Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Frage nach der Existenz eines neuen Militarismus.
Werden infolge der ständig wachsenden Rüstungen in allen Teilen der Welt die politische Struktur und der politische Entscheidungsprozeß in den militärisch hochgerüsteten Staaten nicht zwangsläufig immer mehr von militärischen Kategorien bestimmt? Waffentechnische und strategische Entwicklungen erfordern heute bereits im Frieden die nahezu vollständige Präsenz der Streitkräfte. Die Mobilmachung im Sinne einer schlagartigen Umstellung vom Friedens-auf den Kriegszustand gibt es für den militärischen Apparat nicht mehr. Das heißt: kampfbereite Streitkräfte mit hohem Abschreckungswert müssen im Frieden in Staat und Gesellschaft integriert werden
Einsatzbereitschaft im Rahmen des Abschrek-kungssystems erfordert für die militärischen Apparate Personal und Material, deren Qualität über ihrem guantitativen Anteil am Gesamtpotential liegt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren die Armeen zu 80 Prozent mit Gütern aus der Friedensproduktion ausgerüstet; bis heute hat sich dieser Anteil auf rund 10 Prozent verrringert
Einleitung
zu einer Durchdringung des gesamten ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Bereichs eines Landes führt und dadurch ein Interessengeflecht entstehen läßt, das unter anderem auf Beibehaltung oder sogar Ausweitung der Rüstung zielt.
Diese Interessen könnten sich zu einem unkontrollierten Machtkomplex formieren — mit der Tendenz, auch dann aufzurüsten, wenn dazu keine außenpolitische Notwendigkeit besteht. Ein derartiger militärischer, industrieller, wissenschaftlicher und politischer Komplex wäre sowohl innen-als auch außen-politisch wirksam. Je nach seinem Volumen müßte sich der Schwerpunkt der innenpolitischen staatlichen Aktivität mehr oder weniger auf militärisch relevante Aufgaben verlagern, und die Außenpolitik würde von der Militärpolitik verdrängt werden. Es wäre ein Militarismus entstanden, der sich von der traditionellen Erscheinungsform
Helga Haftendorn Militärhilfe als Problem deutscher Außenpolitik ...................................... S. 37
Die politische Kontrolle über das Militär wird nicht zwangsläufig aufgehoben; zwar tritt eine Verschiebung der Gewichte innerhalb des politischen Systems zugunsten des Militärs ein, aber nicht dadurch, daß die Armee ihre instrumentale Rolle aufgäbe, sondern dadurch, daß militärische und nichtmilitärische gesellschaftliche Interessen weitgehend kongruent werden. Kennzeichen des neuen Militarismus ist nicht die Vorherrschaft traditioneller militä-rischer Formen im staatlichen und gesellschaftlichen Leben. Die militärischen Attitüden werden immer stärker von der Technik geprägt und damit den zivilen ähnlich. Es besteht kein prinzipieller Gegensatz zwischen politischer und militärischer Führung. Der Spielraum der politischen Entscheidungsträger wird durch militärische Notwendigkeiten, die gleichzeitig eine systemerhaltende Funktion haben, stark eingeengt. So stellt sich „die Frage nach dem rechten Verhältnis von Staatskunst und Kriegstechnik" (G. Ritter) in neuer Weise: Kann heute ein Staat mit einer großen Rüstung überhaupt eine friedliche Politik betreiben? Bei dem skizzierten — hypothetischen — Phänomen handelt es sich nicht um den reaktionären oder den demokratischen, sondern um einen technologischen Militarismus. Nicht in einer kampfbetonten, kriegerischen Geisteshaltung, sondern in den modernen militärischen Apparaten und im Mechanismus des Wettrüstens liegen seine Primärursachen, Um diese Hypothese zu verifizieren oder zu falsifizieren, bieten sich die beiden hochgerüsteten Weltmächte USA und Sowjetunion an. Wir wählen die Vereinigten Staaten von Amerika, und zwar deshalb, weil dort das empirische Material relativ leicht zugänglich ist und seit Anfang 1969 in Wissenschaft und Öffentlichkeit eine Diskussion über den „mili-tary industrial complex" stattfindet.
Zahlreiche Indizien lassen in der Sowjetunion eine der amerikanischen Entwicklung vergleichbare Konstellation vermuten. Die hohen militärischen Ausgaben, die Militarisierung der Außenpolitik — selbst gegenüber anderen sozialistischen Staaten — könnten Symptome eines Militarismus sein, der ohne formale Machtübernahme und ohne adäquate Repräsentation der militärischen Elite in den Partei-und Staatsorganen die Politik und Gesellschaft der Sowjetunion nachhaltig bestimmt.
Im folgenden wird versucht, die Elemente und die Struktur des als System begriffenen militärisch-industriellen Komplexes anhand der zahlreichen Darstellungen des military industrial complex in den USA zu skizzieren. Es soll ein Bezugssystem oder Modell entwickelt werden, das bei der Überprüfung der Hypothese von einem neuen Militarismus, hier für die Bundesrepublik Deutschland, hilfreich sein kann
I. Der militärisch-industrielle Komplex in den USA
Tabelle
Tabelle
1. Finanzielle Aufwendungen Im Jahre 1970 wurden in allen Ländern der Erde mindestens 200 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben. Davon entfallen auf die Vereinigten Staaten von Amerika rund 35 Prozent. Der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttosozialprodukt der USA schwankte in den letzten Jahren zwischen 10 und 7, 5 Prozent und ist damit höher als in allen vergleichbaren Staaten
Noch deutlicher wird die Situation, wenn man den Rüstungsanteil am Umsatz der einzelnen Firmen untersucht. So beträgt der Anteil bei der Lockheed Aircraft Corporation, die 1969 einen Umsatz von 2 Milliarden Dollar erzielte und fast 100 000 Menschen beschäftigte, 85 Prozent
Der Arbeitsplatz von rund 10 Prozent aller Beschäftigten der USA liegt im Bereich der Rüstungsindustrie 15). Daher bemühen sich Gewerkschaften, Abgeordnete, Gouverneure, Bürgermeister und Kirchen stets um staatliche Anschlußaufträge, wobei sich jeder gegen den Vorwurf seiner Rivalen zu wappnen sucht, nicht genügend für die Erhaltung der Arbeitsplätze getan zu haben. 4. Militärforschung Nach Angaben von „Time Magazin" sind 21 Prozent aller amerikanischen Spezialarbeiter und
Die Industrie gab 1966 für Forschung und Entwicklung über 15 Milliarden Dollar aus, wovon der Staat über die Hälfte finanzierte
Die amerikanischen Universitäten waren bis zum Zweiten Weltkrieg vom Staat weitgehend unabhängig. Infolge ihrer Stiftungsvermögen waren vor allem die großen Universitäten nicht auf Kontraktforschung angewiesen. Eine Änderung trat mit dem Projekt Manhattan für den Bau der ersten Atombombe ein, als die Regierung in großem Umfang als Wissenschaftsunternehmer auftrat. Heute benötigen viele akademische Institutionen zur Erfüllung ihrer nichtmilitärischen Aufgaben die Mittel aus dem Verteidigungsministerium. Das MIT (Massachusetts Institute of Technology) wird zur Hälfte und die John Hopkins University zu drei Vierteln aus dem Verteidigungsetat finanziert
Neben der Industrie und den Universitäten arbeiten rund 350 non-profit-Organisationen für das Verteidigungsministerium. RAND, 1946 von der Luftwaffe gegründet, MITRE und System Development sind die bekanntesten dieser nominell unabhängigen und nicht gewerbsmäßigen Unternehmen. Die teilweise hochqualifizierten Wissenschaftler dieser Institutionen erhalten Bezüge, die im öffentlichen Dienst nicht gezahlt werden können. Durch diese „non-profit think-tanks" werden qualifizierte Wissenschaftler in der Militärforschung eingesetzt, die sonst aus finanziellen und psychologischen Gründen nicht für das Militär arbeiten würden. Uber die Forschungsergebnisse verfügt allein das Verteidigungsministerium
In den regierungseigenen Laboratorien arbeiten bei einem Kostenaufwand von zwei Milliarden Dollar ungefähr 100 000 Zivilisten und 50 000 Soldaten
Nicht nur dort, wo es galt, den Militarismus in den besiegten Ländern auszurotten, verdrängten die Militärs die Diplomaten und Politiker, sondern auch bei der Aufteilung des westpazifischen Raumes und bei der Festlegung der Bedingungen des Friedensvertrages mit Japan bestimmten die Generale
Mehr noch als sein Vorgänger Roosevelt schenkte Präsident Truman den Militärs Vertrauen. Admiral Leahy wurde persönlicher Stabschef des Präsidenten und General Marshall mehrmals Außen-und Verteidigungsminister. Der große Wahlsieg Eisenhowers im November 1952 ist ohne das große Prestige der amerikanischen Generalität nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zu erklären. Daß ein Berufssoldat fast ein Jahrzehnt dieses wichtige Amt bekleidete, begünstigte die Ambitionen vieler Generale, sich für Bereiche der Politik zu fühlen, die nach der Verfassung Aufgabe der Politiker sind. Redefeldzüge von Militärs haben unter der Regierung Kennedy wiederholt zu Spannungen zwischen den Generalen und der politischen Führung beigetragen. Der Einfluß des Militärs auf den außenpolitischen Entscheidungsprozeß 24) ist eine Funktion der bedeutenden Rolle, die die Streitkräfte bei der Sicherung der US-amerikanischen Interessen in fast allen Teilen der Welt spielen. Die Unterstützung der von kommunistischen Revolutionen bedrohten Regierungen durch die USA wird bis heute primär als eine militärische Aufgabe verstanden. Außerdem hat das amerikanische Militär infolge der US-Hegemonie in den westlichen Militärpakten, durch die umfangreichen Ausbildungsprogramme für ausländische Soldaten
Der große Einfluß des Militärs im auswärtigen Bereich wirkte positiv auf seine innenpolitische Stellung, deren reale Basis die wirtschaftliche Bedeutung der Streitkräfte ist. Während des Zweiten Weltkrieges entstand als Folge der hohen Produktionsziele ein enger Kontakt zur Wirtschaft, der nicht von der politischen Führung kontrolliert, sondern zwischen Generalen und Wirtschaftsführern direkt hergestellt wurde. Die aus der gemeinsamen Organisation der Kriegswirtschaft erwachsene Interessengemeinschaft und die persönlichen Verbindungen blieben auch über das Kriegsende hinaus bestehen und verstärkten sich noch, als im Verlauf des Kalten Krieges immer aufwendigere Waffensysteme entwickelt und gebaut wurden.
