Zwischen Etatismus und Selbstverwaltung Management und Arbeiterschaft in jugoslawischen Unternehmen
Paul Kevenhörster
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Zusammenfassung
1. Das „jugoslawische Modell“ stellt den bisher einzigen dauerhaften Versuch dar, innerbetriebliche Einflußstrukturen mit Elementen des Rätesystems zu demokratisieren, wobei die Festlegung der Unternehmenspolitik und die Kontrolle der Unternehmensleitung durch Selbstverwaltungsorgane und Arbeitskollektiv gewährleistet werden sollen. 2. Entgegen dieser Zielvorstellung wird die Unternehmensleitung de facto nicht von den Selbstverwaltungsorganen, sondern vom Direktor und Verwaltungsausschuß ausgeübt. Zudem sichert die enge personelle Verzahnung von Arbeiterräten, Gewerkschaften und Partei eine umfassende politische Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane. Das eigentliche Machtzentrum in den Unternehmen bilden der Direktor und die Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses, des Arbeiterrates, der betrieblichen Parteiorganisation und der Betriebsgewerkschaftsgruppe. 3. Der Dualismus zwischen politischer Bürokratie und ökonomischer Selbstverwaltung schränkt die Partizipationschancen der Arbeiter ein und begünstigt eine bürokratische Unternehmensführung. „Recall" und Rotationsprinzip haben die Abkapselung des Managements nicht verhindern können. 4. Das „jugoslawische Modell" demonstriert das zentrale Dilemma direktdemokratischer Organisationsmodelle: Diffuse Verantwortlichkeit miteinander verzahnter Kollegialgremien verhindert jede wirksame Kontrolle von Machtpositionen.
Der Mythos des jugoslawischen Modells hat der Diskussion um die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft seinen Stempel aufgeprägt. Mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrungen mit der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung sind Anlaß genug, die Frage nach der Funktionsweise dieses Modells aufzuwerfen und den Mythos mit der Realität der Selbstverwaltung zu konfrontieren. Dies um so mehr, als es sich bei dem jugoslawischen Modell um den zur Zeit einzigen dauerhaften Versuch handelt, innerbetriebliche Einflußstrukturen mit Elementen des Rätesystems zu demokratisieren. Vor allem drei Fragen müssen im Vordergrund einer kritischen Prüfung stehen: In welchem Umfang ist eine Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen innerhalb der Unternehmen herbeigeführt worden? Wie weit werden die Arbeiter an der Unternehmensleitung und Festlegung der Unternehmenspolitik beteiligt? 3. Ist eine effektive Kontrolle der Unternehmensleitung durch Selbstverwaltungsorgane und Arbeitskollektiv gewährleistet?
I. Dezentrale Unternehmensorganisation
1. Selbstverwaltungsorgane und Management Als wichtigste Determinanten des jugoslawischen Wirtschaftssystems können das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln, die Konzeption der gelenkten Marktwirtschaft und die Arbeiterselbstverwaltung in den Unternehmen angesehen werden 1).
Grundlage der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung ist das Grundsatzgesetz über die Verwaltung der staatlichen Wirtschaftsorganisationen und übergeordneten Wirtschaftsvereinigungen durch die Arbeiterkollektive vom 2. Juli 1950 2). Organe der Selbstverwaltung sind die Versammlung des Gesamtkol-lektivs, der Arbeiterrat und der Verwaltungsausschuß. Der Arbeiterrat wird vom Gesamt-kollektiv in geheimer Wahl auf ein Jahr gewählt. Wichtigste Aufgabe des Arbeiterrates ist die Ausarbeitung von Richtlinien für die betriebliche Leistungserstellung. Im Rahmen dieser Richtlinien verwaltet der vom Arbeiterrat aufgrund von Kandidatenlisten gewählte Verwaltungsausschuß die Unternehmung und kontrolliert den Direktor, der seinerseits Mitglied des Verwaltungsausschusses ist, aber nicht die Rolle des Vorsitzenden übernehmen darf. Nadi § 36 des Gesetzes über die Arbeiter-selbstverwaltung hat der Direktor die Beschlüsse des Verwaltungsausschusses durchzuführen. Die wichtigsten unternehmerischen Funktionen (Unternehmenspolitik, Planung, Jahresabschlußrechnung etc.) werden dem Verwaltungsausschuß zugeordnet.
Der Ernennung des Direktors geht eine öffentliche Ausschreibung voraus. Die Ausschreibungskommission, die die eingegangenen Bewerbungen prüft und dem Arbeiterrat einen Kandidaten zur Ernennung vorschlägt, setzt sich jeweils zur Hälfte aus Vertretern des Arbeiterrates und der Gemeinde (in der Regel des Gemeindeparlaments) zusammen. Sie ist daher weder ein reines Selbstverwaltungsnoch ein reines Staatsorgan. Den Vorschlag der Kommission kann der Arbeiterrat nur annehmen oder ablehnen, nicht aber einen anderen Bewerber ernennen.
Die Kandidaten können gegen die Entscheidung des Arbeiterrates Beschwerde beim Gemeindeparlament einlegen. Bei Verletzung von Verfahrensvorschriften kann das Parlament das gesamte Verfahren aufheben, ebenso, wenn der ernannte Bewerber nicht die vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt. Die Tatsache, daß die Gemeinden in diesem Fall Richter in eigener Sache sind, wird allerdings zunehmend kritisiert und statt dessen die Einschaltung unabhängiger Gerichte gefordert. Aufgabe des Direktors ist die Repräsentation der Unternehmung nach außen und die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Unternehmens. Entgegen diesen formalen Bestimmungen des Gesetzes ist die Machtstellung des Direktors seit jeher weit stärker gewesen, als es der dezentralen Konzeption der Arbeiter-selbstverwaltung entspricht. „Von seinen Fähigkeiten und seiner Geschicklichkeit und nicht zuletzt von der Möglichkeit, Macht auszuüben, hängt letzlich das Funktionieren des Systems der Arbeiterselbstverwaltung ab." Da Unternehmensleitung wirtschaftliche Urteilsfähigkeit und genaue Kenntnis betriebswirtschaftlicher Funktionszusammenhänge voraussetzt, über die die Mehrheit des Arbeiterrates und auch des Verwaltungsausschusses trotz aller Weiterbildungsmaßnahmen nicht verfügt, wird diese Leitungsfunktion in den meisten Fällen nicht, wie gesetzlich vorgesehen, vom Verwaltungsausschuß, sondern vom Direktor wahrgenommen.
Die Verfassungsreform vom 26. Dezember 1968 hat die Stellung des Managements im Betrieb auf Kosten der Organe der Selbstverwaltung dadurch gefestigt, daß die Arbeitnehmer dem Arbeiterrat und damit auch dem Verwaltungsausschuß weitgehende Vollmachten zum Aufbau einer leistungsfähigen Unternehmensorganisation geben können
Da der Vorsitzende des Arbeiterrates, um einer Ämterhäufung vorzubeugen, nicht in den Verwaltungsausschuß gewählt werden darf, der Direktor hingegen von Amts wegen Mitglied dieses Ausschusses ist, muß man den Verwaltungsausschuß mehr dem Management als der Arbeiterselbstverwaltung zuredmen „Nur in einzelnen Fällen nimmt das Arbeitskollektiv an der Verwaltung des Unternehmens unmittelbaren Anteil."
