Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Föderalismus | APuZ 34-35/1971 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 34-35/1971 Föderalismus

Föderalismus

Ernst Deuerlein

/ 121 Minuten zu lesen

X. Die Föderalismus-Feindschaft des Nationalsozialismus

Inhalt

Der Föderalismus wurde spätestens in der Staatskrise der Republik von Weimar das Ziel leidenschaftlicher Angriffe. Einer seiner entschiedensten Gegner war Adolf Hitler, der sich in dem 1927 veröffentlichten zweiten Teil seines Buches „Mein Kampf" mit dem föderativen Prinzip auseinandersetzte. Das entsprechende Kapitel trägt die bezeichnende Über-schrift „Der Föderalismus als Maske". Hitler polemisierte gegen die im Frühjahr 1915 einsetzende Hetze gegen Preußen, erhob gegen die maßgebenden Stellen sowohl in der Regierung als auch in der Heeresleitung den Vorwurf, untätig gegenüber der wachsenden Stärkung der föderativen Kräfte gewesen zu sein und beschuldigte „die Juden", den Kampf zwischen Unitarismus und Föderalismus erzwungen zu haben. Er spekulierte, föderalistische Gesinnungen und föderative Bestrebungen dadurch zu diskreditieren, daß er sie mit dem Judentum in Verbindung brachte. Er stellte die Frage: „Soll Deutschland Bundes-oder Einheiststaat sein, und was hat man praktisch unter beiden zu verstehen?" Seine Ausführungen zu ihrer Beantwortung zeigen, daß er den Möglichkeiten föderativer Gestaltungen völlig verständnislos gegenüberstand

In seinem am 10. November 1928 im „Illustrierten Beobachter" veröffentlichten Wochen-kommentar ging Hitler auf die im Rahmen der Reichsreform erfolgten Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Reich und Bayern ein, wobei er ausführte: „Denn ob Deutschland am Ende ein Einheitsstaat wird oder nicht, und ob Bayern in diesem Einheitsstaat endgültig verschwindet oder nicht, betrifft ja viel weniger das deutsche Volk, die Bayern, Preußen, Württemberger usw., als vielmehr die Parteien. So sieht es wenigstens aus. Und da alles, was mit dem alten Parteiwesen etwas zu tun hat, innerlich zumeist unwahr und verlogen ist, braucht man sich auch über die Unwahrheiten und Lügen nicht zu wundem, mit denen der Scheinkampf zwischen alt aufgefaß-tem Föderalismus und neu aufgefaßtem Unitarismus ausgefochten wird. Scheinkampf, ja-wohl! Denn, weder ist es den derzeitigen Unitaristen ernst mit der Bildung eines mächtigen deutschen Einheitsstaates, noch vertreten die augenblicklichen Föderalisten die Ideale eines bismarckisch empfundenen Bundesstaates." In den nachfolgenden Ausführungen kritisierte er den von Bayern vertretenen Föderalismus und den von den Reichsparteien postulierten Zentralismus, wobei er die Frage nach den Gründen der Forderung eines deutschen Einheitsstaates zu beantworten suchte: „Die inneren Gründe, die die Parteien der deutschen Demokratie vom Marxismus bis zum Zentrum zum Kampf für den Einheitsstaat anfeuern, sind doppelter Natur. Erstens braucht man den Einheitsstaat, um der Erfüllungspolitik genügen zu können; und zweitens fürchtet man den Föderativstaat als Gefahr für die Durchführung der durch die Erfüllungspolitik bedingten Verträge."

Nach der Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erschien Hitler am 2. Februar vor dem Reichsrat, um die Vertreter der Länder zu oeruhigen: „Damit aber möchten wir nicht nur aufbauen auf diesen ewigen Fundamenten unseres völkischen Daseins, sondern selbstverständlich auch aufbauen auf all dem, was sich im Laufe dieser neuen Geschichte an Werken und Tradition gebildet hat. Wir möchten diese Werke und Traditionen nicht allein sehen auf dem Gebiet unserer Kultur oder Wirtschaft, sondern selbstverständlich auch auf dem Gebiet unseres staatlichen Lebens. Wir wollen nicht darüber hinweggehen, was eine vielhundertjährige deutsche Geschichte an Bausteinen für dieses Reich geschaffen hat, im Gegenteil, wir wollen nicht etwa in den Fehler verfallen, zu reglementieren und zu zentralisieren, was man reglementieren und zentralisieren kann, sondern wir wollen uns immer vor Augen halten, daß einheitlich das gemacht werden muß, was unbedingt erforderlich ist. Wir möchten gern dabei auf die Mithilfe der Länder rechnen, wir möchten nicht nur ideell, sondern auch tatsächlich unterstützt werden, wie auch wir entschlossen sind, alles zu tun, um diese historischen Bausteine des Deutschen Reiches lebensfähig zu erhalten. Es wird das um so eher gelingen, je mehr Reich und Länder in der großen Erkenntnis der zwingenden Not unserer Zeit zusammenstehen. Ich bin selbst aus dem Süden, gehöre als Staatsbürger einem norddeutschen Staat an [womit er an die Einbürgerung durch das Land Braunschweig erinnerte, d. Verf. ], fühle mich aber als Deutscher und lebe in der deutschen Geschichte. Ich will nicht über die großen und historischen Taten und Leistungen dieser Geschichte blind hinweggehen, sondern im Gegenteil alles das respektieren, was frühere Generationen auch in der geschichtlichen Bildung unseres Staates vollbracht haben in der Hoffnung, daß dann um so mehr spätere Generationen auch das respektieren werden, was wir selbst zu leisten gedenken."

Als Vertreter Preußens anwortete ihm Ministerialdirektor Arnold Brecht, der den Genius loci beschwor, indem er Hitler zu bedenken gab, daß der Sitzungssaal des Reichstags seit der Fertigstellung des Reichstagsgebäudes vom Bundesrat nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871 mit Vorliebe benutzt worden sei. Er versuchte, anknüpfend an das Bekenntnis Hitlers zur Tradition der deutschen Geschichte, die Funktion der Vertretung der Länder zu bestimmen: „Der Reichsrat soll der Anker im deutschen Uhrwerk sein. Motor, Feder und Unruhe zu sein, ist nicht seine Aufgabe. Er soll ein Hort strenger Sachlichkeit sein. Er soll das Gewissen in unruhigen und leidenschaftlichen Zeiten sein. Kein Hemmschuh für energischen Fortschritt, aber ein Hemmschuh für Ausbrüche der Leidenschaft und des überhitzten Kampfes. Eine Stütze für alle sachliche Arbeit, besonders aber eine Stütze für die Reichsregierung in solcher Arbeit. Im Reichsrat sammeln sich die Erfahrungen und Stimmungen der deutschen Länder und Landschaften." Unmittelbar an Hitler gewandt, erklärte Brecht: „Wir bitten Sie, Herr Reichskanzler, sich des hohen Wertes dieser Einrichtung bewußt zu sein, und sich ihrer zu bedienen, wie es dem Reichsrat nach der Verfassung und seinen Aufgaben zukommt. Nach der Verfassung ist der Reichsrat nicht nur zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der Verwaltung des Reiches berufen. Der Reichsrat ist von den Reichsmini-sterien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem Laufenden zu halten. Seine Anschüsse sollen zu Beratungen der Reichsministerien über wichtige Gegenstände zugezogen werden."

Weder die beruhigenden Versicherungen Hitlers noch die Beschwörungen Brechts konnten das Ende des Reichsrates aufhalten. Das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24. März 1933, bekannt als „Ermächtigungsgesetz", sprach der Reichsregierung gesetzgebende Befugnisse zu, die sich auch auf Gegenstände der Reichsverfassung erstreckten — lediglich die Institutionen des Reichstags und des Reichsrats waren davon ausgenommen. Durch die Gleichschaltung in den Ländern wurde der Reichsrat noch vor dem Reichstag eine integrale Institution des nationalsozialistischen Einparteienstaates. Seine formale Liquidierung war nur eine Frage der Zeit.

Bereits auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg vom 30. August bis 3. September 1933 kündigte Hitler die Aufhebung der Länder an Sie erfolgte durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom 30. Januar 1934. In der Präambel wurden die Volksabstimmung und die Reichstagswahl vom 12. November 1933 als Beweise dafür gewertet, „daß das deutsche Volk über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unlöslichen, inneren Einheit verschmolzen ist". Der Reichsrat, die Vertretung der Länder, gab seine Zustimmung zur Beseitigung der Länder, denn er billigte: „Artikel 1. Die Volksvertretungen der Länder werden aufgehoben. Artikel 2. (1) Die Hohheitsrechte der Länder gehen auf das Reich über. (2) Die Landesregierungen unterstehen der Reichsregierung." In einer Rundfunkrede vom 30. Januar 1934 bezeichnete Reichsinnenminister Frick als „die historische Aufgabe unserer Zeit ... die Schaffung des kraftvollen nationalen Einheitsstaates an Stelle des bisherigen Bundesstaates" Da sich die Reichsregierung am 30. Januar 1934 selbst autorisierte, „neues Verfassungsrecht zu setzen", war sie in der Lage, am 14. Februar 1934 das „Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats" zu verkünden: „§ 1 (1) Der Reichsrat wird aufgehoben. (2) Die Vertretungen der Länder beim Reich fallen fort."

Der totalitäre Führerstaat in Deutschland war eine von Hitler nicht nur zugelassene, sondern auch geförderte pluralistische Anarchie von Kompetenzen, die Hitlers Einflußmöglichkeiten vergrößerte. Das Reich war nicht nur ein Einheitsstaat, sondern auch ein Ein-Mann-Staat, dessen Führer sich in allen von ihm als wichtig angesehenen Fragen die Entscheidung vorbehielt. Der Zentralismus der Staatsbürokratie geriet in Konkurrenz zu dem Autonomiestreben der territorialen Parteihierarchie. Versuche, die als Verwaltungsstruktur erhalten gebliebene Reichsstruktur in einer umstürzenden Reichsreform zu verändern, scheiterten am Widerstand der Gauleiter der NSDAP und an Hitlers zunehmendem Desinteresse an innenpolitischen Fragen

Die rigorose Zentralisierung des Reiches beseitigte den Finanzausgleich als politisches und staatsrechtliches Problem. Durch die Beschränkung der Länderaufgaben, die zum Teil auf das Reich übergingen, wurde diese Entwicklung noch gefördert. Der Länderfinanzbedarf wurde—im Gegensatz zum Finanzbedarf des Reichs — mehr und mehr zu einer konstanten Größe. Die finanzverfassungsrechtliche Entwicklung ab 1933 ist gekennzeichnet durch den Abbau der Landessteuern und durch zunehmende Kürzung der Steuervorteile der Länder und Gemeinden bis zur völligen Ablösung der Quartalen Steuerbeteiligung durch zentrale Finanz-zuweisungen. Den Abschluß der damit eingeleiteten Entwicklung brachte die Reichsfinanzausgleichsverordnung vom Jahre 1944: Rückwirkend vom Jahre 1941 gewährte das Reich den Ländern für alle ihnen bis dahin gesetzlich zustehenden Überweisungsbeträge globale, nach dem Bedarf bemessene Finanz-zuweisungen. Sie wurden aus allgemeinen Reichsmitteln gewährt und wahren nicht mehr an das Aufkommen bestimmter Steuern gebunden. Die Verantwortung für die Finanz-ausstattung der Gemeinden wurde den Ländern gleichzeitig entzogen; der kommunale Finanzausgleich wurde zentral vom Reich geregelt. Damit war erstmals eine als Dauerlösung gedachte zentrale Finanzausgleichsregelung geschaffen. Sie wurde dadurch ermöglicht, daß der bundesstaatliche Charakter des Reichs beseitigt worden war.

Der Föderalismus geriet während der nationalsozialistischen Herrschaft in Ideologieverdacht. Christoph Steding setzte sich in seinem voluminösen Pamphlet „Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur" ausführlich mit dem föderalistischen Prinzip auseinander, wobei er föderalistisch in Anführungszeichen setzte Er räumte ein, daß das Prinzip des Föderalismus ein altes schweizerisches und niederländisches Prinzip sei, versicherte jedoch gleichzeitig, die Zukunft werde zeigen, „daß die im Dritten Reich realisierte Einheit den wahren germanischen Föderalismus ans Licht hebt, der durch die Territorialfürsten verschüttet worden war“

Die dem Deutschen Reich angegliederten tschechoslowakischen Gebiete wurden am 25. März 1939 in dem Reichsgau Sudetenland zusammengefaßt. Am 14. April 1939 wurden in Österreich die Reichsgaue Kärnten, Nieder-donau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Tirol und Wien gebildet. Nach der Besetzung Polens 1939 erfolgte die Organisation der Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland. Die Reichsgaue waren als Verwaltungseinheiten den „Ländern" gleichgestellt. An ihrer Spitze stand ein Reichsstatthalter, der zugleich Gauleiter der NSDAP war. Die territoriale und personelle Einheit von Partei und Staat kam dadurch zum Ausdruck.

Je größer der nationalsozialistische Herrschaftsbereich wurde, desto schwieriger war seine verwaltungsmäßige Erfassung. Die Gauleiter Bürckel und Wagner als zuständige Verwaltungschefs für Lothringen und Elsaß protestierten, als ihnen eröffnet wurde, daß die Chefs der Zivilverwaltung keine selbständigen Budgets hätten, sondern die in Lothringen und im Elsaß anfallenden Einnahmen und Ausgaben den Haushalten der einzelnen Reichsressorts eingliedern sollten — eine Maßnahme, die die Gleichschaltung der beiden Gebiete mit dem Reich entscheidend förderte. Bürckel und Wagner waren jedoch an ihrer Unabhängigkeit von den politischen und sachlichen Weisungen der einzelnen Reichsministerien interessiert. Gauleiter Bürckel verlangte einen eigenen Haushalt, zunächst nur für Lothringen, betonte aber, diese Regelung müsse auch richtunggebend sein für die späteren Reichsgaue: „Bei der wachsenden Größe des Reiches müssen Aufgaben, die im kleineren Reich noch zentralistisch geleitet werden konnten, in die Gauinstanz verlegt werden." Der Chef der Reichskanzlei, Lammers, leitete dieses Ersuchen dem Staatssekretär im Reichsinnenministerium, Stuckart, weiter, der darauf erklärte, er müsse „die Aufstellung eines besonderen Territorialhaushalts für die Reichsgaue als staatsrechtlich, verwaltungsmäßig und finanziell verfehlt" ansehen. Die Forderungen des Gauleiters Bürckel machte sich Gauleiter Wagner zu eigen. Eberhard Jäckel, der den Vorgang berichtet, bemerkt dazu: „In dieser Auseinandersetzung kündigte sich eine äußerst bezeichnende Tendenz der nationalsozialistischen Verfassungsentwicklung an. Je mehr Macht die Gauleiter erhielten, um so stärker wurde ihr Drang nach Autonomie, und es schien der zentralistische Führerstaat in letzter Konsequenz auf eine Föderation mehr oder weniger unabhängiger Herzöge hinauszulaufen."

Obwohl der geschilderte Vorgang ihm nicht vorgetragen wurde, kritisierte Hitler den Berliner Zentralismus. Am 3. Mai 1942 erklärte er vor seiner abendlichen Tafelrunde: Die größte Gefahr für die kulturelle Entwicklung der Kunststädte sehe er darin, daß die Berliner Ministerialbürokratie noch mehr Einfluß erhalte, als es heute schon der Fall sei. Die Berliner Zentralgewalt verwechsle die Aufgaben der Zentralgewalt, die lediglich die Richtung angäben und dort, wo Schäden aufträten, eingreifen solle, mit einem das Leben draußen völlig abtönenden Unitarismus. Je dezentralisierter das Reich verwaltet werde, desto leichter ließen sich für die Zentralinstanzen tüchtige Leute finden, die tatsächlich wüßten, wo sie der Verwaltung draußen Richtlinien zu geben hätten und wo sie eingreifen müßten. Wenn man es bei dem bisherigen Verfahren der Ministerialbürokratie belasse, so sei die Folge davon in einigen Jahren eine allgemeine Reichsverdrossenheit

Beide Vorgänge, das Streben nationalsozialistischer Gauleiter nach Autonomie und die Verurteilung der vom Zentralismus besessenen Bürokratie durch Hitler, verdienen Beachtung. Leidenschaftliche Gegner des Föderalismus brachten hier zum Ausdruck, daß der im nationalsozialistischen Ein-Mann-Staat praktizierte Zentralismus die Entwicklung verzögerte und hemmte. Die Erfahrung mit dem perfektesten Einheitsstaat, den es auf deutschem Boden je gegeben hat, hat aus Verächtern des Föderalismus Befürworter einer Dezentralisisation gemacht. In diesen Vorgängen schlug die Erfahrung durch, die der Mann an der Spitze seines Ein-Mann-Staates und seine territorialen Satrapen mit dem von ihnen geforderten und verwirklichten Einheitsstaat machten.

XL Föderalistische Intentionen während des Zweiten Weltkrieges

1. Erwartungen der europäischen Widerstandsbewegungen Der Versuch, die Ausdehnung der nationalsozialistischen Herrschaft auf weite Teile Europas zu erklären und zu begründen, führte, wie Paul Kluke nachwies, zur nationalsozialistischen Europa-Ideologie, dem letzthin erfolglosen Bemühen, den Machtbereich und den Herrschaftsanspruch politisch zu rechtfertigen: „Von welchem Blickpunkt auch man sich dem Problem nähert, es kommt in der praktischen Politik dieser Jahre und ebenso, durchstößt man die dünne Propagandahülle, im nationalsozialistischen Selbstverständnis immer wieder ein radikaler, hemmungsloser, nationalistischer Eroberungs-und Herrschaftsdrang, nicht aber ein Bemühen um Europa zum Ausdruck."

In der Auseinandersetzung und in der Erwiderung darauf entwickelten sowohl die gegen Hitler verbündeten Mächte als auch europäische Widerstandsgruppen und internationale Einrichtungen Vorstellungen und Vorschläge nicht nur über die Neuordnung, sondern vor allem über den Zusammenschluß Europas, dabei von Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit und von Imponderabilien der Zukunft geleitet: 1. Der Völkerbund hatte sich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, von 1919 bis 1939, als unfähig erwiesen, die internationalen Spannungen abzubauen und eine den Frieden bewahrende und den Wohlstand fördernde Zusammenarbeit der Völker zu entwickeln. Zunächst ein Instrument der Siegermächte, gestattete er erst 1926 dem Deutschen Reich den Beitritt. Die von ihm nicht erreichte Beseitigung der Rüstungsungleichheit nahm Adolf Hitler nach seiner Ernennung zum Reichskanzler zum Vorwand, um am 14. Oktober 1933 den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund zu proklamieren. Die im Ersten Weltkrieg geborene Hoffnung auf Vermeidung weiterer Kriege hatte keine Möglichkeit, die zum Zweiten Weltkrieg führende Entwicklung anzuhalten. Diese Erfahrung bestimmte Regierungen, Widerstandsgruppen und Einzelpersonen zwischen 1939 und 1945, vor der Wiederbelebung des Völkerbundes zu warnen und sich für eine erfolgversprechendere Gestaltung Europas auszusprechen.

2. Der Verlauf des Zweiten Weltkrieges brachte die europäische Gemeinsamkeit ins allgemeine Bewußtsein. Die Auswirkungen der militärischen Ereignisse betrafen nicht nur ein Land oder ein Volk, sondern, wenn auch in unterschiedlicher Härte, alle europäischen Völker und Staaten. Die Erkenntnis, daß das Schicksal Europas unteilbar sei, aktivierte die in der Zeitspanne zwischen den Kriegen zaghaft erörterten Möglichkeiten eines europäischen Zusammenschlusses, von dem sich seine Befürworter eine Erneuerung des Ansehens und der Einflußmöglichkeiten Europas erhofften. Dabei gingen sie von der Erkenntnis aus, daß Europa nur als Ganzes gesunden könne — eine aus schmerzlichen Erfahrungen erwachsene Hinwendung zu Europa war die Folge.

3. Der durch die militärischen Ereignisse zunächst noch behinderte Ausblick in die Zukunft Europas ließ erkennen, daß das Schicksal Europas von den an seinem Horizont emporgestiegenen Weltmächten, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion, bestimmt würde. Europa war in Gefahr, in Abhängigkeit von seinen Randmächten, deren Armeen zu seiner Befreiung angetreten waren, zu geraten. Diese Entwicklung hofften die Europäer durch den Zusammenschluß der europäischen Völker und Staaten abwenden zu können, über die Erörterung der Struktur der Einheit Europas kam es zu einer intensiven Beschäftigung mit dem föderativen Prinzip. Der französische Philosoph Jacques Maritain erklärte am 15. März 1944 über Radio New York in einer Betrachtung über die föderalistische Ordnung: „Allein die föderalistische Idee scheint in der Lage, Probleme zu lösen, die, in nationale Begriffe gefaßt, unlösbar blieben."

Diese Überzeugung ist fast allen bisher bekanntgewordenen Betrachtungen, Empfehlungen und Vorschlägen des Zweiten Weltkrieges über die Neugestaltung Europas gemeinsam.

In seiner 1968 vorgelegten Dokumentation „Europa — Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940—-1945" verwies Walter Lipgens auf die Interdependenz der Forderung nach europäischer Einheit und der Verwirklichung des förderativen Prinzips, womit er einen entscheidenden Beitrag sowohl für die Beschreibung der geistigen und politischen Ideen des Zweiten Weltkrieges als auch für das Verständnis der Relevanz des föderativen Prinzips für die Einigung leistete. Lipgens unterscheidet zwischen einem innerstaatlichen und einem überstaatlichen Föderalismus. Den innerstaatlichen Föderalismus bestimmt er als Aussage über die Infrastruktur des einzelnen Staates, den überstaatlichen Föderalismus versteht er als Instrument internationaler Zusammenarbeit. Seine Distinktion besagt, daß der Föderalismus spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in eine neue Entwicklung eintrat, die zu einer Veränderung seines Inhalts führte, weil sie eine terminologische Ausweitung vornahm. Das in den Bekenntnisschriften europäischer Widerstandsgruppen anzutreffende Föderalismus-Verständnis ist nicht gleichzusetzen mit der auf die Beziehung zwischen Gesamtstaat und Einzelstaaten bezogenen staatsrechtlichen Interpretation und mit der die Zuordnung der Strukturen der Gesellschaft artikulierenden Auffassung. In der Diskussion über Formen der als existentiell erkannten Notwendigkeit des Zusammenschlusses Europas entwickelte sich ein neues Verständnis des Föderalismus, das seine Fixierung auf den Bundesstaat, wie er sich in den Vereinigten Staaten von Amerika, in der Schweiz und im Deutschen Reich präsentierte, überwand. Für die föderative Form supranationaler Ordnungen kamen die Bezeichnungen Föderation und Konföderation in Übung. Sie assoziieren nicht den Bundesstaat, sondern einen Staatenbund neuer Art, auf den, hierin freilich dem Bundesstaat verwandt, Teile der Souveränität übertragen wer-den. Die Erkenntnis der existentiellen Bedeutung der Einigung Europas initiiert die Forderung nach Bildung einer Föderation — eines Zusammenschlusses von Nationalstaaten, die sich als separierte Nationalstaaten nicht mehr behaupten können und deshalb zu Zusammenschlüssen gezwungen sind. Darüber entsteht ein neues Verständnis des föderativen Prinzips, das an die föderativen Vorstellungen anknüpft, die über das Heilige Römische Reich deutscher Nation und über den Deutschen Bund geäußert wurden.

Durch die Ausweitung seines Begriffinhaltes wurde, da entsprechende Unterscheidungen unterblieben, das Verständnis des föderativen Prinzips in Deutschland erneut erschwert. Die Vorstellung, Föderalismus meine die Beziehungen zwischen Bundesgewalt und Einzelstaaten, wird den Auffassungen, die während des Zweiten Weltkrieges sowohl von den europäischen Widerstandsbewegungen als auch von Staatsmännern, Diplomaten und Publizisten der Mächte der Anti-Hitler-Koalition über den Föderalismus entwickelt worden sind, nicht gerecht. Zu den bisherigen Varianten des föderativen Prinzips trat die Föderation als Bezeichnung für den Zusammenschluß von Staaten. Da die dabei erörterten Formen sehr verschieden sind, ist die Bezeichnung Föderation nicht eindeutig bestimmbar, meint sie doch sowohl staatliche Ordnungen, die Affinitäten mit der Struktur eines Bundesstaates aufweisen, als auch Zusammenschlüsse, die den Charakter wirtschaftlicher Zweckverbände haben. Da die europäischen Widerstandsbewegungen eine Behauptung der europäischen Staaten nur für möglich hielten, wenn sich diese zu einer gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Ordnung bekannten, vertraten sie die Forderung nach Bildung einer europäischen Föderation. Die Ansichten sowohl der nationalen Widerstandsbewegungen insgesamt als auch ihrer einzelnen Vertreter zeigen erhebliche Differenzen, stimmen jedoch in der Auffassung überein, daß zwischen der Einheit Europas und dem dabei zur Anwendung kommenden föderativen Prinzip eine unaufhebbare Interdependenz bestehe. In dem Maße, in dem die Vorstellung von der Einheit Europas sich durchsetzte, gewann der Föderalismus neue Anhänger.

Bereits im Mai 1940 gab Jacques Maritain in seinem Essay „Uber die politische Gerechtigkeit“ zu bedenken, daß eine dauerhafte Frie-densordnung in Europa nur errichtet werden könne, wenn es zur Bildung einer europäischen Föderation käme. Mit Nachdruck lehnte er die zu diesem Zeitpunkt geforderte Föderalisierung Deutschlands ab, indem er versicherte, der Föderationsgedanke werde in Deutschland nur Wurzeln fassen, wenn ihn das deutsche Volk selbst gutheiße und wenn es begreife, daß er tatsächlich seinem Wohle und seiner historischen Bestimmung entspreche. Vor einer Föderalisierung Deutschlands als einer Strafmaßnahme warnte er nachdrücklich: „Machte man den Föderationsgedanken dagegen zu einem Schreckgespenst und wollte ihn in einem in rivalisierende Staatengruppen aufgeteilten Europa allein auf Deutschland und allein zum Zwecke der Zerstückelung dieses Landes anwenden, so würde man Gefahr laufen, zahlreiche Deutsche, selbst Gegner des Hitlerregimes, geschlossen dagegen Front machen zu sehen, da sie diesen Gedanken als von den Feinden ihres Landes erfundenes Mittel, es dauernd zu unterjochen und seiner Bestimmung zu entziehen, betrachten müßten. Wird der Föderationsgedanke jedoch, seinem wahrhaften Sinn entsprechend, dergestalt vermittelt, daß er für ganz Europa zu gelten habe und daß er für alle föderierten Staaten gemeinsame Beschränkungen der Souveränität und einen gemeinsamen guten Willen erforderlich mache, so wird er dem deutschen Volke gegenüber eine ganz andere Bedeutung erhalten."

Maritain verlangte eine Föderalisierung Deutschlands und einer Föderalisierung Europas. Von der Föderalisierung Deutschlands erwartete er sich eine Veränderung der Mentalität: „Im Rahmen einer europäischen Föderation würde ein föderiertes Deutschland jedoch endlich normale Lebens-und Entwicklungsaussichten finden und sich zum gemeinsamen Wohle Europas in das Ganze einfügen können, wobei es seine eigentlichen Wesenskräfte zur Geltung bringt und den Gedanken der germanischen Einheit, der sich dann auf die Länder germanisch-lateinischen Kultur umorientieren würde, auf seinen echten Sinn zurückführt, der mehr im geistigen als im politischen Bereich liegt. So verstanden, könnte die föderative Lösung zu gegebener Zeit eine Mehrheit von Deutschen auf sich vereinigen, die der Größe ihres Landes verpflichtet und von den verbrecherischen Irrtümern des Preußentums und des Nazismus frei geworden sind."

