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Die Einführung des parlamentarischen Systems in Deutschland 1918 | APuZ 12/1971 | bpb.de

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APuZ 12/1971 Artikel 1 Nation und Nationalstaat in der deutschen Geschichte Zum Gedenktag der Reichsgründung Parlament, Parteien und Regierung im Wilhelminischen Reich 1890-1914 Die Einführung des parlamentarischen Systems in Deutschland 1918

Die Einführung des parlamentarischen Systems in Deutschland 1918

Elisabeth Grundmann /Claus-Dieter Krohn

/ 43 Minuten zu lesen

Einleitung

INHALT Einleitung I. Der Erste Weltkrieg: Die Macht der OHL und die Rolle der Mehrheitsparteien 1. Das Programm der Mehrheitsparteien 2. Das Programm Max'von Baden 3. Die Beschlüsse im Großen Hauptquartier und der Kaisererlaß vom 30. September 1918 1. Verfassungsrechtliche Absicherung der Parlamentarisierung 2. Einfluß der Wilson-Noten auf den Verfassungswandel II. Das geplante Ausmaß der Parlamentarisierung III. Die Bildung der neuen Regierung IV. Der Zweck der Parlamentarisierung V. Die Verfassungsreform㍈َ?

Im Oktober 1918 wurde in Deutschland das parlamentarische System eingeführt. In überstürztem Verfassungswandel gingen die wich-tigsten politischen Kompetenzen auf den Reichstag über. Die Plötzlichkeit der Durchführung wirft nicht nur die Frage nach dem Inhalt der Reformen auf, sondern führt auch vor die — hier besonders zu erörternde — Frage, welche Triebkräfte den Systemwechsel bewirkten.

Nadi der Verfassung von 1871 stellte der Reichstag wohl eine demokratisch gewählte Volksvertretung dar. Seine Rechte beschränkten sich jedoch auf das Budgetrecht und lediglich einen Anteil an der Legislative. Mit gutem Grund hatte Bismarck den durch den Reichstag verkörperten unitarischen Charakter des Reiches gering gehalten. Träger der Souveränität war die Gesamtheit der verbündeten Regierungen, der Bundesrat. In ihm hatte Preußen, der größte Bundesstaat mit etwa zwei Dritteln der Reichsbevölkerung, nicht nur ein Übergewicht im Stimmenanteil; zahlreiche Verfassungsartikel sicherten das auch noch ab. Das dort bestehende Dreiklassenwahlrecht gewährleistete die Vorherrschaft einer konservativen Minderheit, die so auch die Reichs-politik bestimmte.

Eine Reichsregierung im Sinne eines kollegialen Ministeriums gab es nicht. Dem Kanzler als einzigem politischen Minister waren nur Fachbeamte als Ressortleiter untergeordnet. Der Kaiser ernannte alle nach eigenem Ermessen. Er verfügte so über die Exekutivgewalt. Die Immediatstellung der Offiziere gab ihm außerdem die uneingeschränkte Macht im Militärwesen. Der Reichstag konnte seine Kompetenzen nur wirksam erweitern, wenn er in zwei Macht-zentren vorstieß. Er mußte einerseits Einfluß d die Exekutive bekommen. Solange der Kanzler ohne Vertrauen des Parlaments han-

eln konnte, fungierte das Parlament lediglich a 8 Kulisse. Daneben war die zentrale Regie-

ungsspitze auszubauen. Andererseits mußte 1e Alleinherrschaft des Kaisers im Militärwesen zugunsten ziviler Verfassungsorgane beseitigt werden, damit die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht mehr dem Gutdünken der Hof-Clique überlassen blieb.

Entsprechende Befugnisse erhielt der Reichstag erst überstürzt im Oktober 1918. Vorher-gehende parlamentarische Vorstöße zeigen nicht mehr als Proben eines entstehenden Selbstbewußtseins. Die Daily-Telegraph-Affäre 1908 mag als Anzeichen gelten, daß die Abgeordneten ein allzu eigenmächtiges Vorgehen des Kaisers nicht duldeten. Doch die an-schließend von Linksliberalen, Zentrum und Sozialdemokraten eingebrachten Anträge zur Regelung der Kanzlerverantwortlichkeit dran-gen nicht durch. Ebenso blieb beim Zabem-Konflikt 1913 ohne Konsequenz, daß das Parlament der Reichsleitung seine Mißbilligung aussprach. Das Scheitern solcher Vorstöße lag in der geringen Kraft begründet, mit der sie geführt wurden 1). Vor allem hat der Reichstag die ihm zustehende Budgetgewalt nicht zur Er-oberung größerer politischer Rechte genutzt Hatte die Mehrzahl der Liberalen ihre parlamentarischen Vorstellungen frühzeitig dem Bismarck-Reich geopfert, weil dieses ihre nationalstaatliche Idee verwirklichte, so stand das föderalistische Zentrum einer Stärkung der Zentralgewalt ablehnend gegenüber. Auch für die Sozialdemokraten war der Parlamentarismus nur von sekundärer Bedeutung. 1912 hatten sie in ihrem Wahlprogramm zum ersten-mal das parlamentarische System gefordert.

Weitgehende Unkenntnis des parlamentarischen Regierungssystems ließ die Parteien in ihrer Gleichgültigkeit. Vielfach glaubte man, wie der Historiker O. Hintze, daß Deutschland seine Macht und Kultur „durch die Einführung einer parlamentarischen Regierung wenn nicht geradezu verlieren, so doch mindestens in Frage stellen" lassen müsse So gab man sich mit dem gut verwalteten Obrigkeitsstaat zufrieden.

I. Der Erste Weltkrieg: die Macht der OHL und die Rolle der Mehrheitsparteien

Erst nach den schweren Rückschlägen des Krieges zeigt sich eine stärkere Regsamkeit der Parteien. Die Dürftigkeit des Ergebnisses macht jedoch deutlich, daß die alten konservativen Kräfte unter Führung der Obersten Heeresleitung (OHL), ab August 1916 mit den Volksheroen Ludendorff und Hindenburg, unangefochten ihre Macht behaupten konnten. Unterstützt wurden sie durch die Mehrheitsparteien selbst, die so unklare und allgemeine Vorstellungen hatten, daß ein gezieltes, nachhaltiges Vorgehen überhaupt unmöglich war. Im Oktober 1916 formierte der Reichstag den „Hauptausschuß", der ermächtigt wurde, in tagungsfreien Zeiten auswärtige und militärische Angelegenheiten zu beraten Unter dem Eindruck der russischen Februar-Revolution konstituierte sich im Mai 1917 ein Verfassungsausschuß aus Abgeordneten von Nationalliberalen, Fortschrittspartei, Zentrum und Sozialdemokraten, der Anträge für parlamentarische Verantwortlichkeiten formulieren sollte. Er erreichte jedoch nichts, da die eingeladenen Regierungsvertreter nicht zu den Beratungen erschienen Der Vorgang hatte nur „formale und psychologische Bedeutung" Als in der Osterbotschaft des Kaisers vom April 1917 ein vages Versprechen von innenpolitischen Reformen für die Zeit nach dem Kriege gegeben wurde, hatte diese „große Geste" solchen Erfolg, daß die SPD angekündigte Proteststreiks unterließ.