Es ist für qualifizierte hohe Offiziere nicht schwierig, bei den Rüstungsfirmen, mit denen sie während ihrer Dienstzeit in Kontakt standen, nach ihrer Entlassung eine zweite Karriere zu beginnen. Dabei finden sie nicht nur in Repräsentationsund Beraterfunktionen Verwendung, sondern steigen bis in das Top-Management auf. Sie profitieren auch in ihrer zivilen Aufgabe von der soliden militärischen Ausbildung; denn weder die Industrie noch die zivile Verwaltung verfügt über ein derart " ausgezeichnetes und ausgefeiltes Schulungssystem" wie die Armee
Von den 400 000 Offizieren der US-Streitkräfte sind mehr als die Hälfte jüngere Reserveoffiziere, die nach ihrer Dienstzeit häufig in die zahlreichen militärischen Vereinigungen eintreten. Neben den großen Organisationen für die Teilstreitkräfte
Ein wichtiges Organ im staatlichen Sektor ist der CIA (Central Intelligence Agency). Mit einem tatsächlichen Jahresetat von etwa 1, 5 Milliarden Dollar ist der CIA nicht nur der größte Geheimdienst der (westlichen) Welt, sondern auch eine der größten amerikanischen Behörden. Der „Vater des CIA" war General Walter Bedell Smith, von 1946 bis 1949 Botschafter in Moskau und später kurze Zeit stellvertretender Außenminister. Er leitete nach einem Admiral von 1950 bis 1953 den Geheimdienst und gab ihm ein militärisches Gepräge. Bis heute ist der CIA trotz seiner späteren zivilen Leiter eng mit dem militärischen Establishment verbunden; das ergibt sich schon aus teilweise rein militärischen Aktionen 31). Zusammen mit den Geheimdiensten der Teilstreitkräfte und dem CIC (Counter Intelligence Corps) bildet der CIA bei seinem schwer kontrollierbaren Eigenleben eine kaum zu überschätzende Macht in der institutionellen und interessenbezogenen Nähe des Militärs
Parlament Nach der Verfassung (Abschnitt 8) hat nur der Kongreß das Recht, Armeen aufzustellen und zu unterhalten. Es wäre zu vermuten, daß das Parlament gemäß dieser Verfassungsbestimmung gegenüber den Rüstungsvoranschlägen der Regierung eine kritisch-ablehnende Haltung einnimmt. In der Wirklichkeit liegen die Verhältnisse eher umgekehrt.
Besonders in der Amtszeit von Verteidigungsminister McNamara beschuldigten Organe des Parlaments die politische Führung, die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu gefährden
Zahlreiche Mitglieder des Parlaments gehören einer der zivil-militärischen Vereinigungen an
Der Verteidigungshaushalt wurde im Senat und Abgeordnetenhaus nie gründlich diskutiert. 70-Milliarden-Dollar-Militärbudgets wurden nach einer Stunde oder zehn Minuten verabschiedet
Die Verflechtungen Es sind vier zentrale Elemente des militärisch-industriellen Komplexes in den USA zu erkennen, deren Interessen unter den gegenwärtigen Bedingungen auf Beibehaltung oder Ausdehnung der Rüstung gerichtet sind:
— die Rüstungsindustrie, — die Militärforschungsstätten, — das Militär, — Teile des Kongresses.
Um diese zentralen Elemente gruppieren sich zahlreiche weitere Elemente (Geheimdienste, Soldatenverbände, Behörden etc.), die alle durch ein dichtes Interaktionsnetz verbunden sind. Darüber hinaus ist die Verbindung durch Personalunion, Funktionswechsel, institutioneile Verklammerungen und Abhängigkeiten häufig so intensiv, daß die Darstellung einzelner Elemente nur analytisch zu rechtfertigen ist. In der Realität sind sie häufig so sehr ineinander verschränkt, daß beispielsweise eine Untersuchung mit Hilfe des Instrumentariums des Entscheidungsansatzes unmöglich wird
Markantes Beispiel für eine Interessenverflechtung ist der stellvertretende Verteidigungsminister der USA, David Packard. Er besitzt 30 Prozent des Kapitals der Elektronikfirma Hewlett-Packard Company, eines großen Zulieferers der Rüstungsund Raumfahrt-Industrie. Außerdem war er bis zu seinem Amtsantritt Mitglied der Aufsichtsräte von US-Steel, General Dynamics und der Chase Manhattan Bank; sein Vermögen wird auf 1, 2 Milliarden DM geschätzt 40). Während die früheren Verteidigungsminister Wilson und McNamara ihren Aktienbesitz beim Übertritt vom Industriemanagement in den Staatsdienst verkaufen mußten, durfte David Packard seine Anteile für die Dauer seines Staatsdienstes einem von ihm selbst gewählten Treuhänder übergeben
Audi die Präsidenten der Vereinigten Staaten standen in dem Verdacht, mit Interessen der Rüstungsindustrie liiert zu sein. Mag Kennedy bei der Propagierung einer — nicht existenten — Raketenlücke noch Opfer einer Fehlinformation gewesen sein
Einen erheblichen Beitrag zur personellen Verflechtung industrieller und militärischer Interessen leisten diejenigen Offiziere, die nach ihrer Tätigkeit in der Armee für die Rüstungsindustrie arbeiten. Bei den 95 größten Vertragspartnern des Verteidigungsministeriums sind 2072 ehemalige hohe Offiziere mit Jahresbezügen bis zu 360 000 DM engagiert
Wichtige Clearingstelle des militärisch-industriellen Komplexes ist die eigentliche Rüstungslobby in den Washingtoner Büros der National Security Industrial Association, der Veteranen-und Reservistenverbände und Nationalgarde und in den Anwaltsbüros.
Auch die Streitkräfte selbst Unterhalten eigene Verbindungsbüros, die besonders den Kongreßmitgliedern mit Informationen und Hilfe-Die 16. 6. 6. «! Vgl. Zeit v-5. und 1969.
/Helmut Wolfgang Kahn, Die Russen kommen ü-V Fehlleistungen unserer Sicherheitspolitik, München 1969, S. 221.
I Einzelheiten dazu bei Janko Musulin, Die «ivi Weltmacht, Wien u. a. 1969, S. 139 f.
sia, 91 Lapp. a. a. O., S. 206. Audi Präsident Nixon sn sich ähnlichen Verdächtigungen ausgesetzt; «ehe Der Spiegel 13/1969, S. 110.
« t Ymond, a-a. °-. S. 264 ff.
bändoh 41 Kenneth Galbraith, Wie man Generale pandigt, Hamburg 1970, S. 22. leistungen zur Seite stehen. Die amerikanischen Streitkräfte betreiben eine intensive public relations-Arbeit. Die Armee verfügt über das größte Rundfunksystem der Welt, produziert Filme und Publikationen in hohen Auflagen und führt Seminare mit großer Breitenwirkung durch
Die Elemente des militärisch-industriellen Komplexes sind also sowohl personell und institutionell als auch ideologisch verflochten und akkumulieren dadurch ihre Interessen zu einer Macht, die die gesamten gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen durchdringt und den politischen Entscheidungsprozeß bisher stärker beeinflußt hat als jede andere Interessenakkumulation. 8. Die Auswirkungen Präsident Eisenhower hat in seiner vielzitierten Abschiedsadresse vom 17. 1. 1961 vor einem militärisch-industriell-wissenschaftlichen Komplex und vor dessen Einfluß auf die politische Moral und die demokratisch-freiheitliche Gesinnung gewarnt. Niemals dürfe zugelassen Werden, daß die Macht dieses Gefüges die Freiheiten und die demokratischen Prozesse gefährdet. In dem Jahrzehnt, das seit Eisenhowers Mahnung vergangen ist, sind folgende Entwicklungen eingetreten bzw.deutlicher sichtbar geworden, die entweder unmittelbar auf die Existenz eines militärisch-industriellen Komplexes zurückzuführen sind oder durch ihn eine besondere Ausprägung und Intensität erhalten haben: a) Am Ende der 60er Jahre stürzten die Vereinigten Staaten in eine tiefe innenpolitische Krise
Die hier dargestellten Auswirkungen des militärisch-industriellen Komplexes in den USA lassen sich nicht mit dem Hinweis auf dessen bisherige militärische Effizienz rechtfertigen. Wenn der Trend zur Militarisierung anhält, ist der Zeitpunkt abzusehen, an dem die Existenz der USA durch die Folgen der eigenen Rüstung stärker bedroht ist als durch die Rüstung ihrer Gegner. 9. Die Ursachen Es fehlt nicht an Versuchen, die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes in den USA monokausal zu deuten. Für die marxistische Schule ist er das Ergebnis einer zwangsläufigen Entwicklung im Spätkapitalismus. Die Herrschaft der Monopole und ihr Bestreben, mit allen Mitteln ihre politische und ökonomische Macht zu erhalten und nach Möglichkeiten auszudehnen, seien die eigentlichen Ursachen. Die Militärs und die Staats-bürokratie sind die hierzu notwendigen Agenten
Unzweifelhaft waren die kommunistischen Machtergreifungen in Osteuropa, die Berliner Blockade und der Angriff in Korea die Initial-zündung für das weltweite Wettrüsten. Die einzelnen Phasen des Wettrüstens können hier nicht dargestellt werden
Bis zum Zweiten Weltkrieg war es relativ einfach, die Kampfkraft der Armeen miteinander zu vergleichen. Heute ist es außerordentlich schwierig, die Wirksamkeit der sowjetischen und amerikanischen Waffensysteme festzustellen. Raketen haben nicht nur verschiedene Reichweiten, sie können mobil, stationär oder „gehärtet", von Land und unter Wasser, konventionell und atomar, mit einem oder mehreren Gefechtsköpfen abgefeuert werden; Atombomben können taktisch oder strategisch eingesetzt und nicht nur durch Raketen, sondern auch durch Flugzeuge und Satelliten ins Ziel gebracht werden.
Die Konsequenz ist, daß jedes neue gegnerische Waffensystem nicht mit dem Aufbau eines gleichwertigen beantwortet werden kann, weil erstens die Wirksamkeit der gegnerischen Waffen nicht bekannt ist und zweitens der Aufbau eines Antisystems wegen der langen Entwicklungszeiten nicht erst in Angriff genommen werden kann, wenn die gegnerischen Systeme und deren Wirksamkeit mit Sicherheit festgestellt worden sind. Die Ungewißheit in bezug auf die Möglichkeiten und Absichten des Gegners sind das wirksamste Stimulans des Rüstungswettlaufs
Bei der Darstellung des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes wurde deutlich, daß dessen besondere Erscheinungsform nicht allein mit den sozusagen objektiven Bedingungen des Wettrüstens und der Technologie zu erklären ist, sondern auch in spezifischen Voraussetzungen begründet sein muß.