Maritain verschwieg nicht, warum er ein föderiertes Deutschland als Voraussetzung für eine Föderation Europas betrachtete: „Wollte man umgekehrt den Föderationsgedanken auf Europa, nicht jedoch auf Deutschland selbst anwenden — und darauf verzichten, in um-fassender und beharrlicher Arbeit auf politischem, geistigem, moralischem wie religiösem Gebiet in den jungen deutschen Generationen jenen Sinn für das menschliche Gewissen wiederzuerwecken, den die Nazis mit ihrer Gewissenlosigkeit unablässig zu verschütten trachteten —, so steht für uns fest, daß der Föderationsgedanke schließlich darauf hinaus-liefe, Europa in den Dienst der preußischen Hegemonie und der maßlosen Ambitionen eines aus seiner Asche neu emporsteigenden heidnischen Reichs zu zwingen und Frankreich erneut einer ständigen Aggressionsgefahr auszusetzen." Seine Forderungen faßte Maritain selbst zusammen: . Kurz, die These, die wir vertreten, besagt, daß ein föderiertes Europa ohne ein föderiertes Deutschland undenkbar und ein föderiertes Deutschland ohne ein föderiertes Europa unmöglich ist. Diese beiden Aspekte des Föderationsgedankens sind hiernach nicht voneinander zu trennen." Maritain betonte im Mai 1940 (I), das dringendste Nachkriegsproblem werde das Problem der internationalen Ordnung selbst, der Struktur Europas und insbesondere Deutschlands sein. Er ließ keinen Zweifel daran, „daß eine Lösung föderativer Art für die Staaten den Verzicht auf einige ihrer Souveränitätsrechte mit sich bringt". Nur in einer europäischen Föderation sah er eine Hoffnung für Europa und die abendländische Zivilisation

Das in Toulouse erscheinende „Organe du Mouvement revolutionnaire pour la liberation et la reconstruction de la France": „Liberer et Federer“ vertrat in seiner Ausgabe Nr. 2 vom 1. September 1942 die programmatische Forderung: „So wie im Mittelalter in Frankreich der Einheitsstaat entstand, in dessen Schutz dann die fruchtbare Ära der sogenannten nationalen Kulturen anbrach, so ist es wiederum die Aufgabe Frankreichs, heute Wegbereiter der föderalistischen Revolution Europas zu sein, die eine neue Ära des Friedens, der Gerechtigkeit und der Freiheit eröffnen wird."

Einige Wochen nach der Veröffentlichung dieser Erklärung über die Aufgabe Frankreichs nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges versuchte Henry Frenay, Sprecher der gesamten Resistance der Südzone, bei einem illegalen Besuch in London, General de Gaulle für den europäischen Föderationsgedanken zu gewinnen. Die Mitteilung überrascht nicht, daß de Gaulle die ihm vorgetragenen Auffassungen verständnislos ablehnte. De Gaulle stellt in seinen Memoiren mit erkennbarem Bedauern fest, daß die Resistance für seine Bemühungen um die Rettung der Souveränität und um die Wiederherstellung des Staates wenig Verständnis zeigte. Hinsichtlich der Lösung der deutschen Frage vertrat er am 18. März 1944 die Auffassung, Europa werde erst Frieden haben, wenn es „aus seinem Innern die kapitale Ursache seines Unheils und seiner Zerrissenheit herausgerissen haben wird, nämlich die frenetische Macht des verpreußten Germanentums"

Die ablehnende Haltung General de Gaulles hielt die französische Widerstandsbewegung nicht davon ab, sich unmißverständlich sowohl für den Zusammenschluß Europas als auch für seine Föderalisierung auszusprechen. Das Widerstandsblatt „Liberation. Organe des Mouvements de resistance unis" betonte am 1. September 1943, die erfolgreiche Bekämpfung der Ursachen des Krieges sei nur möglich, wenn auf die Unterscheidung von Sieger und Besiegten verzichtet werde. Zur Erreichung dieses Zieles müßten die Siegernationen an die Lösung zweier Probleme gehen: „Das erste besteht darin, die nationalen Hoheitsrechte in einem bestimmten internationalen Rahmen zugunsten eines übergeordneten Organs einzuschränken, das die Befugnisse einer Föderationsregierung gegenüber einer Gesamtheit von Staaten besitzt. Das zweite besteht in der Schaffung einer Anzahl internationaler, weltweiter Gesetze, die keine Nation ungestraft zu verletzen die Macht hat, weil die internationale Union oder Föderation die Beachtung dieser Gesetze garantiert und diese Garantie eine relativ leichte Aufgabe darstellt."

Dieser Auffassung pflichtete am 20. November 1943 Emil Janvier in einem Artikel der Zeitung „Resistance" bei, in dem er auf das unausweichliche Ende des Nationalismus verwies: „Bei all unserem Leiden haben wir wenigstens Zeit zum Nachdenken gehabt. Wenn wir, durch vier Jahre der Prüfungen gereift, diesen Krieg hinter uns lassen, wird uns, viel besser als zuvor, die Nichtigkeit von Hegemonieträumen klar geworden sein. Vor dem schaurigen Hintergrund eines in Trümmern liegenden Europas werden wir vor dem Richterstuhl der Menschheit bezeugen können, zu welch schrecklichem Ergebnis die alten Theorien eines aufgeputschten Nationalismus geführt haben." Als Ergebnis dieser Entwicklung forderte Janvier die Einsicht in die Forderung der Vernunft: „Die langsame und harte Arbeit der Jahrhunderte darf dann nicht von der barbarischen und brutalen Hegemonie Hitlers gestört werden. Sie soll vielmehr ihre Fortsetzung finden in der glücklichen Schaffung einer europäischen Föderation, im vorläufigen logischen Abschluß einer jahrhundertealten Einigungsbewegung, die im Verlaufe der Geschichte die Familien zur Sippe, die Sippen zum Stamm, die Stämme zur Provinz und die Provinzen zum Staat zusammengeschweißt hat. Diese Föderation ist möglich, sie ist gewiß und wird in der Ruhe nach dem Sturm dem einmütigen Willen der gequälten Völker entsprechen."

Die mit der provisorischen Regierung des Generals de Gaulle nach Algier übergesiedelte Beratende Versammlung erörterte am 22. November 1943 die Zukunft Europas. Der nachmalige Präsident der französischen Republik, Vincent Auriol, erklärte dabei, „daß der Gedanke einer Föderation autonomer Staaten heute mehr denn je ein Faktor des Fortschritts und des Friedens sein kann". Er richtete an die provisorische französische Regierung die Frage, „ob es nicht zweckmäßig und wünschenswert wäre, den Zusammenschluß gewisser Staaten mit Frankreich schon heute vorzubereiten"

Zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte Fr. Gerard seine Studie „Que faire de l’Alle-magne?", in der er zunächst feststellte: „Kein unparteiischer Beobachter wird leugnen können, daß das Weiterbestehen des Deutschen Reichs eine ständige Gefahr für den Weltfrieden darstellen würde." Eine Lösung sowohl der deutschen Frage als auch des europäischen Sicherheitsproblems erwartete er von einer Föderation, die durch wirtschaftliche Einheit und durch Kulturautonomie der Einzelstaaten gekennzeichnet ist, mit einer föderativen Regierung, die verantwortlich ist für die diplomatische Vertretung, die Organisation der Wirtschaft, die Grundsätze der Rechtsprechung und die Exekutivgewalt

Ernest Bezet und Robert Buron veröffentlichten zum Ende des Jahres 1943 eine Broschüre, in der sie sich mit den Beziehungen der Völker nach dem Krieg und mit der Außenpolitik Frankreichs beschäftigten. Sie gaben ihr den Untertitel „Verteidigung des föderativen Prinzips". Eine Lösung der europäischen Probleme erwarteten sie von der „Schaffung primärer Völkerföderationen als erster Grundlage einer dauerhaften Organisation der internationalen Beziehungen"

Die sozialistisch-republikanische Gruppe im Raum Toulouse legte in der ersten Hälfte des Jahres 1944 ein föderalistisches „Manifest" vor, in dem sie sich auch mit den grundsätzlichen Möglichkeiten des Föderalismus auseinandersetzte. Sie versicherte: „Der Föderalismus beugt der Gefahr einer Entwicklung zum totalitären Staat vor, weil er aus dem Leben der Gemeinschaft das bürokratische Räderwerk ausschaltet, welches die Staatsmaschinerie unweigerlich in die Richtung der Diktatur drängt." Nach Darlegung der dem Föderalismus eigenen Fähigkeiten, Bürokratisierung, Vermassung und Unterdrückung des Individuums abzuwehren, stellten die Verfasser des „Manifestes" fest: „In all diesen Hinweisen erweist sich der Föderalismus als die freiheitliche Staasform par excellence der modernen Welt." Sie lehnten die Bestrebungen ab, den Föderalismus nach dem Modell der Vereinigten Staaten von Amerika oder der Schweiz zu bestimmen, wobei sie ausführten: „Gewiß ist der Föderalismus hervorragend geeignet, die Union der Völker herbeizuführen. Aber wenn die Definition nur in dieser Form gefaßt wird, dann ist sie viel zu eng. Wenn der Föderalismus einerseits nämlich ein Instrument zur Einigung darstellt, so doch nicht zu jeder beliebigen; die Einheit, die er schafft, ist eine Einheit in Freiheit. Andererseits beschränkt sich die Einheit, die er herbeiführt, nicht nur auf die Nationen und Länder, sondern auf alle selbständigen Verbände, seien sie nun beruflicher oder geistiger, politischer oder philosophischer Natur." Die Vereinigten Staaten und die Schweiz machten nur einen Aspekt, den territorialen, transparent. Der Föderalismus habe aber, recht verstanden, viele Aspekte. Nur er sei in der Lage, die gegenseitige Unterdrückung der einzelnen Verbände auszuschalten, ebenso wie er die Unterdrük-kung eines Volkes durch ein anderes zu verhindern vermöge

Ende Mai oder Anfang Juni 1944 gelangte der „Entwurf einer Deklaration der europäischen Widerstandsbewegungen", der in Genf von Vertretern aus neun europäischen Ländern formuliert worden war, In das noch besetzte Lyon. Er regte Vertreter französischer Widerstandsgruppen zur Abfassung einer Erklärung an,'in der die Schaffung eines französischen Ausschusses für die europäische Föderation angekündigt wurde. Als Voraussetzung der Zukunft Europas formulierten ihre Verfasser: „Europa kann sich nur dann in Richtung auf wirtschaftlichen Fortschritt, Demokratie und Frieden entwickeln, wenn die Nationalstaaten sich zusammenschließen und einem europäischen Bundesstaat folgende Zuständigkeiten überantworten: die wirtschaftliche und handelspolitische Organisierung Europas, das alleinige Recht zu bewaffneten Streitkräften und zur Intervention gegen jeden Versuch der Wiederherstellung autoritärer Regime, die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, die Verwaltung der Kolonialgebiete, die noch nicht bis zur Unabhängigkeit herangereift sind, die Schaffung einer europäischen Staatsangehörigkeit, die neben die nationale Staatsangehörigkeit träte. Die europäische Bundesregierung muß das Ergebnis nicht einer Wahl durch die Nationalstaaten, sondern einer demokratischen und direkten Abstimmung durch die Völker Europas sein." Die Erklärung stellte weiter fest: „Die europäische Föderation ist kein Feind der Nationen in ihren fortschrittlichen Elementen." Sie bezeichnete die europäische Föderation als eine Etappe zur Weltföderation

Im August 1944, als die Befreiung Frankreichs im Gange war, legte das „Mouvement de Liberation Nationale (Region Lyon)" ein Programm vor, in dem es sich mit großem Nachdruck für eine europäische Föderation aussprach: „Die europäische Föderation will den Nationen in allem, was an ihnen fortschrittlich ist, nichts in den Weg legen. Die nationalen Regierungen sind der Regierung der Föderation in den Fragen nachgeordnet, die die föderierten Staaten in ihrer Gesamtheit angehen." Von diesem Zusammenschluß sagte das Programm: „Eine solche Föderation allein vermag den Völkern Europas Frieden und Wohlstand zu garantieren und den Weg zu wirtschaftlichem Fortschritt und echter Demokratie zu bereiten. Eine solche Föderation allein kann durch ihr Beispiel die Völker der Welt veranlassen, nach einer föderativen Weltorganisation zu streben."

Die angeführten Erklärungen beweisen, daß fast alle Gruppen der französischen Widerstandsbewegung sowohl den Zusammenschluß Europas als auch die Anwendung des föderativen Prinzips bejahten. In Frankreich kam es zur Entfaltung einer Begeisterung für die Einheit Europas und auch für das föderative Prinzip. Beide Ziele wurden als eine Einheit gesehen, da die Überzeugung allgemein war, daß die Einheit Europas nur durch die Anwendung des föderativen Prinzips erreicht werden kann.

Das politische Ziel war, den vom Kriege so schwer gezeichneten alten Kontinent zu einen um ihm eine Zukunft zu geben. Als das dafür erforderliche Mittel wurde die Bildung einer europäischen Föderation angesehen. Die Entdeckung der dem Föderalismus innewohnenden Fähigkeiten war eine zwangsläufige Folge, weshalb auch Bezugnahmen auf die Vorstellungen Proudhons über den Föderalismus nicht fehlten.

Da der Regierungschef der provisorischen französischen Regierung, General de Gaulle, diesen Erwartungen ablehnend gegenüberstand, ersetzte er die Ziele der französischen Widerstandsbewegung durch die Vision der Wiedergeburt Frankreichs als Großmacht, worüber die französischen Hoffnungen auf einen Zusammenschluß Europas mit Hilfe einer Födera-lisierung Deutschlands vernichtet wurden. In den beiden Phasen seiner Regierungstätigkeit bekannte sich de Gaulle zum Nationalstaat, zum Vaterland, dessen Vielzahl in eine europäische Föderation einzubringen die Gruppen der französischen Widerstandsbewegung als die Voraussetzung für die Zukunft Europas bezeichneten. Mit der Rückkehr zur national-staatlichen Politik erlahmte die Faszination des Zieles Europa und des Mediums Föderalismus.

In einem im Sommer 1942 von einem unbekannten niederländischen Verfasser geschriebenen Aufsatz „Duitschland wordt verslagen ... en dan?" wurde unter Hinweis auf die Gefahr eines zerrissenen Europas der europäische Zusammenschluß mit zentralen Machtbefugnissen gefordert: „Wir brauchen als Minimum ein föderatives Europa und soweit möglich eine Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten. Es muß alle Länder von Skandinavien bis zum Balkan und im Westen die britischen Inseln umfassen. Das föderale Gebiet wird, bei allen bestehenden Verschiedenheiten, die niemand negieren kann und die jeden Versuch zur Bildung eines Einheitsstaates mißglücken lassen müssen, doch die Völker umfassen, auf die die christliche Lehre seit Jahrhunderten eingewirkt hat und die in ihrer allgemeinen Weltanschauung eine große Übereinstimmung aufweisen." In seinen weiteren Ausführungen entwarf der unbekannte Verfasser die Struktur eines föderativ organisierten Europas

Im Vordergrund der niederländischen und belgischen Überlegungen stand mit dem erkennbaren Näherrücken des Endes der Kriegshandlungen ein regionaler Zusammenschluß, der auch am 1. Januar 1948 zustande kam, die BENELUX, der regionale Zusammenschluß von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Darüber hinaus traten die niederländischen Verfasser von Denkschriften und Empfehlungen für die europäische Entwicklung nach Beendigung des Krieges für eine übernationale Staaten-und Rechtsordnung ein. So wiesen z. B. Groninger Studenten im August 1944 auf die sich abzeichnende Entwicklung hin, daß durch die Zerstörung Europas im Raum zwischen der Sowjetunion und Großbritannien ein Vakuum entstehe. Da eine Führung Europas durch Frankreich unmöglich und durch Deutschland unannehmbar bleibe, liege die Chance in der dritten Möglichkeit, in einer Europäischen Union. Sie forderten deshalb, Europa müsse zu neuem Leben erweckt werden, wenn es nicht außereuropäischen Einflüssen zum Opfer fallen solle Im Herbst 1944 veröffentlichte der niederländische Wirtschaftsjurist Hans Dieter Salinger unter dem Pseudonym „Hades" die Broschüre „Die Wiedergeburt von Europa. Der Sinn dieses Krieges für Europa. Ein Kontinent sucht nach seiner Lebensform und seiner Weltgeltung", in der er „die mit weitem Abstand eindringlichste Analyse des Problems der europäischen Föderation" gab. Als Ausweg aus dem europäischen Dilemma bot auch er die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa an: „Denn wäre Europa eine politische Einheit, dann wird auch aus dem Gedanken des neu zu schaffenden Völkerbunds, der den Weltfrieden sichern soll, eine gesunde Wirklichkeit werden. In diesem Völkerbund würden nicht mehr große und kleine Mächte, nicht mehr regierende und regierte Nationen am Konferenztisch sitzen, sondern nur noch Kontinente, die etwa gleich stark sind. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Kontinent. Das britische Empire kann man als einen Kontinent ansehen, auch wenn es sich über die ganze Erde verteilt. Denn das Empire ist in dieser Welt eine Welt für sich. Sowjetrußland hat das Ausmaß eines ganzen Kontinents, der viele Nationen auf föderativer Grundlage vereinigt, überdies stünde zu erwarten, daß dem Beispiel Europas sehr bald die süd-und mittelamerikanischen Länder folgen würden, deren gemeinsame ibero-amerikanische Kultur und deren handelspolitische Lebensinteressen ohnehin seit geraumer Zeit zu einem föderativen Zusammenschluß drängen.“ In seinen weiteren Darlegungen gab Salinger eine detaillierte Beschreibung der Infrastruktur der von ihm vorgeschlagenen europäischen Föderation, wobei er von einem europäisch-föderativen Recht sprach, das diktatorische Regierungsformen verhindere und die persönlichen Grundrechte garantiere. In der Bildung einer Föderation Europas sah Salinger die große Chance Europas, nämlich seine Wiedergeburt

Wenn auch in den bisher gesammelten Zeugnissen des niederländischen Widerstandes die Interdependenz von der Einigung Europas und des dabei anzuwendenden föderativen Prinzips nicht nachdrücklich betont wurde — alle Äußerungen forderten die Überwindung separierter Einzelstaaten, die Errichtung regionaler Staatengruppen und die Schaffung übernationaler Rechtsordnungen. Nur in der Erfüllung dieser Forderungen sahen die Sprecher des niederländischen Widerstandes die Voraussetzung für die Zukunft Europas, in dem der Nationalismus eine beispiellose Selbstzerstörung vorgenommen hatte.

Auch in den Europa-Plänen der italienischen Resistenza kam es zur Artikulation föderativer Vorstellungen. Im Gefängnis auf dem Felsen-eiland Ventotene verfaßten die politischen Häftlinge Altiero Spinelli, Ernesto Rossi und Eugenio Colorni das „Manifest von Ventotene", in dem sie sich für ein freies und geeintes Italien aussprachen. Sie kannten die „Föderalist Papers" und hatten sich mit Problemen des europäischen Zusammenschlusses befaßt. Als Aufgaben der Nachkriegszeit bezeichneten sie vor allem die Reform der Gesellschaft, die die Bedingungen für ein freies Leben schaffe, in dem alle Bürger wirklich am Leben des Staates teilnehmen könnten. Mit großer Entschiedenheit sprachen sie sich für eine Erneuerung der Staatenstruktur aus, indem sie für den Zusammenschluß Europas eine föderative Regelung vorschlugen, „die zwar jedem einzelnen Staat die Möglichkeit läßt, sein nationales Leben so zu gestalten, wie es am besten zu dem Stande und den Besonderheiten seiner Zivilisation paßt, die aber der Souveränität aller angeschlossenen Staaten die Mittel entzieht, mit denen diese ihre partiku-laristischen Egoismen zur Geltung bringen könnten, und die ein internationales Gesetzes-werk schafft und wahrt, dem alle in gleicher Weise unterworfen sein müssen" über die Ausgestaltung der föderativen Obergewalt erklärten sie: „Die föderative Autorität muß über diejenigen Machtmittel verfügen, mit denen sie unter die exklusiv eingestellte nationale Politik den endgültigen Schlußstrich zu ziehen vermag.“ Mit großer Besorgnis warnten sie vor einer Revitalisierung nationalistischer Tendenzen: „Die reaktionären nationali st’schen Tendenzen werden unter einer Maske, wie sie den Leidenschaften des Augenblicks entspricht, versuchen können, erneut die bis eben noch unterdrückten und verletzten nationalen Empfindungen vor ihren Karren zu spannen; sie werden sie aber nicht ohne weiteres nach ihrem Gefallen monopolisieren können. Eine föderalistische politische Bewegung könnte ihr Spiel zunichte machen, indem auch sie an diese Empfindungen appelliert und versucht, sie auf eine Lösung hinzuführen, die die nationalen Gefühle nicht ignoriert, sondern ihnen sogar die Möglichkeit gibt, sich frei kundzutun. Bei der frischen Erinnerung an den Krieg wird der tragende Gedanke des Augenblicks dann nicht ein aggressiver Nationalismus sein, sondern der Wunsch, die eigene Nation nicht mehr unterdrückt zu sehen und einen Weg zu finden, um mit den Nachbarn in Frieden zu leben. Die föderative Lösung käme diesen Bestrebungen viel besser entgegen als die einfache Wiederherstellung der nationalen Souveränität." Die Verfasser dieser italienischen Stellungnahme betonten auch die mit der Praktizierung des föderativen Prinzips verbundenen Konsequenzen: „Die damit auf der Tagesordnung stehende föderalistische Idee, der es also um die Lösung des dringendsten aller Probleme der Nachkriegszeit geht und die direkt den nationalen Staat anrührt, d. h.den Organismus, auf den alle traditionellen, die Massen mobilisierenden Bewegungen gerichtet sind, muß naturgemäß eine tiefgehende, erneuernde und klärende Wirkung auf die demokratischen und die sozialistischen Bestrebungen ausüben."

Die italienischen Sozialisten versicherten in ihrer im September 1942 abgegebenen Programmerklärung, eine Aufteilung Europas unter den siegreichen demokratischen Staaten in Einflußsphären bilde nach ihrer Meinung den Ausgangspunkt für neue Kriege und lediglich die Fortsetzung der alten Politik des Gleichgewichts der Kräfte, weshalb sie eine europäische Föderation forderten, die nach ihrer Ansicht keine in ihren Vollmachten eingeengte Union sein dürfe, sondern vielmehr ein Bund freier Staaten sein müsse, der einen wesentlichen Teil der Funktionen, die bisher allein von der staatlichen Bürokratie wahrgenommen wurden, auf die Arbeiterorganisationen übertrage. Der politische Föderalismus solle durch ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Genossenschaftssystem ergänzt werden’

Im Dezember 1942 richteten Rossi und Spinelli eine Botschaft an Carlo Graf Sforza, in der sie sich für einen föderativen Zusammenschluß Europas aussprachen: „Heute ist unsere größte Sorge die Befürchtung, daß bei Kriegsende die nationalen Egoismen von neuem so entfesselt werden, daß sie die Bildung einer europäischen Ordnung verhindern, welche die friedliche Zusammenarbeit aller Völker auf dem Wege zum Fortschritt gewährleisten könnte." Unmißverständlich erklärten sie: „Es ist offensichtlich, daß die einzige Ordnung, die unseren Bestrebungen wirklich entspricht, eine föderative europäische Ordnung ist. Nur eine mit den politischen, militärischen, finanziellen und richterlichen Machtmitteln ausgestattete Föderation, die zur Verwaltung der wirtschaftlichen Angelegenheiten des Kontinents geeignet ist, kann den verschiedenen Völkern auf der Basis völliger Gleichberechtigung untereinander die autonome Entwicklung ihrer freien Institutionen innerhalb der größeren europäischen Gemeinschaft garantieren; sie kann das Risiko künftiger Kriege auf ein Minimum reduzieren und den ganzen Kontinent in einem einheitlichen Markt zusammenfassen.'An das Ende ihrer Ausführungen stellten sie ihre Überzeugung: „Die Vereinigten Staaten von Europa sind die einzige Form, in welcher unser Kontinent tatsächlich mit den Vereinigten Staaten von Amerika für einen gerechten und dauerhaften Frieden zusammenarbeiten kann; sie sind die unerläßliche Vorbedingung für die Herrschaft des Rechtes in der Welt."

Die in Gründung befindliche Democratia Christiana sprach sich, so z. B. in ihrem Mailänder Programm vom 25. Juli 1943, für eine „Föderation der freiheitlichen europäischen Staaten" aus

Im August 1943 erörterte Colorni „den Charakter der europäischen Föderation“, indem er mit allem Nachdruck betonte: „Die Föderation darf kein Bund von Staaten, sie muß eine res publica aller Europäer sein; diese müssen durch unmittelbare Vertreter und nicht durch die Vermittlung der Staatskanzleien an der Willensbildung der Föderation teilnehmen."

Der Gründungskonvent des Movimento Fede-ralista Europeo, der am 27. /28. August 1943 in Mailand tagte, forderte eine mit ausreichenden Machtbefugnissen ausgestattete europäische Föderation: „Eine Lösung des Problems in der Art des Völkerbundes oder des deutschen Staatenbundes im vergangenen Jahrhundert würde eine unglückliche Lösungsein. Derartige Formen eines Staatenverbandes sind ein völlig ungeeignetes politisches Instrument zur Verwaltung der allgemeinen Interessen des Kontinents. Beließen sie doch einzelnen Staaten ihre Souveränität und verfügten sie doch im Rahmen ihrer Kompetenzen nicht über genügend eigene Machtmittel ... Militarismus, Despotismus, Kriege könnten nur durch eine europäische Föderation beseitigt werden, der die souveräne Macht übertragen wird, die gemeinsamen Interessen aller Europäer zu vertreten, die gleiche Macht, die heute in den Händen nationalistischer Staaten ruht und so allein dem Untergang dient."

Der nachmalige Staatspräsident Italiens, Professor Luigi Einaudi, veröffentlichte im September 1943 eine Flugschrift „Für eine europäische wirtschaftliche Föderation“, in der er zunächst darauf hinwies, daß die bloßen Bünde von Völkern elend zusammenbrächen, weshalb er die Errichtung einer wirtschaftlichen Föderation forderte

Ein am 1. November 1943 in „L'Italia Libera", dem Organ der Aktionspartei, erschienener Artikel setzte sich dafür ein, bereits in den Friedensverträgen die Abtretung von Souveränitätsrechten an eine europäische Föderation vorzusehen

Im Mai/Juni 1944 veröffentlichte die in Mailand erscheinende Zeitschrift „L'Unitä Euro-pea“ einen Aufsatz, der vermutlich von dem Mailänder Rechtsanwalt Mario Alberto Rollier geschrieben wurde, über „Die föderalistische Aktion auf internationaler Ebene". Er begann mit der kategorischen Feststellung: „Die [europäische] föderalistische Aktion ist entweder international oder sie ist es nicht: Der Prüfstein oder der Maßstab, der erkennen läßt, inwieweit unser heutiger Föderalismus aus dem Stadium der . schönen Utopie'eines Victor Hugo oder eines Coudenhove-Kalergi herausgekommen ist, liegt gerade in seiner Fähigkeit, politisch gemeinsame Initiativen mehrerer Nationen zu wagen oder die Führungsrolle bei ihnen zu übernehmen.“ Der Aufsatz forderte, „die Grundlagen für eine konkrete föderalistische politische Arbeit zu errichten, die nicht nur dem Wunsche, sondern auch den Tatsachen nach europäisch sein soll". Er ließ, wie er ausdrücklich betonte, keinen Zweifel daran, „daß die Föderalistische Europäische Union der Teilnahme eines deutschen Volkes bedarf, das von den nazistischen, hegemonialen und totalitären Giften gereinigt ist"

In der gleichen Ausgabe der Zeitschrift „L'Unitä Europea" untersuchte Mario A. Rollier die Begriffe „Föderalismus, Regional-Autonomie und Selbstverwaltung“, wobei er unterschied zwischen einem „übernationalen Föderalismus (der gemeinhin als der reine Föderalismus an sich verstanden wird) und einem infranationalen Föderalismus, der nach einer tatsächlichen inneren Dezentralisierung der Nationalstaaten, nach einer neuen Bestätigung der kulturellen, politischen und verwaltungsmäßigen Autonomien der Regionen und Gemeinden (Regionalismus und Kommunalismus), sowie nach einer Verteidigung der völkischen und sprachlichen Minderheiten strebt, bzw.der Minderheiten, die sich irgendwie im Verlauf der Geschichte von der . Nation'abgesetzt haben, von der sie heute ein Teil sind. Es ist dies die Form des Föderalismus, die sich insofern am stärksten auf den demokratischen Grundsatz der Selbstregierung von unten her beruft, als sie im System der lokalen Autonomien ihre vollständige Verwirklichung findet und starke Garantien gegen die absolutistische, zentralisierende und bürokratische Macht des souveränen Nationalstaates bieten würde.“ Im Verlauf seiner Darlegung befaßte sich Rollier mit der Struktur Italiens, für die er angesichts der offen zutage tretenden Unterschiede ein mit großer Klugheit ausgearbeitetes System lokaler Autonomien forderte, welches der Region Entscheidungen und Maßnahmen bezüglich der lebenswichtigen Probleme überließ, die dieser Region eigen seien und für die sie mehr Zuständigkeit besitzen sollte als jede andere Instanz

Die Studie von Rollier ist bemerkenswert, da sie sich um die Klärung von Begriffen müht, die in der Diskussion ohne Bestimmung und Unterscheidung verwandt wurden und verwandt werden.

