Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Nationalitätenkonflikt in Kanada | APuZ 23/1971 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 23/1971 Zur Theorie des Imperialismus Der Nationalitätenkonflikt in Kanada

Der Nationalitätenkonflikt in Kanada

Kurt Jürgensen

/ 41 Minuten zu lesen

Einleitung

Als am 5. Oktober 1970 der britische Handelsattache James Cross in Montreal von kanadischen Terroristen als Geisel festgesetzt wurde und einige Tage darauf, am 10. Oktober, der Arbeitsminister der Provinz Quebec, Pierre Laporte, dasselbe Schicksal erlitt, nahm dieses Geschehen auch in der Bundesrepublik in der Berichterstattung von Presse, Rundfunk und Fernsehen einen breiten Raum ein — nicht zuletzt deshalb, weil der Entschluß der kanadischen Bundesregierung in Ottawa und der Provinzialregierung von Quebec, sich nicht auf die Forderungen der Entführer einzulassen vielenorts die Streitfrage aufwarf, ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder das Leben der Geiseln vorrangig seien. Vergebens bat Pierre Laporte seinen Freund, den Ministerpräsidenten von Quebec, Robert Bourassa, bei seinen Entscheidungen Rücksicht zu nehmen auf die Tatsache, daß er das Ober-haupt einer zwölfköpfigen Familie sei. Am 17. Oktober 1970 wurde Pierre Laporte erdrosselt im Kofferaum eines Autos aufgefunden.

Um die ungeheure Erregung, die die Entführung von James Cross und Pierre Laporte gerade auch in Europa ausgelöst hat, zu erklären, muß gewiß auch in Betracht gezogen werden, daß hier in einem westlichen demokratischen Staat die innenpolitische Auseinandersetzung mit terroristischen Mitteln geführt wurde. Dieser Terrorakt muß im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung Kanadas gesehen werden. Sie ist geprägt durch den Gegensatz zwischen Anglound Franko-kanadiern und stellt in der Gegenwart die Aufgabe, die separatistischen Zielsetzungen einer radikalen Minderheit zugunsten einer Neugestaltung der bundesstaatlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung auszuschalten. Damit steht die kanadische Konföderation, wie hier ausgeführt werden soll, in der schwersten Bewährungsprobe ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte.

I. Kanada — ein Land des geschichtlich gewachsenen Nationalitätengegensatzes

überschauen wir die Geschichte Kanadas seit der Inbesitznahme des Landes durch die Europäer, so können wir — in Anlehnung an die von Robert Lacour-Gayet — drei große Phasen unterscheiden: le Canada franqais — le Canada britannique — le Canada canadien. Damit wird deutlich gemacht, daß dem unabhängigen Kanada eine französische und eine britische Kolonialherrschaft vorausgegangen sind.

Als erste kamen die Franzosen, und zwar unter Führung von Samuel de Champlain. Mit Unterstützung von König Heinrich IV. (F 1610), König Ludwig XIII. (t 1643) und seinem leitenden Minister Kardinal Richelieu holte Champlain Siedler, Händler und katholische Missionare ins Land; er gründete 1608 die Stadt Quebec und schuf erst als Statthalter (Lieutenant General), in seinen letzten Lebensjahren als kgl. Gouverneur einen großen französischen Kolonialbereich — „Neu-Frankreich" genannt — am Unterlauf des St. Lorenz-Stroms.

Dieser breite Flußlauf, der zu den großen Seen hinführt, erwies sich — so wie etwas später im Süden der Mississippi — als ein ideales Einfallstor in den nordamerikanischen Raum, und beider Ströme bedienten sich die Franzosen, um ihre große nordamerikanische Doppel-kolonie Neu-Frankreich und Louisiana zu schaffen. Ihr Wert wurde weniger in der Siedlungsmöglichkeit gesehen, als vielmehr im Nutzen für den Handel. Edelmetalle, Pelze, Gewürze, Edelhölzer u. a. m. waren für die heimische, vom sogenannten Merkantilismus geprägte Wirtschaft wichtig. Zur Zeit Colberts, des bekannten Wirtschaftsministers unter Ludwig XIV., blühte der von der französischen Westindienkompanie getragene Handel. Immerhin gab es um 1690 auch schon rund 10 000 französische Siedler in Neu-Frankreich, und diese versuchten, von den Nebenläufen des St. Lorenz-Stromes und vor allem des Mississippi in das Landesinnere vorzustoßen. Es liegt auf der Hand, daß diese Bestrebungen den englischen Interessen zuwiderliefen. Die Engländer hatten ja an der Ostküste Amerikas die Kolonie „Neu-England" gegründet, und sie suchten im hohen Norden mittels der Hudsonbay-Company nach einer Nordwestpassage.

Der britisch-französische Kolonialdualismus bestimmte das Verhältnis beider Länder im 18. Jahrhundert. Dieser Dualismus wurde während des spanischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges mit Waffengewalt ausgetragen. 1713 verlor Frankreich Neu-Fund-landund Neu-Schottland, und im Pariser Frieden von 1763 verzichtete Frankreich auf seine übrigen Besitzungen in Kanada (mit Ausnahme von St. Pierre und Miquelon, zweier kleiner Inseln im Golf des St. Lorenz-Stroms, die noch heute zu Frankreich gehören). Audi Louisiana wurde damals aufgegeben. Somit endete 1763 die französische Kolonialherrschaft in Nordamerika, und etwa 63 000 französische Siedler wurden britische Untertanen. Nach dieser ersten Phase der „europäischen" Geschichte Kanadas, die im Zeichen der französischen Kolonialherrschaft stand, folgten rund hundert Jahre britischer Kolonialherrschaft (1763— 1867) In dieser Zeit entwikkelte sich Kanada zu einer Doppelnation.

Denn nun kamen die britischen Einwanderer, als erste etwa 40 000 United Empire Loyalists, die sich vorzugsweise in Oberkanada, in der heutigen Provinz Ontario, niederließen. Diese Loyalisten waren solche Siedler, die die Lösung der britischen Kolonien an der amerikanischen Ostküste vom Mutterland (1776) und ihre nachfolgende Erhebung zur neuen Republik der Vereinigten Staaten nicht hinnehmen und Untertanen der britischen Krone bleiben wollten.

Erstaunlich mag sein, daß sich das französischsprachige Kanada an der revolutionären Loslösung von Großbritannien nicht beteiligte, obgleich es doch erst relativ kurze Zeit zuvor gewaltsam unter britische Herrschaft gekommen war. Dafür gibt es drei Gründe: zum ersten das Gefühl des Verlassenseins von Frankreich, das in der Äußerung Voltaires, Frankreich habe in Kanada nur „wertlose Schneefelder" verloren, eine aufschlußreiche Bestätigung findet zum zweiten die Bindung der meisten Frankokanadier an den katholischen Glauben und das Festhalten an einer monarchischen Staatsauffassung (zum Altar gehört eben der Thron; das aufklärerische Gedankengut des 18. Jahrhunderts hat bei den Frankokanadiern keinen Eingang gefunden); zum dritten die recht kluge Politik Großbritanniens, das — gewarnt durch den Abfall der südlichen Kolonien — auf eine anfänglich beabsichtigte Anglisierungspolitik verzichtete und auf der Grundlage der schon 1774 abgefaßten Quebec-Akte die französischen Kultur-und Rechtsformen anerkannte und schützte. Im Krieg zwischen den USA und Großbritannien (1812— 1814) hat Kanada sogar als zuverlässige britische Operationsbasis gedient. Dort allerdings, wo in der Verwaltung des 1791 in Ober-und Unterkanada geteilten Kolonialbesitzes der Wille der von der britischen Krone eingesetzten Gouverneure, das britische Gewicht zu stärken, erkennbar wurde, blieben in der Folgezeit Spannungen nicht aus. Sie nahmen 1837 besonders scharfe Formen an und veranlaßten den britischen Abgesandten Lord Durham, in einem Bericht des Jahres 1839 von dem „Konflikt zweier Nationen" und dem „Krieg der Rassen" zu sprechen Hier wird deutlich, daß die Entstehung der kanadischen Doppelnation schon in ihrer frühen Phase mit tiefgehenden Spannungen zwischen Franko-und Anglokanadiern verbunden war. Ja, vergleicht man die Aussage Lord Durhams mit Äußerungen unserer Zeit, so mag zweifelhaft sein, ob Kanada überhaupt je zu einer Nation geworden ist. Lord Durham schrieb 1839: „Ich glaubte, einen Streitfall zwischen Regierung und Volk zu finden; aber ich habe den Konflikt zweier Nationen innerhalb desselben Gemeinwesens angetroffen. Ich habe einen Krieg der Rassen vorgefunden, nicht der Regierungsprinzipien."

Und 1965 lesen wir im vorläufigen Bericht einer von der damaligen Regierung unter Premierminister Lester B. Pearson eingesetzten Kgl. Untersuchungskommission, die in den vorausgegangenen zwei Jahren eine systematische Befragung der Bevölkerung durchgeführt hatte: „Du ct francophone, les premiers contacts n'ont rien rvl d'inattendu, si ce n’est l'extrme mefiance avec laquelle une grande partie du Quebec regarde tout ce qu’accomplit Ottawa, et un grand scepticisme quant ä la faculte et la volonte du Canada anglais de comprendre le Canada franais.“

(„Die bisherigen Gespräche mit den Franko-kanadiern haben nichts überraschendes gebracht; sie haben aber das tiefe Mißtrauen aufgedeckt, mit dem große Bevölkerungsteile Quebecs alles, was sich in Ottawa tut, beobachten, und sie haben den starken Zweifel, ob das englischsprachige Kanada überhaupt das französischsprachige begreifen will und kann, offenkundig gemacht.

Zwischen diesen beiden Aussagen liegt natürlich kein völlig geradliniger Weg, und wir dürfen auch die Untersuchungsergebnisse der Kgl. Kommission nicht in allen Teilen als typisch für die ganze kanadische Gesellschaft ansehen, gibt es doch im 19. und 20. Jahrhundert durchaus fruchtbare Ansätze, den Antagonismus der beiden Nationen in Kanada zu . überwinden.