Die Vereinigten Staaten hatten ursprünglich eine betont antimilitaristische Tradition. „Stehende Heere sollen in Friedenszeiten als der inneren Freiheit gefährlich nicht unterhalten werden, und das Militär soll unter allen Umständen der Zivilgewalt klar untergeordnet sein und von ihr beherrscht werden", heißt es in der Virginia Bill of Rights von 1776.
Die Furcht vor „dem Mann auf dem Pferderük-ken" hielt das Militär in Friedenszeiten bis 1945 mit wenigen Ausnahmen unter 25 000 Mann. Der Primat der Zivilgewalt war, sofern er angesichts der geringen Zahl der Streitkräfte überhaupt gefährdet werden konnte, durch die Verschmelzung des Militärs mit der Gesellschaft gesichert. Ausdruck dieser Integration war der Funktionswechsel von Politikern und Generalen. Vor 1896 waren von den 51 nominierten Präsidentschaftskandidaten 21 Generale oder ehemalige Generale, acht wurden gewählt
Im Zweiten Weltkrieg wurde aber eine weitere und wichtige Linie der amerikanischen Tradition wirksam. Wenn in der amerikanischen Geschichte die Politiker den Frieden nicht erhalten konnten, dann mußten sie beiseite treten und die Soldaten den Sieg erringen lassen. Die USA konnten bei ihren früheren militärischen Konflikten ungestraft gegen den Clausewitzschen Satz vom Primat der Politik im Kriege verstoßen, da es im nordamerikanischen Raum kein Kräftegleichgewicht aufrechtzuerhalten galt.
Die politische Kontrolle der amerikanischen Generale im Zweiten Weltkrieg war gering. Das amerikanische Kriegsziel wurde im Gegensatz zu dem Englands und Rußlands ent-scheidend von militärischen Kategorien bestimmt
Außerdem ist festzustellen, daß die militaristischen Tendenzen in den Vereinigten Staaten auch eine Folge von „zu wenig Staat" sind. Die traditionelle Zurückhaltung des Staates gegenüber gesellschaftlichen Aufgaben in den USA führte zu einer getarnten Finanzierung unumgänglicher staatlicher Maßnahmen, wie Vollbeschäftigungspolitik, Wissenschaftsförderung und Unterstützung von Notstandsgebieten, über den Verteidigungshaushalt mit den aufgezeigten nachteiligen Folgen.
Abschließend lassen sich drei Faktoren nennen, die zur Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes in den Vereinigten Staaten geführt haben: a) die waffentechnische Entwicklung, b) der internationale Rüstungswettlauf, c) die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in den USA.
Ein militärisch-industrieller Komplex ist also dann vorhanden, wenn das durch die Faktoren Rüstungsqualität und Rüstungsquantität verursachte Gleichgewicht des politischen Systems durch entgegengerichtete nichtmilitän sehe Interessen nicht aufgehoben wird
II. Der militärisch-industrielle Komplex in der Bundesrepublik
Tabelle 2
Tabelle 2
Wegen der absoluten und relativen Disproportion zwischen der US-amerikanischen und westdeutschen Rüstung scheint die Frage nach einem dem military industrial complex vergleichbaren Phänomen in der Bundesrepublik Deutschland a priori negativ beantwortet zu sein. Trotzdem häufen sich in jüngster Zeit Stimmen, die von einem militärisch-industriellen Komplex auch in der Bundesrepublik sprechen oder zumindest vor der Entstehung eines solchen warnen
Der Faktor Rüstungsqualität liegt in der Bundesrepublik nahe dem Höchstwert; denn das Großgerät der Bundeswehr entspricht im großen und ganzen dem technischen Standard der Weltmächte, wobei allerdings die atomare und Großraketen-Komponente fehlt.
Für den Faktor Rüstungsquantität erscheint eine leicht über dem mittleren Wert liegende Zahl gerechtfertigt, wenn man — wie im folgenden dargestellt — die Relation zur Wirtschaftskraft und zum Umfang ausländischer Rüstungen zugrunde legt.
Um festzustellen, welche systemverändernden Folgen die Verteidigungslasten verursacht haben, soll nun anhand des am Beispiel der USA erarbeiteten Bezugssystems nach den einzelnen Elementen und den Interaktionen eines möglichen militärisch-industriellen Komplexes in der Bundesrepublik Deutschland gesucht werden. 1. Finanzielle Aufwendungen Die Bundesrepublik Deutschland hat 1970 3, 8 Prozent
Bei stetig steigendem Bruttosozialprodukt ist der Verteidigungsetat seit 1962 unter 20 Mrd. DM geblieben. 1971 soll der Wehrhaushalt auf 21, 9 Mrd. DM ansteigen. Sein Anteil am Bundeshaushalt wird sich jedoch von 22, 3 Prozent im Jahre 1970 auf 18, 7 Prozent im Jahre 1974 schrittweise reduzieren
Die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik weisen seit 1962 in Relation zur Entwicklung der Volkswirtschaft und der staatlichen Ausgaben eine rückläufige Tendenz auf. Trotzdem ist die Bundeswehr, für die bis heute rund 200 Mrd. DM aufgewandt wurden, nach wie vor ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor. Für Rüstungszwecke wurden von 1955 bis Ende 1969 rund 84 Mrd. DM ausgegeben, wovon 60 Mrd. DM auf reine Materialbeschaffung, 17, 2 Mrd. DM auf die Materialerhaltung und 6, 8 Mrd. DM auf Forschung, Entwicklung und Erprobung entfielen
Die Kampfverbände der Bundeswehr sind der NATO unterstellt. Die Aufrechterhaltung der Operationsfreiheit der NATO-Streitkräfte auf dem Territorium der Bundesrepublik verbleibt nach dem NATO-Dokument MC 36/2 in na-tionaler Zuständigkeit. Für diese und andere Aufgaben unterhält die Bundeswehr ein Territorialheer mit einem dichten Netz von ortsgebundenen Dienststellen. Parallel dazu gliedert sich die Bundeswehrverwaltung über die sechs Wehrbereichsverwaltungen bis zu den Standortverwaltungen.
Die militärischen und zivilen Dienststellen sind die einzigen administrativen Zweige, die unter Umgehung der Verwaltungshoheit der Länder und den Selbstverwaltungskompetenzen der Gemeinden von einem Bundesministerium bis zur Ortsebene reichen.
Aus militärgeographischen, strategischen und politischen Gründen unterhält die Bundeswehr auch außerhalb des westdeutschen Territoriums Ausbildungs-und Nachschubeinrichtungen, bzw. benutzt die entsprechenden NATO-oder nationalen Einrichtungen verbündeter Länder. Die Bundeswehr übt u. a. regelmäßig in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, der Türkei und Griechenland. In Portugal wurde ein großer Luftwaffen-Versor-gungsstützpunkt errichtet. Allein an 40 verschiedenen Orten der USA halten sich ständig 3000 Bundeswehrsoldaten auf
Die überwiegende Mehrheit der privaten Industrie stand der westdeutschen Wiederbewaffnung ablehnend gegenüber. Grund hierfür waren nicht nur die in den ersten Nachkriegsjahren entstandenen Ressentiments, sondern auch wirtschaftliche Bedenken im Zusammenhang mit der damaligen konjunkturellen Situation. Von einer zusätzlichen, militärischen Nachfrage, einer steigenden Steuerlast und einem Verlust qualifizierter Arbeitskräfte befürchtete die Wirtschaft Lohnsteigerungen und Kostenerhöhungen. Häufig wurde die Gefahr eines konjunkturellen Rückschlages und des Verlustes der gerade wiedergewonnen Auslandsmärkte aufgezeigt
Die aufgrund alliierter und deutscher militärischer Planungen festgelegte Umfangszahl von 500 000 Soldaten für die neuen deutschen Streitkräftte forderte einen starken innenpolitischen Protest heraus, weil eine Armee dieser Größe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den befürchteten wirtschaftlichen Konsequenzen geführt hätte. Auch die nach der Übernahme des Verteidigungsressorts durch Franz Josef Strauß vorgenommene Reduzierung der Planung auf 300 000 Mann räumte das Unbehagen im Unternehmerlager nicht gänzlich aus
Nur diejenigen Branchen, die mit Absatz-schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wie die Textil-und Schuhindustrie, oder Industriezweige, die sich in Strukturkrisen befanden, wie der Schiffbau und Teile der Kraftfahrzeug-industrie, zeigten sich an Rüstungsaufträgen interessiert. Hinzu kamen Interessenten aus Zonenrandund Notstandsgebieten. Gegenüber der Tiefenrüstung
Zum Aufbau von Produktionsstätten für die Tiefenrüstung fehlte allerdings auch das technologische know-how, so daß nahezu die gesamte Ausrüstung der Bundeswehr mit „hardwäre" durch Rüstungsimporte beschafft werden mußte. 1957 betrug der Anteil der Auslandsbeschaffung an den gesamten Waffen-käufen 60 Prozent. Dieser Anteil hat sich zwar kontinuierlich bis auf 22, 7 Prozent im Jahre 1969 verringert
An der Spitze der Rüstungsimportländer standen und stehen die USA, mit großem Abstand gefolgt von Frankreich, Großbritannien und mindestens zwölf weiteren Ländern
Luftfahrtindustrie Eine modern ausgerüstete Luftwaffe ist nicht in der Lage, ihr Fluggerät alleine mit truppen-eigenen Mitteln zu warten. Schon aus diesem Grund wäre für die Instandsetzung und Wartung der rund 1600 Flugzeuge und 700 Hubschrauber eine nationale Luftfahrtindustrie erforderlich. So begann auch der Aufbau der Luftfahrtindustrie 1957 mit der Indienststellung der ersten Luftwaffengeschwader mit amerikanischem und kanadischem Gerät, dessen Wartung und Instandsetzung deutschen Firmen übertragen wurde.
Im Jahre 1958 begann mit der Entscheidung für den Kauf des Überschallflugzeuges 104 Starfighter und den Lizenzbau von 554 Maschinen dieses Typs und von 300 Maschinen der Fiat G 91 die eigentliche Entwicklung der deutschen Luftfahrtindustrie zur heute wichtigsten Rüstungsindustrie der Bundesrepublik.