In der im August 1944 erschienenen Ausgabe von „L'Unitä Europea“ traf Altiero Spinelli die Feststellung, die verschiedenen Völker seien politisch „in Einheitsstaaten organisiert, in denen die Verwaltung fast aller kollektiven Angelegenheiten von einem bürokratischen Apparat abgewickelt wird, der alle Befehle aus der Hauptstadt erhält". Er fügte hinzu: „Diese Art von Staat, die aus dem Kampf gegen den Feudalismus hervorging und in der Epoche der absoluten Monarchien seine feste Konsolidierung fand, wurde von Napoleon zur Vollendung gebracht und in fast eilen europäischen Staaten nachgeahmt." Als Ergebnis seiner historischen Betrachtung formulierte er: „Eine gesunde Demokratie kann heutzutage in Europa nur in europäischem Maßstabe durch Schaffung einer föderalistischen europäischen Union entstehen. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen europäischer Größenordnung sind so schwerwiegend und ausgedehnt, daß sie ein intensives föderalistisches politisches Leben ausfüllen können, wenn die führenden Staaten sich entschließen, eine derartige mit den effektiven staatlichen demokratischen Attributen ausgestattete Macht zu schaffen." Im August 1944 richtete die italienische Föderalistenbewegung für Europa an das Französische Komitee für europäische Föderation einen „Offenen Brief", in dem sie auf die Schwierigkeiten einer sofortigen Föderalisierung Europas hinwies, für deren Überwindung die Bildung einer die nationalen Grenzen überspringenden Bewegung erforderlich sei Den Zeugnissen der italienischen Widerstandsbewegung sind die Verurteilung des zentralisierten Nationalstaates, das Bekenntnis zur Einheit Europas und die Forderung nach föderativer Gestaltung gemeinsam. Sie enthalten Ansätze zu begrifflichen Unterscheidungen. Ihre Verfasser fordern nicht nur eine Föderation Europas, sondern auch eine Föderalisierung Italiens. Spinellis Unterscheidung zwischen übernationalem und infranationalem Föderalismus ist ein frühes Zeichen dafür, die Bindung föderativer Vorstellungen an bundesstaatliche Ordnungen zu ergänzen durch die Möglichkeit föderativer Gesellungen, die souveräne Nationalstaaten umfassen. Zwar geht dabei der aus der Entstehung des Bundestaates bereits bekannte Prozeß vor sich, in dem kleine Staaten Teile ihrer Staatlichkeit auf den Bundesstaat übertragen, der Unterschied besteht jedoch darin, daß die Teilstaaten des Bundesstaates in der Regel eine weitgehende Übereinstimmung ihrer Einwohnerschaft aufweisen. Vor allem italienische Autoren forderten einen europäischen Bundesstaat, auf den die Nationalstaaten die Souveränitätsrechte übertragen sollten, deren der europäische Bundesstaat bedürfe. Sie waren der Meinung, daß nur das föderative Prinzip geeignet und fähig sei, die Einheit Europas zu ermöglichen. Mehr als symptomatisch ist es, daß in einem zentralisierten Einheitsstaat wie Italien die Unzulänglichkeiten eines bürokratisch bedingten und bestimmten Unitarismus festgestellt werden. Das Schicksal der Demokratie in Staat und Gesellschaft wird als vom Schicksal des Föderalismus abhängig bezeichnet.

Auch in der polnischen Widerstandsbewegung wurde, was durch die 1944/45 eingetretenen machtpolitischen Verhältnisse aus dem Bewußtsein verdrängt wurde, der Wunsch sowohl nach einer Einheit als auch einer Föde. rierung Europas zum Ausdruck gebracht. In dem im November/Dezember 1941 entwickelten „Programm Volkspolens" wurde zwar die Aussiedlung der Deutschen gefordert, zugleich aber die Erwartung ausgesprochen, daß die politische Republik Mitglied der Föderation Freier Europäischer Völker sein werde: , In dieser Föderation wird die Republik sich bemühen, den größtmöglichen Zusammenhalt zu fördern und eine Bundesbehörde zu unterstützen, die machtvoll genug ist, um die föderierten Völker gegen Angriffe von außen zu schützen und alle Versuche zu unterdrücken, durch übertriebenen Nationalismus inneren Zwiespalt zu schaffen."

In der von der Polnischen Sozialistischen Partei im Februar 1942 verbreiteten Flugschrift „Die Idee einer Föderation" wurde das Leitbild einer freiwilligen, dezentralisierten, offensichtlich gesamteuropäisch gedachten Föderation entworfen. Als Föderation wurde bestimmt „ein freiwilliger Verband freier Völker, aufgebaut auf der Idee politischer, sozialer und wirtschaftlicher Gleichberechtigung". Mit Nachdruck wurde auch das Problem der Differenzierung angesprochen: „Die bekannte Schwierigkeit bei jeder Klarlegung der Probleme einer Föderation ist die nötige Unterscheidung zwischen föderaler Zentralisation oder einer Dezentralisation aufgrund nationaler Gegebenheiten. Obwohl eine Reihe praktischer Gründe zu einem föderalen Zentralismus führen könnte, ist dies doch unseres Erachtens eine für das Prinzip des Föderalismus gefährliche Regierungsform, die Innerhalb der Föderation leicht Nährboden für imperialistische Machtträume gibt, wofür wir das Beispiel (nicht nur föderal gegliederter Staaten des kapitalistischen Europas, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Belgiens, sondern auch) der Sowjetunion haben."

Diese Feststellung bedarf eines nachdrücklichen Hinweises, macht sie doch deutlich, daß die Verfasser der polnischen Flugschrift „Die Idee einer Föderation" zu unterscheiden wußten zwischen einem „föderalen Zentralismus'und einem „föderalen Föderalismus", zwischen dem Mißbrauch des Föderalismus in einem föderativ organisierten, jedoch zentralistisch geführten Staatswesen und dem Verständnis des Föderalismus, der sich nicht nur durch fö230) derale Strukturen, sondern auch durch föderative Einstellungen ausweist.

Die polnischen Aussagen sind Belege dafür, daß auch in den Gruppen des polnischen Widerstandes der Gedanke sowohl der Einheit Europas als auch seiner föderativen Gestaltung vorhanden war. Sie bestätigen, daß auch Polen die Rückkehr zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vor dem 1. September 1939 als nicht wünschenswert erschien, weil nur eine Überwindung des nationalstaatlichen Denkens Sicherheit bedeutete.

Die deutsche Widerstandsbewegung erörterte, wie zahlreiche Veröffentlichungen bezeugen, nicht nur die Möglichkeit, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft abzulösen, sondern auch die sich danach ergebende Notwendigkeit, an ihre Stelle eine neue staatliche Ordnung in Deutschland zu setzen. Im Rahmen der Kontakte, die die militärische Opposition im Winter 1939/40 durch Vermittlung Papst Pius XII. mit Großbritannien suchte, kam es auch zu einer Äußerung der britischen Regierung über die Voraussetzungen eines Friedensschlusses mit Deutschland. Um den 1. Februar 1940 überbrachte der Münchener Rechtsanwalt Dr. Josef Müller aus Rom eine Aufzeichnung, die die britischen Bedingungen dafür enthielt-, sie wurde als „X-Bericht" bekannt. Ihr zufolge erwartete die britische Regierung sowohl die Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes als auch eine Dezentralisierung Deutschlands: „Demgemäß sollte mit dem Regimewechsel auch die grundlegende Struktur des Hitler-Staates aufgegeben werden, die in einem föderativen Rahmen kaum denkbar war." Zwischen Oktober 1940 und Juni 1941 hatte der an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin tätige Diplomat und Historiker George F. Kennan Kontakte mit Helmuth Graf von Moltke, einem Großneffen des Siegers von 1866 und 1870/71. Kennan traf Moltke bei der ersten Begegnung beim Studium der „Föderalist Papers", in denen er Anregungen für die Verfassung eines zukünftigen demokratischen Deutschlands suchte. Kennan berichtet: „Es war ein Bild, das ich nie vergessen habe, wie dieser Sproß einer berühmten preußischen Offiziersfamilie, selber inmitten eines Weltkrieges für den deutschen Generalstab tätig, sich des Nachts den Schriften der Gründer unserer eigenen Demokratie zuwandte, um dort voll Bescheidenheit nach Ideen zu suchen, wie Deutschland aus seiner Verirrung und Verderbnis hinauszuführen sei." Am 24. April 1941 erstellte Moltke eine — erste — Studie „Ausgangslage, Ziele und Aufgaben", in der er sich mit der angenommenen politischen und militärischen Lage bei Kriegsende befaßte. Vom Frieden erhoffte er sich eine einheitliche europäische Souveränität von Portugal bis zu einem möglichst weit nach Osten vorgeschobenen Punkt bei Aufteilung des ganzen Festlandes in kleinere nicht-souveräne Staatsgebilde, über die Struktur des geeinten Europas sagte er, es solle in historisch gewordene Selbstverwaltungskörper unterteilt werden, die in ihrer Größe etwas aufeinander abgestimmt sein, untereinander aber gruppen-weise Sonderverbindungen haben sollten. Er sprach von einem europäischen Staat, dessen oberster Gesetzgeber den einzelnen Staatsbürgern, nicht den Selbstverwaltungskörperschaften verantwortlich zu sein hätte In einer zweiten Studie vom 9. Juni 1941 „Ausgangslage und Aufgaben" ging Moltke von der Annahme aus, „Europa ist ein Bundesstaat mit einheitlicher Souveränität". In dem Katalog der gestellten Fragen findet sich auch die Erwägung: „Sollen die Einzelstaaten grundsätzlich hierarchisch regiert werden oder ebenfalls föderativ aufgegliedert sein?"

Der von Helmuth Graf von Moltke zum Ausdruck gebrachten Auffassung waren nicht alle seine Gesinnungsgenossen. Carl Friedrich Goerdeler vertrat in seiner Ende 1941 verfaßten Denkschrift „Das Ziel" die Ansicht: „Die Zusammenfassung Europas darf nicht roh und rücksichtslos durch Gleichschaltung erfolgen, sondern kann nur geschehen, wenn sie von der Weisheit getragen wird, die Bismarck bei der Zusammenfassung Deutschlands verkörperte. Die Nationalstaaten Europas müssen volle Freiheit haben, ihre inneren Verhältnisse so zu gestalten, wie sie es ihren Eigenarten und Bedürfnissen entsprechend tun wollen: volle Freiheit selbstverständlich auf allen Gebieten des Geistes und der Seele." Goerdeler befürwortete einen Zusammenschluß, der über Arbeitsgemeinschaften zu Zollbindungen, Zusammenschlüssen, Währungsregelungen und schließlich zu einem Staatenbund mit militärischen Abmachungen führe. Er schloß seine Darlegung mit einer nicht nur für ihn typischen Vorstellung: „Es ist nicht zu kühn gesagt, daß bei rechtzeitigem Handeln, d. h. Abbruch des Krieges zugunsten eines sinnvollen politischen Systems, der europäische Staatenbund unter deutscher Führung in 10 bis 20 Jahren Tat-* sache sein wird. Wird der Zeitpunkt verpaßt, so ist an die deutsche Führung überhaupt auf lange Zeit nicht zu denken."

In seiner Ende April 1942 für den britischen Botschafter in Moskau, Sir Stafford Cripps, erstellten Denkschrift ging Adam von Trott zu Solz, Mitglied des Kreisauer Kreises, auch auf die Grundlage des Wiederaufbaues Deutschlands ein, wobei er sich für Selbstverwaltung und Dezentralisierung aussprach. Er empfahl die Auflösung der Massen durch die Schaffung kleinerer und größerer Einheiten lokaler Selbstverwaltung und die Anwendung moderner sozialistischer Grundsätze auf allen Gebieten des politischen und wirtschaftlichen Lebens. Er vertrat die Ansicht: „Selbstverwaltung und Föderalismus innerhalb Deutschlands sollten organisch verbunden sein mit einem Föderalismus innerhalb Europas (einschließlich Großbritanniens) und mit enger internationaler Zusammenarbeit mit den anderen Kontinenten. Dieser europäische Föderalismus innerhalb Deutschlands würde zu folgenden Ergebnissen führen: Wiederherstellung des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der europäischen Föderation für alle, insbesondere für die zur Zeit unter Naziherrschaft stehenden Nationen."

Als einen der Höhepunkte des Programms der Gruppen der deutschen Widerstandsbewegung bezeichnete der Direktor der Forschungsabteilung des Weltkirchenrates in Genf, der deutsche Pfarrer Hans Schönfeld, „eine europäische Föderation freier Staaten oder Nationen einschließlich Großbritanniens, die mit anderen Föderationen von Nationen eng zusammenarbeiten würde. Diese Föderation freier europäischer Nationen, zu denen auch eine freie polnische und eine freie tschechische Nation gehören würden, hätte eine gemeinsame Exekutive, nach deren Weisungen eine europäische Sicherheit zu schaffen wäre"

Die Geschwister Scholl und ihre Gesinnungsfreunde erklärten in ihrem im November 1942 vertriebenen Flugblatt „Aufruf an alle Deutschen" ebenso kurz wie unmißverständlich: „Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in Deutschland und Europa auszuüben versucht hat, muß im Keime erstickt werden. Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein. Nur eine gesunde föderalistische Staatsordnung vermag heute noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen."

In seinem im Spätsommer/Herbst 1943 kon-zipierten Friedensplan versicherte Carl Friedrich Goerdeler, die Hauptsache sei, „daß Deutschland rücksichtslos den Zentralismus abbaut und seine gute, gediegene Selbstverwaltung in den Gemeinden, in den Verwaltungskreisen und in den deutschen Ländern wiederherstellt. Preußen wird im Reich aufgehen. Die preußischen Provinzen werden verschwinden; es werden deutsche Länder gebildet werden, die sich weitgehend selbst regieren ebenso wie die Gemeinden, so daß für eine 'zentrale Reichsregierung und Volksvertretung nur diejenigen Aufgaben verbleiben, die unerläßlich sind, um den Zusammenhalt des Reichs sicherzustellen."

In seiner Stellungnahme zu den vom „Federal Council of the Churches of Christ in America" im März 1943 veröffentlichten sechs „Political Propositions for Peace“ bejahte Adam von Trott die Notwendigkeit von Föderationen im I Rahmen der allgemeinen internationalen Organisationen, gab jedoch zugleich zu beden-i ken: „Keine europäische Föderation würde von Dauer sein können, die von außen unter direkter oder indirekter Anwendung von Ge-! walt und Zwang geschaffen wäre. Die europäische Föderation muß das Werk der Beteiligten selbst sein, wenn auch angesichts der gewaltigen Schwierigkeiten während der Uber. gangszeit unterstützende Maßnahmen von außen, die in echtem Einvernehmen mit den jeweiligen Trägern der Selbstverwaltung erfolgen, zur Herstellung und Erhaltung des Friedens in Europa notwendig sein werden.“ Er betonte auch die Erkenntnis, „daß die Entwicklung, insbesondere in Europa, die Unzulänglichkeit des souveränen Nationalstaates als letzter internationaler Instanz erweist und auf größere Zusammenfassung der einzelnen Völker hindrängt"

Auch die Zeugnisse der deutschen Wider-j standsgruppen beinhalten das Bekenntnis zur Herstellung der europäischen Einheit, die mittels einer föderativen Ordnung erreicht werden soll. In bezug auf die innere Struktur Deutschlands gehen ihre Ansichten auseinander. Den Befürwortern des Nationalstaates stehen Vertreter einer föderativen Struktur gegenüber. Die Notwendigkeit einer Dezentralisierung bejahen alle Wortführer der Widerstandsgruppen, wobei sie freilich keine Angaben über den Umfang und den Charakter der Dezentralisierung machen.

2. Vorstellungen der Mächte der Anti-Hitler-Koalition

Die nach der militärischen Peripetie des Zweiten Weltkrieges, markiert durch die Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad am 2. Februar 1943 und der deutschen und italienischen Truppen in Nordafrika am 13. Mai 1943, einsetzende politische Nachkriegsplanung der Mächte der Anti-Hitler-Koalition beschäftigte sich in einem bisher weder bekannten noch dargestellten Umfang mit dem Problem sowohl der Dezentralisierung als auch der Föderalisierung des besiegten Deutschlands. Sie nahm dabei Bezug auf Diskussionen und Veröffentlichungen vornehmlich in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich bereits vor dem Beginn der offiziellen Nachkriegsplanung eingehend mit der zukünftigen inneren Struktur Deutschlands auseinandergesetzt hatten. Deutsche Emigranten hatten daran — einen im einzelnen noch nicht beschriebenen und mutmaßlich noch nicht beschreibbaren — Anteil und brachten ihre Ansichten, die in der Erörterung einer Reform des republikanischen Deutschen Reiches vertreten worden waren, ihren Gastländern bzw. ihren neuen Heimatländern zur Kenntnis.

Einen breiten Raum nahm in der allgemeinen Debatte und in den Erwägungen der mit der Nachkriegsplanung beauftragten nationalen oder internationalen Kommissionen das Problem Preußen ein, wobei die Mehrheit die Forderung nach Auflösung Preußens vertrat; auch die meisten deutschen Emigranten stimmten dieser Auffassung bei.

In den privaten und amtlichen Erörterungen wurden, ähnlich wie in den Diskussionen der europäischen Widerstandsgruppen, die Bezeichnungen Dezentralisierung und Föderalisierung wechselweise verwendet, so daß der Eindruck ihrer Deckungsgleichheit entstand. Eine genaue Unterscheidung zwischen Dezentralisierung und Föderalisierung unterblieb in den meisten Fällen; die einen bevorzugten die Bezeichnung Dezentralisierung, andere liebten das Wort Föderalisierung. Beiden Gruppen gemeinsam war die Ablehnung der Zentralisierung der Macht, wie sie in Deutschland seit 1871 erfolgt war. Dezentralisierung und Föderalisierung wurden als Mittel verstanden, einen Mißbrauch der Macht in Deutschland zu verhindern, weil sie eine Akkumulation der Macht unterbinden würden. Zwangsläufig gerieten darüber die Begriffe Dezentralisierung und Föderalisierung in den Verdacht, Elemente nicht eines organischen Staatsaufbaues, sondern der gegen Deutschland gerichteten Politik der Mächte der Anti-Hitler-Koalition zu sein. Sie wurden zwangsläufig diskreditiert — ein Vorgang, dessen Auswirkungen in der nach der Konsolidierung der Bundesrepublik Deutschland einsetzenden Kontroverse über den Föderalismus durchschlugen.

Das Royal Institute of International Afiairs in London, bekannt als Chatham House, legte erstmals im späten Frühjahr 1943, in dem Zeitpunkt, in dem der von der britischen Regierung eingesetzte Kabinettsausschuß für die Nachkriegsplanung unter der Leitung des Vizepremierministers Clement Attlee seine Arbeit begann, den Bericht einer von ihr eingesetzten Studiengruppe unter dem Titel „The problem of Germany" vor, der sich ausführlich mit allen erkennbaren Fragen der Stellung und Struktur Deutschlands nach seiner militärischen Niederlage beschäftigte. In Kapitel III „Grenzen: Politische Struktur" fragte er zunächst nach der Opportunität einer territorialen Neuverteilung Europas. Ausführlich untersuchte er das deutsche Territorial-problem. Das Unterkapitel „Reichseinheit“ versah er mit einem Fragezeichen. Als seinen Kernpunkt betrachtete er das Problem, „ob die von der Niederlage ausgelösten Erschütterungen so groß sein werden, daß sie das eigentliche Gefühl für Deutschlands nationale Einheit zerstören". Im Rahmen der darüber angestellten Erwägungen ging der Bericht auch auf die Frage ein, ob die in Deutschland vorhandene„Dezentralisierungstendenz gefördert werden soll und inwieweit die Wiederaufrichtung einer föderativen Union oder Konföderation der deutschen Ländern die Aussichten und die Stärke eines etwa neuerwachenden Angriffsgeistes beeinträchtigen würde“. Nach der Bemerkung, daß eine solche Entwicklung einen etwa neuerwachenden Angriffsgeist nicht vermehren könnte, stellte der Bericht fest: „Es ist möglich, daß eine Dezentralisierung, eine Loslösung von Berlin in bezug auf bestimmte Verwaltungsbehörden und die bewaffneten Gewalten, Polizei oder ähnlichem, wie sie Deutschland in Zukunft noch belassen werden, sowie die Errichtung einer Bundes-autorität mit verhältnismäßig geringfügigem Machtbereich und mit Sitz außerhalb Preußens, die deutschen Angriffsgelüste und -chancen vielleicht vermindern. Wie weit die Dezentralisierung im einzelnen gehen und welche Freiheit den verschiedenen Ländern bei der Wahl ihrer Verfassung, ihrer Justiz und Erziehungseinrichtungen gelassen werden soll, das sind in der Hauptsache Fragen, über die die Deutschen sich klar werden müssen. Es ist aber zweifelhaft, ob ihnen die Entscheidung darüber voll und ganz zur Erledigung überlassen werden kann; auf jeden Fall würde die Zustimmung der Alliierten erforderlich sein. Ein dezentralistisches politisches System mag außerdem den Deutschen bessere Gelegenheit bieten, sich praktische politische Erfahrungen zu erwerben, als das in einem zentralisierten Reichstag der Fall ist."

Die „Washington Kontroverse" zwischen dem Außenministerium, dem Kriegsministerium und dem Schatzministerium über die Behandlung Deutschlands verhinderte die Formulierung einer einheitlichen amerikanischen Auffassung über die Infrastruktur Deutschlands, da die Ansichten über die Alternative: Teilung Deutschlands oder Erhaltung der Einheit Deutschlands geteilt waren. Bisher bekannt gewordene Planungen sprechen sich sowohl für die eine als auch für die andere Möglichkeit aus. Im amerikanischen Außenministerium herrschte die Tendenz vor, die politische Einheit Deutschlands zu erhalten, jedoch die Verstärkung des föderativen Charakters des deutschen Staates und die Begrenzung zentraler Regierungsbefugnisse zu fördern Das amerikanische Schatzministerium forderte die Teilung und die Reorganisierung Deutschlands. Da ihr Leiter, Henry Morgenthau jr., Einfluß auf Präsident Franklin D. Roosevelt hatte, bestimmten diese Vorstellungen die amerikanische Politik

Im Sommer 1944 veröffentlichte Sumner Welles eine politische Betrachtung „The Time for Decision", die den deutschen Titel erhielt „Jetzt oder nie!", in der er sich mit drei Problemkreisen beschäftigte; er gab zunächst einen Überblick über die Entwicklung in Europa zwischen den beiden Weltkriegen, be-faßte sich mit den bestehenden Problemen der verschiedenen Regionen und Länder, wozu er seine Ansichten und Vorstellungen vor-trug, und skizzierte schließlich die Aufgaben der Zukunft, wobei er die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ansprach. Im Rahmendes zweiten Kapitels ging er ausführlich auf die deutsche Situation ein; er gab seiner Betrachtung darüber die aufschlußreiche Über-schrift „Der deutschen Drohung kann ein Ende gemacht werden". Dafür, daß Deutschland nach seiner Meinung zu einer Bedrohung für die übrige zivilisierte Welt wurde, machte er zwei Entwicklungsstufen verantwortlich, nämlich den Glauben des deutschen Volkes an den deutschen Militarismus als den höchsten Ruhm der Rasse und die Zentralisation der Herrschaft über die sehr verschiedenen Völker deutscher Rasse. , Seine Ansichten faßte Welles in der apodiktischen Feststellung zusammen: „Die Einigung Deutschlands und die Zentralisation aller Mächte in Berlin haben den Aufbau der zerstörten Kraft Deutschlands erst möglich gemacht." Von dieser Überzeugung geleitet, vertrat er die Ansicht: „Keine noch so wirkungsvolle Weltorganisation wird imstande sein, die Gefahr zu bekämpfen, die nach dem Kriege fortbestehen wird, wenn auch weiterhin ein zentralisiertes Deutschland dem deutschen Militarismus unterworfen bleibt. Die von der Weltorganisation auszuübende reine militärische Kontrolle wird unweigerlich im Laufe der Zeit abgeschwächt werden, wenn die Zerstörungen des jetzigen Krieges allmählich verschwinden und der instinktive menschliche Wunsch, zu vergessen, sich verstärkt. Wenn das geschehen ist, wird ein zentralisiertes Deutschland einen neuen Rachekrieg beginnen, und zwar mit Hilfe der im jetzigen Krieg gewonnenen Erfahrungen." Im Anschluß untersuchte Welles die Vor-und Nachteile der Teilung Deutschlands oder der Erhaltung der politischen Einheit Deutschlands, über seine Auffassung dazu sagte er: „Ich bin nach meiner ganzen persönlichen Einstellung für die Einheit des deutschen Volkes. Nur aufgrund meiner Überzeugung, daß die deutsche Einheit eine beständige Bedrohung für den Frieden der ganzen Welt bedeutet, bin ich zu dem Schluß gelangt, daß die Teilung der einzige Weg zur Bekämpfung der deutschen Gefahr in Zukunft ist." Von dieser Erwägung ausgehend, entwickelte Welles einen Plan zur Teilung Deutschlands, wobei er zum Ausdrude brachte, daß das Ziel seiner Vorstellungen eine weitgehende Dezentralisierung der deutschen Teilstaaten war, weil er darin die un-erläßliche Voraussetzung für die Entwicklung einer Demokratie in Deutschland sah

Im Rahmen der Beratungen der 1944/45 in London tagenden „European Advisory Commission", der Europäischen Beratenden Kommission, dem einzigen Drei-bzw. Vier-Mächte-Gremium für die Nachkriegsplanung Deutschlands, wurde auch die Infrastruktur Deutschlands eingehend erörtert. Während sich die sowjetische Delegation auf die Verabschiedung technischer Abkommen beschränkte, drängte die amerikanische Delegation auf die Verabschiedung von Direktiven für die gemeinsame Behandlung Deutschlands, auch in der Phase der gemeinsamen Besetzung und der gemeinsamen Kontrolle. Sie hatte dazu Anweisungen erhalten. Der amerikanische Ausschuß für Nachkriegsprobleme erstellte am 5. August 1944 eine Instruktion für die amerikanische Delegation bei der Europäischen Beratenden Kommission, in der er sich mit der Frage der politischen Dezentralisierung Deutschlands beschäftigte: „Es wird empfohlen, jede mögliche Anstrengung zu machen, um die Rückkehr zu einem föderativen Regierungssystem und eine Teilung Preußens in eine Anzahl von mittelgroßen Staaten zu fördern. Als Reaktion auf die nationalsozialistische Überzentralisierung werden die Deutschen wahrscheinlich aus eigenem Antrieb in beträchtlichem Ausmaß zur föderativen Dezentralisierung zurückkehren und dabei die Auflösung Preußens, das 1938 62% der Fläche und zwei Drittel der Bevölkerung Deutschlands umfaßte, in verschiedene Staaten von mäßiger Größe einbeziehen. Man kann sich jedoch, wenn man über eine Ermunterung zur Dezentralisierung hinausgeht, zwei Risiken aussetzen. Das erste liegt darin, daß eine aufgezwungene Schwächung der Staatsstruktur, die über das von den gemäßigten und liberalen Parteien in Deutschland bevorzugte Ausmaß hinausgeht, gleich einer auferlegten Verstümmelung, ein gebrauchsfertiges Programm für die nationalsozialistischen Gruppen liefern würde. Das zweite Risiko besteht darin, daß eine schwache Zentralgewalt unfähig sein würde, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegsanpassung in Angriff zu nehmen. Dazu kommt, daß eine Rückkehr zu weitgehend provinzieller Autonomie unerwünschten Elementen wiederum ein vorteilhaftes Mittel bieten könnte, die verschiedenen Länderregierungen zu durchsetzen, so wie dies vor 1933 geschah, als die Nationalsozialisten die Herrschaft über mehrere der kleineren Länder eroberten. Schließlich war auch der schwerfällige Föderalismus der Bismarckzeit kein Schutz gegen das Wachstum von deutscher Macht und deutschem Militarismus. Auf jeden Fall sollte Bewegungen zugunsten einer Dezentralisierung nicht zu große Bedeutung beigemessen werden, denn die demokratischen Kräfte haben allgemein der größeren Vereinheitlichung des Reichs den Vorzug gegeben.“

Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt trat die zentrale Figur der zunächst richtungslosen und nicht formulierten amerikanischen Nachkriegs-planung für Deutschland, der Secretary of Trasury, Henry Morgenthau jr., mit einem lange vorbereiteten sensationellen Plan hervor. In seinem „Program to prevent Germany from starting a world War III“ sprach er sich für die Teilung eines im Osten und Westen amputierten Deutschlands in einen norddeutschen und in einen süddeutschen Staat aus und forderte gleichzeitig weitgehende politische Dezentralisierung: „Unter Berücksichtigung der Teilung Deutschlands sollen die verschiedenen Landesregierungen ermutigt werden, für jeden der neu eingeteilten Staaten eine bundesstaatliche Regierung zu errichten. Diese neuen Regierungen sollen in einen Staatenbund zusammengeschlossen werden, mit Betonung der Landesrechte und einem hohen Maß von Eigenständigkeit.“ Morgenthau wollte sowohl eine Teilung Deutschlands als auch eine weitgehende Dezentralisierung der deutschen Teilstaaten, weil er glaubte, nur dadurch erreichen zu können, daß Deutschland nicht einen Dritten Weltkrieg auslöse.