Die Friedensresolution im Juli 1917 war der erste große außenpolitische Vorstoß der Reichstagsmehrheit —'Zentrum, Fortsdiritt und MSPD — unter dem Eindruck zunehmender Kriegsmüdigkeit. Was aber proklamierte diese Resolution? Deutschland bemühe sich um einen „Frieden der Verständigung“ und kämpfe nur um die „Unversehrtheit seines territorialen Besitzstandes". Dazu gehörten aber Elsaß-Lothringen und Litauen; die belgische Frage blieb unklar. Mit Recht erkannte der neue Reichskanzler Michaelis, der einige Tage später ohne Konsultation des Reichstages auf Druck der OHL und des Kronprinzen ernannt wurde, daß man mit der Resolution jeden beliebigen Frieden machen könne; und mit Befriedigung fuhr er fort: „dann wurden die (Kriegs-) Kredite bewilligt .. -Nadi dieser Leistung, die den Konflikt beilegte, wurde der Reichstag geschlossen" Obwohl die sachlichen Unterschiede zu den Konservativen gering waren, kritisierten diese die unpassende Form. Größeren Einfluß auf die Reichspolitik erhielten die Mehrheitsparteien trotz der weitgehenden Übereinstimmungen nicht. Sie konnten lediglich als Erfolg verbuchen, daß der von ihnen und den Nationalliberi. len anläßlich der Friedensresolution konstituierte Interfraktionelle Ausschuß (IfA) bestehenblieb. Ihm ging es nur um größeres politisches Mitspracherecht; an Mitentscheidung dachten die Parlamentarier nicht. Nie wurden z. B. Kronrechte, wie die Kanzlerernennung, angezweifelt. In den ersten Sitzungen des Ausschusses erschöpfte man sich in allgemeinen Forderungen nach Änderung der Politik ohne konkrete Vorstellungen. Nicht nur die Parteien untereinander hatten gegensätzliche Auffassungen, auch die Fraktionen waren noch in divergierende Flügel zerfallen (vor allem das Zentrum). So verzichteten die Parlamentarier in der Herbstkrise 1917 darauf, bei Ernennung des greisen Philosophieprofessors Hertling zum Reichskanzler eine Kabinettsumbildung zu fordern. Mit dem Grafen Hertling repräsentierte weiterhin ein othodoxer Vertreter der Kriegszielpolitik die Reichspolitik, der jeden Machtzuwachs des Parlaments ablehnte und auch zu Konzessionen nicht bereit war Innenpolitische Reformen setzten daher seinen Sturz voraus.

Die graduelle Machterweiterung des Parlaments im Oktober 1918 mit der Berufung von Parlamentariern aus den Mehrheitsparteien in das Kabinett Max von Baden zeigt bis zur militärischen Niederlage den bestimmenden Einfluß der Kriegssituation auf die Innenpolitik. Noch im Frühjahr 1918 hatte der Reichstag demonstriert, daß er eine Änderung der alten Kriegszielpolitik nicht wollte. Fortschritt und Zentrum stimmten im März für die Annexionsverträge von Brest-Litowsk. Der Sturz Kühlmanns, Staatssekretär des Äußeren, auf Druck der OHL im Juni 1918, der wegen seiner angeblich zu nachgiebigen Brester Friedensverhandlungen ohnehin verhaßt war und dann auch noch erklärte, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen, veranlaßte das Zentrum und die Nationalliberalen, ein einmütiges Bekenntnis zum Siegfrieden abzugeben. Die Opposition gegen Kühlmann, der dann durch den Alldeutschen Hintze ersetzt wurde, war die „letzte große politische Willensäußerung des kaiserlichen Reichstages" Gegen die Stimmen der USPD bewilligte er im Juli 1918 geschlossen noch einmal neue Kriegskredite. Dann ging er in die Ferien, ohne vor dem Zusammenbruch im Oktober noch einmal zu tagen. Ebenso vertagten sich Hauptausschuß und IfA mit Rücksicht auf die bevorstehende Westoffensive.

Die Ferienstimmung der Parlamentarier ließ 1 prekäre militärische Situation ohne innen-Po Rische Konsequenzen bleiben. Wenn auch erücksichtigt werden muß, daß die Politiker n ormationen von der Front nur nach den Vorstellungen der OHL erhielten, so zeigt sich doch, daß in dieser freiwilligen Passivität Ansätze zu einer Neuorientierung nicht zu finden sind. Angesichts zunehmender Verelendung, Hungersnot und Kriegsmüdigkeit verließen die Parteien ihre verfassungsrechtliche Plattform, ohne von sich aus Einfluß auf die Politik nehmen zu wollen. Sie schalteten sich damit von selbst aus.

Erst nach dem Scheitern der Westoffensive, als offenkundig wurde, daß Ludendorff sein Ziel nicht erreicht hatte, regte sich auch der IfA wieder. Dabei ist unverkennbar, daß ein parlamentarisches Vorgehen der Mehrheitsparteien in Richtung innenpolitischer Neuorientierung — als Voraussetzung für einen Verständigungsfrieden — nur in sehr engen Grenzen möglich war.

Hemmend auf jede Aktivität wirkte auch die Verbindung von innerer und äußerer Politik. Rücksicht auf die Kriegslage zu nehmen und in der schwierigen Lage Unruhen zu vermeiden, war nicht nur eigennütziger Appell der Konservativen, sondern eine auch von den Demokraten anerkannte Notwendigkeit Da die Alliierten eine Demokratisierung Deutschlands zur Bedingung der Kriegsbeendigung machten, konnte die Rechte so jeden Versuch in dieser Richtung als Schwäche vor dem Feind denunzieren Vor allem aber: die Reichstags-Mehrheit fand kaum Resonanz in der öffentlichen Meinung. Solange die OHL als Garant des Siegfriedens auftrat, wehrte sich das Volk nicht gegen ihre Politik.

Der IfA nahm seine Besprechungen am 12. September 1918 wieder auf. Weit entfernt von gemeinsamen Zielen, erhob man nur die allgemeine Forderung nach baldiger Beendigung des Krieges und warf der Regierung Abhängigkeit von der OHL vor, die schnellstens abgelöst werden müsse.

Während Erzberger (linker Zentrumsflügel) und die Fortschritts-Abgeordneten Naumann, Fischbeck und Wiemer die Beteiligung der SPD an einer künftigen Regierung für unbedingt erforderlich hielten, um in der Stunde der Not den Zusammenhalt des Volkes aufrechtzuerhalten, die SPD-Sprecher jedoch die Bedingung stellten, bei einem eventuellen Regierungseintritt ihr Reichstagsmandat zu behalten — was nach Art. 9, 2 der Verfassung nicht möglich war —, wies der rechte Zentrums-flügel unter Gröber und Mayer-Kaufbeuren diese „Parlamentarisierung" schroff zurück. Sie lehnten jedes Vorgehen gegen Hertling ab, wie es die SPD forderte. David und Scheidemann erklärten den Kanzler für unfähig, die kommenden Aufgaben durchzuführen. Die FVP versuchte einen Mittelweg einzuschlagen. Sie stimmte zwar den verfassungsrechtlichen Bedingungen der SPD zu, ein neues Kabinett sollte nur unter Hertling gebildet werden. Allein konnte die SPD also den Sturz Hertlings nicht erreichen.