Die Organisation der Selbstverwaltung ist durch zwei verschiedene, ja gegensätzliche Strukturmerkmale gekennzeichnet
1. die auf der Eigentumsverfassung beruhende Kompetenz zur Verwaltung, die dem Arbeitskollektiv zusteht, und 2. die fachliche Leitung des Unternehmens durch ein qualifiziertes Management. Das zweite Strukturmerkmal trägt der Tatsache Rechnung, daß die Delegierten in den Organen der Arbeiterselbstverwaltung nur selten in der Lage sind, qualifizierte Entscheidungen in betriebswirtschaftlichen Fragen zu fällen. Diese Erscheinung steht in einem gewissen Gegensatz zu dem System dezentralisierter innerbetrieblicher Meinungsbildung und zum Prinzip der Dezentralisierung der Planaufstellung, die durch eine Aufgliederung der Unternehmung in kleinere ökonomische Einheiten ermöglicht werden soll. 2. Grenzen der Dezentralisisatlon Während vielfach behauptet wird, jeder Arbeiter partizipiere direkt an der Unternehmensleitung und beim Arbeiterrat liege das „Zentrum betrieblicher Willensbildung zeigt es sich immer mehr, daß bei vollständiger Dezentralisierung der Investitionsentscheidungen die Beseitigung struktureller Unterschiede zwischen den einzelnen Landesteilen, insbesondere die Verringerung des erheblichen Einkommensgefälles, unmöglich ist Auch aus diesem Grunde stößt eine weitgehende Dezentralisation auf Schwierigkeiten. Erstrebenswert erscheint daher den jugoslawischen Ökonomen ein Ausgleich zwischen Partizipation und Effizienz, zwischen demokratischer Dezentralisation des Managements und der Idee der Unternehmenseinheit
Nachdem zunächst der Notwendigkeit integrierender zentraler Organe nicht genügend Beachtung geschenkt worden war, und dadurch ständige Streitigkeiten zwischen den einzelnen Abteilungen um die Verteilung der Mittel ungeachtet des gemeinsamen Unternehmens-zieles provoziert hatte, wurden vor allem in den letzten Jahren als Gegengewicht gegen die Entscheidungsdezentralisation ein hochqualifiziertes Management, ein gut funktionierendes Rechnungswesen und ein schneller Informationsfluß gefordert
Diese Bestrebungen haben dazu geführt, daß im Verwaltungsausschuß die technischen und ökonomischen Fachleute aus der Betriebsleitung mit einem wachsenden Anteil vertreten sind und daß dieser Ausschuß kein Organ der Selbstverwaltung, sondern der Unternehmensleitung geworden ist
1967 wurden von einem Forscherteam des Gewerkschaftsbundes von Slowenien 1489 Arbeiter und 501 Mitglieder der Kollegien aus 92 slowenischen Industriebetrieben danach befragt, wie hoch sie den Einfluß verschiedener Unternehmensorgane einschätzten. Zur Bewertung des Einflusses wurde den Befragten ein Skalometer mit den Skalenpositionen 1 bis 4 vorgelegt (1, 0 = sehr geringer Einfluß, 4, 0 = sehr großer Einfluß). Neben der tatsächlichen wurde auch die gewünschte Einflußverteilung erfragt
Sowohl die Kurven der realen wie auch der gewünschten Einflußverteilung zeigen das Spannungsverhältnis zwischen Arbeiterrat und Management (Kollegium). Arbeiter und Manager vertreten die Auffassung, der Arbeiterrat solle den stärksten Einfluß ausüben; beide Gruppen stimmen aber auch darin überein, daß trotz der Selbstverwaltung das Management den stärksten innerbetrieblichen Macht-faktor darstellt — vor dem Verwaltungsausschuß, dem Arbeiterrat und dem Arbeitskollektiv. Dabei wird die Differenz zwischen der Macht des Managements und der des Arbeiterrates von den Arbeitern noch höher veranschlagt als von den Mitgliedern der Kollegien. Insgesamt wird eine Umkehrung der tatsächlichen Machtverhältnisse gewünscht: Die Selbstverwaltungsorgane sollten dem Kollegium nicht untergeordnet sein, sondern größeren Einfluß als das Management ausüben
In einem gewissen Gegensatz zu diesem Untersuchungsergebnis steht jedoch der Befund einer anderen Umfrage Danach bezeichneten 70 °/o der Befragten die Führungsrolle der Selbstverwaltungsorgane bei der Verteilung der persönlichen Einkommen als „vorwiegend gesichert“, bei den Entscheidungen über Investitionen für Produktionserweiterungen waren 60 °/o und bei der Erneuerung und Instandhaltung des Anlagevermögens 51 °/o der gleichen Meinung. Demgegenüber sahen aber 57, 4 °/o der Befragten die Führungsrolle der Selbstverwaltungsorgane bei der Planung nicht als gesichert an. Die in diesem Umfrageergebnis zum Ausdruck kommende hohe Einschätzung der Rolle der Selbstverwaltungsorgane kann darauf zurückgeführt werden, daß formal diese Organe alle wichtigen Entschei-düngen fällen, da das Management seine Entscheidungen von der endgültigen Zustimmung des Arbeiterrates abhängig machen muß, die aber nur in den wenigsten Fällen verweigert wird. Formelle Entscheidungskompetenz und reale Entscheidungsmacht scheinen von den Befragten gleichgesetzt worden zu sein
Zu einer Rezentralisierung wirtschaftlicher Macht hat aber nicht nur diese vom Management beherrschte innerbetriebliche Einflußverteilung geführt, sondern auch der wachsende Anteil der Banken an der Finanzierung der Investitionen, der sich von 1961 bis 1968 von 0, 90/0 auf 47, 1% erhöht hat, während sich der Anteil der Gemeinden von 61, 7 0/0 auf 15, 7 % verringerte und der Anteil der Unternehmen mit 31, 2% im Jahre 1968 gegenüber 29, 5% im Jahre 1961 nahezu konstant blieb
Voraussetzung für eine dezentralisierte Unternehmenslenkung ist die Delegation vop dispositiven Funktionen und von Initiativbefugnissen, weiterhin die Delegation von Verantwortung an die betreffenden innerbetrieblichen Instanzen Diese Dezentralisation wird aber im jugoslawischen System dadurch eingeschränkt, daß zahlreiche, für die Unternehmenspolitik wichtige Entscheidungen (Preisbildung, Investitionspolitik) dem Staat Vorbehalten bleiben. In Angelegenheiten, die den Entscheidungsträgern der Arbeiterselhstverwaltung keinen klar erkennbaren Vorteil einbringen, ist in der Regel eine schwerfällige und langsame Beschlußfassung zu erwarten, während auf der anderen Seite die Instanzen-wege verkürzt und die Sachnähe der Entscheidungen verbessert werden kann.
Da nach den Reformen von 1965 „ ... allzu souveräne Beschlüsse mancher Kollektive in der Einkommensverteilung mit den Investitionsnotwendigkeiten nur schwer zu vereinbaren waren" wurde 1968 die Stellung des Managements so sehr gestärkt, daß vor der Gefahr einer „Selbstentmachtung der Arbeiter-räte" gewarnt wurde. Diese Entmachtung scheint jedoch eine notwendige Voraussetzung für die Koordination der Investitionsentsdieidüngen und damit für die Funktionsfähigkeit des gesamten ökonomischen Systems zu sein Ohnehin ist offen, welcher faktische Entscheidungsspielraum den Gremien der Selbstverwaltung angesichts des dominierenden Partei-und Gewerkschaftseinflusses noch verbleibte. Auch ohne offene staatliche Interventionen ist der Einfluß der Partei auf die Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane gesichert Vorrangige Aufgabe der Mitglieder des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens in den Grund-organisationen der ökonomischen Einheiten ist es, durch eine rege Beteiligung an der Arbeit der Selbstverwaltnngsorgane „nichtsozialistisehe Tendenzen" zurückzudrängen. Dementsprechend beträgt der Anteil der Parteimitglieder in der gesamten Arbeiterschaft nur 12%, in den Arbeiterräten dagegen 31 % und in den Verwaltungsausschüssen sogar 41,5 % Die Partei ist daher grundsätzlich in der Lage, die Unternehmenspolitik durch die aktive Mitarbeit ihrer Mitglieder in den Selbstverwaltungsorganen zu kontrollieren und zu steuern Nach seiner eigenen. Erklärung erkennt der jugoslawische Gewerkschaftsbund die führende Rolle des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) an, billigt sein Programm und setzt sich für seine Realisierung ein Die Kandidatenliste für die Wahlen zu den Arbeiterräten werden von den Gewerkschaften auf-gestellt. Zwar können die Arbeiter zusätzliche Bewerber in die Listen eintragen, machen von diesem Recht aber nur äußerst selten Gebrauch. Die dominierende Stellung der Gewerkschaften bei den Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen und ihre Unterordnung unter den BdKJ machen diesen nach, wie vor zur „ausschlaggebenden politischen Autorität" auch in den Unternehmen In den Resolutionen seines neunten Kongresses im Mai 1969 hat es der BdKJ als eine „undemokratische", gegen das Selbstverwaltungssystem gerichtete Tendenz bezeichnet, wenn unter Berufung auf vollständige Demokratie gefordert werde, er solle sich in den Entscheidungsprozessen des Selbstverwaltungssystems neutral verhalten
Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann von Neutralität in der Tat keine Rede sein. Im Gegenteil: Die enge personelle Verzahnung von Arbeiterräten, Gewerkschaften und Partei gewährleistet eine umfassende politische Kontrolle der Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane
Auf die Frage: „Wer hatte nach Ihrer Ansicht bis jetzt den entscheidenden Einfluß auf Wahl und Ablösung der Unternehmensdirektoren?" nannten bei einer Repräsentativumfrage 42, 70/0 der Befragten das Gemeinde-und Kreiskomitee des Bundes der Kommunisten, 20, % das Gemeindeparlament, 15, 8 % einzelne politische Funktionäre und nur 8, 4 % Arbeiterrat und Verwaltungsausschuß sl). Der Einfluß der politischen Organe auf die personelle Besetzung der Unternehmensspitze ist also nicht zu unterschätzen, der Einfluß der Selbstverwaltungsorgane demgegenüber gering. Zwar muß der Direktor nicht unbedingt Mitglied des Bundes der Kommunisten sein, aber seine „ideologische Festigkeit" darf keinen Anlaß zu Zweifeln geben.