Der „Morgenthau-Plan" wurde angesichts der ablehnenden Reaktion der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit zwar verworfen, jedoch wurden einzelne Bestimmungen in die Direktive JCS 1067 aufgenommen Die der amerikanischen Delegation am 5. August 1944 erteilte Instruktion blieb bedeutungslos, denn der Versuch, in der Europäischen Beratenden Kommission Scharniere zwischen den unverbindlichen Deklamationen über die Kriegs-ziele und den technischen Vereinbarungen zu schaffen, scheiterte am sowjetischen Widerstand

Die Diskussion über die Nachkriegsgestaltung Deutschlands wurde von Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika allein weitergeführt. Staatssekretär Morgenthau sprach sich in einer Stellungnahme zu einem britischen Entwurf einer politischen Direktive für Deutschland für ein „positives Programm für politische Dezentralisierung" aus. In den für die amerikanische Delegation zur Konferenz von Jalta zusammengestellten Richtlinien wurde eine „föderative Dezentralisierung" Deutschlands gefordert. In dem Schriftstück vom 12. Januar 1945 über die Behandlung Deutschlands erklärte das amerikanische Außenministerium, „daß es eine Rückkehr zu föderativer Dezentralisierung befürwortet, einschließlich der Aufteilung Preußens in verschiedene mittelgroße Länder, aber eine weitergehende Dezentralisierung als für gemäßigte Kreise unannehmbar ablehnen wird. Eine solche würde genau wie eine auferlegte Teilung nationalsozialistischen Agitatoren ein fertiges Programm liefern. Eine Dezentralisierung, die umfassend genug wäre, die Zentralisierung des Reiches unwirksam zu machen, würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach als unfähig erweisen, mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen fertig zu werden, die im Interesse innerer Stabilität gelöst werden müssen. Eine Rückkehr zu weitgehender provinzieller Autonomie könnte ferner unerwünschten Elementen einen günstigen Weg bieten, in den verschiedenen Länderregierungen an die Macht zu gelangen, wie es vor 1933 geschah, als die Nationalsozialisten die Herrschaft über verschiedene der kleineren Länder gewannen und ihre terroristischen Agitationen durchführten, in völliger Immunität gegenüber jeglicher Einmischung des Reiches. Die Dezentralisierung, selbst wenn sie mit Erfolg durchgesetzt wird, ist nicht als Sicherheitsmaßnahme erforderlich und würde an und für sich kein unüberbrückbares Hindernis für ein einheitliches nationales Handeln sein, wenn das deutsche Volk in Zukunft seine Streitkräfte zu einer neuen Aggression organisieren möchte. Die militärische Wirksamkeit Deutschlands unter der schwerfälligen Bis-marckschen Verfassung ist ein Beweis für diese Beobachtung. Es wäre noch zu bemerken, daß die traditionellen demokratischen Gruppen in Deutschland im allgemeinen eine stärkere Einigung des Reiches befürwortet haben."

Diese exemplarischen Stellungnahmen bringen zum Ausdruck, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika eine Dezentralisierung Deutschlands für eine Notwendigkeit ansahen. Verteidiger der Erhaltung der Einheit Deutschlands verlangten Dezentralisierung und Föderalisierung. Befürworter einer Teilung Deutschlands forderten eine Dezentralisierung der Teilstaaten. Das amerikanische Außenministerium bediente sich in seiner Empfehlung für die amerikanische Delegation zur Konferenz von Jalta des Begriffes einer föderativen Dezentralisierung, der insofern Beachtung verdient, als darin die beiden wechselweise gebrauchten Bezeichnungen zusammengefaßt und die geforderte Dezentralisierung artikuliert wurde. Die bisher bekannten Äußerungen der britischen Regierung empfahlen eine Dezentralisierung, ohne diese jedoch als Föderalisierung zu deklarieren. Marschall Stalin forderte zwar eine Teilung Deutschlands in Einzelstaaten, machte jedoch keine Äußerungen über die innere Struktur dieser Einzelstaaten.

Die mit den Forderungen sowohl einer Zerstückelung als auch einer Dezentralisierung Deutschlands verbundene Absicht wurde offen ausgesprochen. Durch die Verhinderung einer Machtballung bei der Zentralgewalt sollte eine Verminderung oder Verhinderung eines Machtmißbrauchs erreicht werden. Die Dezentralisationsvorstellung der Mächte der Anti-Hitler-Koalition hatte subsidiären Charakter; sie ging nicht auf eine der Struktur des deutschen Volkes entsprechende Staatsordnung aus, sondern versuchte eine zum Machtmißbrauch verleitende Machtkonzentration zu unterbinden. Nur vereinzelt wurde die Überzeugung geäußert, daß die Dezentralisierung den Gegebenheiten in Deutschland entspreche, weshalb sie durchgeführt werden sollte. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb in der Diskussion der Gebrauch der Bezeichnung Dezentralisierung überwiegt. Nur zögernd wurde die Bezeichnung Föderalisierung verwandt. Der Hinweis darauf ist wichtig, da die Verwischung der Grenzen zwischen Dezentralisierung und Föderalisierung das Mißverständnis über den Föderalismus entscheidend gefördert hat.

Die Regierungen der drei bzw. vier Besatzungsmächte Deutschlands wollten den zentralen Machtstaat zerschlagen; die europäischen Widerstandsbewegungen wollten nicht nur in Deutschland, sondern in Europa einem Föderalismus zum Durchbruch verhelfen, der sich nicht mehr als Ordnung eines nationalen Bundesstaates, sondern als Prinzip einer europäischen Völkergemeinschaft verstand. Während die Kommentatoren der Nachkriegsplanung für Deutschland die geforderte Dezentralisation als Föderalismus tarnten oder aus-gaben, versuchten die europäischen Widerstandsgruppen den Föderalismus zur Grundlage der von ihnen geforderten Erneuerung des europäischen Gemeinschaftsbewußtseins und der europäischen Gemeinschaftsentwick-Jung zu machen.

XII. Die Situation des Föderativen Prinzips im Epochenjahr 1945

Während des Zweiten Weltkrieges setzte, wie die Darlegung sowohl der Erwartungen der europäischen Widerstandsbewegungen als auch der Vorstellungen der Mächte der Anti-Hitler-Koalition beweist, eine Hinwendung zum Föderalismus ein, bei der vor allem folgende Gründe zusammenwirkten: 1. Der Machtmißbrauch totalitärer Staaten löste bei Publizisten, Wissenschaftlern, Politikern, Diplomaten und Staatsmännern den Wunsch nach vorbeugenden Maßnahmen aus. Sie verstanden das föderative Prinzip als eine erfolgversprechende Möglichkeit, Machtakkumulation und Machtmißbrauch zu verhindern. Wechselweise verwendeten sie die Bezeichnungen Dezentralisierung und Föderalisierung — ein Umstand, der zu einer politisch bedingten Gleichsetzung von Dezentralisation und Föderation führte. Zwar erlitt das orthodoxe Verständnis des föderativen Prinzips dadurch eine Beeinträchtigung, zugleich bot es sich aber als das einzige Element an, mit dessen Hilfe Massengesellschaften und Massenstaaten dem einzelnen individuelle Entfaltung und personelle Freiheit zu garantieren in der Lage waren. Die in allen Staaten auftretende Kollektivierung begünstigte den Wunsch nach interaktionären Strukturen, die die Nivellierung des Individuums abwehrten. 2. Auch die Einsicht in die Interdependenz zwischen Innen-und Außenpolitik begünstigte die Belebung des Verständnisses der föderativen Idee. In dem Maße, in dem die Einsicht in die Wechselbeziehungen zwischen Innen-und Außenpolitik wuchs, stieg das Interesse am Föderalismus. Schmerzliche Erfahrungen mit dem Zentralismus führten zur Neuentdekkung des Föderalismus. Emigranten, vor allem deutsche, erlebten in ihren Gastländern, vornehmlich in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Amerika, föderative Formen, deren Wirklichkeit und Wirksamkeit sie tief beeindruckten, so daß sie leidenschaftliche Verfechter einer föderativen Gestaltung Deutschlands und Europas wurden. Nicht immer entgingen sie dabei der Gefahr, die Verhältnisse ihres Gastlandes auf die deutsche Situation nach der bedingungslosen Kapitulation zu übertragen, waren sie doch der Über-zeugung, nur durch die Verwirklichung einer integralen föderativen Struktur werde in Deutschland eine abermalige Machtkonzentration verhindert. 3. Die Erwartungen und Bekenntnisse zu einem Zusammenschluß der europäischen Nationalstaaten in einer gesamteuropäischen Ordnung, die ohne Scheu als europäischer Bundesstaat apostrophiert wurde, führten zwangsläufig zu föderativen Vorstellungen, da der Föderalismus sowohl in seiner nicht-spezifizierten Form vor 1776 als auch in seiner auf den Bundestaat festgelegten Version nach der Konstituierung der Vereinigten Staaten von Amerika allein als geeignet und fähig erschien, die Verwirklichung der als existentiell erkannten Einheit Europas zu realisieren. Hierüber kam es zur Fortbildung des föderativen Gedankens, der in der Diskussion über die föderative Ordnung der Doppelmonarchie der Habsburger von 1918 in Erscheinung getreten war; er nahm deutlich sichtbare Konturen an. Das Anerkenntnis des Föderalismus als eines Strukturelementes für übernationale regionale Ordnungen fand auch Beachtung bei den Völkern, die, aus der Kolonialherrschaft entlassen, erkannten, in separierten Nationalstaaten auf die Dauer nicht bestehen zu können. So wie in der Organisation des Völker-bundes föderative Elemente wirksam waren, so fanden in die Organisation der Vereinten Nationen föderative Auffassungen Eingang.

Auch wenn sich die euphorischen Erwartungen eines Teiles der Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten von Amerika auf die „ONE WORLD“ nach 1945 nicht erfüllten, so kam es doch allenthalben zu regionalen Verbindungen und Zusammenschlüssen, weil Völker und Staaten erkannten, daß die bisherige Separierung ihre Lebensfähigkeit bedrohte. Die dabei entwickelten Formen und Strukturen führten föderative Vorstellungen und Prinzipien von unterschiedlichem Wert mit sich. Die Gepflogenheit, Staatsorganisationen als föderativ oder bundesstaatlich zu bezeichnen, setzte sich durch, worüber es zu einer Pluralität föderativer Auffassungen und Formen kam. Der Nachteil dieser Entwicklung liegt auf der Hand: Das nicht fixierte und nicht formulierte föderative Prinzip erfuhr eine Popularisierung, die sein Mißverständnis ebenso begünstigte wie sein Verständnis. Diese Entwicklungen waren begleitet von philosophischen Spekulationen, politischen Determinationen und publizistischen Kontroversen über das föderative Prinzip. Als Vorbilder galten die Strukturen sowohl der Schweizer Eidgenossenschaft als auch der Vereinigten Staaten von Amerika. Da der Unterschied zwischen schweizer und amerikanischem Föderalismus nur zu oft übersehen wurde, die Ausweitung der föderativen Vorstellungen vor und vor allem während des Zweiten Weltkrieges keine Berücksichtigung fand, kam es zwangsläufig zu einer Verwirrung über den Föderalismus. Auch die Zwangsidentifikation zwischen Dezentralisation und Föderation trug dazu bei. Die nur zaghaft unternommenen Versuche zur Verifizierung, Präzisierung und Spezifizierung des föderativen Prinzips waren nicht in der Lage, die entstandenen Unklarheiten zu beseitigen — im Begriff Föderalismus flossen unterschiedliche, ja gegensätzliche Auffassungen und Ansichten zusammen. Publizisten und Wissenschaftler der Vereinigten Staaten von Amerika und auch der Schweiz neigten dazu, ihre Vorstellungen vom Föderalismus als Föderalismus schlechthin auszugeben. Unter diesen dadurch bedingten Mißverständnissen föderativer Beispiele litt die 1945 machtvoll einsetzende Renaissance des föderativen Gedankens, die zu seiner Verbreitung und zugleich auch, da die Versuche seiner Klärung nicht überzeugten, zu seiner Verwirrung führte.

XIII. Die Bundesrepublik Deutschland als föderative Staatsordnung

1. Dezentralisation oder Föderation Deutschlands Im Sinne ihrer im Rahmen der Nachkriegsplanung erörterten und verabschiedeten Empfehlungen sprachen sich die auf der Konferenz von Potsdam (17. Juli— 2. August 1945) versammelten Regierungschefs Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika für eine Dezentralisierung sowohl der Verwaltungs-als auch der Wirtschaftsstruktur Deutschlands aus In den „Politischen und wirtschaftlichen Grundsätzen, deren man sich bei der Behandlung Deutschlands in der Anfangsperiode der Kontrolle bedienen muß", Teil des Kommuniques der Konferenz von Potsdam vom 2. August 1945, erklärten sie: „ 9. Die Verwaltung Deutschlands muß in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverantwortung durchgeführt werden." Zu diesem Zweck sahen sie den Aufbau lokaler Selbstverwaltungen in ganz Deutschland nach demokratischen Grundsätzen vor, die Zulassung von demokratischen politischen Parteien in ganz Deutschland und die Verwirklichung der WahlVertretung in den Gemeinde-, Kreis-, Provinzial-und Landesverwaltungen — „so schnell wie es durch die erfolgreiche Anwendung dieser Grundsätze in der örtlichen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden kann" Sie forderten ferner: „ 12. In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolverwaltungen." Beide Empfehlungen, sowohl für die Verwaltungsais auch für die Wirtschaftsstruktur, befürworteten nachdrücklich eine Dezentralisierung. Ihre Verfasser gingen von der Annahme aus, daß die Zentralisierung entscheidend zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen hätte. Sie unterließen es, die von ihnen verlangten Maßnahmen als Föderalisierungen zu bezeichnen und den Charakter der geforderten Dezentralisierungen zu bestimmen. Um einen erneuten Mißbrauch einer zentralisierten Macht zu verhindern, sprachen sie sich für eine weitgehende Machtverteilung aus, verzichteten jedoch darauf ihre Auffassung von Dezentralisation darzulegen, so wie sie auch ihre Vorstellung über Demokratie nicht erläuterten. Die bereits angesprochene Frage nach der Affinität bzw.

Identität zwischen Dezentralisation und Föderation stellte sich erneut

Der französische Jurist Michel Virally vertritt in seiner Studie „Die internationale Verwaltung Deutschlands vom 8. Mai 1945 bis zum 24. April 1947" die Auffassung, daß das Problem Föderalismus—Zentralismus Bestandteil des Vier-Mächte-Kontrollsystems war, weil einerseits ein zentraler Kontrollorganismus bestand, andererseits den Oberbefehlshabern der Besatzungszonen weitgehende Selbständigkeit zuerkannt wurde. Virally gibt weiter zu bedenken, daß sich das Problem Föderalismus— Zentralismus auch in den einzelnen Besatzungszonen stellte. In einem Überblick über die Struktur der vier Besatzungszonen verweist er auf die dabei auftretenden Gegensätze. In bezug auf die französische Besatzungszone bemerkt er, die föderalistische Idee sei so gut wie nicht vertreten; die Militärregierung habe eine auf Dezentralisation abgezielte Politik getrieben, die den französischen Vorstellungen über die zukünftige Organisation Deutschlands entspreche. Frankreich befürwortete die Errichtung eines losen Staatenbundes, in dem die Gliedstaaten auf allen Gebieten ihre sämtlichen Befugnisse behalten bis auf diejenigen, die durch die Verfassung ausdrücklich dem Staatenbund übertragen werden. Das Bundesparlament sollte nur aus dem Staatenhaus geschaffen werden Da Frankreich eine weitgehende Dezentralisierung in Deutschland forderte und in seiner Besatzungszone betrieb, förderte es Bestrebungen föderativ orientierter Gruppen, Einzelpersonen und Publikationen, wodurch der Eindruck entstand, die französische Deutschland-politik sei eine föderalistische Politik. In den Auseinandersetzungen während der Beratungen des Parlamentarischen Rates definierte die französische Militärregierung ihre Dezentralisierungsforderungen als föderative Postulate, womit sie dem Ansehen des Föderalismus einen schlechten Dienst erwies.

Die Struktur der sowjetischen Besatzungszone bezeichnet Virally als der von Frankreich geschaffenen Struktur diametral entgegengesetzt. Die Organisation der sowjetischen Besatzungszone präjudiziere die Bildung eines Einheitsstaates. Zur Begründung dieser Auffassung verweist Virally auf Maßnahmen der Sowjetischen Militäradministration, die auf eine Vereinheitlichung ihrer Besatzungszone ausgingen. Seine Ansichten darüber faßt er in der aufschlußreichen Feststellung zusammen: „So sind in der Sowjetzone nicht nur die Grundlagen für die Ministerien des künftigen deutschen Einheitsoder Zentralstaates neu geschaffen, sondern auch als Köder eine deutsche Zentralverwaltung mit eigenen, für das ganze deutsche Gebiet zuständigen und von den Länderbehörden unabhängigen Exekutivorganen.

Uber die verfassungsrechtliche Intention der britischen Besatzungspolitik bemerkt Virally: „Die englische Politik in der Frage des Föderalismus steht vollkommen unter dem Einfluß des Systems der Weimarer Verfassung. Die Folge ist, daß der Zuständigkeit der Länder alle Gebiete, die nach der Weimarer Verfassung dem Reich Vorbehalten waren, entzogen wurden .. . Die in der Weimarer Republik vom Reich ausgeübten Befugnisse mußten also von der Militärregierung unter Oberhoheit des Kontrollrates übernommen werden. Für den Föderalismus blieb unter diesen Umständen kein Raum, um so weniger, als die britische Militärregierung während der ersten Phase der Okkupation eine scharfe Kontrolle in ihrer Hand zu behalten gewillt war. Indessen führte sie ihr Wunsch, sich ihre Aufgabe in Deutschland zu erleichtern und die Selbstverwaltung zu beschleunigen dazu, deutsche Verwaltungsstellen zu errichten, die unter der Leitung der Militärregierung ihre Tätigkeit ausüben und in den Grenzen der deutschen Verwaltungsbezirke die Stellung der ehemaligen Reichs-ministerien einnehmen."

Lediglich der amerikanischen Besatzungszone gesteht Virally zu, daß sie nach föderativen Gesichtspunkten aufgebaut und organisiert sei. Er sieht darin einen Beweis dafür, „wie stark der Einfluß der föderalistischen Idee in der Auffassungsweise der Regierung der Vereinigten Staaten ist. Dieser Einfluß tritt noch deutlicher hervor, wenn er den Ergebnissen der föderalistischen Zonenbehördenpolitik der englischen und sowjetischen Zone gegenübergestellt wird. Im Gegensatz zu den erörterten Auswirkungen in Gestalt der Überlagerung der verfassungsmäßigen Behörden mit Zentral-verwaltungen gibt ... die Politik der amerikanischen Zone das Beispiel eines auf der untersten Stufe beginnenden föderalistischen Aufbaues mittels Koordination der Länder unter Beschränkung des Eingreifens der Kontrollbehörden auf das möglichste Mindestmaß."

Die Distinktionen von Virally verdienen Beachtung, zeigen sie doch, daß sowohl im Verhältnis zwischen dem zentralen Kontrollsystem einerseits und den Oberbefehlshabern der Besatzungszonen andererseits ein Gegensatz bestand, der als Konfrontation von Zentralismus und Föderalismus verstanden werden kann, und daß der Aufbau der vier Besatzungszonen nicht nur zeitlich und methodisch, sondern auch strukturell sehr verschieden war. In der sowjetischen Besatzungszone wurde die Wieder-errichtung einer zentralen Staatsgewalt angestrebt Die britische Militärregierung übernahm die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten der Reichsverfassung vom 11. August 1919. Die französische Militärregierung betrieb eine sehr bestimmte Dezentralisierung, womit sie die Dezentralisierung von ganz Deutschland vorwegzunehmen glaubte Nur in der amerikanischen Besatzungszone wurde in Übereinstimmung mit den Erörterungen der Nachkriegsplanung für Deutschland und den Empfehlungen des Kommuniques der Konferenz von Potsdam ein Neuaufbau Deutschlands von unten nach oben durchgeführt. Die zur Koordinierung eingesetzten Institutionen hatten den Charakter bundesstaatlicher Elemente amerikanischer Provenienz

Vor dem Hintergrund dieser zwischen 1945 und 1948 in Deutschland bestehenden Verhältnisse müssen die im gleichen Zeitraum geführten Verhandlungen und abgegebenen Erklärungen über die zukünftige Struktur Deutschlands betrachtet und beurteilt werden In den vier Besatzungszonen wurden vier Modelle des Staatsaufbaues in Deutschland gegeben. Die Sowjetische Militäradministration bot einen zentral regierten Einheitss'aat an. Die französische Militärregierung propagierte ein extrem dezentralisiertes Deutschland, dessen Einheit durch einen in seiner Kompetenz eingeschränkten Staatenbund manifestiert werden sollte. Die briti.sehe Militärregierung regte durch ihre Praxis eine Rückkehr zu den durch die Reichsverfassung vom 11. August 1919 geschaffenen Verhältnissen an. Die amerikanische Militär-; regierung nahm den Aufbau eines Bundesstaates nach eigenen Gegebenheiten vor, versuchte sie doch in Deutschland den Aufbau eines Bundesstaates nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika nachzuvollziehen. Das zentralistische Frankreich betrieb in Deutschland eine extreme Dezentralisationspolitik. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken trat für einen zentralistischen Einheitsstaat ein. Großbritannien bereitete einen dezentralisierten Einheitsstaat vor. Die Vereinigten Staaten von Amerika empfahlen einen Bundesstaat amerikanischer Observanz. Die vier Modelle hatten nicht nur deklamatorischen Wert, sie reflektierten auch die unterschiedlichen Auffassungen über die Frage des Staatsaufbaus Deutschlands, der im diplomatischen Gedankenaustausch der vier Besatzungsmächte und in den Sitzungen des von ihnen auf der Konferenz von Potsdam eingesetzten Rates der Außenminister schließlich zentrale Bedeutung zukam. Zunächst gaben Vertreter der vier Besatzungsmächte dazu die Stellungnahme ihrer Regierungen ab, schließlich wurde das Problem des Staatsaufbaus Deutschlands ein entscheidender Punkt der Auseinandersetzungen.

Der französische Oberbefehlshaber in Deutschland, General Pierre Koenig, bezeichnete am 1. Oktober 1945 vor dem Alliierten Kontrollrat in Berlin die Schaffung deutscher Zentral-verwaltungen als einen der Punkte, die ausdrückliche Vorbehalte seiner Regierung hervorrufen müßten Am 1. März 1946 rechtfertigte der französische Außenminister George Bidault die Bedenken gegen deutsche Zentral-verwaltungen mit der Begründung, es sei nicht angebracht, daß die Besatzungsmächte damit begännen, einheitliche Verwaltungen mit eigener Entscheidungsbefugnis zu schaffen, — wenn sie in Deutschland eine Politik der Dezentralisierung verfolgen wollten

In seiner Stuttgarter Rede vom 6. September 1946 kündigte der amerikanische Außenminister James F. Byrnes die Wende der amerikanischen Deutschlandpolitik, die die Schaffung der Bundesrepublik Deutschland präjudizierte, an. Im Rahmen seiner Ausführungen ging er auch auf das Problem der Dezentralisierung ein, deren Notwendigkeit er begründete: „Die Potsdamer Beschlüsse bestimmten in weiser Voraussicht, daß die Verwaltung der deutschen Angelegenheiten auf eine Dezentralisierung der politischen Struktur und auf die Entwicklung örtlichen Verantwortungsbewußtseins gerichtet sein sollte. Diese sollte nicht die Weiterentwicklung zu einer zentralen Regierung verhindern, welche die Machtbefugnisse besitze, um Angelegenheiten zu behandeln, die eigentlich für ganz Deutschland geregelt werden müssen. Dagegen bestand die Absicht, die Bildung einer starken zentralen Regierung zu verhindern, welche das deutsche Volk beherrschen würde, ohne seinem demokratischen Willen zu entsprechen." Diese Erklärungen brachten zum Ausdruck, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, geleitet von der Erfahrung mit der Machtteilung zwischen Bundes-gewalt und Staatengewalten in ihrem Land, weder einen zentralistischen Einheitsstaat noch einen handlungsunfähigen Staatenbund anstrebten. Ihre Vorstellung von der zukünftigen Staatsstruktur Deutschlands lag in der Mitte; sie sahen deshalb eine Zentralregierung vor, hielten jedoch an regionalen Gewalten fest.

Gleicher Auffassung war zu diesem Zeitpunkt die britische Regierung, die bereits ihre Zustimmung zu der von den Vereinigten Staaten von Amerika vorgeschlagenen wirtschaftlichen Fusion der amerikanischen und britischen Besatzungszone in Deutschland gegeben hatte. In seiner Rede vom 22. Oktober 1946 trug der britische Außenminister Ernest Bevin die Ziele der britischen Besatzungspolitik in Deutschland vor: „Wir bemühen uns, die Deutschen zu einer geordneten Selbstregierung hin-zuführen. Dabei ist die wichtigste Lehre, die wir den Deutschen beizubringen haben, die, daß die Ausübung politischer Macht und Übernahme politischer Verantwortung abhängen muß von dem Willen der Wähler, wie er an der Wahlurne zum Ausdruck kommt. Was die Verfassung Deutschlands betrifft, so erstreben wir eine möglichst weitgehende Dezentralisierung." Die britischen Vorstellungen über „eine möglichst weitgehende Dezentralisierung" erläuterte Bevin unmißverständlich: „Wenn wir diese Fragen näher betrachten, so glauben wir, daß die deutsche Verfassung von dem Extrem eines losen Staatenbundes autonomer Staaten und von dem anderen Extrem eines zentralisierten Einheitsstaates sich gleichermaßen fernhalten sollte." Diese Äuße-rung war eindeutig. Sie ging darauf aus, die Selbstverwaltung zu entwickeln und einen Bundesstaat zu gestalten, der seinen Standort zwischen den handlungsbeschränkten partiku-laristischen Staatsordnungen deutscher Vergangenheit und dem Macht mißbrauchenden Einheitsstaat, vornehmlich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, einnahm.

Während der Konferenz der stellvertretenden Außenminister vom 14. Januar bis 25. Februar 1947 legten sowohl die Besatzungsmächte Deutschlands als auch die Anrainerstaaten umfangreiche Denkschriften über die Bedeutung und über die Lösungsmöglichkeiten des deutschen Problems vor Die Regierung der Niederlande betonte in ihrem der Vor-konferenz am 14. Januar übergebenen Memorandum: „Die niederländische Regierung ist beim Anblick des geistigen, moralischen und kulturellen Verfalls in Deutschland, der seit 1866 immer schneller zunahm und nach 1933 seine teuflische Vollendung im Nationalsozialismus erfahren hat, von tiefer Besorgnis erfüllt." Sie verwies mit großem Ernst auf den in Deutschland allenthalben anzutreffenden Nihilismus und betonte, sie halte die Ausbreitung eines solchen Nihilismus für eine Bedrohung nicht nur für die Deutschland benachbarten Staaten, sondern für die gesamte Welt Die französische Regierung unterbreitete am 1. Februar der Vorkonferenz einen bis ins einzelne gehenden Plan eines Staatenbundes in Deutschland Sie erwartete dafür amerikanische Unterstützung, hatte doch Außenminister Byrnes sich in seiner Stuttgarter Rede erneut zu einer Dezentralisierung Deutschlands bekannt, rechnete jedoch nicht mit dem Beifall Großbritanniens, da Außenminister Bevin die Bereitschaft hatte erkennen lassen, zur Reichsverfassung vom 11. August 1919 zurückzukehren, die nach britischer Auffassung juristisch noch in Kraft war, da sie nur de facto, nicht aber de jure beseitigt war. Die französische Regierung war sich darüber im klaren, daß ihr die Sowjetunion leidenschaftlich widersprechen werde, da sie einen zentralistischen Einheitsstaat befürwortete. An der Meinungsverschiedenheit über die verfassungsrechtliche Struktur Deutschlands scheiterten die Beratungen der stellvertretenden Außenminister. Die Vor-konferenz war Vorspiel, nicht Vorbereitung der 4. Sitzung des Rates der Außenminister.

Zwischen beiden Zusammenkünften fielen weitgreifende politische Entscheidungen. Der anhaltende sowjetische Druck auf die Türkei und die Ausweitung der Kämpfe in Griechenland, in deren Verlauf die kommunistischen Truppen Unterstützung und Zuzug aus Albanien, Jugoslawien und Bulgarien erhielten, bestimmten Präsident Truman, am 12. März 1947 vor dem Kongreß folgende, in Anlehnung an die Monroe-Doktrin als Truman-Doktrin bezeichnete Erklärung abzugeben: „Es muß ...der außenpolitische Grundsatz der Vereinigten Staaten werden, allen Völkern, deren Freiheit von militanten Minderheiten oder durch einen von außen geübten Druck bedroht wird, unseren Beistand zu leihen -. . Unter einem solchen Beistand verstehe ich vor allem wirtschaftliche und finanzielle Hilfe zur Herstellung geordneter politischer Verhältnisse und zur Sicherung der Stabilität."