Als ein solcher Ansatz darf zwar der Union Act von 1840 noch nicht gelten, weil mit ihm — auch das war eine Anregung Lord Dur-hams — nur die beiden Landesteile Ober-und Unterkanadas wieder zu einer Verwaltungseinheit zusammengefaßt wurden. Wohl aber erbrachte die 1847 von Lord Elgin durchgesetzte Form des responsible government sowohl die kulturelle als auch die politische Gleichstellung mit den Anglokanadiern; das heißt: der dem Gouverneur beigegebene Exekutivrat war der von der gesamten Bevölkerung — ohne sprachliche Diskriminierung — gewählten gesetzgebenden Körperschaft verantwortlich.

Mit dieser Form der kolonialen Selbstverwaltung wurde die Loyalität gegenüber der britischen Krone gestärkt. Zugleich wurde die Voraussetzung geschaffen für die Gründung eines kanadischen Dominions, das dem Land die volle Autonomie nach innen gab, ohne daß dabei die äußeren Bindungen an Großbritannien in der Gemeinsamkeit der Krone und bezüglich der von London bestimmten Außenpolitik in Frage gestellt wurden.

Dabei kehrte man wieder zur Teilung des Landes in Unterkanada, jetzt Quebec, und Oberkanada, jetzt Ontario genannt, zurück und versuchte, diese Provinzen mit den maritimen Kolonien Britisch-Nordamerikas in eine Föderation zu bringen. In einer bundesstaatlichen Form wurde 1867 in der Tat das neue Dominion geschaffen, und zwar nach vorausgegangenen jahrelangen Beratungen in Charlottetown auf der Prinz-Eduard-Insel, die unter dem Eindruck des amerikanischen Sezessionskrieges und möglicher Invasionsgefahren gestanden hatten. Wortführer der Anglokanadier war J. A. Macdonald; auf frankokanadischer Seite war dies G. E. Cartier Dieser konnte seinen Landsleuten klarmachen, daß die neue Föderation große Vorteile bringen würde: nämlich die Selbstverwaltung der Frankokanadier in „ihrer" Provinz Quebec.

Nach der Ratifizierung durch das britische Parlament in London trat am 1. Juli 1867 auf der konstitutionellen Grundlage der soge-nannten „Britischen Nordamerika-Akte” die kanadische Konföderation — bestehend aus den vier Bundesstaaten (offiziell „Provinzen" genannt) Ontario, Quebec, Neu-Schottland und Neu-Braunschweig — ins Leben. Damit beginnt die dritte Phase der kanadischen Geschichte, die des autonomen Kanada.

Diese dritte Phase ist geprägt von der Ausdehnung Kanadas zu dem riesigen Land a rnari usque ad mare, wie es im kanadischen Wappenspruch lautet, einer Ausdehnung vom atlantischen zum pazifischen Ozean, bedingt durch den Anschluß bzw. durch die Gründung neuer Provinzen: 1870 Manitoba, 1871 Bri-tisch-Kolumbien, 1873 Prinz-Eduard-Insel, 1905 Alberta und Saskatchewan, 1949 Neufundland. Die 1885 nach mehr als zehnjähriger Arbeit in Betrieb genommene, über 4000 km lange transkontinentale Eisenbahn hat sich dabei — wie der St. Lorenz-Strom — als wirtschaftlicher und politischer Einigungsfaktor erwiesen. Es ist denkbar, daß eines Tages die der Bundesgewalt unterstehenden riesigen, noch fast menschenleeren arktischen Gebiete, die sogenannten North'west Territories und das Yukon Territory, — in dem Maße, wie ihre wirtschaftliche Erschließung Siedler ins Land bringt, — als elfte und zwölfte Provinz die Konföderation mittragen werden.

Diese dritte historische Phase ist weiterhin geprägt von der Fortentwicklung der britischen Nordamerika-Akte von 1867 und ihrer Anpassung an neue Aufgaben und Vorstellungen durch die Gesetzgebung des britischen Parlaments und der kanadischen Gesetzgebungskörperschaften sowie durch die Verfassungstradition, so daß Kanada — ähnlich wie Großbritannien — keine geschlossene, in einer Rechtssatzung kodifizierte Verfassung hat; diese setzt sich vielmehr aus einer Vielzahl von Akten, Gesetzen und parlamentari-sehen Bräuchen zusammen Hauptmerkmale der Verfassung sind dabei die Abgrenzung der Bundeskompetenzen und Provinzkompetenzen. Handel, Währung, Bankwesen, Post, Strafrecht, Ehestandsrecht, Militär gehören u. a. — laut Artikel 91 der britischen Nordamerika-Akte von 1867 — zu den wichtigsten Aufgabenbereichen des Bundes. Seine hauptsächlichen Organe sind die folgenden: — für die Gesetzgebung das Parlament, das von dem aufgrund des Mehrheitswahlrechts für jeweils fünf Jahre gewählten Unterhaus und von dem Senat (mit seinen 102 von der Krone ernannten Senatoren) gebildet wird; praktisch erfolgt die Ernennung der Senatoren auf Vorschlag des Premierministers durch den Generalgouverneur als Vertreter der Krone, und zwar unter Berücksichtigung der verschie-denen kanadischen Landesteile und ihrer Bevölkerungsstärke — für die ausführende Gewalt: die Krone (vertreten durch den auf Vorschlag des Ministerpräsidenten jeweils für fünf Jahre ernannten Generalgouverneur), der ihr beigegebene Privy Council ior Canada und vor allem zur praktischen Festlegung der Richtlinien der Politik und zur Regierungsausübung der Premierminister mit seinem Kabinett; traditionsgemäß wird jeweils der Führer der größten Partei im Unterhaus vom Generalgouverneur gebeten, die Regierung zu bilden.

Kanada besitzt also — insgesamt gesehen — eine parlamentarische bundesstaatliche Ord-nung, in der die Regierungen und Parlamente der zehn Provinzen eine Art Gegengewicht zur Bundesgewalt darstellen und — mit unterschiedlicher Intensität — das politische, wirtschaftliche und kulturelle Eigenleben der jeweiligen Provinz sicherstellen.

Die Zeit ab 1867 ist geprägt von der wachsenden Unabhängigkeit Kanadas, das in den ersten Jahrzehnten als Dominion stark an das britische Mutterland gebunden war und seiner Außen-und Verteidigungspolitik folgen mußte. Premierminister Wilfried Laurier, der erste frankokanadische liberale Regierungschef von 1896 bis 1911, nahm es zwar auf sich, aus Solidarität mit dem Mutterland ein 7000-Mann-Heer zur Unterstützung der britischen Interessen gegen die Buren nach Südafrika zu entsenden; aber auf der Empire-Konferenz nach Beendigung des Burenkrieges trat Laurier mit Erfolg dem Zollunionsplan und gemeinsamen Verteidigungsplan für das britische Weltreich entgegen Vor allem der Erste Weltkrieg, in dem Kanada auf britischer Seite mitgekämpft hatte, hob das kanadische Selbstbewußtsein derart, daß es als Entgelt für sein militärisches Engagement auch an den außen-politischen Entscheidungen selbsthandelnd beteiligt sein wollte und es auch erreichte, an den Friedensverhandlungen im eigenen Namen teilzunehmen, den Versailler Vertrag zu unterschreiben und dem Völkerbund als selbständiges Mitglied beizutreten.

Die hier eingeleitete Entwicklung zur außen-politischen Handlungsfreiheit Kanadas ist auf der Empire-Konferenz von 1926 und durch das sogenannte Westminster-Statut vom Dezember 1931 sanktioniert worden Diese in-haltliche Neubestimmung des Dominionsstatus hat aus dem britischen Empire das lockere Commonwealth oi Nations gemacht. Die völlige staatliche Souveränität fand erst 1965 symbolischen Ausdruck, als an die Stelle der roten Fahne mit dem Union Jack und dem kanadischen Wappen die vertikal gestreifte rot-weiß-rote Fahne mit dem stilisierten roten Ahornblatt in der Mitte trat.

Die über hundert Jahre seit 1867 sind aber auch von dem Unvermögen bestimmt, ein alle Landesteile und Bevölkerungskreise gleichermaßen umfassendes kanadisches Staatsbewußtsein auszubilden Man mag sich fragen, ob daran aus der Zeit vor 1867 der sogenannte „Eroberungskomplex" der Frankokanadier, also das Wissen um die Tatsache, daß Kanada als ursprüngliche französische Gründung von den Briten erobert worden ist, und die Nachwirkungen der Unruhen von 1837 schuld sind. Gewiß hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der missionarische Charakter des britischen Imperialismus, der sich in Cecil Rhodes verkörperte, den Frankokanadiern die anglokanadischen Landsleute entfremdet. Die viel-zitierte Forderung: " One flag, one school and one official language from Coast to Coast" wirkte sich beispielsweise konkret in der Schulpolitik außerhalb der Provinz Quebec so aus: Es gab dort keine staatlichen französischsprachigen Schulen. Ebenso war im Militärwesen das Englische auch noch im Ersten Weltkrieg nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1917) die alleinige Kommando-sprache. Es gab damals leidenschaftliche, mit Polizeigewalt unterdrückte Proteststürme, in denen der Ruf nach einem unabhängigen französischsprachigen Quebec laut wurde.