Undurchsichtig lavierten die Nationalliberalen. Sie hatten sich nach dem sozialdemokratischen Engagement während der Januar-streiks 1918 von der Mehrheitsbildung zurückgezogen und sich nach der zunächst günstig verlaufenden militärischen Entwicklung wieder ganz auf die Linie des Siegfriedens begeben. Erst im September versuchten sie unter Einfluß des linken Flügels um Richthofen, erneuten Kontakt mit dem IfA aufzunehmen Maßgebend war jedoch ihr Opportunismus, „innenpolitisch mit den Interfraktionellen, außenpolitisch mit den Konservativen zu gehen" Leitgedanke war, zwar eine personelle Parlamentarisierung zuzugestehen, aber von den Annexionsplänen der Rechten nichts aufzugeben. Bermbach hat darüber hinaus hervorgehoben, daß diese personellen Konzessionen für Stresemann nur aus Eigennutz geschahen. Stresemann hielt Hertlings Rücktritt für notwendig; als Nachfolger wollte er v. Hintze haben, „in dessen Kabinett er neben einem Zentrumspolitiker und einem Konservativen für sich selber einen Platz erhoffte" Die Verhandlungen im IfA verschärften bis Ende September aber die Opposition gegen eine Beteiligung der National-liberalen, weil deren Mitarbeit das Gewicht der SPD gegenüber dem Ausland vermindert hätte

Am 14. September 1918 bot Österreich selbständig Friedensverhandlungen an. Von dem Schock in Berlin berichtete der bayrische Gesandte Graf Lerchenfeld nach München. Er folgerte: „Es wird jetzt viel davon abhängen, ob das Zentrum in seiner großen Mehrheit dem Grafen Hertling die Stange hält, sonst könnte dessen Lage schwierig werden." Das Zentrum übernahm die Rolle des Züngleins an der Waage. Die Partei versuchte lange, die Balance zu halten zwischen den konservativen Kräften, die Hertling halten wollten, und den Forderungen der SPD. Am 21. September 1918 sagte Gröber im IfA: „Ich wünsche, daß die Sozialdemokraten in die Regierung eintreten. Wenn das der Sinn der Parlamentarisierung ist, dann sind wir auch dafür.“ Erließ aber kei September 1918 sagte Gröber im IfA: „Ich wünsche, daß die Sozialdemokraten in die Regierung eintreten. Wenn das der Sinn der Parlamentarisierung ist, dann sind wir auch dafür.“ 18) Erließ aber keinen Zweifel daran, daß es sich um einen Eintritt in die Regierung Hertling handeln müsse, was Ebert sofort ablehnte.

So standen die Fronten Mitte September. Ja, man kann sogar eine Rückwärtsbewegung erkennen: Im Hauptausschuß, der seine Sitzungen am 24. September 1918 wiederaufnahm, versprach Hertling eine Milderung des Belagerungszustandes und versuchte damit, der Opposition gegen ihn den Wind aus den Segeln zu nehmen 19). Von einer Beteiligung der Sozialdemokraten an der Regierung war nicht mehr die Rede.

Erst das Waffenstillstandsgesuch Bulgariens am 26. September, der Verlust des letzten deutschen Bundesgenossen, und die Einsicht in eine baldige Niederlage Deutschlands bewirkten die Einigung der Mehrheitsparteien. In gemeinsamer Aktion wollten sie Hertling „direkt den Stuhl vor die Tür setzen" 20).

In der IfA-Sitzung vom 28. September unterstrichen die Abgeordneten der SPD und FVP erneut die Notwendigkeit einer Regierungsumbildung „auf parlamentarischer Grundlage zum Zwecke der nationalen Verteidigung 21) Als Gröber zunächst noch einwandte, daß die dafür geforderten Verfassungsänderungen auf Widerstand im Bundesrat stoßen würden" entgegnete Fischbeck, man könne in dieser Lage nicht mehr mit „staatsrechtlichen Bedenken" kommen Schließlich fielen die entscheidenden Worte Gröbers: „Dann machen wir mit." Das Zentrum ließ Hertling fallen. Abends wurde ihm die Absage der Mehrheitsparteien in Form des Sitzungsprotokolls überreicht Zu diesem Zeitpunkt war Hertling bereits entschlossen, ins Große Hauptquarte zu reisen, da er wußte, daß der „politische Gesinnungswechsel der OHL“ angesichts der mi litärischen Katastrophe, von dem er am Vormittag erfahren hatte, für ihn entscheiden sein würde. Unerheblich sind Spekulationen, ob die Mehrheitsparteien sich durchgesetzt hätten, wenn die OHL sie nicht in die Verantwortung gedrängt hätte. Es gilt vielmehr das eigenständige Bemühen der Parteien für eine Neuorientierung zu prüfen. Erst im September 1918 begannen die Parteien wieder mit einer eigenen, nicht mehr am . Burgfrieden'orien-tierten Politik. Sie erstrebten politische Verantwortung — aber nicht primär aus demokratischer Überzeugung, sondern der Anstoß kam von außen. Es galt zu retten, was zu retten war. Schnell aktiviertes demokratisches Wohl-verhalten sollte die Friedensbedingungen der Feinde mildem.

II. Das geplante Ausmaß der Parlamentarisierung

1. Das Programm der Mehrheitsparteien Die Kritik, die der IfA nach der Sommer-pause vor allem an Hertling übte, konnte nur dann sinnvoll sein, wenn sie mit konkreten Gegenvorschlägen verbunden war. Schon am 13. September wurde deshalb unter Leitung Südekums (SPD) ein Unterausschuß eingesetzt, der die Forderungen formulieren sollte In der Denkschrift vom 22. September legten die Mehrheitsparteien ihre Ziele vor. Ausgehend von einer Analyse der Situation, forderten sie eine energische Kompetenzerweiterung des Parlaments. Die neue Regierung sollte als kollegiales Reichsministerium aufgebaut sein. Das Entscheidende aber war: die Regierung sollte in zweifacher Welse vom Parlament abhängig sein. Ihre Mitglieder waren vornehmlich aus der Parlamentsmehrheit unter Beibehaltung der Mandate zu berufen, und sie sollten dem Reichstag verantwortlich sein. Außerdem sollte das Parlament am Friedensschluß teilnehmen.

Dieser Vorstoß auf das parlamentarische System, dessen Hauptkriterium die Ministerverantworlichkeit ist, scheiterte jedoch am Widerstand des Zentrums Trimborn gestand, wir können einfach nicht vor aller Welt erklären, daß wir uns zum parlamentarischen System bekennen" Man wollte lediglich ozialdemokraten an der Regierung beteili-geni die föderalistische Tradition des Zentrums verbot eine entscheidende Stärkung der -entralgewalt.

Der Unterausschuß sah sich gezwungen, das Programm zu revidieren. Als es am 30. Sep-

ember seine endgültige Fassung erhalten Ja e, wurde es Vizekanzler Payer vorgelegt, e zt wurde nur noch gefordert, Minister aus dem Parlament zu berufen. Auf Verlangen _es Zentrums hatte man alle Punkte gestri2 chen, die eine Verfassungsänderung notwendig gemacht hätten, so die Ministerverantwortlichkeit und die Aufhebung des Art. 9, 2 der Reichsverfassung.

Charakteristisch ist, daß die Mehrheitsparteien das Problem der Kanzlerernennung überhaupt nicht berührten. Die bescheidene Bitte an Hertling, bei seinem Rücktritt eine Persönlichkeit vorzuschlagen, „die sich mit der Mehrheit des Reichstages ... ins Einvernehmen zu setzen bereit ist" war in ähnlichem Wortlaut schon bei der Ablösung Michaelis'durch Hertling im Herbst 1917 geäußert worden. Angesichts der realen politischen Situation ruft es Erstaunen hervor, daß kein eigener Kandidat nominiert wurde. Man überließ es den traditionellen „Kanzlermachern", einen Nachfolger für Hertling zu finden. Payers Kommentar lautete dann auch: „Es handelte sich also weder um die Einführung des parlamentarischen Systems im technischen Sinn noch um radikale Forderungen." Einen Wechsel der staatsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland plante die Reichstagsmehrheit nicht. 2. Das Programm Max'von Baden Der badische Thronfolger war aufgrund seiner zahlreichen Beziehungen zu Berliner Regierungskreisen schon in der Julikrise 1917 als möglicher Kanzler im Gespräch gewesen. Der Kaiser hatte damals jedoch abgelehnt: „Er könne sich von einem älteren Staatsmann beraten lassen, nicht aber von einem jüngeren Standesgenossen." Auf der Suche nach einem offiziellen Amt — bislang arbeitete er im Rahmen des Internationalen Roten Kreuzes in der Gefangenenfürsorge — stellte Prinz Max von Baden mit seinem Vertrauten Kurt Hahn am 6. September 1918 in St. Blasien folgendes Programm auf: „Wohin treiben ... die Dinge in Deutschland? Ein System ist zusammengebrochen, das System des Wartens auf militärische Erfolge. Die Männer, die dieses System verkörpern, sind heute noch an der Regierung. Das deutsche Volk erkennt sie nicht mehr als seine Führer an."