Die durch die Verkündung der Truman-Doktrin ausgelöste Verhärtung der weltpolitischen Fronten beeinflußte die Verhandlungen des Rates der Außenminister, der zwei Tage vorher, am 10. März 1947, in Moskau zu seiner 4. Sitzung zusammengetreten war; sie dauerten bis zum 24. April 1947 Am 22. März sprach sich der sowjetische Außenminister Molotow gegen jede, wie er sagte „Zwangsföderalisierung Deutschlands" aus. Er befürchtete, eine Föderalisierung Deutschlands werde die Idee der Einheit Deutschlands, die dem deutschen Volke offensichtlich teuer sei, den deutschen Militaristen ausliefern. Im Falle einer Föderalisierung Deutschlands werde es keine Zentralregierung und auch keine Zentralstelle geben, die für die Erfüllung der Verpflichtungen Deutschlands gegenüber den Verbündeten verantwortlich sei. Er schlug vor, über die Alternative föderativer oder zentraler Staatsaufbau das deutsche Volk selbst entscheiden zu lassen — ein gesamtdeutsches Plebiszit über die verfassungsrechtliche Struktur Deutschlands Der britische Außenminister Bevin lehnte die sowjetische Empfehlung mit der Bemerkung ab, er sei nicht gewillt, die Sicherheit seines Landes einer Volksabstimmung durch die Deutschen auszusetzen. Er fügte hinzu, es sei ihm gleichgültig, ob die Deutschen Sozialisten, Konservative oder Kommunisten seien, wenn sie sich nur als friedlich erwiesen. Bevin versuchte, durch einen Plan (Bevin-Plan) einender zahllosen Deutschland-Pläne, die Unfähigkeit der Konferenz, sich über Deutschland zu einigen, zu überwinden. Molotow reagierte mit dem Hinweis, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich hätten das Potsdamer Abkommen verletzt — eine stereotype Behauptung, die seit 1945 in den sowjetischen Äußerungen zur Deutschlandpolitik ständig wiederkehrt Auch über die Frage der Reparationen kam es in Moskau zu heftigen Meinungsverschiedenheiten. Sowjetische Forderungen auf Erfüllung der vereinbarten Reparationsleistungen und amerikanische Hinweise auf die Folgen einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Deutschland standen sich unversöhnlich gegenüber. Der von Außenminister Bevin unterstütze Vorschlag des amerikanischen Außenministers Marshall, die deutschen Gebiete ostwärts der Oder und Neiße für Deutschland wirtschaftlich verfügbar zu machen, wurde von Molotow scharf zurückgewiesen. Dieser versicherte mit Nachdruck, der Beschluß der Potsdamer Konferenz über die Westgrenze Polens sei ein endgültiger Beschluß, der keiner Revision unterliege. Der französische Außenminister Bidault versuchte zu vermitteln, indem er bemerkte, das deutsche Grenzproblem müsse in seiner Gesamtheit behandelt und entschieden werden.

Die 4. Sitzung des Rates der Außenminister ging ergebnislos zu Ende. Sie hatte keine Annäherung der Auffassungen erbracht, sondern war zur Demonstration der sich rasch vergrößernden Distanz unter den Besatzungsmächten geworden. Stalin tröstete den deswegen besorgten amerikanischen Außenminister mit der Versicherung: „Es sind ja nur die ersten Geplänkel der Vorhuten." Die Nachrichtenagentur TASS führte in einem Kommentar die Probleme an, über die gegensätzliche Meinungen bestanden: Staatsaufbau Deutschlands, Reparationen, Ostgrenze Das entscheidende Problem der 4. Sitzung des Rates der Außenminister war nicht, wie allgemein behauptet wird, die Reparationsfrage, sondern die Diskussion über den Staatsaufbau Deutschlands; sie stand an erster Stelle. Bei ihrer Durchführung stießen die Meinungen der Besatzungsmächte noch stärker als bei der Frage der Reparationen aufeinander. Während Frankreich, wie sein Memorandum vom 1. Februar 1947 ausweist, einem extremen Föderalismus das Wort redete, befürwortete die Sowjetunion einen extremen Zentralismus.

Die Vereinigten Staaten hielten an der Forderung der Konferenz von Potsdam nach Dezentralisierung der Verwaltung und einem Staatsaufbau von unten aus fest. Modifiziert sprach sich dafür auch Großbritannien aus. Die leidvolle, mehr von Empfindungen und Mißverständnissen als von Einsichten und Erfahrungen bestimmte Alternative Föderalismus oder Unitarismus war damit erneut gestellt.

Sie schlug in Vorbereitung und Verlauf der Münchner Ministerpräsidentenkonferenz vom 6. /7. Juni 1947 durch. Auf die damit gegebene Problematik machte Andre Franois-Poncet — von 1931 bis 1938 französischer Botschafter in Berlin, vom Dezember 1948 an politischer Berater des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland, von 1949 bis 1955 französischer Hoher Kommissar in Deutschland — in seiner Betrachtung „Der Weg von Versailles bis Potsdam" aufmerksam: „Die Alliierten hielten es für richtig, die Frage der künftigen politischen Struktur des Reiches auf unbestimmte Zeit zu vertagen, und für möglich, mit der inneren Einrichtung des Hauses zu beginnen, ehe das Dach vollendet war. Die Einteilung der Räume eines Hauses wird aber auch von der Anlage des Daches bedingt. Deutschlands künftige politische Struktur warf eine Grundfrage auf, die deutsche Frage par excellence, die schon die Verhandlungen der Weimarer Nationalversammlung am längsten aufgehalten hatte: Die Frage, ob Deutschland ein Einheitsstaat, ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sein sollte." Die Auseinandersetzung darüber erreichte auf der 4. Sitzung des Rates der Außenminister in Moskau im Frühjahr 1947 ihren Höhepunkt.

Die während des Zweiten Weltkrieges veröffentlichten Denkschriften, Untersuchungen und Kommentare zur politischen Zukunft Deutschlands bezeichneten die Form des Staatsaufbaus als die entscheidende Frage. Ihre Verfasser waren dabei von der Über-zeugung geleitet, die Machtakkumulation der nationalsozialistischen Herrschaft sei nur aufgrund eines unerträglichen Zentralismus möglich gewesen, weshalb sie sich entweder für eine Dezentralisierung oder für eine Föderalisierung Deutschlands aussprachen; sie erwarteten sowohl von einer Dezentralisierung als auch von einer Föderalisierung Deutschlands eine Verteilung der Verantwortung und — dadurch — eine Beherrschung der Macht. Ein Teil derer, die sich in diesem Sinne äußerten, bedienten sich des Begriffes „Dezentralisierung“, ein anderer Teil wählte die Bezeichnung „Föderalisierung". Das Kommunique der Konferenz von Potsdam gebrauchte nicht die Begriffe „Föderation" und „Föderalisierung", sondern die Bezeichnungen „Dezentralisation“ und „Dezentralisierung". Meinte es damit das Gleiche? Sind, so ist erneut zu fragen, die Begriffe „Dezentralisierung" und „Föderalisierung" identisch? Die Einstellung der vier Besatzungsmächte dazu ist für eine Beantwortung der Frage unergiebig. Jede interpretierte die entsprechenden Bestimmungen des Kommuniques von Potsdam nach ihrer machtpolitischen Zielsetzung. Während 1648, 1814/15 und 1919 die europäischen Flügelmächte Deutschlands das Problem des Staatsaufbaus Deutschlands, in dem sie den Schlüssel zu der von ihnen angestrebten Pazifizierung der Mitte Europas sahen, unter Ausnützung der Rivalitäten der deutschen Fürsten in einem den Deutschen zumutbaren Kompromiß lösten oder, wie 1919, unberücksichtigt ließen, hatten sie nach 1945, nach der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland in eigener Verantwortung darüber zu befinden, wozu sie aber aufgrund ihrer Gegensätzlichkeiten nicht in der Lage waren. Dieser Umstand beweist, daß die Sitzung des Rates der Außenminister in Moskau nicht eine der vertanen Chancen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit, wie Paul Sethe behauptet und wie -— differenziert — Hans-Peter Schwarz analysiert hat sondern eine Demonstration der gegensätzlichen Ansichten der Besatzungsmächte vor allem in der Frage des Staatsaufbaus Deutschlands war. Die vier Mächte bezogen in Moskau die politischen und staatsrechtlichen Positionen, zu denen sie sich ein Jahr später bei der Gestaltung der in ihren Einflußbereichen zu schaffenden Staats-organisationen bekannten. Während die Sowjetunion glaubte, über das Angebot eines Einheitsstaates das deutsche Volk für sich gewinnen zu können, waren die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien der Überzeugung, daß eine entscheidende Veränderung des Staatsaufbaues Deutschlands unerläßlich sei. Widerstrebend und hinhaltend schloß sich Frankreich der amerikanischen und britischen Auffassung an. 2. Neubelebung föderativer Vorstellungen in Deutschland Die Entschlossenheit der westlichen Besatzungsmächte, im Interesse einer Pazifizierung Deutschlands seine Struktur zu dezentralisieren, wurde von Politikern, Wissenschaftlern und Publizisten unterstützt, die der Meinung waren, auch in Deutschland sei die Stunde des Föderalismus gekommen. Die Tatsache, daß die Begünstigung des Föderalismus durch die Besatzungsmächte diesen in den Augen eines Teiles des deutschen Volkes diskreditierte, beirrte sie nicht. Ihre Erwartungen richteten sich auf die nach ihrer Meinung durch die säkulare Katastrophe des Jahres 1945 veranlaßte politische Einsicht, die das Verständnis für den Föderalismus auch bei denen wecken würde, die ihn bisher als einen Zwillingsbruder des Partikularismus oder des Separatismus betrachtet und deshalb abgelehnt hatten. Die Unität und die Zentralisation der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hatten Formen angenommen, die selbst leidenschaftliche Befürworter eines unitaren und zentralen Einheitsstaates in Deutschland beunruhigt hatten. Diese schmerzliche Erfahrung war nach Meinung derer, die in der Verwirklichung des Föderalismus eine Chance für Deutschland sahen, so gravierend, daß sie durch die Begünstigung des Föderalismus durch die Besatzungsmächte nicht beeinträchtigt werden konnte. So richtig diese Auffassung für die ersten Jahre nach 1945 ist, sie gilt nicht für die spätestens mit dem Zusammentritt des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 einsetzende Entwicklung, in deren Verlauf die Auffassung an Boden gewann, der Föderalismus sei der Ausfluß besatzungspolitischer Intentionen und seine Überwindung sei in dem Maße notwendig, in dem die Bundesrepublik Deutschland Selbstverständnis und Selbständigkeit gewinne. Das Schlagwort vom „Besatzungs-Föderalismus" wurde von der Ansicht abgelöst, der Föderalismus sei eine andere Bezeichnung für Partikularismus. Schließlich wurde der Föderalismus erneut in Frage gestellt. Die Wiederbelebung föderativer Vorstellungen in Publizistik und Politik erfolgte, wie nicht anders zu erwarten, durch Personen, die sich bereits vor 1933 zum Föderalismus bekannt hatten.

Da von allen Ländern des Deutschen Reiches, wie sie im Bundesrat des kaiserlichen und im Reichsrat des republikanischen Reiches vertreten waren, 1945 nur Bayern beinahe unverändert übrig geblieben war, wurde es zwangsläufig zum Vorort föderativer Anschauungen und Forderungen, womit jedoch gleichzeitig die latenten Aversionen gegen die Repräsentation des Föderalismus in Deutschland durch Bayern geweckt wurden. Zwar schlossen sich später die Länder der britischen und französischen Besatzungszone den bayerischen Vorstellungen teilweise an, bei Bayern blieb jedoch die Repräsentation des Föderalismus.

Der erste von der amerikanischen Militärregierung eingesetzte Ministerpräsident Bayerns, Fritz Schäffer (CSU), war zu sehr mit Verwaltungs-und Versorgungsaufgaben beschäftigt, um sich grundsätzlich zum Problem des Föderalismus zu äußern. Die an ihn gerichtete Frage eines amerikanischen Offiziers, ob Bayern sich von Deutschland trennen wolle, verneinte er mit großer Entschiedenheit’ Schäffers Verhältnis zum Föderalismus war niemals ideologisch, sondern stets standortbedingt. Der zweite von der Militärregierung eingesetzte Ministerpräsident, Wilhelm Hoegner (SPD), hatte in seiner Schweizer Emigration Grundsätze für den Entwurf einer bayerischen Verfassung ausgearbeitet, der eine Wiederherstellung Bayerns in der verfassungsrechtlichen Struktur vor 1870/71 vorsah. Die von ihm am 26. April 1945 erstellte „Vorläufige Vereinbarung über die künftige staatsrechtliche Stellung des Landes Bayern" begann mit der Feststellung: „Bayern wird ein souveräner Staat mit eigenen Hoheitsrechten, insbesondere mit eigener Justiz-, Polizei-, Unterrichts-, Finanz-und Verkehrsverwaltung." Sie er-klärte: „Bayern ist Glied des Deutschen Bundes", und befürwortete die Eingliederung des Deutschen Bundes in einen Bund europäischer Staaten

Nach der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten nahm Hoegner in Erklärungen, Reden und Aufsätzen ausführlich Stellung zu den Problemen Zentralismus, Föderalismus, Parti-kularismus und zu der Frage einer Stellung Bayerns in einem deutschen Gesamtstaat. Außergewöhnliche Beachtung fand sein am 13. November 1945 in der kurz zuvor lizenzierten „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichter Artikel „Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?". In ihm führte er u, a. aus: „Wenn wir Süddeutschen nicht wollen, daß wieder einmal Millionen von deutschen Staats-sklaven auf den Wink eines einzigen Mannes einschwenken und blindlings bis ans Ende der Welt marschieren, dann müssen wir mit dem Föderalismus ernst machen." Im Anschluß daran versuchte er sich an einer Begriffsbestimmung: „Die föderalistische Staatsauffassung geht von der Erkenntnis aus, daß das deutsche Volk weder der Sprache noch der Art nach eine Einheit bildet, sondern in recht verschiedene Gruppen zerfällt, und daß die mannigfachen deutschen Landschaften ein sehr verschiedenes geschichtliches Schicksal gehabt haben. So war es, um nur ein naheliegendes Beispiel zu nennen, immer bayerische Eigenart, sich gegen Zentralisierungsbestrebungen des Reiches zur Wehr zu setzen. Erst durch das Schutz-und Trutzbündnis mit Preußen, das ein geisteskranker bayerischer König im Jahre 1866 gegen einen hohen Jahressold mit Preußen abschloß, verlor Bayern endgültig seine staatliche Selbständigkeit." Nachdrücklich pries er die Vorzüge des föderativen Prinzips: „Der Föderalismus vermeidet die Nachteile des Unitarismus wie des Separatismus. Er wirkt gerade in Verbindung mit der örtlichen Selbstverwaltung der Vermassung und dem Herdeninstinkt des modernen Menschen entgegen. Er stärkt das Verantwortungsgefühl des Staatsbürgers, indem er ihn schon früh zu reinen Sachentscheidungen aufruft und damit zum selbständigen Denken zwingt." Hoegner schloß, nachdem er noch einmal die bayerische Entwicklung von 1866 bis 1945 skizziert hatte, mit der Versicherung: „Wir wollen Deutsche sein und bleiben, nicht durch den Befehl von Berlin. Vor allem aber wollen wir wieder unsere eigenen Herren im . Gasthaus zum Bayerischen Löwen'sein."

Die Erklärungen Hoegners, die er in Reden wiederholte, variierte und vertiefte und die er durch Ankündigungen von Maßnahmen gegen nichtbayerische Beamte zu verwirklichen suchte, lösten in der noch nicht formierten öffentlichen Meinung Deutschlands einen Sturm der Entrüstung aus, der Hoegners Interpretation des Föderalismus als Wiederkehr bayerischen Separatismus’ definierte. Die Angriffe veranlaßten die Bayerische Staatsregierung, am 24. Dezember 1945 eine Erklärung abzugeben, in der sie unter Hinweis auf entstellende Deutungen von Äußerungen Hoegners über die Zukünfte Gestaltung der Reichsverfassung erklärte: „Es handelt sich bei den kritisierten Darlegungen um das klare und eindeutige Bekenntnis zu einem föderalistischen Reichsaufbau, der bewußt einen mechanistischen, unorganischen Zentralismus und die Wiederkehr des Einheitsstaates mit seinem totalitären Machtanspruch über die Seelen und die Gesinnung aller Staatsbürger verhindern soll. Dieses Programm und diese Äußerungen entsprechen durchaus der Auffassung der gesamten Staatsregierung, und Ministerpräsident Dr. Hoegner hat sich damit nur zum berufenen Wortführer der überwältigenden Mehrheit des bayerischen Volkes gemacht. Seine unmißverständlichen Darlegungen als Forderung einer autonomen Sonderstellung für Bayern oder gar als separatistische Bestrebungen anprangern zu wollen, ist eine billige und wenig würdige Methode, um unbequeme politische Ziele herabzusetzen. Es widerspricht jeder demokratischen Auffassung, einem Staatswesen mit eineinhalbtausendjähriger Geschichte das Recht auf Selbstbestimmung und angemessene Mitgestaltung am künftigen Reichsaufbau zu verweigern. In vollem Einklang mit dem bayerischen Volk erstrebt die bayerische Staatsregierung den Aufbau des künftigen Reiches in einer föderativen Zusammenfassung der aus der Not entstandenen Staaten, um nach den Jahren der Gewaltherrschaft der deutschen Demokratie auf der Grundlage lokaler und staatlicher Selbstverwaltung Raum zur Friedensarbeit zu geben."

Die weitgehend von Wilhelm Hoegner und Hans Nawiasky beeinflußte Bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1947 sah u. a.den Begriff „bayerischer Staatsangehöriger“ vor. Sie bestimmte in Artikel 178: „Bayern wird einem künftigen deutschen demokratischen Bundesstaat beitreten. Er soll auf einem freiwilligen Zusammenschluß der deutschen Ein-301) zelstaaten beruhen, deren staatsrechtliches Eigenleben zu sichern ist."

In seinem Brief an den Präsidenten der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung vom 24. Oktober 1946 führte der stellvertretende amerikanische Militärgouverneur, General Lucius D. Clay, aus: „Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß die Militärregierung mit der Genehmigung der Verfassung in keiner Weise ihre Zustimmung zu einem Separatismus Bayerns oder eines anderen deutschen Staates erteilt. Der Gebrauch des Ausdrucks . bayerischer Staatsbürger'wird daher nur anerkannt, wenn damit ein Staatsangehöriger Bayerns gemeint ist, der damit auch ein Staatsangehöriger Deutschlands ist, wie es durch den Alliierten Kontrollrat verwaltet wird, oder wie es später durch irgendeine deutsche Regierung verwaltet wird. In gleicher Weise muß der Wille, einem zukünftigen deutschen Bundesstaat beizutreten, als eine Anweisung an die Vertreter Bayerns ausgelegt werden, die später an den Beratungen über die zukünftige deutsche Regierung teilnehmen werden, aber nicht als ein Recht, die Teilnahme an irgendeiner Form der deutschen Regierung zu verweigern, ganz gleich, ob sie als Zwischenlösung von den alliierten Behörden oder in Form einer beständigen Regierung vom deutschen Volk in seiner Gesamtheit errichtet wurde."

Der am 21. Dezember 1946 vom Landtag gewählte Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) trat vor allem zwischen 1947 und 1954 mit wegweisenden Reden über den Föderalismus wiederholt an die deutsche Öffentlichkeit. In seiner am 30. August 1947 gehaltenen Rede beschäftigte er sich mit „Föderalismus und Demokratie", wobei er über den deutschen Föderalismus kritisch bemerkte: „Wer im Föderalismus nur ein Abwehrmittel zur Sicherung historisch überkommener partikularer und territorialer Rechte und Eigentümlichkeiten sieht, ist nicht bis zu den Tiefen seiner geistigen Urgründe vorgestoßen. Vielleicht hat man es in der Vergangenheit gerade in Bayern, das sich als Vorort föderalistischer Gesinnung fühlte, versäumt und vernachlässigt, die föderalistische Staats-und Gesellschaftsauffassung als eine im besten Sinne und wesensechte demokratische Staatsauffassung zu entwickeln und ins richtige Licht zu setzen."

In seiner 1948 gehaltenen Rede „Die europä. ische Lage und der deutsche Föderalismus“ bekannte sich Ehard zu einem Zusammenschluß Europas, wobei er die unerläßliche Bedeutung des Föderalismus dafür besonders betonte Gleichzeitig äußerte er sich angesichts der Diskussion über die Westlösung der deutschen i Frage zur Struktur einer westdeutschen Staatsorganisation: „Ein föderatives Vorgehen erfordert eine ausschlaggebende unmittelbare Mitwirkung der Teile, also der Staaten oder der Länder, aus denen der Bund hervorgehen soll. So sind alle Föderativ-Staaten entstanden, und auch ein wirklicher deutscher Bundesstaat kann nicht anders entstehen. Alle anderen Prozeduren verwischen, wie die geschichtliche Erfahrung lehrt, von vorneherein den bundes-mäßigen Charakter des Staatsgebildes und schaffen unbefriedigende Zwitterbildungen voller ständiger innerlicher Reibungen mit der dauernden streiterfüllten Situation eines ständig im Angriff stehenden Unitarismus und eines ewig gekränkten und beleidigten Föderalismus." Seine Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem Föderalismus trug Ehard am 3. Juni 1954 in einer im Rahmen einer Vortragsreihe der Universität München gehaltenen Rede „Die geistigen Grundlagen des Föderalismus" vor

Die wieder zugelassenen oder neubegründeten Parteien sahen sich in zunehmendem Maße herausgefordert, sich zu Fragen des Staatsaufbaues zu äußern, worüber sie in Rivalität mit den Ländern gerieten. Schließlich beschäftigte sich die politische Publizistik eingehend mit den Möglichkeiten des föderativen Prinzips für die Neugestaltung Deutschlands. Eine breite Diskussion, vornehmlich in Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren, warb um Verständnis für den Föderalismus, ohne jedoch neue Erkenntnisse über seine geschichtliche Bedeutung und seine philosophische Voraussetzung zu vermitteln. Länder, Parteien und Publizistik hatten, wie die Entwicklung nach 1949 bewies, ein sehr unterschiedliches Verhältnis zum Föderalismus, da die einen ihn als eine zeit-bedingte Erscheinung ansahen, während andere ihn als die Grundbedingung staatlicher Existenz in Deutschland verstanden. Alle drei an der Diskussion beteiligten Gruppen versuchten, historische Erfahrungen und politische Notwendigkeiten in der von ihnen vertretenen Auffassung des Föderalismus zu verbinden. Die Parteien knüpften dabei, wie Kurt Wedl in der Studie „Der Gedanke des Föderalismus in Programmen politischer Parteien Deutschlands und Österreichs" nachgewiesen hat, ganz oder teilweise an den traditionellen Föderalismus an.

Als erste wieder zugelassene Partei veröffent-

lichte die KPD am 11. Juni 1945 ein Programm, das eine Liquidation der Vergangenheit und eine ökonomisch-gesellschaftliche Neubestimmung der Gegenwart forderte. Nur in Nebensätzen sprach es das Problem des Staatsaufbaues an, so, wenn es in der gegenwärtigen Lage für Deutschland den „Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen Rechten und Freiheiten für das Volk" empfahl, oder die „Übergabe des gesamten Vermögens der Nazibonzen und Kriegsverbrecher in die Hände des Volkes zur Verfügung der kommunalen oder provinzialen Selbstverwaltungsorgane“ forderte Auf dem Parteitag in Hannover am 11. Mai 1946 verkündete die wiederbegründete SPD „Politische Leitsätze", in denen sie sich zur Selbstverwaltung in der Wirtschaft und zu einer „starken und kampfbereiten Demokratie" bekannte. Als Gegenwartsforderungen bezeichnete sie: „Auf dem Gebiet der Staats-und Verwaltungspolitik erstrebt die SPD die Demokratie, die getragen ist von der Mitbestimmung und Mitverantwortung aller Bürger. Sie will eine Republik mit weitgehender Dezentralisierung und Selbstverwaltung.“ Im Anschluß erklärten die „Politischen Leitsätze“ der SPD: „Die deutsche Republik der Zukunft soll sich aufbauen auf Ländern, die nicht in ihrer eigenen Existenz ihren höchsten Zweck sehen, sondern die sich nur als Bausteine einer höheren, nationalen Ordnung betrachten. Der Träger der Staatsgewalt soll das ganze deutsche Volk sein. Keine der heutigen Länder und keine der heutigen Provinzen dürfen sich in ihrer Existenz und in ihrem Umfang als garantiert ansehen. Es gibt keine ausreichende geschichtliche Legitimation gegenüber den Notwendigkeiten der Gegenwart." Die „Politischen Leitsätze" der SPD forderten eine Verwaltungsreform, wobei sie zu bedenken gaben: „Die Verwaltung muß von unten her reformiert werden, und die unteren Träger des kommunalen Zusammenlebens müssen möglichst große Kompetenzen haben. Das Volk, repräsentiert durch seine Parteien, bestimmt die Aufgaben und Ziele der Verwaltung." Auch die Gründer der Christlich-Demokratischen Union forderten sowohl die Wiederherstellung der Selbstverwaltung von Ländern und Gemeinden als auch einen nicht zentralisierten Aufbau des gesamtdeutschen Staates. Die im Juni 1945 veröffentlichten „Kölner Leitsätze", der vorläufige Entwurfeines Programms der Christlich-Demokratischen Union, lehnten den Zentralismus als „undeutsch" ab: „Deutschland gliedert sich in selbständige freie Länder. Ihr Zusammenschluß erfolgt in der Form des freien republikanischen Bundes.“ Anschließend heißt es: „Die überlieferte deutsche Selbstverwaltung der Gemeinden und provinzialen Verbände wird wiederhergestellt. Die Staatsverwaltung ist zu vereinfachen." Der am 26. Juni 1945 von der Gründergruppe der Christlich-Demokratischen Union in Berlin erlassene „Aufruf an das deutsche Volk“ äußerte sich zu der Frage des Staatsaufbaues zurückhaltend, da er vor allem der Liquidation der Vergangenheit und der Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Beachtung schenkte. Uber den Staatsaufbau bemerkte er: „Das öffentliche Leben muß in strenger Sparsamkeit weitgehend auf Selbstverwaltung, freiwilliger und ehrenamtlicher Mitarbeit aufgebaut werden. Die Volksvertretung soll die brüderliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller die Demokratie bejahenden Parteien und aller aufbauwilligen Kräfte verwirklichen." Die im September 1945 fertiggestellte zweite Fassung der „Kölner Leitsätze" artikulierte bereits die Erwartungen über die Struktur eines zukünftigen Gesamtstaates, indem sie programmatisch ausführte: „Die politische Lebensform des deutschen Volkes ist das Reich als Bundesstaat. Die deutsche Einheit ist für uns ein unabänderlicher Grundsatz, sie zu wahren unsere höchste Pflicht." Auch hinsichtlich der Organisation der Gemeinden verdeutlichte das Programm die politischen Erwartungen der CDU: „Die überlieferte deutsche Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände wird wiederhergestellt." Der Ausschuß der Christlich-Demokratischen Union der britischen Zone verabschiedete am 1. März 1946 in Neheim-Hüsten ein Parteiprogramm, das detailliert die Forderungen der neubegründeten interkonfessionellen Partei zusammenfaßte. Auch dieses gab den Bedürfnissen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens den Vorrang und begnügte sich mit der Aufzählung der vordringlichen Aufgaben der ersten Aufbau-periode. über den staatlichen Wiederaufbau erklärte es: „Die Reichseinheit muß gewahrt bleiben. Deutschland muß ein demokratischer und föderativer Staat werden." Leitsätze und Programme anderer regionaler Gründungskreise der Christlich-Demokratischen Union machten gleiche oder ähnliche Ausführungen über die Staatsstruktur eines zukünftigen deutschen Gesamtstaates, ohne diese im einzelnen zu spezifizieren. Es unterblieb eine genaue Bestimmung dessen, was unter Selbstverwaltung und Föderalismus verstanden wurde. Die Ungewißheit der Zukunft Deutschlands begünstigte die Neigung, sich mit allgemeinen Erklärungen zufriedenzugeben, die verschiedene Entwicklungen und Gestaltungen zuließen. Gemeinsam war allen Aussagen das Bekenntnis zur Selbstverwaltung im kommunalen Bereich und zur föderativen Gestaltung des Gesamtstaates. Auch die Ablehnung des Zentralismus war in allen Programmentwürfen und Erklärungen anzutreffen. Mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand von der Doppelkapitulation am 7. bzw. 8/9. Mai 1945 nahmen jedoch die Artikulationen des föderativen Aufbaues eines deutschen Gesamtstaates ab, womit bewiesen wurde, daß zeitbedingte Emotionen die Hinwendung zum föderativen Prinzip veranlaßt hatten.