In den zwanziger und dreißiger Jahren, die zeitweise von der weltweiten wirtschaftlichen Rezession bestimmt waren, machte sich insbesondere das wirtschaftliche und soziale Gefälle zum Nachteil der frankokanadischen Landesteile bemerkbar. Natürlich öffneten sich -damals wie heute — die anglokanadischen Provinzen mehr dem amerikanischen Kapital als die Provinz Quebec, und ohnehin war die puritanische Mentalität der anglokanadischen Bevölkerung — Max Weber hat es überzeugend erklärt — vielmehr auf Wirtschaftsini-tiative und Hahdelsgeist ausgerichtet als die der katholischen Bevölkerung der Provinz Quebec, in der der Dorfpfarrer Mittelpunkt der Gesellschaft war und fast bis in unsere Zeit hinein geblieben ist. Und wo in Quebec große Betriebe aufgebaut wurden, waren sie dennoch in anglokanadischer und amerikanischer Hand, so daß das Englische die führende Wirtschaftsspräche geworden ist. Das wiederum hat das französische Kulturbewußtsein verletzt, so daß auch aus diesem Grunde die Frankokanadier einen auf die eigene Provinz bezogenen Nationalismus entwickelt haben, der zugleich ein Desinteresse gegenüber dem übrigen Kanada bedeutete.

Maurice Duplessis, der Chef der von ihm gegründeten konservativen Partei der Provinz Quebec (mit dem bezeichnenden Namen Union Nationale) und Ministerpräsident der Provinz von 1936 bis 1939 und von 1944 bis 1959, hat diesem exklusiven Nationalismus starke Impulse zu geben vermocht Daniel Johnson übernahm 1961 sein Erbe als konservativer Parteiführer. Der Titel seiner 1965 erschienenen Schrift „Gleichheit oder Unabhängigkeit“ bezeichnet die Hauptforderung, die die Franko-kanadier laut Ergebnis der im selben Jahre erstmals veröffentlichten Untersuchungsergebnisse der Kgl. Kommission zu stellen hatten. Mit dieser Forderung nach Gleichheit oder Unabhängigkeit führte Johnson 1966 in der Provinz Quebec den Wahlkampf und vermochte sich gegenüber der bis dahin regierenden liberalen Partei unter Premierminister Lesage durchzusetzen Doch nur gut zwei Jahre — bis zu seinem plötzlichen Tode im September 1968 — hat er die Regierungsgeschäfte geführt, getragen von dem Willen, die offizielle Gleichstellung der französischen Sprache und Kultur in Kanada zu erreichen; andernfalls wollte er sich für die Eigenständigkeit Quebecs einsetzen.

In die Zeit der Amtsführung von Ministerpräsident Daniel Johnson fällt die Reise des französischen Staatspräsidenten de Gaulle nach Kanada. Dieser Besuch erregte bekanntlich weltweites Aufsehen. — De Gaulle kam Ende Juli 1967 aus Anlaß des einhundert-jährigen Bestehens der kanadischen Konföderation — bezeichnenderweise auf dem Kreuzer „Colbert" — nach Quebec und ließ sich dort und danach auf dem 300 km langen historischen „Königsweg" am Nordufer des St. Lorenz Stromes zwischen Quebec und Montreal und schließlich in dieser Metropole des Frankokanadiertums von begeisterten Menschenmassen umjubeln. Die Weiterreise nach der Bundeshauptstadt Ottawa (wo der Staatsbesuch eigentlich — nach dem Protokoll — hätte beginnen müssen) brach er ab und kehrte vorzeitig nach Paris zurück. Er zeigte sich gekränkt, weil die Bundesregierung des Ministerpräsidenten Pearson über die häufig gebrauchte Anrede „kanadische Franzosen" entrüstet war. Pearson hatte gegen die Worte von der angeblich notwendigen „Befreiung" Quebecs protestiert und war dem Ausspruch entgegengetreten, den de Gaulle am 24. November 1967 vom Balkon des Rathauses von Montreal aus einer vieltausendköpfigen Menge zugerufen hatte: „ Vive le Quebec libre!“

Es sei dahingestellt, ob de Gaulle diesen Ruf — wie angenommen wird — wirklich mit Vorbedacht oder aus einer spontanen Eingebung heraus angesichts der ihm frenetisch zujubelnden Menge getan hatte. Ganz gewiß wollte er bedachtermaßen „ein Zeichen setzen", um für alle Welt sichtbar die Franko-kanadier des Rückhaltes von Seiten des französischen „Mutterlandes" zu vergewissern.

Nur, so fragte man sich doch auch: In welchem Sinne sollte das geschehen? Würde „Freiheit“ etwa zugleich „Bindung" an Frankreich bedeuten? Widersprach nicht die Bezeichnung , Frangais du Canada“ auch dem Selbstverständnis der separatistisch eingestellten Frankokanadier? Die meisten verantwortlichen Politiker distanzierten sich deshalb mehr oder weniger deutlich von den Worten des französischen Präsidenten.

Allenfalls mochte de Gaulle den Unabhängigkeitswillen in der ständischen Vertretung des Frankokanadiertums, die in den Etats Generaux du Canada trangais gegeben ist und die im Herbst 1967 in Montreal eine große Sitzung abhielt, wirklich gestärkt haben Und gewiß hat auch die von einem betont französischen Kulturbewußtsein erfüllte katholische Federation des Societes de Saint-Jean-Baptiste sich durch de Gaulle in ihren eigenen Über-zeugungen bestätigt gesehen. Diese großen Vereinigungen — so wichtig sie auch heute noch für das Gesellschaftsbild des französischsprachigen Kanada sein mögen — tragen aber selber keine unmittelbare politische Verantwortung.

Das Geschehen vom Sommer 1967 erscheint heute bereits als ein Stück Geschichte, zumal die damals handelnden Männer — wie der kanadische Ministerpräsident Pearson, der Ministerpräsident von Quebec, Daniel Johnson, der französische Staatspräsident de Gaulle — von der politischen Bühne abgetreten sind. Doch der innere Konflikt schwelt weiter; der Nationalitätengegensatz besteht nach wie vor. Gewiß haben vor allem die Bundesregierung unter Ministerpräsident Trudeau (die seit April 1968 besteht) und die Provinzregierung von Quebec unter Ministerpräsident Bourassa (die seit Mai 1970 im Amte ist) große Anstrengungen gemacht, die innere Krise zu überwinden. Trotzdem kann man auch heute — wie schon seit Jahren — von einer „Zerreißprobe" sprechen, der die kanadische Konföderation unterworfen ist Das trifft um so mehr zu, als aus der „stillen Revolution“ — wie man die immer stärker werdende Besinnung der Frankokanadier auf ihre Kultur, auf ihre eigene Nationalität und auf das Streben nach wirtschaftlicher und sozialer Gleichberechtigung bezeichnet hat — inzwischen der Versuch einer radikalen Minderheit hervorgegangen ist, mit Gewalt staatliche und gesellschaftliche Änderungen herbeizuführen und dabei die Provinz Quebec aus dem kanadischen Staatsverband herauszureißen.

II. Die kanadische Konföderation in der gegenwärtigen Bewährungsprobe

Wer den geschichtlichen Weg Kanadas bis in unsere Zeit hinein verfolgt hat, stellt folgendes fest: Seit geraumer Zeit steht die Einheit Kanadas auf dem Spiel. Auch die jetzt in sechs Büchern vorliegenden Untersuchungsergebnisse der Königlichen Kommission, die Premierminister Lester B. Pearson im Juli 1963 eingesetzt hatte, lassen daran keinen Zweifel. Die kanadische Regierung hatte der zehnköpfigen Kommission die Aufgabe zugewiesen, „die gegenwärtige Situation der Zweisprachigkeit und der zwei Kulturen in Kanada zu untersuchen, darüber zu berichten und Vorschläge zu machen, was für Schritte unternommen werden sollen, um zu erreichen, daß sich die kanadische Konföderation aufgrund einer gleichen Partnerschaft zwischen den zwei Gründerrassen entwickle" Schon seit dem ersten, im Jahre 1965 veröffentlichten „Vorläufigen Bericht" ist bekannt: Zwischen Anglound Frankokanadiern tut sich ein breiter Graben auf; der Wille zum Zusammenleben — zumindest in den gegebenen gesellschaftlichen und staatlichen Formen — scheint nicht mehr vorhanden. Die Folge: „Ce qui est en jeu, c'est l'existence meme du Canada."

Der Konflikt besteht nicht — auch das wird in dem Untersuchungsbericht deutlich gesagt — zwischen einer angiokanadischen Mehrheit und einer frankokanadischen Minderheit, sondern zwischen zwei groupes majoritaires, ist doch die Provinz Quebec zu 82 % französischsprachig und befindet sich in ihr die englisch-sprachige Bevölkerung — so gewichtig auch ihre wirtschaftliche Position ist — in einer Minderheitenstellung. Allein die Sonderstellung Quebecs kann aber — so wird argumentiert — sicherstellen, daß diese Provinz ihren französischen Charakter behält und intensiviert. Und wird diese Sonderstellung nicht im Rahmen einer modifizierten kanadischen Konföderation gewährt, ist die Autonomie Quebecs vorzuziehen, so wie Daniel Johnson es im März 1966 in einem Wortspiel gesagt hat: „Pas necessairement le separatisme, mais le spara tisme si necessaire." („Wir wollen nichtnotwendigerweise den Separatismus, ziehen aber — wenn notwendig, den Separatismus vor.) Heute ist nicht mehr so sehr die Union Nationale die parteipolitische Gruppierung in Quebec, die die Alternativforderung erhebt: Sonderstatut für Quebec oder Autonomie. Der Tod von Daniel Johnson und das mit der Nachfolge des sympathischen, aber politisch wenig profilierten Jacques Bertrand nur unbefriedigend gelöste Führungsproblem der Partei einerseits sowie die politische Dynamik von Rene Levesque und das breite Echo des von ihm erst vor wenigen Jahren gegründeten Parti Ouebecois andererseits haben das politische Kräftebild in der frankokanadischen Provinz verschoben und eben diese Quebecpartei zu einem Sammelbecken der Autonomiebestrebungen gemacht Als schlechthin separatistisch lassen sich diese Bestrebungen allerdings nicht abtun. Denn nach der zum Teil etwas verschwommenen politischen Zielsetzung des Parti Quebecois soll sich die Selbständigkeit Quebecs auf den innenpolitischen und kulturellen Bereich beschränken und sich nur bis zu einem gewissen Grade auch auf die Außenpolitik erstrecken; die wirtschaftlichen und militärischen Bindungen an das übrige Kanada sollen möglichst bestehen bleiben. Die staatliche Einheit Kanadas würde bei einer Verwirklichung dieser Ziele, die auf demokratischem Wege, nämlich mit dem Stimmzettel, angestrebt werden sollen, aber doch verloren-gehen.