Gegenüber den Selbstverwaltungsorganen beanspruchen die Gewerkschaften eine „gleichartig autonome Position" und verstehen sich zugleich als „integrierenden Bestandteil der direkten sozialistischen Demokratie“ Entsprechend hoch ist der Einfluß der Gewerkschaften und der Partei auf die Personalpolitik der Unternehmen. „Viel mehr als in Italien oder Frankreich zieht in Jugoslawien die politische Obrigkeit an den Fäden der Personalpolitik, wenn es um die Führungsposten in den Großunternehmen geht ... Schließlich ist es nicht realistisch, zu erwarten, die jugoslawische Partei, die das politische Machtmonopol festhält, werde ihre Hände völlig von der Wirtschaft lassen."
Neben der auf den Staat zurückgehenden Einschränkung der Dezentralisation ökonomischer Entscheidungskompetenzen wird die Delegation von Funktionen auch nur soweit vorgenommen, als „ ... dies ohne Schaden für die Erfüllung der Unternehmensaufgabe geschehen kann" Rechnungswesen und Planung unterstehen daher auch weiterhin der Unternehmensleitung Auch in der neuen Organisationsform gleichberechtigter ökonomischer Teilbereiche des Unternehmens werden die wichtigsten ökonomischen Funktionen von der koordinierenden Verwaltungsabteilung wahrgenommen, der der Direktor und die Abteilungen Planung, Analyse, Organisation und Entwicklung angehören. Zwar ist dieses Koordinationsgremium an die Beschlüsse der Organe der Arbeiterselbstverwaltung gebunden, verfügt aber dennoch über eine relativ starke Position innerhalb der Unternehmung, zumal die dispositiven Funktionen doch letztlich von den fachlich qualifizierten Verwaltungsorganen des Unternehmens ausgeübt werden.
Daß alle wichtigen unternehmensrelevanten Entscheidungen auf Sitzungen des Arbeiter-rates und des Verwaltungsausschusses unter Hinzuziehung der jeweils zuständigen Abteilungen und Fachkommissionen gefällt werden, steht dem nicht entgegen. Denn aufgrund der niedrigeren fachlichen Qualifikation der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane ist anzunehmen, daß die Manager und Fachkommissionen sich bei diesen Beratungen ohnehin leichter durchsetzen und den Informationsfluß selektiv beeinflussen. Die Funktionsfähigkeit der ökonomischen Einheiten wie des gesamten Unternehmens hängt somit weitgehend von der Person des Direktors und des Leiters der ökonomischen Einheit ab, da ihnen im Rahmen ihrer dispositiven und administrativen Funktionen ein weiter Entscheidungsbereich verbleibt
Ohnehin wird die Autonomie der Arbeiter-selbstverwaltung durch „Nebenhierarchien" (Gewerkschaft, Partei) in Frage gestellt. Demgegenüber hat es der in der betrieblichen Machthierarchie an der Spitze stehende Direktor vor allem in den Unternehmen mit einem hohen Zentralisierungsgrad verstanden, seine Position auch gegenüber den Kontrollorganen der Selbstverwaltung zu festigen. Je höher der Zentralisierungsgrad — dieser Zusammenhang gilt für die Mehrzahl aller Betriebe —, um so mehr bilden der Direktor, der Vorsitzende des Verwaltungsausschusses, der Vorsitzende des Arbeiterrates, der Vorsitzende der betrieblichen Parteiorganisation und der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsgruppe das eigentliche Machtzentrum des Betriebes. Widerstände gegen die Unternehmenspolitik können so in den verschiedensten Unternehmensbereichen von den jeweiligen Macht-repräsentanten abgefangen werden. Neben dieser für die meisten Unternehmen typischen Fünferkonstellation gibt es in manchen Betrieben auch Dreierkonstellationen (aus Direktor, Vorsitzendem des Verwaltungsausschusses und Vorsitzendem der betrieblichen Partei-organisation), die in ihrer Struktur unmittelbar an die Epoche der Zentralverwaltungswirtschaft anknüpfen. Dies um so mehr, als der Direktor in der Regel auch eine starke Stellung in der Parteiorganisation innehat und durch seine gesetzliche Mitgliedschaft im Verwaltungsausschuß indirekten Einfluß auf den Arbeiterrat ausüben kann, während er auf der anderen Seite weitgehend von politischen Institutionen abhängig ist.
Aufgrund dieser innerbetrieblichen Machtkon. zentration, der dem Direktor zur Verfügung stehenden Disziplinierungsmittel und Entscheidungskompetenzen in personalpolitischen Fragen, kommt die „Initiative von unten" in der Arbeiterselbstverwaltung „nur sehr mittelbar" zum Ausdruck: „Gerade die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung hat im jugoslawischen Betrieb die Institutionalisierung neuer betrieblicher Hierarchieformen gezeitigt" die sich in der Schlüsselposition des Direktors für die Funktionsfähigkeit des Unternehmens verfestigen. Das Rotationsprinzip, d. h.der für Arbeiterrat und Verwaltungsausschuß obligatorische periodische Amtswechsel, gilt bezeichnenderweise nicht für die Position des Direktors, der sowohl den kollektiven Verwaltungsorganen des Betriebes als auch den staatlichen Organen der zentralen Wirtschaftsverwaltung verantwortlich ist*) und der die „auch ökonomisch zweckmäßige Führungskontinuität" sichern soll.
Aus Gründen effizienter Unternehmensführung ist der Grad der Dezentralisation ökonomischer Entscheidungen im jugoslawischen System somit geringer, als vielfach angenommen wird, geringer auch, als es dem Dezentralisationsprinzip dieses Systems entspricht Die Arbeiter-Selbstverwaltung hat sich von ihrer ursprünglichen direktdemokratischen Konzeption aufgrund eines erheblichen Grades an Professionalisierung und Zentralisierung entfernt und stellt ein Mischsystem zentraler und dezentraler ökonomischer Entscheidungsmechanis-men dar, das den systematischen Einwänden gegenüber der Funktionsfähigkeit von Räte-modellen bereits teilweise Rechnung trägt.
Eine vollständige Dezentralisierung ökonomischer Entscheidungsprozesse dürfte vor allem durch zwei Faktoren verhindert worden sein: die permanente Überforderung der Belegschaftsvertreter in betriebswirtschaftlichen Fragen und die fehlende Koordinierung der Unternehmensentscheidungen durch den Marktpreismechanismus, da die Preise größtenteils behördlich gebunden sind Eine Rezentralisierung der Investitionsentscheidungen, eine verstärkte behördliche Preiskontrolle und eine Einschränkung des Selbstverwaltungssystems konnten daher nicht ausbleiben
An die Stelle der ursprünglichen Konzeption der lleinbestimmung der Arbeiter ist ein System der Mitbestimmung getreten, das bei der Kandidatenaufstellung und bei der Kontrolle der Unternehmensleitung durch zentralistische Tendenzen gekennzeichnet ist. Die Gewerkschaftsgruppen verfügen faktisch über ein Monopol bei der Kandidatenaufstellung für die Arbeiterräte. Daher drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß der faktische Einfluß der jugoslawischen Arbeiter auf die Unternehmensleitung zumindest nicht größer ist als der entsprechende innerbetriebliche Einfluß der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Vor allem gegenüber der paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie läßt sich ein deutliches Defizit der jugoslawischen „Selbstverwaltung" feststellen.
