innerlichkeit“, die auch als Ausdruck der DDR-Gesellschaft zu verstehen sind, einzubeziehen. Hier scheint die DDR-Literatur tatsächlich noch in der Tradition des 19. Jahrhunderts zu stehen. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage: „Gibt es zwei deutsche Literaturen?", wobei nicht nur rein literarische Gesichtspunkte zur Diskussion stehen, sondern auch solche des Literaturmarktes und der Literaturpolitik, und wobei es notwendig erscheint, ideologische Prozesse in einem sich sozialistisch nennenden Staat von einer kritisch-marxistischen Position aus zu untersuchen.

In einer 1970 erschienenen Sammlung von Aufsätzen des Leipziger Germanisten Claus Träger „Studien zur Literaturtheorie und vergleichenden Literaturgeschichte" findet sich unter den komparatistischen Beiträgen, apodiktisch ans Ende des Bandes gesetzt, die erweiterte Fassung eines 1966/67 im Ausland gehaltenen Vortrags mit dem Titel „Zweierlei Geschichte — zweierlei Literatur. Einige Aspekte zur literarischen Situation in Deutschland" Für die Jahre bis 1933, schreibt Träger dort, müsse man noch von einer Literatur in Deutschland sprechen, danach aber sehe man sich auf der einen Seite dem offiziellen „Schrifttum" des Dritten Reichs, das keine nationale Repräsentanz beanspruchen könne, gegenüber und auf der anderen Seite der Exilliteratur, die „humanistische Traditionen fortsetzend, ... außerhalb der ihr angestammten staatlichen Grenzen existierte" Die Entwicklung und Ausprägung der DDR-Literatur nach 1949 verstehe sich „als bruchlose Fortführung der großen nationalliterarischen Traditionen" während „die literarische Produktion in Westdeutschland weitgehend als ein Neuansatz" zu werten sei, denn: „In Deutschland findet zweierlei Geschichte statt. Es wird demzufolge auch zweierlei Literatur produziert: Zwei Arten von Literatur aber eben nicht einfach in dem Sinn, wie in jeder beliebigen klassengespaltenen Nation zwei Kulturen existieren — eine für die Herrschenden und eine für die Beherrschten. Das würde dem komplizierten Sachverhalt nicht völlig gerecht. Es bestehen zwei deutsche Staaten mit zwei prinzipiell unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen, deren literarische Produktion, als Ganzes genommen, durchaus keine einheitliche und gemeinsame Funktion haben."

Weimar und Bitterfeld

Dieser neuen Gesellschaftsordnung, in der Klassengegensätze abgebaut werden, entspricht (in Übereinstimmung mit der von Marx aufgezeigten Dialektik zwischen . ökonomischer Basis'und . ideologischem überbau’) eine neue Literatur, die sich offiziell . sozialistische deutsche Nationalliteratur'(korrespondierender Begriff . nationales Kulturerbe ) nennt. Sie weiß sich aber auch historisch zu legitimieren, indem sie progressive Traditionen und Tendenzen in der deutschen Literatur nach 1700, besonders in der Klassik und dem nach 1848 entstehenden Zweig sozialistischer Literatur, aufgreift, und besitzt darüber hinaus eine Vorgeschichte in den proletarischen Literaturströ-mungen der Weimarer Republik und der Emigration. In seinem Aufsatz „Weimar und Bitterfeld" (1960) deutet Alexander Abusch an, daß er Goethes Vision einer . pädagogischen Provinz'in der sozialistischen Kulturpolitik realisiert sehe: „Wir können heute vor ganz Deutschland zeigen, daß die humanistischen Erziehungsgedanken Goethes, die in der deutschen Gesellschaft seines Zeitalters nicht verwirklicht werden konnten, nun in einer ausgereiften Weise durch unsere sozialistische Umwälzung der Gesellschaft ihre Verwirklichung finden, nicht für eine bevorrechtete und erlesene kleine Schar von Menschen, sondern — kühner als es Goethe zu träumen vermochte — für das zur gebildeten Nation aufsteigende Volk. * Bei unserer jungen Generation vereinen sich polytechnische und ästhetische Erziehung in der Herausbildung der neuen sozialistischen Persönlichkeit."

Die Aufgabe des DDR-Schriftstellers ist es, diesen Erziehungsprozeß, der eine . gebildete Nation'oder, um mit Johannes R. Becher zu sprechen, eine , Literaturgesellschaft'schaffen soll, mit seinen Mitteln zu unterstützen, was ihm um so leichter fallen sollte, als er nicht, wie sein westdeutscher Berufskollege, gegen Staat und Gesellschaft anschreibt, sondern sich mit den gesellschaftspolitischen Zielen seines Staates identifizieren kann: „Die oppositionellen westdeutschen Schriftsteller stehen . . . gegen die Mächtigen im Bonner Staat. Der sozialistische Schriftsteller dagegen befindet sich in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die mit Hilfe der sozialistischen Staatsmacht und unter Führung der revolutionären Arbeiterpartei vom ganzen Volk durchgesetzt werden. Er übt als Staatsbürger und mit seinem literarischen Werk selbst die Macht aus." Diese Positionsbestimmung des DDR-Schriftstellers, die der Leipziger Germanist Horst Haase in seinem Aufsatz „Wer repräsentiert die Nationalliteratur?" (1966) vornimmt, wird von Marianne Lange, Literaturdozentin an der Ost-Berliner Parteihochschule, bezeichnet als ein „Bund von Wort und Leben"

(1966), der auf einem „Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Künstlern" beruhe.

Mit dem Anspruch, die in die Zukunft weisenden Ansätze der deutschen Literatur vor 1945 aufzunehmen, in die sozialistische Gesellschaft zu integrieren und mit seinem Werk einen Beitrag zur . sozialistischen Klassik'zu leisten, die sich nicht mehr wie die des 18. Jahrhunderts gegen fortschrittsfeindliche Tendenzen behaupten muß, fällt dem DDR-Schriftsteller noch eine weitere Aufgabe zu: die Abwehr der von Westdeutschland eindringenden . imperialistischen'Kulturpolitik überhaupt, die in . ideologischer Diversion'versuche, den DDR-Bürger seinem Staat zu entfremden, und insbesondere die Abgrenzung gegen alle Formen und Stile . spätbürgerlicher Verfallsliteratur'. Von Haase wird diese Aufgabe 1966 so definiert: „Demgegenüber setzt die Literatur un-* serer Republik die humanistischen Traditionen der deutschen Literatur . . . fort und prägt immer sichtbarer ein sozialistisches Menschenbild aus. Ihr humanistisches und sozialistisches Anliegen hat mit jenen literarischen Leitbildern der staatsmonopolistischen Gesellschaft nichts ... zu tun ..., Nationalliteratur kann heute nur im Kampf gegen den deutschen Imperialismus . . . entstehen. Sie kann sich aber nur in der historisch notwendigen Richtung entwickeln, wenn sie zur sozialistischen Nationalliteratur wird, die die Wirklichkeit vom Standpunkt der sozialistischen Gesellschaft und ihrer Menschen, vom Standpunkt der führenden Kratt dieser Gesellschaft, der Partei der Arbeiterklasse, betrachtet und darstellt.“

Die These von den zwei deutschen Literaturen, zum erstenmal 1956 von Ulbricht in einem Grußschreiben an den IV. Schriftstellerkongreß formuliert, kann folglich nur als kulturpolitische Entsprechung der Zweistaatentheorie interpretiert werden: „Gegenwärtig existieren auf dem Territorium Deutschlands zwei Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung.

Der eine deutsche Staat . . . hat die Monopolisten und Junker in ihren alten Machtpositionen erhalten und Faschisten die Schlüsselpositionen in der Wirtschaft, im Staats-und Militärapparat zurückgegeben . . . Der andere deutsche Staat . . . hat dagegen konsequent mit allem gebrochen, wodurch Deutschland im Verlaufe dieses Jahrhunderts schon zweimal in den Abgrund geführt wurde ... Unsere fortschrittliche deutsche Literatur .. . beginnt sich jetzt, der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend, zu einer sozialistischen Nationalliteratur weiterzuentwickeln."

Als Diskussionsbeitrag zur Vorbereitung des V. Schriftstellerkongresses (1961) wurde diese These von Abusch in seinem in Neues Deutschland abgedruckten Artikel „Nationalliteratur der Epoche des Sozialismus" erneut aufgegriffen und präzisiert: „Was ist der eigentliche Sinn dieser Diskussion? Unsere Literatur ist im Begriff, einen weiteren Schritt nach vorwärts zu tun, um die Forderung unserer Epoche zu erfüllen: wirklich eine Literatur von neuer Qualität zu werden, die ideell und künstlerisch eine Höhe erreicht, wie sie den großen Per* spektiven unserer Epoche des Sozialismus gemäß ist. Und gerade die Herausbildung dieser neuen, sozialistischen Qualität befähigt heute die Literatur unserer Deutschen Demokratischen Republik, ihre nationale Rolle für ganz Deutschland zu verwirklichen ... Der kommende Schriftstellerkongreß wird bei der Behandlung der nationalen Situation unserer Literatur von der Existenz zweier deutscher Staaten, von der Entwicklung zweier deutscher Literaturen mit gegenwärtig verschiedener Aufgabenstellung ausgehen müssen. Unsere Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat . . . Der westdeutsche Staat ist ein kapitalistischer Staat . . . Bei uns stellt sich die Literatur sozialistische Aufgaben, die natürlich unlöslich verbunden sind mit ihrer allgemeinen nationalen Aufgabe unserer Literatur im Kampf für Humanismus und Frieden. Die wesentlichste Aufgabe für die Literatur Westdeutschlands kann in ihrer gegenwärtigen Lage nur darin bestehen, die humanistischen Traditionen unseres Volkes zu verteidigen ... Das ist in der heutigen Wirklichkeit die unterschiedliche Aufgabe für die beiden Literaturen."

Politische Bedingungen sind es also, die zwei deutsche Literaturen konstituieren. Ob diese These stimmt oder ob sie nicht durch die Entwicklung einer gegenoffiziellen Literatur nach 1961 fragwürdig geworden ist, sollte genauer untersucht werden. Für Träger jedenfalls scheint es erst dann wieder eine deutsche Literatur zu geben, wenn auch die Bundesrepublik zu einem sozialistischen Staat geworden ist: „Wo aber liegt die Einheit der deutschen Literatur? Genaugenommen hat es sie niemals gegeben — in Deutschland sowenig wie anderswo, solange die Gesellschaft in antagonistische Kräfte gespalten ist. Eine Literatur kann immer nur widerspiegeln, was sie an Wirklichkeit vorfindet. Die Frage aber könnte lauten: Wo liegt die Einheit der humanistischen deutschen Literatur beschlossen? Dann müßte die Antwort heißen: In der Zukunft."

Literatur als Planfaktor

Um die Literatur richtig einschätzen zu können, die nach 1959 geschrieben wurde, als der . Bitterfelder Weg'die Schriftsteller thematisch auf die Arbeitswelt verpflichten wollte, und nach 1961, als der Bau der Berliner Mauer eine Gegenströmung auslöste, die zwar in den konventionellen Formen verharrte, aber neue Themen ins Gespräch brachte und damit die offizielle Literaturpolitik unterlief, ist es notwendig, in wenigen Sätzen die Literaturpolitik der fünfziger Jahre zu rekapitulieren. Die relativ freizügige Kulturpolitik in den Jahren der . antifaschistisch-demokratischen Ordnung'nach 1945, in deren Zeichen noch der I. Schriftstellerkongreß (4. — 8. Oktober 1947) stand, war mit der Gründung der DDR (1949) und der innenpolitischen Umorientierung beendet. Bereits auf dem II. Schriftstellerkongreß (4. — 6. Juni 1950) wurden „neue Auftraggeber" für die Literatur erwähnt, die an die Stelle der alten getreten seien. Bodo Uhse sprach vom »Übergang aus der negativen in die positive Phase" Auf dem III. Schriftstellerkongreß (22. — 25. Mai 1952) schließlich grenzte man sich gegen Teile der . bürgerlichen'Literatur-tradition ab und verwarf Dekadenz, Formalismus und Naturalismus als wirklichkeitsfeindlich. Der Bruch mit der proletarischen Literaturtradition der zwanziger Jahre wurde am 12. Juli 1952 vollzogen, als auf der II. Parteikonferenz der . Aufbau des Sozialismus'beschlossen und somit auch der . sozialistische Realismus'zur politästhetischen Norm erklärt wurde. Dadurch sollten die Schriftsteller auf eine Wirklichkeitsauffassung verpflichtet werden, die sich mit dem marxistischen Geschichtsbild deckte. Der von den Exilschriftstellern, die den Kern der neu zu schaffenden Literatur bilden sollten, bevorzugte . kritische Realismus'galt nun als unerwünscht, die Sowjetliteratur stieg zum unerreichten Vorbild auf.

Von 1952 an wurde die Literatur als , Produktivkraft'in die Wirtschaftsplanung einbezogen. Von den Schriftstellern erwartete man Bücher, die den Leser politisch aktivierten, in-dem sie die ökonomischen Ziele des Staates, wie Bodenreform in der Landwirtschaft und Produktionssteigerung in der Schwerindustrie, propagierten. Die . positiven Helden'dieser Betriebsromane wie Maria Langners „Stahl" von 1952 (Aufbau des Stahlwerks Brandenburg an der Havel) und Hans Marchwitzas „Roheisen“ von 1955 (Aufbau des Eisenhüttenkombinats bei Stalinstadt an der Oder), deren Entstehung zweifellos auch aus der schwierigen ökonomischen Lage nach 1945 erklärbar ist, waren meist idealistisch gesinnte Parteisekretäre, die als Erzieher und Tröster der . werktätigen Massen', als Agitatoren und Organisatoren auftraten. Der unrealistische Zuschnitt dieser Verklärungsliteratur zeigte sich daran, daß alle psychischen Reaktionen der Arbeiter, ihre Liebes-und Ehekonflikte, auf ihre Einstellung zur Arbeit, zum sozialistischen Aufbau zurückgeführt wurden. Welche Bedeutung die SED dieser neuen Romanliteratur zuerkannte, geht aus einem Bericht in Alfred Kantorowiczs „Deutschem Tagebuch“ (1959/61) hervor: „Im Institut erzählten mir die Assistenten ... von der in Stalinstadt durchgeführten . Aussprache'über Marchwitzas Roman . Roheisen', zu der einige von ihnen beordert worden waren. Marchwitza selbst saß dem Tribunal vor, mit einem Gesicht wie eine Sprengladung, die beim leisesten Wort der Kritik explodieren würde. Die Sache war gestellt und vorbestimmt. Der ausgesuchte Referent schmetterte einen Dithyrambus über Schönheit, Erhabenheit, Makellosigkeit und Bedeutung der neuesten Schöpfung des grämlichen Parteiliteraten. Der Begriff Tribunal ist nicht willkürlich gewählt, denn nach dieser Festlegung mußte ein Rundfunksprecher unterwürfig . Selbstkritik'üben, daß der Funk gewagt habe, in das Lob des Buches auch einige kritische Anmerkungen einzustreuen . . . Und dann ging's Schlag auf Schlag, bis zutage kam, daß jeder, der den Roman nicht hundertprozentig bejahte, sich damit als ein Feind der Arbeiter-und Bauernmacht entlarvte."

Daß eine Literatur der ökonomischen Hebel'selbst kommunistische Autoren, denen dadurch ein neues Selbstverständnis abverlangt wurde, abschrecken mußte, so daß sie vor einer Wirklichkeit versagten, die sich als das Ziel ihrer politischen Hoffnungen während der Emigration ausgab, ist leicht einzusehen. Am Beispiel von Anna Seghers (geb. 1900) besonders deutlich, aber auch von Arnold Zweig (1887 bis 1968) und Ludwig Renn (geb. 1889), Willi Bredel (1901— 1964) und Bodo Uhse (1904— 1963), Eduard Claudius (geb. 1911) und Stephan Hermlin (geb. 1915) ließe sich ein Verfall der literarischen Mittel, der oft ein Abwandern in Nebengebiete wie Reiseberichte und Kinder-literatur zur Folge hatte, nachweisen. Zur Ausbildung einer eigenständigen DDR-Literatur, wie sie sich in den Jahren nach 1961 zumindest in Ansätzen entwickelte, hat die Gruppe der Weimarer Autoren fast nichts beitragen können. Das am 7. Januar 1954 gegründete Kulturministerium, dem Johannes R. Becher (1891— 1958) vorstand, hielt jüngere Begabungen, die nicht mehr in . bürgerlichen'Denkvorstellungen befangen waren und die man in dem 1955 in Leipzig eingerichteten Literaturinstitut zu parteitreuen Schriftstellern . neuen Typs'ausbilden konnte, für wichtiger.

Die Politik des . neuen Kurses'von 1953, die zwei Jahre später teilweise revidiert wurde, wirkte sich auch noch auf den IV. Schriftstellerkongreß (8. — 14. Januar 1956) aus, der zu einem Kompromiß zwischen der Partei und den mit der Literaturpolitik unzufriedenen Schriftstellern führte. Noch 1955 hatte ein offenbar im Parteiauftrag verfaßter und als . Stimme der Werktätigen'deklarierter „Nachterstedter Brief" für die staatlich erwünschte Aufbauliteratur plädiert: „Wir möchten mehr Bücher über den großen Aufbau, der sich auf allen Gebieten in unserer Deutschen Demokratischen Republik vollzieht, über das Schaffen und Leben der Werktätigen. Schreiben Sie mehr Romane und Reportagen mit dieser Thematik, kommen Sie in unsere volkseigenen Betriebe, dort finden Sie reichlich Anregung und Stoff zur künstlerischen Gestaltung. In den Schächten und Hütten, den Werften und Fabriken ... finden Sie die vielseitigsten Typen und Konflikte, dort zeigt sich, wie interessant und reich das Leben der arbeitenden Menschen geworden ist. Schreiben Sie mehr Werke über unsere neuen Menschen, die mit ihren Händen alle materiellen Dinge schaffen, über die Neuerer in der Produktion, die bewußt für die Werktätigen, für das Volk, für ihre Arbeiter-und Bauern-Macht arbeiten und kämpfen. Solche Menschen finden Sie in fast allen unseren volkseigenen Betrieben ... Wir Werktätigen sind stolz auf unsere Arbeiter-und Bauern-Macht und ihre Errungenschaften. Wir lieben sie und sind bereit, sie gegen jeden feindlichen Angriff zu schützen und zu verteidigen. Auch Ihnen gab unser Arbeiter-und Bauern-Staat die Möglichkeit, frei und ohne materielle Sorgen zu arbeiten. Seien Sie sich als Schriftsteller stets Ihrer großen Verantwortung bewußt. Machen Sie auch unsere Vorschläge und Wünsche zum Gegenstand Ihrer Beratungen auf dem Kongreß."

Bis in die einzelnen Formulierungen hinein ließ sich dieser Brief, der auf dem IV. Schriftstellerkongreß kaum ein Echo fand, als Auftragsarbeit dekuvrieren. Selbst Anna Seghers, die Präsidentin des „Deutschen Schriftsteller-verbandes“ mußte in ihrem Referat „Der Anteil der Literatur an der Bewußtseinsbildung des Volkes“ (10. Januar 1956) zugeben, daß die neue Literatur, wie sie von den . Nachterstedter Arbeitern'gefordert wurde, unrealistisch war: „Die scholastische Schreibart ist Gift, wie marxistisch sie sich auch gebärdet. Sie ist unserer Idee feindlich. Denn sie bewirkt Erstarrung statt Bewegung, sie bewirkt Faulheit statt Initiative. Keine Erregung erschüttert den Leser solcher Bücher. Mit Nachdenken braucht er sich gar nicht erst anzustrengen. Er kennt ja das Schema, nach dem das Buch montiert ist, so gut wie der Autor. Scheinbar nur ist eine Entwicklung da, aber es ist eine Scheinentwicklung. Der in Wirklichkeit schwer zu erkennende, so oft furchtbar-gefährdete Weg, ist in dem Buch so einfach zu finden, daß sich ein Kind im Dunkeln nicht verirrt. Die Konflikte sind Scheinkonflikte, denn die Leser sind ihrer Lösung von vornherein sicher."

Während Becher in seiner Rede „Von der Größe unserer Literatur" (9. Januar 1956) die offizielle DDR-Literatur als Fortsetzerin der Weimarer Klassik feierte und das Bild einer . Literaturgesellschaft'entwarf, machten sich schon wenige Wochen später, allerdings nach dem antistalinistischen XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956), andere Tendenzen bemerkbar, nicht nur in der Literatur, sondern auch in Germanistik und Philosophie. Vorbereitet wurde die als Tauwetterperiode’ bezeichnete innenpolitische Liberalisierung durch die Ost-Berliner . Freiheitskonferenz'(März 1956), auf der sich Emst Bloch (Leipzig) und Leszek Kolakowski (Warschau) um eine marxistische Definition des Begriffs . Freiheit'bemühten; eine Gruppe von Nachwuchsautoren (Manfred Bieler, Jens Gerlach, Heinz Kahlau, Manfred Streubel, Paul Wiens), die sich im Juni 1956 trafen, nannte die Auftrags-literatur unwahr: „Bis auf wenige Ausnahmen wurden die Künstler zu Ausrufern von Parteibeschlüssen. Sie machten Kunstwerke über diese und jene Maßnahmen, Begebenheit und These, rechtfertigten die Fehler und ignorierten die Wirklichkeit." Schließlich griff Hans Mayer (Leipzig) die Kritik an der literarischen Fehlentwicklung in seinem Aufsatz „Zur Gegenwartslage unserer Literatur" (Dezember 1956) auf und erklärte: „Der Tisch unserer Literatur ist kärglich gedeckt. Wir durchleben magere Jahre."