Schroff wandte er sich gegen die „würdelose" Reichstagsmehrheit, die er nicht zu Unrecht für unfähig hielt. In dem Programm heißt es weiter: „In diesem Augenblick des Interregnums hat die Krone noch einmal Gelegenheit, zu handeln, ohne Druck von unten. Sie kann aus freiem Entschluß eine Regierung berufen, welche die Reichstagsmajorität lahmlegt, ihr die hauptsächliche Waffe im voraus aus der Hand schlägt, indem sie selbst als der führende Faktor auftritt, den das deutsche Volk in der Stunde der Not herbeisehnt."

Dieses Programm war eine radikale Absage an das parlamentarische System. Aus zwei Gründen lehnte es Max von Baden ab, dem Reichstag entscheidende Funktionen einzuräumen. Er hielt ihn nicht für aktionsfähig, und außerdem warf er seiner Mehrheit seit der Friedensresolutioh eine „würdelose Friedensbeflissenheit" vor, die nicht zur offiziellen Regierungspolitik werden dürfte. Geeignete Männer sollten deshalb vom Kaiser berufen werden, die aufgrund ihres Prestiges die Friedensatmosphäre stärken würden, ohne vom Frieden zu sprechen Was er darunter verstand, hatte Max von Baden schon im Frühjahr 1918 in der belgischen Frage dargelegt. Deutschland solle siegreich kämpfen, sich dennoch aber zu der russischen Formel vom „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen" bekennen. Vor allem sollte es auf Belgien verzichten, um die Friedenswilligkeit im Ausland zu stärken. Dahinter stand die Absicht, England in eine „Zwangslage" zu bringen, „in der es Belgien in deutscher Hand lassen würde" wenn Deutschland nicht mehr als fordernder Angreifer dastünde. Diese Denkschrift Max’ von Baden vom März 1918 verfolgte das Ziel, den Liberalen „maßgebenden Einfluß auf die Leitung der Staatsgeschäfte zu verschaffen" Sie war hervorgegangen aus einer Eingabe an Ludendorff, die er mit Alfred Weber, Naumann, Bosch, Legien u. a. unterzeichnet hatte.

Einen Tag nach der Aufstellung des Programms kam am 7. September 1918 der mit dem Prinzen Max befreundete Fortschrittler Haussmann nach St. Blasien. Als Haussmann den Prinzen nach der Freiheit des neuen Kanzlers gegenüber Kaiser und OHL fragte, antwortete er: „Diese Freiheit werde ich haben, sonst übernehme ich das Amt nicht. Ich will sie aber auch gegenüber dem Parlament dahin haben, daß ich mein Programm durchführe und nicht davon abgedrängt werde." Max wollte nur drei Mehrheitsvertreter in führende Ämter einsetzen. Er nannte Vizekanzler Payer, Ebert und Rechenberg (Zentrum). Eine weitere „Einmischung" der Legislative in die Exekutive lehnte er als „mißtrauische Kontrolle" ab Bezeichnen-derweise gab sich Haussmann mit dieser Auskunft zufrieden. Weiteren Parlamentarierkreisen wurden die Anschauungen des Prinzen vorerst nicht bekannt. 3. Die Beschlüsse im Großen Hauptquartier und der Kaisererlaß vom 30. September 1918 Kaiser Wilhelm II. hatte schon seit langem auf die hybriden Äußerungen verzichtet, durch die er in der Vorkriegszeit das Bild vom machtbesessenen Deutschland geprägt hatte. Während des Krieges blieb er mehr im Hintergrund In Übereinstimmung mit den Annexionszielen der dritten OHL fügte er sich auch deren ausgeprägten innenpolitischen Zielsetzungen.

Ludendorffs bisherige Siegeseuphorie mußte nur Verwirrung hervorrufen, als die OHL am 28. September vormittags durch ihren Vertreter beim Reichskanzler, Oberst von Winterfeldt, meldete, daß „eine Umbildung der Regierung oder ein Ausbau derselben auf breiterer Basis notwendig geworden sei" Dasich die OHL bisher immer gegen solche Reformen ausgesprochen hatte, konnte über den Anlaß ihr r plötzlichen Kehrtwendung kein Zweifel sein: Die deutsche Niederlage stand bevor.

Nach dem Friedensgesuch Österreichs hatte der Zusammenbruch der bulgarischen Front Ludendorff endgültig zu der Überzeugung gebracht, daß Deutschland so schnell wie möglich ein Waffenstillstandsangebot an die Alliierten machen müsse Der Verantwortung für die-sen Schritt wollte er sich dadurch entziehen, daß er sie einer neuen Regierung mit Vertretern aus dem Reichstag aufbürdete: „Ich habe... S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, daß wir soweit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!“

Aufgrund der Meldung Winterfeldts entschloß sich Hertling, noch am selben Abend ins Große Hauptquartier zu fahren. Noch bevor er in Spa eintraf, kam es dort am 29. September zu einer Besprechung zwischen Hindenburg, Ludendorff und dem Staatssekretär des Äußeren, Hintze, der schon einen Zug früher aus Berlin angereist kam Ludendorffs Schilderung der Lage erweckte bei Hintze den Eindruck einer bevorstehenden militärischen Katastrophe. Er glaubte, daß der plötzliche Umschwung in der Bevölkerung, die bislang mit Siegesparolen hinters Licht geführt worden war, eine schwere Krise heraufbeschwören würde. Einen Ausweg sah er nur in der Revolution von oben". Wenn möglichst breite Kreise an der Regierung beteiligt würden, könnte die Situation gerettet werden. Bei diesem Vorschlag spielte nach Hintzes eigenen Aussagen allein „die Rücksicht auf die Krone und die Dynastie die gebührende Rolle" Hindenburg und Ludendorff billigten den Vorschlag sofort Darauf wurde der Kaiser informiert. Er erklärte sich bereit, Parlamentarier, darunter auch Sozialdemokraten, in die Regierung einzubeziehen, „lehnte dabei aber den Gedanken rein parlamentarischer Regierungsform ab" Ein Brief Hertlings an den bayerischen Ministerpräsidenten von Dandl faßt die Beschlüsse in Spa treffend zusammen:

„Im übrigen ging die Hoffnung dahin, die Parlamentarisierung im eigentlichen Sinne dadurch zu verhindern, daß Parlamentarier der verschiedenen Parteien in die Regierung hin-eingenommen werden."

Um die Initiative der Krone zu sichern, schlug Radowitz, Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei, vor, die Umbildung der Regierung mit einem kaiserlichen Erlaß anzukündigen Er fertigte einen Entwurf an, den Wilhelm II. unterzeichnete, und am 30. September erschien folgender Erlaß in der Presse: „Ich wünsche, daß das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vater-landes mitarbeitet. Es ist daher Mein Wille, daß Männer, die vom Vertrauen der Volkes getragen sind, in weitem Umfange teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung."

