Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

„Wurzeldeutsch" und andere affirmative Sprachmuster. Zu einem Kapitel deutscher Ideologie | APuZ 25/1971 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 25/1971 „Wurzeldeutsch" und andere affirmative Sprachmuster. Zu einem Kapitel deutscher Ideologie

„Wurzeldeutsch" und andere affirmative Sprachmuster. Zu einem Kapitel deutscher Ideologie

Hermann Glaser

/ 114 Minuten zu lesen

Einleitung

Inhalt

Nach Herbert Marcuse ist es u. a. Kennzeichen affirmativer Kultur, daß sie all diejenigen Kräfte und Bedürfnisse, die im alltäglichen Dasein keine Stätte finden können, in die „Kultur der Seele" hereinnimmt, die Sehnsucht nach einem glücklicheren Leben mit dem affirmativen Vorzeichen versieht: einer anderen, reineren, nicht alltäglichen Welt anzugehören. Durch die Verdrängung des Realitätsprinzips und die Wegprojizierung diesseitiger Wünsche und Forderungen in eine höhere Welt, in ein höheres Glück, wird die Gestaltung des Da-seins vernachlässigt, die gesellschaftliche, politische und kulturelle Wirklichkeit als fraglos hingenommen und besinnungs-los perpetuiert. Affirmative Sprachmuster lassen Realität unbefragt: die auf Selbstbestätigung ausgerichtete Artikulation verfemt Dialektik; Sprache will Reproduktion des Bestehenden sein und nicht — aus Verunsicherung erwachsend — Gestaltung eines Neuen. Die organistische Auffassung von Sprache macht diese, als „Wurzeldeutsch" etwa, zur Emanation von Wahrheit; Sprache wird nicht „fortgeschrieben"; im Wort ist Essenz zu Hause.

Teil II dieser Betrachtung (ergänzt durch Analysen einzelnen Texte in Teil III) will die derart verabsolutierte Sprachauffassung und -pra-xis in vier dominanten Sprachmustern aufweisen, wodurch charakteristische Merkmale deutscher Ideologie hervortreten dürften. Teil I markiert — in aphoristischer Form — die Gegenposition: Sprache als „Vereinbarung" und damit auch als Versuch, jeweils augenblickliche Wahrheit (im Sinne von „Redaktionsschluß") zu beschreiben; als Plural von Codes ist Sprache zudem gesellschaftspolitischen Veränderungen unterworfen. (In Form von „abstracts" wird eine Folge von Meinungssätzen zum Problemkreis angeboten. Die enumerierende Aneinanderreihung soll verhindern, daß diese Sätze als System mißverstanden werden.)

Die Verunsicherung des Standpunkts, wie er zu den Prämissen der Betrachtung gehört, gilt freilich nicht den Sprachmustern gegenüber, die ihrerseits Sprachrelativismus ablehnen und in ihrem Absolutheitsanspruch kommunikative Unterwerfung fordern. Die affirmative Sprachhaltung ist zu disqualifizieren, weil sie für eine demokratische Gesellschaft (und Schule) untauglich ist. Spracherziehung muß ihre ideologische Fixierung überwinden, Offenheit und Beweglichkeit — als Gegensteuerung zu Dogma, Stereotypie und Statik — zum Axiom haben.

I. Meinungssätze zum Verhältnis von Sprache und Gesellschaft

Dok. VIII: Kategorientafel des englischen Denkens

(Max Scheler: Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg, 1915. S. 438 ff.)

Sprachmoral 11 Sprachmoral sollte nicht appellativer Art sein: nicht auf bestimmte Wertvorstellungen hin erziehen wollen, sondern lediglich bestimmt sein durch das Axiom, daß offene Strukturen „besser" sind als geschlossene, verunsicherte besser als dogmatische. Die „Gültigkeit'dieses Axioms ist abgeleitet aus dem anthropologischen wie soziologischen Tatbestand, daß der Mensch ein kommunikatives Wesen zu sein hat, wenn er vergesellschaftet leben will (was er muß). Von diesem Grund-axiom aus kann man dann ideologiekritisch andere Sprachmuster analysieren. Detailaussagen solcher Kritik sind jedoch selbst wieder der Befragung zu unterwerfen; Beweisführungen widersprechen der Struktur von Sprache schlechthin. Es muß immer wieder neu „gemeint" werden. 2. — Wenn Spracherziehung von syntagmatischer Hierarchie bestimmt ist, also nicht experimentelles Sprechen (Spielhaltung, Aleatorik im Sprachlichen) bejaht, wird die sich einstellende Ritualisierung und Stereotypisierung es weder dem Sprecher noch dem Angesprochenen erlauben, von den vorherrschenden Wortverknüpfungen sich zu lösen; Pluralismus wird verhindert. Wird Pluralismus als Axiom des Handelns gesetzt, als Axiom von Artikulation aber verhindert, entstehen Sprachpsychosen und Sprachneurosen: man flüchtet sich in ein Idiom, das diese Diskrepanz (kognitive Dissonanz) dadurch zu überwinden sucht, daß es überhaupt kein problemorientiertes Sprechen zuläßt.

3. — Wenn in einer natürlichen Sprache als einem Aggregat von ineinander verzahnten, sich zum Teil in ihrem Bau widersprechenden Teilsystemen und Systemansätzen ein Teilsystem zu dominieren beginnt und es sich nicht um Sprachmode (als rasch vorübergehende, sich selbst bereits wieder überholende bzw. auflösende Erscheinung) handelt, ist die kritische Gegensteuerung zu verstärken. Da solche Gefahr stets latent vorhanden ist, müßte Spracherziehung weitgehend darin bestehen, Gegensteuerungsverfahren zu entwickeln und einzuüben; diese sind mehr methodisch-struktureller als inhaltlicher Art.

4. — Wittgensteins Satz: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache" macht deutlich, daß der jeweilige historische, soziale, allgemein kulturelle Kontext für die Intension ausschlaggebend ist. Worte verfallen der ideologischen „Besetzung" und werden nach einiger Zeit wieder frei davon. („Selektion" wird heute in der Wissenschaftssprache der Pädagogik verwendet; der schreckliche Bedeutungshintergrund des Wortes im Dritten Reich verblaßte; zu früh.) Die dialektische Semantik befreit das Wort aus seiner „platonischen" Isolation und stellt es in die Zeit. Wörterbücher müssen ständig fortgeschrieben werden.

5. — Sprachkompetenz als Beherrschung der formalen grammatikalischen Regeln und semantischen Vereinbarungen bedarf komplementär kommunikativer Kompetenz: nämlich der Fähigkeit, die jeweilige Sprechsituation einschließlich individueller oder kollektiver, psychischer oder sozialer Erfahrung erkennen zu können. Die Ausrichtung aufs linguistische System und auf die gesprochene Sprache (auf „langue" und „parole") verhindert normative Einseitigkeit. Sprachkonstruktion und Sprach-konventionmüssen wechselseitig aneinander gemessen und aufeinander bezogen werden;

dies ermöglicht es, ein angemessenes Verhältnis zur sprachlichen Erkenntnis innerhalb eines idealtypischen Orientierungssystems und zur sprachlichen Interessenlage (zur Sprachpraxis)

zu finden. Die Begriffe des Idealen und Trivialen sind nicht a priori Wertbegriffe; die Sprachabsicht konstituiert die Beurteilungskriterien.

Kritik am verwendeten Sprachmuster ergibt sich nicht aus dem Vergleich von Trivialem und Idealem schlechthin, von Praxis-sprache und Edelsprache, Form und Inhalt, sondern aus der Antwort auf die Frage, ob die betreffenden Sprachmuster sich ihrer partiellen Möglichkeiten bewußt bleiben und sich nicht verabsolutieren. Hermeneutik in diesem Sinne bedeutet somit ein Verstehen von Sprache (Texten) aus dem Wissen um die sowohl sprachlichen wie gesellschaftlichen Intentionen.

6. — Der anthropologischen Feststellung, daß der Mensch ein zur Lüge fähiges Lebewesen sei, steht die aus einem anderen Satz der Anthropologie, welche den Menschen als kommunikatives Wesen beschreibt, abgeleitete sprachmoralische Aufforderung, nicht zu lügen, antinomisch gegenüber. Demnach sollte Verständigung stets mit einer reservatio mentalis erfolgen; Mißtrauen, das die Lüge einkalkuliert.

Die Worte soll man nie so ganz ernst nehmen; doch soweit ernst, daß Lüge nicht ermuntert wird.

7. — Wie kommt es, daß man Krieg als Friede und Knechtschaft als Freiheit bezeichnen kann?

Macht die Bedeutung eines Wortes seinen Gebrauch aus, kann man durch Gebrauch dem Wort jede Bedeutung geben, die man wünscht?

Worte sind Hülsen, die mit jeglichem Inhalt gefüllt werden können — wenn die Definitionen fehlen. Spracherziehung muß ständig um Definitionen sich bemühen; dann ist es gleich, ob man den Krieg Frieden nennt; hat man ihn als solchen „begrenzt", ist es unwichtig, mit welcher Prädikation man ihn versieht.

Er wird nicht als Wort, sondern als „Sache"

erkannt werden; kann somit nicht durch ein Wort verschleiert werden.

8. — Kann man verdorbene Wörter heilen?

1934 meinte Brecht: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht.

Korrupte (ideologisierte) Wörter können nur „geheilt" werden, indem man sie aus dem Verkehr nimmt. Sie müssen austrocknen, die ideologische Aufquellung verlieren, ehe sie wieder — dann entmythologisiert — verwen det werden. Es ist eine Erkenntnis des Sprach-relativismus, daß Sprachmuster und Sprach-bereiche altern und veraltern, durch neue ersetzt werden müssen, damit das Denken flexibel bleibt. Das „Schöne, Gute und Wahre" muß man nach einiger Zeit als Sprachfeld brachliegen lassen, genauso wie nach einiger Zeit „kritische Reflexion" abgedroschen ist.

9. — Sprachliche Oberflächenstruktur muß geprüft werden an der gedanklichen Tiefenstruktur: Ob die verwendete Sprache Sinn zu produzieren und damit die Leere der Tiefe zu kaschieren sucht, oder „erfüllte" Tiefe in Sprache manifest gemacht wird. Dieser Vergleich von vorgegebener und wirklicher Bedeutung, Form und Sinn (Gestalt und Gehalt) darf sich nicht von affirmativen Behauptungen leiten lassen, sondern muß stets neu und ohne tradierte Vorgabe am Text durchgeführt werden, damit Bedeutsamkeit nicht ohne Bedeutung sich her-ausstaffieren kann.

10. — Inhaltlich leergelaufene Sprache, die in Gedanken-und Sacharmut nur an die Verbalisierung von Oberflächeneindrücken sich halten kann, ist eine spezifische Ausprägung zivilisatorischer Frustration, die leicht in Aggressivität umschlägt. Wer nicht denkt, aber redet, kann dies in verschiedenen Sprachmustern tun; affirmatives Edeldeutsch liegt dabei auf derselben Ebene wie modischer Boutiquenjargon.

Kommunikation 11. — Die Schwierigkeiten der Kommunikation in einer technischen Zivilisation können nicht dadurch gelöst werden, daß man eine Sprache (ein Sprachmuster) für die Verständigung vorsieht; man muß vielmehr jeden in die Lage versetzen, daß er den Plural der Sprachen und Jargons zu verstehen und entsprechend zu „übersetzen" vermag. Der Übertritt in ein anderes Sprachmuster ist auch Übertritt in andere Denkkategorien; dagegen ist sprachliche Vereinfachung gedankliche Vereinfachung; die eine Axiomatik läßt sich nicht durch eine andere ersetzen. Spracherziehung ist Einübung in vielfältige Sprachmuster; Fähigkeit für Transfer.

12. — Sprächsensibilität ist letztlich das konstante, stets fortzuschreibende Bewußtsein von der Unzulänglichkeit sprachlicher Artikulation; Offenheit von Sprache angesichts des Mit-und Gegensprechenden; Überzeugung, daß erst das dialektische Gespräch zum (wenn auch stets nur vorläufigen) Standpunkt zu verhelfen vermag. Wahrheit ist Redaktionsschluß.

Verfremdung in und mit Sprache, sprachliche Beweglichkeit, aleatorische Verwendung von Worten (einschließlich des Durchspielens immer neuer Kombinationen und Sequenzen) verhelfen zur existentiellen wie gesellschaftlichen Relativierung. Gedanken, Begriffe, „Wahrheiten" sollten nicht verbindlich artikuliert werden, sondern um-schreibbar, umsprechbar bleiben. Facettenreiches Sprechen fördert facettenreiches Denken (wie auch umgekehrt der Pluralismus des Denkens plurale Sprache initiiert). 13. — Wie soll Sprache Gedanken offenbaren?

Gedanken sind, als Abstrakte und Konstrukte formuliert, an sich als kommunikativer Treff-ort gut geeignet: Abstraktion neutralisiert, Verallgemeinerungen mit großem Begriffsradius ermöglichen plurale Begegnung. Werden die Gedanken konkretisiert, individualisiert, geht mit der Anschaulichkeit ihre Kommunikationsfähigkeit zurück; jede Eigenart ist weniger zugänglich als das Gemeinsam-Vielfache, wirkt evtl, sogar verletzend und abstoßend. „Sprachkunst"

ist es somit auch, Gedanken so zu offenbaren, daß sie ihre Eigenart offenhalten für die Eigenart des anderen — im Schwebezustand zwischen Abstraktion und Konkretisierung.

14. — Information ist Reduktion von Möglichkeiten. Dieser Grundsatz der Informationstheorie macht deutlich, daß Information immer partiell ist, nach mehr Information verlangt — Möglichkeiten alternierend reduziert werden müssen. Damit Information nicht manipuliert wird, muß Informationsfülle gewährleistet sein; die instrumentell notwendige Informationsauswahl muß immer wieder durch Informationsdiffusion (das gezielte durch ein aleatorisches Informationsangebot) ergänztwerden. 15. — Wenn der Sprechende nicht in der Lage ist so zu artikulieren, daß seine Bereitschaft erkennbar wird, die Parameter seines Bezugssystems zu variieren, um auf diese „experimentelle" Weise Möglichkeiten kommunikativer Einigung abzutasten, wird entweder keine Verständigung stattfinden oder rezeptives Hörerverhalten dominieren (das die vom Sprechenden programmierte Wirklichkeit unkontrolliert hinnimmt bzw. auf sich einwirken läßt). Die Parameter müssen — zur Erleichterung der Kommunikation — markiert und definiert werden, damit man den Weg zu Kompromiß und Synthese erkennen kann. 16. — Der Sprechende wird dem Zuhörenden stets eine Rolle zuteilen wollen; dieses Rollen-verhältnis (das schon in der Anrede sich manifestiert) sollte möglichst transparent und explizit sein, damit der Angesprochene entscheiden kann, ob er das Rollenspiel annimmt bzw. welchen Rollenwechsel er als Replizierender vorzunehmen gedenkt. (Wer sich als Mitbürger angesprochen fühlt, aber als „Untertan" begreift, wird die Anrede entsprechend zu „übersetzen" und in seiner Antwort die negative Transformation zu verdeutlichen haben, damit der nun Angeredete die „Wellenverschiebung" begreift).

17. — Das Kleintun in Sprache bedarf der Ironiesignale: Diese vermitteln das Bewußtsein, daß Worte nicht Sachen sind, Sprache nicht Handlung darstellt; sie relativieren das Gesagte als Gesagtes und verhindern, daß man Sprache als Emanation von Wahrheit oder Wesenheit mißversteht. Affirmative Sprache ist der Ironie nicht fähig, da sie sich sonst selbst den Himmel entzöge, aus dem sie ihr Charisma bezieht. Dialektische Sprache ist ironische Sprache, da die Verunsicherung der eigenen Position das Fortschreiten erst ermöglicht. „Ironie ist: einen Kleriker so darstellen, daß neben ihm auch ein Bolschewik getroffen ist. Einen Trottel so darstellen, daß der Autor plötzlich fühlt: Das bin ich ja zum Teil selbst." (Robert Musil) 18. — Provokation ist sprachlicher Kommunikation förderlich; das Anstößige stößt an. Wenn die Provokation so stark angesetzt wird daß sie zurückstößt, also nicht auch auf Sympathiewerbung aus ist, bewirkt sie Sprachlosigkeit: Entsublimierung, Regression in Frustration bzw. Frustrationsaggressivität. Die Art der Provokation bestimmt somit, ob Entstofflichung (= Kommunikation) oder Verstoßlichung (Gesprächslosigkeit) stattfindet, Sprache Gegensprache bewirkt oder den anderen mundtot macht.

19. — Die Sprache der Erbauung verhindert Emanzipation, indem sie vorhandene, bestehende, gewohnte Sprachmuster nicht nur durch Praxis (als konstante Verwendung gleichbleibender Sequenzen), sondern auch durch Theorie (Ideologie, Mythologie) bestätigt. Die Unschärferelation von Sprache (daß man, indem man etwas anspricht, dieses Angesprochene durch Sprache bereits verändert) wird genauso mißachtet, wie der Annäherungscharakter von Sprache verschwiegen wird (daß es sich jeweils nur um einen Versuch von Verständigung handeln kann). 20. — Eine durch Klischees und Formeln bestimmte Sprache bietet dem Sprachunsicheren (demjenigen, der nach sprachlicher Sicherheit strebt) Asyl: hier findet er vor der Angst Zuflucht, sich nicht artikulieren zu können.

Mangel an Artikulation ist Identitätsverlust;

Sprache als gelungene Kommunikation ermöglicht die Aufnahme des Objekts ins Subjekt und die Verlegung des Subjekts ins Objekt.

21. — Das Verdrängungsidiom stilisiert syntagmatische Stereotypie zur Wahrheit: als ob Sprache, weil sie sich nicht bezweifelt, sondern affirmiert, erst „eigentlich" Sprache werde. Daß einer, weil er „so" spreche, wahr spreche — wird in Suggestion und Autosuggestion geglaubt. Wenn Sprache und Glaube zusammenfallen, ist begriffliche Trennschärfe ausgeschaltet.

Ideologie und Praxis 22. — Disziplinierung im Sprachgebrauch wird mißverstanden oder ideologisch verstanden als Anpassung an herrschende Sprache. Indem ganz bestimmte sprachliche Verhaltensweisen idealisiert, andere desavouiert und diffamiert werden, können sprachliche Herrschaftsverhältnisse aufrecht erhalten, soziale Verhaltensweisen festgelegt bleiben. Der herrschen de Sprachgebrauch (die Ablehnung des Fremdwortes etwa) dekretiert über die Agenturen der Gesellschaft sich selbst als Wahrheit, so daß Wahrheit gar nicht zu zweien beginnen kann. Gegensprache, mit dem Versuch, die herrschende oder vorherrschende Sprach„Wahrheit" zu beseitigen, verhält sich als Reflex häufig nicht anders als der bekämpfte Code: stilisiert sich zur Gegenwahrheit, wodurch die Bekämpfung des Übels (der Eindimensionalität von Sprache) das Übel (nun als andere Form von Eindimensionalität) reproduziert. 23. — Sprachliche Manipulation ist die Fähigkeit, die Signale so zu gestalten, daß sie statt Reflexion Reflex hervorrufen — besinnungslose Reaktion, die auf der Gleichschaltung von Sender und Empfänger beruht. Es entstehen gleichförmige Sprachraster, die das jeweilige Einschnappen beim Wortsignal garantieren. 24. — Die Prädikation — die Zuordnung von Worten zu Sachen und Gedanken — wird dann zum magischen Befehl (zur Suggestion), wenn der Zuordnende (unterstützt durch Charisma bekundende oder vortäuschende Intonation, Mimik, Gestik) seine Bezeichnungen als Zeichen für das „Natürliche" = Richtige = Wahre auszugeben vermag.

25. — Sprache gibt sich häufig scheinkommunikativ; die auf den anderen einhämmernden Vokabeln gelten weniger ihm als dem eigenen Idi: ein Streukranz von Affirmationen soll die eigene Position kommunikativ unzugänglich machen und unbefragbar halten. Ist man derart aggressiv abgeschirmt, kann man dahinter um so bedenkenloser (gedankenloser) sein Weltbild verabsolutieren, seine Ideologie auf dem Polster der Wirklichkeitsferne pflegen. 26. — Der Jargon schließt ein und schließt aus: er bekräftigt die Gemeinschaft der Gleichsprechenden und grenzt diese aggressiv gegenüber denjenigen ab, die anders sprechen (und denken und fühlen). Zugleich soll mit der Abgrenzung das elitäre Bewußtsein vermittelt werden, daß der eigene Jargon wahr und die andere Sprache weniger wahr oder nicht wahr sei. Muttersprachgeraune etwa suggeriert, daß organische Sprache gegenüber der artifiziellen die eigentliche Sprache sei. Die Verpackung ist bereits die Botschaft. 27. — Soll man Sprache von Metaphern freihalten? Spracherziehung sollte dazu befähigen, Methaphern als solche zu erkennen, damit nicht „Anschaulichkeit" für den Gedanken oder die Sache genommen wird. Das ständige „Zurücknehmen" der Metapher (was mit einer Fülle sprachlicher Mittel möglich ist) verhindert, daß der Gedanke durch die Übersetzung ins Bild seine Substanz verliert. Werden Metapher und Gleichnis nicht wieder „zurückgenommen" oder als solche nicht markiert, sondern wird zunehmend Deskription durch Bildhaftigkeit ersetzt, entsteht im Sog der Bildhaftigkeit Realitätsverlust. Der Gedanke, einmal ins Bild überführt, in immer neue Metaphern weitergetrieben, verliert sich. Es folgt die Usurpation des Gedankens durch das Bild — vor allem im faschistischen Jargon, dessen Uberredekunst vorwiegend in Metaphernwucherung (bei Gedankenflucht) besteht. 28. — Zur Unwahrheit verführen bzw. Tatbestände verfälschen können rhetorische Figuren — „Euphemismen, Hyperbeln, Ellipsen, Amphibolien, die Formen und Formeln der Höflichkeit, Emphase, Ironie, Tabuwörter, Anthropomorphismen" (H. Weinrich) —, dann nämlich, wenn das Bild nicht als Einkleidung, sondern als Körper mißverstanden wird. Eine „saubere" Gesinnung ist eigentlich durch ein Adjektiv nicht nachweisbar. Einkleidungen sind stets auswechselbar. Aufs Beispiel zurück-bezogen: da Schmutz Materie am falschen Ort ist, kann Schmutz leicht entschmutzt und Sauberkeit zum Pejorativum werden. 29. — Abbreviaturen, die nicht durchschaubar sind, deren Genealogie weitgehend vergessen und die nicht wieder neu definiert oder abstrahiert werden, sind der Wirkung von Metaphern gleichzusetzen. Das Wie läßt das Was vergessen; man verwendet die Abkürzung als Signal, das nicht eine Information vermittelt, sondern als Botschaft wirkt. Wer vom Kürzel nicht mehr den Weg der Verkürzung kennt, erlebt dieses als Beschwörungsformel, das Tatbestände nicht expliziert, sondern Haltungen, Reaktionen, Aktionen evoziert. Kürzel in diesem Sinne geben sich prägnant, sind aber Magie.

30, — Da jede natürliche Sprache eine historisch-soziologische Größe ist, besetzt auch mit unwiederholbaren Erfahrungen, ist vorherrschende Sprache nur sehr bedingt dazu geeignet, Zukünftiges zu beschreiben. Die historische Bedingtheit des sprachlichen Zeichens — als einer sozial festgewordenen Konstruktion — macht es notwendig, prospektive Fragen dadurch anzugehen, daß man neue Zeichen einführt und ihre Definitionen vereinbart (was unvoreingenommenere Interaktion ermöglicht). „Ein Hauptwert des Grundsatzes , arbitraire du signe'liegt darin, daß man dadurch immun wird gegen ein romantisches Organismus-Denken und daß man die Sprache klar als historisch-soziologische Größe versteht, eine Größe, die freilich strukturiert ist, aber eben nicht wie ein Organismus, sondern wie eine Institution, die von einer Vielzahl von Organismen (soziologisch von einer Gruppe) geschaffen worden ist und getragen wird" (Hans Glinz). Die Abhalfterung vom historischen und traditionellen Bestand erleichtert futurologische Vernunft.

31. -— Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen — dieser Satz Wittgensteins trifft nur auf formalisierte Zeichensysteme zu (die ihre Eindeutigkeit aus der definitorischen Vor-vereinbarung beziehen). Diese Eindeutigkeit hat ihren Wert darin, daß die Kommunikation im Vorfeld von Praxis erfolgen muß, also späterer, Handeln verhindernder Vieldeutigkeit durch praktikable Festlegung gesteuert wird. Was dann folgt, ist nicht mehr Kommunikation, sondern „Ausrechnung" getroffener Vereinbarungen. So notwendig solches „Ausrechnen" im Hinblick auf Praxis ist, so sehr beeinträchtigt es prozessuale Verständigung. Der Vereinbarung a priori fehlt die nuancenreiche Fortschreibung; der dialektischen Fortschreibung geht der zum Handeln überleitende Redaktionsschluß ab. Erst der Wechsel beider Verfahren hilft weiter: die zur Applikation führende Festlegung muß parallel diskutiert werden, um zu neuer, nun fortgeschriebener Festlegung zu führen.

32. — Die . Versprachlichung'ist daran zu prüfen, ob sie Anschluß hat an die gesellschaftliche Rationalität: ob Denkprozesse durch Sprache objektiviert, aus subjektiver Befindlichkeit in kommunikativer Wirksamkeit übergeführt werden können. Oder ob Sprache dazu verwendet wird, Phantasmagorien zu „verwirklichen", also Wirklichkeit durch Sprache zu ersetzen. Wenn Fiktionen, Mythologeme, Archetypen anstelle von Sachlichkeit durch Verbalisierung oktroyiert werden, ist Sprache auf die Zerstörung von Kommunikation ausgerichtet.

Die Denk-Sprech-Identität ist von individualpsychischer Bedeutung; erst die Identität von Denken, Sprechen, Handeln (bzw.

Praktikabilität) ermöglicht eine gesellschafts.

relevante Beurteilung von Sprache.

33. — Die Präzisierung von Information und die Prüfung von Sachverhalten innerhalb alternativer Beurteilungsraster setzt einen elaborierten Code voraus. Die sprachliche „Planung“

ist dann komplex: die Wirklichkeit wird nach verschiedenartigen Prinzipien abgetastet; variable Sozialbeziehungen werden ermöglicht.

Wenn durch Sozialbarrieren der elaborierte Code mit seiner großen Anzahl von alternativen syntaktischen Konstruktionsplänen und wenig determinierten sprachlichen Sequenzen sowie mit einem Höchstmaß individueller Spezifizierung der Allgemeinheit versagt und nur einer Minderheit zugestanden wird, ergibt sich daraus die Gruppierung von herrschenden Manipulatoren und beherrschten Manipulierten.

Denn der restringierte Code (gekennzeichnet durch „eingeschliffene" sprachliche Konstruktionspläne, alternative Verkümmerung, stereo-typisierte Artikulation) läßt ein Ausbrechen aus den festgelegten Sozialbeziehungen nicht zu. Die ritualisierten Sprach-und Verhaltensmuster verhindern Aktion, fordern Anpassung.

„Ungewöhnliche" und ungewohnte Sachverhalte und Zustände haben im sozial eingespielten Sprachstil keine Ausdrucksmöglichkeit;

ohne Artikulation ist der Weg zum alternativen Handeln versperrt oder sehr erschwert.

Der Umschlag in die außersprachliche Artikulation aber stellt eine Gefährdung von Demokratie (als institutionalisiertem Gespräch)

dar. Wenn die gehobene Mittelschicht auf das Privileg des elaborierten Code verzichtet (oder ihr dieses Privileg entzogen wird), kann durch solche Verunsicherung von Hierarchie Demokratie stabilisiert werden.