Ansätze zu einer realistischen Schreibweise jenseits des . sozialistischen Realismus'zeigten sich in den Jahren 1956/58 besonders in der . Kriegsliteratur'(Erzählungen von Martin-Gregor Dellin, Egon Günther, Heinar Kipphardt, Karl Mundstock, Hans Pfeiffer; einziger Roman: Harry Thürk, Die Stunde der toten Augen, 1957), die die , harte Sprache'amerikanischer Vorbilder (Ernest Hemingway, Norman Mailer) kopierte und deshalb offiziell getadelt wurde, weil sie die „kämpferische Parteilnahme der Massen" verhindere, denn „der Stil wird nicht verkauft ohne Zugabe der Ideologie" Die weitaus größere Gefahr schien aber darin zu liegen, daß einige Schriftsteller versuchten, mit diesem Stil auch der DDR-Wirklichkeit der fünfziger Jahre neue Aspekte abzugewinnen, wovor Erwin Stritt-matter (geb. 1912) in Bitterfeld 1959 warnte: „Einige unserer jungen und einige unserer nicht mehr ganz jungen Autoren haben sich diese Schreibweise von nicht sehr fortschrittlichen amerikanischen und westdeutschen Schriftstellern abgeguckt. Sie sagten etwa so: Was faselt ihr davon, daß die Helden unseres Werktags poetische und liebenswerte Menschen sind? Die Realität ist hart. Das Kombinat Schwarze Pumpe wird nicht von weißen Lämmern aufgebaut. — Nein, freilich nicht. Es wird aber auch nicht nur von Radaubrüdern, Glücksrittern und solchen Arbeitern aufgebaut, die ihre Kräfte um der dicken Lohntüte willen verdoppeln und verdreifachen." Auch in der Lyrik waren neue Töne vernehmbar. Es gab einerseits, der Dramatik vergleichbar, eine sich auf die politische Dichtung Brechts berufende Schule (Heinz Kahlau, Günter Kunert), die mit marxistischer Dialektik Widersprüche in der neuen Gesellschaft aufzudecken suchte, andererseits, neben dem keiner Richtung zuzuordnenden Franz Fühmann (geb. 1922), der auch als Novellist bekannt wurde, eine an die naturlyrische Tradition in Deutschland anknüpfende Gruppe um Wolfgang Hädecke („Uns stehn die Fragen auf", 1958) und Peter Jokostra („An der besonnten Mauer", 1958). Nach einer scharfen Polemik „Vom Ruhm, nicht verstanden zu werden" (1958) des parteitreuen Lyrikers Werner Lindemann, der ihnen Flucht aus der Wirklichkeit vorwarf, verließen beide Autoren die DDR: „Man möchte meinen, der Dichter hüte sich peinlich, sich festzulegen. Da gibt es ein Gedicht . Gewalt und Schrecken des Krieges'. Man fragt sich, welcher Krieg ist gemeint? Geht es um einen gerechten oder ungerechten Krieg? Das Gedicht gibt keine Antwort darauf. Wir bekommen . Krieg an sich'vorgesetzt ... Nichts gegen ein Liebesgedicht, kein Wort gegen ein Naturgedicht, aber es muß neben seiner ästhetischen Schönheit auch das Lebensgefühl des Menschen in unserer ganz konkreten gesellschaftlichen Situation ausdrücken. Der Dichter schreibt nicht für die Literatur , an sich', sondern für die Menschen, in unserem ganz konkreten Fall für die Werktätigen unserer Republik. Das setzt voraus, daß neben der Beherrschung der Sprache auch die elementarsten Grundkenntnisse der Dialektik und der gesellschaftlichen Vorgänge beherrscht werden. Der Dichter muß parteilich sein, wie es die großen Dichter aller Zeiten gewesen sind."

Bitterfeld und die Folgen

Alle diese Verdikte deuten an, daß der Partei die Kontrolle über die Literatur, die sie als Instrument zur politischen Erziehung der Massen ansah, zu entgleiten drohte; damit war die Gefahr verbunden, daß die Literatur zum Informationsträger wurde, der sich an der tatsächlichen und nicht der vorgegebenen Verfassung der Gesellschaft orientierte und ihr „ihren Schmerz und ihre Unruhe" (Alexander Solschenizyn 1967) übermittelte. Der 1956 einsetzende Entideologisierungsprozeß sollte schließlich, nachdem 1956/57 die führenden Köpfe der antistalinistischen Oppositionsgruppen (Wolfgang Harich in Ost-Berlin, Erich Loest in Leipzig) verhaftet worden waren, in einer eigenen Literaturbewegung, die nicht mehr ausschließlich dem sowjetischen Vorbild verpflichtet war, aufgefangen werden. Diesem Ziel dienten zwei vorbereitende Konferenzen: die „Kulturkonferenz der SED“ (23. /24. Oktober 1957) und die „Theoretische Konferenz des Deutschen Schriftstellerverbandes über Fragen des Realismus" (6. — 8. Juni 1958). Die Proklamation des „Bitterfelder Weges" auf der Autorenkonferenz des „Mitteldeutschen Verlags" Halle im Kulturraum des „Elektrochemischen Kombinats“ Bitterfeld April 1959) geschah in Übereinstimmung mit den kulturpolitischen Zielen des 1959 anlaufenden Siebenjahrplans. Es ging darum, „die Trennung von Kunst und Leben" 24) zu überwinden und dadurch eine neue Phase der „sozialistischen Kulturrevolution" einzuleiten: „Ihr Ziel war das engere Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den Kulturschaffenden. Die Werktätigen sollten durch aktive Teilnahme am Kunstschaffen Zugang zu allen Kunstbereichen finden und sich die Schätze des kulturellen Erbes aneignen. Den Künstlern wurde die Aufgabe gestellt, durch unmittelbare Teilnahme am sozialistischen Aufbau die Fähigkeit zu erwerben, die Entwicklung der neuen Gesellschaft realistisch zu gestalten."

Der Vorwurf, der den Berufsschriftstellern gemacht wurde, war, daß sie nicht fähig seien, realistisch’ zu schreiben, wenn sie nicht bereit wären, ihre . bürgerlichen'Lebensformen aufzugeben, um das Leben der Arbeiter unmittelbar an der . ökonomischen Basis'kennenzulernen. Mit der gleichfalls in Bitterfeld initiierten „Bewegung des schreibenden Arbeiters" erhoffte man sich eine von Laien-autoren geschriebene Literatur, die endlich Jen Anforderungen an eine , sozialistisch-realistische’ Kunst entsprach. Ungleich wichtiger als die Entwicklung sozialistischer Volkskultur war freilich die Bedeutung, die dem heute noch verbindlichen „Bitterfelder Weg" auf außenpolitischem Gebiet zukam. Nicht nur gegen . ideologische Diversion'aus dem . kapitalistischen'Westdeutschland, sondern auch gegen sich verstärkende . revisionistische'Einflüsse aus den sozialistischen Nachbarstaaten hatte sich die DDR abzuschirmen. Vor allem die in Polen nach 1956 entstandene realistische Literatur, die mit westlichen Stilmitteln umging und Staat und Gesellschaft offen kritisierte, wurde in der DDR ignoriert. Das ging so weit, daß selbst in Rußland offizielle für den Druck freigegebene Bücher — wie die Novelle Solschenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" (1962) — in der DDR abgelehnt wurden. Die Begründung dafür gab Christa Wolf im Dezember 1964: „Er wurde bei uns nicht veröffentlicht, weil das deutsche Volk politisch noch nicht so reif ist wie das russische. Das Kleinbürgertum ist hier immer noch gefährlich. Vergessen Sie nicht, daß es das Kleinbürgertum war, das Hitler unterstützte.

Die Reaktion der DDR-Schriftsteller auf den „Bitterfelder Weg" war unterschiedlich. Willi Bredel weigerte sich ausdrücklich, den Schreibtisch mit der Werkbank zu vertauschen. Franz Fühmann arbeitete auf der Warnow-Werft in Rostock und veröffentlichte dann die Reportage „Kabelkran und Blauer Peter" (1961), erklärte aber, den von ihm verlangten Betriebsroman werde er nicht schreiben: „Zunächst und in der Hauptsache ist das natürlich eine Frage jedes einzelnen Schriftstellers selbst. Ich möchte daher, sehr geehrter Herr Minister, Ihnen von Überlegungen berichten, die ich in den letzten Monaten über mein eigenes Schaffen angestellt habe. Wir sprechen oft und mit Recht davon, daß der soziale und der persönliche Auftrag zusammenfallen muß, wenn ein Kunstwerk entstehen soll. Der soziale Auftrag nun ist in den letzten Jahren sehr oft formuliert und sehr leidenschaftlich verfochten worden: Er ist das, was wir mit einer Formel (die nicht zu lieben ich eingestehe) den Bitterfelder Weg nennen. Wie aber steht es mit dem persönlichen Auftrag? Ich glaube, daß jeder Schriftsteller sich immer wieder besinnen müßte, welche Themen, Stoffe und Genres ihm nach Maßgabe seiner Fähigkeiten, seines Talents, seiner Herkunft . und seines Lebensweges am gemäßesten sind und wo er mit seinen spezifischen Ausdrucksmitteln das Beste und Qualifizierteste zu leisten vermag. Dies mag eine Binsenwahrheit scheinen, aber die gesamte öffentliche Kritik und wohl auch unsere Kulturinstitutionen drängen den Schriftsteller nicht in seiner spezifischen Richtung vorwärts, sondern in der Richtung der jeweiligen Tages-, Monats-oder Jahresaktualität, das heißt, sie sehen den Bitterfelder Weg nicht als Auftrag zur Eroberung eines Landes, einer neuen ästhetischen Provinz, sondern als schmalen Weg einer bestimmten Lebensänderung für einen bestimmten Genretyp: Der Schriftsteller gehe in einen Betrieb oder in eine LPG und schreibe dann einen Roman. Viele meiner Freunde und Kollegen sagten nach dem Erscheinen meines . Kabelkrans': . Jetzt erwarten wir von dir den großen Betriebsroman; du hast mit diesem Buch ein Versprechen gegeben, das du nun einlösen mußtl'Ich räume meinen Freunden dabei ein, daß sie das Wort . Betriebsroman'nicht eng auffassen und es als Abbreviatur gebrauchen, so wie sie etwa Strittmaters , Bienkopp'einen Genossenschaftsroman nennen würden. Auch mir ist diese Konsequenz logisch erschienen, doch nun werde ich diese Freunde und mit ihnen vielleicht die öffentliche Erwartung enttäuschen: Ich werde diesen Roman nicht schreiben. Weder liegt mir der Roman als Genre, noch glaube ich, jemals in der Lage zu sein, die differenzierten Gestalten des Arbeiters heute und hier in ihren Lebens-milieus, ihren Gedanken, Träumen, Wünschen, Sehnsüchten, Glücks-und Leidempfindungen so prall und poetisch echt darstellen zu können wie dies etwa Strittmatter mit seinen Blumenauern getan hat. Ich kenne sie, die Arbeiter, dafür viel zuwenig, und der üblich gewordene Weg: In einen Betrieb gehen und dort längere, auch lange Zeit mit einer Brigade zu arbeiten oder sich anders umzutun, fügt den ersten schönen und tiefen Erlebnissen der Begegnung von Schriftsteller und Arbeiter zu wenig neue Erlebnisse und Erfahrungen hinzu, als daß sich der große Aufwand an Zeit noch rentiere, und auch wenn man den Betrieb wechselt, wie ich es getan habe, kommt man doch schließlich einmal an eine Grenze, die nicht mehr zu überschreiten ist, obwohl jenseits noch weites Land liegt. Letzten Endes ist man bei aller freundlichen, ja freundschaftlichen, ja herzlich-erwartungsvollen Aufnah-me, die mir und anderen überall zuteil wurde, doch eben nur ein Außenstehender, der auf die Dauer der Brigade zur Last fällt, wenngleich sie das auch nicht eingesteht. Unsereins müßte, um die erwähnte Grenze zu überschreiten, als Lehrling ein Handwerk von der Pike auf lernen (ich habe das versucht und mit einem Schweißerlehrgang begonnen, aber das Vorhaben wieder aufgegeben, als ich gesehen habe, daß man nicht irgendwo in den Beruf einsteigen kann, sondern eben mit einer Grundausbildung Metall beginnen müßte). Dann, nach drei-bis vierjähriger Lehrzeit müßte man als Arbeitssuchender und nicht als Schriftsteller in einen Betrieb gehen, dort vier bis fünf Jahre körperliche Arbeit leisten, dann wären wir vielleicht in der Lage, unser Blumenau auf der Werft zu finden. Ich bin bereit, darüber zu diskutieren, ob das möglich und nützlich ist. Jedenfalls ist dies unser Schicht-und Generationsproblem. Für die Generation, die jetzt heranwächst, ist, wie ich aus höchst verwunderten Anfragen zu meinem . Kabelkran'überzeugend erfahren habe, dieses Problem schon unverständlich geworden. , Sie können mir doch nicht im Ernst einreden, daß Sie mit vierzig Jahren das erste Mal in einem Großbetrieb waren', sagte mir eine zwanzigjährige Studentin. Nun, sie sind dank unserer Schulpolitik glücklicher dran. Für die jungen Schriftsteller, die jetzt debütieren, ist diese Frage auch keine Frage mehr. Wir, die Übergangsgeneration, werden unser Kreuz wohl zu Ende schleppen müssen.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Minister, mich nicht mißzuverstehen. Ich möchte die Zeit (und es war viel Zeit), die ich auf der Werft, auf der Baustelle und anderswo beim Versuch, mir die Voraussetzungen für eben jenen . Betriebsroman'zu erarbeiten, verbracht habe, in meinem Leben nicht mehr missen. Ich hatte, als ich noch kein freischaffender Schriftsteller war, seit Jahren, und nicht immer konfliktlos, danach gedrängt, Betrieb und Dorf unserer Republik kennenzulernen, und jene Zeit war nützlich und hat mir viel gegeben, nicht nur für den Schreibtisch. Ich möchte auch gern weiterhin einen Kontakt, über dessen Form ich mir allerdings noch nicht im klaren bin, halten. Ich halte es aber in meinem Fall für falsch, dies Bemühen rein quantitativ fortzusetzen: Man geht in eine Brigade und noch in eine und noch in eine und noch — dabei kommt nicht viel heraus. Denn zwei Gebiete jenseits der erwähnten Grenze werde ich beim besten Willen nicht mehr erobern können: Das weite Land der Erinnerung an Herkunft,

Familie, Schule, Lehrzeit, erste Liebe, erstes Glück, erstes Leid, an jene Dimension also, die jedes Stück Literatur braucht, um nicht flach zu bleiben. Zum zweiten liegt Jenseits'der weite Bezirk der allgemein-menschlidien Gefühle, die im literarischen Werk nur dann glaubhaft gestaltet werden können, wenn man sie in ihrer, durch die gesellschaftliche Spezifik geprägten Individualität zeigt. Die aber kenne ich nicht, und ich komme , von außen'zu wenig in sie hinein; es langt zu einer politischen Debatte, aber nicht zur künstlerischen Gestaltung. Was zum Beispiel empfindet ein Mensch, der weiß, daß er sein Leben lang so ziemlich dieselbe Arbeit für so ziemlich dasselbe Geld verrichten wird als beglückend und was als bedrückend an eben dieser Arbeit; wo bringt sie ihm Reize, wo Freude, wo Leid, in welchen Bildern, auf welche Weise erscheint sie in seinem Denken und Fühlen, usw. usw. Ich weiß es nicht und kann es nicht nachempfinden, und der Arbeiter spricht, obwohl er mein Freund ist, nicht darüber, weil es für ihn die allerselbstverständlichsten Dinge sind, so selbstverständlich, daß man die Frage danach gar nicht versteht, weil man die Antwort eben in Fleisch und Blut hat, nicht im Mund. Natürlich weiß ich etwas, ein bißchen, ich ahne etwas und ich könnte zur Not mit dem auskommen, was ich weiß, vielleicht würde es sogar lesbar werden, aber es würde, gemessen an dem, was ich literarisch leisten könnte, einen Rückschlag bedeuten. Denn eine Grundregel künstlerischen Schaffens sagt, daß man zehnmal mehr wissen muß, als man für die jeweilige Gestaltung gerade braucht. Nur dann kann man , aus dem vollen schöpfen', sich , frei im Stoff bewegen'und . souverän komponieren und gestalten'.

Dieses . zehnmal mehr'habe ich nicht, und ich sehe auch nicht die Möglichkeit, es mir zu erwerben. Den . großen Betriebsroman'also werde ich nicht schreiben können, zu dieser Erkenntnis habe ich mich durchgerungen. Es ist mein kühnster Traum, einmal, vielleicht in zehn Jahren, die Poesie und schöpferische Potenz einfacher, tagtäglich vollbrachter schwerer körperlicher Arbeit und die Physiognomie dessen, der sie leistet, in einer Novelle in der Nachfolge von Tolstois . Herr und Knecht'etwa zu gestalten. Dafür sammle ich alle Erfahrungen. Bis dahin wird es sicher Skizzen aus dem Betrieb geben, Reportagen, diese und jene Ansätze. Mein Hauptthema aber wird bleiben: Der Wechsel von einer Klassenposition auf die andre in seinen mannigfachen Formen und historischen Erscheinungen, das heißt konkret für unsre Zeit: Der Mensch kleinbürgerlicher Herkunft in seiner Erschütterung, Wandlung oder Nicht-Wandlung unter dem Faschismus, im Krieg, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, in der DDR und in Westdeutschland. Kann man dazu etwas Neues sagen? Ich glaube, daß dieses Thema, wenn man nur in die Tiefe dringt, unerschöpflich ist. Aber nützt es uns denn etwas beim umfassenden Aufbau des Sozialismus? Ich bin davon überzeugt.“

Herberg Nachbars Roman „Die Hochzeit von Länneken" (1960) entstand während seiner Arbeit in einer Fischereigenossenschaft auf Rügen; Brigitte Reimann nahm Wohnung in Hoyerswerda beim Braunkohlenkombinat »Schwarze Pumpe" und schrieb die Erzählung »Ankunft im Alltag“ (1961); Peter Hacks arbeitete in einer Brikettfabrik, um Stoff für sein Drama „Die Sorgen und die Macht" (1962) zu sammeln.

Ihre reichlich ernüchternden Betriebserfahrungen schildert Brigitte Reimann in einem Brief aus Hoyerswerda an Neues Deutschland vom 8. Dezember 1962:

»Man schien in der Schwarzen Pumpe nicht gerade begeistert über die Ankunft von zwei Schriftstellern. Wir wurden von der Gewerkschaftsleitung zwar herzlich empfangen, jedoch allzuoft und allzu dringlich nach unseren finanziellen Forderungen befragt ... Nadi zwei Monaten schlossen wir einen Vertrag mit dem Kombinat, der uns verpflichtete, Lesungen in den Brigaden zu halten, gelegentlich Arbeiten an die Betriebszeitung zu geben und das Arbeitertheater zu unterstützen, das im Herbst gegründet wurde ... Ich fand das Heldentum, das ich erwartet hatte, in ihrer Arbeit, in den acht oder mehr Stunden in der Werkhalle oder auf dem Gelände. Allmählich merkte ich aber, daß viele nicht über ihre Lohntüte hinausblickten, daß es Streit wegen der Prämien gab, daß Solidaritätsmarken ganz gedankenlos geklebt wurden ..., daß Tüftler, von denen ich glaubte, sie opferten ihre Abende um der Sache willen, in Wahrheit auf den materiellen Gewinn spekulierten, daß auf Versammlungen anders geredet wurde als unter vier Augen, und . . . daß die Wünsche und Ziele sich bei vielen in der Ansammlung von unerläßlichen Requisiten eines gehobenen Lebensstandards erschöpften. Der Fernsehapparat muß sein, der Kühlschrank und, als Krone des Ganzen, der Trabant. Wie ist es möglich, daß Menschen, die im Betrieb Aktivisten und Neuerer sind, zu Haus die Filzlatschen anziehen und sich begnügen?"

Trotz der unwilligen Zustimmung, die der „Bitterfelder Weg" bei den Berufsschriftstellern fand, blieb das dadurch vorbestimmte Muster des Aufbauromans lange Jahre wirksam und läßt sich auch bei neueren Romanen (Herbert Otto, Martin Viertel) noch finden. Welche Konflikte allerdings die Kontakte mit Arbeitern für die in die Produktion geschickten Schriftsteller, die dann wie Erik Neutsch ihre negativen Erfahrungen auch in Literatur umsetzten, mit sich brachten, zeigte der Diskussionsbeitrag von Paul Wiens auf dem V. Schriftstellerkongreß (25. — 27. Mai 1961): „Ich glaubte zuerst, daß ich Sozialist sei, und dann habe ich versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und wenn ich nun sehe, daß die Realität im Widerspruch zu meinen Vorstellungen steht, kann ich dann realistisch schreiben, oder kann ich nicht? Das ist eine schöpferische Frage: Das Land, nach dem ich suche, ist nicht so, wie ich es mir wünsche. Plötzlich erkenne ich, es ist ganz anders! Was tun?"

Das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Partei in den kommunistischen Ländern ist voller potentieller Konflikte. Der vom Staat unternommene Versuch, Literatur zu planen, schafft ein permanentes Spannungsfeld, das auf Schriftstellerkongressen und Kulturkonferenzen, wo nur Zustimmung der Autoren zu Entscheidungen, die anderswo von Nicht-schriftstellern gefällt wurden, erwartet wird, nicht abgebaut, sondern höchstens bis zur nächsten Direktive entschärft werden kann. Die seit 1952 und vorher betriebene Einschränkung der Freiheit des Schriftstellers, verlangsamt 1953 und 1956, verstärkt fortgesetzt seit 1959, scheint durch den Bau der Berliner Mauer (13. August 1961) neutralisiert worden zu sein. Damit ist nicht gemeint, daß die Kulturpolitik nach 1961 darauf verzichtet hätte, Literaturplanung und Wirtschaftsplanung zu koordinieren, nur hat der . antifaschistische Schutzwall’ bei den DDR-Autoren einen Denkprozeß bewirkt, der eine ganz andere Literatur entstehen ließ als die offiziell gewünschte. Möglicherweise läßt sich der Ansatzpunkt dieses kritischen Denkens mit einer Bemerkung aus Robert Havemanns Autobiographie „Fragen, Antworten, Fragen" (München 1970) umschreiben: „Die halbe Revolution kann nicht im Kopf zur ganzen gemacht werden. Keine ideologische Schulung und Massen-erziehung kann ein Bewußtsein hervorbringen, dem die Wirklichkeit gar nicht entspricht.

Die halbe Revolution macht aus Idealen Ideologie, falsches Bewußtsein. Sie hebt die Entfremdung nicht auf, sondern macht sie allgemein. Sie täuscht dreifach, weil sie enttäuscht."