Schon bei der ersten Teilnahme an Provinz-wahlen, am 29. April 1970, hat sich gezeigt, daß der Parti Quebecois eine starke Resonanz in der frankokanadischen Bevölkerung gefunden hat 23% der Stimmen entfielen auf diese Partei, und zwar vor allem zu Lasten der Union Nationale, die nur noch 25% der Stimmen erhielt, während sie in der voraufgegangenen Legislaturperiode (Juni 1966 bis April 1970) alleinige Regierungspartei gewesen war.

Diese Umschichtung der Wählerkreise hat unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts und einer sehr unterschiedlichen Wahlkreiseinteilung der liberalen Partei unter dem jungen Parteiführer Robert Bourassa große Vorteile gebracht. Denn während auf die Union Nationale nur 16 und auf die Quebec-partei nur noch 7 Mandate entfielen, erreichte die liberale Partei mit 45 0/0 der für sie abgegebenen Stimmen 72 Sitze; sie verfügt damit in der Assemblee Nationale Quebecs über eine klare Mehrheit

Die gleichartigen Regierungsverhältnisse auf Bundesebene und in der Provinz Quebec, wo jeweils die Liberalen regieren, mindern die Sezessionsgefahr und erhöhen die innere politische Stabilität. Gewiß hat sich unter diesen Gegebenheiten die schwere Staatskrise vom Herbst 1970 leichter lösen lassen, als es wohl bei einer anderen politischen Konstellation der Fall gewesen wäre. Es gab keine parteipolitischen Bedenken, als der liberale Bürgermeister von Montreal, Jean Drapeau, und der liberale Premierminister von Quebec, Robert Bourassa, die Bundesregierung unter dem liberalen Premierminister Trudeau um aktive Unterstützung gegen die sogenannte „Befreiungsfront von Quebec", die für die terroristischen Akte verantwortlich war, baten; denn, * so wurde zugegeben, die eigenen Kräfte seien nicht stark genug, um den „Versuch einer Minderheit abzuwehren, die Gesellschaft mit kriminellen Handlungen zu zerstören".

Ministerpräsident Trudeau handelte sofort und kompromißlos und machte davon am 16. Oktober dem kanadischen Unterhaus und der kanadischen Bevölkerung in einer Weise Mitteilung, die jeder demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft, die sich gegen Terror und politischen Radikalismus schützen will, zur Lehre gereichen kann: " I m speaking to you at a moment of grave crisis, when violent and fanatical men are attempting to destroy the unity and the free-dom of Canada. One aspect of that crisis is the threat which has been made on the lives of two innocent men. These are matters of the utmost gravity and I want to teil you what the Government is doing to deal with them. ..

It has now been demonstrated to us by a few misguided persons just how fragile a demo-cratic society can be, if democracy is not prepared to defend itself, and just how vulnerable to blackmail are tolerant, compas-sionate people. . .

At the moment the FLQ is holding hostage two men in the Montreal area, one a British diplomat, the other a Quebec Cabinet Minister. They are threatened with murder. Should the Governments give in to this crude blackmail we would be facing the breakdown of the legal System, and it's replacement by the law of the jungle. The Government's decision to prevent this from happening is not taken just to defend an important principle. It is taken to protect the lives of Canadians from dangers of the sort I have mentioned. Freedom and personal security are safeguarded by laws; those laws must be respected in order to be effective. ..

If a democratic society is to continue to exist, it must be able to root out the cancer of an armed, revolutionary movement that is bent on destroying the very basis of our freedoms. ..

This Government is not acting out of fear. It is acting to prevent fear from spreading. It is acting to maintain the rule of law without which freedom is impossible. It is acting to make clear to kidnappers, revolutionaries and assassins that in this country laws are made and changed by the elected representatives of all Canadians — not by a handful of seifselected dictators — those who would gain power through terror, rule through terror. The Government is acting, therefore, to protect your life and your liberty."

Mit der Verhängung des Kriegsnotstandsrechts, des sogenannten War Measures Act, eröffnete sich die Bundesregierung — mit Zustimmung fast des ganzen kanadischen Parlaments — die Möglichkeit, die örtlichen Polizeikräfte durch Soldaten zu verstärken, Haus-durchsuchungen durchzuführen, sofortige Verhaftungen vorzunehmen und den Front de

Liberation du Quebec (FLQ) aufzulösen Sie lehnte es ab, die Geiseln gegen ein hohes Lösegeld und gegen die Freilassung von 23 wegen früherer Terrorakte in Gefängnissen befindlichen FLQ-Angehörigen „einzutauschen“. Der glückliche Ausgang der Entführung von James Cross, der Anfang Dezember 1970 nur gegen das Zugeständnis, daß sich die Entführer ins Exil nach Kuba begeben könnten, die Freiheit wiedererlangte, macht deutlich: Auf der einen Seite darf man in der Ermordung des entführten Arbeitsministers Pierre Laporte nicht eine notwendige Folge des von der Regierung verhängten Ausnahmezustandes sehen; auf der anderen Seite hat die Regierung zweifelsohne einer weiteren Eskalation von Schreckenstaten Einhalt geboten und Recht, Freiheit und Ordnung geschützt.

Natürlich ist es als unbefriedigend empfunden worden, daß in Friedenszeiten zur Bekämpfung 30 eines inneren Notstands das Kriegsrecht herangezogen werden mußte. Demgemäß hat sich die Regierung Trudeau beeilt, ein Notstandsgesetz vorzulegen, dessen parlamentarische Beratung mit der Zustimmung von Seiten fast aller Unterhausabgeordneten Anfang Dezember 1970 abgeschlossen wurde. Dieses Gesetz ist nur bis zum 30. April 1971 befristet und bedarf bei Verlängerung oder gar Neufassung eines neuen Parlamentsbeschlusses. Nach Maßgabe dieses Gesetzes muß gegen jede inhaftierte Person spätestens innerhalb von sieben Tagen Anklage erhoben werden, wobei es dem öffentlichen Kläger obliegt, die Schuld des Beklagten festzustellen, und nicht umgekehrt dem Beklagten, seine Unschuld zu beweisen. Nach angelsächsischer Rechtsauffassung liegt die Beweispflicht beim Kläger.

Nachdem sich die verschiedenen Regierungsinstanzen auf Bundes-, Provinz-und kommunaler Ebene in der schweren Krise vom Herbst 1970 durchgesetzt, den Front de Liberation du Quebec aufgelöst, die Mörder von Pierre Laporte gefaßt und unter Anklage gestellt haben, liegt die Vermutung nahe, daß die kanadische Einheit damit bereits ihre Zerreißprobe bestanden hat. Doch dies ist mehr in einem machtpolitischen Sinne geschehen und nicht in einer von allen Bürgern bekundeten Bejahung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung Kanadas.

Gewiß, die Regierung fand im Oktober 1970 bei ihren energischen Maßnahmen eine breite Zustimmung in der kanadischen Bevölkerung, auch in der Provinz Quebec. Denn mit den terroristischen Praktiken und der maoistischanarchistischen Ideologie des F. L. Q. wollten auch diejenigen Frankokanadier, die ein autonomes Quebec wünschen und parteipolitisch dem Parti Quebecois nahestehen, nicht identifiziert werden. Diese Frankokanadier sind zumeist kleinbürgerliche oder bäuerliche Nationalisten, deren Abneigung gegen das englisch geprägte Kanada aus der Wertschätzung ihrer französischen Kultur, aus einem konservativen Katholizismus und nicht zuletzt aus dem Gefühl der sozialen Ungleichheit zwischen dem englisch-und dem französischsprachigen Kanada resultiert. Nach der Ermordung von Pierre Laporte beeilte sich Rene Levesque, der Chef der Quebecpartei, darüber öffentlich seiner Abscheu Ausdruck zu geben und einen deutlichen Trennungsstrich zwischen seiner Partei und den Terroristen, die er als ganz kleine, isolierte Gruppe sieht, zu ziehen.

Augenscheinlich hat sich sehr schnell die von Premierminister Trudeau am Abend des 16. Oktober 1970, also gleich nach Ausbruch der Krise, getroffene Voraussage bestätigt, daß nicht die Spaltung Kanadas die Folge der Gewaltakte seien, sondern umgekehrt die kanadische Gesellschaft in sich geschlossener, das Land gefestigter sein werde

In einem ähnlichen Sinne hat sich Professor Gilles Lalande, Montreal, ein Parteifreund von Premierminister Robert Bourassa, Ende November 1970 in einer Artikelserie geäußert. Sie beginnt mit der Feststellung, die separatistische Welle habe sich mit den Terrorakten diskreditiert und selber zugrunde gerichtet

Daraus ergibt sich für Lalande die Schlußfolgerung, aus der Oktoberkrise gehe der kanadische Föderalismus gestärkt hervor. Es habe sich gezeigt, wie das Zusammenwirken der provinziellen und bundesstaatlichen Regierungsebenen die Interessen der Einzelstaaten und des Gesamtstaates gewahrt und dem einzelnen schutzbedürftigen Bürger in der schweren Krise Sicherheit gewährt habe. Der Föderalismus — so meint Gilles Lalande in kriti-scher Distanz zu der von Rene Levesque vorgetragenen Skepsis — sichere die Zukunft des Frankokanadiertums

Man mag sich aber fragen, ob nicht Gilles Lalande die Entwicklung in Kanada und speziell in der Provinz Quebec zu optimistisch beurteilt. Schließlich ist auch zu fragen, ob nicht die einhellige Verurteilung der Terrorakte in der gesamten anglo-und frankokanadischen Öffentlichkeit mit dem Schock, den eben diese Gewaltakte ausgelöst haben, zu erklären ist. Auch Gilles Lalande kann nicht übersehen, daß der umfassende Einsatz kanadischer Truppen in der Provinz Quebec mit einer „militärischen Besetzung" verglichen worden ist und daß Rene Levesque das Ausmaß der Bundesentscheidungen zur Überwindung des Notstandes in Quebec scharf verurteilt hat