Auch die jugoslawischen Unternehmen haben der Tatsache Rechnung getragen, daß unmittelbare Selbstverwaltung in größeren ökonomischen Einheiten und eine Delegation von Entscheidungskompetenzen an gewählte Gremien und an das Management unumgänglich ist, sofern ein Mindestmaß ökonomischer Leistungsfähigkeit gewährleistet sein soll Ursprünglich als ein nach den Prinzipien des Rätesystems organisiertes syndikalistisches Modell konzipiert, hat sich das jugoslawische System de facto zu einer Form des „Managersozialismus" entwickelt Der Widerspruch zwischen zentraler Leitung und lokaler Autonomie, zwischen kollektiver Leitung und Einmannführung, zwischen direktdemokratischen Entscheidungsmechanismen und zentraler Planung und Koordination hat sich ebenso wie in den kommunistischen Staaten Osteuropas als unauflösbar erwiesen — wenn auch in einem anderen organisatorischen Rahmen.
II. Das Apathieproblem
Abbildung 3
Qualifikationen Arbeiter insgesamt Hochqualifizierte Qualifizierte Halbqualifizierte Nicht Qualifizierte Angestellte insgesamt Hohe Fachausbildung mittlere Fachausbildung niedrigere Fachausbildung Aushilfsangestellte Arbeitskollektiv
Qualifikationen Arbeiter insgesamt Hochqualifizierte Qualifizierte Halbqualifizierte Nicht Qualifizierte Angestellte insgesamt Hohe Fachausbildung mittlere Fachausbildung niedrigere Fachausbildung Aushilfsangestellte Arbeitskollektiv
1. Intensität der Partizipation Die Apathie-und Kontrollprobleme direkt-demokratischer Organisationsmodelle können in vielen sozialistischen Organisationen festgestellt werden D 51as gilt auch für die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung, die als ein Modell wirtschaftlicher Selbstbestimmung durch betriebliche Selbstverwaltungsorgane angesehen wird. Auch hier nimmt das Arbeitskollektiv nur in wenigen Fällen unmittelbaren Anteil an der Unternehmensleitung und an der Unternehmensorganisation, die weiterhin hierarchisch strukturiert ist In den jugoslawischen Arbeiterräten haben sich darüber hinaus stabile Partizipationsdifferenzen herausgebildet. Empirische Analysen der sozioökonomischen Zusammensetzung der jugoslawischen Arbeiterräte haben ergeben, daß die qualifizierten Arbeitnehmer überdurchschnittlich in den Arbeiterräten vertreten sind, während die niedrigeren Qualifikationsgruppen deutlich unterrepräsentiert sind
Tabelle 1 Arbeitnehmerrepräsentation im jugoslawischen System der Arbeiterselbstverwaltung
Die überdurchschnittliche Beteiligung der qualifizierten Arbeitnehmer deutet auf eine entsprechende innerbetriebliche Machtposition dieser Gruppe hin, die vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen ist: Einmal achten die Gewerkschaften bei der Nominierung der Kandidaten auf eine ausreichende berufliche Qualifikation. Zum andern kennzeichnet die qualifizierten Arbeitnehmer auch in den außerbetrieblichen Tätigkeitsbereichen (kulturelle Verbände, soziale Organisationen etc.) ein höheres Maß an Aktivität. Außerdem entspricht dem Qualifikationsgefälle innerhalb der Arbeitnehmerschaft ein Bildungsgefälle, das die bereits bestehenden Differenzen beruflicher, sozialer und politischer Aktivität noch weiter verstärkt. Während mehr als ein Drittel aller jugoslawischen Arbeitnehmer der Kategorie der unqualifizierten Arbeitskräfte zugerechnet werden muß, sind diese in den Arbeiterräten mit weniger als 10% repräsentiert. In den Entscheidungs-und Meinungsbildungsprozessen der Selbstverwaltungsorgane sind diese Partizipationsdifferenzen noch größer: Im Verhältnis zu den halbqualifizierten sind die hochqualifizierten Arbeitnehmer an den Beratungen und Entscheidungen der Arbeiterräte durchschnittlich um das 39fache stärker beteiligt Infolgedessen gibt es in den Gewerkschaften bereits intensive Diskussionen darüber, ob die Selbstverwaltungsgremien nur die aktiveren oder alle Arbeiter repräsentieren. Wie sozial-empirische Analysen der Ursachen unterschiedlicher Partizipationsbereitschaft ergeben haben, hängt die Bereitschaft der Arbeiter zur Mitarbeit in den Selbstverwaltungsgremien vor allem von ihrer Zufriedenheit mit den allgemeinen Arbeitsbedingungen ab, wobei erhöhte Partizipation diese Zufriedenheit verstärkt Frustrationen entstehen dadurch, daß auch bei den Mitgliedern der Arbeiterräte das wahrgenommene Partizipationsniveau dem Partizipationsanspruch nicht gerecht wird Eine wichtige Ursache dieser Diskrepanz dürfte darin zu sehen sein, daß sich das Management des Unternehmens, wie eine vergleichende Studie von Kolaja am Beispiel zweier Unternehmen ergeben hat, auf den Sitzungen des Arbeiterrates viel häufiger zu Wort meldet und seine Vorschläge öfter durchsetzt als das nicht dem Management zuzurechnende Personal
Trotz umfangreicher Selbstverwaltungsrechte zeigen sich viele Arbeitnehmer gegenüber den Problemen der Unternehmenspolitik apathisch: Mitglieder des Arbeiterrates, die an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, berichten nur wenig über ihre Tätigkeit in der Selbstverwaltung, an der sich die übrigen Arbeiter wenig interessiert zeigen Durch diese geringe Partizipationsbereitschaft wird das Selbstverwaltungs-prinzip vor allem in den größeren Unternehmen zwangsläufig „restricted to some extent — zugunsten einer nur periodischen Beteiligung an Entschließungsprozessen. Die geringe Aktivität der wenig qualifizierten Arbeiter und die unzulänglichen Sachkenntnisse der Mitglieder des Arbeiterrates machen diesen bisweilen zu einem Diskussionsforum für den Direktor und die technischen und kaufmännischen Leiter
Die Ämter der Selbstverwaltungsorgane rotieren nicht im gesamten Arbeitskollektiv, sondern innerhalb einer kleinen Gruppe, die den übrigen Arbeitern an Information und Qualifikation überlegen ist Auch in den letzten Jahren hat die Teilnahmeintensität großer Teile der Arbeiterschaft nicht nennenswert zugenommen, wie die Bereitschaft der Arbeiter zur Mitarbeit in den Selbstverwaltungsorganen und der Grad der Ämterrotation zeigen In den meisten Betrieben liegt die Zahl der Kandidaten für den Arbeiterrat nur unwesentlich über der Zahl der zu besetzenden Plätze. „Gegenwärtig scheint Partizipation mehr die Möglichkeit und Apathie, mehr die Wirklichkeit der Arbeiterselbstverwaltung zu kennzeichnen."
Nach einer in 111 slowenischen Industrie-und Bergbaubetrieben durchgeführten Umfrage interessieren sich die Arbeiter in den Unternehmen vor allem für Informationen über die Entwicklung ihres persönlichen Einkommens (72 °/o), das Unternehmensergebnis (61 °/o) und Sozialleistungen (40 o/o) — aber kaum für die Arbeit der Selbstverwaltungsorgane (5 %) Dieses Desinteresse bezeichnen Sweezy und Hubermann als eine zwangsläufige Erscheinung; denn es würden keine überzeugenden Anstrengungen unternommen, statt materieller Anreize immaterielle Anreize durch sozialistisehe Erziehung und Propaganda stärker zu betonen Infolgedessen reproduziere das jugoslawische Erziehungssystem alte Wertmuster und begünstige dadurch die »Privatisierung“ der Arbeiter, die sich nur noch für den Konsum, nicht aber für die gesellschaftlichen Belange der Selbstverwaltung interessierten. Dieser Erklärungsansatz verrät zunächst eine Partizipationsnorm, die nur durch totalitäre Indoktrination erfüllt werden kann und übergeht die eigentlichen Ursachen für die geringe Teilnahmeintensität: unzureichende Qualifikation für eine Mitarbeit in den Selbstverwaltungsorganen, lange Anfahrtswege zwischen Arbeitsplatz und Wohnung und vor allem Nebenbeschäftigungen zur Erzielung zusätzlichen Einkommens. Der Forderung nach intensiver Partizipation wird auch in Zukunft das komplexe Rollengefüge einer Industriegesellschaft entgegenstehen. Aus diesen Gründen kommen die direktdemokratischen Organisationselemente im System der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung „nur sehr mittelbar“ zum Ausdruck und demonstrieren selbstelektive Tendenzen in Räte-organisationen. 2. Grenzen direktdemokratischer Partizipation im Unternehmen Unter Berufung auf das „jugoslawische Modell" werden auch in westlichen Industriegesellschaften Forderungen nach rätedemokratischer Leitung von Betrieben mit erweiterten Möglichkeiten direktdemokratischer Partizipation begründet. Drei Annahmen liegen dieser Forderung zugrunde
1. Die durch hohe Produktivitätsfortschritte ermöglichte zeitweilige Freisetzung der Arbeitstätigkeit biete bisher unbekannte Möglichkeiten der Weiterbildung und könne dadurch Wissensunterschiede zwischen Management und Arbeiterschaft beseitigen.