Literatur der Zwischentöne

Als Vorläufer dieser systemkritischen Literatur, die sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe besinnt: die Gesellschaft, ihre Wertvorstellungen und Glaubenssätze in Frage zu stellen, ist der Roman „Beschreibung eines Sommers" (1961) von Karl-Heinz Jakobs (geb. 1929) anzusehen, der die Spannungen zwischen individueller Freiheit uhd Anspruch des Staates thematisierte. Der Autor, der sich auf den „Bauplätzen der Republik" — er arbeitete zuletzt in Schwedt an der Oder — auskennt, verlegt die Handlung auf die Großbaustelle Wartha, womit er das Bitterfelder Muster übernimmt: Ein parteiloser Ingenieur, unpolitischer Fachmann, der, nach seiner politischen Überzeugung befragt, antwortet: „Ich bin für die Mathematik" verliebt sich in eine verheiratete Juhgkommunistin, die von ihrer Partei wegen der . unerlaubten'Liebesbeziehungen zur Rechenschaft gezogen wird. Als Tom argumentiert: „Grit und ich, wir lieben uns, und das geht die Partei, geht niemand irgend etwas an" muß er die Baustelle verlassen. Tom Breitsprecher gehört einer Generation an, die das Dritte Reich noch bewußt erlebte, die in den letzten Kriegs-wochen noch zum militärischen Einsatz kam und deshalb jedem staatlichen Eingriff in die Privatsphäre mißtrauisch gegenübersteht. Ähnliche Wesenszüge finden sich bei Manfred Herrfurth in Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel" (1963). Daß bei Jakobs zum erstenmal der Protest gegen die Einmischung der Partei ins Privatleben formuliert wurde, war ausschlaggebend für den Erfolg des Romans. Von spezifischer DDR-Literatur, die an den Widersprüchen der neuen Gesellschaft, am Gegensatz zwischen kommunistischer Ideologie und Realität in der DDR ihr Thema findet, während die Bundesrepublik ihre Funk-tion als negatives Gegenbild zur DDR verliert und aus der Literatur verschwindet, wird man erst nach 1961 sprechen können. Die Bundesrepublik taucht allenfalls noch als Gerücht, als Bedrohung, bei Republikgegnern auch als Verheißung, aber kaum mehr als literarischer Ort auf: In den neuen Romanen finden Wanderungen in die kapitalistische Vergangenheit, auf denen der Held umerzogen wird, nicht mehr statt. Das Problem . Republikflucht'wird zwar behandelt, jedoch zu einer Zeit (1963), als es schon kaum mehr aktuell war. Schließlich werden auch die Parteifunktionäre aus der Sphäre der Unfehlbarkeit und Unantastbarkeit entlassen und als Menschen mit Vorzügen und Schwächen genommen, die kritisiert und für ihr Versagen zur Verantwortung gezogen werden können.

Daß diese neue Literatur erst von einer jüngeren Schriftstellergeneration geschrieben werden konnte, die der DDR, weil sie dort aufwuchs, ihre Ausbildung und ihren Aufstieg verdankt, Unbefangener gegenübersteht als die Weimarer Autorengruppe, ist offensichtlich. Das fällt bei einem aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Autor, der erst nach 1945 zu schreiben begann, um so mehr ins Gewicht, wenn man bedenkt, wie Brecht 1953 seine Situation einschätzte: Stritt-matter „gehört zu den neuen . .. Schriftstellern, die nicht aus dem Proletariat aufstiegen, sondern mit dem Proletariat . . . Ohne die Deutsche Demokratische Republik wäre er nicht nur nicht der Schriftsteller geworden, der er ist, sondern vermutlich überhaupt kein Schriftsteller"

Auch der XX. Parteitag der KPdSU (Oktober 1961) wirkte sich entkrampfend auf die Literaturpolitik in der DDR aus, so daß man 1962 fast von einem zweiten . Tauwetter'sprechen kann, das durch den VI. Parteitag der SED (15. -21. Januar 1963) beendet wurde. Schon während des Jahres 1962 war man zur Auffassung gelangt, daß die . klassenindifferente'Konzeption der im Auftrag der Sektion „Dichtkunst und Sprachpflege" in der „Deutschen Akademie der Künste" von dem Lyriker Peter Hüchel (geb. 1903) seit 1949 redigierten Literaturzeitschrift „Sinn und Form" nicht länger vertretbar sei; statt dessen wünschte man ein literaturpolitisches Fachorgan, das sich eindeutig zur SED-Politik bekannte: „Die Zeitschrift orientierte sich nicht eindeutig auf den Sieg der Arbeiterklasse im Bunde mit allen anderen demokratischen Kräften, auf den Sieg des Sozialismus in ganz Deutschland, sondern auf irgendeine nebelhafte, durch die Aufrechterhaltung von kulturellen und sonstigen Verbindungen zustande kommende Wiedervereinigung, die eine Art Verschmelzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein sollte. ... Die Zeitschrift war bestrebt, sich in einem imaginären ästhetischen Raum zu bewegen und nicht von der realen DDR aus den Kampf gegen die imperialistische Ideologie, den Kulturverfall und die Dekadenz in Westdeutschland zu führen." Hüchel, dessen Vertrag mit der Akademie erst im Dezember 1962 auslief, nahm zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht .selbstkritisch'Stellung, sondern füllte das letzte, von ihm gestaltete Heft von „Sinn und Form" mit Beiträgen, die sich eindeutig gegen die Kulturpolitik der SED aussprachen; abgedruckt waren zum Beispiel Brechts unveröffentlichte „Rede über die Widerstandskraft der Vernunft", Sartres Moskauer Vortrag „Die Abrüstung der Kultur" und Ernst Fischers Aufsatz „Entfremdung, Dekadenz, Realismus". Auch die letzten Gedichte Hucheis, der der naturlyrischen Schule Oskar Loerkes und Wilhelm Lehmanns nahesteht, verwiesen in verschlüsselter Form, etwa „Traum im Teller-eisen", „Der Garten des Theophrast" und der Hans Mayer gewidmete „Winterpsalm", auf die Bedrohung durch Politik: „Wohin du stürzt, o Seele, nicht weiß es die Nacht. Denn da ist nichts als vieler Wesen stumme Angst."

Das Bemühen der SED, sich bürgerlicher Autoren, die einer sozialistischen Kulturpolitik im Wege standen, zu entledigen, läßt das Auftauchen einer in beiden deutschen Staaten umworbenen Gestalt wie die des Lyrikers Johannes Bobrowski (1917— 1965), der in seinen Gedichtbänden „Sarmatische Zeit" (1961) und „Schattenland-Ströme“ (1962) und in den beiden Romanen „Levins Mühle" (1964) und „Litauische Claviere“ (1966) zur Versöhnung zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarvölkern aufrief, fast unverständlich erscheinen. Freilich lebte Bobrowski, der als Lektor des CDU-eigenen Union Verlages in seinen Büchern auf jedes marxistische Bei-werk verzichtete, ziemlich zurückgezogen in Berlin-Friedrichshagen und mischte sich nie in die Tagespolitik.

Gefährlicher dagegen erschienen der SED die auf einem öffentlichen Lyrikabend, den Stephan Hermlin (geb. 1915), der seit 1952 selbst kaum noch Gedichte schrieb, als Sekretär der Sektion „Lyrik" in der „Deutschen Akademie der Künste" veranstaltete, am 11. Dezember 1962 in Ost-Berlin vorgetragenen Gedichte, die unmittelbar aus dem Auditorium zur Verlesung kamen und der Stimmung in der Bevölkerung vierzehn Monate nach dem 13. August 1961 Rechnung trugen. Pessimismus, Resignation, Kritik an der Staatsführung waren die Kennzeichen dieser politischen Lyrik, die, wie ein Gedicht Helmut Richters zeigt, das Blochsehe . Prinzip Hoffnung'in sein Gegenteil verkehrt: „Ich habe oft Sehnsucht nach einem Schoß, der mich zurücknimmt für später. Vielleicht sind wir immer zu zeitig geboren?" Nicht nur die „Verbreitung von Gedichten, die vom Geist des Pessimismus, der unwissenden Krittelei und der Feindschaft gegenüber der Partei durchdrungen waren" bereitete der SED Sorgen, sondern mehr noch die Befürchtung, aus kritischer Lyrik könne politische Opposition entstehen, was Ulbricht vermutete: „Wir werden es nicht zulassen, daß dem Volk falsche, gefährliche Neigungen aufgedrängt werden, daß versucht wird, unter der Flagge des Kampfes gegen den Personenkult die grundsätzliche Politik der Partei und Regierung zu stören und unsere Arbeit zu des-orientieren.

Im Unterschied zu Hüchel fand sich Hermlin jedoch, der als Sekretär der Sektion „Lyrik" zurücktrat, zur Selbstkritik bereit, die er im März 1963 ablegte: „Ich war nicht der richtige Mann am richtigen Platz. Ich bemühte mich in dieser Zeit um eine lebendige Tätigkeit in der Sektion, ihren Sitzungen, ihren öffentlichen Veranstaltungen. Idi versuchte, uns, die Sektion, in besseren Kontakt mit jungen Schriftstellern zu bringen, aber ich beging gleichzeitig eine Reihe von Fehlern. Der bekannteste hing mit dem Abend zusammen, an dem ich Gedichte junger Lyriker las. Ich möchte übrigens sagen, daß ich zu den Gedichten stehe, die ich selber las. Der wirkliche schwere Fehler, den ich beging, bestand darin, daß ich den zweiten Teil des Abends, die Aussprache, schlecht leitete, daß ich diese Aussprache und weitere Gedichte, die einige Autoren vortrugen, nicht im Zusammenhang mit der Situation sah, in der der Abend stattfand. Das hängt wohl damit zusammen, daß ich Dichtung und Kunst, die mein Leben fast ausfüllen, oft unabhängig von Zeit und Ort betrachte, da wo sie sich äußern. Ich erkenne das als einen Fehler an; aber ich weiß auch, daß ich vor der Wiederholung dieses Fehlers nicht gefeit bin."

Als Beitrag zum „Bitterfelder Weg" auf dem Theater verstand der Dramatiker Peter Hacks (geb. 1928), Brechtschüler und Bearbeiter historischer Stoffe im Sinne marxistischer Gesellschaftskritik, sein Stück „Die Sorgen und die Macht" (1962), das, zweimal umgearbeitet, im Herbst 1962 am „Deutschen Theater" in OstBerlin uraufgeführt wurde. Um Material für sein Stück zu sammeln, dessen zweite Fassung bereits 1960 in Senftenberg gespielt worden war, hatte Hacks vorübergehend in einer Brikettfabrik gearbeitet, wo er die Erfahrung machen mußte, daß die Plan-erfüllung nicht von sozialistischer Arbeitsmoral, sondern vom Verdienst der Arbeiter abhing. Die Fabel seines Stücks basiert auf dem Widerspruch zwischen den Relikten der noch im Kapitalismus geformten Einstellung zur Arbeit, gefördert durch das Prinzip „materieller Interessiertheit", und den sozialistischen Produktionsverhältnissen. Hades zeigt den Arbeiter, dessen Bewußtsein noch nicht den Stand der „ökonomischen Basis" erreicht hat, den er deshalb definiert als „eine Versammlung verschiedener Ideologien. Diese Tatsache ist heute, in der Übergangsperiode, besonders wichtig. Das Handeln jedes Bürgers ist eine Summe von Verhaltensweisen mindestens zweier Gesellschaftsformationen" Die Arbeiter einer Brikettfabrik, die, auf „Tonnenideologie" eingeschworen, das Soll übererfüllen, deshalb gut verdienen, aber schlechte Qualität liefern, gefährden dadurch den Produktionsplan der auf ihre Briketts angewiesenen Glasfabrik. Schließlich aber setzt sich die sozialistische Arbeitsmoral durch. Die Stelle jedoch, die der SED am meisten zu schaffen machte, war die Ansprache der Kommunistin Emma Holdefleiß: „Kollegen, Kommunismus, wenn ihr euch den vorstellen wollt, dann richtet eure Augen auf, was jetzt ist, und nehmt das Gegenteil; denn wenig ähnlich ist dem Ziel der Weg. Nehmt soviel Freuden wie ihr Sorgen kennt, nehmt soviel Überfluß wie Mangel ist und malt euch also mit den grauen Tinten der Gegenwart der Zukunft buntes Bild."

Als „unmarxistisch“ wurde gerügt, daß Hades die kommunistische Zukunft als Negation zur DDR-Wirklichkeit von heute setze und so die führende Rolle der Partei schwäche: „Immer wieder wird ein prinzipieller Gegensatz des Heute zur kommunistischen Zukunft konstruiert. Im Heute vermag Hacks vorwiegend nur die Muttermale der kapitalistischen Vergangenheit zu sehen und nicht das Neue und Schöne in der Wandlung des Menschen.“ Fraglos nämlich ließe sich aus der Ansprache der Genossin Holdefleiß auch die These ableiten, daß Kommunismus in der DDR nur durch eine Revolution zu erreichen sei. Das Stüde „Die Sorgen und die Macht" wurde vom Spielplan abgesetzt, Hacks als Dramaturg des „Deutschen Theaters" entlassen. Verwunderlich ist, daß noch im Sommer 1963 die von ihm bearbeitete Aristophanes-Komödie „Der Frieden" (1963) zur Aufführung kam, die mit einer Fülle kritischer Anspielungen auf die deutsche Situation nach 1945 aufwartete und in deren Einleitung es hieß: „Alle Schönheiten des Aristophanes sind Freiheiten. Freiheit ist das Vermögen zu können, was man will... Er kennt keine gesellschaftlichen Tabus oder politischen Verbote ... die gesellschaftliche Freiheit des Aristophanes bringt den Bearbeiter an den Rand der Verzweiflung ..." Das nächste Stück Hacks'mit Gegenwartsthematik „Moritz Tassow" (1965) spielt in der Zeit des Umbruchs, im September 1945, als sich die . Revolution'noch nicht etabliert hatte. Die Gegenspieler des Sau-hirten Tassow, der im Dorf Gargentin in Mecklenburg, entgegen dem erklärten Parteiwillen, die Enteignung des Herrn von Sack vornimmt, sind der Altkommunist Mattukat und der Funktionär Blasche. Der Entwurf eines idealen Kommunismus in dörflicher Idylle wird schließlich von der Bürokratie zerstört, das letzte Wort hat Blasche: „Der blasse Mond hat ausgeschienen. Aurora rändert rötlich die Ruinen. Das Alte stirbt oder verkrümelt sich. Der neue Mensch bleibt auf dem Platze. Ich.“ Ähnlich wie Hacks erging es auch den Dramatikern Hans Pfeiffer (geb. 1925), Helmut Baierl (geb. 1926) und Heiner Müller (geb. 1927), die alle in den fünfziger Jahren durch Lehrstücke bekannt wurden, jedoch nach 1961 die DDR-Wirklichkeit nicht mehr als . pädagogische Provinz'auf die Theaterbühne bringen mochten. Pfeiffers Stück „Die dritte Schicht" (1960) wurde abgesetzt; nicht gespielt wurden Müllers „Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande“ (1961) und „Der Bau" (1965), eine Bearbeitung von Erik Neutschs Roman „Spur der Steine" (1964). Wesentlich kühler als sein früheres Stück „Frau Flinz" (1961), eine umgekehrte „Mutter Courage", die ihre fünf Söhne an den Sozialismus verliert, wurde Baieris „Johanna von Döbeln" (1967) aufgenommen. Volker Brauns (geb. 1939) Stück „Kipper Paul Bauch" (1963) wurde nicht gespielt. Pfeiffer („Begegnung mit Herkules“, 1966), mehr noch Müller („Philoktet", 1965; „Herkules 5", 1966; „Ödipus Tyrann", 1967) wichen in den folgenden Jahren in die Adaption antiker Vorlagen aus. Hartmut Lange (geb. 1937), dessen beiden Dramen „Senftenberger Erzählungen“ (1960) und „Marski" (1963), eine Paraphrase zu Brechts „Puntila", nicht aufgeführt wurden, ging 1965 nach West-Berlin. Marski ist ein freßlustiger Großbauer, der unfähig ist, mit den Klein-bauern Freundschaft zu schließen, weil sie ökonomisch von ihm abhängig sind. Erst als sein Hof sozialisiert wird, ist Freundschaft möglich. Lange ist Marxist; daß seine mit marxistischer Dialektik an einem proletarischen Stoff operierenden Dramen in der DDR unerwünscht sind, zeigt, für wie gefährlich die SED eine Kritik von , links" hält, die die herrschenden Lehrsätze anzweifelt.

Außer den drei genannten Hacks, Hermlin und Hüchel wurde auf dem VI. Parteitag als vierter Autor der Brechtschüler Günter Kunert (geb. 1929) gerügt, von dem 1962 die beiden Fern-sehstücke „Fetzers Flucht" und „Monolog eines Taxifahrers" gesendet worden waren, wo es heißt: „Ein Volk von verhinderten und nicht verhinderten Polizisten, das sind wir und sind wir schon immer gewesen. Heil uns ... Schluß jetzt mit der selbstmörderischen Anständigkeit. Mit der Einsicht in immer neue Notwendigkeiten, die keine sind." In seinen Gedichten und Prosatexten freilich zeigt Kunert, daß er sich auch auf die Kunst der verschlüsselten Aussage versteht und sich so derZensur zu entziehen weiß. Das „Interfragmentarium" etwa, Franz Kafka gewidmet, oder die Erzählungen „Zentralbahnhof" und „Andromeda zur Unzeit" die von anonymen Todesdrohungen erfüllt sind, dürften, nach offizieller Lesart, in der sozialistischen Menschengemeinschaft der DDR überhaupt nicht entstanden sein: „Wenn Günter Kunert nicht versteht, daß eine Philosophie der Lebensangst, des isolierten Individualismus in einer ihm feindlichen Umwelt zutiefst im Widerspruch steht zu der Entwicklung der neuen, sozialistischen Beziehungen zwischen den Menschen, der gegenseitigen Hilfe und Solidarität, der humanistischen Kollektivität in unserer neuen Gesellschaft, so zeigt dies sein Unverständnis für die elementarsten Fragen unserer gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung."

Kunert ist ein feinnerviger, sensibler Dichter, der empfänglich ist für die Unruhe in der DDR-Gesellschaft. Die Prosaskizze „Die Schreie der Fledermäuse" (1964) gibt sicher sein Selbstverständnis wieder: „Während sie in der Dämmerung durch die Luft schnellen, hierhin, dorthin, schreien sie laut, aber ihr Schreien wird nur von ihresgleichen gehört. Baumkronen und Scheunen, verfallende Kirchtürme werfen ein Echo zurück, das sie im Fluge vernehmen und das ihnen meldet, was sich an Hindernissen vor ihnen erhebt und wo ein freier Weg ist. Nimmt man ihnen die Stimme, finden sie keinen Weg mehr; überall anstoßend und gegen Wände fahrend, fallen sie tot zu Boden. Ohne sie nimmt, was sonst sie vertilgen, überhand und großen Aufschwung, das Ungeziefer." Die Dialektik Kunertscher Lyrik wird besonders an einem Gedicht deut-47 lich, das unbefangene Leser in der Bundesrepublik primär für eine hübsch erzählte Anekdote aus der Antike halten mögen, das aber in der DDR, deren Leser hier andere Erfahrungen assoziieren, für ein eminent politisches Gedicht genommen wird:

„Als unnötigen Luxus herzustellen verbot, was die Leute Lampen nennen, König Tharsos von Xantos, der von Geburt Blinde."

Man könnte fast sagen, dieses Gedicht als unverbindliche Aussage über einen König, der die Aufklärung abschaffen will, zu verstehen, hieße: es mißverstehen. Daß es selbst bei höchsten Parteifunktionären ankam, zeigt folgende Reaktion darauf: „Stärker als in der Vergangenheit sind in der jüngsten Lyrikentwicklung parabolische Formen der Aussage zu finden:. .. ein Bestreben, das sich in der Tradition von Goethe bis Brecht als legitim erwiesen hat. In vielen Fällen wird jedoch der spezielle Stein des Anstoßes nicht sichtbar, die Kritik politischer oder moralischer Entscheidungen wird hier ihrer historischen und sozialen Konkretheit entkleidet. Dadurch tendiert das Parabelgedicht zur Vieldeutigkeit der Aussage und Auslegbarkeit... Vor allem in den Kunerts jüngsten Gedichten treten Elemente der Mystifizierung des Geschichtsprozesses auf; dies äußert sich in Schicksalhaftigkeit und läßt die Stellung des Menschen in unserer Gesellschaft verzerrt erscheinen." Deshalb glaubte man auch, Kunert und seinen Freunden folgenden Rat geben zu müssen: „Ihnen und anderen ist zu empfehlen, daß sie für eine Weile alle Symbolitäten lassen und sich der freilich schwereren Lyrik der Eindeutigkeit widmen . . .“

Eine kleine Erzählung Kunerts nennt sich „Das Telefon" (1964), in der sich folgender Passus findet: „Wenn nach dem schrillen Klingel-klang und nachdem man die Hördose ans Ohr gebracht, daraus nichts spricht als leise, rauschende Stille, aus welcher überspanntes Horchen ein schwaches Atmen vernehmen will, da öffnet sich der Abgrund in uns, und wir schauen suchend hinein, voller gräßlicher Erwartung, den Anlaß zu finden, der die stumme Bedrohung verursacht hat.“ Daß der aufmerksame DDR-Bürger beim Lesen dieser Stelle an gewisse Praktiken der fünfziger (?) Jahre denkt, ist sicher Absicht. Hier zeigt sich auch, daß Literatur als Kommunikationsvorgang erst dann realisiert wird, wenn der Autor als Literaturproduzent, der einen Text verschlüsselt, auf der Gegenseite Leser oder Konsumenten weiß, die diesen Text so, wie er intendiert war, entschlüsseln können. Es gibt demnach Lesarten von DDR-Literatur, die einem westdeutschen Leser, der außerhalb der DDR-Gesellschaft lebt und ihre Bedingungen nicht kennt, unverständlich bleiben müssen. Das meinte wohl auch Hildegard Brenner im Vorwort ihrer Anthologie „Nachrichten aus Deutschland" (1967): „Offensichtlich gibt es nicht nur Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Die Schwierigkeiten beim Lesen, beim Aufnehmen der Texte, der Entdeckung ihrer Wahrheiten sind keineswegs geringer. Wird doch von den Lesern dieser Anthologie nicht weniger verlangt, als in einem Akt des Verstehens die Binnengrenze zu überschreiten, die die beiden deutschen Landesteile trennnt.“

Selbst Gedichte mit historischer Thematik werden von der offiziellen Literaturkritik in der DDR daraufhin untersucht, ob nicht Gegenwart, das heißt: DDR-Wirklichkeit gemeint sein könnte. (geb. 1920) In Hanns Cibulkas Lyrikband „Windrose" (1968) gibt es ein Gedicht „Wilhelm Heinse" mit folgenden Zeilen:

„Landschaften trage ich im Blut, Tafelberge, uralt, Olivenwald, in Deutschland, wo der Freiheitsrock immer nur nach Maß geschnitten bin ich selten zu Haus."