II. Einige affirmative Sprachmuster

Deutsch für Festtage Die deutsche Sprache sei die tiefste, die deutsche Rede die seichteste, meinte Karl Kraus. Der zweite Teil dieser Feststellung ist aufgrund alltäglicher Erfahrungen leicht zu bestätigen. Was allenthalben an festlichen und offiziellen Reden und Ansprachen, zu bestimm-ten Zeiten des Jahres und jeweils gegen Ende der Woche (als Sonntagsrede) besonders massiert, vor andächtiger oder gelangweilter Zuhörerschaft ertönt, kommt über die Platitüde meist kaum hinweg. Zur geeigneten Stunde ergreifen die Stützen und Spitzen der Gesellschaft, die Repräsentanten des öffentlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Lebens das Wort; dann strömen in der Suada die Metaphern heran, ertönt das hohe Lied vom Idealen und Grundsätzlichen, vom Wesen-haften und Eigentlichen.

Die syntaktischen Muster, die Wortfelder, die Sprechlage, das semantische Klima ähneln sich in außerordentlichem Maße. Bei dem Versuch, einige Charakteristika der deutschen festlichen und offiziellen Rede aufzuzeigen, soll auf das durchschnittliche Sprechverhalten, ungeachtet individueller Abweichungen, eingegangen werden. Ferner ist die Verflochtenheit der Sprache mit der gesellschaftlichen Situation des Sprechenden und sind die im kollektiven Unterbewußtsein und Bewußtsein dominierenden Gefühls-und Denkweisen, die in und mit Sprache artikuliert werden, zu betrachten.

Die meisten der Redner sind nicht Täter, die die Sprache vergewaltigen und ihr Publikum zu manipulieren suchen. Sie sind überwiegend selbst Opfer; sie geben nicht den Ton an, ihnen wird der Ton vorgeschrieben — eben durch die gesellschaftliche Tradition, die ja auch und besonders eine Sprachtradition ist. Unverkennbar ist dabei der tonangebende Einfluß des Bürgertums, das im Besitz der Herrschaftsposition Sprache und Sprechen verwaltete. Auch heute ist die vorherrschende Sprache weitgehend noch die Sprache der Herrschenden. Solche angemaßte und herrschaftsmäßig abgesicherte Sprachautorität, die sich einen charismatischen Schein zulegt, verweigert sich der Befragung. Sie kann sich nicht auf Kompetenz hin prüfen lassen, da sie keine hat. Sprachliche Stereotypie, die sich erhalten will, muß somit autoritär sein. So sehr auch bestimmte gesellschaftliche Traditionen und Herrschaftsverhältnisse sprachliche Verhaltensweisen prägen und diese dann wiederum dazu beitragen, das Bestehende zu perpetuieren — es wäre durchaus im Rahmen des erreichten Pluralismus möglich, mit Hilfe einer das vorherrschende Ritual verunsichernden Sprache die dominierende Stereotypie aufzubrechen und damit in Überwindung des rein affirmativen Jargons Kommunikation zu ermöglichen.

Dem steht freilich die Erwartenshaltung des Publikums entgegen. Der offizielle Redner spricht so, wie er spricht, nicht nur, weil er selbst nicht anders sprechen kann, sondern weil auch das Publikum von seiner Rede solches Sprechen erwartet. Welche Sprache das Publikum erwartet, sei mit einem Zitat umschrieben, das über ein Jahrhundert zurückliegt: „Wie das Auge des Volks das festliche Gepränge liebt, mit dem mächtige Herrscher sich umgeben, so liebt seine Seele den Glanz und die Pracht der Schillerschen Sprache, die Majestät seines Ausdrucks, das von Gold und Purpur strahlende Gewand der Herrschaft im Reiche des Geistes." Gabriel Rießer beschrieb so im Schillerjahr 1859 die Form der festlichen Rede, und er wurde ihr mit seiner eigenen Rede zum 100. Geburtstag des Dichters, einem „Siegesfest des deutschen Geistes", auf markante Weise gerecht. Dem deutschen Volk „war in Schiller die höchste und edelste Bildung erschienen, die reine Entwicklung des Natürlichen, die schönste Blüte, die süßeste Frucht, in ihm lebten die zartesten und tiefsten Empfindungen, das reinste Geistigste, die höchsten Mächte und die ursprünglichsten und kindlichsten Gefühle."

Die hier expressis verbis vorgenommene Berufung auf die deutsche Klassik und den deutschen Idealismus ist bis heute (bewußt oder unbewußt) der Urgrund der festlichen Rede geblieben. Das freilich, was an der deutschen Klassik vor allem geschätzt und nachgeahmt wird, das Pathos nämlich, ist pervertiert. Die Worthülsen sind geblieben, aber die Begriffs-kerne entfernt. Pathos wird mißverstanden als ein Verschließen vor der Wirklichkeit, als die süßliche Harmonisierung von Gegensätzen oder als ihre „heroische" Beseitigung, während z. B. Schillers Denken und Sprache durch Dialekt gekennzeichnet war. Der Schaum, der über gedanklicher Tiefe treibt, wird abgeschöpft, handliches Material für die festlichen Schaumschläger. Diese Sprache, die aus der „Fülle des Herzens" kommt, ein „gewaltiges Erbe" verwaltet, „begnadeter Geister" gedenkt, von „Generation zu Generation lebendig bleibt", um „menschliche Größe“ kreist, die Künste rühmt, von Achtung und Ehrfurcht bewegt ist, diese Sprache geht dem Gedanken aus dem Weg; was gemeint ist, bleibt unklar, wahrscheinlich ist überhaupt nichts gemeint. In Deutschland, so sagte Theodor W. Adorno, „wird ein Jargon der Eigentlichkeit gesprochen, mehr noch geschrieben, Kennmarke vergesellschafteten Erwähltseins, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung." Und aus Politik — muß man selbstverständlich hinzufügen.

Untersprache als Obersprache. Die hohen, edlen Worte aus dem Bereich idealistischer Dichtung wurden epigonalisiert und zum Trivialen eingeebnet. Als Sinkgut werden sie von den Festrednern immer wieder ins Offizielle hinaufstilisiert. (Dok. I) Das festliche Publikum erwartet schöne Reden; es ist aufgeschlossen für alles Wahre, Gute und Schöne und fühlt sich in dieser Gestimmtheit erst richtig gewürdigt, wenn der Redner seine Worte ständig den Wortfeldern des Wahren, Guten und Schönen entnimmt. Aufgrund der vorherrschenden Spracherziehung ist man nur in der Lage, ganz bestimmte Signale und Zeichen aufzunehmen, also lediglich auf affirmative Worte zu reagieren.

Der Dunstkreis der Suada wird zur Aura des Gutgemeinten. Offizielle festliche Rede ist dabei sprachliches Ritual. Die standardisierten Formen und Formeln ermöglichen es dem Hörer, sich zurechtzufinden. Er erlebt, was er erwartet hat, und er erwartet, was er immer erlebt hat. Das sprachliche Ritual stellt einen integrativen Sog dar, der alle zu einer Gemeinschaft der Gutwilligen zu vereinen sucht, indem er vom Anspruch kritischen Denkens und Bedenkens entlastet. Es geht nicht um Reflexion, sondern um Simplifikation, Unifikation. Wie gut dieses Ritual funktioniert, haben etwa bis vor kurzem die Abiturreden gezeigt. Erst als Folge des jugendlichen Protests hat sich einiges geändert. Als vor zwei Jahren in Hessen eine Abiturientin eine Rede hielt, die weniger abgeschmackt und gemäßigt kritisch war, wurde diese Rede dutzende Male nachgedruckt. Daß eine Schülerin nach neun Jahren gymnasialen Deutschunterrichts etwas außerhalb der traditionellen Feststereotypie sprechen konnte, war offensichtlich und wohl auch mit Recht als Sensation empfunden worden Das, was hier Festsprache, offizielle Sprache genannt wird, findet sich — bei gleichbleibendem Tenor und Tremolo — in sehr vielfältigen und unterschiedlichen Bereichen der Sprachpraxis. Die sogen. Redesteller geben darüber im besonderen Maße Aufschluß. In ihnen konvergiert die Erwartungshaltung des Publikums mit den gesellschaftsspezifischen, leitbildhaf-ten Vorstellungen von der Kunst der Rede Hier ist zusammengefaßt, was das kollektive Sprachbewußtsein unter festlicher bzw. offizieller Rede versteht und verstanden haben will; die gesellschaftlichen Leitbilder und Zielvorstellungen werden in leicht handhabbare Stanzmuster gefaßt (Dok. II). Damit eine Rede ein „wirkliches und echtes sprachliches Gebilde", „mustergültig, sauber und klar“, gegen Ende „aufrüttelnd" wirke, müsse sie von innerer Wahrhaftigkeit, von Wirklichkeitssinn und Natürlichkeit getragen sein, „abgedroschene, ausgewalzte, ausgequetschte, ausgelaugte Redensarten" vermeiden. Dabei merken die Autoren der Redesteller nicht, daß sie die Gebote der Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Natürlichkeit mit den abgedroschensten, ausgewalztesten und ausgelaugtesten Redensarten verkünden. — Die Rede soll in die „heimlichsten Tiefen" der Seele dringen und zarte Stimmungen festhalten; das Fremdwort habe dabei nichts zu suchen, vor seinem Gebrauch wird intensiv gewarnt. Die anerzogene Sprache ist so sehr zur Natur geworden, daß man die Diskrepanz zwischen der vorgegebenen Absicht und der praktizierten Sprechweise nicht erkennenkann.

Die Kommunikationswissenschaft nennt dies kognitive Dissonanz; der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird nicht gesehen bzw. verdrängt. Viele Festredner verkörpern diese kognitive Dissonanz. Ihr entpersonalisierter Jargon ist dabei verinnerlicht, die verbalisierte Leere gewissermaßen existentiell — „der ganze Mensch redet". Grass spricht in den „Hundejähren" von philosophischen und historischen, kleinbürgerlichen und uniformierten Scheuchen, von Nahkampf-und Diskussionsscheuchen, von Halleluja-Scheuchen, inneren Emigrationsscheuchen, Trachtenfestscheuchen, Berg-und Flachlandscheudien, Jungscheuchen, Altscheuchen. Man könnte nach einer solchen Typologie die Festredner einordnen, wobei die Halleluja-Scheuchen domieren dürften, diejenigen nämlich, die unentwegt zum Rühmen sich bestellt fühlen.

Wenn das Quartett die musikalische Einstimmung beendet hat, springt der Redner gestrafft und konzentriert, mit dem Notizzettel in der Hand, an den Lorbeerbäumen vorbei ans Rednerpult. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren; die feinsinnige Unterscheidung bei der Anrede bürgt bereits für rhetorische Que lität. Wittgensteins Satz: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen, gilt nicht für die Festrede, sonst müßte sie stumm sein. Eigentlich gibt es nichts zu sagen, aber dieses wird umfassend dargelegt. Verpackung als Botschaft; die Verpackungsarten sind unterschiedlich. Der eine garniert die Gedanken-anmut mit persönlichen, anekdotenhaften Witzdien und Mätzchen; das festliche Publikum lacht und spürt die menschliche Wärme; der andere reiht bedeutungsvolle Worte zu einer phonetisch eindrucksvollen Kette zusammen und legt sie sich mit vielen Verrenkungen immer neu um. Das Publikum sieht Tiefe im Silberschlips vor sich und nickt bedächtig. Ein Dritter spricht aus dem Herzen, die Worte geraten von dort direkt in den Mund; Enthusiasmierte bedürfen sowieso nicht begrifflicher Trennschärfe; solche Verständigung bedarf nicht des Verstandes.

Die festliche Rede ist eindimensional, sie verzichtet sowohl auf die Reflexion wie auf die Selbstreflexion. Sie problematisiert nicht, sondern idyllisiert; sie bietet nach Adorno dem Unheil ein Asyl. Sie entwickelt keine kommunikative Dialektik, sondern erwartet harmonische Solidarität. Wenn einer lacht und so das Ritual des festlichen Aktes (des Festaktes) stört, ist mit der schönen Stimmung alles hin. Die Stereotypie kann dann nur aggressiv zurückschlagen oder das Feld räumen. Das Publikum soll in eine semantische Unverbindlichkeit katapultiert werden. Der Festredner als Mensch weiß, worauf es im letzten ankommt: auf den Menschen. Gesucht wird der Mensch. Protest wird erhoben gegen Unmenschlichkeit. Eine sozialpsychologisch orientierte Kritik des Festrituals soll nicht den einzelnen attackieren, sondern die verschleierten Systemzwänge enthüllen. An der Misere der Festreden ist nicht der Oberbürgermeister X oder der Parlamentarier Y, der Ministerialrat A, der Vereinsvorstand B schuld; diese haben sich's bei ihren Emanationen sicher sauer werden lassen, den Büchmann konsultiert, im Synonym-wörterbuch nachgeblättert. Zur Feier abkommandiert, waren sie glücklich, wenn ihnen eine Metapher einfiel, die man breitschlagen konnte. Das antiquierte Ritual der Feste und „offiziellen Anlässe" fordert, daß ein Offizieller am Fest dadurch teilhat, daß er seine Teilhabe ausspricht. Repräsentation fühlt sich erst wohl, wenn sie im Pathos steht und loslegt. Doch erst aus der Verunsicherung von Feier entstünde eine neue Form festlicher Verbundenheit, denn das Frag-würdige betrifft; nicht signalhaft einschnappende Worte werden benötigt, sondern Signale, die einen geistigen Rückkoppelungsprozeß bewirken. Theodor Heuss hat solche Rede mit Klugheit und Erfolg praktiziert, und damit der festlichen Ansprache in Deutschland eine neue Dimension erschlossen, nämlich die der gedanklichen Durchdringung, persönlichen Einfärbung, dialektischen Befragung und kompetenten Reflexion.

Reden als Sache des Denkens setzen freilich voraus, daß die Spracherziehung von der Ideologie des Muttersprachgeraunes sich befreit. Aufgabe wäre die Einübung ins sprachliche Rollenspiel, welche das Eigentliche zugunsten des Jeweiligen (der realistischen Einschätzung der jeweiligen Situation) aufgibt und pathetische Frag-losigkeit in Frag-würdigkeit umzuwandeln vermag. Dabei kann die Ironie helfen, als Kleintun dem Understatement verwandt. Festliche Reden, die diese Mittel anwenden, sind zumindest vor der Glorifizierung der eigenen Gedankenlosigkeit gefeit. Das Klein-tun darf freilich nicht nur Attitüde sein, es muß der personalen Bereitschaft entsprechen, Sprache spielerisch zu verstehen. Man soll die Worte ernst nehmen, aber nicht zu ernst, d. h. man muß sich die Freiheit nehmen und sich die Freiheit erhalten, Worte immer wieder neu zu kombinieren, sich also aus den teils selbstverschuldeten, teils gesellschafts-bzw. herrschaftsmäßig bestimmten Sprechzwängen zu befreien.

Der offiziellen Sprache ist in vielem die Kirchensprache verwandt. Johann Baptist Metz hat kürzlich darauf hingewiesen, daß die dominierende Kirchensprache bestimmt sei durch Intimitätsjargon und Gemütsdialog und so den gesellschaftlich-politischen Auftrag Christi verfehle; denn das Heil, das Jesus verkündet habe, sei kein privates, sondern öffentliches gewesen Die Proklamation dieses Heils habe Christus in einen tödlichen Konflikt mit den öffentlichen Mächten seiner Zeit getrieben. Dieses Konfliktdenken sei jedoch durch die religiöse Sprache völlig verdrängt worden. Die Kirche müsse konkret-kritisch sprechen und sich des versachlichten, gesellschaftliche Wirkung intendierenden Wortes bedienen. Statt nur Gottes Wort zu verkünden, solle sie dieses Wort auf die konkrete politische, wirtschaftliche und soziale Praxis anwenden. Dabei müßten Informationen berücksichtigt, Emotionen zurückgestellt werden. Eine provokatorische und informatorische Kirchensprache steht in der Tat in diametralem Gegensatz zur Erbauungstheologie, die mit dem Verlust der spekulativen Mystik immer mehr zum säkularisierten, leeren Wortgeklingel geworden ist. „Schwindsüchtige Beteuerungen, die auch vor eilfertiger Verlogenheit nicht zurückschrecken" (Vilma Sturm)

Das theologische Sprachproblem ist zunächst grundsätzlicher Art. Wie kann Gottes Wort, wenn es Gottes Wort ist, durch menschliche Exegese noch gewinnen? Wie kann etwas eindringlicher und überzeugender werden, was von seinem Ursprung her bereits das überzeugendste sein müßte? Die Erbauungstheologie flüchtet vor dieser Problematik in das Beispiel. Die Wirklichkeit wird über den Leisten moralischer Leitbilder geschlagen und dementsprechend simplifiziert. Hier liegt die Wurzel einer bestimmten Form von kirchlicher Trivial-literatur, die in großen Auflagen dem Gläubigen Rührseligkeiten modernistisch oder alt-väterlich anbietet und mit moralischen Nutzanwendungen daraus zum Gläubigsein auffordert. (Dok. III) Die moralischen Rechnungen gehen dabei gut auf: Der Sünder bessert sich, der Gläubige hat zumindest die Ruhe des Herzens; der Böse, auch wenn er äußerlich floriert, leidet am schlechten Gewissen. Einen Anflug von Modernität gibt sich die triviale Erbauungspredigt bzw. die erbauende kirchliche Trivialliteratur dadurch, daß sie die religiösen Geschichtchen möglichst auf up-to-date trimmt. Eine weitere Schwierigkeit der Erbauungstheologie besteht darin, daß das gesellschaftliche Ritual ständig eine Verbalisierung von existentiellen Ereignissen fordert. Geistliche, die ständig sprechen müssen und wenig handeln können, verfallen — durchschnittlich gesehen — notwendigerweise der Inflation erbauender Worte, vor allem auch deshalb, weil eine „Theologie der Welt", d. h. eine Theologie, die innere und äußere, individuelle wie kollektive Krisen nicht aus der Sprache und dem Denken verdrängt, sondern „unverschleiert" (nicht affirmativ) ausspricht, von vornherein in der Erwartenshaltung der Gemeinde als Skandal oder unerträgliche Provokation empfunden wird. Das Credo-quia-absurdum sprachlich zu vermitteln, ist, auch wenn es keine Antinomie wäre, zumindest ein außerordentlich schwieriges Unterfangen. In einer Karikatur hat der „Simplizissimus" dies einmal treffend dadurch illustriert, daß er den Pfarrerssohn zum Vater sprechen läßt: „Gespannt bin ich ja, lieber Vater, wie du diesmal wieder darüberhinhudelst, wieso der allmächtige liebe Gott damals seinen Sohn nicht gerettet hat." *

Zu diesen existentiellen (in der Existenz des Theologen liegenden), die Diskrepanz oder Antinomie von Glaube und Wort berührenden Fragen tritt die soziolinguistische Problematik. Das Grundmuster der Erbauungstheologie ist insofern provinziell und kleinbürgerlich, als es sich vor der Wirklichkeit zugunsten eines trostreichen inneren Friedens zu drücken versucht. Der Theologe als Berufschrist — wobei diese Formulierung nicht abwertend zu verstehen ist — wird das Getto seiner Sprache, eben die Sondersprache des Glaubens, nur dann durchbrechen können, wenn er aufgrund von Berufspraxis praxisnäher zu sprechen lernt. Eine Theologie, die in diesem Sinne nicht nur sprechen, sondern auch handeln könnte, d. h. in einem bestimmten praktischen Bereich verankert wäre, müßte „Welt" nicht ständig in ihre Sondersprache übersetzen, nicht alles aufs religiöse Gleichnis hin interpretieren, sondern könnte in Sprache Realität dadurch zurückgewinnen, daß sie in Wirklichkeit sich bewegt: kritische Theologie, weil sie auf Erbauungsideologie verzichtet. Sprache ist dann nicht „wesenhaftes Reden von Gott"; das Wort läßt dann nicht „alles Seiende überhaupt erst am Horizont der Welt heraufsteigen"; Sprache ist Vokal-und Konsonantenkette, Verständigungscode nach Regel und Vereinbarung, ohne mystische Tiefe. Die Erbauungssprache irrt, wenn sie meint, daß dort, wo von Liebe gesprochen wird, auch Liebe geschieht. Das Wort „Liebe" ist nicht Liebe. Die Einheit von Rede und Geschehen ist theologische Fiktion. Was für Gott im Sinne des Glaubens gelten kann (so er spricht, so geschieht's) gilt nicht für die Menschen: so er spricht, geschieht noch nichts; erst im Handeln findet das Wort seine Essenz. Der „Gang zu den Quellen" der Sprache ist nicht ein „Schöpfen von Wahrheit“. In der Sprache ist nicht Sein und Sinn a priori beisammen. (Dok. IV)

Politik auf gut deutsch Die Sprache der Politik ist der Sprache der Erbauungstheologie verwandt, da sie — wenn auch im säkularen Bereich — ähnlichen Prämissen, Postulaten und Vorstellungen unterliegt. Der Politiker begreift sich weniger als Teilhaber an der Wahrheitsfindung, denn als Künder von Wahrheit, wozu an sich die westliche Vorstellung von Demokratie und Parlamentarismus in Gegensatz steht — ein Gegensatz, über den der Politiker sich wiederum mit Hilfe von Sprache hinüberzuretten sucht. Ver-steht man Politik in einem demokratischen Sinne, also nicht als schiere Machtausübung und kommunikationslose Indoktrination, so wird sie zunächst immer ein Streit um Worte sein, der von den meisten Politikern als Streit um Sachen mißverstanden wird. Die aristotelische Forderung, nicht um Worte zu streiten, wird um so schwieriger zu erfüllen sein, je weniger diese Worte ihre Dinglichkeit bzw. Sachlichkeit nachzuweisen in der Lage sind. Die Qualität des politischen Vokabulars ist überwiegend so, daß Sachlichkeit wenig impliziert ist.

Die Sprache des Politikers zielt — im Mißverständnis von Sprache, Dialog und Wahrheit — ständig darauf ab, ein partikulares Wissen und Interesse als allgemeines auszugeben, aus Meinungssätzen Tatsachensätze zu machen. Um dies zu erreichen, um diese Fiktion sowohl sich wie den anderen zu suggerieren, verwendet sie Konstrukte, d. h. ideal-oder extrem-typische Konstruktionen, die aufgrund ihrer Abstraktheit es zulassen, ja geradezu erzwingen, den Streit über Worte und nicht über Sachen zu führen. Mit Recht weist deshalb Martin Jänicke darauf hin, daß aufgrund dieser Tendenz zum Reden in Idealtypen die politische Sprache ständig Norm und Realität in eins setzt, bestimmte Aspekte der eigenen oder der fremden Wirklichkeit als atypisch ausklammert, klassifikatorische Aussagen gegen Widerspruch immunisiert, Wertaussagen zu Tatsachenfeststellungen macht, der Willkür essentialistischer Aussageformen entgegenkommt, den Teilbereich eines Phänomens gerne für das Ganze nimmt. Dialektik wird insofern „radikalisiert", als Synthese ausgeschlossen bleibt; das „Mehr oder Weniger" wird durch „Entweder-Oder" ersetzt, Freund-Feind-Denken gefördert

Der Politiker, der — in seinem Sprechen seinem Denken folgend, durch sein Sprechen sein Denken beeinflussend — „reine Begriffe", Typen konstruiert (Freiheit, Demokratie, Terror, Totalitarismus), versteht allerdings die einzelnen Begriffe nicht als Konstrukte, denen ein heuristischer Wert keineswegs abgesprochen werden soll; er mißversteht sie als Aussagen zur Wirklichkeit. Wenn das Konstrukt nicht selbst wieder in Frage gestellt, sondern die vom Konstrukt stets abweichende vielfältige Wirklichkeit verdrängt wird, ist der kritische Weg (den Kant als einzig möglichen erachtete) nicht mehr offen.

Wir sprechen von politischer Sprache und nicht vom Politiker als Person. Es wird nicht unterstellt, daß der Politiker keinen Realitätsbezug habe, daß er nicht ständig in die Realitäten des Alltags einbezogen sei; seine Sprache weiß nur davon wenig, zu wenig. Ein Streit der Worte um Worte. Dies gilt natürlich weniger für die Sprache der „internen" Arbeit (etwa Ausschußarbeit), auch kaum für die der kommunalen Politik. Aber dort, wo politische Sprache besonders gesellschaftsbezogen ist, wo sie kommunikatorisch nach außen zu treten, den Kontakt mit der Bevölkerung herzustellen versucht (in der parlamentarischen Debatte, Wahlversammlung, politischen Sonntagsrede, bei den vielen offiziellen Ereignissen, zu denen Politiker das Wort ergreifen), dominiert die Einkapselung in wirklichkeitsfremde Abstrakta, die oft genug parterre sind

Die Ebene der Abstraktion, die für idealtypische Begriffe charakteristisch ist, zugleich als parterre zu bezeichnen, scheint uns deshalb gerechtfertigt, weil diese Abstrakta nicht innerhalb des politischen Denkens und Handelns abstrahiert, im Sinne eines denkerischen Prozesses entwickelt, sondern als von verschiedener Seite her gelieferte vorfabrizierte Stanzmuster übernommen werden, weshalb ihre Verwendung dem vorwissenschaftlichen, das heißt auch emotionalen und ideologischen Bewußtsein entspricht. Die von der politischen Sprache angestrebten idealen Normen sollen den eigenen Standpunkt mit der Aura des Gültigen versehen, zugleich aber den Standpunkt des Andersdenkenden und -sprechenden als unwahr desavouieren.

Vom jeweiligen spruchbandartig verkündeten Absolutheitsanspruch, der zumindest ideologieverdächtig ist, führt kein Weg zur Kommunikation. Bei diesem Schwarz-Weiß-Sprechen werden gern die idealtypischen Positiv-begriffe mit den Realitäten der Gegenposition verglichen, etwa die idealtypische Auffassung von Demokratie mit der kommunistischen Wirklichkeit, und nicht die idealtypische Vorstellungen von Kommunismus mit der demokratischen Wirklichkeit konfrontiert. Die Konstrukte werden als realitätsrelevant ausgegeben. Solche Hypostasierung läßt eine empirische Verifikation und Falsifikation nicht zu. Der heuristische Wert idealtypischer Formulierung ist ersetzt durch die klassifikatorische Oktroyierung, die sich — da sie alles in den Bereich des Essentiellen, des Wesenhaften projiziert — realitätsbezogener Kritik verschließt und entzieht. Die Reinheit des Begriffs wird so hoch über dem Niveau der Wirklichkeit angesetzt, daß eine gegenseitige Rückkoppelung von vornherein ausgeschlossen ist; politische Kommunikation spielt sich dann als Entweder-Oder ab, stellt ein Freund-Feind-Verhältnis dar, wobei freilich die verfassungsmäßige Ordnung ein Austragen der Freund-FeindrSpannung jenseits des Verbalen erfreulicherweise verhindert. (Dok. V)

So wenig der Streit um Worte einen Streit um Sachen darstellt, so wenig stellt der Streit um Worte letztlich überhaupt einen Streit (mit dem Ziel von Versöhnung = Synthese) dar, auch wenn nicht geleugnet werden soll, daß hinter „verschlossenen Türen", etwa bei Fraktionssitzungen oder gelegentlich auch in Ausschußsitzungen, der Streit der Worte zu Sachveränderungen führen kann. Die Tatsache, daß die parlamentarische Diskussion keine Standpunktveränderung bewirkt, also bereits vor der Debatte das Ergebnis im Sinne eines Mehrheitsbeschlusses vorliegt, zeigt, wie hier die durch Sprache versuchte Kommunikation sinnlos geworden ist. Das, was sich als individuelles Wissen und Gewissen deklariert, ist in Wirklichkeit Element eines Sprachkollektivs, das je nach politischem Standort und politischer Zugehörigkeit seine semantischen und syntaktischen Muster mitgeliefert bekommt. Der Ausbruch aus der Stereotypie ist innerhalb der offiziellen Debatte kaum möglich.