Mit deutlicher Skepsis wurde diese provisorische Lösung von der demokratischen Presse aufgenommen. „Es muß klar sein, daß es sich hier nicht um eine Notstandsmaßregel für den Tag handelt", kommentierte der „Berliner Börsen-Courier" und die „Vossische Zeitung" forderte: „Es müssen feste Formen und dauernd brauchbare Formen sein, die man jetzt schafft."

Keine der betrachteten Kräftegruppen — weder die Mehrheitsparteien noch der künftige Kanzler Max von Baden und schon gar nicht der Kaiser oder die OHL — plante Ende September 1918 etwas anderes als eine stärkere Beteiligung der Volksvertreter an der Regierung. Eine tiefgreifende Verfassungsänderung, der Wechsel zum parlamentarischen System, wie er dann im Oktober erfolgte, wurde von keiner dieser Gruppen gewollt. Dazu bedurfte es noch eines weiteren Anstoßes von außen.

III. Die Bildung der neuen Regierung

Nadi den Entscheidungen der OHL hatte Hert-

®g jeden politischen Rückhalt verloren. Er bat den Kaiser um seinen Rücktritt, der in em Erlaß vom 30. September mit bekanntge-— geben wurde. Die Mehrheitsparteien erhielten jedoch nicht die Befugnis zur Regierungsbildung. Die Frage der Kanzlernachfolge wurde im Großen Hauptquartier erörtert, ohne daß man zu einem Ergebnis kam. Auch der Name Max’ von Baden fiel wieder, doch der Kaiser konnte sich noch nicht für ihn entschließen

In Berlin setzte sich unterdessen Haußmann für den Prinzen ein. Er knüpfte die Fäden zu den entscheidenden offiziellen Stellen. Vor allem gewann er Oberst von Haeften, den Leiter der Militärabteilung des Auswärtigen Amtes, der sich mit seinem Freunde Payer darüber austauschte. Nachdem der Vizekanzler erneut für Max von Baden optiert hatte, telefonierte Haeften noch am 30. September abends den Vorschlag nach Spa. Ludendorff erklärte sich mit der Wahl einverstanden, und das Plazet der OHL bewog dann auch den Kaiser, seinen Widerstand aufzugeben.

Als er so über Haeften mit der OHL den Interfraktionellen Ausschuß überspielt hatte, begann Haußmann, das Terrain in der Öffentlichkeit für den Prinzen vorzubereiten. In einem Artikel im „Berliner Tageblatt" am 1. Oktober begrüßte er, daß Max von Baden bereit sei, „seine Person heute in den Dienst eines politischen Amtes zu stellen" Als der badische Thronfolger sich am 1. Oktober auf einen Anruf des Kabinettchefs von Berg hin entschloß, nach Berlin zu fahren hatten die „Kanzlermacher" ihr Ziel erreicht. Am 3. Oktober 1918 wurde Max von Baden zum Reichs-kanzler ernannt. Diese Ernennung stand, wie der Rücktritt Hertlings, ganz unter militärischen Vorzeichen. Zwar enthielt sich die OHL direkter personeller Vorschläge, doch wurde die Suche nach dem neuen Kanzler in doppelter Hinsicht von der Forderung Ludendorffs nach Waffenstillstand bestimmt: Die Regierungsbildung vollzog sich überstürzt, weil die entsprechende Note sofort abgeschickt werden sollte; ihr Inhalt legte überdies den Kurs der künftigen Politik fest, ohne daß der neue Kanzler auch nur eine Chance der Mitsprache hatte

Bereits am 1. Oktober unterbrach Ludendorff ein Gespräch des Kaisers mit Hertling durch die ungeduldige Frage, ob denn die neue Regierung noch nicht gebildet sei, worauf der Kaiser unwirsch antwortete, daß er nicht zaubern könne Die Eigenmächtigkeit der Gruppe um Haußmann in Berlin kam der OHL nur gelegen; sie brauchte schnell ein handlungsfähiges Kabinett, das ihren Willen ausführte.

Max von Baden kam mit einer eigenen außen-politischen Konzeption nach Berlin, die sich noch ganz im Rahmen seiner Denkschrift vom Frühjahr hielt Sie sah kein Friedensangebot vor, „wohl aber deutlichste Proklamierung der Kriegsziele, die große Zugeständnisse an die Feinde enthalten könne" Gegenüber Haeften, der ihm den Entschluß der OHL mitteilte, sich an den amerikanischen Präsidenten zu wenden, forderte er, daß Ludendorff ihm die Freiheit des Handelns lassen müsse. Doch das war Illusion. Als Prinz Max dem Kaiser am 2. Oktober im Kronrat erklärte, weshalb er ein Gegner des Waffenstillstands-angebots sei, erwiderte dieser: „Die Oberste Heeresleitung hält es für nötig, und du bist nicht hierher gekommen, um der Obersten Heeresleitung Schwierigkeiten zu machen.“

Bei diesen Weichenstellungen standen die Mehrheitsparteien ganz im Hintergrund. Sie hatten zwar Hertling zum Rücktritt gedrängt, aber einen Kandidaten als Nachfolger nannten sie nicht. Es kennzeichnet die nur vordergründige Aktivität der Parteien, die eine innenpolitische Neuorientierung forderten, ohne zu versuchen, den Mann zu bestimmen, der sie durchführen sollte.

Nachdem der kaiserliche Erlaß am 30. September morgens in Berlin bekanntgeworden war, besprachen die Parteien in ihren Fraktionen und Ausschüssen ununterbrochen die Konsequenzen, ohne jedoch ihre Aufmerksamkeit auf die Person des künftigen Kanzlers zu richten Erst als auf heimliche Initiative Haußmanns die Würfel gefallen waren und Prinz Max schon nach Berlin reiste, beschäftigten sich die Mehrheitsparteien mit der Kanzlernachfolge, und zwar auf eine Art, die deutlich zeigt, wie wenig die Parlamentarier untereinander zu Koordination und Absprache bereit waren.

Am 30. September abends stand Max von Baden bereits als Nachfolger fest. Haußmann hatte dabei eine wesentliche Rolle gespielt. In der IfA-Sitzung am Vormittag des 1. Oktober war diese Berufung aber noch völlig unbekannt Hier einigte man sich statt dessen, weitab von der Realität, auf Payer als künftigen Kanzler. Der Vizekanzler ließ die Parteien aber erst in der Nachmittagssitzung über seinen alten Entschluß aufklären, daß er das Amt nicht anneh men werde und daß er den Prinzen Max von Baden Vorschläge Bestärkt wurde dieser Entschluß noch durch die Äußerung des Kabinettschefs von Berg, der schon am Vormittag erklärt hatte, daß die Mehrheitsparteien nicht glauben sollten, etwa personelle Entscheidungen zu diktieren Die SPD hatte auch Fehrenbach als Vertreter der stärksten Reichstagsfraktion ins Gespräch gebracht. Der lehnte jedoch ab. Und einen Kandidaten aus den eigenen sozialdemokratischen Reihen vorzuschlagen, erschien völlig undenkbar

So blieb den Mehrheitsparteien nichts anderes übrig, als Max von Baden „faute de mieux“ zu akzeptieren Außer Haußmann kannte niemand die politischen Anschauungen des Prinzen, wie die Äußerung Eberts zeigt: „Wie der Prinz Max steht, weiß keiner." Um wenigstens die Grundlagen ihrer Politik zu retten, forderten die Parteien, daß der künftige Kanzler sich zu ihrem Programm bekennen müsse. Diese Zustimmung fiel Max von Baden am folgenden Tage um so leichter, als ihm zu der Zeit schon seine eigene Machtlosigkeit gegenüber der OHL bekannt war.