2. Die Arbeitstätigkeit könne durch Verzicht auf „künstlich" geweckten Konsum auf die Befriedigung „wahrer" Bedürfnisse reduziert werden. 3. Durch technische Hilfsmittel (Computer etc.) könne in speziellen innerbetrieblichen Entscheidungssituationen das erforderliche Maß fachlicher Kompetenz verringert werden.
Diesen Annahmen sind jedoch mehrere Einwände entgegenzuhalten, die durch die Intensität der Partizipation im jugoslawischen Selbstverwaltungssystem bestätigt werden: zu 1) Die für die Zukunft erforderlichen beruflichen Qualifikationen erfordern größere zusätzliche Spezialkenntnisse, so daß die auf dieser Spezialisierung beruhenden Wissensunterschiede auch bei wachsendem durchschnittlichen Wissensniveau nicht automatisch aufgehoben werden.
zu 2) Da alle Bedürfnisse im sozialkulturellen Prozeß vermittelt werden, ist jede Trennung zwischen „wahren" und „künstlichen" Bedürfnissen willkürlich Jede Einschränkung des Bedarfs auf „wahre" Bedürfnisse wäre ohne zusätzliche Zwangsmittel nicht durchzusetzen. zu 3) Die Komplexität betriebswirtschaftlicher Vorgänge bedingt zwangsläufig komplizierte Entscheidungssituationen.
Technische Hilfsmittel können hier nur in geringem Umfang entlastend wirken.
Beschränken sich die Arbeiterräte dagegen darauf, dem Management bestimmte Richtlinien für die Unternehmenspolitik vorzu. schreiben, bleibt das Kontrollproblem zumindest bei der Anwendung dieser Richtlinien ungelöst. Auch die Schöpfer der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung waren davon ausgegangen, daß ein stabiles Selbstverwaltungssystem die individuellen und kollektiven Interessen der Bürger harmonisieren würde Daß diese Erwartung trügerisch war, wird inzwischen auch von jugoslawischen Gewerkschaftlern eingesehen: „Das gesellschaftlich-wirtschaftliche System nach der Reform hat den Prozeß der Bildung einer sozialen Differentiation beschleunigt und begünstigt."
Viele Arbeiter zeigen mangelndes Vertrauen in die Wirtschaftsreform, verhalten sich passiv und wenden sich auch von den Gewerkschaften ab. In den Arbeiterräten dominieren Aibeiter mit besserer Ausbildung und höherer fachlicher Qualifikation, während Arbeiter mit geringer beruflicher Qualifikation — vor allem aus der Produktion — in den Selbstverwaltungsgremien erheblich unterrepräsentiert sind Diese Differenzierung wird damit begründet, daß sie den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt fördere, der durch jeden „Egalitarismus" beeinträchtigt werde Jugoslawische Soziologen vertreten die Auffassung, das „Gleichheitssyndrom", d. h. die Forderung nach einer egalitären Verteilung von Einkommen, sozialer Macht und sozialem Prestige sei dysfunktional für die jugoslawische Gesellschaft, da sich diese immer mehr auf eine Industriegesellschaft zuentwickele
III. Bürokratisierungstendenzen
1. Machtposition des Managements Bürokratisierungstendenzen hat sich auch das jugoslawische System der Arbeiterselbstverwaltung nicht entziehen können. Gerade die weitgehende Delegation von Verwaltungsaufgaben an Unternehmensleitung und Verwaltungsausschuß entsprechend der Verfassungsreform vom 26. Dezember 1968 hat die Macht-
Position des Managements zu Lasten der Selbstverwaltungsorgane erheblich gestärkt Die Festigung der von der Unternehmensver-waltung eingenommenen Machtstellung kommt auch darin zum Ausdruck, daß das ansonsten für die personelle Besetzung der Selbstverwaltungsorgane obligatorische Rotationsprinzip für den Direktor nicht gilt.
Direktor, Management und Verwaltungsausschuß sind Kern einer neuen Betriebshierardiie, der zahlreiche Mittel zur Verfügung stehen, um eine starke Betriebsdisziplin zu sichern So untersteht nicht nur die Planung, sondern auch das Rechnungswesen als wichtiges Instrument innerbetrieblicher Kontrolle der Unternehmensleitung. „Die Zentralisierung des Rechnungswesens in dezentralisiert gelenkten Unternehmungen versteht sich von selbst, da dem Objekt der Kontrolle nicht das Kontrollinstrument überlassen werden darf."
Diese Machtkonzentration hat sich nachhaltig auf die Maßstäbe der innerbetrieblichen Personalpolitik ausgewirkt und Vetternwirtschaft, willkürliche Entlassung von Arbeitnehmern und die Anwendung weiterer Druckmittel zur Folge gehabt. Dadurch wurde das Selbstverwaltungssystem erheblich diskreditiert. Zur Verhinderung einer autonomen Stabilisierung und Expansion des Verwaltungsapparates größerer Unternehmen reicht die Institutionalisierung von Selbstverwaltungsorganen nach den jugoslawischen Erfahrungen nicht aus.
Während Umbesetzungen der Unternehmens-spitze zur Zeit des Etatismus, als der Direktor Staatsbeamter und den Planbehörden verantwortlich war, relativ häufig waren, hat sich die Position der Unternehmensleiter nach Einführung der Selbstverwaltung und nach dem Erlaß der Qualifikationsvorschriften für die Direktorenstelle zunehmend stabilisiert*). Der nach der Verfassungsrevision von 1968 in mehreren Betrieben einberufene Geschäftsausschuß, der sich aus dem Direktor, den Abteilungsleitern und einigen Spezialisten zusammensetzt und für die Unternehmensplanung zuständig ist, vertieft die Distanz zwischen Arbeitern und Management und stellt das ideologische Ziel der Entprofessionalisierung des Managements noch mehr in Frage Von jugoslawischen Arbeitsrechtlern wird daher nicht ohne Grund die Auffassung vertreten, die jugoslawischen Manager verfügten de facto über größere Entscheidungskompetenzen als die Manager in Unternehmen der Bundesrepublik.
Bei einer Repräsentativumfrage in 23 jugoslawischen Unternehmen wurde den Arbeitern die Frage gestellt: „Welches Organ sollte Ihrer Meinung nach für die Arbeit und Entwicklung des Unternehmens am meisten verantwortlich sein?" Mehr als zwei Drittel der Befragten (69, 2 °/o) ordneten diese Verantwortlichkeit dem Führungspersonal des Unternehmens und nur etwa ein Fünftel den Selbstverwaltungsorganen zu Die Normen der Selbstverwaltungskonzeption sind somit von den Arbeitern nicht internalisiert worden: Die Arbeiter äußerten sogar, Manager und Experten sollten noch mehr Einfluß ausüben, als sie bereits haben, zugleich sollte aber auch ihre Kontrolle durch den Arbeiterrat verbessert werden.
Aufgrund der starken Position des Managements entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Verwaltung, Unternehmensleitung und Selbstverwaltungsorganen Der „Dualismus der Arbeitsorganisation" (Arbeiterrat-Direktor) zeigt, daß die „Bürokratisierung des wirtschaftlichen Lebens" auch in einer sozialistischen Marktwirtschaft eine „reale Gefahr" darstellt.