Die alternative maschinenmäßige Verarbeitung von Daten in Form von Simulationen könnte eine gewisse Lockerung der verbalen Stereotypie bewirken; würde jeweils zu bestimmten Fragen Datenmaterial in unterschiedlicher Verarbeitung angeboten werden — jeweils von variierender Axiomatik ausgehend und Parameter durchspielend —, so müßte politische Sprache zwangsläufig diesen Simulationsergebnissen sich zuwenden; sie könnte weniger a priori postulieren, müßte mehr a posteriori sich adaptieren, bekäme ihre Sachlichkeit zurück, ohne sachdeterminiert zu sein. Wenn Hermann Lübbe davon spricht, daß die Sätze politischer Rede nicht erst als performative, sondern schon als behauptende Sätze Aktionscharakter hätten, für deren Verständnis es niemals ausreiche, sie als Texte im Kontext von Texten zu lesen, sie hätten vielmehr ihren Ort im Kontext von Handlungen — „sie haben stets ihren Bezug auf politische Lagen, in die durch ihre bloße Verlautbarung bereits eingegriffen wird, und nach solchen Wirkungen bemessen sie sich: Handlungsprädispositionen sollen stabilisiert, geändert oder zersetzt, Handlungen oder Unterlassungen bewirkt, Zustimmungsbereitschaft erzeugt werden" —, so scheint uns diese Feststellung zumindest mißverständlich zu sein Natürlich soll Sprache Handlung bewirken, manipulieren oder verhindern. Der intentionale Charakter von politischer Sprache ist unbestritten Dodr sind diese Intentionen auf der abstrakten Ebene idealtypischer politischer Begriffe so wenig sachbezogen, so vage, und damit als Instrumentarium für Wirklichkeitsgestaltung ungeeignet, daß sie eben verbal bleiben.

Wenn Franz Joseph Strauß auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf 1971 betonte, daß Parteiprogramme wenig Bedeutung hätten, da sie sowieso nicht gelesen würden, und er darauf verwies, daß bei all seinen Wahlversammlungen wohl keiner das Wahlprogramm der CSU gekannt habe, so sprach er mit rationalem Zynismus etwas aus, was die politische Sprache insgesamt charakterisiert, nämlich die weitverbreitete Unfähigkeit, Parteiprogramme so zu formulieren, daß ihr Realitätsbezug dem allgemeinen Bewußtsein verständlich wird. Die politische Sprache ist dort, wo sie besonders wirksam sein sollte und könnte, Gesellschaft zu erreichen vermöchte, unwirksam, da sie, statt rationale Trennschärfe und Realitätsbewußtsein zu fördern, einen Nebel von Allgemeinbegriffen verbreitet. Der typisierend gemeinte Ausdruck „Sonntagsrede" verweist auf den affirmativen Charakter der politischen Sprache; droben im Himmel der Unverbindlichkeit hangen die idealtypischen Begriffe; drunten geht es anders zu; statt Aufklärung findet Verklärung statt.

Könnte die weitreichende Unfähigkeit des Politikers bzw.sein Mangel an Bereitschaft, Wertaussagen als Meinungssätze zu formulieren, abgebaut werden, würde der Pluralismus der Standpunkte als Pluralismus von Meinungen verstanden und würden damit kommunikationshinderliche Festlegungen (einschließlich der Verketzerung des Gegners und der Einrasterung in ein Freund-Feind-Denken) verhindert, erhielte politische Sprache für das gesellschaftliche Zusammenleben eine ganz andere Bedeutung. Auch hier gilt, daß erst die Bereitschaft, Verunsicherung als Axiom politischen Sprechens zu akzeptieren, Kommunikation ermöglicht.

Verunsicherung heißt selbstverständlich nicht Unsicherheit; der Begriff verweist auf den in Sprache sich realisierenden Willen, nach dem von Jaspers übernommenen Nietzsche-Wort zu verfahren: „Die Wahrheit beginnt zu zweien!" Weniger lebensphilosophisch formuliert: Die Sprachsignale dienen dazu, im jeweilig anderen Denkprozesse hervorzurufen, die als Replik den „Sender" in Rückkoppelung beeinflussen etc. Diese ständig ineinandergreifende Dialektik von Sprache und Gegen-sprache könnte auch in einer fortentwickelten Industriegesellschaft parlamentarischer Usus sein, wenn dort — unter Aufhebung der Expertokratie — nicht mehr nur wenige Sachverständige jeweils zur Äußerung gelangten, sondern unter Beschränkung auf grundsätzliche Fragestellungen (mit entsprechenden alternativen Simulationen) jedem Parlamentarier der Zugang zur Diskussion ermöglicht würde. Dieses Grundsätzliche darf nicht verwechselt werden mit idealtypischen Konstruktionen; es bedeutet Beschränkung auf die jeweiligen Zielfindungs-und Zielsetzungsprobleme und Weg-wendung von Aufgaben, die von der Exekutive besser, d. h. rationaler und rationeller, bewältigt werden könnten.

Ein anderes wichtiges Problem der politischen Sprache ist mit dem Vorwurf der „Lügenhaftigkeit" verknüpft. Ist politische Sprache weitgehend verlogen? Handelt es sich um ein Mißverständnis der Funktion politischen Sprechens, wenn man ihm Lügenhaftigkeit unterstellt? Hat man eine falsche oder überhaupt keine Vorstellung von der Bedeutung politischer Rhetorik? (Dok. VI)

Jede Bedeutung ist — wir folgen hier Harald Weinrich — weitgespannt. Weitgespannt ist etwa die Wortbedeutung von „Freiheit" oder " Friede" oder „Vaterland". Das Wortsignal kann somit sehr umfassende Reaktionen hervorrufen; sein Informationswert ist gering; sein Emotions-oder Provokationswert sehr groß. Genau jedoch erhält derjenige, den das Wortsignal erreicht, nicht Bescheid. „Sein Verstehen bleibt suspendiert in einem Zustand der Erwartung auf weitere Information."

Politische Sprache in dem von uns kritisierten Sinne löst diese Suspension jedoch nicht dadurch, daß sie durch Kontext die weitge-spannte Bedeutung, die Extension, mit konkreter, aktueller, punktueller Intension erfüllt; sie hält sie durch weitere Vagheiten aufrecht. Der politischen Rhetorik fehlt weitgehend die Kontextkontraktilität. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Der weitgespannte Begriff ist aufgrund seiner Vagheit besser geeignet, Majoritäten herzustellen, als die konkrete und aktuelle Einengung. Für „Freiheit und Friede" z. B. sind viel mehr Menschen zu gewinnen als für eine ganz bestimmte und aktuelle Form von Frieden — etwa für einen Frieden, der Verzicht einschließt (z. B. die Oder-Neiße-Grenze akzeptiert). Die für eine Partei gegebene politische Notwendigkeit, Mehrheiten für sich gewinnen zu müssen, verführt dazu, mit weitgespannten Begriffen zu arbeiten.

Mit sprachlicher Vagheit kann politisches Handeln, das hier und nun Entscheidungen zu treffen hat, nicht erfaßt werden. Würde die Allgemeinheit — nicht zuletzt aufgrund einer anderen Spracherziehung — zwischen weitgespannter Bedeutung und konkretem Kontext unterscheiden können, sich nicht von vornherein unters Dach weitgespannter Begriffe flüchten wollen, Gemeinschafts-und Solidaritätsromantik zugunsten konkreter Kontexte und variablen Dissens aufzugeben bereit sein, würde es der politischen Rhetorik erleichtert werden, aus der Extension jeweils in die Intension überzuspringen.

Dies implizierte, da Intensionen wegen ihres konkreten und aktuellen Gehalts rasch wechseln, politische Dynamik und alternierende Meinungsbildung. Dem „ersten Hauptsatz" der Semantik, wonach jede Bedeutung weitgespannt ist, wäre als erster Hauptsatz politischer Rhetorik komplementär zuzuordnen, daß weitgespannte politische Begriffe jeweils durch Kontextvariable in ihrer Intension festgelegt (also aktualisiert und konkretisiert) werden müssen.

Die drei weiteren Hauptsätze der Semantik: jede Bedeutung ist vage; jede Bedeutung ist sozial; jede Bedeutung ist abstrakt — hängen mit dem ersten Hauptsatz eng zusammen; es sind eigentlich nur vier Aspekte einer Sache: „Weil die Bedeutungen der Wörter weitgespannt sind, sind sie nur vage. (Umfang und Inhalt der Bedeutung entsprechen einander in der Umkehrung.) Aber weil die Bedeutungen vage sind, sind sie in einer sozialen Gruppe verwendbar. Sie sind jedoch nur verwendbar, insofern sie abstrakt sind. So ist die Wort-bedeutung zugleich arm und reich. Welche Armut an Information in dem Wort , Blume', wel15 eher Reichtum an Merkmalen in jeder einzelnen Blume! Aber umgekehrt auch: welche Begrenztheit im einzelnen Ding, welche Evokationskraft im Wort! . . . Die Blume als Wort, die man in keinem Strauß finden kann, ist jeder wirklichen Blume überlegen. Sie enthält mehr Geheimnis." Politische Sprache jedoch, die ihre durch Konstrukte bedingte „Geheimnishaftigkeit" aufzugeben bereit ist, wird an Wahrhaftigkeit gewinnen — Wahrheit verstanden als Übereinstimmung von Sprache und Handeln, als Redaktionsschluß in einem aktuellen und akuten Augenblick. Die Wahrheit von Sprache wäre demnach die Rückkopplung der Worte an einen realitäts-und handlungsbezogenen Kontext.

Kontext ist nicht mit Syntagma gleichzusetzen. Kann doch erst mit Hilfe von Sätzen gelogen werden. Wörter lügen nicht; man lügt in Sätzen oder Wortverbindungen. Das Wort „Blut" ist keine Lüge, das Wort „Boden" ist keine Lüge; „Blut und Boden" ist lügend und verlogen, auch ohne die geschichtliche Dimension, da die Konjunktion zwischen beiden Begriffen eine Einheit oktroyiert, die der Reflexion sich entzieht. Der stereotype Gebrauch von „Frieden und Freiheit" entproblematisiert beide Worte, da formelhaft so getan wird, als ob die Verbindung von Friede und Freiheit eine Selbstverständlichkeit sei. Erst eine Sekundär-markierung, etwa durch Ironisierung mit Hilfe von Anführungszeichen, macht die Wortverbindung brauchbar, indem sie diese wieder problematisiert. Der Gebrauch von Wörtern durch bestimmte Sprecher in bestimmten Situationen nach bestimmten syntaktischen Mustern macht diese Wörter moralisch oder unmoralisch. Dementsprechend muß auch die Analyse von Parteiprogrammen Kontextkritik sein: Prüfung, ob die Verbalisierung Handeln zu provozieren und zu fundieren vermag, statt es zu frustrieren und zu suspendieren.

Wenn es die Eigenart wissenschaftlicher Sprache ist, daß man nicht mit bedeutungsmäßigen Vagheiten, sondern mit definierten (begrenzten) Festlegungen arbeitet, müßten Parteiprogramme in diesem Sinne wissenschaftlich sein Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sie am Begriffshimmel sich orientieren; doch müssen die Ideen jeweils aus dem Begriffshimmel in den konkreten Kontext herabgestellt werden. Wer „christlich" sagt, muß sagen, was dies für das Jahr 1971 oder für die nächsten zehn, zwanzig Jahre konkret bedeutet — etwa in Hinblick auf die außen-politische oder innenpolitische, soziale oder ökonomische Situation. Wer „sozial" oder . sozialistisch" verwendet, muß gleichermaßen den aktuellen Kontext herstellen. Kontextprüfung heißt, Vergleich zwischen Sprechen und Handeln anstellen; da demokratische Politik meist nicht in Quantensprüngen sich vollzieht, ist es durchaus möglich, die Verbalisierung von Wollen hinsichtlich seines Wahrheitsgehalts am aktuellen Handeln zu messen. Wenn die bisherige Handlungspraxis dem Parteiprogramm oder einem Teil des Parteiprogramms widerspricht oder bislang widersprach, darf die somit fehlende Konkordanz oder Konvergenz nicht rhetorisch vertuscht werden; Veränderung des Standpunkts ist an-und auszusprechen. Politische Rhetorik scheut dies, da sie mit der bewußtseinsmäßigen Stereotypie ihrer Anhänger rechnet, die veränderte Praxis am besten dann akzeptieren, wenn diese durch unveränderte Sprache abgedeckt ist. Handlungspraxis ist oft fortschrittlicher als Sprachpraxis. Das mag gutgemeinte Taktik sein, ist aber von der sprachlichen Moral her gesehen Lüge. Oder umgekehrt: alte Inhalte werden in neue Formeln gefaßt; diese neuen Formeln, die progressive Unruhe zu beruhigen versucht, ändern nichts; es ändern sich die Worte. Die Linguistik der politischen Lüge ist insofern Soziolinguistik, als Wahrheit oder Lügenhaftigkeit sich erst aus dem Soziogramm ergeben aus der augenblicklichen Konstellation von Wort, Satz und Tun (bzw.den Indikatorendes Handelns). Diese weder aus Sätzen allein, noch aus Handlungen ohne Sätze, sondern nur aus Satz-Tun-Soziogrammen ablesbare Wahrheit darf nicht mit objektiver Wahrheit verwechselt werden. Es geht um die Wahrheit der Meinungen. Politisches Sprechen, das die Begrenzung von Meinungssätzen verläßt, Meinungssätze als Bedeutungssätze deklariert, ist autoritär; es schaltet prozessuale Wahrheitsfindung aus. Meinungssätze (individuell, konkret aktuell), die als Bedeutungssätze (verbindlich-allgemein, normativ) sich maskieren, sind insofern demokratiefeindlich, als sie Überein-stimmung vortäuschen oder aufdrängen Wo len, die im Sinne pluralistischer Konkretheit nicht möglich ist. Was eine engumgrenzte Mit teilung ist, soll sich nicht in die Aura alg meingültiger Verbindlichkeit einhüllen. A. gemeingültigkeit schließt Diskussion und Dia lektik aus. Eine stärkere Verbindung der Repräsentativ-demokratie mit direkt-demokratischen Einrichtungen (mitsprechender, mitbestimmender Art) würde den Abbau der politischen Lüge fördern, da unter dem Druck der Basis Meinungssätze mehr „vorankämen". Die Basis würde es dem Politiker dann nicht erlauben, seine Meinungssätze als unveränderbare, objektivierte Bedeutungssätze auszugeben, allein schon deshalb nicht, weil er mehr als bislang gezwungen würde, konkret und aktuell zu formulieren. Das „Christliche" und das „Sozialistische" z. B. mag im Sinne von Bedeutungssätzen eine unbestrittene, unberührbare Wahrheit sein, ein „Unumgänglich-Unzugängliches". Erst politische Aussagen über Konkreta, etwa die Gesamtschule oder die paritätische Mitbestimmung, können — als Meinungssätze — zur Diskussion und Kommunikation und damit zu verunsichertem Handeln und damit zu Handlungsdialektik führen — ein allmähliches Verfertigen von Wahrheit beim Sprechen und Tun.

Die APO-und Protestbewegung hat die politische Sprache insofern verändert, als sie (auch wenn sie die etablierte politische Sprache nicht direkt beeinflußte) die offizielle Sprache mit Sprachmustern konfrontierte, die ein unbeschwertes und unberührtes Weitersprechen im Jargon der Eigentlichkeit nicht mehr zuließ. Das Tremolo der Ergriffenheit wurde dadurch zwar nicht abgebrochen, aber als solches erkennbar. Die betuliche Oberflächennaivität wurde zugunsten kritischer Differenzierung abgebaut. Vor allem hat die APO-Sprache eine Methodik des Infragesteliens entwickelt, einschließlich Lernprozesse veranlassender Direktheit, die den harmonisierenden Nebel unverbindlicher Floskeln brutal oder ehrlich zu vertreiben vermag. In und mit solcher Negation wurden Wort-und Begriffsbereiche aktiviert, die zu lange dem deutschen Bewußtsein entzogen gewesen waren und höchstens esoterisch im wissenschaftlichen Bereich eine begrenzte Ausstrahlungskraft gehabt haben: das Begriffsarsenal des Marxismus, des Sozialismus überhaupt, und der Psychoanalyse.

Hier schien sich eine Sprache herauszubilden, die mit ihrem entmythologisierenden und entpathetisierenden Effekt gut geeignet wäre, die Stereotypie des Denkens aufzubrechen bzw. die Flexibilität des Denkens zu artikulieren.

ie gegenüber dem affirmativen Mißbrauch Von Sprache sich formierende Gegenbewegung reproduziert in ihrer Kritik jedoch die Elemente des Kritisierten. An die Stelle des Jargons der Eigentlichkeit tritt der Jargon der Dialektik. (Dok. VII) Beide Male vertritt Sprache Absolutheitsanspruch. In Diskrepanz zu den in Sprache vorgebrachten Zielvorstellungen zeigt die Sprachpraxis ein Freund-Feind-Denken. Man glaubt sich weiterhin im Besitz von Wahrheit; Glaube und Dogma artikulieren sich einmal in pathetischer Sprechlage und affirmativen Satzmustern; zum anderen, als dialektische Sprache, werden Gesellschaftsrelevanz und Kapitalismustheorie ohne Selbst-reflexion und Problematisierung der eigenen Axiomatik zelebriert. So wie sich die Bourgeoisie ihr Pseudoidyll nicht durch kritische Sprache beeinträchtigen ließ, so wenig ist die Sprache des Protestes bereit, das revolutionäre Asyl zu verlassen; mit dem Spätkapitalismus in der Hand kommt man durch das ganze Land. Insofern nämlich, als diese Sprache — ergänzt durch Revoluzzer-Look und die Accessoires linker Boutiquen — Erkennungszeichen aussendet, nach denen man sich zur verschworenen Gemeinschaft zusammenfügt.

Das, was häufig sich als radikal bezeichnet oder bezeichnet wird, ist insofern nur schein-radikal, als die Radikalität vor dem Infrage-stellen der eigenen Position halt macht und Progression durch Stagnation im einzementierten Standort ersetzt wird. In diesem Sinne zeigen die Scheinradikalitäten einen Ästhetizismus, der durchaus dem der spätbürgerlichen Ära adäquat ist. Während bei der Bourgeoisie vorwiegend künstlerische Mytologeme bzw. auch Trivialmythen für den Transport aus dem Ideenhimmel ins Bewußtsein bzw. Unterbewußtsein verwendet wurden, haben diese Aufgabe im APO-Bereich bestimmte „Sprachfigurationen" übernommen. Das Ritual des dialektischen Jargons mit den jeweils signalhaft ein-schnappenden Schlüsselbegriffen dient zudem dazu, an konkreter Praxis sich vorbeizumogeln. Während man dem liberalen Reformer sein Tun als Alibifunktion ankreidet, will man sich selbst mit Hilfe von revolutionärer Rhetorik ein Alibi verschaffen — weiterhin Welt und Gesellschaft interpretieren zu können, ohne sie verändern zu müssen.

Die der Praxis entzogenen und somit ästhetisierten Leerformeln gesellschaftskritischer Jargons (mit dem Wort „Scheiße" als Erkennungssignal für die Gemeinschaft der Progressiven) zeigen ihren inhumanen Ursprung auch dadurch, daß ihnen Humor, Witz und Zweifel abgehen. Die Überzeugung, im Recht zu sein, gibt der ursprünglich gegen die Affirmation angehenden Sprache wiederum die Aura des Affirmativen. Wortreiche Bejahung des eigenen Systems; provinzielles Beharren im eigenen Denkgebäude mit aggressiven Attacken auf all diejenigen, die dem Gedankengebäude sich kritisch nähern oder es gar kommunikativ-anfragend betreten wollen; manische Fixierung auf die eigenen Prämissen; Mangel an Bereitschaft, ein Jota des Geglaubten aufzugeben — machen es verständlich, daß diese Sprache viel mehr ihren Feind im liberalen Relativismus als im konservativen Eigentlichkeitsjargon sieht.

Da diese Sprache jedoch bislang nicht oder kaum zum Handeln gekommen ist, wird man schwerlich aus ihrer Struktur allein den Vorwurf des Linksfaschismus ableiten können. Die Stereotypie der Protestsprache ist nicht Artikulation brutaler Praxis; sie ist überwölbt von einem Ideenhimmel, der Meinungen in Wahrheiten transzendieren läßt; Gegensprache ist Ketzertum oder Abweichlertum. Aus diesem Grunde muß die „Protest" -Sprache sehr abstrakt sein und bleiben, weil jede Dinglichkeit die Ideologie gefährden würde. So kann Wirklichkeit über Sprache nicht aufs Denken einwirken. Es entsteht nicht jene spannungsreiche Polarität zwischen Praxis und Sprache, die es verhindert, daß Anschauungen blind und Begriffe leer bleiben.

Wenn es der Sprache des Protestes gelänge, sich selbst als Zeichensystem von Vereinbarung zu begreifen, sie also nicht — auf ihre Weise — den Irrtum affirmativer Kultur reproduzierte (mit dem Wort in der Wahrheit zu wurzeln, in der Idee verankert zu sein), erhielte sie die Dimension des Spielerischen zurück, die experimentelle Offenheit und kommunikative Verunsicherung einschließt.

Deutsch aus Professorenmilieu Das Stichwort „Professorendeutsch" soll einen ziemlich weiten soziolinguistischen Bereich charakterisieren: einmal im engeren Sinne die Sprech-und Schreibattitüden und das semantische Verhalten einer bestimmten Berufsgruppe; darüber hinaus die Sprache einer gesellschaftlichen Schicht, die in ihrem Sprach-Status am Professorendeutsch sich orientiert hat — das Bildungsbürgertum nämlich, für welches das Leitbild des „Professors" maßgebend gewesen ist. Die historische Dimension dieses soziolinguistischen Tatbestandes umfaßt das 19. und 20. Jahrhundert, wobei die Eindeutigkeit und Kompaktheit der Merkmale auf das Wilhelminische Zeitalter und auf die Zeit nach 1933 als Höhepunkt verweisen Generell ist zum Sprachmuster des Professorendeutsch zu sagen, daß es verschiedene, bereits beschriebene bzw. zu beschreibende Charakteristika in spezifischem Verbund enthält — von der Sprechlage her das Pathetische, von den Wortfeldern her das Kämpferische, vom Psycholinguistischen her das Kriegerisch-Idyllische. Das Rühmen der kriegerischen Idylle stellt dabei einen Bruch in sich selbst dar, da ja gerade das ursprünglich Idyllische ein Kleintun in Worten, relativierende Ironisierung, Liebe in Distanz erfordert, also die Idylle dem Kriegerischen diamentral entgegengesetzt ist: als Abkapselung von den „Stürmen und Kämpfen der Welt". Die besondere negative „Leistung" des Professorendeutsch besteht somit — auf einen Nenner gebracht — darin, daß es idealistische und romantische Grundwerte in Umwertung amalgiert hat. Krähwinkel wurde auf Walhall hin stilisiert. Die Heiterkeit auf dem Grunde der Schwermut wurde zum Sedanlächeln, das den Blick über die Gefilde des total platten Landes imperial(istisch) schweifen läßt. Mit diesen Vergleichen soll die historische Genealogie topographisch markiert werden.

Das Professorendeutsch entwickelt sich als Germanistendeutsch aus der nationalisierten Romantik. Es wird gespeist vom entkernten Pathos des epigonalen Idealismus und Klassizismus. Es sei — als Einzelbeispiel — erinnert an die leere Redundanz der Schillerrede Gabriel Rießers, 1859. — Die das Biedermeier charakterisierende Hin-und Zuwendung zu den Dingen, die je nach Temperament des Rezipierenden entweder als harmonisch oder enervierend empfundene Dinglichkeit (etwa in Stifters „Nachsommer"), verliert sich in zunehmendem Maße. Die Worte folgen nicht den Dingen: das Professorendeutsch ist Emanation der inneren Gestimmtheit, realitätsfremd, ein Subjektivismus, der soziolinguistisch in dem Augenblick, in dem ihm die transzendierende Fähigkeit zur Spekulation abhanden kommt (also die Vertikale in die Horizontale kippt), verödeten Kahlschlägen gleicht. Wo die Professoren hinformulieren, wächst kein Gras mehr. Die gedanklich-inhaltlichen Odeneien sind, je öder sie werden, reichlich kaschiert mit blühenden Metaphern und Gleichnissen, blühenden Sprachphantasien, (Phantasmagorien), die über dem Boden der Wirklichkeit schweben; sticht man in diese aufgeblasene und verschleierte Rhetorik mit der Nadel der Vernunft, so bleibt ein Häufchen schlechter Grammatik. Eine Trennung zwischen konservativem und liberal-progressivem Sprachgebaren ist im 19. Jahrhundert schwer möglich. Die Konservativen, wenig begeistert über zukünftige Aspekte, sprechen oft konkreter und zurückhaltender als die morgenrot-enthusiasmierten Liberalen. Das Pseudoidyll gedeiht auf dem Polster auch der liberalen Platitüde recht gut. Die „Gartenlaube" wurde von einem Liberalen des Jahres 1848 gegründet. Ernst Keil, Gefangener der Restauration, gab von Anfang an seinem Blatt eine sprachliche Note, die um die Sympathien der geistigen Provinz sich bemühte. Das Bildungsbürgertum wurde von Urbanität durch sein Sprachmuster ausgeschlossen, das Aufklärung durch Vernebelung ersetzte.

Das in polaren syntaktischen Strukturen sich widerspiegelnde rationale Bemühen, das dialektische Abwägen von Pro und Kontra, das argumentative Schließen und Folgern, der die eigene Position verunsichernde und damit kommunikationsfähige Relativismus und Pluralismus werden ersetzt durch Irrationalismen und Emotionen, deren geistige Trennschärfe sehr gering ist, die aber dafür um so mehr Tatbestände, Dinglichkeit, Objektivität zu verschleiern vermögen.

Das, was hier mit einigen Strichen als der geistige „Wurzelgrund" des Professorendeutsch charakterisiert wird, hat Herbert Marcuse als „affirmative Kultur" bezeichnet. Seine auf das bürgerliche Wertsystem bezogenen Feststellungen lassen sich ohne weiteres auf den soziolinguistischen Bereich übertragen, um so mehr, als ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Tugenden sowieso nur nominalistisch abgehandelt werden und kaum mehr durch Existenz der Beweis für Essenz angetreten wird:

»Unter affirmativer Kultur sei jene der bürgerlichen Epoche angehörige Kultur verstanden, welche im Laufe ihrer eigenen Entwicklung dazu geführt hat, die geistig seelische Welt als ein selbständiges Wertreich von der Zivilisation abzulösen und über sie zu erhöhen. Ihr entscheidender Zug ist die Behauptung einer allgemein verpflichtenden, unbedingt zu bejahenden, ewig besseren, wertvolleren Welt, welche von der tatsächlichen Welt des alltäglichen Daseinskampfes wesentlich verschieden ist, die aber jedes Individuum , von innen her', ohne jede Tatsächlichkeit zu verändern, für sich realisieren kann. Erst in dieser Kultur gewinnen die kulturellen Tätigkeiten und Gegenstände ihre hoch über dem Alltag empor-gesteigerte Würde: ihre Rezeption wird zu einem Akt der Feierstunde und der Erhebung."