Wenn die Reichstagsmehrheit bei der Besetzung der anderen Regierungsämter ihre Vorstellungen weitgehend verwirklichen konnten, so ist auch das weniger ein Zeichen ihrer Macht und ihres konsequenten Wollens, als vielmehr ein Zeichen für das allgemeine Durcheinander der ersten Oktobertage, deren politische Aktivitäten in erster Linie durch das Drängen der OHL geprägt wurde.

Der Kaiser hatte Roedern, den Staatssekretär des Reichsschatzamtes, beauftragt, bei seiner Rückkehr nach Berlin gemeinsam mit Payer die Regierungsneubildung vorzubereiten und zu diesem Zweck mit den Parteien zu verhandeln Genauere Anweisungen hatte Roedern nicht mit auf den Weg bekommen, so daß niemand genau wußte, wieweit die Kompetenzen der Parteien ausgedehnt werden sollten. Als Payer und Roedern die Gespräche am 30. September mit der Frage eröffneten, wie die Parteien sich „die Ausführung des Allerhöchsten Erlasses" dächten war damit em Reichstag ein recht weiter Spielraum frei-gegeben, der sofort die Konservativen, die nicht an dem neuen Kabinett beteiligt werden sollten, beunruhigt reagieren ließ. Oberst von Haeften telefonierte erbost nach Spa, das „eingeschlagene Verfahren bedeute keine Evolution, sondern Revolution, da es an die Stelle der Souveränität der Krone die Souveränität der Mehrheitsparteien setze"

Da aber bei der Regierungsbildung die von der OHL geforderte Eile ein noch höheres Gebot bedeutete als das Wahren kaiserlicher Rechte, blieb es dabei, daß die Parteien von sich aus die Ämterverteilung vornahmen. Der Rahmen dafür wurde ihnen allerdings abgesteckt. Roedern erklärte, „Majestät wünsche nicht zu starkes Wechseln in den Ressorts" Und Payer ließ deutlich wissen, worum es bei der Parlamentarisierung ging: „Es komme . . . viel weniger darauf an, jetzt die einzelnen Ressorts zu verteilen, als Namen von angesehenen Parlamentariern zu haben, die die neue Regierung bilden sollen."

Die Parteien legten auch gar keinen Wert auf die reinen Fachressorts, sondern wollten vor allem politisch wichtige Posten mit ihren Männern besetzen. Für sie stellte die Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Reichstag bei der Ministerbesetzung das eigentliche Problem dar. Man verfiel deshalb auf die Konstruktion der Staatssekretäre ohne Portefeuille, die schon von Gothein im Juli 1917 angeregt worden war, um eine Änderung des Art. 9, 2 der Reichsverfassung zu vermeiden Payer erklärte am 3. Oktober 1918 die dahinterstehenden Absichten den Bundesratsbevollmächtigten: Im Hinblick auf das Ausland habe „sich das Bedürfnis herausgestellt, die bekanntesten Namen der Fraktionen in die Regierung her-einzunehmen. Es ist aber nicht jeder in der Lage, einen Staatssekretärposten technisch auszufüllen; wohl aber können solche Herren einen Staatssekretär a latere abgeben" Die neuen Staatssekretäre ohne Portefeuille sollten, unbelastet von fachlicher Arbeit in den Ressorts, in gemeinschaftlichen Beratungen allgemeine Fragen der Reichspolitik behandeln, ohne die sie funktionslos geblieben wären.

Uneinig waren die Parteien, als die Postenaufteilung begann. Eifersüchtig wachte man darüber, daß die Interessen jeweils „im Verhältnis zur Parteistärke" vertreten wurden Die Fortschrittliche Volkspartei mußte sich zum Beispiel Vizekanzler Payer „anrechnen“ lassen Obwohl die endgültige Kabinettsbildung am 1. Oktober noch dem künftigen Kanzler überlassen bleiben sollte entschieden dann doch die Fraktionen über den Eintritt ihrer Mitglieder in die Regierung. Als Prinz Max Payer seine Kandidatenliste vorlegen wollte, mußte er feststellen, daß die Parteien ihre Auswahl bereits getroffen hatten

Schwierigkeiten machte vor allem die Ernennung Erzbergers. Sowohl Max von Baden als auch der Kaiser hätten sie gern vermieden, aber das Zentrum bestand „in drängender Form auf seiner Berufung" Differenzen gab es ebenso um die Person Scheidemanns. Auch hier setzte die Partei sich durch gegen den Wunsch des Prinzen, der lieber den konzillianteren Ebert für seine Regierung gewonnen hätte Auch gelang es Max nicht, seinen Freund Haußmann zur Mitarbeit heranzuziehen Erst als sich herausstellte, daß die Fortschrittler durch Payer doch nicht genügend vertreten waren, zumal der Vizekanzler keine Verbindung mehr zu den parlamentarischen Gruppen hatte, da er sein Reichstagsmandat beim Eintritt in die

Regierung Hertling niederlegen mußte, konnte Haußmann am 14. Oktober zum Staatssekretär ohne Portefeuille berufen werden.

Das endgültige Kabinett setzte sich dann zusammen aus dem Reichskanzler Max von Baden, dem Vizekanzler Payer, den vier parlamentarischen Staatssekretären ohne Portefeuille Gröber (Zentrum), Erzberger (Zentrum), Scheidemann (SPD), Haußmann (FVP) sowie den Staatssekretären des Auswärtigen Amtes Solf und des Reichsschatz-amtes Roedern. Außerdem wurden zwei Ressorts mit Parlamentariern besetzt. Trimborn (Zentrum) stand dem Reichsamt des Innern vor, Bauer (SPD) dem Reichsarbeitsamt

Um nicht gemäß Art. 21, 2 RV ihr Reichstags-mandat niederlegen zu müssen, wurden die Staatssekretäre zunächst nur kommissarisch mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt Außerdem konnten sie nicht — wie es bisher nach dem Stellvertretungsgesetz von 1878 üblich war — dem Bundesrat angehören, da eine Änderung des Artikels 9 RV vermieden werden sollte

IV. Der Zweck der Parlamentarisierung

Weniger eigenständiges Streben nach politischer Verantwortung auf Seiten der Parteien, geschweige eine plötzliche demokratische Überzeugung der bisher herrschenden Schichten führten die Parlamentarier in die höchsten Reichsämter. Der entscheidende Faktor war die militärische Unterlegenheit Deutschlands. Sie hatte die Reichsspitzen zu der Ansicht gebracht, daß nur eine neue Regierung von den Alliierten als Verhandlungspartner akzeptiert werde. Eng verbunden mit diesem außen-politischen Zweck der Parlamentarisierung sah man die innenpolitische Notwendigkeit, für die bevorstehenden Schwierigkeiten den Zusammenhalt im Volk zu wahren und Unruhen zu vermeiden.

Die Mehrheitsparteien entschlossen sich, die angebotene Verantwortung zu übernehmen, weil sie darin die einzige Gewähr sahen, zu einem günstigen Frieden zu kommen. Diese Vorstellung beruhte jedoch auf falschen Voraussetzungen. Die Parteien waren ausgegangen von einer feststehenden deutschen

Front, keineswegs jedoch von der militärischen Katastrophe, über die man gar nicht informiert war.