In Bayern kam es zur Gründung einer eigenen, mit der Christlich-Demokratischen Union organisatorisch nicht verbundenen Partei, der Christlich-Sozialen Union. Trotz ihrer Erweiterung zu einer interkonfessionellen Partei, knüpfte sie personell und ideologisch an die Bayerische Volkspartei an, was vor allem in ihrer erklärten Forderung nach Verwirklichung des föderativen Prinzips beim Wiederaufbau Deutschlands zum Ausdruck kam. In ihrem Grundsatzprogramm von 1946 erklärte die Christlich-Soziale Union: „Wir fordern den föderativen Aufbau Deutschlands auf bundesstaatlicher Grundlage. Wir lehnen jeden Militarismus und Zentralismus ab. Wir treten ein für die Staatspersönlichkeit jedes Bundeslandes. Wir fordern in jedem Bundesland größtmögliche Selbständigkeit der nachgeordneten Verwaltungskörperschaften."

Diese Vorstellungen bestimmten die Christlich-Soziale Union und die von ihr getragene Bayerische Staatsregierung auch zu Initiativen, wie zu der Einberufung der Konferenz der Ministerpräsidenten in München am 6./7. Juni 1947 und zu dem starken Engagement sowohl bei den den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates vorgeschalteten Verfassungsberatungen auf Herrenchiemsee als auch bei den Entscheidungen des Parlamentarischen Rates.

Noch betonter als die Christlich-Soziale Union forderte die 1946 in Bayern gegründete Bayernpartei die Verwirklichung des föderativen Prinzips. Ihre Vorstellungen gerieten weil sie einen selbständigen, lebensfähigen Bayerischen Staat im Rahmen einer deutschen und europäischen Staatengemeinschaft forderten, in den Verdachtkreis von Partikularismus und von Separatismus, zumal ihre Erklärungen eher einen Staatenbund als einen Bundesstaat ansprachen

Die 1945 in Wiederaufnahme und Fortsetzung der Tradition der Deutsch-hannoveranischen Partei gegründete Niedersächsische Landespartei erließ 1946 Richtlinien, in denen sie sich selbst bestimmte und ihre politische Zielsetzung ansprach, über ihre Einstellung zu Deutschland hieß es darin: „Die Niedersächsische Landespartei ist aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen der Überzeugung, daß allein der Föderalismus der Mannigfaltigkeit der deutschen Landschaften und Stämme entspricht und dem Innenleben der einzelnen Länder und Landesteile eine gute Entwicklung sichert. Dementsprechend hat der Aufbau der deutschen Länder auf demokratischer Grundlage zu erfolgen.“ Die Niedersächsische Landespartei, die sich in Deutsche Partei umbenannte, verkündete 1947 „Acht Thesen der Rettung". Die erste lautete: „Deutschland ist ein föderativer Rechtsstaat." Zur Begründung dieser These führte die Deutsche Partei aus: „Im Deutschland der Zukunft bestimmt der Wille des Volkes, dem es durch die Wahl seiner Vertretung im Parlament oder durch Volksentscheide Ausdruck verleiht, über Form und Inhalt des Staates. Dieser Inhalt kann aber nur der ewige Begriff des unteilbaren Rechts sein, der allein die Freiheit des einzelnen von Gewalt, Angst und Elend verbürgt und die Freiheit der Gesellschaft vom Mißbrauch seines Wollens. Die Wiederherstellung dieses Ideals, unter dem die Achtung vor dem Gesetz als dem Ausfluß des ewigen Rechts eine selbstverständliche staatsbürgerliche Tugend ist, wird im einzelnen, den Klassen, Parteien und Ständen das verpflichtende Gefühl der Toleranz erwecken und wachhalten. Eine solche Grundhaltung aber wird jeden Versuch der Terrorisierung Andersdenkender zunichte machen und jedes Streben, wieder auf legalem Wege eine Partei zur alleinherrschenden u erheben, den Staat einem Dogma zu opfern und von einer Zentrale aus das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben des Volkes zu dirigieren. Dem widerstreitet jedoch nicht nur die Vielgestaltigkeit der deutschen Länder und Stämme, sondern auch das höhere Interesse der gesamten Nation. Darum kann der Staat nur ein ewiger Bund der Deutschen sein, der aufgebaut auf starken Ländern als seinen Gliedern und ausgerichtet nach den erhabenen Begriffen des Rechts und der Toleranz für Einigkeit und Einheit Deutschlands ein besserer Garant sein wird, als alle Staats-sdiöpfungen des Machtprinzips."

Die »Programmatischen Richtlinien der Freien Demokratischen Partei“ vom 4. Februar 1946 befürworteten eine Neugestaltung der Staats-struktur: „Das neue Reich soll in organischer Neugliederung als Ganzes einen Staat bilden. Dieser Staat soll auf breitester Grundlage von unten nach oben aufgebaut werden, in freier Selbstverwaltung sollen die Gemeinden, darüber die Kreise, in größerem Bereich die Länder ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln. Die Grenzen dieser Selbständigkeit bestimmt das Reich. Das Reich allein führt und bestimmt die Politik." Da eine Interpretation dieser Vorstellungen nicht gegeben wurde, liegt die Annahme nahe, daß auf Ansichten, die Hugo Preuß 1918/19 in den Vor-entwürfen für eine Reichsverfassung niederlegte, zurückgegriffen wurde. Die organische Neugliederung des Reiches sollte von unten nach oben gehen, die Festsetzung der Selbständigkeit der einzelnen Ebenen dagegen von oben nach unten erfolgen. Soweit diese Forderungen definierbar sind, sprechen sie sich für einen dezentralisierten Einheitsstaat aus, bei dem die Kompetenz ungeschmälert und unangefochten beim Gesamtstaat, beim Reich, liegt.

Die wiederbegründeten oder neu zugelassenen Parteien sprachen sich übereinstimmend für die Erneuerung der Selbstverwaltung aus. Die meisten befürworteten den Aufbau eines zukünftigen deutschen Gesamtstaates von unten nach oben. Die Verwirklichung des föderativen Prinzips befürworteten die CDU (zumindest zum Zeitpunkt ihrer Gründung), die CSU und die Niedersächsische Landespartei, die spätere Deutsche Partei. Für einen in Partikularismus hinüberspielenden Föderalismus sprach sich die Bayernpartei aus, die einem deutschen oder europäischen Staatenbund den Vorzug vor einem totalen oder partiellen deutschen Bundestaat gab. Die SPD ließ die Frage des Staatsaufbaues zunächst offen, da sie Vorentscheidungen der Besatzungsmächte für unerläßlich hielt. Die FDP befürwortete eine organische Gliederung des wiederhergestellten Reiches, betonte jedoch mit Nachdruck, daß die Staatsgewalt ungeschmälert und ungeteilt beim Reich liege, weshalb dieses die Zuständigkeiten von Ländern, Kreisen und Gemeinden festlege. In dieser Haltung der Parteien spiegeln sich die geschichtlichen Erfahrungen mit den Reichsverfassungen vom 16. April 1871 und vom 11. August 1919.

Die Äußerungen der in Gesamtorganisationen bereits bestehenden oder in Zonenorganisationen agierenden Parteien zu der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz 1947 kündeten unüberhörbar Unterschiede in der Beurteilung der föderativen Struktur eines zukünftigen deutschen Total-oder westlichen Partialstaates an. Der im kaiserlichen und im republikanischen Deutschen Reich in Erscheinung getretene Gegensatz zwischen den Parteien und den Ländern bestimmte nach seiner Revitalisierung die Auseinandersetzungen sowohl im Parlamentarischen Rat als auch in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Die Parteien verstanden sich wie zwischen 1871 und 1918 sowie 1919 und 1933 als Treuhänder des Gesamtvolkes, weshalb sie einem Gesamtstaat den Vorzug gaben. Sie betrachteten die Gliedstaaten bzw. Länder als Gegenspieler, denen sie unterstellten, den Gesamtstaat bewußt schwach zu halten. Die Länder konnten die Parteien nicht davon überzeugen, daß sie ihrerseits an einer starken Reichs-bzw. Bundesgewalt in gleicher Weise interessiert waren, jedoch verhindern wollten, daß die Reichs-bzw. Bundesgewalt sie ver-provinzialisiere. Obwohl die Parteien nach 1919 und nach 1945 die bestimmenden Elemente sowohl in der Reichspolitik als auch in der Politik der Länder waren, vermochten sie in sich keine Harmonisierung über ihre Haltung zur Reichs-und Landespolitik herbeizuführen. Sie agierten vor allem in der Bundesrepublik Deutschland auf zwei Ebenen, einer Bundes-und einer Landesebene, wobei die Verständigung zwischen beiden sehr oft große Schwierigkeiten bereitete oder überhaupt nicht erfolgte. Die Frage der Einstellung zum Föderalismus wurde zu einem Problem der Ebene, auf der der jeweilige Politiker auftrat. Als Landespolitiker gab er der Landespolitik den Vorzug, als Bundespolitiker setzte er sich nachdrücklich für die Interessen des Bundes ein.

Entschiedener als die Parteien beschäftigten sich nach dem Zweiten Weltkrieg Publizisten mit dem Problem des Föderalismus vornehm-lieh in Deutschland, wobei sie sowohl an Erklärungen der Mächte der Anti-Hilter-Koali-tion als auch an Forderungen der europäischen Widerstandsbewegungen anknüpften. Die politische „Trümmer-Literatur", die unter dem Eindruck der Katastrophe von 1945 nach den Fernursachen und nach den auslösenden Ursachen fragte, griff den föderativen Gedanken in der Überzeugung auf, seine Anwendung könne dem deutschen Volke einen Weg in die Zukunft weisen und eine gesamtstaatliche Ordnung begründen, die eine Wiederholung einer solchen Katastrophe verhindere. Die Geringschätzung des Föderalismus habe, so wurde versichert, eine Machtballung begünstigt, die die nationalsozialistische Gleichschaltung ermöglichte und den Mißbrauch der Macht zuließ.

Die Empfehlung des Föderalismus als eines therapeutischen Mittels gegen eine in die totale Katastrophe führende Politik stellt eine bis heute virulente psychologische Belastung dar, zumal der geschichtlich nicht widerlegbare Nachweis bisher nicht erstellt wurde, daß eine föderative Struktur des Deutschen Reiches die Frakturen von 1914 und 1933 verhindert hätte. Die Argumentation der Befürworter des Föderalismus blieb im Ideologischen stecken, weshalb ihre Widerlegung den Gegnern des Föderalismus leicht fiel. Die ungenügende Kenntnis der Voraussetzungen und der Möglichkeiten des föderativen Prinzips machte sich dabei bemerkbar. Die zwischen 1945 und 1949 gelieferten publizistischen Beiträge bedürfen trotz ihres zeitbedingten Charakters wenigstens der exemplarischen Erwähnung, weil sie — unterschiedlich intensiv — die erneuerten oder neuentstandenen Vorstellungen über den Föderalismus beeinflußten.

Der am „Institut Universitaire des Hautes tudes Internationales" in Genf lehrende Nationalökonom Wilhelm Röpke veröffentlichte erstmals im Mai 1945 seine politische Analyse „Die deutsche Frage", in der er sich thesenhaft auch mit dem Schicksal des Föderalismus in Deutschland auseinandersetzte In bezug auf den deutschen Geschichtsstrom traf Röpke drei Feststellungen, von denen die erste lautete: „Vom Vertrag von Verdun (843), in dem Deutschland von Frankreich geschieden wurde, bis zum Ende Deutschlands und seiner Verwandlung in Großpreußen (1866) ist eine gesunde, echte und dauerhafte Föderation der deutschen Nationen, auf die sie durch ihre Eigenart und die Geographie Deutschlands an-400) gewiesen sind, nicht gelungen, ebensowenig aber ein Einheitsstaat, dem jene Eigenart aufs schärfste widerspricht.“ Die zweite Feststellung Röpkes betraf die soziale Disharmonie zwischen dem Ganzen und seinen Gliedern, weil • die Kraft der Schichten, die überall sonst ein Gegengewicht gegen Feudalismus und Absolutismus bildeten, gebrochen wurde. In diesem feudal-absolutistischen Raum hatten, bemerkte Röpke in seiner dritten These, bestimmte geistige Einflüsse gewirkt, die den deut. 5 sehen Nationalcharakter entscheidend bestimmt hätten.

In der Begründung dieser drei Grundtatsachen der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands betonte Röpke vor allem den Umstand, daß es in Deutschland immer mißlungen sei, eine gesunde Föderativstruktur zu entwickeln, wofür er das Fehlen eines Gleichgewichtes zwischen der Zentralgewalt und den Gliedern verantwortlich machte. Dieses Gleichgewicht sei notwendig, damit die Zentralgewalt einen mäßigenden Einfluß auf die Glieder, wie auch die Glieder einen mäßigenden Einfluß auf die Zentralgewalt ausübten. Röpke stellte in diesem Zusammenhang fest: „Dieses Gleichgewicht ist also nicht nur dann gestört, wenn die Zentralgewalt das Eigenleben der Glieder erwürgt, sondern auch dann, wenn die Glieder die Zentralgewalt überwuchern." Im Blick auf die deutsche Geschichte sagte er: „Deutschland ist beiden Entartungen nacheinander anheim-gefallen: zuerst jahrhundertelang der Anarchie überwuchernder Glieder und später in Großpreußen der Karikatur eines im Grunde zentralistisch regierten Bundesstaates, wobei die letzte Entartung zum großen Teil als eine Reaktion auf die erste verstanden werden kann. Wenn wir im folgenden die Schwäche der kaiserlichen Zentralgewalt — des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation — als unheilvoll bezeichnen, so verleugnen wir nicht etwa unsere feste Überzeugung, daß der Föderalismus die Voraussetzung eines gesunden Staatslebens ist, sondern wir bekräftigen sie vielmehr. Jeder, der die Anarchie des alten deutschen Reiches — des immane Monstrum, wie Puffendorff es im 17. Jahrhundert genannt hat — verherrlicht, leistet in der Tat der Sache des Föderalismus einen sehr schlechten Dienst, da er eine Karikatur als das Ideal ausgibt.“ Im Anschluß daran vertrat Röpke die Meinung, mancher unfruchtbare Streit würde aus der Welt geschafft, wenn man sich immer vor Augen halten würde, daß nicht zwischen Zentralismus und Partikularismus, sondern zwischen den drei Möglichkeiten des Zentralis mus, Partikularismus und Föderalismus unterschieden werden müsse. Der Föderalist müsse im Namen eines gesunden Gleichgewichtes sowohl den Zentralismus wie den Partikularis-mus verdammen. Partikularismus sei ein Extrem, das durch die von ihm hervorgerufenen Reaktionen leicht zum Gegenteil eines zermalmenden Zentralismus führen könne. Partikularismus mit seiner Enge und Stickluft sei gerade das Unglück von Jahrhunderten der deutschen Geschichte gewesen, nicht zuletzt auch deshalb, weil er schließlich so viele Deutsche, und nicht die schlechtesten, dazu verführte, die Rettung im entgegengesetzten Extrem des Zentralismus zu suchen und so der wahren Föderalismus-Natur Deutschlands Gewalt anzutun. Röpke vertrat die Meinung, in einem bestimmten Sinn könne man sagen, daß die letzte Antwort auf Richelieu und den Westfälischen Frieden Bismarck und Hitler gewesen seien. Im Rahmen einer breiten geschichtskritischen und geschichtsphilosophischen Betrachtung setzte er sich mit der politischen, wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung Deutschlands in der Neuzeit auseinander, wobei er auf die — nach seiner Ansicht entscheidende — Mutation der deutschen Mentalität durch die militärisch-politischen Ereignisse der Jahre 1866 und 1870/71 verwies Bismarck habe den Deutschen und ihrem Denken so sehr seinen Stempel aufgedrückt, daß es schwer sei, die Spuren wieder auszutilgen. Röpke sprach von einem „Bismarckdeutschen", der zu einem Muster der Disziplin geworden sei.

Im Rahmen seiner weiteren Charakterisierung führte er aus: „Zu den verhängnisvollen Kennzeichen des Bismarckdeutschen gehört auch die Vorstellung, wonach sich die Entwicklung der Staaten wie ein dem Fahrplan gehorchender Eisenbahnzug nach einem zugleich zwangsläufigen wie von allen Erleuchteten zu preisenden Gesetz von kleineren zu immer größeren und immer straffer zentralisierten Einheiten bewegt. Das ist . Fortschritt', dem nur Blinde oder Böswillige widerstreben können, zu welchem dann alles Gelichter zu rechnen ist, das man wahllos als . Föderalisten', . Partikularisten', . Separatisten'oder . Reaktionäre'bezeichnet." In der 1948 erschienenen dritten Auflage seiner Betrachtung nahm Röpke zu der Entwicklung in Deutschland zwischen 1945 und 1947 Stellung, wobei er die alliierte Besatzungspolitik angriff, zugleich aber betonte, die furchtbare Frage der Gegenwart sei die erdrückende Allmacht des Staates.

Sozialismus, Kollektivismus, Planwirtschaft und Verstaatlichungen würden eine weitere Aufblähung dieses Leviathan bedeuten, „während Privatbetrieb, Wettbewerb, Bauern, Föderalismus, Selbstverwaltung, freie Genossenschaften und Gewerkschaften die besten Mittel sind, seine Macht zu zersplittern und zu schwächen"

Schwächung der Macht bedeutet bei Wilhelm Röpke Schwächung nicht der vom Gesamtstaat benötigten Macht, sondern der von ihm beanspruchten Machtfülle. Röpke legte großen Wert darauf, den Föderalismus nicht gleichzusetzen mit dem Partikularismus des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Während, wie bereits dargelegt, zahlreiche Historiker und Philosophen das Heilige Römische Reich als föderativ deklarierten und es in die Vorgeschichte der Entwicklung des föderativen Prinzips einordneten, verstand Röpke das erste Reich als einen Extremfall partikularer Kräfte, das dreigestufte Deutsche Reich 1871— 1945 als den entgegengesetzten Extremfall zentralistischer Kräfte. Weder das Heilige Römische Reich deutscher Nation noch das 1871 proklamierte Deutsche Reich verwirklichte die Version des Föderalismus, die Röpke gelten ließ. Die von ihm postulierte Form des Föderalismus hat nach seiner Meinung zum Partikularismus und zum Zentralismus den gleichen Abstand, weil sie das Gleichgewicht zwischen zentrifugalen und zentripetalen Kräften, die in der deutschen Geschichte angelegt sind, darstellt. Röpkes Auffassung vom Föderalismus fand in der Bundesrepublik Deutschland keinen Widerhall, obwohl seine wirtschaftspolitischen Ansichten gelobt und zum Teil sogar verwirklicht wurden.

Intime Kenntnisse der verfassungsrechtlichen Verhältnisse und der politischen Vorstellungen in Deutschland bestimmten den Staatsrechtslehrer Hans Nawiasky im Februar 1946, eine Broschüre der Öffentlichkeit zu übergeben, in der er die Frage stellte: „Kann das deutsche Volk für Demokratie und Weltfrieden gewonnen werden?" Nawiasky beschrieb zunächst eingehend die deutsche Situation, um im Anschluß daran die sich anbietenden Wege in die Zukunft zu untersuchen. Innerhalb des zweiten Teiles seiner Betrachtung erörterte er die staatsrechtlichen Formen einer Lösung des deutschen Problems. Er befürwortete eine staatliche Ordnung, die unter die politische Kategorie des Staatenbundes falle und damit auf die geschichtlichen Gegebenheiten vor 1866 zurückgreife. Mit großer Entschiedenheit sprach er sich gegen eine territoriale Festlegung Deutschlands im gegenwärtigen Zeitpunkt aus, weil Riesenamputationen unausweichlich höchst bedenkliche Folgen nach sich ziehen würden. Einmal trügen sie unvermeidlich den Keim neuer kriegerischer Verwicklungen in sich, zum anderen würden sie die Erreichung des großen Zieles, das deutsche Volk für die Demokratie zu gewinnen, verhindern. Er warnte auch vor einer wirtschaftlichen und sozialen Verelendung des deutschen Volkes, da Menschen, die kaum das Nötigste zum Leben haben und denen die Aussicht fehlt, selbst durch angestrengte Arbeit ihre materielle Lage auf ein erträgliches Niveau zu heben, weder geeignet seien, sich über politische Fragen ein Urteil zu bilden, noch geneigt seien, ihnen ein lebhaftes Interesse entgegenzubringen. Aufgrund seines Wirkens als Hochschullehrer in München sah sich Nawiasky veranlaßt, Ausführungen über die, wie er es formulierte, „bayerische Frage" zu machen, wobei er die Auffassung vertrat, bei der bayerischen Bevölkerung seien in besonders hohem Maße alle Voraussetzungen gegeben, um sie für Weltfrieden und Demokratie zu gewinnen. Selbstverständlich müsse man dem Wunsch nach Wiedergewinnung der bayerischen Staatlichkeit Rechnung tragen, wie es in der von ihm gegebenen Umschreibung der rechtlichen Zukunft Deutschlands als Staatenbund berücksichtigt worden sei

In seinem am 25. Juli 1946 in der Universität Freiburg im Breisgau gehaltenen Vortrag versuchte Oskar Stark, „Wege zur Demokratie in Deutschland“ aufzuzeigen, indem er aus einer Situationsanalyse heraus Notwendigkeiten und Möglichkeiten der deutschen Politik ansprach. Er betonte, bis auf weiteres sei die Ebene der Länder die höchste Region, in der es deutsche Politik, von Deutschen selbst gemacht, geben könne. Diese Tatsache werfe ganz von selbst das Problem des Föderalismus in die Debatte, über ihren Stand bemerkte er: „Das vieldeutige Wort" — Föderalismus — „ist in der letzten Zeit noch mehr abgenutzt worden, als es dies verdient hat.“ Er erinnerte daran, daß die staatsrechtliche Zukunft Deutschlands eine Frage ist, die zunächst allein in den Entscheidungsbereich der Siegermächte gehört. Wenn es wieder einmal etwas wie eine deutsche Regierung geben werde, werde die Verteilung der Gewichte zwischen dem Ganzen und den Gliedern von den Siegern sehr sorgfältig ausgewogen. Stark empfahl, aus der Not eine Tugend zu machen und die Gelegenheiten des Zusammenbruches zu nützen: . Ein wohlverstandenes System der staatsrechtlichen Gliederung, das, ohne Vorherrschaftsbestrebungen einzelner Gebiete, mit ausgewogenen und lebensfähigen Ländern rechnen kann, bietet vielleicht eine singuläre Möglichkeit, einer gewachsenen Demokratie in Deutschland den Boden zu bereiten. Wirkliche Demokratie gedeiht nach aller Erfahrung, wenn man von England und seinen besonderen geschichtlichen Bedingungen absieht, im kleineren Kreis besser als im modernen großen Massenstaat. Schauen wir nach der Schweiz, in die skandinavischen Länder oder in die amerikanischen Bundesrepubliken, — überall sehen wir, daß die räumliche Nähe, die noch Verbindung von Mensch zu Mensch erlaubt, der Demokratie besser bekommt als die kühle, beinahe abstrakte Atmosphäre der großen Einheitsstaaten. Wir können heute in dieser Richtung die Gunst der Stunde wahrnehmen, indem wir uns in den Rahmen der Länder und der kleinen Verwaltungsbereiche und Gebietskörperschaf-ten um Qualität und Intensität des demokratischen Staatslebens bemühen."

In seiner Studie „Universalismus und Föderalismus als Erbe und Aufgabe des christlichen Abendlandes und des deutschen Volkes" erhob Franz Josef Hylander die Forderung nach Bildung wirtschaftlich und stammesgeschichtlieh möglichst homogener Einheiten — eines Süddeutschen Bundes, eines Nordwestdeutschen Bundes, eines Mittel-und Norddeutschen Bundes mit selbständigen Untergliederungen Er begründete die dadurch begünstigte Aufteilung Deutschlands mit der Ansicht: „Nur das föderalistische Prinzip der freiwilligen Bundschaft mit größtmöglicher Selbstverwaltung der Gliedstaaten kann füt das künftige Deutschland Form-und Struktur-prinzip sein. Dieses Aufbauprinzip ist für kleine Territorien, wie die Schweiz, und für große Weltorganisationen, wie das britische Commonwealth, in gleicher Weise anwendbar. Es ist selbst keine Staatsverfassung, verträgt sich aber mit jeder Verfassung, sei es in republikanischer oder in monarchischer Staatsform, wie ein Blick auf England und andere Königreiche zeigt." Im Rahmen seines Versuches, den Föderalismus zu definieren, kam Hylander ZU der Auffassung, der Föderalismus sei endlich „das Prinzip", das die großen Hoffnungen, die durch das Volk gingen, die politisch-stam-mesgeschichtlichen, die konfessionellen und die sozialen Gegensätze überbrücken und der Vielgestaltigkeit des deutschen Lebens am ehesten gerecht werden könne; der Föderalismus kenne nur einen Feind, den undemokratischen Knechtsgeist des Despotismus. Föderalismus und Demokratie seien durch den Freiheitsgedanken miteinander verbunden: Demokratie sei Freiheit von der Willkürherrschaft irgendeiner Gesellschafts-oder Wirtschaftsgruppe, Föderalismus sei Freiheit von Zentralismus und Machtnationalismus. In einer Fußnote artikulierte er diese Bemerkung mit der für das Verständnis des Föderalismus nach dem Zweiten Weltkrieg typischen Feststellung: „Ein föderalistisch gegliedertes Deutschland mit selbständigen Gliedstaaten ist der Möglichkeit, Kriege zu führen, für immer beraubt. Ein zentralistisch regierter Einheitsstaat ist stets eine Gefahr für den Frieden, wie die Weimarer Republik gezeigt hat."

In seiner 1946 erschienenen Betrachtung „Der Föderalismus“ gab der Publizist Walter Ferber einen Überblick über die Grundlagen und Richtungen des modernen Föderalismus Als leitender Redakteur der Monatszeitschrift „Neues Abendland" setzte er sich für die Fortführung der im Deutschen Reich 1933 und in Österreich 1938 gewaltsam unterbrochenen Diskussion über die Funktionsfähigkeit des Föderalismus ein. Da er auch für seine föderalistische Überzeugung viereinhalb Jahre im Konzentrationslager Dachau verbracht hatte, betrachtete er es als eine politische Aufgabe, für den Durchbruch eines allgemeinen Verständnisses des Föderalismus zu werben und zu wirken. Seine Bemühungen hatten nur teilweise Erfolg, da die Hinwendung zum Föderalismus auf die Gruppen und Landschaften beschränkt blieb, in denen föderalistische Traditionen vorhanden waren. Die gerade von ihm erhoffte und betriebene Aussöhnung zwischen dem politischen Selbstverständnis der Deutschen und dem föderativen Prinzip blieb jedoch aus. Die Vertretung föderativer Vorstellungen beschränkte sich nach wie vor auf Gruppierungen und Gebiete, die als traditionell konservativ galten. Ferbers späterer Versuch, in den „Föderalistischen Heften" eine Plattform sowohl für die Revitalisierung als auch für die Artikulation föderativer Vorstellungen zu schaffen, scheiterte, da eine Resonanz der öffentlichen Meinung ausblieb.

Obwohl sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in der politischen Diskussion vor allem Befürworter der Verwirklichung des föderativen Prinzips in Deutschland zu Wort meldeten, äußerten sich vereinzelt aber auch Gegner. Im Dezember 1946, im Zeitpunkt internationaler und nationaler Erörterung einer als Föderalisierung ausgegebenen Dezentralisierung Deutschlands, veröffentliche Alfred Weber in der Monatszeitschrift „Die Wandlung" unter dem Titel „Bürokratie und Freiheit" einen bemerkenswerten Aufsatz, in dem er sich mit der aktuellen Lage des Föderalismus befaßte. Weber gab zu bedenken: „Was für die Politik und die geistige Sphäre heute notwendig ist, ist nicht das Eingesperrt-werden in kleine Räume, sondern umgekehrt ihr Hineinwachsen in die tellurische und globale, das will zugleich heißen die ganze Menschheit umfassende Dimension. Dort, auf höherer Stufenleiter, ist dann wieder Föderalismus für die neuen, größeren Gehalte am Platze. Der Föderalismus auf solcher höheren Stufenleiter ist wahrscheinlich die einzige Rettung Europas. Und das ist auch wiederum nur ein Beispiel. In größerem, ja im globalen Raum hat er heute die denkbar größte Funktion zu erfüllen."