Die Sprache der affirmativen Kultur ist analog hierzu darauf angelegt, Fragwürdigkeit durch Fraglosigkeit zu ersetzen. Sie ist affirmativ in dem Sinne, daß sie stets und immer das Bild einer allgemeinverpflichtenden, unbedingt zu bejahenden, ewig besseren, wertvolleren Welt artikuliert und dementsprechend die Deskription der tatsächlichen Welt, etwa in den Formen des Realismus und Naturalismus, diffamiert. Auch von dieser Sicht her stoßen wir auf den Dingverlust der Sprache, die nun ganz von innen her sich formiert. Die aus der Kultur der Innerlichkeit sich zur „Sprachwürde" hochsteigernde Sprache (wobei Sprache immer mehr zur Seelenbadeanstalt wird) hat nichts mehr mit der Würde zu tun, die Schiller meinte. In seinem dialektischen Weltbild war die „Schöne Seele" Ausdruck der bewältigten Natur und Triebhaftigkeit, war Sittlichkeit human, da sie der Natur, der Materie, der Schwerkraft abgerungen wurde, in der Formung (dem „Formtrieb")

Geist und Stoff sich versöhnten. Dort, wo diese Vermählung „zwanglos" sich vollzieht, waltet Anmut, dort wo die Verbindung erkämpft wird, zeigt sich Würde. Die Würde der affirmativen Kultur ist jedoch nicht internalisiert, sondern poesiert; das Schöne, Große, Wahre, Erhabene ist Angelegenheit von Worten, die ihre Leere dadurch verdecken, daß sie sich als „Nicht-von-dieser-Welt" stilisieren.

Inmitten einer durch Industrialisierung sich extravertierenden Gesellschaft und innerhalb der wirtschaftlichen Expansion des Kapitalismus flüchtet Sprache in Introvertiertheit. Zurückgeschreckt von der Diskrepanz zwischen Soll und Sein, Tugendhimmel und Welt im Gaslicht, suchte die epigonale „schöne Seele"

in dieser Welt dadurch sich zurechtzufinden, daß sie sich mit Hilfe von Sprache von dieser Welt wegbewegte. Marcuses Gedanken können auch hier zur Beschreibung der soziolinguistischen Situation herangezogen werden: „Auf die Not des isolierten Individuums antwortet sie mit der allgemeinen Menschlichkeit, auf das leibliche Elend mit der Schönheit der Seele, auf die äußere Knechtschaft mit der inneren Freiheit, auf den brutalen Egoismus mit dem Tugendreich der Pflicht. Hatten zur Zeit des kämpferischen Aufstiegs der neuen Gesellschaft alle diese Ideen einen fortschrittlichen, über die erreichte Organisation des Daseins hinausweisenden Charakter, so treten sie in steigendem Maße mit der sich stabilisierenden Herrschaft des Bürgertums in den Dienst der Niederhaltung unzufriedener Massen und der bloßen rechtfertigenden Selbsterhebung: sie verdecken die leibliche und psychische Verkümmerung des Individuums."

Für das Bildungsbürgertum verhilft Sprache einerseits zur Flucht in die Lebenslüge, andererseits ist sie Instrument für Repression. Wer nur affirmativ und nicht dialektisch zu sprechen lernt, hat es schwer, dialektisch oder revolutionär zu denken. Wer nicht zur Rebellion der Gedanken fähig ist, gelangt kaum zum Aufruhr im Handeln. Das kommunistische Manifest bleibt ungehört; im Sinne der sich bildenden ideologischen Unterscheidung von Kultur und Zivilisation war seine Sprache die der Zivilisation: Versuch, den Menschen auf den Genuß des irdischen Glücks zu verweisen, von der Ausbeutung zu befreien — in Gegen-stellung zu einer Gesellschaft, die aufgrund dieser Ausbeutung Kultur zu schaffen und zu genießen in der Lage war. Kultur, die dem anderen, dem Herrschafts-(Lohn) -Abhängigen, etwas antut, ohne ihn selbst etwas tun zu lassen, maskiert sich mit seelischen Werten, die im Jenseits hangen.

Im Denken wie Sprechen ist kein Platz für Materialismus — im weitesten Sinne des Wortes verstanden. „Das Wort Seele gibt dem höheren Menschen ein Gefühl seines inneren Daseins, abgetrennt von allem Wirklichen und Gewordnen, ein sehr bestimmtes Gefühl von den geheimsten und eigensten Möglichkeiten seines Lebens, seines Schicksals, seiner Geschichte. Es ist in der Sprache aller Kulturen von früh an ein Zeichen, in dem zusammengefaßt wird, was nicht Welt ist." So Oswald Spengler Mit diesem Seelenbegriff, mit die-ser Seelenhaftigkeit und Innerlichkeit von Sprache geht endgültig das verloren, was „schöne Seele", was Würde und Anmut im nichtpervertierten klassischen Sinne bedeutet: Kalokagathia — Schön-Gutheit gerade des Körpers, gerade des Handelns, gerade der Existenz. Aus der Gemeinschaft der Tätigen wird der esoterische Zirkel der Redenden; im Zentrum der Redenden etabliert sich die Professorenschaft; im Zentrum affirmativer Sprache ist Professorendeutsch zu Hause.

Die Professorenschaft ist auch soziologisch, biographisch in der affirmativen Kultur beheimatet. Sie entstammte der bürgerlichen Schicht, die es sich als Leisure-class leisten konnte, Kultur zu internalisieren. Die Solidität des väterlichen Hauses und Erbes ermöglichte die Habilitation, den Wartestand des Privatgelehrten, das Ausharren als Privatdozent mit der Chance der Berufung. Der Weg war, je länger er wurde, freilich auch mühevoll. Der Kapital-zins langte nicht, die Schwestern wurden ausgezahlt. Lebensstandard und Statusdenken ließen den Unterbau wegschmelzen, ehe das Gedankensystem Früchte trug. Vielfach hat die Literatur den Privatgelehrten zum Helden, auch Unhelden gemacht, den anämisch-sensiblen, vertrackt-genialen oder träumerisch-versonnenen Wirrkopf (als Altphilologe das Land der Römer und Griechen zunächst mit der Seele und schließlich — nach einer langen Zeit des Sparens — auch mit der Reisekutsche suchend). Der bürgerliche Lebensraum als Teil und Kern affirmativer Kultur ermöglicht nur die Perpetuierung des verflachten Idylls; da das Idyll die Tiefe verloren hatte und die Werte abhanden gekommen waren, somit auch die verinnerlichte Bescheidung nicht möglich war, erwuchsen daraus Frustration, Vereitelung von Identifikation, Frustrationsaggressivität, die sich entsprechend verbalisierten. Der Nationalismus bot die moralische Legitimation, aggressiv sein zu dürfen: ein nationales Idyll insofern, als die Propheten des Nationalismus nicht handelten, sondern sprachen. Geistige Waffengänge wurden angetreten. Das Blut war aus Tinte; doch bereitete die Katharsis auf dem Papier das Stahlbad von Langemarc vor.

Professorendeutsch ist die Artikulation bzw. Projektion eines schichtenspezifischenUnsicherheitsgefühls. Die Spitzen des gebildeten Bür gertums und des daran orientierten Kleinbur gertums, die Privatgelehrten, Privatdozenten, Professoren, entwickelten Gedankengebäude, die sich als Schreckenskammern nationalisti scher Wahnideen erwiesen Die Sprache wird zum Kraftakt, mit dem die herrschende Schicht, die sich unter Verdrängung, Mißachtung und Unterdrückung sozialer Wirklichkeit mit Volk und Nation schlechthin gleichsetzt, sich ihre Führerrolle zu beweisen sucht. Die Propheten des Nationalismus steigern sich dabei in eine verbale Hybris und Unmenschlichkeit, die zugleich Teil von Provinzialismus ist — nämlich Mangel an Urbanität, Erfahrung und Weltläufigkeit, Toleranz und Pluralismus, an Distanz zum eigenen Ich und an Wissen um die Fragwürdigkeit der Phänomene; Versuch, Geborgenheit, Idyll dadurch zu erreichen, daß man sich in die Spekulation (die keine wirkliche Spekulation, sondern — psychoanalytisch gesprochen ; — verbale Frustrationsaggressivität ist) einkapselt und sich's hier wohl sein läßt. Dieses nationale Pseudoidyll •— heroisch ausgestattet, wobei man den „Schreibtisch zu einer Walstatt deutscher Größe macht" (Karl Schwedhelm) — ist letztlich gnomenhaft, Zwergwachstum, schrulliger Plüsch, Gedankengebäude, das wie der Eiffelturm als Briefbeschwerer aussieht — Kleinlichkeit, die sich mit Hilfe pathetischer Sprache zur Größe aufpumpt.

Dem Kulturbewußtsein der nationalen und nationalistischen Idylle ist zivilisatorische Urbanität ein besonderer Stein des Anstoßes. Die Auseinandersetzung zwischen Thomas und Heinrich Mann zeigt exemplarisch die weltanschaulichen und sprachlichen Positionen. Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen" können als typisches Beispiel für Professorendeutsch herangezogen werden; gedanklich wie sprachlich treten seine wesentlichen Merkmale (und zwar in besonders komprimierter Art) hervor: in Auseinandersetzung mit dem französischen Ungeist wird die Zivilisation als Verkitschung des Lebens und der Welt empfunden; die westlich orientierte Zivilisationsliteratur wolle die Politisierung und Intellektualisierung; der kulturbewußte deutsche Mensch mit seiner künstlerischen Tiefen-schicht wisse jedoch, daß Politik den Menschen nicht menschlicher mache. Thomas Mann, der in seinem Buch sich „hat’s sauer werden lassen": er habe gekämpft und entsagt (wobei die Verherrlichung des Kampfes ohne existentielle Folge bleibt — die Feder in der Hand ist immer besser als die Kugel im Bauch!), entwickelte einetodessüchtige Mystagogie, im Verbund mit einem rausch-und traumhaften Sensualismus. Der deutsche Tristan gegen den französischen Voltaire, der siegfriedhafte Thomas Mann gegen den pazifistisch dekadenten Romain Rolland „Ich fand es oberflächlich, maniakalisch und kindlich, die Welt aus dem Punkte des militärischen Friedens kurieren zu wollen; ich glaubte nicht, daß das Leben je friedlich sein könne und auch nicht, daß die liebe Menschheit im ewigen Frieden sich wesentlich schöner ausnehmen werde als unter dem Schwerte. Solange die Menschheit nicht, dachte ich, in weißen Gewändern, Palmzweigen in den Händen und literarische Stirnküsse tauschend, umherwallt, wird es wohl dann und wann Krieg geben auf Erden; solange sie Blut in den Adern hat, dachte ich, und nicht lindes öl, wird sie es wohl vergießen wollen dann und wann. Also nicht Pazifist hätte ich mich nennen dürfen." Eine solche Äußerung ist professoral in dem beschriebenen Sinne. Hier wird verbal vorgetäuscht, daß man Einblick habe ins Weltgetriebe, daß man sich wohl auskenne in der Menschheitsgeschichte. Realitätsbewußtsein wird vorgegeben, indem man mit metaphernreicher Ironie die rationale und urbane Gegenposition lächerlich macht. Man fühlt sich mit den Kämpfern und Tatmenschen dadurch verbunden, daß man durch die Gefilde der heroischen Wortfelder wandelt. Diese wurden entsprechend parzelliert und beackert; die Wortfelder problematisierender Dialektik, tolerierenden Rationalismus, aufklärender Toleranz dagegen ließ man unbebaut und verfemt links liegen. Die Einseitigkeit dieser Bildungssprache, die seit Jahrzehnten die gleichen verbalen, syntaktischen und semantischen Muster reproduzierte und überall systemstabilisierende Schlüsselworte oktroyierte, ist an der Geschichte des Grimmschen Wörterbuches gut belegbar — ein Pyrrhussieg der Germanistik (Walter Boehlich), der die germanistische und damit weitgehend auch die pädagogische Desolation einleitete. Der junge Karl Goedeke läßt 1839 in einem Sonett Jakob Grimm sagen: „Nur jene Wörter soll mein Buch verkünden, die uns den Völkern als Germanen zeigen, als brave Männer, die es nicht verschweigen, daß Wort und Tat aus reiner Seele münden."

In der Tat wurde bei der „Verzettelung" des deutschen Sprachguts, vor allem bei Grimms Nachfolgern, deutlich unterschieden zwischen dem „Wertvollen" und „Wertlosen". Aufgenommen wurden Kanone, Kaserne, Kartätsche, Kompanie, nicht aber Kapital, Katastrophe, Kausalität. Lazarett, Militär, Monarchie sind vorhanden, nicht aber Literatur, Legalität, Loyalität, Logik, Methode, Materialismus. Daran erkennt man bereits die germanistische Ideologie; in ihrem affirmativen Rollenverständnis versteht sie die Speicherung und Verwaltung des Sprachguts als rechtsreaktionäre Angelegenheit. Da die Herrschaftsschicht Marxismus, Sozialismus und Psychoanalyse ablehnte, interessierte sich die Sprachwissenschaft auch nicht für entsprechende Wortbildungen und Begriffe. Bis zum Jahre 1910 ist kein einziger sozialistischer Theoretiker „verzettelt" worden (wie der Fachausdruck für wörterbuchmäßige Verarbeitung lautet). Das Quellenverzeichnis zeigte Paul de Lagarde, Lettow-Vorbeck, aber nicht Ferdinand Lassalle und August Bebel. Es zeigt Otto von Bismarck, Baedecker, die Marlitt, aber nicht Karl Marx. Die Sprache der Dialektik fehlt später zwar nicht mehr so eklatant im Wörterbuch, wohl aber weiterhin im Sprachbewußtsein des Bürgertums.

Benedetto Croce meinte, daß die deutschen Professoren nach 1871 das Sedanlächeln nicht mehr von ihren Lippen gebracht hätten. Dem stillen Gelehrtendasein mit der aufgezwungenen Innerlichkeit und gelehrten Meditation — eine Folge der Flucht nach innen nach dem Scheitern der Revolution von 1848 — war endlich der Anschluß an die gesellschaftliche Hierarchie, an deren Spitze die kämpferischen Naturen standen, gelungen — und zwar mit Hilfe eines rüden Militarismus und Chauvinismus der Feder. Der intensive Haß auf westliche Demokratie und westlichen Parlamentarismus erlöste aus der eigenen Anämie und aus verdrängten Minderwertigkeitsgefühlen; indem man sich suggerierte, daß man als Deutscher nur Gott und sonst nichts auf der Welt fürchtete, konnte man humanitäre Hemmungen überwinden. Der Bruch mit der Tradition der Aufklärung war bei Beginn des 1. Weltkriegs endgültig vollzogen. Die „Ideen von 1914" wurden gegen die von 1789 entworfen; Deutschtumsmetaphysik und -mystik, Gemeinschaftsromantik, der Krieg als Eigentlichlichkeit (Dok. VIII). Auch das antidemokratische Denken in der Weimarer Republik war wesentlich durch die Professorenschaft geprägt. Der Einsatz der Wissenschaft im Dritten Reich lag somit innerhalb einer fatalen, seit langem angelegten Entwicklung. Sombart hat dieser „Grundgestimmtheit" in einem klassischen Wort Ausdruck gegeben: „Militarismus ist der zum kriegerischen Geist hinaus-gesteigerte heldische Geist. Er ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Er ist Faust und Zarathustra und Beethoven-Partitur im Schützengraben. Denn auch die Eroica und die Egmont-Ouvertüre sind doch wohl echtester Militarismus."

Dieser „geistige Waffendienst" deutscher Professoren wurde vor allem auch dadurch gefördert, daß die deutsche Klassik besonders gut zur Abdeckung der eigenen Aggressivität geeignet schien. Klassik wurde gleichgesetzt mit spektakulärer Pose, mit Systematisierung, Gliederung, Ordnung, Organisation. Sie war ästhetische Strategie und damit eine Abart der Kriegskunst. So wurde etwa Moltke als der große Künstler des Krieges, als der große Krieger unter den Künstlern gepriesen. Das Volk der Dichter und Denker habe sich, Langbehn stellte dies in „Rembrandt als Erzieher“ aufatmend fest, in ein Volk der Krieger und Künstler verwandelt. „Krieg und Kunst ist eine griechische, eine deutsche, eine arische Losung." Ein solches Erbe wurde weitergereicht von deutschbewußten Hochschulprofessoren, Lehrern, Schriftstellern, Verlegern, Pfarrern, wobei besonders die Schule als Agentur der herrschenden Gesellschaft ein einflußreicher Umschlagplatz der Ideologie war.

Eine Analyse der Terminologie von Kunstwissenschaft und Germanistik macht deutlich, in welch starkem, ja überwältigendem Maße der militärische und nationalistische Jargon („Sprache im Einsatz") dominierte Kunst wurde nicht interpretiert, sondern heroisiert. Prototypisch etwa, was in der Kunstwissenschaft dem „Bamberger Reiter" angetan und wie in der Germanistik „Faust und das Faustische" zu einem Element deutscher Ideologie wurde Die Krise der Germanistik in unseren Tagen, besonders evident geworden auf den Germanistentagen 1966 in München und 1969 Berlin, machte deutlich, daß die Entnazifizierung als Verdrängung erfolgt war. Die Inhalte waren ausgetauscht worden, die Sprachmuster aber weitgehend unbeeinträchtigt geblieben. Germanistisches Professoren-deutsch, signifikant für (zumindest geisteswissenschaftliches) Professorendeutsch überhaupt, blieb affirmativ nicht zuletzt deshalb, weil es nicht den Mut aufbrachte, die eigene sprachliche wie gedankliche Position historisch zu reflektieren. Das Geschichtsbewußtsein war vorgetäuscht, nicht für Aufklärung, sondern Verneblung, nicht für kritische Trennschärfe, sondern nur für die Bekräftigung von Ideologie geeignet.

Am Beispiel der Germanistik wird zudem deutlich, wie aktuell die soziolinguistische Betrachtung von Professorendeutsch heute ist. Trotz der Demokratisierung der Inhalte sind die aus dem agrargesellschaftlichen Stabilitätsdenken entwickelten Sprachmuster des Paternalistischen und Pseudoidyllischen, die Sprechlage der entdinglichten Spekulation sowie die leere Redundanz des ästhetischen Wortrauschs weitgehend unlädiert geblieben. Dialektisches Sprechen wird entsprechend als destruktives Sprechen diffamiert — wäre es doch in der Lage, die Hybris der Fraglosigkeit zugunsten einer sprachlichen und damit auch weltanschaulichen größeren Offenheit aufzubrechen, im besonderen auch Aufgabe einer pluralistischen Spracherziehung von der Vorschule bis zur Universität.

Die Krise der Germanistik, die von der linken Kritik als „Agonie einer bürgerlichen Wissenschaft" interpretiert wird (Dok. IX), hat zwei Seiten: krisenhaft erscheint uns sowohl die bestehende Germanistik wie die des Gegenent-wurfs (die das, was kritisiert wird, e contrario weiterführt). Als Deutschwissenschaft ist die Germanistik, wie ihre Geschichte zeigt, fast von Anfang an als Deutschtumswissenschaft entwickelt worden, als Teil einer völkischen Theologie, die bald dominant zur Ideologie wurde, indem sie Ausschließlichkeitsanspruch für deutsche Wesenheit erhob. „Die Krise der Germanistik steht stellvertretend für die Fächer, die aufgrund ihres Wissenschaftsverständnisses in unpolitisch-affirmativer Harmonie mit der bestehenden Gesellschaft leben, das kritische Potential der Studenten von gesellschaftlicher Praxis fernhalten und zage Detailkritik allenfalls im Rahmen fachinterner innerer Emigration deklarieren." Die Deutschkunde war „Erzieherin des Volkstums" — Wegbereiterin eines politischen Irrationalismus, der schließlich im Nationalsozialismus kulminierte. Man kann aufgrund der germanistischen Wissenschaftsgeschichte abgesichert behaupten, daß sich 1933 nicht Individuen schuldig machten, sondern eine Wissenschaft ihre ideologische „Erfüllung" fand, die von ihren Ursprüngen und ihrem Selbstverständnis her auf diese Perversion angelegt gewesen ist.

An der germanistischen Sprache ist diese Entwicklung ablesbar: Artikulation einer geistigen Haltung, die zwischen militanter Innerlichkeit und verbalem Imperialismus angesiedelt war und deren Verführbarkeit gerade in ihrem scheinbar unpolitischen Methodenpluralismus lag — konnte er doch die systemhörige Grundstimmung kaschieren. Kritische Sprache ist der Germanistik stets fremd geblieben; sieht man von den Invektiven gegenüber Kollegen ab, so haben kritische, ironische, witzige oder humorvolle Sätze im germanistischen Schrifttum Seltenheitswert. Kleintun mit Worten lag einer Wissenschaft fern, die sich ständig auf das heilende, erhebende und erhabene Wort berief, deren Idyllik stets auf (zunächst national-liberalen, später national-imperalen) Sphärenflug ausgerichtet war. Der Abwehr-mechanismus der germanistischen Sprache funktionierte fast perfekt. Olymp bzw. Wal-hall als Heimstätte der Dichter und Denker lagen so weit von der Wirklichkeit entfernt, die Dialektik von Erkenntnis und Interesse wurde so systematisch mißachtet und verdrängt, daß eine emanzipatorische Germanistik einen Widerspruch in sich selbst darstel24 len mußte. Die Fetischisierung des Kunstwerkes, das dadurch, daß es aus sich selbst (werk-immanent) begriffen werden sollte, nicht begriffen werden konnte, machte die Germanistik zu einem willfährigen Instrument repressiver Gesellschaft. Die Fixierung auf das mit magischer bzw. göttlicher Kraft gefüllte Kunstwerk lähmte gesellschaftskritische Betrachtung; zum anderen konnte solcher Fetisch gut der Ablenkung von inhumaner Praxis dienen. Fasziniert vom Geistreich der Dichter und Denker, übersah man die Tätigkeit der Richter und Henker. Das Höhere, das Reine war Surrogat; indem man so tat, als ob das, was bleibt, die Dichter stifteten, blieb der Unterbau von Bewußtsein, das gesellschaftliche Sein, unbeachtet. Im Ritual schöner Geistigkeit, um der Erhebung willen, verzichtete das Germanistendeutsch auf sprachliche Trennschärfe. Wenn freilich heute die kritische Linke den Nationalismus, die Bildungsideologie und die irrationale Geschichtsmythologie der Germanistik (gerade auch an ihren Sprachmustern) entlarvt und damit die Krise evident macht, verfällt sie in den Fehler, eine Wissenschaftsideologie durch eine andere zu substituieren. Man kritisiert und attackiert z. B. zwar mit Recht den für die alte Germanistik zentralen Begriff der „Lebenshilfe", da dieser Begriff im Sinne germanistischer Ideologie der Indoktrination einer heilen nationalvölkischen Welt diente, setzt aber dann an dessen Stelle eine neue Form von (gleichermaßen apodiktischer und oktroyierender) „Lebenshilfe", die nun „Gesellschaftsrelevanz" heißt. Die ontologischen Interpretationsmausoleen werden durch soziologische ersetzt; die Diffamierung nicht-gesellschaftsrelevanter geistiger Arbeit (zumindest was die Unmittelbarkeit ihrer Auswirkung betrifft) ist Teil eines ideologieverdächtigten Pansoziologismus, der damit notwendigerweise auf das hinorientiert, was früher von der Hybris pathetischen Höhenflugs aus als Trivialliteratur bezeichnet wurde.

Wenig ist gewonnen für die notwendige Offenheit von Wissenschaft, die seit der europäischen Aufklärung von dem Axiom ausgeht, daß die Wahrheit an sich unbekannt und nur eine Annäherung an sie möglich sei, wenn der ideologische Absolutheitsanspruch der nationalimperialen Germanistik ersetzt wird durch die als absolut gesetzte Utopie marxistischer Gesellschaftstheorie; eine chiliastische Zukunftserwartung mit einer anderen ausgetauscht wird. Emanzipation kann genauso zur Leerformel werden wie Lebenshilfe, wenn die Mehrdeutigkeit der Beziehung zwischen Literatur und Realität dogmatisch ersetzt wird durch die der Dichtung zugewiesene Verifikation für bereits fixierte gesellschaftliche Veränderungsabsichten. Ein Überbauphänomen ist Literatur meist, wenn auch häufig unbewußt, in der bisherigen Germanistik gewesen: Produkt und Projektion einer Gruppe, die zum geistig korrumpierten Spätbürgertum gehörte; ihr war Sprache nicht ein Zeichen-System, also eine individuell erfolgte und dann sozial fest gewordene Reaktion oder Konstruktion von Menschen (le signe linguistique est arbitraire), sondern im Sinne des romantischen Organismusdenkens Ausdruck von Wesenhaftigkeit; Worte wurzelten im Sein. Indem sich diese Sprache von ihrem hybriden Wahrheitsanspruch aus vor der Verunsicherung durch andere Sprachmuster (kristischen Denkens) verschloß, hat sie im Reflex freilich jene radikale Kompromißlosigkeit mit hervorgerufen und gefördert, die jetzt als Gegen-Germanistik sich zu etablieren sucht. Dem liberalen Relativismus fällt es schwer, sich zwischen Ideologie und Gegenideologie zu behaupten. Wer sowohl die „Lebenshilfe“ affirmativer, bewußtlos tradierender, Herrschaftsverhältnisse stabilisierender Germanistik als auch die Sündenbocktheorie von der spätkapitalistischen Gesellschaft als zentralem Element der Gegengermanistik ablehnt, muß versuchen, außerhalb vom Professorendeutsch der Konservativen und vom Professorendeutsch der Linken, jenseits vom Jargon der Eigentlichkeit und vom Jargon der Dialektik, zu sprechen, damit sein Sprechen praxisfähig bleibt — im Sinne eines Praxisbegriffs, wie ihn JvanSvitak charakterisiert: „Die Praxis ist das Korrektiv der ideologischen Selbsttäuschung. Die Praxis demaskiert das falsche Selbstbewußtsein, das wir von uns selber bilden. Wir sind außerstande, uns durch Praxis zu belügen. Gedanken sind vieldeutig, Taten nicht."

Wurzeldeutsch „Wurzeldeutsch" wird hier verwendet als provokatorische Metapher für ein sprachliches Verhalten, das durch die Überzeugung geprägt ist, daß bestimmte Wortfelder und die sie inkorporierenden syntaktischen Muster dem Eigentlichen, Wesenhaften, also der Wahrheit näher stehen als andere. Wurzelhafk Sprache glaubt mit solchem Sprechen in die Wurzelgründe des Seins vorstoßen, die Ein heit von Entität und Wesen in Sprache manl festieren zu können: in einer Sprache, die in den Wortfeldern des Gewachsenen und Wachsenden, des Organischen schlechthin (der Fauna wie Flora) beruht. Sprache wird nicht als ein sich ständig wandelndes und zu verwandelndes Instrument verstanden, das bei seiner Verwendung in Unschärfe-Relation zum angegangenen Gegenstand steht, wodurch der Glaube an die Wahrheit von Sprache die entsprechende Relativierung und Differenzierung erfahren könnte. Solche Skepsis wird vom Standpunkt des Wurzeldeutsch freilich nur Sprachformen entgegengebracht, die außerhalb „organischer Wahrheit" stehen, also z. B. Sprachbereichen des Künstlichen, Gemachten, Technischen, Maschinellen, Zivilisatorischen zugehören. Wurzeldeutsch ist demnach in der ruralen Idylle zu Hause. Nicht in der echten Idylle, die nach Jean Paul im Oszillieren zwischen der Abkapselung des Furchendaseins und dem enthebenden Sphärenflug besteht, wobei beide Existenzformen ständig gegenseitig relativiert und auch ironisiert werden; nicht in der Idylle, die sich ihres fiktiven Charakters, des Als-ob-Zustandes bewußt bleibt und getragen ist vom Wissen um die Fragwürdigkeit der Heiterkeit auf dem Grunde der Schwermut. Diese Idylle — also ein sehr komplexes und kompliziertes Gebilde — ist nicht Asyl von Wurzeldeutsch. Idylle im Sinne von Wurzeldeutsch bedeutet Eindeutigkeit: Sprache ist das Heil, indem sie vom Heil kündet. (Dok. X)

Alles ist im Lot. Geborgenheit bleibt fraglos. Das konjunktivische Bewußtsein der Idylle wird ins Indikativische umgedreht. Die Sehnsucht nach Geborgenheit wird zur Suggestion von Geborgenheit. Wer der Lebenslüge, die Fiktion für Wirklichkeit hält, zu entgehen hofft, flüchtet sich in Neurose oder Psychose; die Unfähigkeit, Sehnsucht und Wirklichkeit unterscheiden zu können, führt zu tiefgreifenden Störungen im individuellen wie kollektiven Seelenleben.

