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Aus der Sicht eines Mentors | APuZ 22/1971 | bpb.de

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APuZ 22/1971 Grundgesetz und Sittengesetz Aufgaben und Probleme des Schulpraktikums Aus der Sicht eines Studenten Aus der Sicht eines Mentors Aus der Sicht eines Dozenten Erwiderung auf den Aufsatz von Helmut Keil — „Grundschulpraktikum 1970" Entgegnung auf Wolfgang Hinrichs Kritik an meinem Aufsatz „Grundschulpraktiken 1970"

Aus der Sicht eines Mentors

Werner Holtrode:

/ 3 Minuten zu lesen

I.

Die Schule ist ein Kind unserer Gesellschaft. Zwischen beiden bestehen vielseitige Wirkzusammenhänge. Es ist also durchaus in der Ordnung, daß die Gesellschaft entsprechend ihrer jeweiligen Strukturierung Erwartungen, Ansprüche, Forderungen an die Schule hat, konkrete, zeitbedingte Forderungen. Der Erzieher sieht sich in ein Spannungsfeld versetzt, da er sich nicht nur der Gesellschaft verpflichtet weiß, sondern gleichzeitig jedem einzelnen Schüler. Einerseits sieht er den Schüler aus der ihm als Erzieher eigenen Sicht und aus der Perspektive der Eltern, die individuelle Vorstellungen vertreten. Andererseits muß er den Standpunkt unserer technisch-industriell orientierten Gesellschaft einnehmen. Die Anstrengungen, besonders der letzten Jahre, seitens der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen machen deutlich, daß die Schule zum ungeratenen Kind der Gesellschaft geworden ist, das wieder zur Räson — sprich Leistung — gebracht werden muß. Neue Organisationsformen sollen — wenngleich sie für den pädagogischen Akt nur von sekundärer Bedeutung sein können — die Schule den Bedürfnissen der Zeit anpassen. Begriffe wie Rationalisierung der Schulorganisation, Schulordnung und Schulverwaltung vermögen die Umbruch-situation, in der sich der Praktiker befindet und die er letztlich selbstverantwortlich zu bewältigen hat, zu erhellen.

Der Praktiker sieht sich einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. Wer nicht von sich sagen kann: „Gewußt hab ich's ja immer schon“, muß umdenken, muß sich damit abfinden, daß das statische Moment in der Schule dem dynamischen Platz machen muß, daß Prinzipien, Maximen, die er für unumstößlich hielt, ins Wanken geraten. Unbehagen hat sowohl den mehr progressiven als auch den mehr konservativen Lehrer erfaßt.

II.

In diese Atmosphäre des Unbehagens, der Unsicherheit sieht sich der Student während des Blockpraktikums hineinversetzt. Hier soll er praktische Erfahrungen sammeln, pädagogische Grundsätze und Erkenntnisse realisieren.

Was er für dieses Unterfangen an Voraussetzungen mitbringt, ist aus der Perspektive des Praktikers gesehen häufig unzureichend. Selbst wenn er über den gegenwärtigen Stand der theoretischen Diskussion informiert ist und sich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft und Forschung, mit den verschiedensten pädagogischen Standpunkten rational auseinandergesetzt, ja sich bereits spezialisiert hat, erscheinen manchem Mentor die Erfahrungen des Studenten aus den punktuellen Begegnungen mit der Schulwirklichkeit im Tagespraktikum — über dessen Effekt an anderer Stelle nachgedacht werden müßte — zu dürftig. Der Student von heute, dem infolge der breitangelegten Demokratisierungsbemühungen eine weit größere Mündigkeit zugebilligt wird als je einem Studenten anderer Epochen —die Frage nach der tatsächlichen Mündigkeit sei dabei gar nicht gestellt —, kommt in eine Schulwirklichkeit, die ihm weithin fremd erscheinen muß. Er kritisiert, belächelt, verurteilt, verdammt, hält Ansätze für fragwürdig, Ziele für illusionistisch, wirft unerbittlich Fragen auf, die die Substanz der Schule berühren, das System in Frage stellen und bezweifeln, daß die Schule von heute den Menschen, die im Jahre 2000 die Geschicke der Welt mitbestimmen sollen, wesentliche Hilfen bietet. Ob er nun provozierend fragt oder nur behutsam Kritik ansetzt — ausgenommen die Gruppe derer, die nichts sehen, nichts finden, die Gruppe der Oberflächlichen, die es in jedem Lager, jedem Beruf gibt —: er wittert die substantielle Misere. Seine Kritik abzutun mit Schlagwörtern wie extremistisch, radikal, politisiert, unreif, wäre unklug.

Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist eine Realität. Der Student kennt noch nicht die vielfältigen • Schwierigkeiten, institutioneilen und administrativen Verflechtungen, die sicher mit ursächlich sind für diese Diskrepanz; er sieht durch die bloßen Tatbestände seine Kritik legitimiert, er ist noch keiner Institution auf Lebenszeit verpflichtet.

Die Aufgabe des Mentors im Praktikum wächst sowohl wegen der modernen Bedingungen eines wissenschaftlichen Studiums für den Lehrerberuf als auch wegen der ohnehin vielfältigen gesellschaftlichen und pädagogischen Ansprüche, denen sich der Lehrer ausgesetzt sieht. Unstimmigkeiten zwischen seiner Sicht von der Schulwirklichkeit her und den Theorien, die Studenten von der Hochschule mitbringen, vergrößern seine Verantwortung und bedeuten eine zusätzliche Belastung für ihn.

Der Struktur unseres Bildungswesens gemäß bleiben Hochschule und Schule voneinander

Fussnoten

Weitere Inhalte

Werner Ho Itrode, Volksschulrektor, geb. 1929, Studium an der Pädagogischen Akademie Dortmund und an der Arbeitsstelle für wissenschaftliche Pädagogik in Paderborn; seit 1962 in der Lehrerfortbildung tätig, z. Z. Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Lehrerfortbildung zur Erlangung der 2. Staatsprüfung. Veröffentlichungen: Aufsätze zum Problem „Schule und Familie".