Der Kritiker bemerkte dazu: „Und diese Konzeption ist bedenklich. Von welchem Deutschland spricht Cibulka? ... In den Gedichten gibt es das Hüben und Drüben nicht, nicht den Gegensatz zwischen der DDR und jenem Westdeutschland, wo in der Tat der Freiheitsrock immer nur nach Maß geschnitten ist.

Fehlplanung, Mißwirtschaft, Republikflucht

Wie genau Literaturlenkung und Wirtschaftsplanung aufeinander abgestimmt sind (neuerdings gibt es den Begriff „Kulturökonomie"), kann man an den in den Jahren nach dem VI. Parteitag veröffentlichten Romanen ablesen, die die offizielle Kritik an der ökonomischen Fehlentwicklung aufgriffen und weiterführten, dann aber auch zu anderen Themen übergingen und kritische Dimensionen aufwiesen, die dem konservativen Flügel im Politbüro bereits als oppositionell und partei-feindlich vorkamen. Das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft", das im Januar 1963 den gescheiterten Siebenjahrplan ablöste, gab eine öffentliche Fehlerdiskussion frei, die sich bald nicht mehr nur auf Wirtschaftsfragen erstreckte. Obwohl der von Staat und Partei zugestandene Spielraum für Kritik erweitert wurde, blieb der Diskussionsrahmen abgesteckt, den etwa der verbotene Wismutroman von Werner Bräunig und die in der DDR nicht gedruckten Gedichte Wolf Biermanns überschritten.

Unter diesem Aspekt sind auch die beiden Romane „Die Geschwister" (1963) von Brigitte Reimann (geb. 1933) und „Der geteilte Himmel" (1963) von Christa Wolf (geb. 1929) zu sehen, die sich beide mit dem Thema Republik-flucht beschäftigen. Auch die Fabel beider Romane weist Ähnlichkeit auf: Zwei enttäuschte DDR-Bürger, beide sind Naturwissenschaftler, der eine Schiffsbauingenieur, der andere promovierter Chemiker, wollen sich nach West-Berlin absetzen; beiden steht eine staatsbewußte Partnerin zur Seite, im einen Fall die Schwester (Reimann), im andern die Verlobte (Wolf), die diese Flucht unter allen Umständen verhindern oder rückgängig machen wollen.

Wie Jakobs läßt Reimann den unpolitischen Fachmann auftreten, der sich aber dennoch zu einer Art von Sozialismus bekennt, der nicht auf DDR-Boden gewachsen ist: „Ich will mich nicht engagieren, verflucht noch mal, ich will Schiffe bauen . . . Ich glaube an gar nichts, ich bin Mathematiker . . . Sicher, der Sozialismus ist eine schöne Sache, solange man ihn nicht im eigenen Land hat. Solange man für ihn kämpfen kann, solange er nicht von Schwachköpfen zerquatscht wird." Als Fluchtgründe gibt er an: „Ich kann nicht hier bleiben, ich ersticke hier . . . Ich fühle mich wie ein Gefangener, hinter einem Gitter von Dummheit und Bürokratie." Schließlich wird er von seiner Schwester bei deren Verlobten, einem überzeugten Kommunisten, denunziert: „Was ist das für ein Staat, in dem die Schwester ihren Bruder anzeigt!“ Das Gespräch unter vier Augen allerdings, das zur Revision der Fluchtabsicht führt und von dem auch die Schwester ausgeschlossen ist, wird dem Leser, der an den stärkeren Argumenten interessiert wäre, vorenthalten.

Wolfs Roman ist ehrlicher geschrieben, vor allem beherrscht die Autorin auch moderne Stilmittel und hat Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob" (1959) gründlich gelesen. Die vom Herbst 1959 bis Herbst 1961 spielende Handlung wird dem Leser in Rückblenden als Erinnerungsfragmente'derLehrerstudentin Rita Seidel bekanntgemacht, die in einem Krankenhaus von einem Unglücksfall der Genesung entgegengeht und dabei noch einmal alle Stationen ihrer Liebe zu dem zehn Jahre älteren Dr. Manfred Herrfurth, der aus persönlicher Enttäuschung die DDR im Sommer 1961 verlassen hat, durchlebt und überdenkt. Dem positiven Prozeß der langsamen Gesundung, die auch die endgültige Entscheidung für den Sozialismus meint, ist der negative einer scheiternden Liebe gegenübergestellt; je mehr bei Manfred Skepsis und Entfremdung, die aus seiner bürgerlichen Erziehung und seinen Enttäuschungen resultieren, dem Staat und seinen Funktionären gegenüber zunehmen, desto mehr wachsen auch Sympathie und Zuwendung Ritas zur neuen Gesellschaft, hier zur Brigade Ermisch, wodurch sie sich selbst immer weiter voneinander entfernen. Zu Beginn des Romans lebt Rita ziemlich einsam mit Mutter und Tante auf einem Dorf, wo eines Tages Manfred zu Besuch erscheint. Diese Begegnung, die zur Verlobung zwischen Rita und Manfred führt, läßt gleichzeitig eine Entwicklung anlaufen, die Rita vom Dorf in die Stadt zum Lehrer-institut und als Arbeiterin in die Waggon-fabrik führt, wodurch sie, im Gegensatz zu ihrem Verlobten, einen Weg zur sozialistischen Gesellschaft findet, der ihm als Zyniker, der Schwierigkeiten ausweicht und schließlich nach West-Berlin flieht, versperrt bleibt: „Irgendwo zwischen ihr und mir fängt die neue Generation an." Rita jedoch betrachtet ihn nicht als Verräter, sondern empfindet seine Flucht als Schmerz: „So trifft einer uns nur ganz aus der Nähe, einer, der unsere verwundbarste Stelle kennt, der in aller Ruhe zielt und zuschlägt, weil er weiß: Dessen hat man sich nicht versehen. Kann denn einer verschwunden sein, verloren, der einem noch so weh tut." Doch als Rita nach West-Berlin fährt, um ihn zurückzuholen, weiß sie bereits, daß sie sich auf alle Fälle für die DDR entscheiden wird. Gegen die Verführungen West-Berlins zeigt sie sich, dank der starken Bindungen an ihre Arbeitsbrigade, gefeit. Nach ihrer Rückkehr beschreibt sie, wie sie die Frontstadt erlebte: „Vieles gefällt einem, aber man hat keine Freude daran. Man hat dauernd das Gefühl, sich selbst zu schaden. Man ist schlimmer als im Ausland, weil man die eigene Sprache hört. Man ist auf schreckliche Weise in der Fremde."

Sehr geschickt wird hier der antike Mythos von Orpheus und Eurydike durch den modernen Gegenmythos von Gagarins Raumflug neutralisiert. Auch in den Nebenfiguren zeigt sich der Kontrast zwischen alter und neuer Gesellschaftsordnung, etwa im beruflichen Aufstieg des alten Herrfurth, der schon im Dritten Reich nur auf seine Karriere bedacht war, der aber trotz seines Opportunismus dann doch abgesetzt wird, und in der Zähigkeit des Arbeiters Meternagel, der eine . rückläufige Kaderentwicklung'hat, aber trotzdem an die gute Sache des Sozialismus glaubt.

Der Roman fand bei Partei und Literaturkritik in der DDR keine ungeteilte Zustimmung. Bemängelt wurde, daß Chr. Wolf die Spaltung Deutschlands offensichtlich als nationales Unglück betrachte, wo es doch ein Glück sei, daß in einem Teil Deutschlands die Arbeiterklasse gesiegt habe. In seiner Metakritik „Nicht Glück oder Unglück, sondern Unglück und Glück ist hier die Frage" (1964) nahm Günther Dahlke gegen diese Auffassung Stellung: „Daß Rita ihren Verzicht . . . nicht als Glück empfindet, bedarf wohl keiner besonderen Rechtfertigung. Aber . . . nicht nur Rita, sondern Christa Wolf selbst bedauert doch den Verzieht ihrer Heldin. Ja, und das mit völligem Recht! Christa Wolf bedauert, daß Manfred nach West-Berlin ging, genauso wie wir alle bedauern, daß in der Vergangenheit unzählig viele solcher Manfreds in Wirklichkeit nach West-Berlin gingen . . . Christa Wolf bedauert, und wir können es mit ihr tun, daß Manfred nach Westberlin gehen konnte, daß er nicht zu seinem eigenen Nutzen gezwungen war, den Kampf in sich selbst bis zu seinem guten Ende auf dem Boden unserer Republik auszufechten." ”). Im Brief eines Freundes, den Rita im Krankenhaus erhielt, stand über Manfred: „Heute müßte er ja versuchen, mit allem fertig zu werden. Heute könnte er ja nicht mehr ausweichen.“

Erwin Strittmatters (geb. 1912) Roman „Ole Bienkopp" (1963), der die Jahre des Umbruchs auf dem Lande nach 1945 zum Thema hat, ist dagegen anspruchsloser geschrieben und einfacher zu lesen. Der Bauer Ole Hansen, der erkannt hat, daß die Bodenreform den Kapitalismus nicht abgeschafft, sondern nur neue Ungleichheit unter den Bauern geschaffen hat, gründet in dem Niederlausitzer Dorf Blumenau sowohl gegen den Willen intrigierender Großbauern als auch der Partei, der der rechte Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen zu sein scheint, die . Neue Bauerngemeinschaft’. Diese gegen die Parteidisziplin gerichtete Tat eines Einzelgängers ruft sofort die Funktionäre auf den Plan, die das Unternehmen, das ohne Anweisung von oben gestartet wurde, liquidieren wollen. Es kommt zu einem erregten Gespräch mit Parteisekretär Wunschgetreu, wonach Bienkopp seinen Parteiaustritt erklärt: „Bienkopp bleibt ruhig, obwohl ihn das große Zittern bis in die Stiefel hinein gepackt hat. Ich habe alles überdacht. Mir deucht, ich such nach vorwärts, nicht nach rückwärts! Wunschgetreu: Was vorwärts und was rückwärts ist, bestimmt, dächt ich, noch immer die Partei. Willst du sie belehren? Bienkopp zitternd: Ich stell mir die Partei bescheidener vor, geneigter, zuzuhören, was man liebt und fürchtet. Ist die Partei ein selbstgefälliger Gott? Auch ich oin die Partei." Als aus OstBerlin die Anweisung kommt, Kolchosen zu gründen, üben die Funktionäre . Selbstkritik'und stempeln Bienkopps Kolchose . Blühendes Feld'zum leuchtenden Vorbild für den ganzen Kreis Maiberg. Trotzdem werden die Fehler der Landwirtschaftspolitik immer wieder sichtbar: Als der Kreis Maiberg das Ablieferungssoll an Geflügelfleisch nicht erfüllen kann, wird Bienkopps Entenzucht abgeschlachtet, seine Kühe verrecken in den vorgeschriebenen Rinderoffenställen, er selbst stirbt den Erschöpfungstod in den Mergelwiesen.

Bienkopp ist der Typ des Selbsthelfers, der einen Kommunismus vertritt, der den Partei-zielen zuwiderläuft. An der Frage: Wer trieb Bienkopp in den Tod? entzündete sich eine wochenlange Leserbriefdiskussion in der DDR-Presse. Die offizielle Kritik versuchte den Tod des Kommunisten Bienkopp dadurch zu rechtfertigen, daß sie ihn zum Helden des Über-gangs erklärte, dessen Untergang historisch notwendig sei.

Aufschlußreich und in mancher Hinsicht symptomatisch für Reihe von DDR-Schriftstellern eine sind die beiden nächsten Bücher Strittmatters, die einen Rückzug aus der Politik ins Privatleben und eine Tendenz zu neuer Innerlichkeit anzeigen. Der Autor lebt seit Jahren als Mitglied einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft in Dollgow nördlich von Berlin, wo er auch eine Pferdezucht betreibt. Von Politik ist im „Schulzenhofer Kramkalender“ (1966), einer Sammlung von ländlichen Impressionen, Geschichten und Betrachtungen, kaum noch die Rede, trotzdem glaubte die Kritik, noch „ein Lebensgefühl, das sich in gesellschaftlich-lebendiger, produktiver Umwelt-i beziehung ausspricht“ entdecken zu können.

Wieder politischer, freilich in einem der SED unangenehmen Sinn, gibt sich das letzte Buch des zweifachen Nationalpreisträger „Ein Dienstag im September“ (1969) mit sechzehn Erzählungen. Auffällig an diesem Band ist — neben der Entdeckung neuer Wirklichkeiten im Schatten der . sozialistischen Menschengemeinschaft'— die Häufung von Todesmotiven. Strittmatter, der lange Zeit ernstlich krank war, erzählt zum Beispiel in . „Saubohnen" von zwei alternden Schriftstellern, von denen der eine plötzlich entdeckt: „Jeder Mensch ist eine unwiederholbare Einmaligkeit, und es muß ihm gelingen, einen Punkt zu finden, seinen Punkt, von dem aus er zeigt, wie er die Welt sieht, wie nur er sie sehen kann. Es gehört Mut dazu, dachte er auch, eine Menge Mut, auf diesem Punkt, trotz aller sich anbietenden Vorbilder, zu verharren, auf diesem Aussichtspunkt“ während es vom anderen heißt: „Er behauptete jetzt, es sei fraglich, sehr fraglich, ob etwas, was man aus eigener Sicht geschrieben habe, auch gedruckt werden würde.“ Schließlich stimmen sie darin überein: „Ja, so hängen wir uns doch auf!“

In seiner Rezension „Der Lauf der Welt“ (1970) bemerkt Hans-Dietrich Sander (München) zur Erzählung „Hasen über den Zaun“: „Es geht um zwei alte Leute, die in ihrem kleinen Häuschen dem anbrandenden Schnee und den Hasen nicht mehr gewachsen sind, die von den Wehen auf die Obstbäume springen ... Die Alte stirbt im Fieberwahn, während der Alte einen Kampf gegen die Hasen aus-ficht, in dem er beinahe selbst zu einem Schneehaufen wird: verbissene Ergebung in den Lauf der Welt.“ Von schrecklicher Vereinsamung wird hier berichtet, die auch in sozialistischer Umwelt nicht überwunden wird, wenn auch Hans-Jürgen Geisthardt (Ost-Berlin) dem Paar in läppischer Weise selbst die Schuld gibt: „aber traurig nur, weil die beiden Alten noch nicht eingewöhnt sind in die humanitäre Praxis unserer sozialistischen Gesellschaft“ „Literatur als Indiz“ nennt Heinz Plavius (Ost-Berlin) seine Auseinandersetzung mit Sander, wo er dessen Interpretation in eigenartiger Weise zu widerlegen sucht: „Literatur indiziert: Gesellschaftliche Zustände und menschliche Beziehungen, Haltungen und Lebensgefühle, die ich hier nur deshalb im Pluralis gebrauche, um diesen Begriff der Mystifizierung zu entziehen. Aber nicht nur Literatur zeigt solches an, sondern auch Literatur über Literatur ... Der Rezensent sieht das als Grundthema der Erzählungen an, was den Stimmungen und Haltungen seiner Umwelt entspricht. Er möchte diese Stimmungen auch in die sozialistische Welt hinein projizieren, er möchte seinem Leser den Schluß nahelegen, wenn das bestimmende Thema in der Literatur Rückzug, Verzicht und Tod ist, kann es mit der Gesellschaft, die diese Literatur hervorbringt, nicht weit her sein. Eine solche Stellungnahme ist Indiz der eigenen Haltung und der Hoffnung auf unseren Untergang." Es besteht kein Zweifel, Stritt-matter ist nach jahrzehntelangen Vorarbeiten auf dem Weg zur Literatur.

Erik Neutschs (geb. 1931) Industrieroman „Spur der Steine" (1964) erschien pünktlich im Jahr der II. „Bitterfelder Konferenz" (April 1964). Die erste Auflage von 35 000 Exemplaren war, obwohl die SED diesen Roman zum Prototyp der . Bitterfelder Literatur'erklärte, in wenigen Wochen vergriffen. Neutsch, Sohn eines Arbeiters und Wirtschaftsredakteur der Bezirkszeitung von Halle, von dem bereits 1961 „Bitterfelder Geschichten" erschienen, versucht, ein Gesamtbild der DDR-Gesellschaft zu geben. So treten in diesem 900-Seiten-Roman, der Ulbrichts Chemie-programm propagieren soll, nicht nur Arbeiter und Bauern, fortschrittliche Intelligenzler und klassenbewußte Kulturschaffende auf, sondern auch Parteifunktionäre aller Ränge und Volks-polizisten, unpolitische Hausfrauen und der unvermeidliche Klassenfeind. Auch die Schauplätze wechseln: Nicht nur Arbeitsmethoden auf der Großbaustelle Schköna, womit Leuna gemeint ist, werden behandelt, sondern auch Praktiken bei der Kollektivierung der Landwirtschaft, die Zustände im Rostocker Hafen und Interna aus Ulbrichts Regierungssitz in Berlin-Niederschönhausen. Leicht ist dieser Roman, der Plankonfusion, Mißwirtschaft, Versorgungsmängel und falsche Personalpolitik angreift, als Reflex auf die neue Wirtschaftspolitik des VI. Parteitags zu erkennen, woraus sich auch einem unvoreingenommenen Leser die Schlußfolgerung aufdrängt, daß es die Partei selbst ist, die der Entwicklung der DDR zum modernen Industriestaat im Wege steht.

Neutsch erzählt, das ist der Hauptstrang des Romans, „die Geschichte des tüchtigen, jungen Arbeiters Balla, der nach konfliktreicher Entwicklung vom spontan handelnden zum bewußt sozialistisch arbeitenden, denkenden und fühlenden Menschen den Sinn des Lebens für sich entdeckt" Hannes Balla ist Anfüh-rer einer Zimmermannsbrigade mit anarchistischen Wesenszügen, der sich nicht um den Aufbau des Sozialismus kümmert, sondern um Frauen und ums Geldverdienen. Materialmängel behebt er durch Raubzüge auf andere Baustellen, auch einen Streik organisiert er. Von Parteisekretär Horrath umerzogen, findet er ein sozialistisches Verhältnis zur Arbeit, tritt der SED bei und reist künftig als Bauinstrukteur durchs Land. Aber auch Horrath ist durchaus nicht der positive Held des Romans. Er wird abgelöst, als seine der sozialistischen Moral widersprechenden intimen Beziehungen zur Ingenieurin Katrin Klee rudi-bar werden. Vor einem Parteigericht leugnet er schließlich die Liebe zur Genossin Klee ab, die ein Kind von ihm erwartet und angewidert die Baustelle verläßt. Der Vater Ballas, ein Einzelbauer, der nicht der Genossenschaft „Rote Erde" beitreten will, erfriert nachts auf dem Feld.

Trotz der Kritik an Fehlinvestitionen und Vergeudung von Staatsgeldern, der Aufdekkung falscher Berechnungen, der Angriffe gegen unfähige Funktionäre ist „Spur der Steine" ein kommunistisches Buch. Neutsch versteht es nämlich, für die ökonomischen Mißerfolge der DDR nicht die Partei überhaupt, der er Unfehlbarkeit zuerkennt, verantwortlich zu machen, sondern immer nur einzelne Mitglieder. Fehlleistungen erscheinen dadurch als historisch bedingt, daß sie auf das Nachwirken der alten Klassenstrukturen zurückzuführen sind.

Und doch finden sich Andeutungen in diesem Roman, die die vom Autor intendierte Interpretation fragwürdig erscheinen läßt, zum Beispiel der Ausspruch Ballas: „Kein Tod ist sichrer als die Selbstverachtung" der die individuelle Moral und nicht die Arbeit im Kollektiv zur entscheidenden sittlichen Instanz erklärt. Als Katrin Klee die Baustelle verläßt, fragt sie Balla: „Aber hier drinnen? Wie sieht der Kommunismus hier drinnnen aus? Ihr Gesicht ist eine bange Frage. Diese Frage bleibt unbeantwortet. Der nach dem Buch gedrehte Film wurde 1966 verboten.

Biographie seines Autors und Entwicklungsgeschichte der DDR gleichzeig ist der Roman „Die Aula" (1964/65) von Hermann Kant (geb. 1926), dargestellt an exemplarischen Lebensläufen. An politischem Werdegang und beruflichem Aufstieg mehrerer Studenten der „Arbeiter-und Bauernfakultät", einer Art Vorstudienanstalt der Universität Greifswald, soll gezeigt werden, mit welchen Schwierigkeiten der zweite deutsche Staat seit 1949 zu kämpfen hatte, bis er 1962, als die ABFs wieder geschlossen wurden, und der Ost-Berliner Journalist Robert Iswall, von Direktor Meibäum den Auftrag bekommt, in Greifswald die Abschiedsrede zu halten, als gefestigt gelten kann. Iswall zieht also bildungspolitisch Bilanz. Er fährt nach Greifswald, um sich die Akten zeigen zu lassen; er treibt Erkundungen in Ost-Berlin: „Beim heiligen Lenin, wie haben wir es doch weit gebracht! Alle, alle sind etwas geworden! Der eine ein berühmter Arzt und der andere ein berühmter Chemiker, der auch im Westen anerkannt ist(!), der dritte Oberst im Staatssicherheitsdienst, und der vierte Abteilungsleiter im Ministerium für Land-und Forstwirtschaft! O wie herrlich hat sich doch alles gefügt! Wie herrlich ist unsere Deutsche Demokratische Republik." Freilich läßt sich, wie Iswall bald einsehen muß, die Gegenwart nicht restlos gegen die Vergangenheit der fünfziger Jahre aufrechnen. Der Auftrag Meibaums führt zur Gewissenserforschung, wobei Iswall sowohl in seinem persönlichen Leben als auch in den Gründerjähren der DDR dunkle Punkte entdeckt. Er fährt nach Hamburg, um nach einem republikflüchtigen Freund von einst, dem begabtesten Mathematiker im Zimmer „Roter Oktober" zu forschen, er fährt nach Leipzig, um sich bei einem zweiten Freund zu entschuldigen. Als der am Ende doch positive Rechenschaftsbericht fertig ist, erfährt Iswall, daß seine Rede ausfallen wird.