Die falsche Idylle — reproduziert und multipliziert durch vielfältige literarische und trivialliterarische Ausprägungen — erweist sich als eminent wichtiges politisches Phänomen; sie verführt den Menschen dazu, seine Humanität aufzugeben: wird nämlich die fraglose Fiktion der heilen Welt totalisiert, muß diese Fiktion — um sich vor dem Zusammenbruch angesichts der Realität zu schützen — versuchen, ihre zunächst halluzinatorische Internalisierung als idyllische Ideologie nach außen zu wenden und insgesamt zu oktroyieren, zudem all die Phänomene zu verdrängen, die einen Einbruch oder Abbruch der idyllischen Weltanschauung darstellen könnten. Damit erweist sich falsche Idyllik auch als wichtiges Element des autoritären und totalitären Syndroms. Gesellschafts-und Staatsformen, die kein Interesse daran haben, daß der Mensch Wahrheit erfährt (und das heißt hier Erkenntnis der Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Phänomene sowie die ständige Fortschreibung von Datenmaterial), müssen ein wesentliches Interesse daran haben, idyllisches Bewußtsein zu stabilisieren bzw. neu zu wecken. Idyllik erfährt dabei unterschiedliche, auch zeitgenössische Staffage. Die Gartenlaube des Wilhelminismus ist anders ausgestattet-als die des Nationalsozialismus; kommerziell (kapitalistisch) orientierte Idyll-Ideologien zeigen andere Accessoires als der rote Plüsch. Auf dem Polster der Platitüde liegen allesamt.

Das Organische und Idyllische ist mit dem Ländlichen und Landschaftlichen weitgehend identisch; Wurzeldeutsch verherrlicht das Land im Gegensatz zu Stadt Landschaft steht im Gegensatz zur Zivilisation; der Zugang zum Wesenhaften führt über die Natur; der Weg zu den Müttern ist geistfern. Differenzierende und reflektierende Naturdichtung wird als Stein des Anstoßes weggeräumt (uminterpretiert). Weder der naive noch der sentimentalisehe Dichter ist für die rurale Idolatrie brauchbar. Eindimensionales Wurzeldeutsch spricht sich aus als Naturkitsch, Volkstumsideologie oder Bauernromantik. (Dok. XI)

Wurzeldeutsch bedarf nicht der Deskription, sondern der Verkündigung, nicht der Reflexion, sondern der Erbauung, nicht der Formalität, sondern dampfender Stofflichkeit. Es geht nicht darum aufzuzeigen, daß das einfache Leben seine Schönheiten und seine Wesenheiten hat, sondern daß allein das einfache Leben die Wahrheit bringt. Es geht nicht darum, die Synästhesien der Natur zu genießen, sondern Natur zum Urquell von Schönheit zu deklarieren. Die Gewalt des Urtümlichen wird nicht aorgisch erlebt; mit dem Urtümlichen als Offenbarung des Göttlichen wird der Widersacher Geist bekämpft. Naturdichtung, die diese Eindimensionalität nicht aufweist (verdient sie den Namen Dichtung, so ist sie mehrdimensional) verfällt der ideologischen Interpretation. Es gibt viele Beispiele für diese Trivialisierung und Ideologisierung nicht-trivialer und nicht-ideologischer Naturliteratur. Wenn z. B. Stifters „Nachsommer" immer wieder bis hin zur NPD in den nationalsozialistischen oder faschistischen Sog gerät, im Sinne deutscher Seelenhaftigkeit und nordischer Sittlichkeit desavouiert wurde, dann deshalb, weil die ideologische Interpretation sich nur an die Stofflichkeit hält, blind ist gegenüber sublimen oder sublimierten Strukturen. Das figurative Muster von Stifters „Nachsommer" wird dann nicht gesehen bzw. verdrängt und in seinen Einzelelementen als plumpe Wirklichkeit mißverstanden. Statt zu erkennen, daß Ordnung bei Stifter eine dem Naturchaos abgerungene, in stetem Tun sich verwirklichende Geistigkeit bedeutet, wird sie nun als Etablierung statischer Dogmen und Erziehungsideale ausgegeben. Die Gegenständlichkeit wird als Material für Freizeitbeschäftigung mit antizivilisatorischem und antitechnischem Affekt gepriesen. Die luzide Gartenlandschaft wird in „Blut und Boden" uminterpretiert. Die Menschen erscheinen als holzgeschnitzte Defregger-Typen, Staffage des ideologischen Binnenraums. Der ideologischen Interpretation bleibt die figurative Ebene des „Nachsommers", das im Sinne Schillers spielerische Muster, nämlich die sprachliche Figuration als Treffraum von Realität und Idealität, genauso verschlossen wie die stets unter dem irrealen Vorzeichen des Als-ob sich vollziehende Beruhigung und Befriedigung. Während der „Nachsommer" nicht Ruhe, sondern Beruhigung darstellt, durch Formung die Schwerkraft des Daseins zu überwinden sucht, ist Naturideologie Selbstverherrlichung und rohe Stofflichkeit. — Als immerhin noch literarisches Beispiel von Naturideologie — im Sinne „roher Stofflichkeit", wenn auch erst am Rande des Kitsches —, von starkem sprachlichen Einfluß auf das Bildungsbürgertum, sei Ernst Wiecherts „Einfaches Leben" angeführt: charakteristisch dafür, wie Idyllik zur Romantisierung antikultureller Affekte herangezogen werden kann. Dem ewigen Rauschen der östlichen Wälder entspricht ein hochgestochenes Pathos, mit dem die Selbstfindung eines adeligen Einzelgängers beschrieben und zum Heilsrezept für die Menschheit ausgegeben wird. Naturbezogene Innerlichkeit, sprachlicher Leerlauf und antistädtische Zivilisationsfeindschaft werden als Ursprünglichkeit, Tiefsinn und Weisheit ausgegeben.

Die Diskussion über das deutsche Lesebuch vor einigen Jahren hat deutlich gemacht, wie stark Erziehung und Bildung auch nach 1945 durch Leitbilder geprägt wurden, die der Agrargesellschaft (bzw.der Vorstellung von ihr) entstammen Dazu Naturmystik aus dritter Hand. — Inzwischen hat sich erfreulicherweise vieles geändert. Die Lesebücher sind weit-und kulturoffener geworden. Latein-und Grammatikbücher bedürfen nun kritischer Beachtung. Es wird Zeit, daß die Tochter des Landmanns nicht mehr den Altar des Gottes schmückt. Es handelt sich hierbei um Sätze, die so tun, als seien sie Beispiele für die Regeln der Grammatik; zugleich aber teilen sie Sachverhalte mit, die den Denk-und Fühlweisen des vorindustriellen Ständestaats entsprechen: „bevölkert in der Hauptsache von Bauern, Hirten, Jägern, Soldaten, Lehrern, einem Kaiser und einem Gott; die allgemeine Gesinnung ist edel, alle Leute sind zufrieden und deshalb glücklich. Jeder hat seinen Platz und dort nur Gutes im Sinn; es ist eine Gesellschaft ohne Konflikte; Interessengegensätze wie etwa zwischen arm und reich sind unbekannt. Die Tugenden, die jeder übt, heißen Ordnung, Fleiß, Gehorsam, Treue und Bescheidenheit."

Hier herrscht weiterhin der Geist des total platten Landes. Durch ihn sind auch die Lieder-bücher der Schulen und Gesangvereine sowie der Bundeswehr bestimmt. Natur-und Wanderlieder dominieren; ohne besondere Abwechslung zeigen sie Szenerien, bei denen die reale Natur ausgespart ist. Süßliche oder heroische Stilisierung: Bächlein im kühlen Wiesengrunde, tanzende Birken, goldene Garbenfelder, jungfräuliche Auen. In dieser Landschaft jubilieren und frohlocken unentwegt die Vögelein, die süßen Sängerlein, die liebe Nachtigall, die Amseln, die Finken, und selbst die Spatzen geben keine Ruh. In den meisten Liedern grüßt der schöne Mai, der lustige Mai, der Lenz in seiner Pracht; auf der Heide blüht nach wie vor ein Blümelein, und das heißt Erika. Wandern und Lieben bestimmen die menschliche Tätigkeit; die Motive der durchliebten Nacht, der verführten Unschuld, des sich hingebenden Mädchens, des unehelichen Kindes werden in die aus der bürgerlichen Epoche stammenden verschleiernden Naturmetaphern gebracht — ä la stechendem, aber doch gebrochenem Röslein. Die Wort-felder, auf denen der Liedkitsch blüht, können mit Träume — Bäume, Schall — Nachtigall, Sommerszeit — Freudigkeit, Nacht — Feuer entfacht, Morgenrot — früher Tod, Sonne — Wonne definiert werden. (Dok. XII)

Was hier an einigen Beispielen der aus der spätromantischen Tradition erwachsenen Erbauungspädagogik aufgezeigt wurde, ist selbstverständlich nicht nur ein Problem der Erziehung, wenn auch durch sie auf entscheidende Weise Gefühls-und Bewußtseinsstrukturen fixiert und stabilisiert werden. So wie moderne Typographie und modernes Lay-out bei den Lesebüchern und Liederbüchern oft darüber hinwegtäuschen, in welch anachronistischen Sprachmustern anachronistische Inhalte und Gehalte angeboten werden, so läßt auch oft die Modernität von Medien wie Rundfunk und Fernsehen darüber hinwegsehen, daß diese ebenfalls Agenturen von Wurzeldeutsch darstellen. Das, was sich jenseits der Nachtprogramme und Dritten Programme artikuliert, und zwar nicht nur für Bergsteiger und Naturfreunde, sondern vor allem für die Hausfrau, die Kinder, die Familie — auf die Familienserien des Fernsehens sei besonders hingewiesen —, ist bestimmt durch idyllische, organistische, agrargesellschaftliche Sprache. Die Suada, die positiv-konstruktiv die Hörerinnen und Hörer anspricht und „aufbaut", ist bestimmt durch sentimentale Tiraden, weltoffen sich gebende Bonhomie und „gesunden Menschenverstand". Hier sind Redakteure am Werk, die es mit aller Welt offensichtlich gut meinen — Bieder-männer. Die idyllischen Platitüden wiegen in das Bewußtsein, daß gutgemeinte Sprache auch gute Menschen hervorrufe; affirmativer Sprachstil verbaut den Weg zu kritischer Re-flektion. Die moralischen Lichtgebiete bewirken in ihrer Vagheit und Unverbindlichkeit keine wirklichen Erhellungen, auch wenn das Licht, neben der Vernunft und der Freiheit, nimmermüdes Rühmen erfährt. Die Absicht, schwerwiegende Probleme und Tiefsinniges mit leichter Hand darbieten zu wollen, ist Teil idyllisierender Leichtfertigkeit. (Dok. XIII)

Eng verwandt mit dem Wurzeldeutsch ist das •asmin-Deutsch. Die Sprache wurzelt nicht, sie treibt süßlich duftende, keuschbiedere Blüten. Die Laube ist einer ihrer Topoi: „Wenn Ihr im Kreise Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt oder im Frühling, wenn vom Apfelbaume die weißen und roten Blüten fallen, mit einigen Freunden in der schattigen Laube — dann leset unsere Schrift. Ein Blatt soll’s werden fürs Haus und für die Familie. ... es soll euch anheimeln, unsere Gartenlaube, in der Ihr gut-deutsche Gemütlichkeit findet, die zu Herzen spricht.“ Diese einst von der „Gartenlaube" befriedigten Sehnsüchte nach dem Idyll werden heute von den Illustrierten, Magazinen und der Regenbogenpresse gesättigt — soweit sie sich nicht mit der „Pornographie des Todes" beschäftigen. Der „Gartenlaube“ von gestern entspricht z. B. heute „Jasmin"; mit ihren „Mythen des Alltags" freilich weniger pummelig als ihre Vorläuferin. Das „Leben zu zweit" ist in unseren Tagen promiskuös aufgelockert; die Lichtgebete sind orgiastischer; das Hausmütterliche telegen. Die Sprachmuster haben sich jedoch nur wenig verändert. So naturlyrisch einst eine Anonyma in der „Gartenlaube" über die Hygiene der Frau und ihre „kritischen Tage" sich ausließ, so innig, sinnig, minnig beschreibt heute die Autorin J. das Sexualtraining der masturbierenden Frau.

In unserem Zusammenhang interessiert nicht das Jasmin-Syndrom in seiner umfassenden sozialpsychologischen Bedeutsamkeit. Es geht hier lediglich um die Natursemantik. Irgendwie wollen alle diese All-plastic-people mit ihren Schlössern, Landhäusern, Windhunden, mit ihren 380 Paar Schuhen, dem Allround-Bett, mit ihrer Desodorantspray-Sauberkeit und ihren Schaumgummimöbeln, irgendwie wollen diese verwöhnt melancholischen Boutique-Kunden zurück zur Natur.

Noch mehr als der Textteil ist der Anzeigenteil geschickt auf dieses Zurück-zur-Natur gestimmt. „Leder kann mollig warm sein, fast so warm wie das Fell dieser Heidschnucken in der Lüneburger Heide. Das Mädchen zwischen den Heidschnucken friert natürlich nicht, es trägt einen ganz und gar mit Lammfell gefütterten Hosenanzug.“ Die Werbegags kokettieren mit dem einfachen Leben. Der moderne Narziß will sich im Buntdruck blütenfrisch erkennen; Jasminsprache vermittelt arkadische Illusionen. Die Frustrationen des Alltags werden durch Reklamemythen freilich nicht bewältigt, sondern nur hinwegprojiziert bzw. verdrängt, bis sie als individuelle oder kollektive Neurosen eines Tages wieder ausbrechen. Auf zwei andere Alltagsbereiche sei in diesem Zusammenhang noch hingewiesen: auf die Heiratsanzeigen und Anstandsbücher. Die Heiratsanzeige vermag einen besonders aufschlußreichen Einblick in die Bewußtseinsstruktur eines Menschen bzw. einer Gruppe zu geben, weil hier Persönliches (Persönlichstes) angesprochen wird oder sich ausspricht. Die Heiratsanzeigen als ein öffentlich zugänglicher partieller Bereich von Intimität artikulieren Sehnsucht; die Betroffenen, die familiäres Glück anderweitig nicht finden konnten, behandeln ihre Hoffnungen und Erwartungen dabei als Ware und handeln mit ihnen. Dieser Warencharakter wird freilich nicht zugestanden; die Kommerzialisierung der Sehnsucht wird romantisch abgedeckt. Die Heiratsanzeigen korrespondieren mit dem trivialen Liebesroman und mit den Reizschemata der Reklamewelt. Das Herz soll entscheiden; dementsprechend lauten die Kernsätze von Heiratsanzeigen: Ersehnt Herzensehe! Gesucht das große Herzensglück! Träume von Liebes-ehe! Suche viel Herz! — Die vollkommene Ehe ist — zumindest wollen das die inflationär gebrauchten Wortmünzen der Innerlichkeit suggerieren — ganz aufs Wesentliche und Eigentliche ausgerichtet. Die zukünftig einander Liebenden projizieren in ihr erwartetes Eheglück die „einzigartige schicksalhafte Begegnung zweier Seelen". Unübersehbar klafft der Widerspruch zwischen der vom geltenden Liebesideal zugespielten und zugemuteten Rolle auf der einen und der rationalisierten Praxis der Heiratsbörse auf der anderen (Jürgen Habermas). Der ehedem nationalistisch unterlegte Provinzialismus des gehobenen Bürgertums, auf den Karl Kraus bei der Analyse einer Heiratsanzeige hingewiesen hat, ist heute abgelöst durch fingierte Weltläufigkeit. Der spießbürgerliche Mief wird mit dem Duft der großen weiten Welt vermengt. Nach wie vor ist jedoch die Hauptsache, daß die „Sachen" stimmen; die Frau wird als Sexualobjekt und als Hausfrau taxiert — darüber elektrisierende, Romantik.

Unbestritten ist, daß die allgemeinen Kommunikationsschwierigkeiten in der „vermassten" Industriegesellschaft mit Entfremdung und Vereinsamung Hand in Hand gehen, also den Intimbereich sehr stark betreffen. Dort, wo mehr als die sexuelle Verbindung en passant (etwa als touristische Freizeitgestaltung nach dem Motto „Sonne und Amore") gesucht, d. h. eine länger dauernde Bindung angestrebt wird, nämlich als Ehe in der konventionellen Form von Nestwärme, fehlen häufig die Möglichkeiten für gegenseitige Prüfung. Diese individuelle wie gesellschaftliche Situation wird jedoch nicht in Offenheit und Ehrlichkeit angegangen, sondern mit den Stanzmustern der Werbung aufs Idyll hin harmonisiert: braun-gebrannte Muskelstärke; blondes Glück zwischen den Dünen; Skifahren im Gebirge; Baden und Segeln in See und Meer; Wandern in allen Höhen; dazu Kultur zwischen Barod und Beat; Schöner Wohnen im trauten Heim. (Dok. XIV)

Während die Betrachtung der Heiratsanzeigen einen speziellen Bereich von gesellschaftlicher Kommunikation und Interaktion sich zuwendet, sind Überlegungen zur Frage von Höflichkeit und Anstand mehr „globaler" Art. Höflichkeit ist heute vor allem deshalb zum Problem geworden, weil der Protest der Jugend bestehende Anstandspraxis radikal verletzt hat und zudem die Regel-und Normverletzung deutlich gemacht haben, daß das, was umgestoßen wurde, teilweise schon so hohl war, daß kaum noch die Fassaden hielten. Betrachtet man Höflichkeit von ihrer gesellschaftlichen Funktion her, so ermöglicht sie die Sublimierung stofflicher Gegensätze. Mit Hilfe bestimmter Zeichen sprachlicher und gestischer Vereinbarungen, werden Interessengegensätze so abstrahiert, daß Umgang und damit auch Verständigung möglich wird. Formen werden jedoch leicht zu Formeln; die ursprüngliche Möglichkeit, durch gewisse Regeln Bereiche für Kommunikation und damit auch für Spontaneität und Kreativität abzustecken, geht dann verloren. Es bleiben Schablonen, die in ihrer Starrheit jede Beweglichkeit zerstören oder unterbinden. Das Ritual erzwingt bei seinen Teilnehmern eine Verhaltensnormierung. Standardisierung, die jeweils eine Wiederholung des gleichen Handlungsablaufs auferlegt, übt einen seelischen Druck aus, der sich als Angst oder Befangenheit aktualisiert.

Mit Hilfe des Anstandsrituals kann der Mensch manipuliert und von Emanzipation abgehalten werden Gutes Benehmen wird mit Primär-tugend verwechselt. Höflichkeitserziehung in einem gesellschaftsadäquaten und damit auch dynamischen Sinne, etwa als Teil einer ästhetischen Erziehung, die Wahrheit so „anbietet, daß sie vom anderen aufgenommen werden kann (Höflichkeit somit als Medium für Transfer sich erweist: damit Signale ankommen), eine solche Höflichkeit wird verbaut durch die dominante Anstandserziehung, die — im entsprechenden Wurzeldeutsch gehalten — in ihrem Vokabular von A bis Z (von Abendgesellschaft, Abendhut des Herrn, Adelshäuser, Antrittsbesuch — bis Zeremoniell, Zylinder) „wie gehabt" sich verhält: als penetrante Lobpreisung des „richtigen Verhaltens"; wo man sich richtig verhält, ist oben; wie man sich oben verhält, ist richtig (Dok. XV). Etikette als zivilisatorische „Verfeinerung"

scheint naturhaftem Wurzeldeutsch diametral entgegengesetzt zu sein. In einem strukturellen Sinne sind jedoch Bereiche soziolinguistisch miteinander verwandt. Indem die Sprachmuster der Anstandserziehung und Etikette, einem mißverstandenen Höflichkeitsbegriff folgend, jeden Einbruch ins durch Formeln und Formalität abgesteckte Idyll des Harmonisch-miteinander-Auskommens meiden bzw. die Regelverletzung, die Dissonanz, als Unhöflichkeit diffamieren oder mit geradezu manischer Furcht vor Eigen-willigkeit verdrängen, ähneln sie den Sprach-und Denkmustern des Wurzeldeutsch, das als wesentliches Element einen auf Eigentlichkeit und Wesenheit ausgerichteten Hang zum unreflektierten Idyll zeigt.

Damit sei zurückgegriffen auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtung, wobei die aphoristisch zitierten vielfältigen literarischen oder trivialliterarischen Erscheinungen nochmals rückbezogen werden auf ihren spätromantischen Ursprung: Die romantische Naivität konnte nicht mehr durchgehalten werden; aufgrund der Industriellen Revolution mußte das Konjunktivische des Idylls in seiner spielerischen Sublimierung dem Realitätsdruck und dem Realitätsprinzip weichen; es verflachte die Polarität zwischen Sein und Sehnsucht, aus der die sentimentalische Geisteshaltung erwächst, zugunsten des Seienden. Inmitten der allgemeinen Diffusion und Unsicherheit individueller wie kollektiver Existenz suchte man an „Wurzeln" sich zu klammern, die man sich mit Hilfe von Sprache suggerierte. Durchritzt man die dünne Glasur der modernen oder modernistischen Lebenshaltung, so stößt man sofort auf diesen kompakten Block spätromantischen Empfindens, das die Wirklichkeit nicht beim Worte nehmen will und kann. Dieses Leben in einer Welt'des sprachlichen Scheins bedeutet Identitätsverlust. Das Wurzeldeutsch ist in seinem Absolutheitsanspruch ungeeignet, Wahrheit über Ich und Welt zu verschaffen.

Diese Vereitelung von „Wesensschau" unter dem Anspruch vertiefterWesensschau (nämlich als Ideologie und Suggestion) kippt gerade dann in Frustrationsaggressivität um, wenn das mit Wurzeldeutsch etablierte Weltbild der Harmonie und Idyllik an der Wirklichkeit sich wundstößt oder aber in dieses Sprach-und Denkmuster Elemente eindringen, die nicht mit dem ideologischen Anspruch übereinstimmen und diesen in Konfusion bringen. Wenn Fraglosigkeit wankt, ohne daß eine Konditionierung für verunsichertes Leben (Denken, Sprechen) erfolgt ist, wenn die ideologischen Stereotypen abbröckeln und plötzlich bewußt wird, daß der spätromantische Schein eben Schein ist und die Metaphern nur Metaphern sind, wenn also die Fiktion eines sich als Wahrheit ausgebenden Sprach-und Denkmusters in sich zusammenfällt, ereignet sich der Umschlag in die Brutalität. Deshalb sind die im Wurzeldeutsch befangenen und dieses Wurzeldeutsch ausübenden Idylliker von einer ungemein rüden Aggressivität, wenn sie in ihrer Idyllik attackiert werden. Der Halt ist zerstört; es formiert sich faschistischer Widerstand. Das sozialpathologische Syndrom kann nur gelöst werden, indem man sozialpsychologisch behutsam vorgeht und mit Hilfe einer auf Sympathiewerbung zielenden Sprach-erziehung die Ideologie des Wurzeldeutsch zugunsten eines pluralistischen verunsichernden Sprechens abbaut.

Dokumentarischer Anhang

Dok. I:

Ein Beispiel aus dem Jahre 1969 (einem Turnverein zum 120jährigen Jubiläum):

Alter, ruhmreicher TSV 18461

Idi grüße und beglückwünsche Didi zu Deinem stolzen Jubiläuml Du bist alt geworden, doch immer jung geblieben, ein nie welkender Eidienkranz windet sich um Deine Initialen mit der stolzen Hohenzollernburg!

In verehrender Liebe umschließen Dich in diesen Jubeltagen Deine Freunde. Unser Landesvater ließ es sich nicht nehmen, Dir herzliche Wünsche für eine gute Zukunft zu widmen. Es sind Hochachtung, Freude, Dankbarkeit, welche den Blick zurückziehen, mit einem unerklärlichen Reiz und mit leiser Wehmut zugleich nach dem ewig Entschwundenen.

Ich habe in Deiner Chronik geblättert, sie ist voll von alldem, was dereinst besonders schön, aber auch schicksalhaft war. König Ludwig II. und Prinzregent Rupprecht von Bayern gaben Dir die Ehre ihres Besuches und die Erinnerungen reichen zurück bis in die ersten Anfänge, des Turnens. Es ist Dir sogar die Ehre zugekommen, die erste Stadt Bayerns zu sein, in welcher das Turnen Fuß zu fassen vermochte. Weltmeister, Olympiasieger, Europameister und Deutsche Meister haben in all diesen Jahren viel Ruhm an Deine alte Fahne geheftet und sie haben nicht unwesentlich zum Ansehen der Stadt beigetragen. Möge die kommende Zeit immer wieder Männer und Frauen hervorbringen, die das Erbe der Väter, den herrlichen Besitz des TSV 1846, die Tradition und den Geist erhalten.

Blühe TSV 1846, blühe im Glanze dieses Glückes, in Einigkeit und Recht und Freiheit zum Wohle unserer Jugend.

Dok. II: „Enthüllung eines Dichter-Denkmals — Rede eines Vertreters des Kultusministeriums"

Hochverehrter Herr Landratl Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Meine Damen und Herren!

Teils ernst, teils scherzhaft und teils höhnisch nennt man Deutschland immer wieder „das Volk der Dichter und Denker". Ernst dann, wenn man erkennt, wie reich dieses Land an überragenden Geistern war und wohl auch noch ist, scherzhaft, wenn man die vielen tausend kleinen und kleinsten Dichterdien und Denkerchen betrachtet, die im Windschatten ihrer großen Vorbilder zu segeln versuchen. Höhnisch wenn man sich vor Augen führt, wessen ein solches Volk fähig war, als es die ethische Grundlage seiner Besten verließ und sich der Barbarei ergab. Eines aber wird und kann niemand leugnen: daß wir auf eine gewaltige Zahl von Männern und Frauen blicken können, die mit dazu beitrugen, der Welt ihr geistiges Gepräge zu geben. Dies, meine Damen und Herren, ist gewiß nicht unser Verdienst. Aber es sollte uns weiterhelfen, daß diese Menschen aus unserem Volke hervorgingen.

Sie, die uns aus der Fülle ihres Herzens, ihres Wissens und ihres Könnens immer und immer wieder beschenkt haben, haben uns jedoch gleichzeitig eine große Verpflichtung auferlegt. Und geben wir es getrost zu: Dieser Verpflichtung ist unser Volk keineswegs immer nachgekommen. Ich meine, sie haben uns dazu verpflichtet, ihr gewaltiges Erbe zu verwalten, die von ihnen geschaffenen Güter des Geistes zu pflegen und von Generation zu Generation lebendig zu erhalten. Dies ist weder eine geringe no eine leichte Aufgabe. Es ist im Gegenteil eine Pflicht, die etwas mehr erfordert als nur guten Willen. Um ein Erbe verwalten zu können, muß man es kennen. Man muß sich damit beschäftigt haben, wenn man in der Lage sein will, das Wertlose vom Wertvollen zu trennen. Und hierzu gehört die Fähigkeit, die . Stimme der Dichtung", wie es Goethe einmal nannte, zu erkennen. In seinem Torquato Tasso sagt er es sehr deutlich und mit seltener Schärfe: .... wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, ist ein Barbar, er sei auch, wer er sei."