Erst am 2. Oktober unterrichtete Major Bussche die Vertreter der Parteien im Auftrage der OHL über den Ernst der militärischen Lage und über die bereits entworfene Friedensnote. Damit hatte offensichtlich niemand gerechnet. „Ganz gebrochen" verließen die Abgeordneten die Sitzung In der sozialdemokratischen Fraktion kam es daraufhin zu schweren Auseinandersetzungen, ob man sich überhaupt an der Regierung beteiligen solle. Scheidemann wandte sich energisch dagegen, in ein „total bankrottes Unternehmen" einzutreten. Mit knapper Mehrheit überwog schließlich der Flügel um Ebert, der es für selbstverständlich hielt, in der Not die Vaterlandes die Mitarbeit nicht zu versagen Damit begann das Dilemma für die SPD, und das Todesurteil der Weimarer Republik war gesprochen, noch ehe sie ent standen war. Die Parteien waren berufen worden zur Ausführung eines fremden Willens. Der OHL gelang, die Verantwortung für die Niederlage von sich abzuschieben und damit ein weiteres Argument für die Dolchstoßlegende aufzubauen.

Mit der neuen Regierung hoffte man auf ein positives Echo im Ausland. Dort reagierte man jedoch größtenteils negativ. Der unabhängige französische „Temps“ sah in der neuen Regierung nur eine „dekorative Fassade“ der Militärdiktatur der OHL; „jede politische Reform könne unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland nur eine Komödie sein" Ähnlich wurden die neuen Zustände im „Journal des Debats" als „parlamentarisches Pseudoregime" abgetan, das unglaubwürdig sei, solange die Staats-einrichtungen unverändert blieben. Und der „Manchester Guardian" schrieb, nur naive Personen könnten von einer Parlamentarisierung sprechen; bis jetzt handle es sich nur um eine Veränderung der Tapete auf der gleichen Wand Namhafte Parlamentarier sollten ursprünglich Deutschland nach außen verhandlungsfähig machen. Die ersten Reaktionen zeigten aber schnell, wie sehr man sich getäuscht hatte. Deutschland war für die Alliierten kein Verhandlungspartner. Die folgenden Wochen sollten deutlich machen, daß sich das Deutsche Reich restlos den Forderungen der Gegner unterwerfen mußte.

V. Die Verfassungsreformen

1. Verfassungsrechtliche Absicherung der Parlamentarisierung Zunächst mußte für die bereits erfolgte Änderung im politischen Leben eine feste Form gefunden werden, denn die kommissarische Beauftragung der Staatssekretäre ohne Portefeuille konnte keine endgültige Lösung sein. Ein engerer Zusammenhang zwischen Reichs-regierung und Reichstag konnte nur dann erreicht werden, wenn die parlamentarischen Staatssekretäre ihre Mandate behielten. Art. 21, 2 der Reichsverfassung, wonach Reichstagsabgeordnete ihr Mandat bei einem besoldeten Reichsamt verloren, mußte deshalb abgeschafft werden. Durch diese Bestimmung sollte ehedem die Unabhängigkeit der Volksvertretung vor etwaigem Mißbrauch der Ämterhoheit geschützt werden. Der Artikel galt aber jetzt als veraltet und überflüssig Seine Streichung stieß nirgendwo auf Widerstand. Doch damit waren die neuen Verhältnisse noch nicht geregelt. Die Konstruktion der ismarck-Verfassung, die keine Reichsregie-pung kannte, dafür aber den Bundesrat an der XeKutive beteiligte, ließ nicht ohne weiteres 2u, daß man ein Reichskabinett einbaute. Bis-pr waren die Leiter der Reichsressorts, deren omPetenz 1878 dadurch erhöht wurde, daß nn sie zu Stellvertretern des Kanzlers er-pmnner stets gleichzeitig Mitglieder des inndesrats gewesen, um dessen Einfluß auch __ en Reichsämtern zu sichern. Da nach Art. 9, 2 RV niemand zugleich Mitglied von Bundesrat und Reichstag sein konnte, war diese Bestimmung entweder ebenfalls zu streichen, oder es mußte in Zukunft auf die Verflechtung zwischen Reichsämtern und Bundesrat verzichtet werden.

Hier knüpfte der Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern, Lewald, Anfang Oktober mit einem Gesetzentwurf an, der sowohl dem Reichstag als auch dem Bundesrat gerecht zu werden versuchte Er ging davon aus, daß es den Parlamentariern weniger darauf ankomme, in den Bundesrat aufgenommen zu werden. Sie wollten vielmehr ihr Mandat beim Eintritt in die Reichsleitung behalten. Deshalb sei Art. 9, 2 RV der falsche Ansatzpunkt für die Parlamentarisierung. In Zukunft sollten die Staatssekretäre nicht mehr dem Bundesrat angehören, sondern ein von ihm unabhängiges Organ bilden. Allerdings mußte gewährleistet bleiben, daß sie als Regierungsmitglieder im Reichstag das Wort ergreifen konnten, wozu sie bisher nur die Mitgliedschaft im Bundesrat berechtigte

Allerdings verhinderte der Gesetzentwurf eine vollständige Parlamentarisierung. Durch Beibehaltung von Art. 9, 2 RV schloß man die Möglichkeit aus, einen Parlamentarier zum Kanzler zu ernennen, da dessen Zugehörigkeit zum Bundesrat weiterhin bestehen blieb.

Am 8. Oktober stimmte der Bundesrat dem Entwurf zu bevor er erst am 22. Oktober im Reichstag behandelt werden konnte, da vorher keine Sitzung stattfand. Mit Ausnahme der Konservativen stimmten alle Fraktionen für die Vorlage. Dabei ist interessant, daß Ebert versuchte, die Reformen als organische Entwicklung darzustellen, die „der eigenen Initiative unseres Volkes entsprungen" seien

Mit dem Gesetz, das am 28. Oktober 1918 in Kraft trat, erhielten die Parlamentarier in der Reichsleitung ihre verfassungsrechtliche Basis. Am 31. Oktober konnten sie sodann in ihren Ämtern endgültig bestätigt werden. Damit war das ursprünglich geplante Ausmaß der Parlamentarisierung erreicht. Die weiteren tiefgreifenden Verfassungsänderungen, die das parlamentarische System einführten, erfolgten erst, als Wilson die deutsche Regierung wissen ließ, daß die demokratische Neuordnung in Deutschland nicht überzeugte, und als seine Noten die Hoffnung erweckten, daß das Reich durch weitere Reformen einen annehmbaren Frieden erreichen könne. 2. Einfluß der Wilson-Noten auf den Verfassungswandel Die erste Amtshandlung der neuen Regierung erfolgte schon, bevor sie definitiv gebildet war: In der Nacht vom 3. zum 4. Oktober ging das Friedens-und Waffenstillstands-angebot an den amerikanischen Präsidenten ab Mit der Unterschrift des neuen Reichskanzlers sollte der Welt gezeigt werden, daß der Schritt von einer Regierung ausging, die das Vertrauen des deutschen Volkes besaß.

Das Volk wurde aber gar nicht unterrichtet. Einen Tag vor der geplanten ersten Reichstagssitzung nach der Sommerpause beschlossen die Parteien im IfA, als Initiatoren des Friedensschrittes aufzutreten. Eine positive Wirkung im Ausland erschien ihnen wichtiger als das Odium, das sie innenpolitisch möglicherweise auf sich ziehen würden. Um das Vaterland zu retten, sagt der IfA-Vorsitzende Fischbeck, „muß man sich auch eine Zeit lang anspucken lassen können"

Danach begann das Kabinett mit Reform-arbeiten zu den besonders brisanten Themen des Belagerungszustandes und des preußischen Wahlrechts. Die Mehrheitsparteien forderten die Lösung dieser überaus dringlichen innenpolitischen Probleme bereits vor ihrem Regierungseintritt. Max von Baden versprach in seiner ersten großen Reichstagsrede am 5. Oktober einen Wandel als sichtbare Folge des Systemwechsels. Zwar sei die Aufhebung des Belagerungszustandes im Krieg unmöglich, aber die entscheidende Befugnis müsse von den militärischen auf zivile Kontrollstellen übertragen werden. Eine entsprechende Änderung wurde zügig durchgeführt; am 15. Oktober trat eine entsprechende Verordnung in Kraft

Als Beweis für die neue Politik setzte das Kabinett außerdem eine Amnestie durch, in deren Verlauf unter anderen Liebknecht und Dittmann begnadigt wurden

Das zweite Problem, auf dessen Lösung die Mehrheitsparteien drängten, betraf die Einführung des gleichen Wahlrechts in Preußen. Die bestehende Verfassung bot zwar keine Möglichkeit, die Reform vom Reich aus durchzusetzen; da aber der Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, Friedberg, an den meisten Kabinettssitzungen teilnahm, konnte die Frage dort behandelt werden. Wie aber alle übrigen Maßnahmen der Oktober-regierung kam auch diese zu spät, um wirksam werden zu können.