Kant hat die beiden Geschehnisebenen 1949/52 und 1962 geschickt miteinander verflochten. Zudem ist der Roman in moderner Erzähltechnik geschrieben, so daß er, der besonders bei der studentischen Jugend Anklang fand (Erst-druck im „Forum"), von der Kritik ein „Gesellschaftsroman von historischer und natio-naler Bedeutung" genannt wurde. Nur Lob jedoch, das die gesellschaftskritischen Ansätze in diesem Roman ignorierte, hatte Kant nicht provozieren wollen: „Ich bin, offen gestanden, ein wenig mißtrauisch, denn wenn man so will, habe ich zur Zeit nur freundliche Echos, und das macht mich wirklich stutzig, weil ich ja in diesem Buch, wie ich glaube, doch auch etwas kritisch gewesen bin und manches darin aufgepickt habe, das mich und sicher auch andere kratzt. Also, ich glaube Wert legen zu dürfen auf den kritischen Ton dieses Buches. Das Merkwürdige aber ist, daß sich bisher niemand zu Wort gemeldet hat, der sich von dieser Kritik getroffen fühlt. Sollte er dabei bleiben, werde ich doch für mich mit diesem Buch nicht zufrieden sein."

Ein seit Jahren angekündigter zweiter Roman Kants „Das Impressum", aus dem Auszüge als Sonderdruck des Luchterhand-Verlags erschienen (1969), konnte bis heute nicht veröffentlicht werden. Es ist anzunehmen, daß in dieser fiktiven Autobiographie des Chefredakteurs einer Ost-Berliner Zeitung, der nicht Minister werden will, die kritischen Tendenzen so stark sind, daß die SED auf einer Neu-fassung besteht. In einem Interview mit der „Budapester Rundschau" (1969) nach einer Lesung aus dem neuen Roman ging Kant auf das Selbstverständnis des DDR-Schriftstellers ein: „Ich finde, ein tätiger, anteilnehmender Sozialist müßte immer ein kritisch Anteil-nehmender sein. Das ist auch in der Literatur selbstverständlich so. Immerhin halte ich die Kritik allein nicht für die einzige Melodie, die die Literatur zu singen hat, aber ich halte sie selbstverständlich für einen wesentlichen Ton, ohne den den Noten auf dem Notenblatt einiges fehlt. Da gibt es merkwürdige, leere Stellen in der Literatur, wenn so etwas nicht vorkommt." Vielleicht läßt sich der letzte Satz im Roman „Die Aula", in dem viel verschwiegen wird, als Versprechen deuten:

„aber hier wird schon noch geredet werden"

Grenzüberschreitungen

Der Leipziger Studentenroman „Der Weg nach Oobliadooh" (1966) von Fritz Rudolf Fries (geb. 1935) konnte nur in der Bundesrepublik erscheinen. Die beiden Helden des Romans führen nach Feierabend ein Leben nach westlichen Vorstellungen und fliehen, wenn ihnen die Politik zu nahe rückt, in Jazz und Alkohol. Doch staatsfeindliches Träumen und Trinken ist nicht erlaubt, eine unpolitische Haltung verdächtig. Die beiden Freunde Arlecq und Paasch ziehen sich ins Irrenhaus zurück, wo sie dann doch entdeckt werden.

Auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965, das die kulturpolitische Gegenoffensive zur systemkritischen Literatur nach dem VI. Parteitag (Januar 1963) einleitete und zur Errichtung einer neuen Zensurstelle, dem Ost-Berliner . Büro für Urheberrechte'(inoffiziell Lex Biermann'genannt), führte, dem seither alle für die Veröffentlichung im Ausland vorgesehenen Manuskripte vorgelegt werden müssen, wurde mit unerwünschten Tenden in den Publikationen von vier weiteren DDR-Autoren abgerechnet.

Bertolt Brecht soll im Januar 1955 Stefan Heym (geb. 1913) gegenüber bemerkt haben, er sehe nur noch Hoffnung für eine realistische Literatur, wenn in Rußland etwa ein Roman erscheine, der so beginne: „Minsk ist eine der langweiligsten Städte der Welt." In seinem Aufsatz „Die Langeweile von Minsk", der in der DDR nicht, wohl aber in der Slowakei erschienen und am 29. Oktober 1965 in DIE ZEIT nachgedruckt worden war, hatte Heym mit einem Zitat Abraham Lincolns für einen neuen Realismus plädiert: „Man kann einen Teil der Leute die ganze Zeit zum Narren halten; man kann alle Leute einen Teil der Zeit zum Narren halten; aber man kann nicht alle Leute die ganze Zeit zum Narren halten." Was Heym vor allem störte, war eine Zensur, die vorgab, in sozialistischem Auftrag zu fungieren: „Es ist, als wollte man eine Photographie aufnehmen, und jemand hielte einem den drohend erhobenen Finger direkt vor die Linse der Kamera. Man muß dem Besitzer des Fingers sagen, er soll ihn wegnehmen, wenn man ein Bild erhalten will statt eines Schattens ... zur Zeit werden eine ganze Anzahl sozialistischer Finger vor unseren sozialistischen Linsen erhoben, und wir haben ein ganzes Sortiment sozialistischer Tabus . . . Die Wahrheit ist mehr als eine hübsche Statue in einem friedlichen Bürgerpark. Sie lebt, sie verlangt, daß Partei ergriffen wird. Sie ist revolutionär."

Die Erfahrungen mit der staatlichen Zensur hatte Heym, der als amerikanischer Offizier für psychologische Kriegsführung an der Invasion in der Normandie teilgenommen hatte und erst 1952 nach Ost-Berlin übergesiedelt war, schon in den fünfziger Jahren nach neuen Möglichkeiten, seine politischen Ansichten indirekt mitzuteilen, suchen lassen, über ein Manuskript, das den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der SED-Version behandelte, aber ungedruckt geblieben war, schrieb Robert Havemann 1970: „Mein Freund Stefan Heym hat die Vorgeschichte und den Ablauf des Volksaufstandes vom 17. Juni in einem Roman dargestellt, dem er den Titel Der Tag X'gab. Er ließ das Manuskript vervielfältigen und sandte fünfzig Exemplare, große, dicke, in schwarzes Kaliko gebundene Schwarten, an fünfzig Politiker und Künstler in der DDR. Von vielen erhielt er ausführliche Stellungnahmen, teils sehr positive, teils kritische, teils scharf ablehnende. Der List-Verlag nahm das Manuskript an und schloß mit Heym einen Vertrag. Aber das Buch durfte nicht veröffentlicht werden. Ich war damals sehr entschieden für die Veröffentlichung. Inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Stefan Heym sollte der Partei dankbar sein, daß Der Tag X'nie erschienen ist. Heym übernimmt nämlich die grundfalsche offizielle Lesart, wonach der 17. Juni ein von den westlichen Geheimdiensten organisiertes konterrevolutionäres Unternehmen war. Heym zeichnet zwar ein treffendes Bild der stalinistischen Parteibürokratie und beleuchtet die ökonomischen Hintergründe der Unzufriedenheit der Arbeiter in den volks-eigenen Industriezweigen. Diese Erscheinungen werden dann aber von einer Gruppe von Spezialisten in raffinierter Weise für die Vorbereitung der Konterrevolution ausgenutzt. Ausgekochte Agenten gewinnen einfältige sozialdemokratische Arbeiter und Gewerkschafter, mit deren Hilfe die Belegschaft eines Großbetriebes aufgehetzt wird. Planmäßig wird der Tag X in Szene gesetzt.“

Zehn Jahre später versuchte Heym, seine inzwischen antistalinistisch gewandelte Kritik in Form eines historischen Romans über einen anderen Aufstand, die badische Revolution 1848'49, vorzutragen. In der englisch geschriebenen Originalfassung „The Lenz Papers" („Die Papiere des Andreas Lenz", Leipzig 1963; „Lenz oder die Freiheit", München 1965) finden sich, ähnlich wie in „Uncertain Friend" („Lasalle", 1969) eine Fülle von Anspielungen auf DDR-Verhältnisse, die beide Bücher als Schlüsselromane ausweisen. Am deutlichsten zeigt sich diese Tendenz in Heyms letztem Buch „Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe" (1970), worin sich der Autor mit Ereignissen der englischen Geschichte des Jahres 1702/03 auseinandersetzt. Damals ging die anglikanische Staatskirche gegen unorthodoxe Protestanten vor, was Daniel Defoe zu seiner Satire „The shortest way with the Dissenters“ veranlaßte. Wenn Heym . Dissenters'mit dem politisch nicht unverdächtigen Terminus . Abweichler'übersetzt, horcht man freilich auf, wenn man erfährt, daß er sich über das Buch von dem Ost-Berliner Anglistikprofessor Dr. Anselm Schlösser ein Gutachten hat anfertigen lassen, worin bestätigt wird, „daß die Novelle in allen Einzelheiten auf Tatsachen beruht, daß sie mit verläßlichen Defoe-Biographien in Einklang stehen, daß sämtliche Zitate wörtlich übersetzt oder sinngemäß richtig paraphrasiert sind und daß die freigestalteten Szenen sich im Rahmen einer legitimen literarischen Interpretation aus der allgemeinen Sicht einer progressiven Geschichtsauffassung halten.“ Allerdings findet sich im Buch vom Staatssekretär Ihrer Majestät, Lord Nottingham, auch folgender Satz: „Eine Armee von Verbrechern ... stellt keine Bedrohung der bestehenden staatlichen Ordnung dar. Aber ein aufsässiger Schriftsteller gehört nach Newgate hinter Schloß und Riegel..."

Derartige Ausweichmöglichkeiten wie Heym konnte Werner Bräunig (geb. 1934), Leiter des Prosaseminars am Leipziger Literaturinstitut, nicht in Anspruch nehmen. Das im Vorabdruck erschienene Kapitel „Rummelplatz" (Oktober 1965) aus seinem Wismut-Roman „Der Eiserne Vorhang", das die Vorgänge um die Uran-förderung nach 1945 im Erzgebirge in düsteren Farben schilderte, auch Nachkriegselend und Sittenverwilderung nicht verschwieg, provozierte die Wismutkumpel von 1965 zu einem polemischen Brief „Das Erz des Lebens und der Literatur" in Neues Deutschland: „Deshalb unsere Frage: Kanntest Du die Menschen in der Dunkelheit und ihre Gleichgültigkeit? Kanntest Du die Menschen damals, die Glücksritter, die unter Tage mit sich und dem Berg allein waren? ... Wir möchten Dir sagen: Keiner war allein, jeder fand einen Kumpel, mit dem er gemeinsam die schwere Arbeit verrichtet hat... Du weißt, Bergarbeiter sind nicht zimperlich. Eine harte Arbeit bringt oft auch harte Töne mit sich. Aber Deine literarische Arbeit hat bis jetzt noch keiner von uns seiner Frau oder gar seinen erwachsenen Kindern zu lesen gegeben ... Deine Darstellung aber ist uns ... wesensfremd. Wir empfinden sie ihrem Gehalt nach als eine Beleidigung unserer eigenen Frauen.. . Welche Empfindungen, welche Gefühle willst Du mit der Beschreibung von solchen abseitigen Geschehnissen in deinen Lesern hervorrufen? Und besonders empört sind wir darüber, wie in dem von uns jetzt gelesenen Abschnitt Deines Werkes die Rolle und Bedeutung unserer sowjetischen Freunde und Genossen dargestellt wird... Auch wenn das in der damaligen Zeit nicht jeder sofort begriffen hat, eines steht fest: Die Arbeit unserer sowjetischen Freunde war uns von Anbeginn Hilfe bei all unserem Tun. Es waren sowjetische Offiziere und Soldaten, die uns lehrten, die ersten Schritte beim Neuaufbau, die ersten Schritte vom Ich zum Wir zu tun. Sie halfen uns bei der Arbeit, sie halfen uns bei der Erziehung und Bildung der Menschen, sie unterstützten die Genossen unserer Partei, der Gewerkschaft und der Jugendorganisation, wo sie nur immer konnten. Und dies alles taten sie für unser deutsches Volk, obwohl ihnen vom faschistischen Deutschland unsagbares Leid zugefügt worden war. Sie hatten vor allem Vertrauen zu den Menschen... Ein sozialistischer Schriftsteller muß doch wahrheitsgetreu die Entwicklung schildern.“

Hier wird deutlich, daß der Wirklichkeitssinn des Autors, der sich durch Quellenstudien und Zeugenaussagen über die damaligen Zustände informiert hatte, den vorgegebenen Rahmen zu sprengen drohte. Erwünschte Kritik, die nicht als systemfeindlich eingestuft werden wollte, durfte zwei Dinge nicht berühren: den kommunistischen Moralkodex und die Rolle der russischen Besatzungsmacht. Mit dem Antwortbrief „Nicht die Schwierigkeiten — ihre Überwindung!" übte Bräuning . Selbstkritik'und gab die Arbeit an seinem Roman auf. Mit seinem letzten Erzählungsband „Gewöhnliche Leute" (1969) zeigt er sich, der einst subjektiver Bestrebungen verdächtigt wurde, um objektive Wahrheit im Sinne des . Bitterfelder Wegs 1 bemüht.

Auch Manfred Bielers (geb. 1934) Roman „Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich“ (München 1969) konnte in der DDR nicht erscheinen; der nach dem Manuskript gedrehte Film wurde verboten. Damals wies Ulbricht mit Maetzig den den Regisseur Kurt Worten zurecht: „Wenn es unter den Künstlern jetzt wieder einige gibt, die von einem neuen , harten Kurs'faseln, muß ich die Frage stellen: , Ist das nicht eine Umkehrung der Wahrheit? Ist nicht Ihr Film .. .der härteste Kurs gegen unsere Partei'...?"

Bieler, dem es 1967 (er ist mit einer Tschechin verheiratet) gelang, von Ost-Berlin nach Prag überzusiedeln, der schließlich nach der Sowjetinvasion im Sommer 1968 nach München kam, brachte mehrere Erzählungen mit („Der junge Roth", München 1968), die er in der DDR nie hätte veröffentlichen können. Bei der „Rede des Aufsehers über das Wesen des Strafvollzugs" handelt es sich freilich um den verselbständigten und leicht veränderten Abschnitt 58 aus dem Roman „Bonifaz oder Der Matrose in der Flasche" (Ost-Berlin und Neuwied 1963), worin die Seelenqualen eines Gefängnisbeamten beschrieben werden, der zwei in derselben Zelle inhaftierte Bäcker von der Notwendigkeit ihrer Bestrafung überzeugen soll: der eine sitzt, weil er verbotener-weise Kleie ins Brot gebacken hat, der andere, weil er es unterließ, als es vom Staat angeordnet war.

Wichtiger sind drei satirische „mit Rücksicht auf ihre Inhalte ungedruckte politischen bisher In Arbeiten" „Barbo spricht" wird von einem Land erzählt, dessen Bewohner aus unbekannten Gründen in den Nachbarstaat abwandern, „zumal es keine unüberwindlichen sprachlichen Schwierigkeiten gibt" In „Winterlandschaft" beklagt ein Minister auf einer Ausstellung die Kälte eines Winterbildes und ordnet einen . Kurzen Lehrgang für Winter-maler'zur Produktion wärmerer Winterbilder an. „Vater und Lehrer" schließlich, höchster Staatsfunktionär, besucht eines Nachts das Zuchthaus für politische Häftlinge, um mit seinen ehemaligen Gegnern zu sprechen: Ein Attentäter ist darunter, ein Lyriker und vier Männer, die sich unaufhörlich politische Witze erzählen, so daß sie selbst die Mitteilung, ihre Strafzeit sei deswegen um drei Jahre verlängert worden, als politischen Witz auffassen und mit Gelächter quittieren.

Bei dem Roman um „Maria Morzeck" dagegen Ort angebbar: sind und Zeit genau Er spielt vor und nach 1961 in Ost-Berlin. Die verhinderte Slawistikstudentin und jetzige Aushilfskellnerin im geboren 1942, versucht Sommer 1963 aufzuschreiben, was ihr in den vergangenen vier Jahren zustieß: „Ich heiße Maria Morzeck. Wenn ich einen Roman schreiben wollte, würde ich anders anfangen. Aber ich brauche mir ja nichts aus den Fingern zu saugen. Ich schreibe einfach, was ich selber erlebt habe ..." als Grund gibt sie an; „Damit ich nicht wahnsinnig werde" Da ihr Bruder aus politischen Gründen seit 1959 inhaftiert ist, wird sie nicht zum Studium zugelassen, sondern soll sich durch Arbeit bewähren. Im November 1961 lernt sie einen zwanzig Jahre älteren Mann kennen, in den sie sich verliebt: es ist ausgerechnet der Richter, der ihren Bruder verurteilte. Von einem Freund erfährt sie von der inneren Verfassung des SED-Richters Paul Deister: „Das hat seine schlaflosen Nächte, seine verweinten Kopfkissen, seine Selbstgespräche, seine vegetative Dystonie, Tabletten, Elektrocardiogramme, Schnaps, da muß sogar ein Psychiater her, dann aber wieder Schnaps, oder vielleicht eine Freundin." Das sind Enthüllungen, denen sie nicht gewachsen ist: „Als Harry Rutek die Tür hinter sich zugemacht hat, ging ich an den Ausguß und kotzte. Zuerst dachte ich, ich bin schwanger, dann schob ichs auf den Wein, der schon ein paar Tage offen gestanden hatte, und zuletzt auf die Hitze, aber es war was anderes. Ich hatte einfach das Gefühl, ich stehe über ’ner Jauchegrube und kann den Kopf nicht wegdrehn."

Im Dezember 1962 wird Bruder Dieter entlassen, der, als er von Marias intimen Beziehungen erfährt, seine Schwester halb zu Tode prügelt. Daher rühren ihre Ohnmachtsanfälle und Angstzustände. Schreibend hofft sie, darüber hinwegzukommen.

Ein sich derart unverschlüsselt gebender Realismus, der Fakten, Namen und Daten nennt, der keinen . positiven Helden’ als Sprachrohr politischer Meinung, sondern eine Ost-Berliner Bürgerin, die nach 1961 an der Politik scheitert, vorführt, konnte in der DDR nicht toleriert werden. Erst außerhalb der Grenzen dieses Staates schien es Bieler, wie er 1969 andeutete, möglich, realistisch über diesen Staat zu schreiben: „Im vergangenen März (1968) wurde ich in den tschechoslowakischen Schriftstellerverband aufgenommen, als deutscher Schriftsteller. So paradox das klingt, wurde ich endgültig deutscher Schriftsteller erst in dem Augenblick, als ich tschechoslowakischer Staatsbürger wurde."

Manfred Bieler gehört somit neben Horst Bienek, Martin Gregor-Dellin, Wolfgang Hädecke, Uwe Johnson, Peter Jokostra, Hartmut Lange, Eva Müthel, Christa Reinig, Gerhard Zwerenz einer Gruppe von DDR-Autoren an, die in der Bundesrepublik leben und schreiben, als deren eigentliche Leserschaft (zumindest was die ersten Westbücher dieser Schriftsteller betrifft, die noch der anderen Realität'verpflichtet waren) aber nicht die westdeutsche anzusehen ist. Vielleicht ist das Beispiel der Lyrikerin Reinig (geb. 1926), die 1964 ausreisen durfte, um den „Bremer Literaturpreis" entgegenzunehmen, zur Erhärtung dieser These ungeeignet, da sie (wie Bienek, Hädecke, Jokostra) die DDR-Wirklichkeit erlitt, ohne eine politisch glaubwürdige Gegenposition zu vertreten. Die Dramen des Marxisten und Brechtschülers Lange (geb. 1937) wiederum wurden in der DDR nicht aufgeführt, weil sie eine andere Art von Marxismus propagierten als den offiziellen, und in der'Bundesrepublik (z. B. das Puntila-Stück „Marski" [1962/63]) wieder abgesetzt, weil sie vom Publikum nicht verstanden wurden.

Auch der Liedermacher Wolf Biermann (geb. 1936) ist Marxist, der mit Robert Havemann den DDR-Kommunismus mit marxistischer Elle mißt und deshalb jederzeit ausreisen könnte, wenn er nur wollte. Geboren in Hamburg als Sohn eines 1942 inAuschwitz ermordeten Kommunisten, kam Biermann 1953 nach Ost-Berlin, war von 1957 bis 1959 Regieassistent des Berliner Ensembles und studierte dann Philosophie und Mathematik. Als Lyriker entdeckt wurde er (nach dem verbotenen Drama „Berliner Brautgang" von 1961) von Stephan Hermlin auf der erwähnten öffentlichen Lyrik-lesung im Dezember 1962, doch existiert er, da ihn kein DDR-Literaturlexikon verzeichnet, offiziell als Schriftsteller nicht, allenfalls als Ost-Berliner Bürger. Dennoch und gerade deswegen sollen seine beiden Gedichtbände „Die Drahtharfe" (West-Berlin 1965) und„MitMarxund Engelszungen" (1968) und nun auch das neue Stück „Der Dra Dra" (1970), seit er 1965 Auftrittsverbot (1964 durfte er noch in der Bundesrepublik auftreten) bekam, in Ost-Berlin zu Schwarzmarktpreisen gehandelt werden. Dem Frankfurter Schriftsteller Horst Krüger, der ihn im Sommer 1969 besuchte, erklärte er dazu: „Sagen Sie doch den Leuten drüben, sie sollen nicht immer vom armen Biermann reden. Albernes Zeug; ich kann doch kaum klagen. Sie sollen vom armen Sozialismus reden in Deutschland, dem geht es schlecht . . . Publikationsverbot? Ich bin'doch ein weitverbreitteter Autor hier. Die Leute reißen sich doch nach meinen Sachen, unter dem Ladentisch. Sie schreiben meine Gedichte ab, lernen sie auswendig, kopieren sich Tonbänder. Von so etwas träumt doch jeder Lyriker."