Dieses „er sei auch, wer er sei", meine Damen und Herren, macht deutlich, daß es nicht unbedingt nur das Vorrecht einiger weniger sein kann, Hüter unserer Dichtung zu sein. Im Gegenteil, auch der so-genannte Gebildete kann ein Barbar sein, wenn ihm der Weg zum wahren Verständnis des dichterischen Wortes versperrt ist. Und der einfache Mensch, der die Werke der Dichtung unvoreingenommen und mit offenem Herzen aufnimmt, wird sie oftmals weitaus besser und richtiger begreifen. Drehen wir das Goethewort einmal um: ..... wer der Dichtkunst Stimme vernimmt, ist kein Barbar, er sei auch, wer er sei'.

Wir haben erlebt, wie in einer Zeit der menschlichen und geistigen Verwahrlosung viele große Werke öffentlich auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Wir haben erfahren, wie gerade die dem Dichter ins Gesicht geschlagen haben, die ihn als die Führer seines Volkes hätten verteidigen müssen. Und wir haben gesehen, wohin sie der Ungeist geführt hat. Sie haben selbst wohl niemals begriffen, daß sie auf ihren Scheiterhaufen zwar Papier verbrennen konnten, niemals aber das freie, dichterische Wort, das ihnen so unbequem war. Das eben ist das Großartige wahrer Dichtung, daß sie zwar von Menschen geschrieben wird, aber niemals von Menschen vernichtet werden kann. Und wenn auch nur im Geheimen, das Wort der Dichtung lebt weiter, und es wendet sich eines Tages gerade gegen die, die es für tot erklären wollten.

Wir gedenken heute eines Mannes, der wohl mit Recht zu den ganz Großen gezählt werden darf. Lassen Sie mich, ohne mich in Einzelheiten zu verlieren, einen kurzen Überblick über sein Leben geben: (Daten aus dem Leben des betreffenden Dichters)

Dieses Denkmal, das wir ihm zu Ehren an dieser Stelle errichtet haben, erfüllt einen doppelten Zweck: Einmal gilt es seinem Andenken, seinem Werk und seiner menschlichen Größe; zum anderen aber dient es dem Ruhme der Dichtkunst überhaupt. Ich hoffe, daß es auch die Generationen nach uns daran erinnern wird, daß die Achtung, die man dem deutschen Volk einmal entgegengebracht hat und vielleicht auch wieder entgegenbringen wird, nicht zuletzt die Achtung vor seinen Dichtern ist. (F. Sicker: Großes Buch festlicher Reden und Ansprachen, Wiesbaden o. J., S. 175 f.)

Dok. III:

Der junge Pastor wohnt in einem Hochhaus, in dem noch areiundachtzig Familien leben. Er hat schon drei Bewohner dieses Hochhauses beerdigt. Und dann erzählte er mir: „Außer der betreffenden Familie war bei zwei Beerdigungen meine Frau die einzige aus dem Hochhaus, die mitging. Bei der dritten gingen zwei mit: meine Frau und die Frau des Hausmeisters. Man kennt sich im eigenen Hause nicht und weiß nichts voneinander."

Ich antwortete: „Aber Soraya und Farah Dibah vom fernen Persien kennen alle. Jede Einzelheit bekommen wir in journalistischer Breite und Aufgeblasenheit ins Haus getragen: Soraya ist wütend auf den Schah, trifft sich heimlich mit dem Schah, trauert um den Schah; Soraya hat ein Filmangebot, flirtet mit Orsini, ist erkältet usw. Vitaminloses UnterhaltungsfutterI Aufgebauschte Nichtigkeiten! Und im gleichen Hause, unter dem gleichen Dach sterben Menschen, und man weiß nichts voneinander!"

Abends sprach ich in der Turnhalle und sagte den vielen Menschen von Jesus. Jesus Christus ist auch auf die Verlassenheit, die uns mit so traurigen Augen anschaut, die entscheidend helfende Antwort, nichts sonst; so dankbar wir für alles Gute sein wollen.

Der Abend war zu Ende. Die Menschen strömten dem Ausgang zu. Da führte man mich zu einer kleinen Gruppe, die in der Vorhalle stand. Sie hatte sich um ein etwa 13jähriges braunhäutiges Mädchen geschart. War es rassisch ein arabisches oder afrikanisches Kind? Ich weiß es nicht. Es sprach perfekt Deutsch. Ich fragte: „Nun, mein Kind, was ist denn mit dir?“ Da weinte es und flüsterte: „Muß ich das denn immer wieder sagen?" „Nein, du mußt nicht. Wir wollen dir nur helfen.“ Ich streichelte sein pechschwarzes, krauses Haar. Was war los?

Der Vater des Kindes war weggegangen — zu einer anderen. Die Mutter ebenfalls — zu einem anderen, as Kind wüsteneinsam. Nun wollte es zu seinem Vater und kam rund 50 km weit hierher. Die Schul-mappe trug es bei sich. Es hatte kein Nachtquartier. Eine liebe Frau erbarmte sich des Mädchens und war bereit, es mitzunehmen.

Wieder mußte ich der Verlassenheit ins Antlitz schauen. Ja, die Verlassenheit hat viele Gesichter. Und wieder legte es sich mir aufs Herz: Wenn sich doch alle Menschen gegenseitig mit den Augen der Liebe Jesu sehen wollten, wie könnte sich dann traurige Verlassenheit in wärmende Gemeinsamkeit verwandeln! (Zentrale für Blättermission, Marburg. Serie „Leben und Kraft", Auflage jeweils 150 000)

Dok.

IV:

Manfred Anders die Meinung des Erbauungstheologen (Auszug aus einem Vortrag von Metzger: „Vom alten Wort ins junge Leben", zit. nach Nürnberger Zeitung vom 22. 4. 1969):

Will man zur Sprache kommen, so bedarf's eines anderen Begriffes vom Wort, als wir's in unserem Gerede im Munde führen. Es bedarf jenes gefüllten Begriffes vom Wort, in welchem Wort und Wirklichkeit beisammen sind. Das heißt: eines Wortes, das nicht bloß zur Bezeichnung von „Sachen" dient und an die Gegenstände des Daseins akustische Etiketten klebt, sondern jenes Wortes, das ist, was es sagt.

Ein Freispruch im Prozeß ist weder Papier noch Formel, sondern befreiender Spruch und als solcher wirklicher Zuspruch der Freiheit. Hier wird uns die Freiheit zugesprochen, wie das Todesurteil uns das Leben mit fürchterlicher Realität abspricht.

Anders gesagt, und ohne juridisches Milieu: Wo Liebe zugesprochen wird, da geschieht Liebe. Das Wort der Liebe ist selbst Liebe. Und der auch wieder sich meldende Widerspruch: Es gebe genug geheuchelte und erlogene Liebes-Worte, die Kitsch und Schwindel, aber gar keine Wirklichkeit seien, ist so langweilig wahr, daß er schon beinahe wieder falsch ist. Dehn erstens wissen wir das schon lange; und zweitens gewinnt man den Vollbegriff des Wortes und der Sprache nicht aus dem depravierten Beispiel, sondern aus der Einheit von Rede und Geschehen („So er spricht, so geschieht's; so er gebietet, so stehts da").

Dok. V:

Das Freund-Feind-Denken ist bei einigen Publikationen besonders deutlich. So beim „Bayernkurier". Das nachfolgende Beispiel ist der Ausgabe vom 12. 12. 1970 entnommen:

Die SPD sät Bürgerkriegsstimmung im Lande. Was CDU/CSU in zwanzig Jahren politischer Verantwortung in und für Deutschland nicht geschafft haben, weil sie es nicht schaffen wollten, ist der liberal-sozialistischen Koalition unter der Führung des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt nach kaum mehr als einem Jahr bereits mühelos gelungen: Durch die Bevölkerung der Bundesrepublik geht ein Riß, der sich von Tag zu Tag mehr verbreitert, der zum Graben wird. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik stand eine Bundesregierung auf so schmaler und brüchiger parlamentarischer Basis und noch nie seit 1949 hat eine Regierung, haben die sie tragenden Parteien alle oppositionellen oder auch nur kritischen Kräfte und Strömungen so hemmungslos diffamiert. Mit den gefährlichen Allüren einer totalitären Staatspartei, die jede Kritik an der Regierung mit großem Propagandaaufwand als Angriff auf den Staat auszugeben sich bemüht, treffen die bundesrepublikanischen Sozialisten und ihr Anhang — der in der veröffentlichten Meinung weitaus größer ist als in der Bevölkerung — eine gefährliche Unterscheidung zwischen guten und bösartigen Staatsbürgern. Und gut ist selbstverständlich nur der, der Willy Brandt für das Nonplusultra aller Politik hält.

Die Reihe der Beispiele, an denen sich die Bürgerkriegsstimmung erzeugenden Verhaltensweisen der SPD illustrieren lassen, ist ebenso umfänglich wie eindeutig. Herbert Wehner, der dabei offensichtlich von dem reichen Schatz seiner intensiven und massiven kommunistischen Erfahrungen zehrt, gab schon vor Monaten für seine Genossen im weiten Spektrum der Linken — bis hin zur DKP — „Orientierungs daten". Bis zu diesem Zeitpunkt nämlich war es nicht vorstellbar, daß der stellvertretende Vorsitzen 6 einer Partei wie der SPD die Vertreter der Unionsparteien kurzerhand als Verbrecher und Hundsfotte abqualifizierte. Dok. VI:

Negativ zu beurteilende Metaphernrhetorik prägt die Kommentare zur bayerischen Landes-politik, die Bernhard Ücker seit Jahren für den Bayerischen Rundfunk verfaßt.

Verehrte Zuhörer!

Trotz des heuer herrlichen und enorm langfristigen Herbstwetters werden Sie jetzt gleich mir keine Lust verspüren, ein allzu erfrischendes Bad im See zu nehmen. Auch die Mode aber bastelt ja derzeit schon wieder an ihren Frühjahrs-und Sommermodellen und ebenso können oder sollten wir uns bereits mit einem Thema befassen, das aller Voraussicht nach in der politischen Konkurrenz des kommunalen Landtagswahlkampfes eine wichtige Rolle spielen wird: Ich meine die Schaffung von Erholungsflächen — deutlicher gesagt — die Erschließung der Seeufer für die Allgemeinheit. Die bayerische SPD nämlich bemüht sich seit Monaten, dieses kühle Thema anzuheizen, und ließe sich die von ihr dabei aufgewandte Energie in physikalische Wärme umsetzen, dann müßte man in den bayerischen Seen auch während des Winters wohlig temperiert baden und außerdem dort Warmwasserfische züchten können. Davon angestachelt präsentiert gleichermaßen die Staatsregierung zunehmende Aktivität und jüngst hat sie sogar eine Art Erholungsplan angekündigt. Beides zusammen ist ein löbliches Beispiel gut landespolitischer Initiative am Interesse des kleinen Mannes und obendrein — wie gesagt — ein lohnendes Wahlkampf-thema im Interesse unserer zwei großen Parteien . . : (Bayerischer Rundfunk, 8. 11. 1969)

Dok. VII:

Als Beispiel für den Jargon der Dialektik ein Zitat aus O. Negt: Politik und Protest. In: Probleme sozialistischer Politik, Frankfurt 1968, S. 21 f.:

Indem jene Gruppen in politisch tätiger Reflexion Formen der organisatorischen Selbsttätigkeit entwickeln, realisieren sie nicht nur die verfassungsrechtlich immanenten Ansprüche auf demokratische Solidarität, die der Grundrechtskatalog enthält, sondern sie stabilisieren autonome Zonen des praktischen Widerstandes gegen eine Ordnung, die auf den Zwang zur Legitimation nur noch mit Zwang und Gewalt als Legitimation reagieren kann; denn die technologische Zwangsapparatur spätkapitalistischer Klassen-gesellschaften ist ebenso stark, wie sich ihre historische Legitimationbasis als schwach und brüchig erweist. Politische Aufklärung als permanente öffentliche Konfrontation mit den Repräsentanten des gegebenen Herrschaftssystems und seinen institutionellen Positionen, die unbeirrbare Denunziation von Irrationalität und Unterdrückung, schaffen ein Legitimationsvakuum der etablierten Mächte, das die Chancen der Realisierung historisch begründeter Alternativprogramme vergrößert.

Erst eine von den konkreten Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaftsordnungen ausgehende revolutionäre Politik, die durch Kommunikationszentren und informelle Kader organisatorisch vermittelt wird, kann den Solidarisierungsprotest in flexible Strategien des praktischen Widerstandes und der organisierten Gegengewalt verwandeln. Wenn wir fragen, welche Veränderungen innerhalb einer spät-kapitalistischen Klassengesellschaft weder zu integrieren noch zu neutralisieren sind, so können wir antworten: alle jene Veränderungen des tatsächlichen Verhaltens der Menschen, in dem sich das Bewußtsein individueller Interessen mit der Steigerung des Selbstbewußtseins und der Selbsttätigkeit verbindet. Revolutionäre Praxis in einer autoritären Leistungsgesellschaft besteht demzufolge darin, das antiautoritäre Lager zu erweitern — und zwar mit dem Ziel zu erweitern, die Lösungsmöglichkeiten der Krisen des kapitalistischen Systems im Widerspruch zu den emanzipativen Interessen der Menschen fortwährend einzuschränken. Die Reaktivierung der Idee einer rätedemokratischen Selbstorganisation der Gesellschaft hat den Sinn, die unter dem Schutz des Repräsentativsystems stehende ideologische und praktische Korrumpierung der Grundrechte zu beseitigen, um allererst die objektiven Bedingungen für deren Realisierung in einer sozialistischen Gesamtordnung zu schaffen. Dok. IX:

Gründlicher als die Germanistik hat sich während des Faschismus keine Wissenschaft diskreditiert; die Menge der Germanisten, die ideologische Wegbereiter und Helfershelfer des politisch organisierten Irrationalismus waren, bleibt nachdrücklich Indiz dafür, daß damals nicht Individuen sich schuldig machten, sondern daß sich eine Wissenschaft in den Dienst des Verbrechens stellte, das seine Ziele für jeden, der lesen konnte, offen dargestellt hatte. Daß bis heute keine umfassende Darstellung der Germanistik unter dem Banner des Faschismus erschienen ist, weckt auch bei gutwilligen Zeitgenossen den Verdacht, die deutsche Germanistik könne sich eine Fachgeschichte ihrer NS-Vergangenheit nicht leisten und provoziert die Ahnung, daß germanistische Methodik und nationalistische Ideologie nur zwei Seiten derselben Münze sind. Diese Vermutung wird von Staigers beklemmender Züricher Rede nahezu verifiziert, in der sich die Affinität zwischen der postfaschistischen Diätkur werkimmanenter Interpretationsvirtuosität und präfaschistischer Literaturontologie selbst unter Beweis stellt.

Der unheiligen, aber theoriegeschichtlich unausweichlichen Allianz von Germanistik und Nationalsozialismus liegen Ursachen zugrunde, die bereits anderswo, wenn auch eher kursorisch, analysiert worden sind. Von ihren romantischen Ursprüngen her war es erklärtes Ziel der Germanistik, das Seins-hafte des deutschen Wesens, abgebildet in deutscher Sprache und Dichtung, zu erforschen, deutsches Bildungsgut, das allemal Bildungsgut der deutschen Bourgeoisie war, mit messianischer Tendenz zu vermitteln, und als „allumfassende . . . Deutschkunde" das Theorem von der „Dichtung als Erzieherin des Volkstums" in wissenschaftliche Praxis umzusetzen. Akzeptiert man Gadamers Einsicht, daß jedes theoretisch gesetzte Erkenntnisziel spezifische Erkenntnismethoden impliziert (und umgekehrt), so wird einsichtig, daß solche pädagogische Problemstellung der Germanistik die Liaison dangereuse mit dem Nationalsozialismus bereits vorwegnahm. Programmatisch formulierte Kommerell die Dichtungstheorie der präfaschistischen Germanistik als Titel eines seiner faszinierendsten und gefährlichsten Bücher: „Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik“. Hinter solchen beschwörenden Theoriestenogrammen steht die ganze historische Erfahrung des deutschen Bürgertums, der Glanz und das Elend der intellektuellen Elite Deutschlands, die ihren halb erzwungenen, halb freiwilligen Verzicht auf politische Aktivität in der Suche nach dem Gral sublimierte. Das Ideal individuelldichterischer Größe, das Kommerell dem, wie er meinte, dürftigen Zeitgeist entgegensetzte, erwies sich in den Händen derer, die seine politische Suggestion ausnutzten, als plumpe Mythologisierung der Geschichte, die einem Führer gänzlich anderer Art den Boden bereitete. Hinter der edlen Maske solcher esoterisch-heroisierenden Germanistik verbarg sich die brutale Visage des faschistischen Klassenkämpfers: die Germanistik war noch stets das größte ideologische Waffenarsenal der Bourgeoisie, die Imperialismus meinte, und Innerlichkeit proklamierte, um ihre Opfer zu betäuben. Wohin das alles führen sollte, formulierte Benjamin in seiner Kritik des Kommerellschen Buches, die ihren Gegenstand als Allgemeines nimmt: „Ein Hölderlin-Kapitel beschließt diese Heilsgeschichte des Deutschen. Das Bild des Mannes, das darin entrollt wird, ist Bruchstück einer neuen vita sanctorum und von keiner Geschichte mehr assimilierbar. Seinem ohnehin fast unerträglich blendenden Umriß fehlt die Beschattung, die gerade hier die Theorie gewährt hätte. Darauf aber ist es nicht abgesehen. Ein Mahnmal deutscher Zukunft sollte aufgerichtet werden. Uber Nacht werden Geister-hände ein großes , Zu Spät'draufmalen. Hölderlin war nicht vom Schlage derer, die auferstehen und das Land, dessen Sehern ihre Visionen über Leichen erscheinen, ist nicht das seine. Nicht eher als gereinigt kann diese Erde wieder Deutschland werden und nicht im Namen Deutschlands gereinigt werden, geschweige denn des geheimen, das vom offiziellen zuletzt nur das Arsenal ist, in welchem die Tarnkappe neben dem Stahlhelm hängt."

IM. Pehlke: Aufstieg und Fall der Germanistik — von der Agonie einer bürgerlichen Wissenschaft, in: Ansichten einer künftigen Germanistik. Herausgegeben von J. Kolbe, München 1969. S. 21 ff.)

Dok. X:

Das klingt dann etwa so (Georq Schneider in einer Rede über Ludwig Friedrich Barthel, 27. 6. 1968):

So trat er in seinen Gehorsam und ging voller Ahnung und Gegenwart seinen schweren Weg, der sich allzu früh vollenden sollte, ging bis zum Spiel mit der schrecklichen Schönheit und bis zum Ziel. Und was er seitdem tat, stellte er unter das demütig-offene Wort des Nikolaus von Kues: „Gott ist aller Dinge Rauigkeit". Auch wer diesen Gang zur absoluten Gläubigkeit nicht mitvollziehen kann, wird verehrend LI seiner Größe, seiner Unbedingtheit, seinem uralten Wagnis still werden. Der von Sophokles kam und 0 lderlin heilig nüchtern begegnete, raffte zuletzt Rilkes mittleren Realismus und die Vergeistigung der ” uineser Elegien“ zusammen zum eigenen Gedicht, das so unverkennbar Barthel selbst ist, daß man erstaunt vor dem Ergebnis steht, das in unserer Zeit, da alles uni sono singt, plappert und stammelt, in seine durchscheinende Einsamkeit gefunden hat. Er hat nie einer Gruppe angehört, keinem literarischen Salon und die Literaturgeschichten versagen es sich, ein paar Worte über ihn und sein Werk zu notieren, Was tuts? 1960, zwei Jahre vor seinem Tod, beginnt es mit dem Frühlingsgedicht. Und nun geht sein Vers ein in eine wundervoll verwandelte Realität metaphysischer Art, die niemals zu mystischem Gemunkel absinkt. Der süß einschmeichelnde Ton ist weggewischt, und die Realistik ist wie ein Regen, durch den die Sonne und der jenseitige Himmel bricht und sieben Farben in die Trostlosigkeit, die tiefe Trauer alles Seienden malt.

Metaphysik in D-Dur hab ich das einmal genannt, und ich bleibe dabei: „Da ist ein schönes Geschwister spiel mit der Natur, mit Blumen, Gräsern, Licht, mit Früchten, Käfern und den Schatten unter den Sternen', In zwei Heimaten sind Barthels Gedichte zu Haus: in der fränkischen um Marktbreit und in der metaphysischen eines Christenmenschen, der nicht nur die Hand, der die Seele auf die Dinge legt. Und die Seele wird heiter dabei, ein „unhaltbarer Glanz" überschwemmt sie: eben Metaphysik in D-Dur.

Dok. XI:

Wenn man sich der Stadt verbunden fühlt, dann der „gewachsenen Stadt". Aufschlußreich in diesem Zusammenhang z. B. das nachfolgende Manifest Nürnberger Mundartdichter aus dem Jahre 1966, dessen verquollenes Pathos und dessen Volkstumsideologie deutlich macht, daß man zumindest sprachlich (verglichen mit dem 19. Jahrhundert) nichts dazugelernt hat:

Indem wir die Mundart, von den Vätern übernommen, nach den bleibenden Gesetzen der Sprachkunst weiterpflegen, verkörpern wir sinnbildlich das Volk dieser Stadt, ihr Bürgertum. Wir meinen, daß jede in Jahrhunderten geformte Redewendung und jede Verschlüsselung in unserer Mundart auf eine vortreffliche Weise das ausdrückt, was ein Nürnberger ist und was er meint.

Indem wir Ereignisse und Erlebnisse in unsere Kunst einfangen und verdichten, geht unser Blick stets fragend zurück in die Vergangenheit und prüfend voraus in die Zukunft. Wir sind nie nur Gegenwart — das überlassen wir vergänglichen Talenten der Stilmode. Wir haben ein Leitbild: die beständige Stadt, in deren Bewußtsein Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unlösbar miteinander verbunden sind. Der Anruf: Ehrt eure deutschen Meister — er ist uns keine billige Vokabel.

Indem wir in unserem Schaffen unaufhörlich an die der Stadt zugehörenden Quellen erinnern, spüren wir die Mundart selbst als Quelle wirksam werden: sie ist ursprünglich (nicht manipuliert), stämmig (nicht zerredet), rein (nicht hinterlistig). Sie lebt weitab von allen Perversitäten, deren sich die deutsche Gegenwart in ihrer Literatur zu rühmen scheint. Sie ist geöffnet für die echten Herztöne, die sie empfängt -vielleicht von den bravsten und einfachsten Menschen unter der Bürgerschaft. Sie wirkt sozial, denn sie erzeugt Nachbarschaft auf ungezwungene Weise, und sie legt künstliche Grenzen nieder, die unsere Schicksale von Tag zu Tag mehr voneinander trennen.

Wir, die dieses Manifest beschließen, sind entschlossen, unsere Aufgabe, unser Amt, mit allen Kräften wahrzunehmen. Unsere Stimmen vereinen sich, wir wissen es, zu einem vielstimmigen Chor, aus dem jeder Bürger das, was er liebt, hören mag. Sucht er bei uns gelöste Heiterkeit, Fabulierlust, den Spott des überlegenen — er möge es, bedenke aber, daß wir darin nur die andere Seite des Lebensernstes zeichnen. Den Bürgern, denen Grübeln und Meditieren liegt, geben die Gleichnisse unserer Dichtung und die Perspektiven von oben und von unten handfeste Nahrung.

Nur bitten wir, die Nürnberger Mundartdichtung nicht mißzuverstehen (als , Gaudi'und als Posse) und nicht zu überfordern (sie schreibt ungern . Gelegenheitsgedichte'). Denn sie nimmt sich selbst ernst un wichtig, wie unsere Vaterstadt sie ernst nimmt, deren liebste Muse sie ist.

Sie ist eine Kunst, wenn auch besonderer Art. Von ihr kann gesagt werden, daß die Hochsprache sie nie erreichen wird, und daß das, was Nürnbergisch ist, eben nur so im letzten gesagt und gedeutet werden kann. Darauf allein sind wir stolz.

Wie wir nicht nur einzeln unseren Weg gehen, sondern im . Collegium Nürnberger Mundartdichter eine geachtete Werkgruppe sind, so überkommt uns schließlich auch die Genugtuung, in unserem Vaterlan an ein Größeres verpflichtet zu sein: zählt doch der Altmeister der deutschen Literaturgeschichtsschreiung — Professor Dr. Josef Nadler — die Mundartdichtung zu den begabungsreichen, berufenen und no wendigen Kapiteln der Deutschen Nationalliteratur.

Möge dieses Manifest uns alle, die geliebte Vaterstadt vorab, in eine gute Zukunft führen. Möge unsere schöne Nürnberger Muttersprache die Gesunden erfreuen und, wie Matthias Claudius meint, . kranken Nachbarn auch'. Wir beschließen dieses Manifest auf unserer Vierten Zusammenkunft gel zeitig für alle, die uns im gleichen Schaffen ernsthaft verbunden sind. Dok. XII:

Aus dem Vorwort eines weitverbreiteten Schulliederbuchs:

Der junge Musikant trägt in seinem Ränzel eine Menge der schönsten Lieder, alte und neue, lustige und ernste, übermütige und besinnliche, aber nur solche, die der Tiefe des Herzens entsprungen sind und darum auch wieder zu Herzen gehen. Zu manchen von ihnen wirst du in deiner Volksschulzeit vielleicht noch kein inneres Verhältnis finden, überblättere sie ruhig, es kommt schon die Zeit, da sich dir ihr gedanklicher und musikalischer Sinn erschließt. Denn du wirst doch nicht zu singen aufhören wollen, wenn sich die Schultüre hinter dir geschlossen hat? Das wäre Sünd und Schade! Im geselligen Kreis sollst du weitersingen oder allein, wenn dich das Glück überfällt und dein Herz sich ausjubeln will, aber auch wenn dich trübe Stunden heimsuchen und du des Trostes bedarfst, der in der Musik liegt. Daran hatte der junge Musikant auch gedacht, als er die Lieder auswählte und damit sein Ränzel füllte.

Der Weg zum Verständnis der Musik geht wohl über das Lied; aber das Wissen um das Handwerklich-Technische in der Musik läßt doch manches in hellerem Lichte erscheinen, was sonst nur dunkel geahnt wird. Darum gewährt dir der junge Musikant auch einen Blick in die „musikalische Werkstatt". Es kann freilich nur ein flüchtiger Blick sein; vielleicht aber regt er dich an, dich ernsthafter mit Musik zu beschäftigen! Du würdest es sicher nicht bereuen; denn eine neue Welt ginge dir dabei auf, du fändest hin zu den Werken unserer großen Meister und könntest des Glückes teilhaftig werden, das dem Umgang mit ihnen entspringt.

Von jenen gottbegnadeten Tondichtern will dir der junge Musikant auch erzählen, von ihrem reichen Wirken und oft so armseligen Leben. Sie gehören zu den wahrhaft Großen unseres Volkes; denn mit ihren unsterblichen Werken trugen sie Licht vom Himmel auf die Erde, damit sie in öder Nüchternheit nicht versinke, sondern zur erhabenen Wohnstätte werde für alle, die reinen Herzens, tiefen Gemütes und guten Willens sind. (Der junge Musikant. Liederbuch für Volksschulen, Oberstufe, München 1959.)

Dok. XIII:

Ein Musterbeispiel hierfür stellen die seit Jahren jeden Samstag über den Bayerischen Rundfunk verbreiteten Meditationen Kurt Seebergers („Kreuz und quer zum Wochenend") dar:

Das ist nun schon der dritte Tag, da Wind und Sturm die Stadt beherrschen und das Land. Der Himmel führt wieder sein altes wildes Schauspiel „Sturm jagt Wolken" auf. Die Landschaft über uns wandelt sich unablässig: aus Südwesten treibt ein Gewoge von Wolken heran, zieht rasch vorüber, und manches Mal, weit in der blauen Tiefe des Himmels, wo kein Dunst mehr hindringt, wohl aber das Auge, manches Mal weit in der blauen Tiefe des Himmels leuchten die gefrorenen Teiche auf, Vorspiele des Unbegreiflichen.