Der Umsatz der gesamten Luft-und Raumfahrtindustrie stieg von 760 Millionen im Jahre 1959 auf 1, 2 Milliarden DM im Jahre 1964. Im Jahre 1970 dürfte er bei zwei Milliarden DM liegen
Diese Zahlen sind in Relation zur wirtschaftlichen Potenz der Bundesrepublik gering 85), Raumfahrtindustrie. gewinnen aber dadurch an Bedeutung, daß dieser Industriezweig zu fast 90 Prozent von staatlicher Finanzierung abhängig ist und der militärische Fertigungsanteil mit 76 Prozent deutlich über den Vergleichszahlen des Auslandes liegt
Aus ursprünglich acht Großunternehmen der Luftfahrtindustrie haben sich drei große Konzerne formiert, deren Anteil am deutschen Zellenbau und der Raumfahrttechnik 97, 3 Prozent beträgt. Dieser Konzentrationsprozeß hat sich früh durch die Entwicklungsgemeinschaften angekündigt, die für die Lizenzprogramme geschaffen wurde, um möglichst viele Firmen partizipieren zu lassen. Bundesregierung und Bundestag hatten wiederholt die Firmen zur Fusion angehalten und diese finanziell begünstigt. Der Bundestag hatte im April 1968 von der Bundesregierung verlangt, sie möge auf eine Fusion möglichst aller deutscher Flugzeugwerke hinwirken, „auch unter Inkaufnahme von Nachteilen für diejenigen Firmen, die die Konzentrationsbestrebungen nicht unterstützen"
Ein nationaler Konzern ist bisher nicht entstanden. Als vorläufiger Endstand des Konzentrationsprozesses gibt es im Süden die Mes-serschmitt-Bölkow-Blohm GmbH und die Dornier AG und im Norden die Vereinigten Flugtechnischen Werke VFW-Fokker. Die Lage der Produktionsstätten der deutschen Luft-und Raumfahrtindustrie ist von einer ausgeprägten Nord-Süd-Polarisation bestimmt.
Die Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB), München-Ottobrunn, ist aus dem Zusammenschluß der Bölkow GmbH und der Messerschmitt AG im Jahre 1968 und der späteren Fusion mit der Hamburger Flugzeugbau GmbH (HFB) entstanden. Der Konzern erzielte 1970 einen Umsatz von ungefähr 912 Millionen DM
Familie Blohm (HFB) 24, 85 °/o Willy Messerschmitt 21, 3 °/o Ludwig Bölkow 13, 4 •/o Boeing Company 8, 9 0/0 SNIAS, Frankreich 8, 9 0/o Siemens 8, 35 0/o August-Thyssen-Hütte 8, 35 0/0 Freistaat Bayern 5, 95 0/o Der Anteil der militärischen Entwicklung und Produktion liegt bei 75 Prozent. Auf dem zivilen Markt hat der Hubschrauber Bo 105 Erfolgschancen; die Boeing Corp. hat eine Lizenz für die USA erworben. Der Anteil der Weltraumprojekte hat sich stark vergrößert, liegt aber mit 85 Millionen DM noch unter 10 Prozent des Gesamtumsatzes, obwohl MBB über die größte industrielle Raumfahrtkapazität in der Bundesrepublik verfügt. MBB ist an dem europäischen Airbus-Projekt und an der Entwicklung der Panavia 200 führend beteiligt
Die VFW-Fokker in Bremen ist aus einem Zusammenschluß der deutschen Vereinigten Flugtechnischen Werke und den niederländischen Fokker-Werken entstanden. Der Umsatz belief sich 1969 auf 900 Millionen DM. Das „größte inter-europäische Luft-und Raumfahrt-unternehmen" gibt die Belegschaft mit insgesamt 24 000 an’ 92). Die deutschen Produktionsstätten liegen in Bremen, Einswarden, Hoykenkamp, Lemwerder, München, Speyer und Varel. Das Stammkapital beträgt 150 Millionen DM, das VFW und Fokker je zur Hälfte ein-bringen. Die Besitzverhältnisse bei der VFW waren vor der Fusion folgendermaßen:
Friedrich Krupp GmbH 35, 1 % United Aircraft Corporation (USA) 26, 4»/« Hanseatische Industrie-Beteiligungsgesellschaft (USA/Schweiz) 26, 4 0 Familie Heinkel 12, 1 % Die Fokker gehört der Northrop Corp. (USA), einigen belgisch-niederländischen Banken, der Familie Bugerhout und Kleinaktionären. Auch bei VFW-Fokker liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung, Produktion und Wartung von Militärmaschinen, obwohl der zivile Produktionsanteil über dem des MBB-Konzerns liegt. Neben der Beteiligung an den Projekten Panavia 200 und Airbus A-300 B will die Gesellschaft 1971 mit dem VFW 614 das erste Flugzeug aus deutscher Produktion vorstellen, das seine Entwicklungskosten in Höhe von 600 Millionen DM durch Verkauf finanzieren könnte. Auch wenn die zu VFW-Fokker gehörende ERNO Raumfahrttechnik GmbH Bremen eine gute Position erreicht hat und andere zivile Programme vorangetrieben werden, so ist das Unternehmen von dem angestrebten Gleichgewicht von ziviler und militärischer Entwicklung und Fertigung noch weit entfernt 93).
Das Familienunternehmen Dornier AG in Friedrichshafen und München ist mit einem Kapital von 30 Millionen DM, 7000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 360 Millionen DM ’ 94) das kleinste der drei großen Luft und Raumfahrtunternehmen. Bisher hat die Gesellschaft zahlreiche Beteiligungs-und Fu sionsvorschläge abgelehnt’ 95). Außer dem einmotorigen Kurzstartflugzeug DO 27, von dem über 700 Stück verkauft wurden, ist keine eigene Entwicklung erfolgreich gewesen. Mit der Entscheidung über das in Zusammenarbeit mit der französischen Firma Dassault-Brequet entwickelte Trainingsflugzeug Alpha-Jet steht und fällt Vermutlich die Selbständigkeit dieses letzten Familienunternehmens der deutschen Flugzeugindustrie.
Der deutschen Luft-und Raumfahrtindustrie die ihre Existenz vornehmlich der Luftwaffe verdankt, ist es nicht gelungen, mit Hilfe der umfangreichen militärischen Lizenz-und Entwicklungsaufträge einen nennenswerten militärischen oder zivilen Markt zu gewinnen. Damit ist die Industrie noch auf längere Zeit von militärischen und zivilen staatlichen Entwicklungsaufträgen abhängig 96). In den westdeutschen Luft-und Raumfahrtunternehmen wurde zwar technologisch auf fast allen Gebieten der Anschluß an den internationalen Standard gefunden, doch eine konkurrenzfähige Kombination von technischen und kaufmännischen Faktoren ist nur bei einigen kleineren Projekten gelungen. Erst in jüngster Zeit bemüht man sich ernsthaft um die Beseitigung erheblicher Strukturschwächen, die besonders bei den (ehemaligen) Familienfirmen auch als Folge der Abhängigkeit vom staatlichen Auftraggeber bestehen. Nicht zuletzt das Prinzip der Selbstkostenerstattung hat zu unrationellen Strukturen geführt 97).
Wegen der fehlenden Anschlußaufträge bemühen sich die Unternehmen, meist in Kooperation mit anderen Firmen, um Entwicklungsaufträge aus dem nichtmilitärischen Bereich. Messerschmidt-Bölkow-Blohm arbeitet an Projekten für die Meerwasserentsalzung, gegen die Wasserverunreinigung und die Luftverschmutzung, hat im Februar 1971 den Prototyp eines abgasfreien Kraftfahrzeuges vorgestellt und arbeitet an einem Schnellverkehrssystem.
Doch kann diese Zukunftsforschung die Entwicklungs-und Produktionskapazitäten bei weitem nicht auslasten. Ohne das militärische Panaviaund das zivile Airbus-Programm gerät dieser Industriezweig in eine ernste Krise. Deshalb wird von den Unternehmen gefordert, diese beiden Projekte auch dann weiterzuführen, wenn sie sich bereits heute geschäftlich als Fehlschlag erweisen sollten, lediglich zu dem Zweck, die Entwicklungskapazitäten auszulasten und die Voraussetzungen für eine Wettbewerbsfähigkeit für die übernächste Flugzeuggeneration zu schaffen
Insgesamt ist festzustellen, daß die Luft-und Raumfahrtindustrie ein wenig gefestigter Sektor der deutschen Industrie ist, der wegen der ungesicherten Nutzung seiner Entwicklungsund Produktionskapazitäten zu den krisenanfälligsten Zweigen der westdeutschen Wirtschaft zählt
Industrie der Tiefenrüstung Neben der Luftfahrtindustrie konzentriert sich die Produktion spezifisch militärischer Güter auf die Waffen-und Munitionsherstellung sowie den Panzerbau.
Die wichtigsten Produzenten von Waffen und Munition in der Bundesrepublik sind
1. Dynamit Nobel AG, Troisdorf Munition, leichte Artillerie-Raketen, Sprengmittel 2. Rheinmetall GmbH, Düsseldorf Sturmgewehre, MGs, Kanonen, Munition, Panzertürme 3. Industriewerke Karlsruhe AG Munition 4. Mauser Werke AG, Oberndorf Pistolen, Munition 5. Diehl KG, Nürnberg Infanteriewaffen, Munition, Zünder, Granaten, Minen, elektronische Geräte für Luftfahrzeuge, Panzerteile 6. WASAG Chemie AG, Essen Munition 7. Nitrochemie GmbH, München-Aschau Munition 8. Heckler & Koch GmbH, Oberndorf Sturmgewehre, Export von Waffenfabriken
9. Metallwerke Elisenhütte, Nassau Munition 10. Carl Walther, Ulm Pistolen 11. Sauer & Sohn GmbH, Düsseldorf Waffen Diese Firmen sind von den Aufträgen des Verteidigungsministeriums abhängig-, jedoch nur selten total, da der Anteil der Bundeswehraufträge entweder nur etwa die Hälfte des Umsatzes ausmachen (Ziffer 1 und 2) oder ein hoher Produktionsanteil exportiert wird (Ziffer 5 und 8).
Bemerkenswert ist, daß die meisten dieser Unternehmen (außer Ziffer 8, 9 und 10) im Besitz großer Finanzgruppen sind. An der Waffen-und Munitionsherstellung sind beteiligt die Friedrich Flick KG (Ziffer 1 und 11), der Röchling-Konzern (Ziffer 2), Bohlen und Halbach (Ziffer 6 und 7) und die Quandt-Gruppe (Ziffer 3 und 4)
Von weit größerer Bedeutung ist der Panzer-bau. Die deutschen Heeresverbände wurden bei ihrer Aufstellung mit Kettenfahrzeugen aus ausländischen Beständen und Produktionen ausgerüstet. Als Nachfolgemuster für den Kampfpanzer war eine deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion geplant, die jedoch politisch scheiterte. Unter der Systemführung der Krauss-Maffei AG, München, entwickelte ein Firmenkonsortium den Kampfpanzer Leopard, der in verschiedenen Versionen in einer Stückzahl von rund 1850 an die Bundeswehr ausgeliefert wird. Das Leopard-Programm wird rund drei Milliarden DM kosten. Das Beschaffungsprogramm für den neuen Schützenpanzer Marder, der von der Gruppe Rheinstahl-Henschel-Hanomag gebaut wird, kostet mindestens 1, 5 Milliarden DM. Die Krauss-Maffei AG wird anstelle einer deutsch-amerikanischen Entwicklung den Leopard II als Kampf-panzer für die Mitte der siebziger Jahre bauen, der pro Stück mindestens 1, 8 Millionen DM kosten wird.