Es wäre wohl zu optimistisch, wollte man glauben, die kanadische Konföderation habe allein schon mit der Überwindung der Herbstkrisis von 1970 die Bewährungsprobe bestanden. Hierzu ist mehr erforderlich, vor allem der Nachweis, daß es sinnvoll und notwendig ist, die Einheit Kanadas zu wahren und zu festigen. Es fehlt nicht an entscheidenden Argu-menten für diese Einheit! Drei Gründe mögen besonders herausgestellt werden: 1. Die geographische Lage und die damit im Zusammenhang stehenden wirtschaftlichen Bedingungen.— Der St. Lorenz-Seeschiffahrts-weg verbindet die maritimen Provinzen, Quebec und Ontario, zu einer geographischen und ökonomischen Einheit. Wollte sich Quebec tatsächlich von seinen angiokanadischen Nadibarprovinzen im Westen und im Osten lösen, würde es schwere wirtschaftliche Einbußen erleiden. Die nur politische Sezession bei gleichzeitigem Fortbestehen der wirtschaftlichen Einheit würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so viele Gegensätze, Trennungslinien, Feindschaften, ja möglicherweise sogar eine bürgerkriegsähnliche Situation heraufbeschwören, daß darüber auch die Wirtschaftseinheit zerbräche, überdies kommen in der Nutzung der natürlichen Reichtümer an öl, Erdgas, Edelmetallen u. a. m. in den weiten arktischen Gebieten Aufgaben auf Kanada zu, die es nur erfüllen kann, wenn seine zehn Provinzen eine Einheit bilden. 2. Die Nachbarschaft zu den USA. — Kanada lebt — wie es am deutlichsten am Kapitalmarkt erkennbar ist — im Sog seines mächtigen Nachbarn im Süden. Ein geteiltes Kanada könnte sich diesem Sog wahrscheinlich nicht widersetzen. Will Kanada seinen eigenen „europäischen" Charakter, der sich vom amerikanischen „Schmelztiegel", von den Rassen-gegensätzen und von dem amerikanischen Republikanismus unterscheidet, bewahren, so muß es auf seinen staatlichen Zusammenhalt bedacht sein und auch die Bindungen an die britische Krone und das Commonwealth aufrechterhalten. 3. Das Gewicht der geschichtlichen Tradition, durch die bis in die persönlichsten Lebens-bezirke hinreichende Bindungen geschaffen wurden. — Die Teilung des Staates wäre zugleich auch die Teilung einer geschichtlich gewachsenen Einheit des Volkes. Am ärgsten betroffen wären Hunderttausende Franko-kanadier außerhalb der Provinz Quebec undHunderttausende Anglokanadier in der Provinz Quebec; sie würden als Minderheiten den bisherigen Rückhalt an ihrer jeweiligen groupe majoritaire weitgehend verlieren. Im Unterschied zur „separatistischen Ideologie", die bloße Theorie ist, kann der kanadische Föderalismus für sich in Anspruch nehmen, sich trotz mancher Schwächen geschichtlich bewährt zu haben, um das Verhältnis von Franko-und Anglokanadiern in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Diese Feststellung, die einer überzeugenden Aussage von Gilles Lalande folgt bedeutet nicht, daß unbedingt an allen bestehenden Formen festgehalten werden muß. Nur hat die Anpassung an neue Aufgaben und ein Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit nicht revolutionär, sondern evolutionär — in Fortführung des bisherigen geschichtlichen Weges — zu erfolgen.

Die kanadische Konföderation kann demnach ihre Bewährungsprobe nur bestehen, wenn ein dreifaches durchgreifendes Reformwerk bewerkstelligt wird, und zwar im sozialen, konstitutionellen und nationalen Bereich. Das ist im einzelnen zu begründen:

Das soziale Reformwerk Zwischen der Provinz Quebec und dem übrigen Kanada gibt es ein soziales Gefälle, das nur durch erhöhte Investitionen ausgeglichen werden kann. Die Arbeitslosenquote liegt in Quebec um 3 % über dem Bundesdurchschnitt (nämlich bei 8— 9%), nicht zuletzt auch als Folge der separatistischen Agitation. Denn diese hat viele . in-und ausländische Kapitalgeber von Investitionen abgehalten. Andererseits leistet die hohe Arbeitslosenquote und das — im Vergleich zum Bundesdurchschnitt — niedrigere Bruttosozialprodukt dem Separatismus Vorschub. So gesehen, lebt Quebec in einem „Teufelskreis" (Gerd Ruge). Die nationalistische Propaganda schadet der Wirtschaft; deren Schwächung wiederum gibt dem Nationalismus Auftrieb. Um diesen „Teufelskreis" zu durchbrechen, will der Ministerpräsident von Quebec, Robert Bourassa, in diesem Jahre 100 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Dieser junge, dynamische liberale Politiker, der sich als Professor für Jurisprudenz, Sozial-und Wirtschaftswissenschaften einen Namen gemacht hat, mag befähigt sein, sein Versprechen einzulösen

Bourassa hat als Weg den „wirtschaftlichen Föderalismus" vor Augen. Durch Schaffung eines verbesserten Finanzausgleiches unter den zehn kanadischen Provinzen und mit Hilfe eines aus Bundessteuern zu speisenden Konjunkturfonds soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, daß mehr kanadische Dollar für Investitionszwecke nach Quebec fließen. In der gleichmäßigen Nutzung, Mehrung und Verteilung der Reichtümer Kanadas sieht Bourassa den hauptsächlichen Sinn für den staatlichen Zusammenschluß der zehn Provinzen zu einer engen Konföderation. Der politische Föderalismus muß also zugleich auch ein „wirtschaftlicher" bzw. „gewinnbringender" Föderalismus sein, der ein gleichmäßiges wirtschaftliches Wachstum und einen gleichmäßigen Ertrag für den einzelnen Bürger — unabhängig von der jeweiligen Steuerkraft der einzelnen Provinz — sicherstellt. Die kanadische Selbsthilfe muß der ausländischen Kapitalhilfe vorausgehen. Daß Bourassa natürlich um ausländische Investitionen, auch gerade aus der Bundesrepublik, bemüht ist, beweist seine Europareise im Frühjahr dieses Jahres, die die Reise des Bundesministers für Industrie und Handel, Jean-Luc Pepin, in die Bundesrepublik im April dieses Jahres ergänzt Wenn zu den Investitionen andere wirtschaftliche Maßnahmen — wie Rationalisierung und moderne Wirtschaftsführung — hinzukommen, wird der Erfolg nicht ausbleiben. Mehr Arbeitsplätze und größere soziale Gerechtigkeit nach innen und im Verhältnis der Provinzen zueinander, so ist Bourassas feste Hoffnung, werden ganz wesentlich zur inneren Befriedung Quebecs beitragen.

Die konstitutionelle Reform Gegenüber den Tendenzen der Abkapselung und der Sezession muß sich der föderative Staatsgedanke durchsetzen. In Ottawa finden seit einigen Jahren regelmäßig Verfassungskonferenzen statt, die von der Bundesregierung in Ottawa und von den Provinzregierungen beschickt werden.

Bei diesen Beratungen geht es unter anderem darum, den vorliegenden Grundgesetzen der Britischen Nordamerika-Akte eine Revisionsklausel hinzuzufügen, die mit Zustimmung des Britischen Parlaments das Recht der Verfassungsänderung ausschließlich den gesetzgebenden Körperschaften Kanadas zuweist. Diese einzige konstitutionelle Bindung an das britische Parlament, die gegenwärtig in der Frage der Verfassungsänderung noch besteht, ist nicht deshalb schwer zu lösen, weil etwa britischerseits daran festgehalten wird. Vielmehr bereitet es bei den bisher in Kanada ausgearbeiteten Vorschlägen Schwierigkeiten, eine Formel zu finden, die — ohne einer Provinz Sonderrechte zuzubilligen — eine Majori-sierung der frankokanadischen Bevölkerung durch die Anglokanadier verhindert

Unbeschadet dieser rechtlichen Revisionsprobleme wird ausgiebig über eine Neugestaltung des Verhältnisses von Bund und Provinzen beraten, wobei Fragen der angemessenen Steuerverteilung einen breiten Raum einnehmen.

Ein Ende dieser Beratungen ist nicht abzusehen, und es ist nicht einmal möglich zu sagen, ob den vorliegenden Verfassungsgesetzen, insbesondere den British North America Acts, eine modifizierende Akte hinzugefügt wird, ob einer neugeschriebenen kodifizierten Gesamtverfassung der Vorzug gegeben werden soll und ob für die Provinz Quebec ein Sonderstatut zu verlangen ist. Erkennbar ist aber, daß die Reformvorstellungen auf eine Neubeiebung des föderativen Staats-gedankens hinauslaufen, auf dessen Grundlage sich allein — so Premierminister Bourassa — die frankokanadische Wirtschaft und Kultur entfalten können

Das Wesen des Föderalismus liegt bekanntlich in der Aufteilung der Kompetenzen zwischen einzelstaatlichen Regierungen und der Gesamtregierung, die zur Kooperation verpflichtet sind. Dadurch trägt der Föderalismus der regionalen Vielfalt eines Landes und zugleich seiner staatlichen Einheit Rechnung. Er gibt der Bevölkerung eines Landes Gelegenheit, im Sinne des Selbstverwaltungsgedankens unmittelbar am öffentlichen Geschehen und an der Wahl seiner leitenden Männer Anteil tu nehmen. Ferner stützt der Föderalismus die politische Freiheit, weil die Hauptgewalten im Staate, die exekutive, die legislative und die jurisdiktioneile Gewalt, nicht nur in der Vertikalen, sondern auch in der Horizontalen geteilt sind. Bei der konstitutionellen Reform in Kanada geht es eigentlich gar nicht in erster Linie um diese oder jene textliche Änderung der Verfassungsgesetze, sondern vielmehr darum, die Werte des Föderalismus — sie sind in der Zusammengehörigkeit von Freiheit und Föderalismus, von Einheit und Vielfalt (anstelle von Uniformität und einseitigem staatlichen Dirigismus) gegeben sind — deutlich zu machen.