Manches Mal bricht die Sonne durch. Jetzt gehst du an einer Mauer entlang und es wird dir warm, dann tust du den Schritt ums nächste Hauseck und schon springt dich der Wind an, will dich aufhalten, will dich nicht weiterlassen, unwillkürlich stemmst du dich schräg dagegen, da läßt er nach und in den nächsten Augenblicken greift er dich wieder an.

Das sind die Abenteuer des Fußgängers an solchen Tagen.

Die Bäume beginnen sich in den grünen Schleier zu hüllen, sind aber noch durchsichtig und grazil, auf en Ästen schlüpfen die Knospen aus, der Frühling kehrt wieder, der Sommer wird folgen, der Herbst verscheuchen, der Winter alles verwandeln. Ordnungen von altersher. Sie kommen im Rhythmus. Au sie ist Verlaß. Sie sind lange vor uns und wären auch ohne uns, sie werden uns überleben. Sie ommen und gehen. Und man wundert sich nicht, obwohl es zum Staunen ist.

Die Bemerkungen über das Staunen und die Dankbarkeit, heute vor acht Tagen, haben manche Zustim-sindg erhalten, ich danke herzlich dafür und danke auch für die Briefe und Karten, die vorher eingetroffen Staunen ist freudig überraschtes Aufblicken, beglücktes Wahrnehmen. Und nicht weit vom Sich-Wundern n ernt. Aber das weiß jeder. Nur vergißt man es allzu leicht. Mir geht es nicht anders. Aber es gibt einiges, woran man sich halten kann. Fast könnte man es „Grundsätze" nennen, obwohl das bereits zt wichtigmacherisch klingt. Also sage ich lieber: es gibt einige Regeln. Lebensregeln.

Erste Lebensregel: nichts ist selbstverständlich. Betrachte daher alles, was dir begegnet so, als ob du p. zum erstenmal sähest. Das ist meiner Meinung nach der Anfang jedes Lebens, das man im eigenen Innern aufwachen lassen kann.

Sie müssen diese Regel nicht übernehmen. Aber Sie könnten es ja ein einziges Mal versuchen und sich vornehmen: alles das, was Sie umgibt, alles das, was Ihnen vertraut ist, alles das, was man den Alltag nennt, so zu betrachten, als ob sie ihm zum erstenmal gegenüberstünden. Sie werden staunen, was Sie dann alles erleben werden. (Sendung vom 12. 4. 1969)

Dok. XIV:

Haben Sie Augen zum Lachen, Flirten, Sprechen, Trinken, Träumen, Lippen zum Streiten, Flüstern, Hauchen, Lächeln. Küssen, Hände zum Erfassen, Anziehen, Festhalten, Liebkosen, Streicheln, kleine graue Zellen zum Wissen, Besserwissen, Denken, Lieben, Verliebtsein, insgesamt einen wundervollen Körper zum Dasein Anschauen, Umarmen, Nicht-wieder-Loslassen, Empfinden, Schenken, Sich-im-Anderen-Verlieren, verachten Sie Geiz und Prüderie, Pedanterie und Spießertum, Intoleranz und Voreingenommenheit, sind Sie mal romantisch, mal nüchtern, mal verspielt, mal sachlich, können Sie Phantasie, eine eigene Meinung und kritischen Verstand vorweisen, besitzen Sie Esprit und Extravaganz, Selbständigkeit und Unabhängigkeit und schließlich noch all die vielen kleinen „je ne sais quoi" . . ., sehnen Sie sich wie ich nach einen stets neuen, nie alltäglichen, aufregenden, anregenden, erregenden, immerwährenden, zärtlichen Abenteuer mit einem ent-und ansprechenden (und anspruchsvollen), sehr gut erhaltenen Exemplar des Speci Homo sapiens, etwa halb so alt, (in cm) zweieinhalbmal so lang und (in kg) nicht ganz so schwer wie dieses Jahrhundert, das Intelligenz und Bildung für wertvoller hält als alle hausmütterlichen (Un-) Tuge den und ein ausdrucksvolles, ansprechendes, vielleicht von langen Haaren eingerahmtes Gesicht metr liebt als eine Tugendmiene, eine knabenhafte Gestalt mehr als ein barockes Engelchen, mit dem Sie de Dimensionen von Raum und Zeit vergessen und nur noch jene von Liebe und Glück empfinden, abe auch ein Leben inmitten unserer Gegenwart führen können, kurz und gut: Sind Sie noch sehr (etwa e Vierteljahrhundert) jung und haben diese Zeilen in Ihnen eine gewisse Resonanz erregt, dann sollte: Sie nicht zögern, mir (mit einem Bild) zu schreiben. ♦ Mischung von Tramp und Lady Weder reich, noch jung, noch weise, aber seelischen Reichtum u. Weisheit suchend. Aufgeschlossen tolerant, weitgereist und erfahren u. doch noch voller Träume, z. B. von einem Eierkopf oder Musensoho der jungsig u. geistig beweglich blieb, obwohl er schon über ein halbes Jahrh. alt ist. Ich bin: 49 1 sportl., schlank, dunkel, geschieden, konfessionslos, offen u. natürl., künstlerisch ausgebildet, finanze unabhängig.

Ich liebe: menschl. Wärme u. Großzügigkeit, Gespräche mit linksliberalen Freunden, Literatur, Jazz--Barodemusik, einzelne Menschen u. viele Tiere, eine durch Ideen kultiv. Atmosphäre, Reisen gegen Strom — und besonders würde ich lieben einen (Ehe-) Gefährten, der all das verdoppelt, indem er es m mir teilt. ♦ Mensch gesucht (weiblich)! — als intelligente Gefährtin (möglichst für den Rest des Lebens), selbstsicher und unverklemmte ne schmiegsam, jedoch ruhig mit „eigenem Köpfchen", viel Humor und eigener Initiative (um ihn aus Trägheit aufzrütteln). ER — 43 Jahre, 172 cm hoch, restliche Haare blond, selbständiger Kau " i geschieden (keine Kinder). Idi bin viel auf Reisen und es leid, allein zu sein. Gern habe ich ein Gespräch mit intelligenten Menschen, aktuell oder tiefsinnig, kann jedoch genauso gut mit einem Buch zu Hause hocken und klassischer Musik oder modernem Jazz lauschen. Liebe Theater, Rotwein, Käse, Knoblauch — bin überhaupt ein optimistischer Fisch, schlängele mich ganz gut zwischen Über-Produktion eigener „Ideen" und Sehnsucht nach dem süßen Nichtstun im Süden durch.

Steckbrief * Nonchalanter Porsche-oder Alfa-Fan, mit der Lässigkeit des Weltmanns, unkonventionell, modern, exzentrisch u. verspleent, taktvoll u. tolerant, mit Esprit u.dem Faible für Rasanz und Niveau. 43 bis 50, schlank, ohne Spitzbauch u. Glatze, charmant-arrogant, antikonformistisch, Akademiker, für den ein plötzlicher Trip nach Paris eine Bagatelle ist, als Ehepartner, gesucht. Wenn Sie Jackie Kennedy nicht für zu alt finden, mit mir in der afrikanischen Küste zu baden, durch Rio bummeln, in Rom einen Aperitif nehmen wollen, Pferde, Flugzeuge, schnelle Autos bevorzugen und vor allem triviale Menschen und Spießer nicht lieben, schicken Sie Ihr Konterfei. (Beispiele aus der Wochenzeitung „Die Zeit" und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung")

Dok. XV:

Jetzt wird es ernst. Wir begeben uns auf spiegelndes Parkett, worunter auch solches verstanden sein soll, das von mehr oder weniger weichen Teppichen bedeckt ist. Ein wenig vorsichtig noch, immerhin — wir begeben uns (um mit Werner Finck zu sprechen).

Wir werden daselbst vermutlich allerlei hochmögenden Leuten begegnen, und es wäre doch schön, wenn uns eben diese hohen Herrschaften nett, gut erzogen, höflich und formvollendet fänden.

Zunächst gilt es, keine Angst zu haben. Auch jene anderen sind Menschen. Das Leben hat sie nur auf andere Plätze gestellt als uns. Sie erfüllen dort ihre Aufgaben mit dem gleichen Ernst wie wir die unseren. So haben wir nicht den geringsten Grund zu klopfendem Herzen.

Natürlich werden die Regeln des gesellschaftlichen Spielens „oben“ genauer eingehalten als „unten“. Dennoch sind sie im Prinzip die gleichen. Vor allem — sie sind erlernbar. Voraussetzungen sind eigentlich nur guter Wille, Verständis für die Notwendigkeit und ein im richtigen Takt schlagendes Herz. Wir begeben uns also unter die

Spitzen der Gesellschaft — jene Kreise, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und durch Verantwortung, Stellung und Leistung aus der bescheidenen, nichtsdestoweniger ebenso fleißigen und honorigen . breiten Masse“ herausragen (wobei sie selbst sich nicht selten ziemlich unglücklich fühlen). Von ihnen erwartet man auf dem Gebiete der Etikette die gleiche Vorbildlichkeit, mit der sie ihre verantwortungsvollen beruflichen Aufgaben mehr oder weniger vollkommen lösen. Wenn wir ihnen gesellschaftlich begegnen, ist es an uns, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Nicht etwa, weil sie uns das übelnehmen wurden, sondern weil auch wir jene Vorbildlichkeit anstreben, die uns eines Tages befähigen kann, ebenfalls . oben'Platz zu nehmen. Außerdem werden ja dort zumeist jene vollendeten Formen gepflegt, die letztlich das durchaus erstrebenswerte Ideal bilden, weil sie keineswegs übertrieben sind, sondern nur von innerer und äußerer Kultiviertheit zeugen. Wenn sie uns zuweilen übertrieben vorkommen, so nur, weil wir selbst ihre wahre Bedeutung noch nicht erfaßt haben. (K. H. Graudenz/E. Pappritz: Etikette neu, München o. J., S. 285 f.)

III. Textanalysen

1. Illustriertentext Jasmin — Die Zeitsdirift für das Leben zu zweit, Nr. 23/1968. „Ratschläge einer erfahrenen Geliebten an eine junge Frau " Seite 46 ff. (Auszug).

Wer immer du bist, junge Frau, ich grüße dich. Ich spreche zu dir, weil ich vielleicht mein eigenes, jüngeres Ich in dir sehe. Ich erinnere mich noch gut an diese Jahre, denn trotz meines hohen Alters — ich bin beinahe 70 — sind wir uns ähnlicher als du denkst: Eine Geliebte hat mit einer jung verheirateten Frau eines gemeinsam: Beide wissen von der Herrlichkeit und vom Kummer der Liebe, beide sind vom Glück ebensoweit entfernt wie von der Trauer.

In 20 Jahren wird sich das Band zwischen uns gelockert haben, deswegen muß ich heute zu dir sprechen.

Was jetzt dein Leben bis zum Überfluß mit Hoffnung erfüllt, kann zunichte werden. Niemand nimmt das tägliche Einerlei so ernst wie junge Ehefrauen und Geliebte. Es ist nicht meine Absicht, eine Ehefrau mit einer Geliebten zu vergleichen oder gar zu beweisen, daß die eine besser ist als die andere. Aber als Frauen haben wir vieles gemeinsam; es ist das Weibliche, das uns verbindet. Das muß man begreifen, wenn man richtig leben und lieben will. Ehefrauen und Geliebte können manches voneinander lernen. Idi habe viel erlebt, Jahre der Demütigung und der Seligkeit. Ich habe gelernt, mich selbst kennenzulernen und dadurch auch andere Menschen. Einen Vorteil hat eine Geliebte vor einer verheirateten Frau: Sie ist den Gefahren des Lebens ungeschützt ausgesetzt. Sie muß das Leben allein meistern sonst geht sie unter. Sie muß sich mit aller Kraft den Bedrohungen des Lebens entgegenstemmen. Das Leben schenkt ihr nichts — und das ist eine Art von Gnade.

So etwas weiß man natürlich nicht von vornherein, und es ist kaum der Grund, warum ich zur Freundin eines Mannes wurde.

Ich war einst verheiratet und mußte plötzlich erkennen, daß eine andere Frau im Leben meines Mannes eine größere Rolle spielte als ich. Die Scheidung war unumgänglich. Zuerst wehrte ich mich dagegen, doch dann sah ich ein, daß meine Ehe sinnlos geworden war.

Erst als ich das erkannt hatte, kam Friede in mich.

Zwei Jahre danach begegnete ich einem Mann, der ganz meinen Vorstellungen entsprach, ein Mensch mit sehr viel Selbstbeherrschung. Ich kam beruflich mit ihm zusammen und war in sein Büro bestellt worden. Als er das Zimmer betrat, betrachtete ich gerade die Bilder, die an den Wänden hingen — Bilder von erstaunlicher Qualität, sie hätten ebensogut in einem Museum hängen können. Ich hatte einige schon als Drucke gesehen, jedoch nie das Original. „Wie halten Sie das aus, immer mit diesen Bildern zusammenzuleben?" fragte ich ihn. „Wie könnte ich es ohne diese Bilder aushalten?" sagte er.

Von diesem Augenblick an begann eine Freundschaft — lebendig, ohne Komplikationen und Zwang Ich bewunderte an ihm seine Kraft und Beherrschung, er war mir ein Vorbild. Er durfte nichts anderes für mich sein, denn ich wußte, daß er verheiratet und aus verschiedenen Gründen nicht bereit war, diese Ehe aufzugeben.

Er sprach mit mir einmal in anderem Zusammenhang darüber, und deswegen war ich sehr erstaunt, als er mir eines Tages eine ernsthafte Bindung vorschlug. Ich spürte, daß ein gemeinsames Leben auf uns wartet — daß es uns „bestimmt" war, wie der Mohammedaner sagt. Man mag behaupten, daß es egoistisch war, was ich tat. Es stimmt vielleicht sogar — aber nicht im üblichen Sinne des Wortes. Es geschieht nichts auf der Welt, es gibt keinen Fortschritt ohne Egozentrik: keine Macht, keinen Reichtum, keine Kunst, keinen Glauben, keinen Staat. Wir spürten die Kraft, die durch unsere Begegnungen in uns entstand, wir wußten, daß wir nichts dafür konnten. Es war eine Frage der Tapferkeit, sich diesem Schicksal zu stellen, ganz gleich, was die Außenwelt davon dachte. Die familiäre Ansprache, insbesondere die Du-Apostrophierung, vermittelt in-group-Gefühl.

Innerhalb der Anonymität der modernen Gesellschaft ist Gemeinschaftsromantik Surrogat;

sie vermag die Sehnsucht, der individuellen wie kollektiven Einsamkeit entfliehen zu können, zu befriedigen oder wenigstens temporär zu sättigen. Die sonst meist mit gehobenem moralischen Zeigefinger erlebte ältere Generation wird hier voller Verständnisbereitschaft, gerade in delikaten Fragen, präsentiert; die ältere Ratgeberin, die die Mutterrolle spielt, spricht aus, was junge Herzen beschwert. Das jüngere Ich in ihr befähigt sie dazu. Die Geliebte und die jung verheiratete Frau werden mit einem Satz zusammengebunden, der freilich zunächst im moralischen Schwebezustand verbleibt. Ist die jung verheiratete Frau vom ehelichen Alltag enttäuscht, wird ihr die Chance, die Rolle einer Geliebten zu übernehmen, verbal offeriert; die bourgeoise Familien-auffassung, nach der die Ehefrau für die drei K's (Küche, Kinder, Kirche), die Geliebte für die Liebesromantik zuständig sei, schwingt mit, auch wenn der nachfolgende Satz so tut, als ob beide an der „Herrlichkeit der Liebe" gleichermaßen partizipieren könnten. Seiner leeren Redundanz entspricht innere Widersprüchlichkeit: einmal wird behauptet, daß beide von der Herrlichkeit und dem Kummer der Liebe wüßten; zum anderen, daß beide vom Glück ebensoweit entfernt wären wie von der Trauer. Wo ist denn dann der Ort der Liebe? Eine Standortfixierung ist jedoch nicht beabsichtigt; es geht lediglich darum, möglichst viele Edelsubstantive, wie sie Frauen-lieb und Frauenleid zu evozieren vermögen, unterzubringen. Die syntaktische Verknüpfung ersetzt die logische; Herrlichkeit und Kummer, Glück und Trauer sind Melodie, nicht Argument.

Der Drang zur intimen Aussprache, das Gespräch von Herz zu Herz, führt zu einer die ganze Gedankenlosigkeit der Suada entlarvenden Fehlleistung: In 20 Jahren werde sich das Band gelockert haben, deshalb muß die 70jährige mit dem jüngeren Ich in sich jetzt sprechen; 20 Jahre später wären in der Tat zu spät; die Briefkastenmutter wäre dann 90. — Die Frustrationsangst oder die bereits gegebene Frustration der angesprochenen jungen Frau wird abgefangen. Wird auch der Überfluß von Hoffnung zunichte, Irgendwie ist alles tröstlich. Was die individuelle wie kollektive 'Vereitelung" bewirkt, etwa der Mangel an Emanzipation, bleibt hier wie später unausgesprochen. Die oben schon vorgenommene Ineinssetzung von Frau und Geliebte wird weitergeführt; der Schwebezustand aufrechterhalten. Beide nehmen das tägliche Einerlei enorm ernst, beide haben vieles gemeinsam. Das Motto der Zeitschrift: „Ein Leben zu zweit"

(allerdings mit evtl, wechselnden Zweis), wird süßlich variiert. Die Leserin soll ständig das Gefühl suggeriert bekommen, daß sie ja auch Geliebte sein könne; ihr banaler Zustand als Ehefrau wird dadurch romantisiert. Dem männlichen Leser wird ähnliche Hoffnung gemacht — ist es doch offensichtlich gar nicht so schlimm, eine Geliebte zu haben (zu halten). Die kluge ältere Ratgeberin spricht weder von familiären, noch von gesellschaftlichen Implikationen. Als ob beide Rollen gleichermaßen in unserer Gesellschaft „glückhaft" seien. — Nachdem Ehefrau und Geliebte mehrfach gleichgesetzt wurden, wird behauptet, daß man sie nicht vergleichen wolle; muß man doch auch mit Leserinnen und Lesern rechnen, die bei solcher „Einheit" moralisch allergisch reagieren würden. Doch dann geht es rasch wieder in den Schwebezustand zurück; keine ist besser als die andere, was einschließt, daß beide gut sind. Die logischen und evtl, moralischen Widersprüchlichkeiten werden durch eine Apotheose des Weiblichen überspielt: dieses, das Weibliche nämlich, haben Ehefrau und Geliebte gemeinsam. Endlich ist die hin-anziehende Vokabel gefallen, Schlüsselwort für einschnappende Affirmation: Wenn man vom „Weiblichen" spricht, ist logische Trennschärfe suspendiert. Die Evokation dieses sowohl literarisch als auch trivialliterarisch abgesicherten Gefühlskomplexes immunisiert gegenüber logischer Befragung. Ohne das Wissen ums „Weibliche" kann man weder richtig leben noch lieben. Geschickt wird in diesem Augenblick „richtig" eingeführt: mitschwebend in der Aura des Weiblichen, kann es sich ohne Erläuterung der moralischen Axiomatik, innerhalb derer es erst seinen Stellenwert erhält, ausbreiten. „Richtig" ist eben richtig. Was richtig ist, kann man bei Ehefrauen wie bei Geliebten lernen. „Richtig" ist auch, daß aufDemütigkeit Seligkeit folgt. Damit kann man stets in einer repressiven Gesellschaft beschwichtigte Adaption erreichen. Denn nach der Demütigung wird schon irgendwie und irgendwo eine Seligkeit warten; man erträgt das Gegenwärtige, indem man sich aufs bessere Zukünftige fixiert. Der Begriff „Glück" transzendiert; die Misere verbleibt dem Augenblick. Daß man den Gefahren des Lebens ungeschützt ausgesetzt ist, wird als Vorteil ausgegeben; gelobt sei, was hart macht; was einen nicht um-bringt, macht stärker. Die 70jährige ist nicht umgekommen, sie schwimmt nach wie vor in Seligkeitsgefühlen! also werden auch die anderen das Leben bestehen und überstehen. Von denen, die scheiterten, ist nicht die Rede. Diese gingen eben klanglos zum Orkus hinab. Allein das Leben meistern — als süßes Mädel, das nach arbeitsamem Tag in Fabrik oder Geschäft dem ehelich verhärmten Bürger illegitime Wollust bereitet, oder als Fräulein Doktor (Ärztin oder Journalistin), die in den Familiensendungen des Fernsehens einen Hauch von Emanzipation verbreitet —, das ist das höchste Glück gesellschaftspolitischer Ignoranz. Daß man angesichts der Bedrohungen sich nichts schenken läßt, ist Gnade. Mit dem Wort „Gnade" lassen sich soziale wie emanzipatorische Versäumnisse abdecken. Was man auch an Unterdrückung der Schwächeren, der Unterprivilegierten in der Konkurrenzgesellschaft erfährt — es ist eine „Art von Gnade".

Der Text hat damit seinen affirmativen Höhepunkt erreicht. Wer an solcher sozialpolitischer Theodizee gelinde zweifelt, erfährt, daß man dies „natürlich" nicht sofort erkennen könne; die Autorität der verständnisvollen 70jährigen wird in die Waagschale geworfen. Zudem sorgt die beginnende Liebesstory für Ablenkung; ein Leben zu dritt mit sich anbahnender Scheidung ist interessant, einer „Vertiefung" gesellschaftspolitischer Problematik kann so aus dem Weg gegangen werden. Den vielen zerrütteten Ehen wird trostreich versichert, daß die Erkenntnis von der Zerrüttung „Friede" bringe. Die Leidgeprüfte erfährt auch hier wiederum Gnade: d. h. Begegnung mit einem Mann, der ganz ihrer Vorstellung vom Mann entspricht: Sehr viel Selbstbeherrschung; voller Kunstsinnigkeit; — die Liebe zur Kunst garantiert, daß Liebe tief gründet. Einer, der Originale statt Drucke im Zimmer hängen hat, ist von einer besseren Welt. Das bürgerliche Kulturbewußtsein ist in dieser Szene nachdrücklich präsent. Bilder; Kraft; Beherrschung — solche Prädikationen nehmen der außerehelichen Beziehung das Hautgout des Verhältnisses. Dieser Mann lebt dem Höheren; er kann es sich leisten („aus verschiedenen Gründen") Frau und Geliebte zu haben. Wo oben ist, ist die Kunst; wo die Kunst ist, ist Seelenfreundschaft; von Sexualität braucht nicht die Rede zu sein. Sie ist inklusive. -Mit dem Kismet der Mohammedaner wird der seit dem 19. Jahrhundert beliebte Orientkomplex ins Sprach-und Empfindungsmuster einbezogen. Diese Leute sind religiös, also mora. lieh, und dennoch polygam, was von den Männern geschätzt, und von den Frauen masochistisch akzeptiert wird. Abendländisch ist dagegen der verherrlichte Egoismus. Ohne Egozentrik gibt es keinen Fortschritt. Keine Macht, keinen Reichtum, keine Kunst, keinen Glauben, keinen Staat. Die Reihenfolge entspricht dem spätkapitalistischen Weltbild; Macht stützt sich auf Reichtum; diese verbrämt sich mit Kunst; stützt sich ab durch Glaube — alles zusammen macht den Staat aus. In eine private (privatistische) Geschichte eingefügt, also . menschlich verpackt', wird solche Erkenntnis viel leichter abgenommen, als wenn sie mit politischem Akzent vorgetragen würde. DieseGeschichte (aus dem Leben gegriffen, eine „wahre Geschichte") macht deutlich: Egozentrik gibt Kraft; für solche Kraft kann man nichts; sie kommt über einen. Aus dem jasminparfümierten Wertekanon wird noch besonders die Tapferkeit hervorgehoben: bewußt-lose Bewältigung von Außenwelt. Und über allem das Schicksal. Die Extension dieses Wortes ist so groß, daß eine Intension gar nicht versucht wird. Als Zauberwort rückt es alles Irdische dadurch zurecht, daß es die individuellen wie kollektiven Widrigkeiten in den Mythos entrückt; alles ist, wie es ist, weil es so sein muß — und es muß so sein, weil es Schicksal ist. Aufklärung hat hier nichts mehr zu suchen. 2. Text einer feierlich-politischen Rede Grußwort des Herrn Präsidenten des Bayerischen Landtags, Rudolf Hanauer. Akademie für Politische Bildung Tutzing. Ansprachen und Vortrag während des Festaktes zur Feier des zehnjährigen Bestehens der Akademie im Plenarsaal des Bayerischen Landtags am Dienstag, dem 26. November 1968. S. 5 f. (Auszug):

Es ist die vornehmste Aufgabe einer politischen Bildungsarbeit, und dies gerade in unserer heutigen Situation, den irrationalen Weg politischer Utopisten zurückzuführen auf den schmalen und mühsamen Pfad der politischen Realitäten. Hier scheint mir die Akademie für Politische Bildung eine der wichtigsten Begegnungsstätten zu sein, ein demokratisches Diskussionsforum, in dem neue Denkmodelle für die Zukunft erarbeitet werden. Bildungsarbeit wird damit zur politischen Mitsprache und Mitverantwortung geführt.

So ist eine Akademie für politische Bildung heute nicht in erster Linie eine Schule der Demokratie; sie soll vielmehr sein ein ragender Leuchtturm, an dem sich eine sich neu formierende Gesellschaft orientiert. In ihrer politischen Forschungsarbeit wird die Akademie neue Modelle ausarbeiten und sie attraktiv und wirksam in den politischen Raum stellen.

Eine bayerische Akademie für politische Bildung hat zudem den Auftrag, die in unserem Land besonders wirksamen Ordnungsprinzipien des Föderalismus sichtbar zu machen. Das ist gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein höchst aktueller Auftrag. Bayern, das klassische Land des deutscher! Föderalismus, hat seit dem Konvent auf Herrenchiemsee 1948 auf die gliedstaatliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland einen maßgeblichen Einfluß ausgeübt. Es gilt nun, im dritten Jahrzehnt unserer bundespolitischen Gemeinschaft, von Bayern aus verstärkt den Blick nach Europa zu richten und von unserem politisch-geographischen Standort aus auch in der politischen Bildungsarbeit das föderative Staatsprinzip zu festigen. Die in Tutzing an einem landschaftlich bezaubernden Ort beheimatete Politische Akademie kann so weit über Bayern hinaus für Staat und Gesellschaft wirksam werden.

Es ist Sache des Parlaments heute, an diesem Tag, auch Dank zu sagen für all die in der Akademie geleistete Arbeit. Dank an die Damen und Herren des Kuratoriums. Dank auch an die Damen und Herren des Beirats. Dank aber vor allem an den nimmermüden Direktor der Akademie, Dr. F. M. ‘), mit seinen Dozenten und Assistenten und all den unbekannten und ungenannten Helfern. Ich wünsche der Akademie für Politische Bildung auf ihrem Wege ins zweite Jahrzehnt, daß sie von jenem politischen Geist beseelt sei, der aus den Worten eines bayerischen Abgeordneten Anfang des 19. Jahrhunderts spricht. Es war der Abgeordnete Behr, der zu Beginn der nun 150jährigen Parlamentsgeschichte unseres Landes in den Februartagen 1819 von den Pflichten und dem Gemeingeist des Politikers sprach und davon, „daß die Augen von ganz Baiern, ja vielmehr von ganz Deutschland, jeden unserer Schritte begleiten". ’) Der Name ist in diesem Zusammenhang unwichtig und deshalb abgekürzt.