Trotz des Umfangs und der hohen Kosten gibt es in der Bundesrepublik keine große Panzer-industrie im engeren Sinne, da zum Beispiel die Krauss-Maffei AG an der Wertschöpfung des Kampfpanzers Leopard nur mit etwa 15 Prozent beteiligt ist
Für die Panzerprojekte ist die Elektroindustrie mit bis zu 45 Prozent, ähnlich wie bei den Schiffbauprogrammen und der Luftfahrtindustrie, der wichtigste Zulieferer. Obwohl sie nach außen kaum in Erscheinung treten, profitieren die Elektrokonzerne am stärksten von der zunehmenden Kompliziertheit moderner Waffensysteme. Die Elektronik-und Fernmeldeindustrie erhält den mit Abstand größten Anteil der Rüstungsausgaben
Charakteristisch für die gesamte Rüstungsproduktion ist die Kooperation der Großunternehmen für ein jeweiliges Waffensystem. 1967 haben sich die Firmen AEG-Telefunken, Siemens, Standard-Elektrik-Lorenz und Rohde & Schwarz auf Initiative des Verteidigungsministeriums in der Elektronik System Gesellschaft mbH (ESG) eine Systemführungsstelle für die verschiedenen Flugzeugprojekte geschaffen
Die Firmen der Elektroindustrie schließen sich auch mit Firmen anderer Branchen zu Entwicklungsgesellschaften für neue Waffensysteme zusammen. So arbeiten AEG-Telefunken und Honeywell mit der Dynamit Nobel AG in der Gesellschaft für ungelenkte Flugkörpersysteme mbH (GUF) zusammen. In der Arbeitsgemeinschaft Matador klären die Firmen Siemens und AEG-Telefunken im Hinblick auf einen mit Radar ausgerüsteten Fliegerabwehr-Panzer ihre Interessen mit den Firmen Kraus-Maffei und Rheinmetall ab. AEG-Telefunken besitzt Lizenzen für militärische Produkte der Firmen Marcan, EMI, Philips und Decca.
Das Interesse der Elektrokonzerne an der Rüstungsproduktion zeigt sich auch in den Beteiligungen zum Beispiel der AEG-Telefunken an der Deutschen Werft AG (ca. 30 Prozent), der Standard-Elektrik-Lorenz (über die Hanseatische Industrie-Beteiligungen) an den VFW-Fokker (ca. 10 Prozent) und der Siemens AG an der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (8, 35 Prozent).
Die Folgen dieses Engagements der Elektroindustrie bei der Produktion von Rüstungsgütern haben sowohl für die Rüstungsindustrie selbst als auch für den zivilen Wettbewerb der Elektrokonzerne Relevanz, auch wenn der Anteil der Rüstungsaufträge am Umsatz der Elektro-und Elektronikindustrie unter vier Prozent liegen dürfte 107). Das Interesse der Elektrokonzerne gilt offenbar primär den vom Verteidigungsministerium finanzierten For-schungs-
und Entwicklungsprojekten und nur sekundär großen Stückzahlen.
Militärhilie und Rüstungsexport Die westdeutsche Militärhilfe entstand als Ergebnis amerikanischen Drängens auf „bürden sharing" bei der Unterstützung der wirtschaftlich schwachen NATO-Partner Griechenland, Portugal und Türkei
Seit 1962 hat die Bundesrepublik neben den umfangreichen Lieferungen an Israel Ausbil-dungs-und Ausrüstungshilfe an 17 afrikanische und asiatische Staaten gegeben. Der Gesamtwert der Lieferverträge beläuft sich auf 276 Millionen DM. Bis Ende 1970 wurden 1360 afrikanische Soldaten in der Bundesrepublik ausgebildet
Diese Militärhilfe blieb wirtschaftlich ohne größere Bedeutung und politisch ohne den erhofften Erfolg. Die am stärksten unterstützten afrikanischen Staaten sind nahezu identisch mit den Ländern, die ihre Beziehungen zu Bonn deutlich verschlechtert haben (Guinea, Sudan, Tansania) oder von blutigen inneren Konflikten heimgesucht wurden (Nigeria, Sudan).
Für Verteidigungsminister Helmut Schmidt ist bei Waffenlieferungen durch die Bundesregierung „das Risiko der Rückschläge größer als die Wahrscheinlichkeit der Vorteile"; er hat deshalb die Verantwortung für die Rüstungshilfe an das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium abgegeben
1965 begann ein neuer Abschnitt im westdeutschen Rüstungsexport, als der Kampfpanzer Leopard internationale Anerkennung fand und zu einem Zeitpunkt auf dem Markt erschien, als mehrere europäische Armeen einen Nachfolgetyp für die veralteten amerikanischen Panzer M 47 und M 48 suchten. Bisher sind ca. 1600 Stück des bei der Krauss-Maffei AG, München, gebauten Panzers von ausländischen Staaten bestellt worden: Belgien (334), Niederlande (468), Norwegen (78), Italien (200, weitere 600 in Lizenz). Interessiert sind Dänemark, Spanien, Türkei, Argentinien u. a.
Im Zusammenhang mit der Rüstungshilfe wurden nach dem Iran, Sudan, Nigeria, Thailand und Indonesien Produktionsstätten für Waffen und Munition geliefert. Der Export von Gewehren ist offenbar umfangreich.
Nennenswerte Exporterfolge kann außerdem nur die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm verzeichnen, die ihre Panzer-Abwehrrakte Cobra 120 000 mal in alle Teile der Welt verkauft hat und die auch für einige zusammen mit der französischen SNIAS entwickelte Raketen größere Auslandsaufträge erwarten kann.
Von der Industrie wird beklagt, daß die NATO bisher weit weniger Rüstungsaufträge in die Bundesrepublik vergeben hat, als dies dem deutschen Finanzierungsanteil an den gemeinsamen Projekten der Allianz entsprochen hätte. Außerdem wird von industrieller Seite kritisiert, die deutschen Militärattaches (neue Bezeichnung: Verteidigungs-Attaches) seien zu wenig mit Fragen der deutschen Rüstungsindustrie vertraut
Das Weißbuch 1970 gibt den Anteil der staatlichen und privaten Rüstungsausfuhr am Gesamtexport der Bundesrepublik mit 0, 3 Prozent an
Der ausländische Einfluß Durch die politische und militärische Bindung der Bundesrepublik an die NATO wird das Eindringen ausländischen, besonders amerikanischen Kapitals in die deutsche Industrie und auch in die Rüstungsindustrie begünstigt. Der Einfluß des amerikanischen Kapitals im Rüstungssektor ist schon deshalb groß, weil das technologische Niveau der modernen Waffensysteme entscheidend von der amerikanischen Industrie bestimmt wird. Zahlreiche amerikanische und internationale Konzerne wirken über vielfältige Beteiligungen direkt bis in die deutschen Waffensystemprogramme hinein
General Electric besitzt zwar nur rund 10 Prozent des 510 Millionen-Grundkapitals von AEG-Telefunken; dies sichert ihr aber bei dem auf 120 000 Aktionäre verstreuten Kapital einen großen Einfluß, zumal General Electric durch mehrere gemeinsame Tochtergesellschaften mit der AEG-Telefunken verbunden ist
Elekluft, Elektronik-und Luftgeräte GmbH, Bonn AEG-Telefunken (10) — General Electric (100) — Hughes Aircraft (100) Flug-Elektronik GmbH, München AEG-Telefunken (10) — Eltro GmbH &
Co (40) — Honeywell GmbH (100) — Litton Industries GmbH (100) — Siemens (—)
— Standard Elektrik Lorenz (99) — Teldix GmbH (55)
ESG, Elektronik System Gesellschaft mbH, München AEG-Telefunken (10) — Simens (—) — Standard Elektrik Lorenz (99) — Rohde &
Schwarz (—)
Auch an den beiden größten Luftfahrtkonzernen VFW-Fokker und MBB ist ausländisches Kapital insgesamt mit ca. 40 Prozent beteiligt
Konzentration in der Rüstungsindustrie Der bereits bei der Luftfahrtindustrie konstatierte Trend zur Konzentration läßt sich für alle Branchen der Rüstungsindustrie feststellen, wobei die von den Rüstungsaufträgen ausgehenden Fusionsimpulse über die ohnehin groß.
NIRR bestehende Konzentrationstendenz hinausgehen.
Die Forderungen der Bundeswehr und der NATO nach Standardisierung sowie das Interesse der staatlichen Behörden, möglichst nur mit einem Gesprächspartner aus der Industrie zu verhandeln, sind stärkere Konzentrationsantriebe als die aus der Wirtschaft kommenden oligopolitischen oder monopolistischen Bestrebungen.
In den Entwicklungsgesellschaften arbeiten häufig dieselben Firmen zusammen, die auf dem zivilen Bereich hart konkurrieren. Doch konnte die partielle Kooperation nicht ohne konzentrationsbegünstigende Auswirkung bleiben. So hat beispielsweise der Auftrag, für die Panavia 200 und den Airbus Triebwerke zu entwickeln, den letzten Anstoß gegeben zum Zusammenschluß von M. A. N. Turbo GmbH, München, und der Maybach Mercedes-Benz Motorenbau GmbH, Friedrichshafen. Dadurch ist mit der Motoren-und Turbinen-Union (mtu) mit über 10 000 Beschäftigten „der größte Hersteller schnellaufender Hochleistungs-Dieselmotoren in der Welt" und „das führende Unternehmen der deutschen Triebwerksindustrie" entstanden
Wenn diese Großunternehmen auch die internationale Wettbewerbsposition der deutschen Industrie verbessern, so sind doch erhebliche Auswirkungen auf das Beschaffungsverfahren und in bezug auf die gesamte Wirtschaftsordnung unausbleiblich, wie ein Beispiel aus der Konzentration im Panzerbau zeigt. Nachdem 1965 die Entscheidung für den Kauf des von einer Firmengruppe unter dem Hauptauftragnehmer Krauss-Maffei AG entwickelten Kampfpanzers Leopard gefallen war, hätte der Auftrag für die Entwicklung des Schützenpanzers Marder auch dann an die zweite Gruppe der westdeutschen Panzerproduzenten, der Rheinstahl-Henschel-Hanomag, vergeben werden müssen, wenn militärische, ökonomische oder strukturpolitische Gründe dagegengesprochen hätten. Da andererseits Krauss-Maffei spätestens ab 1974 einen Anschlußauftrag benötigt, wird das Nachfolgemuster für den Kampfpanzer dort gebaut werden müssen, sollen nicht Entwicklungs-und Produktionskapazitäten brachliegen und Arbeitsplätze gefährdet werden. Diese Beschaffungsentscheidung wird folglich von den industriellen Gegebeneiten präjudiziert. Mittlerweile hat sich die " Deutsche Entwicklungs GmbH" konstituiert, in der alle westdeutschen Panzerproduzenten zusammenarbeiten. Damit haben die Beschaffungsdienststellen für die gesamte Entwicklung und Produktion aller Panzertypen nur noch einen Verhandlungspartner der Industrie.