Genau das geschieht unter der jetzigen Provinzregierung von Quebec. Der enge Mitarbeiter und Parteifreund des Ministerpräsidenten von Quebec, Gilles Lalande, weist darauf hin, wie anspruchsvoll die föderative Regierungsform ist, weil sie ständig auf der Suche nach tragbaren Kompromissen ist. Andererseits aber ist der Föderalismus seinem Wesen nach befähigt, die praktischen Probleme im Wirtschafts-und Sozialbereich in Angriff zu nehmen, hat er doch demokratisch legitimierte und miteinander kooperierende Instanzen auf verschiedenen Ebenen zur Verfügung

Die nationale Reform Bei Fortbestand der Nationalitäten, und zwar der englisch-und der französischsprachigen Kulturnation, muß der Prozeß der übergrei-fenden politischen Nationbildung im Sinne eines gesamtkanadischen Bewußtseins ermöglicht bzw. gestärkt werden.

Das eigenstaatliche Bewußtsein war anfänglich in den einzelnen angiokanadischen Provinzen so stark, daß etwa die kleine Prinz-Eduard-Insel, die nur reichlich doppelt so groß ist wie das Saarland, erst nach Jahren der Konföderation beitrat, obwohl seinerzeit in ihrer Hauptstadt die entscheidenden Verfassungsberatungen stattgefunden hatten. Die Gleichartigkeit der Sprache, Kultur, Religion, Lebensauffassung und die heute wesentlich erleichterten Kommunikationsmöglichkeiten (vor allem durch das Flugzeug, das in Kanada ein wesentlicher Verkehrsträger ist) haben die „angiokanadische Nation" entstehen lassen. Das führte dazu, daß die Anglokanadier nicht in „provinziellen Kategorien" denken und weit mehr als die Frankokanadier bereit sind, einzelstaatliche Entscheidungen den Bundes-organen in Ottawa zu übertragen, zumal in ihnen — rein zahlenmäßig — das anglokana-dische Element bei weitem überwiegt

Demgegenüber verstehen sich die Frankokanadier auch als eine Nation, und sie möchten aus der Provinz Quebec ihren „nationalen Staat“ machen, wie Daniel Johnson gesagt hat. Die von ihm ausgegebenen Parolen „faire du Quebec un Etat national“, „aspirer ü la souverainete“ („Gestalten wir Quebec um zu einem nationalen Staat", „Streben wir doch zur Souveränität!") können aber eine große Sprengkraft besitzen, wenn es nicht gelingt, diese Vorstellungen klar gegenüber dem Seperatis-mus abzugrenzen und einer übergreifenden politischen Nationbildung — bei Fortbestand der beiden Kulturnationen — Raum zu geben.

Dafür setzt sich — wie seine Amtsvorgänger — der heutige Ministerpräsident Bourassa mit Nachdruck ein; doch er nennt einleuchtende Voraussetzungen, die dafür erfüllt sein müssen: die absolute Gleichstellung der franzö-sisdien Sprache mit der englischen in den Bundesorganen (Regierung, Parlament, Oberste Gerichtshöfe, Streitkräfte u. a. m.) und die Vorrangigkeit der französischen Sprache in der Provinz Quebec. Seitdem Ministerpräsident Lester B. Pearson 1963 die Kgl. Kommission zur Untersuchung der Verhältnisse der beiden Sprachen und Kulturen eingesetzt hat, sind große Anstrengungen gemacht worden, in allen Bundesorganen auch die französische Sprache zur Geltung zu bringen. So hat heute die Bundeshauptstadt Ottawa auch nach außpn hin mehr den Charakter einer zweisprachigen Stadt, als es noch Anfang der sechziger Jahre der Fall war. Der Nachfolger von Pearson, der liberale Ministerpräsident Pierre Trudeau, verkörpert in seiner Person vorzüglich den angestrebten bilinguisme und biculturalisme, und er gibt wie viele Kanadier, die sich zur geistigen und politischen Elite des Landes rechnen, damit ein Vorbild ab. Heute dürften sehr viel mehr als nur 4 % der Anglokanadier die französische Sprache sprechen, wie es die letzte Erhebung von 1961 erwiesen hat

Um die führende Stellung der französischen Sprache in der Provinz Quebec sicherzustellen, muß sie auch zur herrschenden Sprache in der Arbeitswelt werden. Die Tatsache, daß das Kapital überwiegend in amerikanischer oder angiokanadischer Hand ist, hat dazu geführt, daß in den Betrieben Quebecs die leitenden Stellungen oft von Anglokanadiern besetzt sind und daß diese generell auf das Englische als Betriebssprache Wert legen. Diesen Tatbestand hält Bourassa — in Übereinstimmung mit wohl allen Frankokanadiern — für untragbar Wie durchgreifende Änderungen herbeigeführt werden können, hat Bourassa am 29. Juni 1970 in Montreal den Wirtschaftsführern der Provinz im einzelnen erläutert und dabei zur Eile gedrängt

Obwohl die kanadische Konföderation schon über hundert Jahre alt ist, steht der Prozeß der übergreifenden Staats-und Nationbildung noch an seinem Anfang. Wird dieser Prozeß mit Erfolg weitergeführt werden können? Es gibt Anzeichen, die bedenklich stimmen Und am Erfolg aller Reformanstrengungen — im sozialen, konstitutionellen und nationalen Bereich — zweifeln lassen können

Gerade in den geistig führenden Schichten Quebecs — so in den Universitätskreisen — gibt es Frankokanadier, die an eine grundlegende Verfassungsreform und an die Herstellung einer equal partnership unter allen Kanadiern nicht oder nicht mehr glauben, so etwa Jacques-Yvan Morin, Professor für Jurisprudenz und politische Wissenschaften an der Universität Montreal. Er befürwortet heute den „demokratischen und geordneten Weg“ zur Unabhängigkeit, während er noch vor einigen Jahren für ein Sonderstatut Quebecs als angemessener Form des „institutionalisierten Dualismus" eintrat; letzteres hieß seinerzeit: nach einem „Jahrhundert der Illusionen" sollte eine tatsächliche, von zwei Nationen getragene lose Konföderation geschaffen werden Doch heute glaubt Morin nicht mehr an diese Möglichkeit, ebensowenig wie sein Kollege, der Historiker Maurice Seguin.

Seguin stellt die Geschichtswissenschaft in den Dienst ganz einfacher, aber letztlich unbewiesener Thesen: Das zahlenmäßig schwächere Volk sei in einer Föderation immer ein „annektiertes“ Volk. Die „anglo-amerikanische Eroberung" um 1760 sei als „furchtbarste Katastrophe" über das französische Kanada hereingebrochen. Die Unabhängigkeitsbewegung der Gegenwart gehe von der „geschichtlichen Realität" des vor 1760 gegebenen „Separatismus" aus, der verstanden wird als das Alleinsein der Frankokanadier in ihrem Lebensraum. Aufgrund der britischen Eroberung seien sie der Möglichkeit beraubt worden, einen echten .französischen Staat" in Nordamerika zu bilden. Die Selbstverwaltung Quebecs in der Konföderation von 1867 sei eine zeitbedingte „Zwischenlösung", um mit Hilfe der britischen Krone dem Übergriff der USA zu entgehen. Aber die Rückkehr des französischen Kanada zum Etat separe bleibe die geschichtliche Aufgabe

Hier fließen in die Betrachtung des geschichtlichen Weges Kanadas seit dem 18. Jahrhundert so viele Emotionen und Aversionen ein, daß eine rationale Auseinandersetzung mit der Schrift, wie sie Professor Gilles Lalande ver-sucht hat, den Autor selbst wohl niemals von seinen Vorstellungen abbringen wird. Aber gewiß trägt Lalande dazu bei, die Wirkung einer solchen Schrift zu mindern

In dieser kritischen Auseinandersetzung, die viel Beifall gefunden hat, liegt ein hoffnungsvolles Zeichen. Dieses Zeichen kann wie auch manches andere den Glauben an die Zukunft der kanadischen Konföderation, nämlich an das partnerschaftliche Zusammenleben zweier Kulturnationen in einem staatlichen Gemeinwesen, stärken.

Schließlich ist auch das folgende nicht zu übersehen: Sowohl die Untersuchungsergebnisse der Kgl. Kommission als auch die von nur wenigen Terroristen herbeigeführte Staatskrise im Herbst 1970 haben viele Kanadier wachgerüttelt. Der Säkularisierungsprozeß, der bei den Franko-und bei den Anglokanadiern gleichermaßen zu beobachten ist und gewiß seine bedauerlichen Seiten hat, vermindert andererseits den starken Einfluß des konservativen katholischen Klerikalismus bzw.des protestantischen Puritanertums auf das öffentliche Leben — und auch aus diesem Grunde ist es denkbar, daß sich die angiokanadische und die frankokanadische Gesellschaft einander stärker angleichen, als das bisher geschehen konnte. Wenn die Doppelsprachigkeit des Landes die Chancengleichheit im gesamten beruflichen Leben ermöglicht und wenn eine wechselseitige Überfremdung kultureller oder weltanschaulicher Art nicht mehr befürchtet wird, kann endlich die fruchtbare Begegnung von Anglound Frankokanadiertum stattfinden.