Weber verband diese Achtungsbezeugung vor dem Föderalismus in kontinentalen oder globalen Zusammenschlüssen mit einer Warnung vor dessen Praktizierung und Perfektionierung in Deutschland: „Aber wenn man an die gesamte geistige und politische Sphäre unter dem Gesichtspunkt der Pflege und Erhaltung der Freiheit gegenüber bürokratischer Verkalkung herantritt, mit einer Vorliebe für unbürokratische Kleinformen also, so darf man dabei doch nicht aus dem Auge verlieren, daß die Fragen, die geistiges und politisches Gewicht besitzen, heute nicht mehr in kleinen, sondern in großen, ja sich täglich erweiternden Räumen entschieden werden und auch großgestaltete Erledigung fordern. Sieht man das nicht, gebannt von föderalistischen Visionen, so kann geschehen, was heute in Deutschland geistig und politisch vor sich geht. Die Neu-und Umerziehung der Deutschen ist eine nationale Einheitsaufgabe, vielleicht die größte von allen, die den Deutschen gestellt ist. Sie kann überhaupt nur unter internationalen Aspekten angefaßt und bewältigt werden. Heute aber besteht die Gefahr, daß sie in den Händen kleiner deutscher födera- tiver Regionalgebilde mit beschränktesten Partikular-oder gar Konfessionsinteressen versackt und in ihrem großen weltweiten neuen Schalten spurlos verschwindet. — Man sieht — ich denke — die inneren Grenzen des Föderalismus!"

Im Anschluß daran sprach Weber von einer Affinität zwischen Neo-Liberalismus und Neo-Föderalismus; er bemerkte dazu: . Beim Neo-Föderalismus ist es das organisch gewachsene, anschaulich übersehbare Kleingebilde, das wenig Bürokratie zu brauchen und demokratische Spontanietät von selbst aufzurufen scheint, das ihn — den radikalsten Gegner aller modernen Bürokratisierung — fasziniert und ihm den Blick verstellt. Ein Gebilde, das — nebenbei bemerkt — in dem proletarisierten und von einem Zwangs-Halbnomandentum erfüllten Deutschland ganz besonders außer der Zeit ist. Beim Neo-Liberalismus ist es das romantische übersehen der Tatsache, daß es seit dem 19. Jahrhundert den Kapitalismus, den man nicht dadurch aus der Welt schaffen kann, daß man das Wort . Kapitalismus’ möglichst vermeidet, auch nicht dadurch, daß man seine Symptome, die . Kartelle, Syndikate und Trusts verbieten und die freie Konkurrenz samt ihren Spielregeln überall wieder einführen will, nicht mehr gibt.“ Als einzigen Weg grundlegender Abwehr der von ihm beschworenen und beschriebenen Gefahren sowohl des Neo-Liberalismus als auch des Neo-Föderalismus sah Alfred Weber „eine neue Form des Sozialismus", -dessen Gestalt und Perspektiven er skizzierte

Diese Anschauungen blieben nicht allein. In den Parteien meldeten sich zum gleichen Zeitpunkt, im Winter 1946/47, Stimmen zu Wort, die die Forderung nach Föderalisierung Deutschlands mit großer Entschiedenheit ablehnten. Sowohl Kurt Schumacher als auch Jakob Kaiser befürchtete, daß die bereits etablierten oder in Etablierung begriffenen Länder sich als die Treuhänder des deutschen Volkes ausgäben und ihre Ansichten über den staatlichen Aufbau Deutschlands durchsetzen würden, zumal ihre Vorstellungen mit den Forderungen der westlichen Besatzungsmächte weithin übereinstimmten. In dem Vorschlag, eine Nationalrepräsentanz des deutschen Volkes zu schaffen, war auch der Wunsch bestimmend, dem Establishment der Länder eine vom Gesamtvolk getragene Gegenkraft entgegenzustellen. Die der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz vom 6. /7. Juni 1947 vorausgehende und nachfolgende Diskussion stand im Zeichen dieser Auseinandersetzung, die von beiden Seiten behutsam geführt wurde, um nicht das Mißfallen der einen und den Beifall der anderen Besatzungsmacht herauszufordern Die 1947 erschienenen Veröffentlichungen über den Föderalismus versuchen, die anhaltende Diskussion zu vertiefen, indem sie staatsrechtliche und allgemeine Aufschlüsse über das föderative Prinzip anbieten.

Zur Rechtfertigung seiner 1947 erschienenen Studie „Der Föderalismus. Sein Wesen und seine Geschichte" führte Bodo Dennewitz aus, seine Darstellung des politischen Prinzips des Föderalismus nehme nicht polemisch für oder gegen den Föderalismus Stellung, sie sei die wissenschaftliche Untersuchung eines politischen Begriffs, wobei historische und besonders verfassungsrechtliche Erscheinungen das Material für die wissenschaftliche Erkenntnis lieferten. Er gab im wesentlichen eine Darstellung über die Funktion des Föderalismus in der deutschen Verfassungsgeschichte seit 1815. Unter den „tragenden Kräften des Föderalismus“ verstand er den Stammesföderalis-mus, den dynastischen Föderalismus, den völ-

kerrechts-gemeinschaftlichen Föderalismus, den hegemonialen Föderalismus und den oktroyierten Föderalismus. Er verglich Föderalismus und Unitarismus, Föderalismus und Separatismus, Föderalismus und Partikularismus und versuchte eine Definition der Begriffe Zentralisation und Dezentralisation. Im Anschluß skizzierte er „Die Idee des Föderalismus in der deutschen Verfassungsgeschichte seit dem Jahre 1806"; in seinen Schlußbemer kungen betonte er, sowohl die gegenwärtige staatsrechtliche und völkerrechtliche Lage als auch die bisherige Entwicklung neuen staatlichen Lebens in Deutschland gebe zu einer echt föderalistischen Gestaltung zweifellos und bisher einmalig in der deutschen Geschichte eine große Chance, zumal die einzelnen deutschen Staaten in ungefährer Gleichheit zueinander ständen und die hegemonialen Kräfte nicht mehr entwicklungsmöglich erschienen. In Übereinstimmung mit der Kontroverse zwischen Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Sowjetunion andererseits über die Form des Staatsaufbaus Deutschlands gab er zu bedenken, daß Föderalismus oder Unitarismus in der gegenwärtigen politischen Sprache auch westdemokratisches oder ost-demokratisches Regierungssystem heiße Der Staatsrechtslehrer Hans Peters hatte 1928 eine Studie über „Zentralisation und Dezentralisation. Zugleich ein Beitrag zur Kommunalpolitik im Rahmen der Staats-oder Verwaltungslehre" vorgelegt. 1947 veröffentlichte er eine kleine Betrachtung „Deutscher Föderalismus" in der er einen verfassungsrechtlichen Überblick über die Entwicklung und den Inhalt des Begriffes Föderalismus gab. Seine Darlegungen beschloß er mit der Forderung, für den staatlichen Wiederaufbau Deutschlands die den deutschen Verhältnissen am besten angepaßte Form des Föderalismus, den „deutschen Föderalismus", zu erarbeiten. Dazu müßte sich die deutsche Politik lossagen von allen Unklarheiten, von Schlagwörtern, aber auch von der wahllosen Übernahme veralteter Begriffe; sie müßte die wertvollen Elemente des Föderalismus sich nutzbar machen, seine Nachteile aber vermeiden. Die Frage, ob Bundesstaat oder Einheitsstaat, sollte sie als nebensächlich zurückstellen, dagegen klar betonen, was zum Wesen des künftigen Föderalismus gehöre: „Die in den Ländern als solchen vorhandenen politischen Kräfte sind für die Gesamtstaats-willensbildung zu aktivieren durch Ausgestaltung einer Zweiten Kammer und durch die Wahl des Staatsoberhauptes durch letztere sowie durch bewußten Einbau der Länder mit selbständigen Befugnissen als Gegenwirkung gegen die totalitären Bestrebungen eines auf Allmacht hinzielenden Gesamtstaates. Entscheidend für einen echt föderalistischen Aufbau ist nicht so sehr, wieviele und welche Sachgebiete dem Gesamtstaat, welche den Ländern obliegen, sondern daß — von einzelnen dem Gesamtstaat voll überlassenen Materien abgesehen — dem Gesamtstaat im übrigen nur die Aufstellung von Grundsätzen, diese aber für alle Sachgebiete überlassen wird, während im übrigen die Gesetzgebung sowie die gesamte Exekutive Ländersache bleibt; lediglich einige Gesamtstaatsauftragsangelegenheiten können Vorbehalten bleiben. Diese Gesichtspunkte sind offenbar mit den Mindestforderungen an Föderalismus vereinbar, die von amerikanischer Seite erhoben sind, wie sie wohl auch in den Rahmen der durch Molotow kundgetanen Auffassungen der Sowjetunion passen. Der deutsche Föderalismus setzt die Gewaltenteilung voraus und erkennt sie als demokratisch an. Demgemäß kann nicht nur die gesamte Verwaltung in der Hand der Länderorgane sein, sondern es kann auch für verfassungsrechtliche Streitfragen s--wie für die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ein Staatsgerichtshof bestehen, bei dessen Zusammensetzung der Wille der Länder zu berücksichtigen ist. Finanziell dürfen die Länder nicht Kostgänger des Gesamtstaats sein, noch darf das Umgekehrte der Fall sein. Die Kompetenzkompetenz kann der Gesamtstaat nur mit Zustimmung seines föderalistischen Organs ausüben."

Eine intensive Belebung des Gegensatzes Unitarismus/Zentralismus und Föderalismus brachten die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates 1948/49, die sich mit den Beziehungen zwischen Bund und Ländern, mit der Frage der Vertretung der Länder in der Bundesgewalt und dem Problem des Finanz-ausgleichs zwischen Bund und Ländern beschäftigten. Die zwischen 1919 und 1933 existierende Frontstellung trat erneut in Erscheinung, da die Mehrheit der Parteien im Parlamentarischen Rat die Stärkung der Zentral-gewalt befürwortete, während die Länder sich für eine Verstärkung ihres Einflusses einsetzten, weshalb sie die Bundesgewalt auf die unerläßlich notwendigen Bereiche beschränkt wissen wollten. Die dabei erfolgte Konfrontation, die zwangsläufig mit dem immer wieder aufbrechenden Gegensatz zwischen Unitarismus/Zentralismus und Föderalismus identifiziert wurde, bestimmte nicht nur die Auseinandersetzungen 1948/49, sondern auch die nachfolgenden politischen und verfassungsrechtlichen Diskussionen und Entscheidungen. In dem Maße, in dem die Bundesrepublik Deutschland erstarkte und sich als Kern des deutschen Gesamtstaates verstand, erlahmte das vorübergehend aufgelebte Interesse an ihrer föderativen Struktur.

Am Tage nach der Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, am 24. Mai 1949, veröffentliche Wilhelm Röpke in der „Neuen Zürcher Zeitung" einen Aufsatz „Staatsordnung des Gleichgewichts", in dem er eine zusammenfassende und überzeugende Definition der von ihm vertretenen Vorstellung über den Föderalismus gab, wobei er besonderen Wert darauf legte, die Affinitäten zwischen Föderalismus und Liberalismus freizulegen: „Der Föderalismus zielt auf eine Staatsordnung des Gleichgewichts zwischen den Lebensrechten der engeren und der weiteren geographischen Einheiten, so wie der wohlverstandene Liberalismus sich von dem Gedanken des Gleichgewichts zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft leiten läßt. Föderalismus und Liberalismus sind daher engste geistige Blutsverwandte. Beide sind der nämlichen Sozialphilosophie entsprungen, der Philosophie des Gleichgewichts, der Dezentralisation des Mißtrauens gegenüber der unpersönlichen Kollektivität der natürlichen Stufenfolge von unten nach oben, von der Person und der Familie über die engeren Gemeinschaften zu den weiteren einer Stufenfolge, in der der nächsthöheren Stufe zwar kein geringeres, aber ein nicht mehr subsidiäres Recht zusteht.“

Röpke betonte im Verlauf seiner weiteren Darlegungen, Föderalismus und Liberalismus fühlten sich vereint und herausgefordert vom Kollektivismus in jeder Gestalt, der im Grunde in derselben Weise nur ein anderer Name für Zentralismus sei, so wie Föderalismus und Liberalismus im Grunde andere Namen für Dezentralismus seien, überzeugt von der Übereinstimmung zwischen Föderalismus und Liberalismus stellte er bedauernd fest: „Um so unbegreiflicher ist es, immer wieder Menschen und Parteien, die sich zum Liberalismus bekennen, im Lager der Gegner des Föderalismus zu finden.“ Seine Betrachtungen beschloß er mit einer grundsätzlichen Standortbestimmung des von ihm leidenschaftlich verteidigten föderativen Prinzips: „Wenn der Föderalismus“, so führte er aus, „ein Prinzip des Gleichgewichts ist, durch das die Gesellschaft von den beiden entgegengesetzten Extremen des Zentralismus und des Partikula-rismus bewahrt wird, so stellt sich die Frage, welches im einzelnen die Bedingungen für die echte Erfüllung dieses Ideales sind."

Röpke versicherte, der Grad des Föderalismus, der zwischen beiden Schluchten des Zentralismus und des Partikularismus verlaufe, sei gefährlich schmal; er lasse nur geringe Freiheit in der Abgrenzung der Kompetenz zwischen der Zentrale und den Gliedern zu. Dies sei leichter als der Mißbrauch des Begriffes und die Möglichkeit, „als Föderalismus auszugeben, was im Grunde nur ein schamhaft verhüllter Zentralismus oder Separatismus ist". Wilhelm Röpke machte mit dieser sehr wesentlichen Betrachtung auf Kongruenzen des Föderalismus aufmerksam, die in der Diskussion wenig beachtet werden. Er gab gleichzeitig zu verstehen, daß die Bestimmung des Föderalismus außerordentlich schwierig sei, da er ständig in Gefahr stehe, von den konträren Erscheinungen und Kräften in Anspruch genommen und mißbraucht zu werden

Als wissenschaftlicher Abschluß der zwischen 1945 und 1949 vordergründig geführten Dis-kussion über die Effektivität des föderativen Prinzips für den staatlichen Neuaufbau in Deutschland kann die historisch-politisch Studie „Wesen und Wandel des Föderalismus im modernen Staatsleben" gelten, die Richard Nürnberger 1950 in der „Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag* ver.

öffentlichte Seine ebenso eigenwillige wie bedeutsame Untersuchung beschloß Nürnberger unter bewußter Bezugnahme auf die Feststellung von Kjeilen, der Föderalismus sei das Prinzip der neuen Welt, mit einem fragenden Ausblick: „Eine historisdi-politisehe Betrachtung des Föderalismus im modernen Staatsleben wird schließlich auf die neue große Tatsache des Versuchs einet föderativen Weltorganisation im 20. Jahrhundert gelenkt. Im Zusammenhang der politischen Gesamtlage der Gegenwart ist die beherrschende Generaltendenz zu immer größeren Formen politischer Gemeinschaft unverkennbar. Sie drängt über die Grenzen des souveränen nationalen Machtstaates, wie er den Inhalt der europäischen Staatsbildung in den letzten Jahrhunderten gebildet hat, hinaus zu einer übernationalen Gruppenbildung unter dem Zwang der Selbsterhaltung und zur Steigerung der Widerstandskraft gegenüber dem außenpolitischen Druck feindnachbar licher Machtballungen und Weltreiche. Dieser Integrationsprozeß auf föderativer Basis unter dem Druck der weltpolitischen Gesamt-lage ist mit einer Krise des souveränen Einzel-staates aufs engste verbunden. Die europäischen Großstaaten sind in der planetarischen Situation nach der Katastrophe zweier Weltkriege zusammengeschrumpft, und die Behauptung der Souveränität des Einzel-staates scheint im Verhältnis zu den Super-großmächten zum Anachronismus zu werden Es ist, wie der Vergleich zwischen der englischen und der russischen Weltreichsbildung ergeben hat, nicht zufällig, daß der Plan einer föderativen Weltorganisation aus der westeuropäischen, anglo-amerikanischen und nicht aus der russischen Welt entstanden ist. Im Zusammenhang mit ihm hat sich eine neue politische Methode entwickelt, durch regionale Föderativsysteme die Wetterzonen der Weltpolitik zu entspannen und durch die Bildung von Föderationen die Aussicht für eine aggressive Politik durch die . Kalkulation des Krieges’ zu vermindern. Wie in ihnen die innere Balance zu halten und die Möglichkeit der Gefährdung des Friedens durch die Inter435 essengegensätze der Föderierten selbst zu beheben ist, bleibt eine offene Frage, zu der auch das Problem der Hegemonie in der Föderation selbst gehört. Die Entscheidung zwi-schen Ost und West wird deshalb auch die Entscheidung über die Form politischer Groß-raumgestaltung in der Zukunft bringen, d. h. die Entscheidung über die Bewährung föderativer Gruppenbildung in der weltpolitischen Gesamtlage des 20. Jahrhunderts." 3. Die Entscheidungen der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz 1948

Deprimiert über den Ausgang der 4. Sitzung des Rates der Außenminister in Moskau und bedrängt von den Meldungen über den wirtschaftlichen Verfall Europas, hielt der amerikanische Außenminister George Marshall am 5. Juni 1947 an der Harvard University seine wegweisende Rede über die wirtschaftliche Gesundung Europas, wobei er versicherte, die Überwindung der Stagnation der europäischen Wirtschaft liege in der Wiederherstellung des Vertrauens der europäischen Völker in die wirtschaftliche Zukunft ihrer Länder und Europas. Am gleichen Tage traten die nach München eingeladenen Ministerpräsidenten der vier Besatzungszonen zu ihrer Vorkonferenz zusammen. Zum ersten Male wurde der Versuch unternommen, die Einheit Deutschlands auf höchstmöglicher deutscher Ebene zu manifestieren. Er mißlang, weil die nach München gekommenen Ministerpräsidenten nicht in eigener Verantwortung, sondern weisungsgebunden agierten. Die Deutschen übernahmen den Gegensatz der Besatzungsmächte, indem sie deren Ansichten und Auffassungen akzeptierten und postulierten.

Im Sommer 1947 vollzog sich die wirtschaftliche Teilung Deutschlands und Europas, als die Sowjetunion es ablehnte, sich an dem amerikanischen Wiederaufbauprogramm zu beteiligen und den von ihnen besetzten Ländern und Gebieten untersagte, die angebotene amerikanische Hilfe anzunehmen. Während die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungsmächte sich für die Annahme des amerikanischen Angebots aussprachen, von dem sie sich eine entscheidende Belebung der Wirtschaft ihrer Besatzungszonen erhofften, ließ es die Sowjetische Militäradministration für ihre Besatzungszone unbeantwortet. Wie der am 1. Januar 1834 in Kraft getretene Deutsche Zollverein den deutschen Nationalstaat von 1871 antizipierte, präjudizierte die wirtschaftliche Teilung im Sommer 1947 die politische Teilung.

In einer äußerst gespannten internationalen Atmosphäre trat der Rat der Außenminister am 15. November 1947 in London zu seiner 5. Sitzung zusammen, in der der Gegensatz zwischen Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Sowjetunion andererseits offen zutage trat. Auch wohlgesetzte Reden konnten ihn nicht mehr überbrücken; die Sitzung wurde am 15. Dezember 1947 vorzeitig abgebrochen. Als Ursache nannte der amerikanische Außenminister Marshall in seiner Rundfunkrede den Entschluß der Sowjetunion, „ihre Kontrolle in gar keiner Weise zu lockern, eine Anerkennung ihrer Ansprüche auf Reparationen aus der laufenden Produktion in den Westzonen würde diese Unterdrückung auf das zukünftige wirtschaftliche Leben ganz Deutschlands ausdehnen“ Der sowjetische Außenminister Molotow berichtete am 31. Dezember 1947 über die Ergebnisse der Londoner Beratungen, wobei er mit Nachdruck betonte, die Meinungsverschiedenheiten über Deutschland seien nicht zufälliger Art; sie spiegelten zwei verschiedene Einstellungen zur Lösung des deutschen Problems wider

Während der Sitzung des Rates der Außenminister in London einigten sich die Außenminister der drei Westmächte, so bald als möglich Drei-Mächte-Besprechungen über Deutschland aufzunehmen. Zu Beginn des Jahres 1948 setzten intensive Bemühungen um deren Zustandekommen ein. Der geplanten Konferenz wurden zwei Aufgaben gestellt: eine vorläufige Lösung der deutschen Frage und die Verwirklichung der Einigung Europas. Der britische Außenminister Bevin erklärte in einer groß angelegten Rede im Unterhaus am 22. Januar 1948, die Zeit sei reif für eine Loslösung Westeuropas. Die Sowjetunion glaube, sie könne Westeuropa durch politische Wirren, wirtschaftliches Chaos und revolutionäre Methoden ruinieren und einschüchtern Am 24. Januar 1948 bezeichnete ein Sprecher des französischen Außenministeriums die Teilnahme der Bene-lux-Staaten auf der bevorstehenden Deutschlandkonferenz als notwendig und wünschenswert, jedoch unter der Bedingung, daß sich die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien nicht widersetzten Aus der geplanten Drei-Mächte-Konferenz wurde dadurch eine Sechs-Mächte-Konferenz. Ihre Einberufung war, wie George F. Kennan in seinen Memoiren darlegt, für die Russen ein großer Schock: „Nachdem sie schon den Start des europäischen Wiederaufbauprogramms . . . hatten hinnehmen müssen, war es nur natürlich, daß sie nun alles in ihrer Macht stehende taten, um die bevorstehende Errichtung einer eigenständigen westdeutschen Regierung zu verhindern, die Westmächte zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen und sich ihr Mitspracherecht in allen deutschen Angelegenheiten zu erhalten."

Die Sechs-Mächte-Konferenz in London wurde in zwei Phasen abgewickelt. Die erste Periode dauerte vom 23. Februar bis 5. März, die zweite vom 20. April bis 1. Juni 1948 Sie befaßte sich mit der Gestaltung der politischen Organisation der drei westlichen Besatzungszonen, mit Maßnahmen zur Harmonisierung der Wirtschaftspolitik, mit dem Ruhrproblem, mit der Sicherheitsfrage und mit Änderungen der deutschen Westgrenze.

Soweit bisher bekannt wurde — weder amtliche Publikationen noch Memoiren von Konferenzteilnehmern liegen vor —, trafen bei der Erörterung der politischen Zusammenfassung der westlichen Besatzungszonen Deutschlands die Meinungen der drei Westmächte über die Verfassungsstruktur des zu schaffenden Staates aufeinander. Die französische Regierung wünschte die politische Struktur Deutschlands über die einzelnen Länder aufzubauen. Bundesorgane sollten nur eingeschränkte Zuständigkeiten auf den Gebieten der äußeren Politik, der Wirtschaft, der Finanzen, der Ernährung, des Verkehrs-und Post-wesens und der Landwirtschaft haben. Die Führung der auswärtigen Angelegenheiten durch den Gesamtstaat sollte den Ländern nicht das Recht nehmen, diplomatische Vertreter mit auswärtigen Mächten auszutauschen und in internationalen Angelegenheiten, die ihre Interessen berühren, tätig zu werden. Die französischen Vorstellungen über eine weitgehende Dezentralisierung Deutschlands und über den Charakter eines zu errichtenden Staatenbundes schlugen in diesen Ansichten durch. Die englische Regierung gab zu erkennen, daß sie den Zentralorganen die notwen. digen gesetzgebenden und ausführenden Zu-ständigkeiten übertragen wolle. Die Vereinig, ten Staaten von Amerika räumten den Zentralorganen Zuständigkeiten in allen Angelegenheiten ein, in denen gesamtstaatliches Handeln notwendig sei. Die Niederlande, Belgien und Luxemburg entwickelten keine eigenen Vorstellungen.

Die Diskussion zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und Frankreich andererseits begann mit einer Kontroverse über die Struktur des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Die französische Regierung nahm auf amerikanisches und britisches Ersuchen in einem ausführlichen Memorandum vom 24. Januar 1948 dazu Stellung, wobei sie erklärte, daß die Struktur des Vereinigten Wirtschaftsgebietes dem Namen nach föderalistisch, seiner Tendenz nach jedoch zentralistisch sei. Sie versicherte, allein eine Organisation der Zusammenarbeit zwischen den Ländern werde dem Wesen des Föderalismus gerecht Die Administration der Vereinigten Staaten von Amerika und die Regierung Großbritanniens widerlegten Punkt für Punkt dieser Auffassung, wobei sie vor allem betonten, die provisorische Verwaltung solle nicht die Verfassung eines westdeutschen Staates präjudizieren

Diese Meinungsverschiedenheit hielt auch nach Beginn der Beratungen der Londoner Sechs-Mächte-Besprechungen an. Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika vertraten die Ansicht, die Zentralorgane müßten die für ihre Tätigkeit unerläßlichen Zuständigkeiten haben; sie betonten, die französischen Vorschläge versagten den Zentral-organen die erforderlichen Rechte, um mit den drängenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen fertig zu werden. Die Bundesorgane müßten mehr sein als ein „Instrument, quasi-souveräne Staaten zu koordinieren'. Ausreichende Zuständigkeiten der Bundesorgane wären erforderlich, um eine wirksame Teilnahme am Marshall-Plan sicherzustellen. Am Ende der ersten Sitzungsphase der Konferenz standen sich die gegensätzlichen Ansichten ihrer Teilnehmer gegenüber. Frankreich hielt an seiner Weigerung fest, den Bundesorganen die von Amerikanern und Briten geforderten Machtbefugnisse zuzugestehen. In dem am 6. März 1948 veröffentlichen Kommunique wurde als Übereinstimmung festgestellt, eine „föderative Regierungsform, die die Rechte der betreffenden Staaten ausreichend schützt, aber gleichzeitig für eine angemessene neutrale Autorität Sorge trägt", wäre am besten für die „schließliche Wiederherstellung der gegenwärtig fehlenden Einheit Deutschlands geeignet"

Zwischen den beiden Konferenzphasen befaßte sich in Berlin ein Drei-Mächte-Ausschuß mit den politischen Fragen. Er ging dabei so sehr in Einzelheiten, daß es nach Meinung von General Lucius D. Clay schien, als wollte er die Verfassung des westdeutschen Staates selbst schreiben und nicht nur die Grundsätze entwickeln, die einer deutschen Versammlung als Bedingung für die Zustimmung der Alliierten übergeben werden sollte

Bei Wiederbeginn der Sechs-Mächte-Bespre-

chungen in London mußte sich die französische Regierung entscheiden, entweder ihre Zustimmung zu der Fusion der drei Zonen unter weitgehenden Konzessionen an ihre angelsächsischen Partner zu geben, oder es den Amerikanern und Briten zu überlassen, das Modell für die weitere Entwicklung in den drei westlichen Besatzungszonen zu entwerfen. Die französische Regierung, nach dem Auszug der sowjetischen Delegation aus dem Alliierten Kontrollrat am 20. März 1948 davon überzeugt, daß die Teilung Deutschlands Wirklichkeit war, versuchte, sich ihre Zustimmung zu den amerikanischen und britischen Vorstellungen durch einzelne Zugeständnisse honorieren zu lassen. Frankreich mußte notgedrungen seine Ansichten aufgeben.

Die Ergebnisse dieser bisher nur ungenügend bekannten Auseinandersetzungen über die innere Struktur des aus den westlichen Besatzungszonen zu schaffenden Staatswesens fanden ihren Niederschlag in dem am 7. Juni 1948 veröffentlichten Kommunique, in mehreren Sacherklärungen und in den drei Dokumenten, die die Militärgouverneure am 1. Juli 1948 in Frankfurt am Main den Ministerpräsidenten der Länder übergaben Das Dokument Nr. 1 regelte die Zusammensetzung der Verfassunggebenden Versammlung und bestimmte die Grundrisse des von dieser zu beratenden und zu verabschiedenden Staatsgrundgesetzes. Dokument Nr. 2 beauftragte die Ministerpräsidenten, die Grenzen der einzelnen Länder zu überprüfen. Es erteilte eine Ermächtigung zur Neugliederung des Staatsgebietes. Dokument Nr. 3 äußerte sich über die Gestaltung der

Beziehungen zwischen den Regierungen der drei Besatzungsmächte und der Regierung des neu zu errichtenden Staates in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands

Dokument Nr. 1 der „Frankturter Dokumente’ bestimmte, daß die Abgeordneten zu der Verfassunggebenden Versammlung nicht vom Volke, sondern von den Landtagen gewählt würden. Es kann nur vermutet werden, daß hier entweder eine französische Forderung angenommen oder lediglich die Zeitumstände berücksichtigt wurden. Hinsichtlich des Charakters des Staatsgrundgesetzes erklärte das Dokument: „Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Prinzips schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und Garantien der individuellen Freiheiten enthält." Es sah ferner vor, daß die Verfassunggebende Versammlung aufgelöst würde, wenn die von ihr ausgearbeitete Verfassung mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht in Widerspruch stände. Die Ratifizierung der Verfassung sollte durch die beteiligten Länder erfolgen. Die Verfassung sollte in Kraft treten und für alle Länder bindend sein, sobald sie von zwei Drittel der Länder ratifiziert wurde. Ergänzend hieß es dazu: „Jede Abänderung der Verfassung muß künftig von einer gleichen Mehrheit der Länder ratifiziert werden."