Das Edelsubstantiv „vornehm", zumal in der stereotypen Verbindung von „vornehmster Aufgabe", will die nachfolgende Wegweisung für politische Bildungsarbeit charismatisch absichern: da es sich um die vornehmste Aufgabe handelt, muß die Priorität stimmen. „Und dies gerade in unserer heutigen Situation" —-auch der parenthetische Aktualitätsbezug ist logisch nicht bewiesen, bleibt genauso die Begründung schuldig wie die Vokabel „vornehm". Was als Aufgabe der politischen Bilung ausgegeben wird, ist eine als Tatsachen-satz maskierte Meinung: statt politischer Utopien sollen politische Realitäten beachtet werdeni der Kontext macht deutlich, daß die polifachen Utopisten abgewertet und die politischen Realisten aufgewertet werden. Dies geschieht über den Umweg einer Metapher: die

Utopisten befinden sich auf einem Weg, die Realisten auf einem Pfad (archaisch-feierliche, man möchte fast sagen: biblische Anklänge finden sich noch des öfteren in dieser Rede).

Der . Weg der Utopisten ist zudem „irrational"; interessant, daß „irrational" — was ansonsten der politischen wie weltanschaulichen Position des Redners nicht entsprechen dürfte — negativ verwendet wird. Die Eigenschaften des realistischen Pfads haben dem Pejorativ „irrational" gegenüber eindeutig positive Einfärbung; der Pfad ist schmal und mühsam. Im bürgerlichen Weltbild ist, wogegen schon Friedrich Schiller in Abwandlung des Kantischen Rigorismus anging, mühevoll immer wertvoller als mühelos; wer sich abmühen muß, steht höher, als wer sich leicht tut. Unbestritten, ist, daß politische Bildungsarbeit die Realitäten beachten soll; gleichermaßen unbestritten, daß die Utopie (das „Prinzip Hoffnung", die idealtypische Orientierung) politisches Denken und Handeln zu bestimmen hat. Dies ist offensichtlich durchaus auch die Meinung des Redners, denn im zweiten Satz dieses Textes fordert er die Akademie für Politische Bildung auf, „Denkmodelle für die Zukunft" zu erarbeiten. Die Unlogik der beiden Sätze, die sich gegenseitig aufheben, wäre freilich dann „sinnvoll", wenn man unterstellen würde, daß es sich in beiden Sätzen nicht — wie die abstrakte Formulierung vorgibt — um allgemeine Aussagen, sondern um (unterschwellig) inhaltlich-qualifizierende Aussagen handelt: Die irrationalen Utopisten des ersten Satzes könnten dann z. B. Produzenten „linker" Denkmodelle sein; der nachfolgende Satz auf die Herstellung systemkonformer Denkmodelle sich beziehen. Eine solche Differenzierung wäre legitim; doch dürften die Intensionen der beiden Sätze dann nicht in Konstrukten verpackt bzw. versteckt sein.

Auch der dritte Satz ist in der logischen Verknüpfung unhaltbar: Wenn die Akademie eine Begegnungstätte, ein Diskussionsforum ist, in dem Denkmodelle für die Zukunft erarbeitet werden, so folgt daraus keineswegs, daß sie damit zur politischen Mitsprache und Mitverantwortung führt. Gerade der erste Satz, in dem vom irrationalen Weg politischer Utopisten abgeraten wird, muß so verstanden werden, daß eine Einrichtung, in der Denkmodelle für die Zukunft erarbeitet werden, keine Chancen der Mitsprache und Mitverantwortung hat. Da jeder Definition aus dem Weg gegangen, eine solche auch nicht andeutungsweise versucht wird, werden die weitgehend synonym wirkenden Wort-Verbindungen beliebig positiv oder negativ verwendet. Oder aber man meint mit „Denkmodell für die Zukunft" Affirmation des Bestehenden; dann wäre die Satzfolge inhaltlich stringent. „Denkmodell" würde dann als Modevokabel lediglich politischen und bildungspolitischen Konservatismus verschleiern wollen.

Der dritte Satz stellt scheinlogisch fest: „So ist eine Akademie für politische Bildung heute nicht in erster Linie eine Schule der Demokratie." Es wird nicht erläutert, warum eine Akademie, die eine Begegnungsstätte, ein demokratisches Diskussionsforum, eine Produktionsstätte für Denkmodelle, eine Einrichtung von Mitsprache ist, nicht in erster Linie eine Schule der Demokratie sein kann; offensichtlich wird der Begriff „Schule“ nicht mit Begegnung, Demokratie, Diskussion, Denkmodell, Mitverantwortung assoziiert. Es mus dem Redner überlassen bleiben, wie er den Worten durch Gebrauch ihre Bedeutung gibt bzw. nimmt; da er aber die Akademie für Politische Bildung sachgerecht zu beschreiben sucht, hat er offensichtlich von den dort in Theorie wie Praxis vertretenen Zielen wenig Ahnung: Schule wird zumindest dort als demokratische, emanzipatorische Einrichtung verstanden. Das „So" macht deutlich, daß die Rede sowohl unlogisch als auch unsachlich (sachfremd) ist. Die Meinung des Redners über die Aufgabe einer Politischen Akademie wird als Metapher vorgetragen: eine Schule der Demokratie soll die Akademie nicht in erster Linie sein; dafür ein „ragender Leuchtturm"; das Adjektiv gibt dem Gleichnis eine zusätzliche emotionale wie moralische Aufwertung; am Signalcharakter eines Leuchtturms kann nun kein Zweifel sein. Wer wird schon, wenn er auf offener oder stürmischer See sich befindet, am Leuchtturm sich nicht orientieren wollen? Das Bild macht einen Vorgang fraglos, der ohne Bild frag-würdig wäre: Soll eine Akademie für politische Bildungsarbeit normativ wirken, Leitbild für eine sich formierende Gesellschaft sein, oder kann sie nur „Angebote" machen — eben Diskussionsforum, Begegnungsstätte sein, Denkmodelle alternativ Vorschlägen? Die im zweiten Satz vom Redner gegebene Wesensschau der Akademie wird hier erneut zurückgenommen: nicht Forum ist die Akademie, sondern Leuchtturm. Das sind auch topographisch zwei sehr verschiedene Dinge. Da der Redner offensichtlich sich selbst in da Metapher nicht so wohl fühlt, daß er darin verbleiben möchte, zieht er sich wieder aufs „Modell" zurück; gewinnt dann vollends Boden unter den Füßen beim Lob des bayerischen Föderalismus, der nun einmal zum Gedankenvorrat bayerischer Politiker gehört. Daß der Redner mit „Modellen“ letztlich nicht viel anzufangen weiß, wird auch in diesem Kontext deutlich: er „stellt sie in den politischen Raum" und versieht sie mit dem Allerweltswort „attraktiv".

Warum der Föderalismus „gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein höchst aktueller Auftrag sei, bleibt unbegründet; man kann sicherli vieles für die „Ordnungsprinzipien des Föderalismus" anführen; sie auch für die europa ische Einigung empfehlen; das Adjektiv „ klas-sisch" (über das schon Nestroy spottete) entsind jedoch den Gedanken. Immerhin diese beiden Sätze einigermaßen konkret; um SO verwunderlicher, daß ihnen der Redner allein nicht genügend Überzeugungskraft zutraut und deshalb seine Feststellung über die „so" über Bayern hinaus für Staat und Gesellschaft in Erscheinung tretende Wirksamkeit der Akademie mit einem geographischen Lob garniert: ist doch die Akademie in Tutzing an einem landschaftlich bezaubernden Ort beheimatet — als ob eine landschaftlich bezaubernde Heimat etwas mit der Überzeugungskraft logischer oder politischer Arbeit zu tun hätte.

Wäre das Parlament mit politischer Bildungsarbeit wirklich besonders verbunden, würde es diese Arbeit besonders schätzen, müßte die Hochschätzung in den Dankesworten sich manifestieren. Es muß bedenklich stimmen, daß die Rede diesem Dank nicht die geringste gedankliche oder persönliche Einfärbung zu geben vermag. Statt dessen nur die übliche syntaktisch-enumerative Sequenz: „Dank . . . Dank ... Dank ... vor allem ..."

Besonders fatal dabei ist das Eigenschaftswort „nimmermüd". Mag Dr. M. ’s Arbeit in manchem auch umstritten sein, mag mancher seine Vorstellungen von politischer Bildung nicht billigen, mag mancher der Meinung sein, er sei in diesem Bereich zu „geschäftig" gewesen — seine jahrzehntelange, überregional wie international anerkannte Tätigkeit mit dem „Lob" „nimmermüd" zu bedenken, kommt einer Abqualifizierung gleich. Es ist durchaus anzunehmen, daß der Redner dies nicht gemeint hat; lexikalisch rekurriert er eben gerne auf archaische oder rurale Vokabeln. Das Wunschbild steht dahinter, daß man hier — in der Akademie — den politischen Königsgedanken die Kärrnerdienste leistet; „nimmermüd" auf dem schmalen und mühsamen Pfad der Realitäten. Angesichts des Leuchtturms, an dem die Gesellschaft sich formiert, verblassen die zur Dialektik des Denkens und Handelns anregenden Denkmodelle. Der hierarchischen Grundeinstellung entspricht es zudem, wenn nach dem nimmermüden Direktor in sich abstufender Reihenfolge die Dozenten, Assistenten, die „ungenannten und unbekannten Helfer" erwähnt werden. Verständlich, daß diese Helfer nicht alle genannt werden können; „unbekannt" sind sie freilich deshalb nicht. Das Personal der Akademie ist namentlich genauso bekannt wie die in der Akademie tagenden Besucher.

Wieder einmal, wie so oft in dieser Rede, ist die (hier royale) Stereotype dem Inhalt davongelaufen. Offizielle Reden enden gerne mit einem Zitat; auch wenn dies heute meist nur zum Ritual gehört, ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden — kann doch das Zitat evtl, eine gute Zusammenfassung der vorausgegangenen Gedanken sein oder nochmals den Standort des Verfassers widerspiegeln. Das vom Redner an den Schluß gestellte Zitat ist jedoch völlig nichtssagend. Man suchte offensichtlich ein Zitat, fand nichts Passendes, fand schließlich dieses. Ironisch könnte man freilich auch sagen, daß dieses Zitat durchaus passe: da es einen nichtssagenden Text adäquat — nämlich nichtssagend — zusammenfasse, und den Mangel an politischer bzw. politoiogischer Argumentation mit einem „Bayern über alles" zu kompensieren suche. („Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur", meint Karoline in Odön von Horvaths Stück „Kasimir und Karoline"; das Stück spielt auf dem Münchner Oktoberfest). 3. Text einer „links" -orientierten Resolution Auszug, zit. nach: Kindheit und Jugend in der Gesellschaft. Dokumentation des 4. Deutschen Jugendhilfetags. Herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, München 1970, S. 149 f. 13) Die Funktion der Schule im Kapitalismus besteht darin, die Reproduktion von Arbeitskraft in einem ang und in einer Qualifikationsabstufung sicherzustellen, die den Entwicklungstendenzen der Toduktivkräfte angepaßt ist. Da die erforderliche Qualifikationsstruktur sich immer schneller verändert, u das Schulsystem, um den jeweils benötigten Arbeitskräftenachwuchs erschließen zu können, flexibel gemacht werden. Diese Tendenz zur größeren Mobilität des Bildungssystems gerät tendenziell in Wider-Spruch zu der vom Herrschaftsinteresse diktierten Notwendigkeit zur Erhaltung sozialer Ungleichhei Neben dieser Widerspruchsebene produzieren die Erfordernisse der industriellen Produktion unte kapitalistischen Bedingungen eine weitere Widerspruchsebene. Die in derhochindustrialisierten Produktion zunehmend benötigten Grundqualifikationen implizieren ein Emanzipationspotential, das die von Herrschafts-und Ausbeutungsinteresse des Kapitals diktierte Arbeitsteilung und Machtstruktur im Betrie zu gefährden droht. Der hierin sich ausdrückende Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produl tionsverhältnissen muß in wachsendem Maße im Schulsystem selbst bereits aufgefangen werden. Dis soll die Schule dadurch leisten, daß sie neue Disziplinierungs-und Anpassungstechniken in den Schu mechanismus und neue ideologische Inhalte in den Lehrplan aufnimmt. (4) Die Art und Weise, in der die Schule ihre Funktion im Kapitalismus wahrnimmt, wirkt sich für die Arbeiterkinder und -jugendlichen besonders nachteilig aus. Zum einen rekrutiert sich aus ihnen nad wie vor die Masse der Lohnabhängigen; ihre Chancen, dem Lohnarbeiterdasein über eine schulische Höherqualifizierung zu entgehen, bleiben gering. D. h., die Kinder des Proletariats bleiben in ihrer überwiegenden Mehrheit am unteren Ende der Qualifikationsskala kleben und partizipieren so auch nur vergleichsweise gering an den emanzipatorischen Impulsen, die die Höherqualifizierung mit sich bringt In dem Maße, in dem ihnen gestattet wird, an der weiterführenden Schulbildung teilzuhaben, müssen sie dies mit besonderen Anpassungsleistungen an bürgerliche Normen und Sprachmuster erkaufen, ein Vorgang, der sie ihrer sozialen Identität häufig beraubt, sie so ihrer Klassenlage entfremdet und ihre Handlungsfähigkeit lähmt. In ihnen erzeugt die Schule ein Gefühl der Minderwertigkeit, sie werden eingeklemmt zwischen Ohnmachtsgefühlen und vagen, an ihre individuelle Anstrengung fixierten Aufstiegs-hoffnungen. (5) In diesem Dilemma offenbart sich, daß die Schule nicht nur eine repressive Institution ist, von det alle Schüler gleichermaßen betroffen sind, sondern daß sie ein Herrschaftsinstrument, daß sie Klassen-schule ist. Sie verlöre diesen Charakter auch dann nicht, wenn das Dreiklassenschulsystem (Gymnasium, Realschule und Hauptschule) unter dem Motto der sozialen Integration und Herstellung der Chancen-gleichheit in integrierten Gesamtschulen eines Tages gänzlich „aufgehoben" wäre. Soziale Integration in der Schule, die nicht basiert auf einer Aufhebung des Klassenantagonismus in der Gesamtgesellschaft, verkommt zwangsläufig zur Volksgemeinschaftsideologie und hindert die Arbeiterkinder an der Erkenntnis ihrer Klassenlage. Selbst dann, wenn es der Gesamtschule gelänge, die Chancenungleichheit verringern zu helfen (wofür es noch keine Anzeichen gibt), könnte sie den Arbeiterkindern keine Perspektive solidarischer Überwindung des Klassenschicksals vermitteln, sondern sie nur zu individuellem Aufstiegs-streben motivieren und sie damit in verschärfte Konkurrenzsituationen hineintreiben.

Der den Text eröffnende Meinungssatz wird als Tatsachenfeststellung ausgegeben; dafür sorgt nicht nur die keine Befragung zulassende indikativische Feststellung „besteht"; dem Verdikt dienen auch die ideologisch besetzten Konstrukte „Schule", „Kapitalismus’", „Arbeitskraft", „Produktivkräfte". Die mit diesen Begriffen implizierte Gesellschaftstheorie läßt als Axiom keine anderen Axiome neben sich gelten; alle nachfolgenden Behauptungen leiten sich aus solchem Ausschließlichkeitsdenken ab. Alternativen gibt es nicht; dies widerspräche dem Wesen von Ideologie. Daß Schule auch gegen gesellschaftliche Tendenzen angelegt sein könnte, also nicht nur der Reproduktion von Arbeitskraft im Sinne der Entwicklungstendenzen der Produktiv-kräfte diente, wird innerhalb des „bestehenden Systems" a priori verneint. Dem Begriff „Flexibilität" werden ebenfalls von vornherein emanzipatorische Möglichkeiten abgesprochen; er wird statt dessen „eindeutig* als Herrschaftsvokabel entlarvt. Diese Eindeutigkeit wird dekretiert. Das Herrschaftsinteresse, ungeachtet des großen sozialen Fortschritts (der bis ins Detail belegbar wäre, sei auf soziale Ungleichheit fixiert. Diffamierung von Reform und Evolution ist damit verknüpft. Die Stringenz der Argumentation ist gegeben, da die Prämissen nicht diskutiert werden (dürfen). Alternatives Denken würde den ideologischen Duktus zerstören. Verunsicherung wird nur aktiv, nie reflexiv vorgenommen. Daß der auf abstrakter Ebene konstatierte Widerspruch zwischen Arbeitsweise und Machtstruktur autoritäre Strukturen verändern könne, etwa Teamarbeit Hierarchien abzubauen vermöge, wird apodiktisch verneint. Die Demokratisierung eines Industrie Systems durch Mitbestimmung, seine Sozial sierung unter Beibehaltung effizienter Ar beitsweisen kann als Reform nicht stattfinden Die Prämissen lassen es nicht zu. An eine nicht-repressive Leistungsgesellschaft , a man nicht glauben, da dies Irrglaube wäre Dementsprechend wird Demokratisierung V 0 Schule zur Disziplinierungs-und Anpassung! technik uminterpretiert; Schulreform erweis sich als „fortgeschriebene" Repression. Disqualifiziert wird somit auch der Versuch, Sprachbarrieren abzuschaffen bzw. zu überwinden. Solche Spracherziehung stelle letztlich nichts anderes dar als Anpassung an den Code der Herrschenden. Die bürgerlichen Sprach-muster würden zwar dann für die unteren Schichten geöffnet (der Begriff des Proletariers bleibt wie so vieles in diesem Text Undefiniert), aber diese scheinbare emanzipatorische Möglichkeit entfremde den Proletarier nur seiner Klassenlage. Durch Spracherziehung werde er integriert; bewege er sich nicht im proletarischen Sprachmuster, verlöre er sein revolutionäres Bewußtsein. Verwischten sich die Klassenunterschiede und -gegensätze, würde Chancengleichheit hergestellt, gäbe es also nicht mehr (durch Sprache) Herrschende und nicht mehr (wegen ihres sprachlichen Mangels) Beherrschte, gelänge die Reform, fehlte der revolutionären Strategie das revolutionäre Potential. Möglichkeiten werden als irreal denunziert, weil sie nicht in die Taktik passen. Sprachliche Emanzipation will zudem der Text als solcher verhindern, indem er den Vorsprung soziologischer Terminologie zum Führungscharisma stilisiert — wohlwissend, daß die mangelnde Fähigkeit sowohl des Proletariats wie der Bourgeoisie, das soziologische (neomarxistische) Sprachmuster zu beherrschen, in einer einigermaßen demokratischen (d. h. sprachlicher Kommunikation große Bedeutung zumessenden) Gesellschaft Machtpositionen einräumt. Die herrschende Sprache ist nicht mehr die Sprache der Bourgeosie; die beherrschende und manipulierende Sprache ist längst die der neomarxistischen Indoktrination geworden.

Mit dem Spätkapitalismus in der Hand kommt man insofern durch das ganze Land, als der Jargon der Dialektik mit seinen aggressiven, Abbreviaturen magisch verwendenden Sequenzen den morschen Jargon der Eigentlichlichkeit davonstieben läßt. Wenn diese von den Linken erworbene sprachliche Macht praktisch sich noch nicht so auswirkt, wie sie es an sich könnte, dann vor allem deshalb, weil die revolutionäre Theorie die konkrete Arbeit scheuen muß, würde doch diese die ideologische Selbsttäuschung evident machen. So katapultiert sich der neomarxistische Revolutionär aus dem durch Sprache erworbenen machtpolitischen Vorteil mit Hilfe von Sprache wieder hinaus, in die Theorie zurück, damit er empirische Falsifikation vermeiden kann: Eine neue Form von Ästhetizismus. Im Sinne linker Affirmation „offenbart" sich durchaus logisch (solange Prämissen unbefragt bleiben und nicht befragt werden dürfen), daß die Schule eine repressive Institution und als Klassen-schule Herrschaftsinstrument ist. Indem unbezweifelbare historische Erfahrungen extrapoliert werden, eine korrelierende Entwicklung außer jeden Betracht bleibt, „kann" Schule systemimmanent sich nie befreien. Die Negation emanzipatorischer Möglichkeiten geschieht dadurch, daß man Konjunktivsätze in den Irrealis setzt; die futurologischen Chancen werden so als un-möglich, un-wirklich abgetan. Das kann natürlich nur syntaktisch, nicht argumentativ geschehen — wie sollte man denn beweisen können, daß die Schule ihren repressiven Charakter nicht verlöre, wenn das Dreiklassenschulsystem unter dem Motto der sozialen Integration und Herstellung der Chancengleichheit in integrierten Gesamtschulen aufgehoben würde? Warum sollte die Gesellschaft nicht durch solche Aufhebung sich emanzipieren können? Das Experiment könnte das Theorem vom Klassenkampf mit revolutionärem Umschlag mißachten; so ist es taktisch klüger, über das Experiment bereits a priori ein Verdikt zu sprechen (ähnlich dem Konservatismus, der es aus anderen Gründen verabscheut). Die soziale Integration durch Schule wird nicht nur als Verschleierung von Klassenbewußtsein empfunden (woraus sich erneut ergibt, daß eine Verbesserung der Situation nicht als Unwirklichkeit, sondern wegen Verminderung des revolutionären Potentials abgelehnt wird); ie wird zusätzlich mit dem Schlüsselwort „Volksgemeinschaftsideologie" verdächtigt. Wiederum wird der reformatorische Konjunktiv („Selbst dann, wenn es der Gesamtschule gelänge ...") durch Ideologie abgekappt: Es würde sich nur ein individuelles Aufstiegs-streben und keine klassenspezifische Emanzipation einstellen, die Konkurrenzsituation er-führe Verstärkung. Was ideologisch nicht sein darf, kann auch empirisch nicht erlaubt werden. Vor Ideologie hat Rationalität zu kuschen, läßt sich Ideologie doch selbst als „kritisches Bewußtsein" feiern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. nach J. Hohlfeld, Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Berlin-München o. J., 1. Band, S. 87 und 95.

  2. Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt 1969, S. 9.

  3. Vgl. auch: Abiturreden — gehalten in der Bundesrepublik; herausgegeben von M. Meier-Siem, mit einem Vorwort von S. Lenz, Hamburg 1969.

  4. J. B. Metz, Zur Theologie der Welt, o. O., 1968.

  5. V. Sturm, Krisis der religiösen Sprache, in: K. Becker/K. Ä. Siegel, Dynamik der Kommunikation, Frankfurt 1970.

  6. M. Jänicke, Politische Sprache — politischer Konikt — politische Bildung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, Nr. 6/1970, S. 365 ff.

  7. Vgl. hierzu auch H. D. Baroth (Herausgeber), Schriftsteller testen Politikertexte, München und Bern 1967, und die wesentlich gründlichere, wissenschaftliche Arbeit von H. D. Zimmermann, Die politische Rede. Der Sprachgebrauch Bonner Politiker, Stuttgart 1969.

  8. H. Lübbe, Der Streit um Worte. Sprache und

  9. H. Wenrich, Linguistik der Lüge, Heidelberg1966

  10. Weinrich, a. a. O., S. 18.

  11. Vql. hierzu H. Flohr, Parteiprogramme in der Demokratie. Ein Beitrag zur Theorie der rationalen Politik, Göttingen 1968.

  12. Vgl. hierzu: K. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer un die politischen Grundfragen des Ersten Weltkn ges, Göttingen o. J.; E. Johann, Innenansichtn eines Kriegs. Bilder — Briefe — Dokumente 1 bis 1918, o. O. 1970; K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die P 0'tischen Ideen des deutschen Nationalismus zw sehen 1918 und 1933, München 1962; Ernst. Mouh’ Zur Typologie des Verhaltens der Hochschul e rer im Dritten Reich, in: Aus Politik und Ze! g schichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Par ment", 17. Nov. 1965.

  13. H. Marcuse, Uber den affirmativen Charakter der Kultur, in: Kultur und Gesellschaft I, Frankfurt 1965. S. 63.

  14. H. Marcuse, a. a. O., S. 66.

  15. O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1. Band, München 1920, S. 407.

  16. Einzelporträts gibt der von K. Schwedhelm herausgegebene Band „Propheten des Nationalsozialismus", München 1969.

  17. Bald darauf vollzog Thomas Mann seine „weltanschauliche Kehre"; er bekannte sich zum demokratisch-republikanischen Staatswesen von Weimar.

  18. Vgl. K. Sontheimer, Thomas Mann und die Deutschen, München 1961; E. Keller, Der unpolitische Deutsche. Eine Studie zu den „Betrachtungen eines Unpolitischen" von Thomas Mann, Bern und München 1965.

  19. W. Boehlich, Ein Pyrrhussieg der Germanistik, in: Der Monat, Heft 154/1961 S. 38 ff.

  20. W. Sombart: Händler und Helden, 1915, S. 46 f.

  21. Ausführlich dazu W. Dahle: Der Einsatz einer Wissenschaft. Eine sprachinhaltliche Analyse militärischer Terminologie in der Germanistik 1933 bis 1945. Die Dokumentation bringt eine Zitatensammlung zu: Soldatischem Grundgesetz, Kampf, Held, Einsatz, Haltung, Frontlage, Sprachenkampf, Deut schem Leben, Rassisch-völkischer Bewußtheit, dreifacher Internationale ’ (Marxismus, Kapitalismus, Judentum), Organischem Weltbild, Deutschem Deutsch und deutschem Recht.

  22. Hierzu H. Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963; A. Diel: Die Kunst-Erziehung im Dritten Reiche. Geschichte und Anayse, München 1969; M. Warnke (Herausgeber): Das unstwerk zwischen Wissenschaft und Weltan-shauung, Gütersloh 1970; H. Schwerte: Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie, Stuttgart 1962.

  23. Vgl. Germanistik — eine deutsche Wissen-Shaft. Beiträge von E. Lammert, W. Killy, K. O. -onrady, p. v. Polenz, Frankfurt 1967.

  24. M. Pehlke: Aufstieg und Fall der Germanistik — von der Agonie einer bürgerlichen Wissenschaft, in: Ansichten einer künftigen Germanistik. Herausgegeben von J. Kolbe, München 1969, S. 20.

  25. Vgl. auch R. Geissler: Dekadenz und Heroismus. Zeitroman und völkisch-nationalsozialistische Literaturkritik, Stuttgart 1964.

  26. Die Literatur hierzu ist sehr umfangreich. Besonders aufschlußreich P. M. Roeder: Zur Geschichte und Kritik des Lesebuchs der höheren Schule, Weinheim 1961; A. Oberlack: Schulbücher unter dem Dreschflegel, Bad Godesberg 1965; J. Ehni: Das Bild der Heimat im Schullesebuch, Tübingen 196/: ferner: E. Weymar: Das Selbstverständnis der Deutschen. Ein Bericht über den Geist des Geschichtsunterrichts der höheren Schulen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1961; W. W. Mickel: Kritische Betrachtung der Unterrichtsziele in den Präambeln der gymnasialen Lehrpläne für den politischen Unterricht, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, Nr. 5/1966, S. 304 ff.

  27. Klaus Roehler: Die Abrichtung. Deutsche Sätze für Schüler und Erwachsene, in: Kursbuch 20/19701 S. 83.

  28. Vgl. D. Krebs u. a.: Das Ende der Höflichkeit Für eine Revision der Anstandserziehung, Müne

Weitere Inhalte

Hermann Glaser, Dr. phil., geb. 28. 8. 1928; nach dem Studium der Germanistik, Anglistik, Geschichte und Philosophie zunächst Lehrberuf; seit 1964 Schul-und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg; Mitarbeit an Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk. Veröffentlichungen: Neben pädagogischen Abhandlungen u. a. Weltliteratur der Gegenwart, 1956; Das Dritte Reich, 1961; Spießer-Ideologie, 1964; Eros in der Politik — Eine sozial-pathologische Untersuchung, 1967; Kleinstadt-Ideologie, 1968; Radikalität und Scheinradikalität, 1970.