Noch steht die kanadische Konföderation in der Bewährungsprobe. Diese kann erst als bestanden gelten, wenn die Gründe, die für die staatliche Einheit Kanadas sprechen, wenn die soziale Disparität im Lande überwunden ist, der Föderalismus die innerstaatliche Kooperation garantiert und der Prozeß der übergreifenden Nationsbildung gelingt. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, eröffnen sich dem in sich gefestigten Kanada große politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Möglichkeiten; wie kaum ein anderer Staat dieser Erde ist Kanada „ein Land der Zukunft". Wenn Kanada als ein Land und als eine politische Nation, die die beiden Kulturnationen umschließt, seine Kräfte zu entfalten und sein großes internationales Ansehen zur Geltung zu bringen vermag, dann kann es nach Ansicht des Geschichtsprofessors Ballantyne aus Montreal für alle, die sich um die politische Einigung Europas bemühen, ein Vorbild abgeben. Seine Schlußfolgerung verdient deshalb auch unsere volle Zustimmung: „II faut e Canada.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gefordert wurden u. a.: die Freilassung von 23 politischen Gefangenen (die z. T. wegen schwerer Raubüberfälle, Brandstiftung und anderer Straftaten in Haft saßen) und ihre ungehinderte Ausreise nach Kuba oder Algerien; — die Zahlung von S 500 000 Lösegeld in Gold; — Verzicht auf Maßnahmen gegen die Entführer; — genaue Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Forderungen und Ziele des sogenannten „Front de Liberation du Quebec" (FLQ). Angaben aus: Archiv der Gegenwart, Bonn — Wien — Zürich, Folge 46/1970, S. 15 855; ebenda (S. 15 856) auch nähere Angaben über den FLQ. Dieser wurde 1962 geDarstellung

  2. Robert Lacour-Gayet, Histoire du Canada, Paris (Fayard) 1966. Zur französischen Kolonialzeit vgl. Chanoine Lionel Groulx, Histoire du Canada Francais, 2 Bde., Montreal und Paris 1960; Marcel Trudel, Histoire de la Nouvelle Frane, I—III, Montreal und Paris 1963.

  3. Zur britischen Kolonialherrschaft vgl. John S. Moir /Robert E. Saunders, Northern Destiny — A History of Canada, Toronto 1970; ferner Edgar Mc Innis, Canada — A Political and Social History, Toronto — Montreal 1947, 19693. Uber die Auswirkung der britischen Herrschaft auf die Franko Kanadier liegt die große Untersuchung vor: Mason Wade, The French Canadians 1760— 1967, 2 Bde Toronto 1955; 19682. Für die ersten drei Jahrzehnte der britischen Herrschaft ist auch zu nennen: Hilda Neatby, Quebec — The revolutionary Age 1750 till 1791, Toronto 1966. Jean Hamelin, Le Canada Frangais. Son evolution historique 1437 — 19071 Trois-Rivieres 1968.

  4. Vgl. Andre Latreille, La France de Louis XV, in: Histoire de la France, Bd. 1, Paris (Hachette) > 950, S. 483.

  5. Vgl. dazu Hans Graf, Probleme der britischen Reichspolitik in Kanada — Die Rebellion von 1837, Marburg 1960 (Schriften der Philipps-Universität,

  6. „Je croyais trouver ici une lutte entre le gouvernement et le peuple, or j'y ai trouve le conflit de deux nations au sein d'un mme Etat, j'y ai trouve une guerre non de principes, mais de races." Zit nach Notre Histoire (Autorenkollektiv mit u. a.: Denys Bousquet /F. W. Gibson), Ottawa 1964, S. 52.

  7. Rapport preliminaire de la Commission royale d'enquete sur le bilinguisme et le biculturalisme, Ottawa, Febr. 1965, S. 20.

  8. über Macdonald und über Cartier, zwei der „Gründungsväter" der kanadischen Konföderation, liegen neuere Studien vor, und zwar von Peter B. Waite bzw. Jean-Charles Bonenfant, in der Sammlung: Les idees politiques des Premiers ministres du Canada /The Political Ideas of the Prime Ministers of Canada, Ausgabe der Universität Ottawa in der Reihe „Les Conferences Vanier /The Vanier Lectures", Nr. 2, Ottawa 1968, S. 51 ff. und S. 31 ff.

  9. Zur Verfassung siehe folgende Textveröffent-lichung: A Consolidation of the British North America Acts 1867 to 1965, hrsg. von Elmer A. Driedger, Ottawa 1967. Die Verfassungssituation Kanadas wird in folgenden Schriften zutreffend beschrieben: Bernard Bissonnette, Essai sur la Constitution du Canada, Montreal 1963; Le Systeme politique du Canada — Institutions föderales et quebecoises, Sammelband hrsg. von Me Louis Sabourin, Ottawa 1968; Ronald I. Cheffins, The Constitutional Process in Canada, Toronto 1969.

  10. Dies ergibt — laut Artikel 22 der Britischen Nordamerika-Akte — folgende Aufteilung: On-tano, Quebec, die maritimen Provinzen (ohne Neufundland) und die Westprovinzen entsenden je 24 Senatoren in den Senat; hinzu kommen 6 Senatoren aus Neufundland. Vgl.: A Consolidation of tne British Nor'h America Acts 1867 to 1965, a. a. O„ S. 6.

  11. über die politischen Ideen und Handlungen des Premierministers Wilfried Laurier unterrichtet neuerdings: Paul Stevens, in: Les ides politiques des premiers ministres du Canada, a. a. O., S. 69 ff.

  12. Das Westminster-Statut ist u. a. veröffentlicht in: Verträge zur Zeitgeschichte 1918— 1939 — Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Erhard Klöss, München Dez. 1965, dtv-Dokumente, Bd. 334. Zu beachten ist in dem Westminster-Statut der grundlegende § 4 (ebda. S. 176): „Kein Gesetz des Parlamentes des Vereinigten König-reiches, das nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergeht, erstreckt sich oder soll so angesehen werden, als ob es sich erstredete, auf ein Dominion, als Teil des Rechts dieses Dominions ..."

  13. Vgl. hierzu den wichtigen Beitrag von Oswald Hauser, Kanada als nationales Problem, in: Saeculum-Jahrbuch für Universalgeschichte, Bd. 15, Freiburg—München 1964.

  14. Ebenda, S. 92.

  15. Vgl. u. a. von Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1. Bd. (mit dem Beitrag: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus), 4. Auflage, Tübingen 1947.

  16. Dieser exklusive Nationalismus führte in der Publizistik zu eindeutig separatistischen Zielsetzungen, wie u. a. in der Schrift von Wilfrid Monn, L independance du Quebec — Le Quebec aux Quebecois, Montreal 1938, erkennbar ist.

  17. Daniel Johnson, galit ou Independance, Montreal-Ottawa 1965. Trotz der irischen Herkunft er Familie väterlicherseits war Daniel Johnson our und durch Frankokanadier. Während er — wie, Titel seiner Schrift zeigt — dem Zusammenle der Franko-und Anglokanadier in einem gemenn samen Staate noch eine Chance einräumte, gings andere zu einem klaren Separatismus über, w etwa Raymond Barbeau, J'ai choisi l'independanc , Montreal 1961. Barbeau setzt seine Hoffnung das erst in der Idee bestehende „neue Vaterlanon Laurentie (so der Name in Anlehnung an St. -Lorenz-Strom).

  18. Vgl. u. a.; Quatre elections provinciales au Auebec 1956— 1966, vergleichende Studie mehrerer utoren, hrsg. von Vincent Lemieux, Quebec 1969.

  19. Uber de Gaulles Staatsbesuch in Quebec und über seinen Zusammenstoß mit der kanadischen Bundesregierung unterrichtet eingehend: Archiv der Gegenwart, 37. Jg., 1967, S. 13322 ff.

  20. Louis Sabourin, „Vive le Quebec libre“ —• deux ans apres: une affaire de 1‘Histoire ou une histoire ä faire?, in: Le Devoir, Montreal, 23. Juli 1969.

  21. Vgl. Le Droit, Tageszeitung Ottawa, 27. 11. 1967.

  22. Vgl. Kurt Jürgensen, Die kanadische Konföde ration in der Zerreißprobe, in: Geschichte in Wi senschaft und Unterricht, März 1967; ders., Kana am Scheideweg. Verschärfter Nationalitätengegen satz in der kanadischen Konföderation, in: Europ Archiv, Jan. 1968.

  23. Zitiert aus: Archiv der Gegenwart, Folge 1970, S. 15856.

  24. Rapport preliminaire, a. a. O., S. 127.

  25. Le Droit, Tageszeitung, Ottawa, 7. 3. 1966

  26. Vgl. u. a.: Rene Levesque, An Option for Quebec, Toronto 1968 (englische Übersetzung der im selben Jahr in Montreal erschienenen französischen Originalausgabe).

  27. Vgl. u. a.: James William Hagy, Le Parti quebecois in the 1970 Election, Toronto Sept. 1970.

  28. Als vierte Partei in der Nationalversammlung von Quebec sind die Creditistes, eine rechts-stehende Wirtschaftspartei, zu nennen, die mit 12 °/o der abgegebenen Stimmen 13 Sitze erlangt hat. — Die Mandatsverteilung in der Nationalversammlung sieht so aus (in Klammern der dazugehörige prozentuale Stimmenanteil):

  29. Im gegenwärtigen kanadischen Unterhaus, das die liberale Bundesregierung des Premierministers P. E. Trudeau trägt, besteht folgende Sitzverteilung (gemäß den Wahlen vom Juni 1968):

  30. Rundfunk-und Fernsehansprache von Minister Präsident Trudeau vom 16. Okt. 1970, ebda.

  31. Zum Verbot des FLQ siehe Erklärung de Generalgouverneurs Roland Michener auf der Grundlage des War Measures Act: Regulations provide emergency powers for the preservation public Order in Canada (Public Order Regulation , 1970), 16. Okt. 1970. Dokumentensammlung der kanadischen Botschaft, Bonn, zur Oktober-Krise 19

  32. Rundfunk-und Fernsehansprache von Ministerpräsident Trudeau, 16. Okt. 1970, ebenda: „I am confident that those persons who unleashed this tragic sequence of events with the aim of destroying our society and dividing our country will find that the opposite will occur. The result of their acts will be a stronger society in a unified country. Those who would have divided us will have united us."