Der Bürokratismus wird von Beobachtern der jugoslawischen Unternehmensentwicklung für Streiks in verschiedenen Betrieben verantwortlich gemacht, die sich gegen die „bürokratischen Zentren der gesellschaftlichen Macht" richteten. Auch die Sprecher des Bundes der Kommunisten richteten heftige Angriffe gegen die „Technokraten" in den Indu-strieunternehmen — ein Indiz für die gefestigte Führungsposition der Manager, die längst getroffene Entscheidungen den Selbstverwaltungsorganen zur eigenen Absicherung nur noch „unterschieben"
Die Unternehmensleitung kann die Entscheidung des Arbeiterrates durch die Erstellung eines oder mehrerer Gutachten, in denen dem Rat eine bestimmte Entscheidung empfohlen oder auf indirekte Weise nahegelegt wird, nachhaltig beeinflussen Diese Einflußmöglichkeit wiegt um so schwerer, als den meisten Mitgliedern der Arbeiterräte das nötige Fachwissen fehlt, um an den Empfehlungen der Gutachten Kritik zu üben, und die Beteiligung an den Diskussionen im Arbeiterrat infolgedessen sehr gering ist. Die Stellung des Managements wird auch dadurch gestärkt, daß die Arbeiter über ihre Selbstverwaltungsrechte häufig nicht genügend informiert sind und die Selbstverwaltungsorgane kleinere Verstöße des Direktors gegen ihre Beschlüsse nicht revidieren können. Bei Entscheidungen über Beschaffungs-, Investitions-, Organisations-, Planungs-und Absatzprobleme werden die durch Fachkenntnis gestützten Empfehlungen der Manager von den Selbstverwaltungsorganen fast immer angenommen, und die Mitglieder der Arbeiterräte tragen höchstens geringfügige Anderungswünsche vor. Ihre Entscheidungsrechte sind, abgesehen von der Mitsprache der Belegschaft im Bereich betrieblicher Sozialpolitik, weitgehend nur formaler Natur Die von jugoslawischen Autoren geäußerte Erwartung, die Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane würden „gradually transform all the workers into appropriate managers“ und so den traditionellen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit beseitigen, hat sich nicht erfüllt.
Zwar ist eine Rückentwicklung des jugoslawischen Systems zum Etatismus rigoroser Zentralplanung und zentraler Interventionen nach Ansicht jugoslawischer Beobachter nicht zu erwarten aber in den ökonomischen Einheiten besteht schon jetzt ein Dualismus von politischer Bürokratie und ökonomischer Selbstverwaltung, der die Partizipationschancen der Arbeitnehmer einschränkt und eine bürokratische Unternehmensführung begünstigt Dieser ungelöste Widerspruch zwischen Etatismus und Selbstverwaltung hat zumindest insoweit eine Abweichung des jugoslawischen Systems von räteorganisatorischen Systemelementen zur Folge, als direktdemo. kratische Kontrollkompetenzen der Arbeitnehmer in den Betrieben zugunsten der Stabilität und Autonomie der Unternehmensverwaltung aufgehoben oder doch zumindest erheblich eingeschränkt worden sind
Gegen diese Konzeption, vor allem aber gegen die Verfassungsergänzung XV aus dem Jahre 1968, die dem Management durch Funktionsverlagerung vom Arbeiterrat zur Unternehmensleitung große Vollmachten einräumt, haben Gewerkschaften und Verwaltungsbürokratie immer wieder Stellung bezogen Dennoch ist das Selbstverwaltungssystem des „Managersozialismus" bisher vom jugoslawischen Parlament nicht revidiert worden. In den jugoslawischen Unternehmen wird daher in Zukunft die Bürokratisierung von Entscheidungen weniger durch den staatlichen Verwaltungsapparat als durch das Management hervorgerufen werden. 2. Gewaltenteilung und innerbetrieblicher Interessenausgleich Bezeichnenderweise sind auch in das jugoslawische System Verfahrensregeln und Rechtsschutzformen eingefügt worden, mit denen die Selbstverwaltung rechtlich abgesichert und Willkürentscheidungen der Selbstverwaltungsorgane verhindert werden sollen. . In Jugoslawien hat man früher als in anderen sozialistischen Ländern erkannt, daß die räte-demokratische Maxime der Gewalteneinheit allein nicht genug für den wirksamen Schutz verletzter individueller und gesellschaftlicher Rechte des einzelnen ... zu leisten vermag. Der Rechtsschutz der Arbeitnehmer gilt für den innerbetrieblichen Bereich ebenso wie für den Rechtsweg von den ordentlichen Gerichten bis zum Bundesverfassungsgericht. Im Unternehmen haben die Arbeitskollektive Organe einzurichten, die den Arbeitern die Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungsrechte ermöglichen sollen. Auf die innerbetriebliche Beilegung eines Streites brauchen die Arbeiter aber nicht zu warten, sondern können sich gleichzeitig bei der Gemeindeverwaltung beschweren. Darüber hinaus verbleibt ihnen die ordentliche Gerichtsbarkeit als weitere Instanz. Verletzungen des Rechts auf Selbstverwaltung können vor die Verfassungsgerichte gebracht werden — eine Möglichkeit, die nicht nur formaler Natur ist, da in Jugoslawien im Gegensatz zu allen anderen kommunistischen Staaten eine relativ selbständige Verwaltungsund Verfassungsgerichtsbarkeit besteht. Arbeitskollektive und Verwaltungsorgane können sich an die Verfassungsgerichte wenden. Obwohl solche Rechtsstreitigkeiten bisher selten waren, wird die eigenständige Entscheidungskompetenz doch dadurch unterstrichen, daß die Verfassungsgerichte Maßnahmen staatlicher Behörden wiederholt aufgehoben haben.
Dennoch sollte die Position des Bundesverfassungsgerichts nicht überschätzt werden. Denn seine Aufgabe, die Selbstverwaltungsrechte zu schützen, hat das Gericht bisher nicht wahrgenommen. Zwar gab es 3243 Fälle der Verletzung dieser Grundrechte, aber das Verfassungsgericht mußte sich als unzuständig bezeichnen, da es von seiner Rechtsprechungskompetenz nur dann Gebrauch machen kann, wenn eine Rechtssicherung durch andere Gerichte nicht möglich ist. Damit hat der Gesetzgeber eine Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zur Arbeiterselbstverwaltung praktisch ausgeschlossen
Vielfältige gesetzliche Sanktionen sollen Verstöße gegen die Selbstverwaltungsrechte der Arbeiter verhindern Diesem Ziel dient auch die innerbetriebliche Arbitrage als Unternehmensschiedsgericht, das Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Einheiten des Selbstverwaltungssystems regeln soll. Entscheidet die Arbitrage gegen den Gesamtarbeiterrat und beharrt dieser auf seinem Standpunkt, entscheidet ein Referendum, an dem sich die Urwähler auf betrieblicher Basis beteiligen können.
Das System der Konfliktregelung in der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung beruht somit auf zwei völlig verschiedenen Struktur-prinzipien: der direktdemokratischen Konzeption des Rätesystems, die in der letzten Entscheidungsbefugnis der Urwählerschaft bei innerbetrieblichen Interessenkonflikten zum Ausdruck kommt, und dem Prinzip der Gewaltenteilung als normativer Grundlage einer selbständigen Verfassungsgerichtsbarkeit. Diese Aufspaltung der Kontrollfunktionen soll einerseits ein Mitspracherecht der Arbeitnehmerschaft gewährleisten, auf der anderen Seite aber Kontrollfunktionen zur Vermeidung bürokratischer Herrschaftsformen von staatlichen und wirtschaftlichen Behörden auf Gerichte verlagern. Ob dieses komplizierte System des Interessenausgleichs überhaupt funktionsfähig ist, muß sich noch erweisen, obwohl jugoslawische Ökonomen es bereits jetzt als „totgeborenes Kind" bezeichnen Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß das System der Arbeiterselbstverwaltung dem rätedemokratischen Prinzip der Gewalten-fusion eine eindeutige Absage erteilt und das Gewaltenteilungsprinzip zumindest in Form einer unabhängigen Gerichtsbarkeit in Jugoslawien eine Renaissance erlebt hat.