In seinen Liedern, die in der Tradition politischer Lyrik in Deutschland (Heine, Tucholsky, Brecht) stehen, setzt Biermann die kommunistische Utopie gegen die Ansprüche des „institutionalisierten Marxismus“ (Leszek Kolakowski): „Die Gegenwart, euch süßes Ziel all jener bittren Jahre, ist mir der bittre Anfang nur, schreit nach Veränderung" so heißt es in dem Gedicht „An die alten Genossen". Immer wieder sind es die Altkommunisten, die zwar im illegalen Kampf ihren Mann standen, heute aber versagen; ihnen ist die „Antrittsrede des Sängers" gewidmet: „Die einst vor Maschinengewehren mutig bestanden, fürchten sich vor meiner Guitarre. Panik breitet sich aus, wenn ich den Rachen öffne, und Angstschweiß tritt den Büroelephanten auf den Rüssel, wenn ich mit Liedern den Saal heimsuche .. Die Starrköpfigkeit • der alten Funktionäre, die nicht abtreten wollen und jede Kritik am Staat verketzern, ist für Biermann ein Charakteristikum des DDR-Sozialismus, der mit seinen Erbauern („Portrait eines alten Mannes") selbst vergreist ist: „Seht, Genossen, diesen Weltveränderer: Die Welt, er hat sie verändert, nicht aber sich selbst, seine Werke, sie sind am Ziel, er aber ist am Ende. Das seht, Genossen. Und zittert!" Das im Laufe von zwanzig Jahren entstandene System der Bürokratie schreckt deshalb auch viele gutwillige DDR-Bürger ab, wie den Arbeiter Fredi Rohsmeisl, der es wagte aus der Reihe zu tanzen und deshalb ins Gefängnis kam: „Er ist für den Sozialismus und für den neuen Staat, aber der Staat in Buckow, den hat er gründlich satt." Auch die dem Schriftsteller staatlich verordnete Aufgabe, immer nur zu loben, statt zu mißbilligen, also „Glückseintopf" („Tischrede des Dichters")

zu liefern, lehnt Biermann ab: „Schafft in der Wirklichkeit mehr Glück. Dann braucht Ihr nicht so viel Ersatz in meinen Worten. “

Nicht umsonst sind drei Gedichte des Bandes „Mit Marx-und Engelszungen“ Robert Havemann, Peter Hüchel und Walter Janka gewidmet, mit denen Biermann befreundet ist: Von Havemann erhofft er sich Hilfe bei einer Erneuerung des Marxismus; Hüchel ist kein Marxist, darf aber seit 1962 gleichfalls nicht mehr publizieren; Janka, einstiger Leiter des Ost-Berliner Aufbau-Verlags, gehörte 1956/57 der antistalinistischen Opposition an, wofür er mit vier Jahren Zuchthaus bestraft wurde.

Hoffnung verband Biermann auch mit dem tschechischen Reformkommunismus von 1968;

damals schrieb er das Gedicht „In Prag ist Pariser Kommune". Seine Großmutter, die noch heute in einem Hamburger Altersheim lebende alte Kommunistin Oma Meume, die sich in ihrer Verzweiflung keinen Ausweg mehr weiß, läßt er 1968 beten: „O Gott, laß Du den Kommunismus siegen!“

Realismus: Praxis und Theorie

Wie stark offensichtlich die literarische Praxis — und dazu zählen auch zahlreiche, öfters erwähnte, aber unveröffentlichte Manuskripte in den Archiven der DDR-Verlage (im Herbst 1970 wurden im Mitteldeutschen Verlag, Halle, Leiter, Cheflektor und ökonomischer Direktor abgelöst und 13 schon ausgedruckte Titel gestoppt, darunter Karl Mundstocks Reportagenband über Eisenhüttenstadt „Wo der Regenbogen steigt") — in den Jahren nach dem 11. Plenum (Dezember 1965) von kulturpolitischen Dispositionen und literaturtheoretischen Dogmen abwich, zeigten einerseits die offiziellen Direktiven über die Aufgaben sozialistischer Schriftsteller in den siebziger Jahren, andererseits aber auch Ansätze zur Revision des Realismusbegriffs.

Auf dem VII. Parteitag der SED (17. — 24. April 1967) wurden die bereits auf der II. Bitterfelder Konferenz (April 1964) gebrauchten Begriffe Kulturplanung, Kulturökonomie und Kulturprognose, denen restriktive Funktionen gegenüber angeblich nichtsozialistischer Literatur zukommen sollen, erneut aufgegriffen: „ 1. Die sozialistische Gesellschaft kann nur Leistungen bezahlen, die ihr Nutzen bringen. 2. Nützlich für die sozialistische Gesellschaft sind Werke und Darbietungen von hoher parteilicher, auf den Sozialismus orientierter Aussagekraft sowie Darbietungen des humanistischen Erbes, die maximale Verbreitung und entsprechende Einnahmen garan-tieren." Produktion von Literatur soll künftig auch nicht mehr Einzelschriftstellern, deren Selbstverständnis noch von bürgerlichen Vorstellungen geprägt ist, überlassen, sondern an Kollektive delegiert werden: „Es wandelt sich die Rolle des Künstlers . . . Der Individualkult und die Ruhmsucht in der Kunst werden deshalb verschwinden, doch überragende künstlerische Leistungen, die dann wohl in der Regel von einem Kollektiv vollbracht worden sind, werden die ihnen gebührende Anerkennung finden.“

Widerspruch zu diesem Kollektivkult machte sich ausgerechnet in den Gedichten und Prosa-texten der DDR-Autoren bemerkbar, die sich als entschiedene Marxisten bekannten. Bei Wolf Biermann konnte man 1965 lesen: „Das Kollektiv liegt schief" Eine „Rehabilitierung des Idi" „im Namen des kommunistischen Menschen" trug Günter Wünsche (geb. 1931) 1967 vor. Gerügt wurde auch der mit dem neuen Ich-Bewußtsein korrespondierende „Rückzug zu neuer Innerlichkeit" als literarisches Thema, von Erik Neutsch polemisch mit „Verlust ... an Realismus" gleichgesetzt, wie er in einigen Beiträgen der Anthologie „Neue Texte 67" zum Ausdruck kam. Christa Wolf wurde vorgeworfen, mit ihrer Skizze „Juninachmittag" der Privatisierungsgefahr erlegen zu sein; Karl Mickels Prosaversuch „Fernsehen" erschien verdächtig, weil er im Stil des , nouveau roman'gearbeitet war; gegen Günter Kunerts Erzählung „Der Hai" wurde vorgebracht, daß der sozialistische Verfasser nirgends sichtbar werde: „... wird die sozialistische Position von der Inhumanität des Dargestellten ganz aufgeschluckt ... Die Unmoral der herrschenden Klasse ist fast zu einer natürlichen, vererbbaren Eigenschaft des Menschen geworden“

Gegen die Anthologie „Saison für Lyrik" (1968) brachte eine Sigrid Mühlhaus unter dem Titel „Lyrik? Wuchernde Worte" in Neues Deutschland vor: „So etwas schlucken wir nicht! Wir pochen auch bei unseren Lyrikern auf Präzision, und zwar auf die gleiche Genauigkeit, wie wir sie von unseren Werktätigen bei der Herstellung materieller Güter verlangen. Wir sollen uns über ein schlechtes Gedicht genauso aufregen, wie über einen mangelhaft produzierten Gebrauchsgegenstand."

Literatur habe die Aufgabe, schrieb Erik Neutsch 1970 in Neues Deutschland, zum „Entwurf eines neuen Menschenbildes" beizutragen; was er jedoch in neueren Veröffentlichungen einiger DDR-Schriftsteller, die er nicht namentlich nannte, feststellen mußte, war „eine merkwürdige Zurücknahme von gesellschaftlicher Konkretheit, von realistischer Prägnanz" was nicht wahrer Ausdruck der DDR-Verhältnisse sein könne: „Da wird ...der Versuch unternommen, den Menschen von heraus ans zu . . . innen Tageslicht befördern Was bei solcher Art Verinnerlichung von literarischen herauskommt, denn auch Helden ist meist ... die Vereinsamung. *Und diese triste Gevatterin hat wohl überall ihre Berechtigung, nur nicht in einer sozialistischen Gesellschaft ..., weil die gesellschaftlichen Bedingungen im Sozialismus ... objektiv keine sind, die Vereinsamung erzeugen." Bereits fünf Jahre früher, in ihrer Rede auf dem Dezemberplenum 1965, hatte Christa Wolf, die daraufhin von der Liste der Kandidaten des ZK der SED wieder gestrichen worden war, die genau entgegengesetzte Position vertreten: „Diese Menschen, die hier bei uns gewachsen sind, sind reif dafür, solche Literatur, wie sie in den letzten Jahren enstand, zu begreifen, richtig zu verstehen und durch ihre Anregungen, durch ihre Kritik und dadurch, wie sie sich dazu verhalten, weiterzuentwickeln." Auch der Begriff des . sozialistischen Realismus', der nicht durch den Stil, sondern durch die ihn bedingende Art der Wirklichkeitsauffassung definiert ist, erfuhr in den Jahren nach 1961, wobei man sich auf Brechts Aufsatz von 1938 „Weite und Vielfalt realistischer Schreibweise" berufen konnte, eine Erweiterung. Heinz Plavius, Redakteur der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur, meint in seinem Beitrag „Realismus in der Entwicklung" (1964), dem subjektiven Formwillen des Schriftstellers mehr Bedeutung als bisher beimessen zu dürfen: „Die realistische Widerspiegelung entspricht im Prinzip der Wirklichkeit, ohne ihr im Detail sklavisch folgen zu müssen ... Die Kunst ist ein Produkt der Widerspiegelung des Wirklichen, die auch ein geistiges Hinausgehen über das wirklich Gegebene einschließt, d. h., sie ist auch ein Produkt der schöpferischen Aktivität, der Subjektivität des Künstlers."

Zwei Jahre später jedoch, als sich Manuskripte mit systemkritischen Tendenzen in den Lektoraten anzusammeln begannen, optierten Werner Neubert und Erwin Pracht für einen konstruktiven Begriff von Kritik: „Der sozialistische Realismus kann nicht im Widerspruch zu der sich ununterbrochen entwickelnden sozialistischen Gesellschaft, ihren Grundlagen und ihren Eigenschaften erfolgreich sein. Er bezieht seine Entwicklungsmöglichkeiten vielmehr gerade aus ihr ... Der Versuch, die Attraktivität eines Kunstwerks einseitig durch scharfe Kritik an Erscheinungen und Institutionen der sozialistischen Gesellschaft zu erhöhen, ist ideologisch wie ästhetisch unhaltbar und muß zu Fehlschlägen im Kunstschaffen führen."

Die gegenoffizielle Literatur

Als Altkommunist Fritz Selbmann 1969 in einer öffentlichen Diskussion Kontakt zur werktätigen Bevölkerung Thüringens suchte, entdeckte er — so nachzulesen unter dem Titel „Mut und Lust zum Neuen" — in der Erfurter Zeitung Das Volk vom 15. Februar 1969 —, daß sich die lesenden Arbeiter von Eisenach über die mangelnde Qualität der Gegenwartsliteratur beklagten. Die von der SED propagierte Gebrauchsliteratur auf dem . Bitterfelder Weg', die Romane Herbert Ottos („Zeit der Störche", 1966), Werner Heiduczeks („Abschied von den Engeln", 1968), Martin Viertels („Sankt Urban", 1968), schienen dort nicht anzukommen. Andere Bücher, die von bestimmten Käuferkreisen aufmerksam gelesen wurden, fanden bei den staatlichen Stellen jedoch, da sie den neu entdeckten Weg , Vom Wir zum Ich'anzeigten, nur geteilte Zustimmung. Irmtraut Morgners (geb. 1933) Roman „Hochzeit in Konstantinopel" (1968/69) zum Beispiel wurde dadurch zum Politikum, daß in dieser Beschreibung einer Sommerreise nach Dalmatien von Politik nicht die Rede war; Günter de Bruyns (geb. 1926) Roman „Buridans Esel" (1969), der von den Seitensprüngen eines SED-Genossen handelte, zeigte zu deutlich negative Züge und kleinbürgerlichen Mief in der DDR-Gesellschaft. Am unbequemsten aber erwies sich Alfred Wellms (geb. 1927) Lehrerroman „Pause für Wanzka oder Die Reise nach Descansar" (1968/70), eine scheinbar unpolitische Idylle abseits der Industriezentren, die aber dennoch ein politisches Programm enthält: Lehrer Wanzka kämpft gegen die Partei und setzt sich schließlich durch.

Versuche, die DDR-Gesellschaft kritisch zu sehen und sie an ihrem eigenen Anspruch zu messen, werden, anders als in den fünfziger Jahren, heute von Leuten unternommen, die den „neuen Staat" (Biermann) bejahen, ihn aber für noch unvollkommen halten: „Positiv und kritisch" ist denn auch der Titel einer Rezension zu Gedichten Volker Brauns (geb. 1939), in dessen neuem Drama „Hans Faust'(unveröffentlicht) Mephistopheles als Parteifunktionär auftreten soll. Auch Rainer Kirschs (geb. 1934) Antwortgedicht „Meinen Freunden, den alten Genossen" (1965) dokumentiert den Generationsunterschied, der die jungen Genossen mit neuen Problemen konfrontiert: „Denn es träumt sich leicht von Glückssemestern; aber Glück ist schwer in diesem Land. Anders lieben müssen wir als gestern und mit schärferem Verstand."

Reiner Kunzes (geb. 1933) zweiter, in der Bundesrepublik veröffentlichter Gedichtband „Sensible Wege“ (Reinbek 1969) steht jenseits dieser staatstreuen Literatur, weshalb der in Greiz lebende Lyriker, wie auch Christa Wolf wegen ihres Romans „Nachdenken über Christa t.“ (1968/69), auf dem VI. Schriftstellerkongreß (28. — 30. Mai 1969) von Max Walter Schulz, Direktor des Leipziger Literaturinstituts, in seinem Referat „Das Neue und das Bleibende in der Literatur" scharf angegriffen wurde. Kunze studierte Philosophie in Leipzig, wo er bis 1959 wissenschaftlicher Assistent mit Lehrauftrag war, dann aber, vermutlich ideologischer Differenzen wegen, noch vor der Promotion als Hilfsarbeiter in die Industrie ging, ehe er 1962 freier Schriftsteller wurde. Sein erster Gedichtband „Vögel über dem Tau" (1959) enthielt unpolitische Liebeslyrik, in seinem zweiten „Widmungen“ (1963) fanden sich schon die bezeichnenden Sätze: „Ich bin des Regenbogens angeklagt, und die großen Farben Schwarz und Weiß sitzen in vielen Häusern meiner Stadt." Wie Manfred Bieler lebte auch Reiher Kunze, der mit einer tschechischen Ärztin verheiratet ist und 1968 den Preis des . Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes" für seine Nachdichtungen bekam, mehrere Jahre in Böhmen und Mähren; seine bei Rowohlt veröffentlichte Sammlung ist auch, was nach der Sowjetinvasion von 1968 besonders provozierend wirken mußte, „dem tschechischen Volk, dem slowakischen Volk" gewidmet, einzelne Gedichte daraus Peter Hüchel, Wolf Biermann, Aleksandr Solchenizyn und Tibor Dery. Genau datiert „Dresden Frühjahr 1968", was nicht nur Angabe von Ort und Zeit, sondern auch den politischen Standpunkt des Verfassers meint, ist „Rückkehr aus Prag":

Eine Lehre liegt mir auf der Zunge, doch zwischen den Zähnen sucht der Zoll.“ Ähnlich offen äußert sich Kunze in mehreren Gedichten der von Schulz kritisierten Ausgabe;

„Die Bringer Beethovens" führt er die angeblich sozialistische Kulturpolitik ad absurdum. In „Kurzer Lehrgang" liest man unter „Ethik": „Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht der Einzelne.“ Ein weiteres Gedicht, „Von der Notwendigkeit der Zensur" zeigt aber bereits die Tendenz zur Verinnerlichung an, die sich nicht nur auf Kunze und nicht nur auf Lyriker beschränkt: „Retuschierbar ist alles. Nur das Negativ nicht in uns.“ Diese Position des Einzelnen (siehe Wolf Bier-mann), der auf sich selbst zurückgeworfen ist, scheint letztlich uneinnehmbar — eine Art von Solipsismus, der die Phrase von der . sozialistischen Menschengemeinschaft'erneut Lügen straft.

Bei Kunze, damit ist der Unterschied zu dem in Ost-Berlin lebenden Biermann angegeben, kommt noch hinzu, daß er ziemlich vereinsamt in einer thüringischen Kleinstadt lebt: „Greiz, grüne Zuflucht, ich hoffe, ausgesperrt aus Büchern, ausgesperrt aus Zeitungen, ausgesperrt aus Sälen, eingesperrt in dieses Land, das ich wieder und wieder wählen würde, hoffe ich mit deinem Grün." Während sich Biermann als Marxist zur Wehr setzt, seine Verse sind im Ton aggressiver, erleidet Kunze die Wirklichkeit. Die Isoliertheit in der DDR-Provinz läßt ihn „Hunger nach der Welt" empfinden. Allein ein Zyklus von 21 Gedichten beschäftigt sich mit dem Themen-komplex: Briefe schreiben, Briefe erhalten, Briefzensur, Briefträger, Postamt. Reisen in die Tschechoslowakei vermögen nur wenig Abhilfe zu schaffen, zumindest aber wird man dort nicht zu politischen Bekenntnissen genötigt: „Einladung zu einer Tasse Jasmintee. Treten Sie ein, legen Sie Ihre Traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen."

Für Max Walter Schulz bezeichnen die Gedichte Reiner Kunzes nur „den fatalen lyrischen Ort zwischen Innenweltschau und Antikommunismus in gestochener Schärfe" Den Schluß, daß die DDR-Gesellschaft krank ist, wenn dort solche Gedichte entstehen, läßt er nicht zu: „Es ist alles in allem . . .der nackte, vergnatzte, bei aller Sensibilität aktionslüsterne Individualismus, der aus dieser Innen-welt herausschaut und schon mit dem Antikommunismus, mit der böswilligen Verzerrung des DDR-Bildes kollaboriert . . . auch wenn Reiner Kunze das, wie anzunehmen, nicht wahrhaben will."

Volker Braun scheint für den Fall Kunze mehr Verständnis aufzubringen zu können, in seinem Gedicht „R." schreibt er: „Er lebt unter uns. Sein Name ist bekannt. Es betrifft diesen Einzelnen. Einen Menschen mit einem Namen. Ist es erlaubt, von einem Menschen zu reden? . . . Darf auch nur ein Mensch verlorengehn? Hier?" Mit welchen Schwierigkeiten Kunze heute zu kämpfen hat, belegt der „Brief aus Sachsen" an seinen Verleger vom 27. April 1971:

„Lieber Herr Hülsmanns, gern hätte ich etwas für Ihre Anthologie geschrieben, aber der Staat hat Mittel, einem Autor die Beteiligung an Anthologien abzugewöhnen. Zuerst erläßt der Staat ein Gesetz, in dem verfügt wird, daß jede Vergabe von urheberrechtlichen Nutzungsbefugnissen nach jenseits seiner Grenzen genehmigungspflichtig ist, und er gründet eine Institution, durch die er die Genehmigung erteilen oder verweigern lassen kann. Wendet sich dann ein Autor an diese Institution und bittet um Genehmigung, sich an einer Anthologie beteiligen zu dürfen, erhält er beispielsweise vier Wochen lang keine Antwort. Dann wird ihm mitgeteilt, daß man, bevor man überhaupt zur Bearbeitung des betreffenden Vertragsentwurfs kommen könne, das Verzeichnis aller an der Anthologie beteiligten Autoren benötige. Der Autor schreibt dem Verlag, der Verlag schickt dem Autor das Verzeichnis (Laufzeit eines Einschreibens von Frankfurt am Main nach Thüringen bis zu drei Wochen, vorausgesetzt, daß es nicht verlorengeht), und der Autor sendet das Verzeichnis an die Institution. Daraufhin fordert die Institution das Manuskript des Beitrags an, den der Autor für die Anthologie geschrieben hat. Der Autor reicht es ein, worauf ihm mitgeteilt wird, die Überprüfung des Vertragsentwurfs habe ergeben, daß eine Genehmigung nicht erteilt werden kann. Inzwischen sind vier Monate vergangen, die Anthologie mit dem Beitrag ist im Druck, und der Autor steht vor der Entscheidung, den Vertrag ohne Genehmigung zu unterschreiben oder die Maschinen anhalten zu lassen. Er unterschreibt, vertrauend auf die Verfassung seines Staates, die keine Zensur vorsieht und das Recht auf freie und öffentliche Meinungsäußerung garantiert. Der Staat aber, den der Autor sofort unterrichtet und bei dem er, alle Vorschriften beachtend, seinen Devisenanspruch gegenüber dem Verlag anmeldet, eröffnet gegen den Autor ein Verfahren und verurteilt ihn zur höchstmöglichen Geldstrafe, die unter Umständen das Dreißigfache des Honorars betragen kann, das der Autor für seinen Beitrag erhält. Beteiligt sich der Gemaßregelte weiterhin an Anthologien usw., obwohl ihm die Genehmigung verweigert wird und er Strafe zahlen muß, läßt man ihn eines Tages wissen, daß er ob sofort auch nicht mehr als Übersetzer publizieren darf, und man kündigt ihm die bereits abgeschlossenen Verträge. Die betreffenden Verlage schreiben ihm fast gleichzeitig Briefe, in denen es heißt: Wir bedauern, Ihnen heute mitteilen zu müssen, daß unser ... ohne Ihre Nachdichtungen erscheinen wird. Zu dieser Entscheidung haben uns die von Ihnen . . . veröffentlichten Gedichte veranlaßt, die uns zeigen, daß Sie mit den von unserem Verlag verfolgten kulturpolitischen Zielen nicht mehr übereinstimmen.'Oder es heißt: . Gedichte von Ihnen, veröffentlicht in ..., belehren mich, . . . daß Ihnen an einer weiteren Zusammenarbeit mit uns unter bedingten Voraussetzungen nichts mehr liegt . . . Wir teilen Ihnen hierdurch mit, daß wir Ihre Nach-dichtungen, der Werke von . . . nicht publizieren werden.'