Im Februar 1971 ist durch einen 4-Mrd. -Mili-tärauftrag für die Lastwagenindustrie nicht nur deren Zukunft für mehrere Jahre gefestigt worden, sondern auch durch die Kooperation des Gemeinschaftsbüros (der Firmen Büssing, Rheinstahl, Krupp, MAN und Klöckner-Hum-boldt-Deutz) mit Daimler-Benz die Voraussetzung für einen einzigen nationalen Lkw-Produzenten geschaffen worden
Häufig besteht, bevor eine Fusion oder Kooperation vorgenommen wird, eine andere Konzentration, nämlich die über die großen Finanzgruppen. Der Aufkauf des Panzerproduzenten Krauss-Maffei AG durch die Daimler-Benz AG wäre wahrscheinlich ein spektakulärer Konzentrationsvorgang, würde aber die Interessen der Kapitalseigner der beiden Gesellschaften nur unwesentlich tangieren; denn die Friedrich Flick KG, Düsseldorf, ist mit 40 Prozent des Aktienkapitals der bestimmende Großaktionär von Daimler-Benz, und die Krauss-Maffei AG befindet sich über die Buderus’schen Eisenwerke, Wetzlar, nahezu im Alleinbesitz der Flick KG. Daß die Flick KG außerdem noch mit ca. 83, 3 Prozent Kapitalanteil den größten westdeutschen Munitionsund Sprengstoffproduzenten, die Dynamit Nobel AG, Troisdorf, steuert, zeigt deutlich, daß die politische Bedeutung der westdeutschen Rüstungsindustrie nur unzulänglich mit ihrem Anteil an den einzelnen Industriezweigen gemessen werden kann.
Diesbezügliche Angaben sind ohnehin schwer zu ermitteln. Als Anhalt können folgende Werte für den Rüstungsanteil am Umsatz einzelner Industriezweige gelten
Luftfahrzeugbau 75 ®/o Schiffbau 10 »/o Fahrzeugbau 3 »/« Bauwirtschaft 3 »/o Bekleidung 0, 7 ’/o Nahrungsund Genußmittel 0, 5 »/o Einige Finanzgruppen und Konzerne sind neben ihrer Mitgliedschaft an Entwicklungsfir-men und Arbeitsgemeinschaften durch folgende Unternehmen am Rüstungsgeschäft beteiligt
Die Verankerung von Rüstungsunternehmen in großen Finanzgruppen hat sich in mehreren Fällen als vorteilhaft erwiesen, um die Folgen der auffallenden Diskontinuität
Zusammenfassung Die mangelnde Bereitschaft der deutschen Industrie, bei Aufstellung der Bundeswehr Rüstungsgüter zu produzieren und der hohe Importanteil an Waffen haben die Entstehung einer westdeutschen Rüstungsindustrie als eigenständiger Brandie bis heute stark gehemmt. Von der Luft-und Raumfahrtindustrie abgesehen, spielen in keiner Industriebranche Rüstungsaufträge eine umsatzmäßig bedeutende Rolle. Nachdem in den Jahren 1962 und 1963 der Anteil der inländischen Rüstungsausgaben an der Industrieproduktion einen Höhepunkt von 2, 6 Prozent erreicht hatte, bewegte er sich in den letzten Jahren bei 2 Prozent
Der Einfluß der Luft-und Raumfahrtindustrie, die mit den Interessen einer ganzen Branche und dem Anspruch ihrer technologischen Bedeutung auftreten kann, findet seine Grenze in dem vergleichsweise geringen Gesamtumsatz. 4. Militärforschung Im Jahre 1970 wurden rund 1, 1 Mrd. DM für die wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung aufgewendet
Nur auf die wehrtechnische Forschung entfielen 1969 rund 140 Millionen DM, von denen die Hälfte veranschlagt war für: die Ozeanographische Forschungsanstalt in Kiel mit dem Wehrforschungsschiff „Planet", dem einzigen bundeswehreigenen Forschungslaboratorium; das deutsch-französische Forschungsinstitut St. Louis (ISL) für Ballistik und Waffenwesen und die Grundfinanzierung von sieben „non profit" -Forschungsinstituten, um „einen dringenden Bedarf der Wehrtechnik" zu dekken
Für wehrsoziologische Untersuchungen der Inneren Führung stehen rund 500 000 DM zur Verfügung. Die Ausgaben für sonstige sozialwissenschaftliche Untersuchungen liegen wohl etwa in gleicher Höhe. Eine kürzlich veröffentlichte empirische Untersuchung
Von größerer Relevanz ist der für 1971 auf 1, 3 Mrd. DM angestiegene Etatposten für die wehrtechnische Entwicklung und Erprobung.
Damit werden die Entwicklungen auf dem Gebiet der Luftfahrt (zu ca. 45 Prozent), dem Panzerbau und der sonstigen Wehrtechnik finanziert. Mit diesen Geldern hat die Bundesregierung zusammen mit den Entwicklungsdarlehen des Bundeswirtschaftsministeriums ein Instrument in der Hand, mit dem sie Teile der Industrie strukturell beeinflußen kann.
Das Verteidigungsministerium finanziert den Betrieb eines zentralen Entwicklungszentrums, der halbstaatlichen Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) in Ottobrunn, das — mit 1100 Mitarbeitern — den mit wehrtechni-sehen Entwicklungen beauftragten Industrie-firmen zur Verfügung steht. Das zentrale Weltraum-Testlaboratorium, das bei derselben Firma betrieben wird, wird aus den Mitteln des Forschungsministeriums finanziert.
Häufig ist eine Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung und Entwicklung nicht mehr möglich. Die Mittel fließen in dieselben Unternehmen und vom technischen know how profitieren alle Produktionszweige der Luft-und Raumfahrtunternehmen und Institute. So wird auch die Deutsche Forschungs-und Versuchsanstalt für Luft-und Raumfahrt (DFVLR) sowohl aus dem Etat des Verteidigungsministeriums (36 Millionen DM) als auch aus dem des Wissenschaftsministeriums (46, 5 Millionen DM) finanziert
Der Einfluß der wehrtechnischen Forschung und Entwicklung auf den allgemeinen technischen Fortschritt wird allgemein überschätzt. Es gibt Verfahrenstechniken wie die Explosivverformung, die Digitaltechnik integrierter Fernmeldenetze oder das Elektronenstrahl-schweißen, deren Entwicklungen durch Bundeswehraufträge forciert oder erst möglich geworden sind. Der exakte Nachweis eines mehr als punktuellen positiven Einflusses der waffen-technischen Forschung und Entwicklung auf den allgemeinen technischen Fortschritt ist jedoch für den Bereich der Bundesrepublik selbst in Ansätzen nicht geliefert
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß bei Entwicklungsprojekten zur Bewältigung gesellschaftlicher Zukunftsprobleme auffallend viele Firmen mit einem hohen militärischen Produktionsanteil vertreten sind 140). Darin spiegelt sich vor allem die seit Jahren zu registrierende Verlagerung der Bundesmittel zur Wissenschaftsförderung vom Verteidigungshaushalt auf den Etat des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft wider. Von 1967 bis 1971 stieg der Anteil der vom Wissenschaftsministerium finanzierten Forschung von 50 auf 65 Prozent, während der entsprechende Prozentsatz des BMVg von 28, 3 auf 19 sank
Offiziere in der Wirtschaft Die Berufsoffiziere der Wehrmacht mußten sich nach der Kapitulation bzw. nach ihrer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft um eine auf Dauer angelegte zivile Tätigkeit bemühen, da mit der Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte nicht zu rechnen war. Dies geschah unter folgenden Erschwernissen, die im wesentlichen andauerten bis zum Dezember 1949, als der Artikel 131 des Grundgesetzes vom Bundestag verabschiedet wurde: 1. Allgemeine Not und Arbeitslosigkeit 2. Ächtung des Berufsstandes durch die Alliierten (Anklage des Generalstabes in Nürnberg, Studiumverbot, Verlust der Versorgungsansprüche u. a.) 3. Ablehnung der Berufsoffiziere durch Behörden, Gewerkschaften und Unternehmer Die Herkunft insbesondere der höheren Offiziere aus Oberschichtfamilien
Auch’einer neuen empirischen Untersuchung ist es nicht gelungen, den Weg der Berufsoffiziere nach dem Zweiten Weltkrieg zuverlässig darzustellen
Die Mehrheit der „Industrie-Kommandeure“ scheint sich heute noch der militärischen Herkunft verbunden zu fühlen. Der Generaldirektor der Mannesmann AG und ehemalige Generalstabsmajor Dr. Egon Overbeck hat in dem „Freundeskreis Mars und Merkur" rund 100 ehemalige Offiziere aus dem Top-Management der deutschen Industrie zusammengeführt
Die Zahl der in Spitzenstellungen tätigen ehemaligen Berufsoffiziere ist 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich rückläufig. Der Rückgang wird durch pensionierte Bundeswehroffiziere jedoch mehr als ausgeglichen. Das Pensionierungsalter der Bundeswehrgenerale lag in der Zeit von 1965— 1970 bei durchschnittlich 58, 4 Jahren. Damit ist ihnen ein zweiter Berufsweg in der Industrie versperrt
Offiziere in der Poiitik Es ist nicht verwunderlich, daß ehemalige Berufsoffiziere unter den politischen und psychologischen Bedingungen in der Zeit nach der Kapitulation keine hohen politischen Ämter erreichen konnten 157). Mehrere ehemalige Berufsoffiziere konnten in der Beamten-hierarchie obere Plätze besetzen. Zu ihnen gehört der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Carl Günther von Hase, heute Botschafter in London; er war bei Kriegsende Major im Generalstab.