IV. Machtkontrolle im Unternehmen
1. „Recall" und Rotationsprinzip als Kontrollinstrumente
Die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung beruht zwar auf dem Prinzip, den Arbeitskollektiven die größten Einflußmöglichkeiten auf die Unternehmenspolitik zu verschaf-fen, will aber durch ein genau umrissenes System der Kompetenzabgrenzung zwischen Arbeitskollektiv, Arbeiterrat, Verwaltungsausschuß und Direktor eine kontinuierliche Arbeit der Selbstverwaltungsorgane gewährleisten. Nach § 3 Abs. 2 des „Grundgesetzes über die Verwaltung der staatlichen Wirtschaftsbetriebe und höheren Wirtschaftsverbände durch die Arbeitskollektive" besitzt das Arbeitskollektiv das Recht, den gesamten Arbeiterrat oder einzelne seiner Mitglieder vor dem regulären Ablauf der Mandatszeit abzuberufen. Wann es von dieser Möglichkeit des „Recall" Gebrauch macht, bleibt ihm überlassen, zumal die Technik der vorzeitigen Abberufbarkeit von Mitgliedern des Arbeiterrates bisher nicht gesetzlich geregelt worden ist. Vom Gesetzgeber wird das Abberufungsrecht analog dem Wahlrecht interpretiert. Ob die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden soll oder ob zur Abberufung die Stimmenmehrheit aller Kollektivmitglieder erforderlich ist, hängt von der jeweils gültigen Betriebsordnung ab.
Voraussetzung für eine Abberufung ist im allgemeinen eine Wahlbeteiligung von mindestens 50 ’/o. Trotz der gesetzlichen Kodifizierung des Abberufungsrechts zeigt die jugoslawische Unternehmenspraxis, daß der „Recall" „kein adäquates Interventionsmittel gegen geringfügigere Abweichungen von den Grundlinien der Betriebspolitik durch die ausführenden Organe" darstellt, sondern nur bei tief-greifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitskollektiv und Selbstverwaltungsorganen überhaupt in Erwägung gezogen wird. Direktor und Verwaltungsausschuß haben sich einen so weiten Kompetenzbereich abstecken können, daß die notwendige Kompetenzvoraussetzung zur Wahrnehmung des Abberufungsrechts fehlt Im allgemeinen ist der Arbeiterrat gar nicht in der Lage, jede Entscheidung des Direktors oder des Verwaltungsausschusses auf ihre Übereinstimmung mit der gemeinsam beschlossenen Grundkonzeption zu überprüfen. Voraussetzung einer solchen detaillierten Kontrolle wäre ein permanent arbeitender Kontrollapparat, der dem Arbeitskollektiv und dem Arbeiterrat nicht zur Verfügung steht, im übrigen aber die Unternehmens-verwaltung bürokratisch aufblähen und sich dadurch negativ auf die Unternehmensrentabilität auswirken würde.
Da diese Voraussetzung nicht gegeben ist, werden die Arbeiterräte von der Unternehmensleitung gerade bei den zentralen betrieblichen Entscheidungen immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Unternehmens-spitze gibt nur solche Informationen weiter, die die bisherigen Entscheidungen zu bestätigen scheinen, und entzieht sich damit jeg-licher Kontrolle des Arbeiterrates, Den nach der Verfassungsänderung von 1968 gebildeten „Geschäftsausschüssen", in denen Direktor und Unternehmensverwaltung zusammengefaßt sind, ist es in den meisten Fällen gelungen, das Unternehmen weitgehend unabhängig von den Selbstverwaltungsorganen zu führen und das Interesse des Arbeiterrates auf sozialpolitische Fragen und Probleme der Entlohnung einzugrenzen
Ohnehin ist der Direktor nicht in gleichem Umfang dem Abberufungsrecht der Selbstverwaltungsorgane unterworfen wie diese dem Ab-berufungsrecht des Arbeitskollektivs. Denn zur Ablösung des Unternehmensleiters ist die Zustimmung politischer Instanzen erforderlich. Damit soll eine diskontinuierliche Entwicklung der Unternehmensleitung unterbunden werden — eine Regelung, die eine massive Einschränkung der dem Arbeitskollektiv und den Selbstverwaltungsorganen zur Verfügung stehenden Kontrollrechte bedeutet. Ob unter dieser Voraussetzung zu Recht überhaupt noch von „Selbstverwaltung" gesprochen werden kann, ist fraglich, da die Selbstverwaltungsorgane konkrete Entscheidungen des Direktors nicht erzwingen oder verhindern können und die gesetzlichen Regelungen der Abberufung so weit gefaßt sind, daß die Abberufung im freien Ermessen der politischen Instanzen liegt. Die starke Position der Unternehmensleitung geht aus der Häufigkeit erfolgter Abberufungen von Direktoren deutlich hervor. 1954 wurden nach Angaben von Schleicher 7, 6 °/o und 1956 9, 3 0/0 aller Direktoren abgelöst, Prozentwerte, die nicht sehr hoch sind, wenn man bedenkt, daß 1968 100/0 aller Unternehmen mit Verlust arbeiteten. 1966 wurden 262 von 1369 neu ernannten Direktoren abgelöst, und im Jahre 1968 standen 421 nicht wiedergewählte Unternehmensleiter 2727 wiederernannten Direktoren gegenüber Damit war die Fluktuationsrate des Managements erheblich niedriger als die Rotation in den Selbstverwaltungsorganen. Bezeichnend für den innerbetrieblichen Aktionsradius der Selbstverwaltungsorgane ist allein die Tatsache, daß bereits 1954 71° aller abberufenen Direktoren von staatlichen und nicht von innerbetrieblichen Organen aus ihrem Amt entfernt wurden. Soweit die Abberufung durch innerbetriebliche Instanzen ausgelöst wurde, gaben weniger die Selbst-Verwaltungsorgane als die Arbeitskollektive den Ausschlag, wobei offen ist, in welchem Umfang die Gewerkschaft die Kollektive mit dem Ziel der Änderung der Unternehmens-spitze mobilisiert hat.
Eine der wichtigsten Kompetenzen der Arbeitskollektive ist das Recht, Selbstverwaltungsmitglieder vorzeitig abzuberufen. Auch politische Organe und die Unternehmensleiter können die Abberufung fordern. Zwar scheint die Initiative zu Abberufungen vor allem von den Selbstverwaltungsorganen und den Arbeitskollektiven auszugehen, dabei ist aber zu berücksichtigen, daß der Bund der Kommunisten Jugoslawiens und die Gewerkschaft innerhalb der Unternehmen über ihre Zellen-organisationen die Abberufung von Mitgliedern der Selbstverwaltungsorgane fordern und auch durchsetzen können. Wegen dieser tief-gestaffelten Eingriffsmöglichkeiten von Partei und Gewerkschaft in das Selbstverwaltungssystem der Unternehmen ist der Grad ökonomischer Machtzentralisation größer, als es der formalen Organisationsstruktur der Selbstverwaltung entspricht und aus der jugoslawischen Unternehmensstatistik hervorzugehen scheint.
Auch aus diesem Grunde ist es nicht weiter erstaunlich, daß eine kollektive Abberufung ganzer Selbstverwaltungsgremien bisher niemals vorgenommen worden ist. Solche Aktionen sind in Zukunft noch unwahrscheinlicher als zuvor, da die Verfassungsreform vom 26. Dezember 1968 das Management durch die Delegierbarkeit von Entscheidungen an Verwaltungsorgane zusätzlich gestärkt und die Selbstverwaltung entsprechend geschwächt hat.