  33. Gilles Lalande, in Le Devoir, Montreal, 20. Nov. 1970: „La vague separatiste qui deferlait sur le Quebec depuis bientt dix ans vient de mourir. Elle s’est brisee peut-on dire sur les recents exces du F. L. Q. ou Front de Liberation du Quebec. Telle est la principale conclusion qui, ä mon sens, se degage sur le plan politique de la crise d'octobre * 70.“

  34. Ebenda, 21. Nov. 1970: „Le fait est que la popoulation de cette province a pu ressentir ä l'occasion de cette crise, de la facon la plus concrete qui soit, ce que constitue en pratique le federalisme ... Les faits eux-memes se sont diarges de rvler aux Quebecois la vertu essentielle de tout federalisme authentique, ä savoir la garantie que donne l'existence de deux niveaux de gouvernement . . . Cela signifie tout simplement que le citoyen ordinaire du Quebec n'a pas pu Fester insensible ä la scurit que lui ont assuree en ces moments difficiles les moyens concertes de deux ordres de gouvernement qui se sont portes ä la defense d’intrts communs."

  35. Ebenda, 21. Nov. 1970: „Peu importe ä l’immense majorite des citoyens du Quebec qu’on pretende en certains milieux que le deploiement des forces armees canadiennes au Quebec (et ä Ottawa) aitpris , 1'allure d'une occupation militaire', si cette popu-lation s'est sentie effectivement protge par les mesures auxquelles les gouvernements ont eu recours. Et peu lui Importe qu'on lui parle, comme Rene Levesque l'a fait le 16 octobre dernier au plus vif de la crise, des conditions dictees par le gouvernement d'Ottawa et transmises par celui de Quebec', si cette population a le sentiment que ces conditions etaient les plus appropriees dans les circonstances."

  36. Ebenda, 21. Nov. 1970: „Le premier merite du federalisme au Canada est d'exister et par consquent denglober toute la ralit quebecoise. Ce nest pas une Ideologie comme le separatisme ou une vue d esprit comme la these souverainete-

  37. Bourassa hat in einer Denkschrift (auszugsweise veröffentlicht in Le Devoir, 8. 6. 1970) die wirtschaftliche Situation Quebecs so beschrieben: „La relance de l’conomie quebecoise est une priorite fondamentale du gouvernement actuel. Et on comprendra facilement pourquoi. A l'heure actuelle, le taux de chömage au Quebec s'etablit aux environs de 8, 5% de la main-d'oeuvre; au-delä de 40 °/o des chömeurs au Canada sont concentres au Quebec. Mais ce n'est pas tout: par rapport ä l’ensemble du Canada, notre taux comparatif d’investissement s'etablit presentement autour de 20 %. Or, le Quebec comprend 28, 5 % de toute la population du pays.“

  38. Während Ministerpräsident R. Bourassa am 15. April 1971 bei einem inoffiziellen Besuch in der Bundesrepublik mit deutschen Wirtschaftsführern in Düsseldorf Verhandlungen geführt hat, ist beim offiziellen Besuch von Industrie-und Handelsminister J. L. Pepin am 16. April 1971 ein auf zunächst 5 Jahre befristetes Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Kanada über wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit abgeschlossen worden. Vgl. die offizielle Mitteilung im Bulletin der Bundesregierung Nr. 59 (20. 4. 1971), S. 620. Vgl-ebenda Nr. 61 (23. 4. 1971), S. 631 den Bericht „Erweiterte Zusammenarbeit mit Kanada“; er unterrichtet über die Gespräche, die der kanadische Minister Pepin mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Prof. Dr. Leussink und dem Bundeswirtschaftsminister Prof. Dr. Schiller geführt hat.

  39. über die rechtlichen Probleme der Verfassungsreform unterrichtet u. a.: Guy Favreau, Modt cation de la Constitution du Canada, Ottawa 190

  40. Bourassa in seiner Regierungserklärung vom Juni 1970, in Le Devoir, 10. 6. 1970: „II est dans le double intrt du Quebec et du Canada que notne personnalite culturelle trouve son plus Large epanouissement ä l'interieur de 1‘ensemble federa. (Auszüge in Le Devoir, 24. 2. 1971).

  41. Gilles Lalande, am 21. Nov. 1970 in Le Devoir: »Le federalisme n’est donc pas une panacee. C’est peut-etre mme la plus exigeante des formes de gouvernement. Or n'est -ce pas lä ce qui fait peur a plusieurs membres de l’elite canadienne-frangaise du Quebec? Leur aversion pour le federalisme, est-on porte ä se demander, ne tient-elle pas ä ce quil s'efforce de susciter le compromis comme linstrument habituel de gouvernement'? On comprendrait alors qu'il soit rejet par ceux qui se sentent incapables de reconcilier les principes de 1 autonomie et de la solidarite ... Le federalisme ou l’esprit federaliste, puisque c’est bien ce dont il sagit, est ouvert par definition. Rien ne le rebute dans les limites que lui trace le bon sens. Le federalisme, est-il besoin de le souligner encore avec force, n elimine aucune remise en question. Que ce soit le Statut politique et constitutionnel du Quebec, que ce soit la Philosophie du Systeme socio-economique qui nous regit, que ce soit ä la imite le federalisme lui-meme, tout peut etre discute loyalement et renegocie dans le cadre du t dralisme. Et par surcroit, le federalisme par sa tecnique administrative elle-meme permet de freer les institutions adequates correspondant ä ous les problemes qui se posent dans une societe. ”

  42. Vgl. Daniel Johnson, Egalite ou Independance, a. a. O., S. 52.

  43. Canada 1970, Handbuch der kanadischen Bundesregierung, Ottowa 1969, S. 105.

  44. Bourassa am 9. 6. 1970 in einer Regierungserklärung: „II est inadmissible que dans un Quebec dont la population est en majorite francophone, il soit trop souvent impossible d'utiliser le francais comme langue de travail. Cette Situation doit cesser." Vgl. Le Devoir, 10. 6. 1970.

  45. Bourassa: „Je vous presse d'agir avec le plus de rapidite possible, car la Situation est urgente II nous faut donner la preuve, au cours des prochaines annees, que le Quebecois francophone est capable, sans briser les liens qui l'unissent au Canada, de travailler, de vivre et de russir dans sa propre langue." Ebenda, 30. 6. 1970.

  46. Von einem tiefen Pessimismus ist beispielsweise das Buch von Jacques Cotnam, Faut-i inventer un nouveau Canada?, Toronto 1966, getragen; am Ende (S. 247, 248) sagt der Autor: , Ce dont nous sommes certain, c'est que la Situation d'inferiorite dans laquelle vivent prsentement e 5 Canadiens francais doit cesser. ..apres avoir dresse ce triste bilan de la vie canadienne, nous cachons difficilement notre pessimisme quant a l'avenir du Canada, pays bilingue et biculturel Als ultima ratio gibt es nach Cotnams Auffassung nur die völlige Unabhängigkeit Quebecs-

  47. Jacques-Yvan Morin am 19. 2. 1966 in Le Devoir, Montreal: „Le probleme aujourd'hui est de definit un nouvel equilibre entre les deux peuples. ... Le . biculturalisme'n'a plus aucune espece de ralit sans le dualisme politique. ... Le veritable probleme consiste ä definir un dualisme institutionnel qui soit efficace . . . Pour l'avenir previsible, la forme de dualisme la plus propriee me parait etre le Statut particulier ..." Derselbe am 21. 9. 1970 ebenda in einem offenen Brief an Ministerpräsident Bourassa: „Pour ma part, j'estime qu une veritable revision de la Constitution canadienne est devenue impossible, tant donne les tendances profondement divergentes qui animent le Quebec et le Canada anglais. . . . Etant partisan d une accession democratique et ordonnee ä l’indPendance, j'estime qu'il convient que vous evitiez de lier les mains du Quebec plus qu'elles ne le sont dejä."

  48. Maurice Seguin, L’Ide d’Tndpendance au iok » ec — Genese et Historique, Trois-Rivieres

  49. Gilles Lalande am 21. November in Le Devoir: „On ose ä peine croire que des gens intelligents tiennent en 1970 de tels propos (gemeint sind die Ausführungen von Seguin) sur la place publique alors qu'ils savent pertinemment que le federalisme est le seul choix qui s'offre pour assurer, selon la raison, le progres des Canadiens franais."

  50. Zitiert aus: Kanada-Post, hrsg. von der Deutsch-Kanadischen Gesellschaft, Hannover, September 1968, S. 2.

  51. Vortrag von Murray Ballantyne, Un pays -deux cultures, im Sammelband Le Canada au senil du siede de l'abondance. Entretiens de Cerisy-la Salle 1968, Montreal 1969, S. 218: „Les deux lan gues et les deux cultures du Canada ne doivem pas s’assimiler. Notre vocation est le mariage plutt que l'assimilation. Nous devons rechercher l’union plutt que l'unite.... Quelle leon exd tante le Canada donnerait ä notre dechire par les guerres, s’il manifestait l'harmonie et la Cooperation de deux peuples. S’il nous est impossible de le faire au milieu des grandeurs, des espaces et des richesses de notre Nouveau Monde, quel espoiry aurait-il alors de voir jamais se reunir les morceaux complexes de cette vaste mosaique qu’est l’Europe? II faut le Canada."

Weitere Inhalte

Kurt Jürgensen, Dr. phil., geb. 20. August 1929 in Flensburg, seit 1963 Lehrauftrag mit besonderer Berücksichtigung der Historischen Gegenwartskunde am Historischen Seminar der Universität Kiel, Frühjahr 1966 und 1970 Gastdozent an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Ottawa, Kanada. Veröffentlichungen u. a.: Lamennais und die Gestaltung des belgischen Staates. Der liberale Katholizismus in der Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1963; Die Gründung des Landes Schleswig-Holstein nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Aufbau der demokratischen Ordnung in Schleswig-Holstein unter dem ersten Ministerpräsidenten Theodor Steltzer 1945— 1947, Neumünster 1969; mehrere Aufsätze — u. a. in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht und im Europa-Archiv.