Ich bitte Sie also um Verständnis, wenn ich für Ihre Anthologie keinen Beitrag schreiben kann, und ich danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung.

Lieber Herr Hülsmanns, Sie können sich sicherlich vorstellen, daß der Staat noch andere Mittel besitzt, einem Autor die Beteiligung an Anthologien abzugewöhnen, und so möchte ich es bei den angeführten Beispielen belassen.

Mit schönen Grüßen Ihr Reiner Kunze" Der Vorwurf der Innerlichkeit sollte auch Christa Wolfs neues Buch treffen, über das Fritz J. Raddatz in Der Spiegel schrieb:,, Dieses Buch existierte, bevor es existierte, und es ist nicht da, seit es da ist." Dieses vermutlich wichtigste DDR-Buch seit 1949 überhaupt fiel nämlich schon durch die politischen Begleitumstände auf, unter denen es im Frühjahr 1969 (im Buch gedrucktes Erscheinungsjahr: 1968) in einer limitierten Nominalauflage (für Institute und Funktionäre) ausgeliefert, damit aber gerade der DDR-Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde.

Merkwürdig weiterhin ist, daß „Nachdenken über Christa T.", das seit über zwei Jahren angekündigt war und von einer Schriftstellerin stammt, die zu den Führungskräften der SED gehörte und 1964 für den Roman „Der geteilte Himmel" (1963) des . Nationalpreises'für würdig befunden wurde, bereits von der Ost-Berliner Kritik (in den beiden Literatur-zeitschriften Sinn und Form und Neue deutsche Literatur) angegriffen wurde, als es zwar schon ausgedruckt war, aber noch niemand es kaufen konnte. Selbst das Spitzengremium der Partei beschäftigte sich schon im April 1969 damit: , Was für eine politische Ästhetik oder ästhetische Politik steht eigentlich hinter einigen literarischen Neuerscheinungen wie . Nachdenken über Christa T.'von Christa Wolf . . .? Offensichtlich stimmt doch bei den Autoren dieser Werke und auch bei den verantwortlichen Lektoren und Verlagsdirektoren die ideologische Konzeption nicht." Christa T. ist 1949 einundzwanzig Jahre alt. Jenseits der Oder als Tochter eines Dorfschullehrers aufgewachsen, wird sie nach 1945 Neu-lehrerin, später studiert sie Germanistik in Leipzig und schreibt ihre Staatsexamensarbeit über Theodor Storm, dem sie sich innerlich verwandt fühlt. Sie heiratet einen Tierarzt, wohnt auf einem Dorf in Mecklenburg, hat mehrere gesunde Kinder und stirbt im Februar 1963 an Leukämie.

Doch das sind nur die nackten biographischen Fakten, die der Erzählerin, die mit der Autorin des Romans identisch zu sein scheint, bekannt, aber offenbar von sekundärer Bedeutung sind: „Aber was sind Tatsachen? Die Spuren, die die Ereignisse in unserem Inneren hinterlassen." Auf diese Spuren kommt es ihr an, weshalb sie aus nachgelassenen Aufzeichnungen und Briefen der Freundin, die ihr der Ehemann übergibt, die innere Biographie der letzten Lebensjahre zu rekonstruieren sucht, aber auch hier nur Möglichkeiten andeuten will: „So kann es gewesen sein, aber ich bestehe nicht darauf."

Christa T. war immer Außenseiterin der Gesellschaft. Sie widersetzte sich dem „Rausch der Neubenennungen" nach 1945, „Tatsachenmenschen" waren ihr zuwider, die „eisernen Definitionen" der neuen Zeit lehnte sie ab, Funktionen auszufüllen, die ihr vorgeschrieben wurden, lag ihr nicht. Ihr Lebensgefühl wird bei zunehmender Krankheit von Resignation und Depressionen bestimmt, denn dieses Leben ist der gescheiterte Versuch der Selbstverwirklichung in einer zu Optimismus und Lebensfreude verurteilten Gesellschaft, ihr Leben ist eine . Krankheit zum Tode': „Von Krankheit kann man immer sprechen. Todeswunsch als Krankheit. Neurose als mangelnde Anpassungsfähigkeit an gegebene Umstände." Schon 1953 schrieb sie in einem Brief: „Diese Atemlosigkeit oder Unfähigkeit, tief einzuatmen. Als ob ganze Teile der Lungen seit Ewigkeit nicht mehr mittun. Kann man aber leben, wenn ganze Teile nicht mittun?" Merkwürdigerweise jedoch verwandelt sich die elegische Totenklage der Erzählerin in einen Akt der Selbstverständigung, in den gleichen Wunsch der Christa T., zu sich selbst zu finden: „Ein Mensch, der mir nahe war, starb zu früh. Ich wehre mich gegen diesen Tod. Ich suche nach einem Mittel, mich wirksam wehren zu können. Ich schreibe, suchend... Ich dringe in die frühere Welt dieser Toten ein, die ich zu kennen glaubte ... Ich stand auf einmal mir selbst gegenüber, das hatte ich nicht vorhergesehen."

Diese Flucht nach innen, die Beschäftigung mit sich selbst, die zwangsläufig zu einer Abkehr vom Staat führt, macht den Roman zu einem Fremdkörper in der offiziellen DDR-Literatur. Christa Wolf weiß das, sie weiß, daß Christa T. kein Vorbild sein kann, dennoch schreibt sie:

„Einmal, nur, dieses eine Mal, möchte ich erfahren und sagen dürfen, wie es wirklich gewesen ist, unbeispielhaft und ohne Anspruch auf Verwendbarkeit" und für Leute, die den . positiven Helden'vermissen, fügt sie hinzu: „Wer jetzt den Kopf wegwendet, wer die Achseln zuckt, wer von ihr, Christa T., weg und auf größere, nützlichere Lebensläufe zeigt, hat nichts verstanden. Mir liegt daran, gerade auf sie zu zeigen" und der letzte Satz im Roman lautet: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Dieses feingesponnene Werk, das sich jeder direkten Deutung zu entziehen sucht, ist Ausdruck der . neuen Sensibilität', von der Mitscherlich spricht. Das Schicksal Christa T. s, von dem berichtet wird, ist ein Indikator für die innere Verfassung der neuen Gesellschaft.

Die Partei, die in die Schriftstellerin Christa Wolf große Hoffnungen setzte, zeigte sich enttäuscht und warf ihr vor, „bewältigte Vergangenheit zu erschüttern, ein gebrochenes Verhältnis zum Hier und Heute zu erzeugen . .." Das offizielle Mißfallen an diesem Buch ging so weit, daß sich der Verleger Heinz Sachs .selbstkritisch'dagegen aussprach: „Unbestreitbar liegt mit diesem Buch ein Versuch der Autorin vor, Antworten zu suchen auf die Frage: Wie soll man leben? Aber es ist nicht zu übersehen, daß die Heldin des Romans so angelegt ist. daß eine Beantwortung dieser Frage auf sozialistische Art schwerfällt, die es von vornherein unmöglich erscheinen läßt, daß das Mädchen Christa T. zum Vorbild werden kann. Zu dieser Heldenwahl kommt, daß Christa Wolf die Möglichkeiten, die die sozialistische Gesellschaft dem einzelnen bietet (selbst wenn sie in einer so ungünstigen persönlichen Situation lebt wie Christa T-), nicht zur Geltung bringt. Christa Wolf findet keine Distanz zu ihrer Heldin. Pessimismus wird zur ästhetischen Grundstimmung des Buches."

Der Vorwurf, pessimistisch zu schreiben, ist sicher das ärgste Verdikt, das einen kommunistischen Autor treffen kann. Bezeichnend für diesen Pessimismus ist vor allem eine Textstelle: „Wir schütteten den letzten Wein in den Apfelbaum. Der neue Stern hatte sich nicht gezeigt. Wir froren und gingen ins Zimmer, das Mondlicht fiel herein. Ihr Kind schlief, sie trat an sein Bett und sah es lange an. Alles kann man nicht haben, das weiß man, aber wem nützt das schon?"

War „Der geteilte Himmel" trotz aller Bitterkeit die optimistische Antwort auf den 13. August 1961, so ist das neue Buch Christa Wolfs tief pessimistisch. Der „neue Stern" war ein Raumschiff, dessen Auftauchen im ersten Roman als Anbruch des kosmischen Zeitalters gefeiert wird. So klingt auch die Ermahnung, die Max Walter Schulz auf dem VI. Schriftstellerkongreß an die Autorin richtete, wie eine Drohung: „Gerade deshalb dürfen wir unsere Enttäuschung über ihr neues Buch nicht verbergen . . . Wem nützt eine subjektiv ehrliche, parteilich gemeinte Absicht, wenn sie streckenweise im literarischen Text und im Gesamteindruck die Doppelbödigkeit der Aussage so eindeutig provoziert, daß sich die andere Seite nur zu wählen braucht, was ihr beliebt, nur herauszulesen braucht, was sie gern herauslesen möchte. Wir sind nun einmal noch nicht allein auf der Welt, wir Sozialisten ... In dieser Verantwortung rufen wir Christa Wolf zu: Besinn dich auf dein Herkommen, besinn dich auf unser Fortkommen, wenn du mit deiner klugen Feder der deutschen Arbeiterklasse, ihrer Partei und der Sache des Sozialismus dienen willst."

Nicht zufällig knüpft Christa Wojf an Theodor Storm an, den Lieblingsautor ihrer Heldin. Mecklenburgische und Holsteinische Landschaften entsprechen einander. Doch das ist nicht alles: Christa T. vollzieht nach, was Theodor Storm (und Wilhelm Raabe, den sie auch schätzt) vorlebte: den Rückzug in die Provinz (der auch für Alfred Wellms Wanzka bezeichnend ist). Nicht nur hier steht die DDR-Literatur in der Tradition des 19. Jahrhunderts, es werden auch Ersatzwirklichkeiten angeboten und in Romantiteln genannt: Oobliadooh (Fries), Konstantinopel (Morgner], Descansar (Wellm) oder Bobrowskis Sarmatien in der Lyrik. Dieser literarische Rückfall in längst überholt geglaubte Epochen, der sich auch in Stil und Erzählhaltung mitteilt, scheint tieferer Ausdruck der DDR-Gesellschaft zu sein als die lauthals gelobte Gebrauchsliteratur des . Bitterfelder Wegs'.

Die andere offiziell geförderte Strömung in der DDR-Literatur: die Auseinandersetzung mit Krieg und Faschismus, scheint auch mH traditionellen Mitteln nicht mehr möglich Keine kommunistische Widerstandslegende wie Bruno Apitz (geb. 1900) in „Nackt unter Wölfen" (1958) oder Kriegselend aus der Landserperspektive wie Dieter Noll (geb. 1927) in „Die Abenteuer des Werner Holt. Roman einer Jugend" (1960) und Max Walter Schulz (geb. 1922) in „Wir sind nicht Staub im Wind" (1962) bietet der in Ost-Berlin lebende Jurek Becker (geb. 1937) mit seinem Buch „Jakob, der Lügner" (1968/70), das in der Tradition ostjüdischer Literatur steht: Der Jude Jakob Heym hört in einem polnischen Ghetto zufällig die Nachricht vom Anmarsch der . Roten Ar-mee'und gibt dadurch seinen Leidensgefährten neue Hoffnung: die Selbstmorde hören auf, alle warten auf baldige Befreiung. Jakob aber muß, da er angab, ein Radiogerät zu besitzen (was bei Androhung der Todesstrafe verboten ist), immer weiter lügen, um nicht neue Verzweiflung aufkommen zu lassen.

Zwei deutsche Literaturen?

Die Frage nach den zwei Literaturen in Deutschland, die Frage danach also, ob sich in den Jahrzehnten nach 1945 in der DDR auf der Grundlage einer anderen, einer nichtbürgerlichen Gesellschaftsordnung eine in ihrem Selbstverständnis, in ihrer Thematik, schließlich auch in ihrem sozialpädagogischen Anspruch eigenständige Literatur hat entstehen können, diese Frage ist in der Bundesrepublik nach 1961 oft gestellt und unzureichend beantwortet worden.

Für die DDR-Germanistik scheint diese Frage, wie an den eingangs erwähnten Thesen des Leipziger Literaturwissenschaftlers Claus Träger festzustellen ist, ein für alle Mal beantwortet zu sein: „In Deutschland findet zweierlei Geschichte statt. Es wird demzufolge auch zweierlei Literatur produziert..." Diese zweifellos stark vereinfachende Betrachtungsweise, die die Entstehung einer zweiten deutschen Literatur mechanisch aus dem Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung zu erklären sucht und den subjektiven Faktor ausklammert, leitet sich aus den einführenden Bemerkungen von Marx zu seinem Buch „Zur Kritik der politischen Ökonomie" ab: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. .. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure überbau langsamer oder rascher um." übernimmt man vorerst dieses Schema von ökonomischer Basis und ihr adäquatem ideologischen überbau, so wird man bemerken, daß die Zweistaatentheorie und ihr kulturpolitisches Pendant, das Postulat einer . sozialistischen deutschen Nationalliteratur’, die im Unterschied zur . spätbürgerlichen Verfalls-literatur'in der Bundesrepublik an den humanistischen Traditionen des . nationalen Kulturerbes'orientiert bleibt, bereits in den fünfziger Jahren vertreten wurden. Ansätze zu dieser Literaturbetrachtung: die Arbeiterklasse als Erbin der deutschen Klassik, finden sich freilich auch schon in der kommunistischen Literaturpolitik während der Weimarer Republik und, den Erfordernissen der Volksfrontpolitik angepaßt, während der Emigration. Sinnfälliger Ausdruck dieser kulturpolitischen Doktrin nach dem Entideologisierungsprozeß von 1956/57 ist die Literatur des . Bitterfelder Weges'(Stichwort: Weimar und Bitterfeld), die den Arbeiteralltag in Fabriken, Werften und Genossenschaften zum Primärthema erhob und die „Überwindung der Trennung von Kunst und Leben" anstrebt.

In der Bundesrepublik ließ man sich von diesen Thesen erst dann provozieren, nachdem der Bau der Berliner Mauer überhaupt das Interesse für die gesellschaftspolitischen Prozesse im anderen Teil Deutschlands und damit auch für die Literatur, die man als Informationsträger ansah, der über diese Prozesse Auskunft geben konnte, stärker geweckt hatte.

In einer in deutscher Sprache 1967 ausgestrahlten Sendereihe von Sveriges Radio (Stockholm, Januar bis Mai 1967) mit dem Titel „Zweimal Deutschland?" versuchte man, diese Frage durch vergleichende Textanalysen anzugehen. Darüber hinaus interviewte man Rezensenten, Literaturpolitiker, Schriftsteller und Germanisten aus beiden deutschen Staaten und kam zu einem Ergebnis, das vorauszusehen war: Es gibt zwei deutsche Literaturen, sagten die DDR-Interviewten; es gibt nur eine deutsche Literatur oder die Gemeinsamkeiten überwiegen, stellten die BRD-Interviewten fest.

Die unterschiedlichen Positionen lassen sich durch Zitate belegen. Im Aufbruch zu neuer Sachlichkeit sieht Marcel Reich-Ranicki (Hamburg) den verbindenden Faktor deutscher Literatur in den sechziger Jahren. Frank Wagner (Ost-Berlin) hingegen leugnet jede Gemeinsamkeit: „Heute, fast zwei Jahrzehnte später, muß man von zwei Literaturen in Deutschland sprechen, über der Literatur der Bundesrepublik . . . liegt unübersehbar ein Schatten von Unbehagen und Trauer . . . Ihre Leistung liegt gerade dort, wo sie mit wachsender Genauigkeit die wirklichen Tatsachen benennt. .. Wo liegen die entscheidenden und einleuchtenden Vergleichspunkte mit der schönen Literatur in der Deutschen Demokratischen Republik? Einen Unterschied finden wir in dem Verhältnis des Menschen zu seiner Welt: In der westdeutschen Literatur ist dieses Verhältnis im wesentlichen stagnierend, in der DDR-Literatur dynamisch. Es geht um den Entwurf des Menschen, seiner Möglichkeit und Macht."

Die Begründung dafür wird so gegeben: „Zwei Staaten, das sind ja nicht nur ganz einfach zwei Regierungsformen, denen der sonst gänzlidr unveränderte Mensch vorsteht wie äußeren Mächten. Hier stehen sich zwei fest verwurzelte Lebensweisen gegenüber, das Leben im Spätkapitalismus und das Leben im Sozialismus. Der Nährboden, auf dem die Literatur entsteht, auf dem sie existiert, ist ganz verschieden. Die Literaturen werden beeinflußt von verschiedenen Lebensstilen, Problemen, Widersprüchen, Schwierigkeiten. Sie müssen in direktem Verhältnis zur Gesellschaft, zum Publikum gesehen werden."

Für Hans Werner Richter (München) von der „Gruppe 47“ wiederum ist die Frage ohnehin unsinnig: „Seit fünfzehn Jahren gibt es zwei deutsche Staaten. Ich kann mir nicht denken, ja, das ist unmöglich, daß in fünfzehn Jahren zwei deutsche Literaturen sollten entstehen können, nur deshalb, weil es jetzt zwei deutsche Staaten gibt." Er erklärt apodiktisch:

„Es gibt nur eine Literatur des deutschen Sprachraums . . . Literatur als Nationalliteratur, als Literatur gar eines Staates, ist eine politische Fiktion . . . Die Entwicklung verläuft . . . völlig parallel, auch bei strengster politischer Abschnürung. Köln, Leipzig, Zürich und Wien liegen literarisch gesehen eng beieinander. Die Literatur eines Sprachraums durch Mauern zu trennen, ist unmöglich."

Ähnlich einfach macht es sich Alfred Kurella (Ost-Berlin), der Gründer des Leipziger Literaturinstituts, mit der Gegenthese: „Nach Kriegsende entstanden auf deutschem Boden zwei Staaten mit verschiedenen Gesellschaftssystemen . . . Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Situation, sie ist wahrscheinlich einzigartig in der Geschichte. Aber die ganze Situation in Deutschland ist ja ungewöhnlich und einzigartig.

Die Literaturen haben sich sozusagen polarisiert, voneinander getrennt. Deshalb muß man heute von zwei deutschen Literaturen sprechen."

Hermann Kant (Ost-Berlin) wägt beide Standpunkte ab: „Ich meine auch, daß die Grenzen, die die beiden Staaten trennen, nicht dieselben sind wie die, die durch die Literatur gehen..

Andererseits kann man natürlich auch nicht davon absehen, daß sich eine neu entstehende Wirklichkeit — und das ist hier tatsächlich der Fall — in der Literatur widerspiegelt, und zwar notwendigerweise. Es wäre sehr verwunderlich, wenn die Literatur sich den Anschein gäbe, als hätten sich die Verhältnisse am Ort ihrer Entstehung nicht verändert.

Walter Jens (Tübingen) schließlich weicht der Frage aus: „Ich meine, daß sich große Dichtung im Westen und im Osten nur höchst unerheblich unterscheidet." Gewiß ließe sich die Frage nach Einheit oder Zweiheit deutscher Nachkriegsliteratur auch anders beantworten. Man könnte etwa, was offensichtlich auch Hans Werner Richter meint, vom Kriterium einheitlicher Sprache ausgehen und so argumentieren: Es gibt auf der Erde ungefähr vier Literaturen in englischer Sprache, sicher zwei portugiesische und mindestens zehn spanische; warum sollte es nicht auch vier deutsche Literaturen geben: die in der Schweiz, die in Österreich, die in der Bundesrepublik und die in der DDR. Aber hier fällt sofort auf, daß die Unterschiede etwa zwischen westdeutscher und österreichischer Gegenwartsliteratur von geringer Bedeutung sind, gemessen an den Unterschieden zur DDR-Literatur. Denn die deutschsprachigen Literaturen Österreichs und der Schweiz sind nur nationale Varianten einer gemeinhin als .deutsch'bezeichneten Literatur, genauer: Literaturen einer . spätkapitalistischen Gesellschaftsform'mit lokalen Abweichungen, die sich aus Geschichte, industrieller Entwicklung und landschaftlichen Faktoren ergeben mögen. Anders die DDR-Literatur: Sie erhebt zumindest den Anspruch, Literatur einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsform zu sein. Das heißt: das von Marx übernommene Basis-Uberbau-Schema darf nicht von vornherein verworfen, sondern muß auf seine Verbindlichkeit untersucht werden. Anders ausgedrückt: zu fragen ist nach dem realistischen Gehalt der . sozialistischen deutschen Nationalliteratur'. Entspricht diese Literatur als Teil des ideologischen Überbaus auch tatsächlich den neuen Gesellschaftsverhältnissen?

Daß sich das Gesellschaftssystem in der DDR wesentlich von dem in der Bundesrepublik unterscheidet, braucht nicht nachgewiesen zu werden. Soziologen der Bundesrepublik wie Ralf Dahrendorf haben sich vor Jahren schon eingehend damit beschäftigt: „Denn die beiden Deutschland mögen sich heute noch darüber streiten, ob sie zwei Staaten sind; zwei Gesellschaften sind sie schon geworden.“ Wie relevant für die Literatur aber die Verfassung einer Gesellschaft sein kann, zeigt sich schon an der Art und Weise, wie ein literarischer Text seine Leser erreicht (oder nicht erreicht). Die DDR-Literatur entwickelt sich unter ganz anderen Bedingungen als die westdeutsche. Ein Manuskript, das ein Verleger in der Bundesrepublik annimmt, muß als fertiges Buch verkauft werden können. Nur in Ausnahmefällen wird ein autorenfreundlicher Verlagsleiter aus seinen Überschüssen Gedichtbände finanzieren, die für ihn Verlustgeschäfte sind. Die Zwischeninstanz, die sich zwischen Literatur-produzent, Verleger, Buchhändler und dem Leser als Literaturkonsumenten einschaltet, läßt sich mit dem Begriff „Marktgerechtigkeit" umschreiben (deren wechselnde Bedingungen hier nicht zu erörtern sind).