Die im jugoslawischen Selbstverwaltungs-Schrifttum geäußerten Auffassungen, in den Unternehmen sei „direkte sozialistische Demokratie" verwirklicht, die es den Arbeitern ermögliche, Macht unmittelbar auszuüben und Entscheidungen direkt zu fällen entspre-chen nicht der innerbetrieblichen Machtverteilung In den Leitungsgremien der Unternehmen ist das Rotationsprinzip so sehr eingeschränkt worden — die Wiederwahl des Direktors ist nicht begrenzt, und in den Verwaltungsausschüssen gibt es keine Beschränkung der Wiederwahl, wenn zwischen dem Ende der Mandatszeit’ und der Neuwahl eine zweijährige Frist verstrichen ist —, daß der Unternehmensleiter immer mehr „zu einer Art Regent der Selbstverwaltung wird“ Diese Entwicklung kommt auch darin zum Ausdruck, daß sich auf Ausschreibungen für die Stelle des Unternehmensleiters vielfach nur die bisherigen Direktoren als einzige Kandidaten bewerben. Die bisher nicht wiedergewählten Direktoren wären in den meisten Fällen ohnehin bald aus Altersgründen ausgeschieden. Zudem sind die den Ausschreibungen zugrundeliegenden Maßstäbe oft nur „recht allgemein und ungenau" formuliert. Damit sich nur die früheren Direktoren bewerben und auch etwaigen anderen Bewerbern mit besserer Qualifikation vorgezogen werden können, werden die Ausschreibungen den Eigenheiten der beruflichen Laufbahn der bisherigen Direktoren so angepaßt, daß hoch qualifizierte Außenseiter nicht die geringste Chance haben. 2. Unzureichende Kontrolle innerbetrieblicher Machtzentren Von den meisten Kritikern dieser Entwicklung wird einerseits gefordert, den Einfluß des Direktors zu legalisieren, zugleich aber eine effektive Kontrolle des Managements durch den Arbeiterrat sicherzustellen Ebenso ist die Kontrolle des Arbeiterrats durch das Arbeitskollektiv verbesserungsbedürftig. Denn aufgrund der geringen Anteilnahme der Arbeiter am Betriebsgeschehen verfügt der Arbeiterrat im allgemeinen über einen erheblichen Ent-scheidungsspielraum, der Verselbständigungstendenzen fördert Das Instrument der jederzeitigen Abberufbarkeit wird daher von den Arbeitskollektiven gegenüber den Arbeiterräten noch weniger angewandt als von den Arbeiterräten gegenüber den Verwaltungsausschüssen. Eine in Zagreb durchgeführte Untersuchung innerbetrieblicher Einflußstrukturen kam zu dem Ergebnis, daß Direktoren, Fachkader und Abteilungsleiter die Meinungsbildung des Arbeiterrates etwa doppelt so stark beeinflussen wie die Arbeiter.
Es ist daher nicht verwunderlich, daß es in einzelnen Betrieben entgegengesetzte Bestrebungen gibt, die darauf hinauslaufen, die Delegierten in kleineren Wahlkreisen zu wählen und ihnen konkrete Aufträge zu geben, um den Kontakt mit dem Arbeitskollektiv zu verbessern und die direkte Verantwortlichkeit der Delegierten zu sichern Ob diese Wiederbelebung des Imperativen Mandats Bestand haben wird, ist jedoch nach den bisherigen Erfahrungen mehr als fragwürdig: Referenden als wirksamste Form direkter Entscheidungsfindung durch Arbeitskollektive wurden 1967 nur in 11, 4% aller Unternehmen durchgeführt (in 10, 2% einmal im Jahr) Im gleichen Jahr legten die Arbeiterräte durchschnittlich nur in 1, 6% aller Entscheidungen, die die Arbeitsbeziehungen betrafen, Einspruch ein, und nur 44 % der Einsprüche wurden aufrechterhalten — insgesamt also nur in 0, 7 % aller relevanten Entscheidungen
In diesen Zahlen kommt zum Ausdruck, daß das Management einen stärkeren Einfluß auf die Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane ausübt als das Arbeitskollektiv — eine Tatsache, die von jugoslawischen Soziologen kritisiert wird Denn es findet eine „Verwischung der Grenzen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern" statt, und die Selbstverwaltung hat in der Regel nur „formellen Charakter" Wird das gesellschaft. liehe Eigentum von den Selbstverwaltungsorganen schlecht verwaltet, gibt es keinen unmittelbar wirksamen Sanktionsmechanismus so daß eine wirksame externe Kontrolle der Kollektiventscheidungen der Selbstverwaltungsgremien nicht gesichert ist Im Gegenteil: Die unklare Verteilung der Verantwortung für getroffene Entscheidungen und die ambivalente Position des Verwaltungsausschusses verhindern jede wirksame Kontrolle der neuen innerbetrieblichen Machtzentren und isolieren den Arbeiterrat vom Arbeitskollektiv Dieses Kontrolldefizit wiegt um so schwerer, als die Unternehmen nicht dem vollen Marktrisiko unterworfen sind und die Haftung für eine verfehlte Investitionspolitik unklar ist. Um die diffuse Verantwortlichkeit zu beseitigen und die Funktionen der Unternehmensleitung und Selbstverwaltung besser voneinander abzugrenzen, ist in der Diskussion um die Reorganisation der Selbstverwaltung die Abschaffung des Verwaltungsausschusses gefordert worden. Diese Maßnahme wäre in der Tat ein erster Schritt zur Klärung der Verantwortlichkeit.
Dann sind aber auch Position und Arbeitsweise des Arbeiterrates neu zu überdenken. Das geringe Maß an Kontinuität und Spezialisierung dieses Organs hat bisher eine effektive Kontrolle des Managements verhindert „Flucht aus der verantwortlichen Individualentscheidung in anonyme Kollektivbeschlüsse“ kennzeichnet die gegenwärtige Unternehmensstruktur. Als effektives Instrument zur Kontrolle wirtschaftlicher Machtpositionen hat sich der „Recall" somit auch in Jugoslawien nicht erwiesen Eine Verselbständigung der Führungsgruppen, eine Abkapselung der Selbstverwaltungsgremien und Kommunikationsstörungen zwischen diesen Organen und den Arbeiterkollektiven konnten auch mit den dem Rätesystem entlehnten direktdemokratischen Kontrollmechanismen nicht vermieden werden.
V. Schlußfolgerungen
Daß die wirtschaftliche Macht in Jugoslawien aufgrund des Selbstverwaltungssystems stärker dezentralisiert ist, und die Arbeitnehmer einen größeren Einfluß auf das Betriebsgeschehen und die Unternehmenspolitik ausüben als in den Zentralverwaltungswirtschaften Ost-europas, ist nicht zu bestreiten Ebenso offenkundig ist aber auch, daß die Praxis der . Selbstverwaltung" von den offiziellen Zielen weit entfernt ist. Zwischen Etatismus und Selbstverwaltung nimmt das jugoslawische System eine Zwischenposition ein und demonstriert das Dilemma aller direktdemokratischer Organisationsmodelle: das Apathieproblem unzureichender Partizipation und fehlender Beteiligungsreserven sowie das Problem der Machtkontrolle. Die diffuse Verantwortlichkeit miteinander verzahnter Kollegialgremien erschwert oder verhindert sogar jede Identifizierung der eigentlichen Machtträger und eine wirksame Kontrolle der Machtausübung. Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, daß das Management seine Position entgegen den Normen des Selbstverwaltungssystems zunehmend festigt und die Kontrolle der neuen innerbetrieblichen Machtzentren unzureichend ist. Zwischen dem Selbstverwaltungsprinzip und dem politischen Monopol der Partei besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz 2. Das System der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung wird daher seinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Seine Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion um die Demokratisierung von Industriegesellschaften beruht mehr auf einem Mythos als auf der Praxis der Machtausübung im Unternehmen. Diese Praxis ist kein Beweis für die Funktionsfähigkeit oder Zielkompatibilität von Rätesystemen, und die ihr zugrunde liegende Konzeption kein geeigneter Vorschlag zur Demokratisierung betrieblicher Einflußstrukturen. Vielmehr zeigt die Realität der Selbstverwaltung, „. . . daß zwischen Utopie und Wirklichkeit des jugoslawischen Modells eine breite Lücke klafft."
PaulKevenhörster, Dr. rer. pol., Dipl. Kfm., Dipl. -Volksw., geb. am 5. Juni 1941 in Schwerte/Ruhr, Studium der Wirtschaftswis.senschaften und der Politischen Wissenschaft an den Universitäten Köln; Bonn, Hamburg, Pennsylvania State University (USA) und Sophia-Universität Tokio. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut zur Erforschung von Grundsatzfragen der Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung in Hürth-Stotzheim. Veröffentlichungen u. a.: Das politische System Japans, Köln und Opladen 1969; Der Überdruß an der Demokratie. Neue Linke und alte Rechte — Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Köln 1970 (Mitverf.); Im Wechselspiel der Koalitionen. Eine Analyse der Bundestagswahl 1969, Köln—Berlin—Bonn—München 1970 (Mitverf.); Politischer Extremismus in der Demokratie; Bonn 1970 (Mitverf.); zahlreiche Zeitschriftenaufsätze.
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