In den Bundestag ist eine größere Zahl von ehemaligen Berufssoldaten eingezogen. Der Generalstabsoffizieranwärter Herbert Schneider, heute Präsident des Bundesverbandes der deutschen Luft-und Raumfahrtindustrie und CDU-MdB, war Fraktionsvorsitzender der Deutschen Partei. Dem 6. Deutschen Bundestag gehören sechs aktive Soldaten an
Einigen Obersten der Bundeswehr ist es gelungen, im politisch-administrativen Bereich Einfluß zu gewinnen. So war der Oberst Gerd Stamp Leiter des Kanzlerbüros unter Kiesin-ger. Oberst Hellmuth Roth wurde, nachdem er mehrere Jahre militärischer Berater der SPD-Bundestagsfraktion war, Botschafter und Abrüstungsbeauftragter der Bundesregierung. Sein Vorgänger bei der SPD-Fraktion, General Friedrich Beermann, wurde Bundestagsabgeordneter.
Zur Beantwortung der Frage nach einer in der Zukunft denkbaren stärkeren Beeinflussung der Politik durch die Generalität wären deren Denk-und Handlungskategorien sowie der Grad der Homogenität der Bundeswehroffi-ziere darzustellen. Hier können nur einige relevante Aspekte erwähnt werden.
Häufig wird unterstellt, die Generale der Bundeswehr hätten allesamt nach dem Zweiten Weltkrieg eine zivile Tätigkeit ausgeübt. Dadurch seien zwei Welten miteinander in Berührung geraten, was „ohne Frage die Militärs verändern mußte"
Bemerkenswert ist die auch hier zu registrierende Bereitwilligkeit der Generale, unmittelbar nach einem erbittert geführten Krieg und einer totalen Niederlage für einen westlichen Siegerstaat zu arbeiten, der sie pauschal als Kriegsverbrec er angeklagt hat. Sicher war die Tätigkeit in der Historical Division häufig eine Alternative zum eintönigen Lagerleben, trotzdem ist das Verhalten dieser Generale nur aus der traditionellen Subordination des deutschen Militärs unter jedwede politische Führung zu begreifen.
Mit einem anderen Erfahrungshintergrund stießen diejenigen ehemaligen Offiziere zur Bundeswehr, die zuvor einer zivilen Tätigkeit nachgegangen waren. Aber auch sie bildeten keine geschlossene Gruppe, was bei der Verschiedenwertigkeit ihrer Zivilarbeit und der Unterschiedlichkeit der Motivation für die Reaktivierung nicht überraschen kann. Durch das Studium, das zahlreiche ehemalige Offiziere trotz der anfänglichen Erschwernisse absolvierten, trat eine zusätzliche Differenzierung ein.
Die schon dadurch verursachte Heterogenität der militärischen Elite wird infolge teilstreitkraft-und generationsbedingter Differenzen noch vergrößert. Nicht zuletzt haben Zweifel am Auftrag der Bundeswehr und die offensichtlich zahlreichen betriebsinternen Friktionen zu einem stark reduzierten Selbstbewußtsein geführt, was die effektive Repräsentation militärischer Interessen gegenüber der politischen Führung sehr erschwert. Die Tatsache, daß Generale Gewerkschaftsmitglieder sind, während andere vom Verteidigungsminister „reaktionäre Typen"
Die amtlichen Publikationen der Bundeswehr und die privaten Veröffentlichungen von Offizieren, mit denen das Militär selbst öffentliche Meinung produzieren könnte, entsprechen dem* allgemeinen, durch die Bundestagsparteien abgedeckten Meinungsspektrum. Die institutioneile und personelle Anpassungsfähigkeit des Militärs an eine veränderte politische Führung hat sich als groß erwiesen. Das Militär in der Bundesrepublik pendelt zwischen den Resten eines ständisch-homogenen Elitebewußtseins und dem Bekenntnis zur zweck-rationalen Haltung nach den Maßstäben der industriellen Leistungsgesellschaft
Bundesnachrichtendienst Die amtliche Stelle in der Bundesrepublik Deutschland zur Beschaffung und Auswertung geheimer Auslandsnachrichten, der Bundes-nachrichtendienst, wurde von Soldaten aufgebaut und wird auch heute noch von Soldaten geführt. Der BND ist aus der OKH-Abteilung Fremde Heere Ost hervorgegangen, deren personeller Kern kurz nach der Kapitulation von der amerikanischen Besatzungsmacht zur Erkundung des osteuropäischen Militärpotentials eingesetzt wurde. General Reinhard Gehlen leitete den Dienst unter den drei Auftraggebern von 1942 bis 1968.
Sein Schüler und Nachfolger ist der Bundeswehrgeneral Gerhard Wessel, der im Amt Blank die Grundlagen für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr erarbeitet hat und diesen rein militärischen Dienst sieben Jahre führte. Rund ein Drittel der ca. 5500 hauptamtlichen Mitarbeiter des BND sind Soldaten; unter ihnen dürften sich zehn Generale und rund 50 Oberste befinden
Die Möglichkeiten des BND, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, können kaum unterschätzt werden. Der Dienst unterstützt Ausländskorrespondenten von deutschen Tageszeitungen, subventioniert Zeitschriften, Informationsdienste und Dokumentationszentren, fördert politische Bildungseinrichtungen und ermöglicht in Zusammenarbeit mit militärischen Dienststellen selbst die Produktion von Fernsehfilmen, ohne daß er nach außen und oft auch nicht gegenüber den Informationsträgern in Erscheinung tritt. Damit kann unter entsprechenden Voraussetzungen eine Bundesregierung — oder aber bei fehlender Kontrolle der Bundesnachrichtendienst selbst — nicht nur politische Strömungen begünstigen, sondern es können auch nicht überprüfbare gezielte Informationen durch einen scheinbaren Prozeß pluralistischer Berichterstattung und Kommentierung zu glaubhaften Orientierungswerten hochstilisiert werden. Bei der Bedeutung des BND als dem mit Abstand größten westeuropäischen Geheimdienst für die militärische Aufklärungsarbeit der NATO könnte bei internationalen Krisen oder bei Phasen eines beschleunigten Wettrüstens die Informationspolitik des Pullacher Apparates ein entscheidendes innenpolitisches und internationales Gewicht bekommen.
Soldatenverbände Die besondere Lage der Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg hat zur Gründung von mitgliederstarken Notgemeinschaften geführt. Ziel dieser Vereinigungen waren sozial-und versorgungsrechtliche Fragen, außerdem kümmerte man sich um die Kriegsgefangenen und Vermißten. Erst mit der Gründung des Schutz-bundes ehemaliger Deutscher Soldaten und dann des Verbandes deutscher Soldaten (VdS) entstanden die Soldatenverbände, die allerdings keine — selbst in der Frage der Wieder-bewaffnung — politische Geschlossenheit erzielten
Heute leiden die Verbände, wie auch die Gesellschaft für Wehrkunde, an Überalterung ihrer Mitgliederschaft. Im Vergleich zu den frühen fünfziger Jahren, in denen zu einem Verbandstreffen der Bundestagspräsident, der Vizekanzler und mehrere Minister erschienen, ist heute die politische und gesellschaftliche Bedeutung der Soldatenverbände so gering, daß darüber hinweggesehen werden kann.
Da es den Verbänden auch nicht gelungen war, sich als eine Interessenorganisation der Reservisten der Bundeswehr zu formieren, wurde auf Veranlassung des Bundesverteidigungs-ministeriums 1960 der „Verband der Reservisten der Bundeswehr e. V." gegründet. Doch auch diese Vereinigung war bei dem Versuch, die über 1, 5 Millionen ausgebildeten Reservisten der Bundeswehr zu erfassen, wenig erfolgreich. Obwohl eine eigene Reservisten-Betreuungsorganisation der Bundeswehr den Verband unterstützt und aus Etatmitteln jährlich über eine Million DM beigesteuert werden, ist sowohl die regionale Ausstrahlung der Reservistenorganisation als auch die politische Bedeutung des Bundesverbandes auffallend gering
Der einzige politisch relevante Soldatenverband in der Bundesrepublik ist der Bundeswehrverband, dem rund 80 Prozent aller Berufs-und Zeitsoldaten angehören. Der Verband vertritt mit quasi gewerkschaftlicher Legitimation besonders die sozialen Interessen der Soldaten gegenüber Regierung, Bundestag und Öffentlichkeit
Zusammenfassung Neben den historischen Determinanten ist die Tatsache, daß nicht die Bundeswehr, sondern die USA und die NATO die Sicherheit der Bundesrepublik garantieren, für die politische Rolle der westdeutschen Streitkräfte von entscheidender Bedeutung. Der damit verbundene Prestige-und Machtverlust wird durch die Funktionen deutscher Generale in der militärischen Organisation der NATO nicht ausgeglichen. Der Personalmangel in der Bundeswehr und zahlreiche Friktionen, auch eine Folge des Wi-derspruchs von traditionellen Führungsprinzipien und modernen technischen Funktionen, haben zu einer „übertriebenen Sensitivität"
Das politische Gewicht des Militärs in der Bundesrepublik ist geringer, als dies Größe und wirtschaftliche Bedeutung der Streitkräfte vermuten lassen. Es bestehen jedoch für das Militär hinreichende Möglichkeiten, über institutionelle und personelle Verflechtungen mit anderen gesellschaftlichen Sektoren öffentlich und parlamentarisch nicht kontrollierbar politischen Einfluß auszuüben.
6. Bundestag
Der Bundestag hat nach dem Grundgesetz die Möglichkeit, auf mehrfache Weise das Militär zu kontrollieren, als auch die Pflicht, verteidigungspolitische Entscheidungen zu fällen. Im Haushaltsplan wird der finanzielle Rahmen bis zu den Einzelpositionen, zum Beispiel der Munitionsbeschaffung, festgelegt. Selbstverständlich ist dabei das Parlament nicht in der Lage, die militärische Notwendigkeit dieser Ansätze zu prüfen; allenfalls der Vergleich zu den Ausgaben der Vorjahre gibt ihm einen Maßstab. Der Einfluß des Haushaltsausschusses beschränkt sich auf Umschichtungen in einer Größenordnung von 200 bis 300 Millionen DM
Nach den Aussagen eines Mitgliedes des Verteidigungsausschusses hat sich dieses Gremium weniger als Kontrolleur denn als Helfer der Bundeswehr erwiesen
Die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik werden entscheidend von Bündnisverpflichtungen bestimmt. Dadurch wäre das Parlament in seinem Recht der Budgetkontrolle auch dann außerordentlich eingeschränkt, wenn die Ausschüsse personell und instrumental besser qualifiziert wären. Für den Teil der Verteidigungsausgaben, der in den gemeinsamen NATO-Haushalt fließt, ist die Kontrolle durch den Bundestag faktisch vollkommen aufgehoben. Dem Parlament bleibt zusammen mit dem Bundesrechnungshof für einen Großteil des Verteidigungsetats lediglich eine Leistungskontrolle; die politische Kontrolle ist minimal.