Dokument Nr. 1 der „Frankfurter Dokumente’ reflektiert die durch Zugeständnisse an Frankreich modifizierten Ansichten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika über die Verfassungsstruktur eines in den westlichen Besatzungszonen zu errichtenden Staates. Die amerikanische Auffassung wurde dominierend. Großbritannien gab seine Bemühungen, die Reichsverfassung vom 11. August 1919 wenigstens teilweise zu revitalisieren, auf. Frankreich verzichtete auf seine zur politischen Atomisierung tendierenden Absichten einer vollkommenen Dezentralisierung des Gebietes der drei westlichen Besatzungszonen. Ein bundesstaatlicher Föderalismus kündigte sich an, in dem Elemente und Erfahrungen der verfassungsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland zwischen 1871 und 1918 und zwischen 1919 und 1933 und amerikanische Vorstellungen und Überzeugungen über das föderative Prinzip durchschlugen.Wie in dem Kommunique vom 7. Juni vorgesehen, kamen die Militärgouverneure und Ministerpräsidenten der drei Besatzungszonen am 1. Juli in Frankfurt am Main zu einer gemeinsamen Konferenz zusammen, bei der die Militärgouverneure die drei Schriftstücke übergaben. Die Ministerpräsidenten berieten darüber unter Hinzuziehung des Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter vom 8. bis 10. Juli. Ihre Einwände erörterten sie mit den Militärgouverneuren am 20. Juli in Frankfurt am Main. Die Bedenken der Militärgouverneure beschäftigte die Ministerpräsidenten in einer Sitzung am 22. Juli. Am 26. Juli trafen sich die Militärgouverneure und die Ministerpräsidenten zu einer gemeinsamen Schlußbesprechung in Frankfurt am Main. Audi dabei ging es, wie General Clay unwillig in seinen Erinnerungen berichtet, lange und umständlich zu Das Ergebnis war der Entschluß der Ministerpräsidenten, die ihnen durch die „Frankiurter Dokumente“ zugewiesene Ver antwortung zu übernehmen. Es wurde ver einbart, die Körperschaft, die den Verfassuns entwurf ausarbeite, „Parlamentarischer Ra? zu nennen und die von ihr vorzubereitende Verfassungsurkunde nicht als Verfassun sondern als „Grundgesetz“ zu bezeichnen. Die Militärgouverneure sicherten zu, ihren Regie, rungen vorzuschlagen, daß die Ratifizierte des Grundgesetzes nicht durch eine Volksabstimmung, sondern durch die Landtage de Länder erfolgen solle. Die Ministerpräsidentei verpflichteten sich, ihren Landtagen inhalts-gleiche Gesetze über die Errichtung eines Parlamentarischen Rates zuzuleiten und diesen einzuberufen. Am Ende der Konferenz vom 26. Juli stand fest, daß die westlichen Besatzungszonen im Sinne der von den Besatzungsmächten ausgesprochenen verfassungsrechtlichen Empfehlungen in einem Staatswesen integriert werden sollten. 4. Die Empfehlungen des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee Bei der Konferenz in Frankfurt am Main am 26. Juli kamen die Ministerpräsidenten überein, einen Ausschuß von Sachverständigen für Verfassungsfragen, einen Verfassungskonvent, zu berufen. Dieser tagte, einer Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten nachkommend, vom 10. bis 23. August auf Herrenchiemsee Er wählte nach seiner Konstituierung am 10. August den Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Anton Pfeiffer (CSU), zum Vorsitzenden und beauftragte ihn mit der Gesamtleitung. In den geschäftsführenden Vorstand wurden Joseph Schwaiber, Theodor Kordt und Carlo Schmid berufen. Dem Ausschuß wurden zwei Ausarbeitungen bayerischer Sachverständiger vorgelegt: ein «Entwurf eines Grundgesetzes“ und „Bayerische Leitgedanken für die Schaffung eines Grundgesetzes" Die bayerische Vertretung bemerkte dazu ausdrücklich, daß es sich um keine Vorlage der bayerischen Staatsregierung, sondern um eine private Arbeit handle, die bestimmt sei, die Eröffnung des Gedankenaustausches zu erleichtern.

Die am 11. August 1948 begonnene allgemeine Aussprache wurde nach vier geschlossenen Sitzungen mit ungefähr 18 Stunden am 12. August mit der Einsetzung von drei Unteraus

Schüssen beendet. Von diesen befaßte sich der erste mit Grundsatzfragen, der zweite mit Zuständigkeitsfragen auf dem Gebiet der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung insbesondere für Fragen der Finanzverwal tung, der dritte mit Organisationsfragen (Aufbau, Gestaltung und Funktion der Bundes-Organe). Die Vollversammlung legte, bevor diese Unterausschüsse ihre Arbeit aufnab men, allgemein gültige Richtlinien fest. Ii ihnen hieß es: „Der Sachverständigenausschu! hat keinerlei politische Entscheidungen z treffen oder auch nur zu empfehlen. Es sind alle für die Ausarbeitung einer Verfassung wichtigen Fragen zu klären und Lösungsmöglichkeiten auszuarbeiten. Soweit sich ver schiedene Lösungsmöglichkeiten ergeben, sind sie klar einander gegenüberzustellen in Form von Varianten, politische Kompromisse haben hierbei keinen Raum."

Zunächst war offen, in welcher Form die Ergebnisse des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee den Ministerpräsidenten vorgelegt werden sollten; Einmütigkeit bestand darüber, daß diesen eine klar gegliederte Denkschrift zu überreichen sei. Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang Formulierungen für Artikel eines Verfassungsentwurfes vorzubereiten waren oder gar ein vollständiger Entwurf sollte erst in den Beratungei reifen. Die Arbeit der Unterausschüsse begann am 13. August und endete am 23. August. Neben den Sitzungen der Unterausschüsse fanden zahlreiche Beratungen von Referenten-gruppen statt, die unter möglichst weitgehender Arbeitsteilung Einzelfragen in allen Verästelungen behandelten. Während der Beratungen der Unterausschüsse trat der Verfassungskonvent zu zwei Plenarsitzungen zusammen, in denen über den Stand der Ausschußarbeiten berichtet wurde. Nadi Beendigung der Einzelberatungen erfolgte in einer Generaldebatte deren Zusammenfassung.

Die „Denkschrift an die Ministerpräsidenten“ die die Ergebnisse der Verhandlungen des Verfassungskonvents zusammenfaßt, enthält einen darstellenden, einen artikulierenden und einen kommentierenden Teil. Der darstellende Teil gibt eine Inhaltsübersicht über die aufzunehmenden Angelegenheiten, der artikulierende Teil bringt einen Entwurf eines Grundgesetzes, der kommentierende Teil macht dazu Hinweise und Anmerkungen. Die Denkschrift wiederholt mit Nachdruck die bereits von den Ministerpräsidenten gegenüber den Militärgouverneuren erhobene Forderung, daß das vom Parlamentarischen Rat zu beschließende Gesetz nicht „Verfassung", auch nicht „Vorläufige Verfassung", sondern lediglich „Grundgesetz" heißen solle; sie versichert danach: „Daraus muß der Schluß gezogen werden, daß die Ministerpräsidenten mit der Wahl der Bezeichnung . Grundgesetz'zum Ausdruck bringen wollten, daß in dem Gebiet der drei Westzonen zumindest kein Staat in vollem Sinne des Wortes zur Entstehung kommen solle. Anders wäre ihre beharrliche Bemühung um die Wahl anderer Begriffe als der in dem Dokument Nr. 1 vorgesehenen nicht zu verstehen. Das durch das Grundgesetz ins Leben zu rufende Gebilde soll nach dem ausdrücklichen Willen der Ministerpräsidenten ein Provisorium sein, das nur so lange dauern soll, bis die endgültige Konstituierung der Deutschen Bundesrepublik aus freiem Willen des deutschen Volkes erfolgen kann. Aus diesem Charakter einer Notlösung, die lediglich den Übergang zu einer gesamtdeutschen Verfassung vorbereiten und erleichtern soll, ergibt sich, daß das Grundgesetz eine Klausel erhalten muß, wonach es seine Geltung an dem Tag verliert, an dem eine von dem deutschen Volke in freier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft tritt. -Es soll aber weiter ein Provisorium insoweit geschaffen werden, als nach dem Willen aller das Grundgesetz nicht endgültig auf das Gebiet der elf Länder der drei Westzonen beschränkt bleiben soll.

Grundsätzlich soll jeder Teil Deutschlands auf seinen Wunsch aufgenommen werden können; Groß-Berlin aber, dessen Gebiet nach dem Willen der Militärgouverneure vorläufig nicht unmittelbar einbezogen werden soll, soll nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon jetzt eine besondere Berücksichtigung erfahren. Durch das Grundgesetz sollen die deutschen Hoheitsbefugnisse auf dem durch die elf Länder der drei Westzonen umgrenzten Teilgebiet Deutschlands auf föderalistischer Grundlage in einer Zentralgewalt vereinigt und bis zur vollen Autonomie in allen Angelegenheiten ausgeweitet werden."

Der vom Herrenchiemseer Verfassungskonvent erstellte Entwurf eines Grundgesetzes enthielt für einzelne Bestimmungen synoptisch einen Mehrheitsund Minderheitsvorschlag oder Minderheitsvorschläge. Der Mehrheitsvorschlag der Präambel sprach von einer „Bundesrepublik", der Minderheitsvorschlag von einer bundesstaatlichen Gemeinschaft, die die Bezeichnung „Bund deutscher Länder" führen sollte. Hinsichtlich der Aufteilung der Gesetzgebung in eine ausschließliche und eine Vorrang-Gesetzgebung des Bundes verständigten sich die Mitglieder des Verfassungskonvents. Dagegen machten sie getrennte Vorschläge über den Finanzausgleich zwischen dem Gesamtstaat und den Ländern. In bezug auf die Gestaltung der zweiten Kammer gingen die Ansichten auseinander. Die Mehrheit befürwortete einen Bundesrat, die Minderheit einen Senat. Während der Bundesrat als Vertretung der Länder gedacht wurde, sollte der Senat sich aus gewählten Senatoren zusammensetzen; auf 11/2 Millionen Einwohner sollte ein Senator entfallen, jedes Land sollte mindestens einen, höchstens jedoch fünf Senatoren stellen.

Da durch die Errichtung eines Senats die Vertretung der Länder in der Spitzengliederung des Bundes entfiel, stieß dieser Vorschlag auf heftigen Widerspruch der föderalistisch orientierten Länder. Sie waren der Meinung, daß im Falle der Errichtung eines Senats nicht nur die unitarisch angelegte und unitarisch wirksame Volksvertretung, sondern auch der unitarisch organisierte Senat zu einem Bundeszentralismus führe, der die Entfaltungsmöglichkeiten der Länder rasch einenge und beseitige. Die Alternative Bundesrat oder Senat reflektierte die Alternative Föderalismus oder Zentralismus; sie wurde zu einem zentralen Problem der Beratungen des Parlamentarischen Rates. Zu den die Gesetzgebung regelnden Bestimmungen des Entwurfes wurden nicht zwei, sondern drei Varianten erarbeitet, nämlich eine echte Bundesratslösung als erste, eine Senatslösung als zweite und eine abgeschwächte Bundesratslösung als dritte Variante. Die drei Varianten der Gesetzgebungskompetenz brachten zum Ausdruck, daß es Meinungsverschiedenheiten nicht nur zwischen Bundesrats-und Senatslösung, sondern auch innerhalb der Bundesratslösung gab. Der Unterschied zwischen der „echten" und der „abgeschwächten" Bundesratslösung war graduell. Die echte Bundesratslösung sah vor, daß in der Gesetzgebung der Bundesrat dem Bundestag gleichwertig war; nach der echten Bundesratslösung sollte ein Bundesgesetz nur durch übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß beider Häuser, des Bundestages und des Bundesrates, zustande kommen. Die „abgeschwächte“ Bundesratslösung kannte keine qualitätsgleiche Mitwirkung des Bundesrates; sie räumte dem Bundestag ein Ubergewidit ein.

Es ging dabei um ein im Grunde sehr einfaches Problem: um den Einfluß der Länder auf die Gesetzgebung des Bundes. Audi den Vertretern eines entschiedenen Föderalismus war bewußt, daß eine Rückkehr zu der Prä. ponderanz des Bundesrates nach der Bismarck-sehen Reichsverfassung unmöglich war; sie wehrten sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Erneuerung des sich als bedeutungslos erwiesenen Reichsrates nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919. Das Organ der Länder sollte der Vertretung des Volkes weder über-noch unterlegen sein, weshalb die Anhänger einer „echten" Bundesratslösung Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit forderten. Die Vertreter einer „abgeschwächten" Bundesratslösung anerkannten die Präponderanz des Bundestages, der Vertretung des Souveräns der Demokratie, des Volkes.

Fussnoten

Fußnoten

  1. A. Hitler, Mein Kampf, zwei Bde. In einem Bd., 419— 423, Aufl., München 1939, S. 621 ff.

  2. A. H., Politik der Woche, in: Illustrierter Beobachter, 3. Jahrg. (1928), Nr. 25 vom 10. November 1928.

  3. Vgl. R. Morsey, Hitler als braunschweigischer Reqierungsrat, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 8. Jahrg. (1960), S. 419 ff.

  4. M. Domarus (Hrsg.), Hitler. Reden und Proklamationen 1932— 1945, 2 Bde., Bd. I, erster Halbbd., München 1965, S. 195 f.

  5. Brecht, a. a. O., S. 277 ff.

  6. RGBl. 1933, I, 141.

  7. Völkischer Beobachter, 46. Jahrg. (1933), Nr. 245 vom 2. September 1933.

  8. RGBl. 1934, I, S. 81.

  9. Völkischer Beobachter, 47. Jahrg. (1934), Nr. 53 vom 2. Februar 1934.

  10. RGBl. 1934, I, S. 89.

  11. M. Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1969 (dtv-Weltgesdiichte des 20. Jahrhunderts).

  12. Ch. Steding, Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur, Hamburg 1942.

  13. Ebenda, S. 196.

  14. E. Jäckel, Frankreich in Hitlers Europa. Die deutsche Frankreichpolitik im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1966, S. 82.

  15. H. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941— 1942, hrsg. v. P. E. Schramm, A. Hillgruber und M. Vogt, Stuttgart 1963, S. 309 ff.

  16. P. Kluke, Nationalsozialistische Europaideologie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3. Jahrg. (1955), S. 240 ff.

  17. Centre d'action pour la Federation Europeenne (Hrsg.), L'Europe de damain. Documents pour ser-vin a l’etude du Probleme de la Federation Europeenne, Neuchtel 1945, S. 204 f.

  18. W. Lipgens (Hrsg.), Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940— 1945, München

  19. Ebenda, S. 183 f.

  20. Ebenda, S. 184.

  21. Ebenda.

  22. Ebenda, S. 196 f., Anmerkung 4.

  23. Ebenda, S. 182, Anmerkung 12.

  24. Ebenda, S. 208, Anmerkung 2.

  25. Ebenda, S. 215 f.

  26. Ebenda, S. 218.

  27. Ebenda, S. 219.

  28. Ebenda, S. 220.

  29. Ebenda, S. 223 f.

  30. Ebenda, S. 234.

  31. Ebenda.

  32. Ebenda, S. 235.

  33. Ebenda, S. 245 f.

  34. Ebenda, S. 250.

  35. Ebenda, S. 267.

  36. Ebenda, S. 287.

  37. Ebenda, S. 291.

  38. Ebenda, S. 304 ff.

  39. Ebenda, S. 50.

  40. Ebenda, S. 52.

  41. Ebenda, S. 53.

  42. Ebenda, S. 55 ff.

  43. Ebenda, S. 57.

  44. Ebenda, S. 63.

  45. Ebenda, S. 65.

  46. Ebenda, S. 67.

  47. Ebenda, S. 70 ff.

  48. Ebenda, S. 76 f.

  49. Ebenda, S. 80.

  50. Ebenda, S. 85.

  51. Ebenda, S. 86.

  52. Ebenda, S. 87.

  53. Ebenda, S. 88.

  54. Ebenda, S. 90 ff.

  55. Ebenda, S. 319 ff.

  56. Ebenda, S. 322 ff.

  57. H. C. Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg. Der Widerstand in den Jahren 1939— 1940, S. 318.

  58. G. F. Kennan, Memoiren eines Diplomaten. Me-moirs 1925— 1950, Stuttgart 1968, S. 127.

  59. Lipgens, a. a. O., S. 111 ff.

  60. Ebenda, S. 117 ff.

  61. Ebenda, S. 123 ff.

  62. Ebenda, S. 125 ff.

  63. Ebenda, S. 130 ff.

  64. Ebenda, S. 138 f.

  65. Ebenda, S. 155 ff.

  66. Ebenda, S. 162 f.

  67. Ebenda, S. 164.

  68. The Problem of Germar . A interim report by a Chatam House Study Group, London 1943; deutsche Ausgabe: Das Problem Deutschland. Bericht einer Studiengruppe des Chatam House, hrsg. v. Royal Institute of International Affairs, London, Zürich und New York 1945.

  69. Das Problem Deutschland, a. a. O., S. 51 f.

  70. P. Y. Hammond, Directives for the occupation of Germany: The Washington Controverse, in: H. Stein (Hrsg.), American Civil-Military Decisions. A Book of Case Studies, Alabama 1963, S. 311 ff.

  71. M. Matloff, Strategie Planing for Coalition Warfare 1943— 1944, hrsg. v. Office of the Chief of Military History, Washington 1959.

  72. Morgenthau Diary (Germany), 2 Bde. Prepared by the Subcommittee to investigate the administration of the international Security act and other internal security laws of the Committee on the Judiciary United States Senate, Washington. November 20, 1967.

  73. S. Welles, The Time for Decision, New York 1944; deutsche Ausgabe: Jetzt oder Niel, Stockholm 1944, S. 325 ff.

  74. Foreign Relations of the United States. Diplomatie Papers 1944, Vol. I, Washington 1966, S. 306 ff.

  75. H. Morgenthau jr., Germany is our problem, New York und London 1945.

  76. Deutscher Wortlaut: W. Cornides und H. Volle (Hrsg.), Um den Frieden mit Deutschland. Dokumente zum Problem der deutschen Friedensordnung 1941— 1948 mit einem Bericht über die Londoner Außenminister-Konferenz vom 25. November bis 15. Dezember 1947, Oberursel (Taunus) 1948, S. 58 ff.

  77. E. Deuerlein, Die Präjudizierung der Teilung Deutschlands 1944/45, in: Deutschland Archiv, 2. Jahrg. (1969), S. 353 ff.

  78. Die Konferenzen von Malta und Jalta, deutsche Ausgabe, Düsseldorf o. J., S. 153 ff.

  79. Ebenda, S. 167 ff.

  80. über Entstehung und Verabschiedung vgl. E. Deuerlein, Die amerikanischen Vorformulierungen und Vorentscheidungen für die Konferenz von Potsdam, in: Deutschland Archiv, 3. Jahrg. (1970), S. 377 ff; ders., Die Verabschiedung der Deutschland-Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, in: Deutschland Archiv, 3. Jahrg. (1970), S. 673 ff.

  81. E. Deuerlein, Deklamation oder Ersatzfrieden? Die Konferenz von Potsdam 1945, Stuttgart 1970, S. 184.

  82. Ebenda, S. 185.

  83. E. Deuerlein, Potsdam 1945. Ende und Anfang, Köln 1970, S. 129 ff.

  84. M. Virally, Die internationale Verwaltung Deutschlands vom 8. Mai 1945 bis 24. April 1947, Baden-Baden 1948, S. 149 ff.

  85. Ebenda, S. 152.

  86. Ebenda, S. 152 f.

  87. Ebenda, S. 156.

  88. St. Doernberg, Die Geburt eines neuen Deutschland 1945— 1949. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und die Entstehung der DDR, Berlin 1959.

  89. W. Rudzio, Die Neuordnung des Kommunal-wesens in der Britischen Zone. Zur Demokratisierung und Dezentralisierung der politischen Struktur: eine britische Reform und ihr Ausgang, Stuttgart 1968.

  90. J. Gimbel, The American Occupation of Germany. Politics and the Military, 1945— 1949, Stanford (California) 1968.

  91. E. Deuerlein, Forschungsgrundlage und Forschungsproblematik 1945— 1949, in: Politische Studien, Heft 195 (Januar/Februar 1971: Fragen der zeitgeschichtlichen Forschung 1870— 1970), S. 46 ff.

  92. Deutscher Wortlaut: Europa-Archiv, 9. Jahr (1954), S. 6748.

  93. Deutscher Wortlaut: Europa-Archiv, 9. Jah 1 (1954), S. 6749 f.

  94. Deutscher Wortlaut: Die Neue Zeitung, 2. Jahrg. (1946), Nr. 72 vom 9. September 1946.

  95. House of Commons. Debats, Bd. 427, Sp. 1510 ff.

  96. Deutsches Büro für Friedensfragen (Hrsg.), Erklärungen und Memoranden der alliierten Regierungen zur Deutschlandfrage auf der Konferenz der stellv. Außenminister in London (14. Januar bis 25. Februar 1947) (Maschinenschrift), Stuttgart 1950.

  97. Ebenda, Teil: Niederlande, S. 1 ff.

  98. Den noch nicht veröffentlichten Plan erwähnt A. Franpois-Poncet, Der Weg von Versailles bis Potsdam. Die Geschichte der Jahre 1919 bis 1945, Mainz und Berlin 1964, S. 321.

  99. H, S. Truman, Memoirs, 2 Bde., Garten City 1955/56; deutsche Ausgabe: Memoiren, 2 Bde., Stuttgart 1955/56; Bd. II, S. 114 ff.

  100. E. Deuerlein, Die Einheit Deutschlands, Bd. I: Die Erörterungen und Entscheidungen der Kriegs-und Nachkriegskonferenzen 1941— 1949, Frankfurt am Main 1961, S. 142 ff.

  101. Deutscher Wortlaut: Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. I, Berlin 1957, S. 70 ff.

  102. Deutscher Wortlaut: W. Cornides und H. Volle, a. a, O., S. 97 ff.

  103. E. Deuerlein, Auslegung und Vollzug des Potsdamer Abkommens, in: E. Deuerlein, A F scher, E. Menzel, G. Wettig (Hrsg.), Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970, S. 35 ff.

  104. W. B. Smitn, Meine drei Jahre in Moskau, Hamburg 1950, S. 308.

  105. Deutscher Wortlaut: Europa-Archiv, 2. Jahr (1947), S. 747.

  106. E. Deuerlein, Das erste gesamtdeutsche Gespräch. Zur Beurteilung der Ministerpräsidenten-Konferenz in München 6. /7. Juni 1947, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 23/67 vom 7. Juni 1967.

  107. Francois-Poncet, a. a. O., S. 316.

  108. Deutscher Wortlaut: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland. Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7 ff.

  109. P. Sethe, Zwischen Bonn und Moskau, Frankfurt/Main 1956, S. 12 ff.

  110. H. -P. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeption in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945— 1949, Neuwied und Berlin 1966, S. 119 ff.

  111. L. Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht zwischen Verwaltungstradition und politischen Parteien in Bayern 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 15. Jahrg. (1967), S. 153 ff.

  112. W. Hoegner, Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten, München 1959, S. 184.

  113. Süddeutsche Zeitung, 1. Jahrg. (1945), Nr. 12 vom 13. November 1945.

  114. Süddeutsche Zeitung, 1. Jahrg. (1945), Nr. 24 vom 24. Dezember 1945.

  115. Vgl. dazu W. Hoegner, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, München 1949, S. 33 f.

  116. Deutscher Wortlaut: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Dokumente zum Aufbau des bayerischen Staates, München 1948, S. 66 f.

  117. H. Ehard, Freiheit und Föderalismus, München 1947, S. 20.

  118. H. Ehard, Die europäische Lage und der deutsche Föderalismus, München 1948, S. 25.

  119. H. Ehard, Die geistigen Grundlagen des Föderalismus, Vortrag, gehalten am 3. Juni 1954 im Rahmen einer Vortragsreihe der Universität München, München 1954, Nachdruck 1968.

  120. K. Wedl, Der Gedanke des Föderalismus in Programmen politischer Parteien Deutschlands und Österreichs, München und Wien 1969.

  121. O. K. Flechtheim (Hrsg.), Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, 7 Bde., Berlin 1962 ff; Bd. III, S. 313 ff.

  122. Ebenda, Bd. III, S. 17 ff.

  123. Ebenda, Bd. II, S. 30 ff.

  124. Ebenda, Bd. II. S. 27 ff.

  125. Ebenda, Bd. II, S. 34 ff.

  126. Ebenda, Bd. II, S. 48 ff.

  127. Ebenda, Bd. II, S. 213 ff.

  128. Ebenda, Bd. II, S. 238 f.

  129. Ebenda, Bd. II, S. 375 ff.

  130. Ebenda, Bd. II, S. 377 ff.

  131. Ebenda, Bd. II, S. 272 ff.

  132. W. Röpke, Die deutsche Frage, Erlenbach-Zürich, 1. Aufl. 1945, 3. Aufl. 1948.

  133. Ebenda, S. 163.

  134. Ebenda, S. 162 f.

  135. Ebenda, S. 223.

  136. Ebenda, S. 324.

  137. H. Nawiasky, Kann das deutsche Volk für Demokratie und Weltfrieden gewonnen werden?, Zürich 1946.

  138. Ebenda, S. 87 ff.

  139. O. Stark, Wege zur Demokratie in Deutschland, Freiburg i. Br. 1947, S. 38.

  140. Ebenda, S. 39.

  141. F. J. Hylander, Universalismus und Föderalismus als Erbe und Aufgabe des christlichen Abendlandes, München 1946.

  142. Ebenda, S. 71.

  143. Ebenda, S, 72 ff.

  144. W. Ferber, Der Föderalismus, Augsburg 1946.

  145. Föderalistische Hefte, 1. Jahrg. (1948, September-Dezember); 2. Jahrg. (1949); 3. Jahrg. (1950, Januar-Juni).

  146. Die Wandlung, 1. Jahrg. (1946), S. 1033 ff.

  147. Ebenda, S. 1044.

  148. Ebenda, S. 1045.

  149. Ebenda, S. 1045 f.

  150. Ebenda, S. 1046 f.

  151. Schwarz, a. a. O., S. 333 ff.

  152. B. Dennewitz, Der Föderalismus. Sein Wesen und seine Geschichte, Hamburg 1947.

  153. Ebenda, S. 154 f.

  154. H. Peters, Zentralisation und Dezentralisation. Zugleich ein Beitrag zur Kommunalpolitik im Rahnen der Staats-und Verwaltungslehre, Berlin 1928.

  155. H. Peters, Deutscher Föderalismus, Köln 1947.

  156. Ebenda, S. 89 f.

  157. Neue Zürcher Zeitung, 170. Jahrg. (1949), Nr. 1070 vom 24. Mai 1949.

  158. R. Nürnberger, Wesen und Wandel des Föderalismus im modernen Staatsleben. Eine historisd politische Studie, in: Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Tübingen 1950, S. 429 ff

  159. Ebenda, S. 449 f.

  160. Cornides und Volle, a. a. O., S. 43.

  161. Molotow, a. a. O., 585 ff.

  162. House of Commons. Debates, Bd. 446, S. 383 ff.

  163. Le Monde, 25. Januar 1948.

  164. Kennan, a. a. O., S. 419.

  165. Eine wissenschaftliche Darstellung fehlt. Vgl. S. Rothstein, Die Londoner Sechsmächtekonferenz 1948 und ihre Bedeutung für die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, jur. Diss., Freiburg i. Brg. 1968.

  166. Ebenda, S, 11 ff.

  167. Ebenda, S. 16.

  168. Ebenda, S. 18.

  169. Deutscher Wortlaut: Europa-Archiv, 3. Jahr (1948), S. 1349.

  170. L. D. Clay, Decision in Germany, London 1950; deutsche Ausgabe: Entscheidung in Deutschland, Frankfurt am Main 1950, S. 437.

  171. Ebenda, S. 450.

  172. Deutscher Wortlaut: Die Neue Zeitung, 4. Jahrg. (1948), Nr. 53 vom 4. Juli 1948.

  173. Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen (Hrsg.), Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 25. August 1948.

  174. Ebenda, S. 4.

  175. Clay, a. a. O., S. 450.

  176. Ebenda, S. 10 ff.

  177. Ebenda, S. 17.

Weitere Inhalte

Ernst Deuerlein, Dr. phil., o. Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität München; geb. am 9. September 1918. Veröffentlichungen u. a.: Der Buhdesratsausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten, 1955; Die Einheit Deutschlands, Bd. I 19612; Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8. /9. November 1923, 1962; Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 bis 1955, 19702; DDR, 19713; Der Aufstieg der NSDAP 1919 bis 1933 in Augenzeugenberichten, 19692; Die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 in Augenzeugenberichten, 1970; Deklamation oder Ersatzfrieden? Die Konferenz von Potsdam 1945, 19712; zusammen mit Th. Schieder hrsg.: Reichsgründung 1870/71. Tatsachen, Kontroversen, Interpretationen, 1970.