In der DDR ist der Literaturmarkt anders organisiert. Die Instanzen, die ein Text hier zu durchlaufen hat (Selbstzensur des Autors, Zensur durch Verlagslektoren, parteiliche Kritik in Zeitungen und Zeitschriften, die zu Textabänderungen führen können, . Volkes Stimme'in Leserbriefen: Briefe von . Nachterstedter Arbeitern'oder irgendwelchen . Wismut-Kumpels', offizielle Verlautbarungen auf Schriftstellerkongressen und Parteitagen, . mahnende Worte'von Staatsfunktionären), bis er beim Leser ankommt, verweisen schon, ohne daß literaturtheoretische Termini bemüht werden müssen, darauf, daß hier mit einem anderen Literaturbegriff gearbeitet wird: Literatur soll politisch aktivierend wirken. Spricht man ihr dieses . Gütezeichen'ab, wird sie nicht gedruckt, ist somit offiziell keine Literatur.

Damit ist aber schon auf die Existenz einer inoffiziellen, wenn man will gegenoffiziellen Literatur verwiesen, die ihrerseits auch politisch aktivierend wirkt (wenn auch in einem für die SED negativen Sinne), da sie Informationen transportiert, die dem Leser Wirklichkeit vermittelt, weil sie nicht im Sinne einer . Klassenwahrheit'bis zur Unkenntlichkeit gefiltert wurden: „Die Literatur ist ein wesentlicher Informationsträger. Sie durchlöchert die Käseglocke über Rennsteig und Rostock"

Von Literatur, die den Leser erreicht, weil sie ihm etwas mitzuteilen, nicht ihn zu agitieren hat, spricht auch der russische Schriftsteller Aleksandr Solchenizyn in seinem „Offenen Brief an den Sowjetischen Schriftstellerkongreß 1967": „Eine Literatur, die nicht die Luft der ihr zeitgenössischen Gesellschaft ist, die der Gesellschaft nicht ihren Schmerz und ihre Unruhe übermitteln kann, die nicht dann, wenn es notwendig ist, vor den drohenden sozialen und moralischen Gefahren warnen darf — eine solche Literatur verdient nicht die Bezeichnung Literatur, sondern allenfalls die Bezeichnung Kosmetik. Eine solche Literatur verliert das Vertrauen in das eigene Volk, und ihre hohen Auflagen taugen zur Lektüre nicht, sondern nur als Altpapier."

Diese Literaturdefinition, die von einem nicht nur vorgegebenen . gesellschaftlichen Auftrag'ausgeht, spricht ausdrücklich jenen Publikationen die Bezeichnung . Literatur'ab, die diesen Auftrag nicht erfüllen, sondern nur die inneren Widersprüche der Gesellschaft verschleiern, das heißt Ideologie produzieren können. Damit soll nicht gesagt sein, daß gegenoffizielle Literatur immer unterdrückt würde. Aleksandr Solchenizyns Erzählung „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" wurde 1962 veröffentlicht; in der DDR sind dieser Literatur die letzten Romane von Manfred Bieler, der seit 1968 in München lebt, und Christa Wolf zuzurechnen, die Gedichte von Peter Hüchel, Wolf Biermann und Reiner Kunze, die alle nur unter außerordentlich günstigen Konstellationen . ihre'Leser . legal'erreichen dürften.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Hans Mayer (Hannover) in seinem Stockholmer Beitrag, den er später in seinem Aufsatz „Von der Einheit der deutschen Literatur" (1967) noch präzisierte: Gemeinsamkeiten in der deutschen Gegenwartsliteratur sieht er nur noch auf subliterarischer Ebene: „Ja, ich meine das, was eigentlich jede Literatur auszeichnet, daß sie nämlich bestimmt wird von den Verhältnissen und der Umwelt ihres Entstehungsorts . .. Und da die Umwelt zum Beispiel in Frankfurt am Main und Köln oder Hamburg aus der Gesellschaftsstruktur, aus der Art und Weise, wie die Leute reden, welche Zeitung sie lesen, wie sie sich vergnügen oder nicht vergnügen, sich ja sehr von der Umwelt unterscheidet, die für die Leute oder die Schriftsteller existiert, die heute in Weimar, Dresden, Ostberlin oder Leipzig leben, so ist deutlich, daß es diese Spielregeln, die ganz einfach das Leben für die Schriftsteller aufstellt, auch in ihrer Literatur gibt ... da Deutschland geteilt ist und sich inzwischen eine ganze Menge ereignet hat, so reflektieren die Leute, die heute in Leipzig schreiben, in ihrer Arbeit als Schriftsteller eine ganz andere Wirklichkeit als die, die heute in Hamburg schreiben. Und je aufrichtiger die Schriftsteller sind, desto größer wird notwendigerweise das gegensätzliche Verhältnis zwischen ihnen . . . Zum Beispiel Wolf Biermanns oder Günter Kunerts oder Stephan Hermlins Auseinandersetzungen mit ihren Autoritäten, mit ihren Lesern und ihrer Umwelt bedeutet keine Zugehörigkeit oder Solidarität mit Enzensberger oder Rühmkorf oder Günter Grass oder Uwe Johnson, die ihrerseits mitten drin sind in einer Auseinandersetzung mit der westdeutschen Wirklichkeit. Und in dem Kapitel meines Buches, das Sie nannten, versuche ich zu zeigen, daß es gerade in den Fällen, wo die Leute am wenigsten opportunistisch sind und nicht nur das aussprechen, was die Herrschenden von ihnen erwarten — wie zum Beispiel Enzensberger oder Grass, die ja die westdeutsche Wohlstandsgesellschaft ungemein hart kritisieren, oder Wolf Biermann oder Günter Kunert, die ja sehr kritisch auftreten gegen Ulbricht und die SED —, die größten Unterschiede gibt. Das bedeutet, daß Grass und Rühmkorf sich viel mehr von zum Beispiel Biermann oder Kunert unterscheiden als ein unbedeutender oder opportunistischer Tagesschriftsteller im Westen sich unterscheiden würde von einem ihm entsprechenden opportunistischen Skribenten im Osten. Ich kann dagegen beweisen, daß die sonnigen, rot angemalten Aufbauromane im Osten exakt gleich gebaut sind wie die typischen Illustriertenromane in Westdeutschland." Entschieden wendet sich Hans Mayer deshalb auch gegen die These einer „imaginären Einheit“ der deutschen Literatur jenseits der Gesellschaftssysteme; jede der beiden Nachkriegsliteraturen (Literatur jetzt in Sinne Solchenizyns) sei als „überbau einer anderen Gesellschafts-und Denkform zu verstehen. Wer marxistisch argumentiert, wird auch den Anspruch der DDR-Literatur ernst nehmen, Literatur eines Staates zu sein, der sich als . Verwirklichung marxistischer Theorie und als proletarische Diktatur im Übergang zur klassenlosen Gesellschaft versteht..." Leistet diese Literatur wirklich, fragt er, was sie zu leisten vorgibt: die Aufklärung zu verwirklichen und die Klassengesellschaft abzuschaffen?

Einem Marxisten, der diese Kriterien anwendet, erscheint sie als Literatur mit falschem Bewußtsein (wie Marx Ideologie definiert). Von daher gesehen hat die Auseinandersetzung mit DDR-Literatur in Westdeutschland noch kaum begonnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Claus Träger, Zweierlei Geschichte — zweierlei Literatur. Einige Aspekte zur literarischen Situation in Deutschland, in: Studien zur Literaturtheorie und vergleichenden Literaturgeschichte, Reclam Band 461, Leipzig 1970, S. 346— 372.

  2. Ebenda, S. 347.

  3. Ebenda, S. 349.

  4. Ebenda, S. 354.

  5. Ebenda, S. 354.

  6. Alexander Abusch, Weimar und Bitterfeld, in: Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus (Schriften, Band 3), Berlin (Ost) 19672, S. 193 ff., Zit. S. 196 f.

  7. Horst Haase, Wer repräsentiert die National-literatur?, in: ND-Literatur Nr. 2, Berlin (Ost) 1966.

  8. Marianne Lange, Bund von Wort und Leben, in: ND-Literatur Nr. 1, Berlin (Ost) 1966.

  9. Haase, a a. O.

  10. Walter Ulbricht, Grußschreiben des ZK der SED an die Delegierten des IV. Deutschen Schriftsteller: kongresses, in: IV. Deutscher Schriftstellerkongreß Januar 1956. Protokoll 1. Teil, Berlin (Ost) 1956, S. 7 ff.

  11. Alexander Abusch, Nationalliteratur der Epoche des Sozialismus, in: Literatur im Zeitalter des Sozialismus, (Schriften, Band 2), Berlin (Ost) 1967, S. 690 ff.

  12. Träger, a. a. O., S. 371.

  13. Hans Dietrich Sander, Die Literatur und ihre Planer, in: Literatur in der DDR, Erlangen o. J., S. 6.

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  16. Brief an unsere Schriftsteller (Nachterstedter Brief), in: Kritik in der Zeit, Halle 1970, S. 319 ff.

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  18. Martin Jänicke, Der dritte Weg. Die antistalinistische Opposition gegen Ulbricht seit 1953, Köln 1964, S. 131.

  19. Hans Mayer, Zur Gegenwartslage unserer Literatur, in: Zur deutschen Literatur der Zeit, Reinbek 1967, S. 365 ff.

  20. Sabine Brandt, Die deutschen Rabiaten. Tauwetterlyrik-Kriegsliteratur, in: Jürgen Rühle, Die Schriftsteller und der Kommunismus in Deutschland, Köln 1960, S. 197— 215.

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  30. Sander, a. a. O., S. 19.

  31. Robert Havemann, Fragen, Antworten, Fragen, München 1970, S. 152.

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  33. Karl Heinz Jakobs, Beschreibung eines Sommers, Berlin (Ost) 1961, S. 15.

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  35. Sinn und Form, Jahrgang 5, Heft 1, Berlin (Ost) 1953, S. 97.

  36. Lothar von Balluseck, Literatur und Ideologie 1963, Bad Godesberg 1963, S. 38 f.

  37. Peter Hüchel, Chausseen Chauseen, Frankfurt am Main 1963, S. 80.

  38. Jänicke, a. a. O., S. 198.

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  40. Jänicke, a. a. O., S. 200 f.

  41. Balluseck, a. a. O., S. 18 f.

  42. Ebenda, S. 20.

  43. Jänicke, a. a. O., S. 204.

  44. Balluseck, a. a. O., S. 22.

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  46. Henning Rischbieter, Ernst Wendt, Deutsche Dramatik in West und Ost, Velber 1965, S. 116.

  47. Jänicke, a. a. O., S. 196 f.

  48. Günter Kunert, Verkündigung des Wetters, München 1966, S. 80.

  49. Günter Kunert, Kramen in Fächern, Berlin (Ost) und Weimar 1968, S. 102 ff.

  50. Günter Kunert, Die Beerdigung findet in aller Stille statt, München 1968, S. 93 ff.

  51. Balluseck, a. a. O., S. 25.

  52. Günter Kunert, Tagträume, a. a. O., S. 44.

  53. Günter Kunert, Verkündigung des Wetters, a. a. O„ S. 21.

  54. Peter Hamm, Glück ist schwer in diesem Land, in: Merkur 205, Köln 1965, S. 367.

  55. Balluseck, a. a. O., S. 25.

  56. Günter Kunert, Tagträume, a. a. O., S. 40.

  57. Hildegard Brenner, Nachrichten aus Deutschland, Reinbek 1967, S. 6.

  58. Landschaft ohne Kontur, in: ND-Literatur 7, Berlin (Ost) 1968.

  59. Ebenda.

  60. Brigitte Reimann, Die Geschwister, Berlin (Ost) und Weimar, S. 117, 120, 134, 137.

  61. Ebenda, S. 116.

  62. Ebenda, S. 247.

  63. Christa Wolf, Der geteilte Himmel, Rowohlt Taschenbuch 1073, Reinbek 1968, S. 34.

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  65. Ebenda, S. 136.

  66. Günther Dahlke, Nicht Glück oder Unglück, sondern Unglück und Glück ist hier die Frage, in: Kritik in der Zeit, Halle 1970, S. 652 ff.

  67. Christa Wolf, a. a. O., S. 104.

  68. Erwin Strittmatter, Ole Bienkopp, Gütersloh o. J„ S. 165.

  69. Nimm, was du siehst, in: ND-Literatur, Berlin (Ost) 1966.

  70. Erwin Strittmatter, Ein Dienstag im September, Berlin (Ost) und Weimar 1969, S. 88.

  71. Ebenda.

  72. Ebenda, S. 89.

  73. Hans-Dietrich Sander, Der Lauf der Welt, in: Deutschland Archiv, Jahrgang 3, Heft 7, Köln 1970, S. 725 ff.

  74. Hans-Jürgen Geisthardt, Geschichten, Geschichten. .., in: ND-Literatur 3, Berlin (Ost), 1970.

  75. Heinz Plavius, Literatur als Indiz, in: Sinn und Form, Jahrgang 22, Heft 6, Berlin (Ost) 1970, S. 1516 ff.

  76. Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller, Band 2, Leipzig 1968, S. 207.

  77. Erik Neutsch, Spur der Steine, Halle 1965, S. 901.

  78. Ebenda, S. 910.

  79. Hermann Kant, Die Aula, Fischer Taschenbuch 931, Frankfurt 1968, passim.

  80. Gescheit mit Spaß, in: ND-Literatur 1, Berlin (Ost) 1966.

  81. Sonntag 24, Berlin (Ost) 1965.

  82. Budapester Rundschau vom 14. November 1969.

  83. Hermann Kant, a. a. O., S. 317

  84. Stefan Heym, Die Langweile von Minsk, in: DIE ZEIT vom 29. Oktober 1965, S. 18.

  85. Ebenda.

  86. Ebenda.

  87. Robert Haveman, a. a. O., S. 1421.

  88. Stefan Heym, Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe, Zürich 1970 (Klappentext).

  89. Ebenda, S. 51.

  90. Das Erz des Lebens und der Literatur, in: Neues Deutschland vom 7. Dezember 1965.

  91. Werner Bräunig, Nicht die Schwierigkeiten — ihre Überwindung!, in: Neues Deutschland vom 15. Dezember 1965.

  92. Ulbricht gegen Maetzig, in: Neues Deutschland vom 23. Januar 1966.

  93. Manfred Bieler, Der junge Roth, München 1968 (Klappentext).

  94. Ebenda, S. 173.

  95. Manfred Bieler, Maria Morzeck oder Das Kanindien bin ich, München 1969, S. 5.

  96. Ebenda.

  97. Ebenda, S. 187.

  98. Ebenda, S. 187.

  99. Bieler-Interview, in: Die Welt der Literatur vom 16. Januar 1969.

  100. Horst Krüger, Biermanns Lieder, in: Die Zeit vom 22. August 1969.

  101. Wo ." Biermann, An die alten Genossen, in: Die Drahtharfe, Berlin (West) 1965, S. 67.

  102. Wolf Biermann, Antrittsrede des Sängers, ebenda, S. 53.

  103. Wolf Biermann, Portrait eines alten Mannes, in: Mit Marx-und Engelszungen, Berlin (West) 1968, S. 15.

  104. Wolf Biermann, Die Ballade von dem Drainage-Leger Fredi Rohmeisl aus Buckow, in: Die Draht-harfe, a. a. O., S. 11.

  105. Wolf Biermann, Tischrede des Dichters, ebenda S. 63.

  106. Wolf Biermann, Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meune in Hamburg, in: Mit Marx-und Engelszungen, a. a. O., S. 69.

  107. Siehe: Peter Orlow, Die Bitterfelder Sackgasse. Literaturpolitik der SED zwischen 1965 und 1969, Pfaffenhofen 1970, S. 27 ff.

  108. Ebenda, S. 34.

  109. Wolf Biermann, Die Drahtharfe, Berlin (West) 1965, S. 69.

  110. Günter Wünsche, Rehabilitierung des Ich, in: Nachrichten aus Deutschland, hrsg. v. Hildegard Brenner, Reinbek 1967, S. 270.

  111. Ebenda.

  112. Fritz J. Raddatz, Rückzug zu neuer Innerlichkeit, in: Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 1970.

  113. Erik Neutsch, Geschichte und Geschichten zum neuen Menschenbild, in: Neues Deutschland vom 18. und 21. Oktober 1970.

  114. Christa Wolf, Juninachmittag, auch in: Nachrichten aus Deutschland, a. a. O., S. 216— 230.

  115. Karl Mickel, Fernsehen, auch in: Geschichten Von drüben II, hrsg. v. Karl Heinz Brockerhoff, Bad Godesberg 1969, S. 95 f.

  116. Ebenda, S. 82— 94.

  117. Peter Orlow, a. a. O., S. 12.

  118. Ebenda, S. 75.

  119. Erik Neutsch, a. a. O.

  120. Ebenda.

  121. Ebenda.

  122. Zitat von Christa Wolf, in: Neues Deutschland vom 19. Dezember 1965.

  123. Zit. nach: Karl Otto Conrady, Zur Lage der deutschen Literatur in der DDR, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jahrgang 17, Heft 12, Stuttgart 1966, S. 737— 748.

  124. Werner Neubert und Erwin Pracht, Das kritische Element im sozialistischen Realismus, in: Kritik in der Zeit. Der Sozialismus, seine Literatur, ihre Entwicklung, Halle 1970, S. 775— 785.

  125. Silvia Schlenstedt, Positiv und kritisch, in: N Literatur 3, Berlin (Ost) 1965.

  126. Rainer Kirsch, Meinen Freunden, den alten Genossen, in: Sarah und Rainer Kirsch, Gespräch mit dem Saurier, Berlin (Ost) 1965, S. 67.

  127. Max Walter Schulz, Das Neue und das Bleibende in der Literatur, in: VI. Deutscher Schriftstellerkongreß, Sonderbeilage des Sonntag, 25, Berlin (Ost) vom 22. Juni 1969, S. 3 ff.

  128. Reiner Kunze, Widmungen, Bad Godesberg 1963, S. 50.

  129. Reiner Kunze, Sensible Wege, Reinbek 1969, S. 70.

  130. Ebenda, S. 10 ff.

  131. Ebenda, S. 35.

  132. Ebenda, S. 37.

  133. Ebenda, S. 19.

  134. Ebenda, S. 47.

  135. Ebenda, S. 55.

  136. Max Walter Schulz, a. a. O., S. 10.

  137. Ebenda.

  138. Reiner Kunze, a. a. O., Rückseite des Einbands.

  139. Reiner Kunze, Brief aus Sachsen, in: Die Zeit vom 27. April 1971.

  140. Der Spiegel, Nr. 23, 1969.

  141. Zit. bei: Peter Orlow, a. a. O., S. 63 f.

  142. Christa Wolf, Nachdenken über Christa T., Neuwied 1969, S. 218.

  143. Ebenda, S. 134.

  144. Ebenda, S. 92.

  145. Ebenda, S. 96.

  146. Christa Wolf, Nachdenken über Christa T. Ein Selbstinterview, in: Kürbiskern 4, München 1968, S. 555, 558.

  147. Christa Wolf, Nachdenken über Christa T., S. 57.

  148. Ebenda, S. 171 f.

  149. Ebenda, S. 235.

  150. Max Walter Schulz, a. a. O., S. 11.

  151. Heinz Sachs, Verleger sein heißt ideologisch kämpfen, in: Neues Deutschland vom 14. Mai 1969.

  152. Christa Wolf, a. a. O„ S. 181.

  153. Max Walter Schulz, a. a. O.

  154. Claus Träger, a. a. O., S. 354.

  155. Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort (1859), in: Marx-Engels, über Kunst und Literatur, Band 2, Frankfurt 1968, S. 74 f.

  156. Kleines politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1967, S. 99.

  157. Zweimal Deutschland? Zur Literatur und Politik nach 1945, hrsg. v. Franz Stroh und Göran Löfdahl, Stockholm 1966, S. 38 f.

  158. Tyska författare talar (Deutsche Schriftsteller im Gespräch), hrsg. v. Börje Persson und Franz Stroh, Stockholm 1967, S. 29 (alle schwedischen Zitate vom Verfasser übersetzt).

  159. Ebenda, S. 42.

  160. Zweimal Deutschland?, S. 41/42.

  161. Tyska författare talar, S. 49.

  162. Ebenda, S. 90.

  163. Ebenda, S. 93.

  164. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie m Deutschland, München 1965, S. 450.

  165. Bieler-Interview, in: Die Welt der Literatur vom 16. Januar 1969.

  166. Alexander Solschenizyn, Offener Brief an den Sowjetischen Schriftstellerkongreß 1967, in: Reden zum IV. Kongreß des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes. Prag, Juni 1967, Frankfurt 1968, S. 37.

  167. Tyska författare talar, S. 59 f.

  168. Hans Mayer, Zur deutschen Literatur der Zeit, Reinbek 1967, S. 346.

  169. Ebenda, S. 356.

  170. Ebenda, S. 375.

Weitere Inhalte

Jörg Bernhard Bilke, geb. 1937 in Veröffentlichungen: Troglodytische Jahre. Berlin; von 1958 bis 1961 Studium der Literaturwissenschaft Meine Jugend in Deutschland, autobiografischer in West-Berlin und Mainz; im Bericht, Mainz 1965/66; Verhaftet in Herbst 1961 in Leipzig wegen kritischer Auseinandersetzungen Leipzig, Hörspiel, gesendet 1965/66; Die zweite mit der DDR-Kulturpolitik deutsche Literatur, Freiburg 1967/Bonn 1969; in der Mainzer Studentenzeitung „nobis" verhaftet Auf den Spuren der Wirklichkeit. DDR-Literatur: und zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus Traditionen, Tendenzen, Möglichkeiten, verurteilt, die er in Torgau und Waldheim Stuttgart 1969; DDR-Literatur: Tradition und verbrachte; im Sommer 1964 Rückkehr in die Rezeption in Westdeutschland, Stuttgart 1969; Bundesrepublik und Fortsetzung des Studiums; Die Germanistik in der DDR: Literaturwissenschaft 1966/67 Lektor in Südschweden; seit 1970 mit in gesellschaftlichem Auftrag, Stuttgart dem Aufbau eines „Archivs für DDR-Literatur 1971; Mitarbeit an Rowohlts Literaturlexikon und DDR-Germanistik“ in Mainz befaßt. Neben 20. Jahrhundert, Reinbek 1971; Aufsätze über seiner publizistischen Tätigkeit arbeitet er an Anna Seghers und Heinrich Mann. einer Dissertation über Anna Seghers.