Für eine effektive Kontrolle der komplexen Militäradministration bedürften die Mitglieder des Verteidigungsausschusses neben einem leistungsfähigen Apparat einer militärischen und technischen Kompetenz, wie sie in kritischer Distanz zu den militärischen und rüstungswirtschaftlichen Interessen gar nicht zu erreichen ist
Die Zusammensetzung des Verteidigungsausschusses des 6. Deutschen Bundestages zeigt folgendes Bild: Von den 29 ordentlichen Mitgliedern sind vier Soldaten (je zwei von CDU und SPD)
In keinem Gesetz und keiner Geschäftsordnung ist die Mitwirkung des Verteidigungsausschusses bei der militärischen Beschaffung geregelt. Es ist eine gewohnheitsrechtliche Übung, daß der Verteidigungsausschuß „bei allen Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung oder von beträchtlichem Umfang“
Die Position des Verteidigungsausschusses ist auch deshalb bei den Beschaffungsentscheidungen nicht stark, weil die Etatmittel vom Haushaltsausschuß genehmigt sind, bei deren Festlegung der Verteidigungsausschuß nur gutachterlich und nicht mitberatend beteiligt ist. Der Haushaltsausschuß hat außerdem eine wichtige Stellung in Rüstungsfragen, da ein Großteil der Titel des Einzelplans 14 mit einem qualifizierten Sperrvermerk versehen ist, wonach Zuschüsse, Darlehen und Bürgschaften der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen, nicht etwa der des Verteidigungsausschusses.
Kennzeichnend für die Rolle des Verteidigungsausschusses bei den Beschaffungsentscheidungen
Generell ist eine geringe Bedeutung des Parlaments im verteidigungspolitischen Sektor und besonders im Beschaffungswesen festzustellen. Die Position des Bundestages als einer gegenüber der Exekutive unabhängigen Gewalt ist in diesen Bereichen wohl noch schwächer als allgemein im parlamentarischen Regierungssystem; auch deshalb weil die jeweilige Opposition die ihr von der Verfassung gegebenen Einwirkungsmöglichkeiten nie genutzt hat.
III. Schlußbemerkungen
Tabelle 3
Tabelle 3
Obwohl die Bundesrepublik Deutschland die zahlenmäßig stärkste Armee in Westeuropa unterhält und in einem geographischen Brennpunkt des west-östlichen Spannungsbereichs liegt, ist das eingangs skizzierte Phänomen eines militärisch-industriellen Komplexes in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit nicht nachzuweisen. Weder das gesamte paiitische System noch die Subsysteme werden von relevanten Militarisierungstendenzen beeinflußt.
Eine Rüstungsindustrie von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung gibt es nur in Ansätzen. Die Rüstungsforschung hat keine Abhängigkeiten der Universitäten von militärischen Projekten verursacht. Das Militär ist vornehmlich mit sich selbst beschäftigt und besitzt einen mäßigen politischen Einfluß
Es gibt keine parallelen oder identischen, gesellschaftlichen und politischen Interessen, die so stark wären, daß sie die Rüstungsausgaben in die Höhe treiben könnten. Die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland sinken seit mehreren Jahren relativ zu den Gesamtausgaben des Staates und werden in den nächsten Jahren auch real nicht erhöht werden. Die Formierungen rüstungsinteressierter Kräfte in der Bundesrepublik sind — gemessen am Erfolg ihres Einflusses — mit die schwächsten Interessengruppen.
Indes konnte die Existenz mehrerer notwendiger Bedingungen für die Entstehung eines technologischen Militarismus nachgewiesen werden: Der Bedarf der Streitkräfte an hochwertigen Rüstungsgütern ist groß; die Elemente des militärisch-industriellen Komplexes sind zumindest in Ansätzen vorhanden; die Kommunikation zwischen den Machteliten von Wirtschaft, Militär und Politik besteht. Außerdem würde der systemspezifische, allgemein konstatierte, im Vergleich zu gesamtwirtschaftlichen Bedürfnissen mächtige Einfluß der Interessengruppen auf den politischen Entscheidungsprozeß die Bildung einer Allianz von Militär, Rüstungsindustrie und anderen Kräften begünstigen.
Daß es trotzdem in der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Entstehung eines militärisch-industriellen Komplexes kam, ist auf die folgenden drei Primärursachen zurückzuführen: 1. Die Bundesrepublik stellt nur einen Teil 'der auf ihrem Territorium erforderlichen konventionellen Truppen. Die übrigen zur Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts in Mitteleuropa nötigen Verbände werden von Partnerstaaten der NATO stationiert. Als Gegenleistung kauft die Bundesrepublik von diesen Ländern Waffen in beträchtlichem Umfang. Dadurch wird die Rüstungspolitik von außenpolitischen und bündnispolitischen Fragen überlagert, d. h.
unter anderem, die Beschaffungsentscheidungen werden häufig dem innenpolitischen Kräftespiel entzogen und die Ausweitung der nationalen Rüstungsindustrie stark gehemmt.
2. Die Bundesregierung hat darauf verzichtet, den Waffenexport in dem Maße zum Instrument der Außenpolitik zu machen, wie das Frankreich oder Großbritannien getan haben. Art und Umfang der deutschen Waffenlieferungen und der militärischen Ausbildungshilfen haben weder die Bedeutung der Rüstungsindustrie noch die des Militärs vergrößert. 3. Die Wehrverfassung der Bundesrepublik ist stark von zivilen und bürokratischen Normen bestimmt. Außerdem sind die Entschei-
dungskompetenzen weitgehend im Verteidigungsministerium konzentriert, wo die militärischen Stäbe auf die mit Hilfe ministerieller Verwaltungsmethoden erarbeiteten Entscheidungen nur geringen Einfluß haben. Diese Bedingungen haben zwar möglichen Tendenzen zur Verselbständigung des Militärs entgegengewirkt, andererseits aber nicht unwesentlich die militärische Effizienz der Streitkräfte beeinträch-tigt.
Die praxeologische Folgerung ist evident: In dem Maße, wie diese drei Faktoren reduziert werden, wächst die Möglichkeit, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein militärisch-industrieller Komplex von systemveränderndem Gewicht entsteht.
Der erste Faktor, die Bündnisverflechtung der Bundesrepublik, ist eine Funktion der internationalen Verhältnisse im allgemeinen und der Stärke der amerikanischen Truppen auf europäischem Boden im besonderen. Ein Abkommen über eine beiderseitige ausgewogene Truppenverminderung würde die Bundesrepublik bei einem weiteren Abzug von Verbänden der USA aus Europa von dem Zwang befreien, durch eigene Aufrüstung das Gleichgewicht zu erhalten. Kommt es nicht zu einem Abrüstungsabkommen, würde der Abzug amerikanischer Truppen zu einer Stärkung mehrerer Elemente des militärisch-industriellen Komplexes in der Bundesrepublik führen. Der damit wahrscheinlich verbundene Anstieg der Inlandsbeschaffung würde zu einer beachtlichen Vergrößerung der Tiefenrüstung führen, wodurch auch dann mit einer Ausweitung der deutschen Rüstungsexporte zu rechnen wäre, wenn dies von der jeweiligen Bundesregierung nicht gewünscht werden würde. Um so kräftiger wären die Impulse für die Herausbildung eines militärisch-industriellen Komplexes, wenn der Rüstungsexport ein Instrument der deutschen Außenpolitik werden sollte.
Während die beiden ersten Faktoren nicht oder nur teilweise von der deutschen Regierung beeinflußt werden können, steht der dritte Faktor, die Wehrverfassung, nahezu ganz der jeweiligen Regierung und Bundestagsmehrheit zur Disposition.
Um die „Führung, Verwaltung und Planung der Bundeswehr von Ballast zu befreien, zu modernisieren und auf diese Weise die Wirksamkeit der für Verteidigungszwecke eingesetzten Mittel zu erhöhen"
Ein Novum ist die Berufung des Vorstandsvorsitzenden der Thyssen-Röhrenwerke AG, Ernst Wolf Mommsen, in das Verteidigungsministerium, wo er im Range eines Staatssekretärs für Rüstungsangelegenheiten zuständig ist. Mommsen ist kein Beamter; seine Firma zahlt seine Bezüge voll weiter. Durch diese Personalentscheidung wurde das Verteidigungsministerium nicht nur für das industrielle Mangement, sondern auch für industrielle Interessen weiter geöffnet als je zuvor, zumal auf Betreiben von Staatssekretär Mommsen ein Beraterkreis von Rüstungsindustriellen institutionalisiert wurde.
Zweifellos wird dadurch die traditionelle, zumindest formal bestehende Trennung von Wirtschaft und Ministerialbürokratie durchlöchert. Dies erscheint grundsätzlich bedenklich, auch wenn durch die Integrität des Stelleninhabers und der starken politischen Führung des Verteidigungsministeriums heute keine akute Gefahr für die politische und öffentliche Kontrolle der Beschaffungspolitik bestehen mag.
In diesem Zusammenhang sind die in jüngster Zeit intensivierten offiziellen Kontakte zwischen dem oberen und mittleren Industrie-management und den Verbänden der Streitkräfte interessant. Offensichtlich handelt es sich um die Vorbereitung eines „Blutaustausches" (Helmut Schmidt) zwischen Wirt-182) schäft und Bundeswehr. Die Luftwaffenführung will in der Nähe von Bonn ein „Haus der Luftwaffe" errichten, das zu einer Begnungsstätte von Luftwaffe und Fuftfahrtindu-strie werden soll. Im Zuge der Neuordnung des Rüstungsbereiches werden die militärischen Führungsstäbe einen größeren Einfluß erhalten und „die Verantwortung des Durchführungsbereiches durch konsequente Delegation wird vergrößert"
Demokratische Sicherungsmechanismen gegen Machtmißbrauch wirken unter dem Aspekt der Effizienz stets wie Ballast. Reformen in dem für den gesamten Staat so bedeutenden militärischen Sektor bedürfen permanenter Über-prüfung, ob sie nicht über das unvermeidliche Maß hinaus dem Prinzip der demokratischen Kontrolle zuwiderlaufen
Aus dem waffentechnologischen Wettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion ist längst ein technologischer Krieg