Die amerikanische Antwort auf die deutsche Friedensnote traf am 10. Oktober in Berlin ein Sie ging nicht direkt auf das deutsche Angebot ein, sondern stellte Gegenfragen, von deren positiver Lösung sie ein weiteres Verhandeln abhängig machte. Das galt auch für den Teil, der sich auf innerdeutsche Verhältnisse bezog: „Der Präsident glaubt auch zu der Frage berechtigt zu sein, ob der Kanzler nur für diejenigen Gewalten des Reiches spricht, die bisher den Krieg geführt haben. Er hält die Antwort auf diese Frage von jedem Standpunkt aus für außerordentlich wichtig."

Dieser Passus war von gefährlicher Zweideutigkeit. Er zeigte zunächst, daß die Zugkraft der veränderten Verhältnisse nicht stark genug war, um Wilsons Zweifel zu beseitigen. Indem aber indirekt einem Wandel große Bedeutung beigemessen wurde, mußten die Sätze die Hoffnung erwecken, daß man den amerikanischen Präsidenten durch weitere Zugestän nisse zufriedenstellen konnte. Heikel war da bei, das zwar die Wichtigkeit des innerdeut sehen Wandels betont wurde, Berlin aber im Unklaren darüber gelassen wurde, welche Be dingungen zu erfüllen seien. Die deutschen Politiker nahmen sich daraufhin den Paragraphen der Verfassung vor, von dem sie glaubten, daß er das feindliche Ausland besonders interessieren würde, nämlich den Art. 11, der die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Kaiser zuordnete.

Da sich das Mißtrauen cder Alliierten vor allem gegen den Kaiser richtete, äußerte Scheidemann schon am 7. Oktober im Kabinett: „Artikel 11 der Verfassung muß zum Schutz der Monarchie dringlich aufgehoben werden." Seine Anregung blieb zu diesem Zeitpunkt noch ohne Resonanz. Drei Tage später griff man den Vorschlag jedoch wieder auf im Hinblick auf die Wilson-Note. Der Kanzler teilte mit, daß er sich mit dem Kaiser in Verbindung setzen wolle, und schon am 13. Oktober lag ein Entwurf zur Abänderung des Artikels 11 vor Er bestimmte, daß zur Kriegserklärung außer der Zustimmung des Bundesrats auch die des Reichstags erforderlich sei.

Es wäre konsequent gewesen, wenn die deutsche Antwort auf die erste amerikanische Note diese Kompetenzerweiterung des Reichstages erwähnt hätte. Das geschah jedoch nicht. Der Abschnitt zur Innenpolitik fiel so allgemein aus, daß Wilson weiterhin den Vorwand behielt, sich durch zeitraubende Rückfragen die Verhandlungsfähigkeit der neuen deutschen Regierung demonstrieren zu lassen. Es hieß: „Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen der deutschen Regierung und des deutschen Volkes."

Bevor noch die zweite deutsche Note abging, trat unvorhergesehen ein peinliches Ereignis ein, das weitere Reformen nach sich zog, um die Vertrauenswürdigkeit der Regierung zu sichern: Eine Schweizer Zeitung veröffentichte einen Privatbrief des Prinzen Max vom anuar des Jahres, in dem er sich scharf gegen den Parlamentarismus aussprach und die riedensresolution „ein scheußliches Kind der ngst nannte Auf die Parlamentarier, die 1 r anfängliche Skepsis gegenüber dem Prinzen überwunden hatten und jetzt mit ihm zu-—---------- sammenarbeiteten, weil sie ihn für einen Gesinnungsgenossen hielten, wirkte die Publikation wie ein Schock. Sie fühlten sich betrogen und sahen das mühsam errichtete Vertrauen im In-und Ausland zusammenbrechen.

Die Abgeordneten der SPD hielten einen Rücktritt für unerläßlich. Ebert erklärte: „Das erste Erfordernis für Deutschland ist eine Regierung, die vor aller Welt laut und deutlich zum Ausdruck bringt, daß sie eine ehrliche und geradlinige Politik treiben will. Das ist völlig vernichtet." Gröber erwiderte darauf rabulistisch, daß Prinz Max sich zwar gegen die „westliche Demokratie" ausspreche, für den „deutschen Parlamentarismus" aber wirklich etwas getan habe und daß er an der Friedens-resolution nur die inopportune Form tadele. David (SPD) machte einen Vermittlungsvorschlag: Den Gegnern durfte keinesfalls ein Vorwand geliefert werden, das deutsche Angebot abzulehnen mit der Begründung, Deutschland verdiene kein Vertrauen. Wenn Prinz Max von sich aus den Rücktritt anbot, würde dieses Argument entkräftet und gleichzeitig wäre es ein Beweis für die Stärke des Parlaments. Der Vorschlag wurde angenommen.

Inzwischen versuchte man sich ein Bild über die Reaktion des Auslandes auf den Brief zu verschaffen. Als Stresemann, Solf und Rantzau, der deutsche Gesandte in Kopenhagen, die Ansicht vertraten, daß die befürchtete Katastrophe im Ausland nicht eingetreten sei, fügte David hinzu, man müsse dennoch das Mißtrauen durch „neue Tatsachen" ausräumen. Deshalb forderte er, die Verantwortlichkeit der Staatssekretäre in der Verfassung zu verankern

Als in Berlin bekannt wurde, daß eine neue amerikanische Note unterwegs sei, schob man die Regelung der staatsrechtlichen Verantwortlichkeit der Exekutive noch einmal auf. Aber schon bald zwangen die Ereignisse das Kabinett auch in dieser Frage zu einer definitiven Lösung.

Am frühen Morgen des 16. Oktober traf die zweite amerikanische Note in Berlin ein. Wiederum wurden Friedensverhandlungen nur mittelbar in Aussicht gestellt, die der Präsident von der Erfüllung weiterer Bedingungen abhängig machte, ohne sie jedoch genau und detailliert zu definieren. In der Note hieß es u. a.: „Es ist auch notwendig, damit keine Möglichkeit eines Mißverständ-nisses entstehen kann, daß der Präsident mit großem Nachdruck ... erklären (kann), daß die ganze Durchführung des Friedens seiner Ansicht nach von der Bestimmtheit und dem befriedigenden Charakter der Bürgschaften abhängen wird, welche in dieser grundlegenden Frage gegeben werden können. Es ist unumgänglich, daß die gegen Deutschland assoziierten Regierungen unzweideutig wissen, mit wem sie verhandeln."

Noch nachdrücklicher als in der ersten Note kam das tiefe Mißtrauen gegen die neuen Verhältnisse in Deutschland zum Ausdrude. Der Friedensschluß wurde von einer befriedigenden Durchführung der innerdeutschen Reformen abhängig gemacht, aber auf das Ausmaß legte sich Wilson nicht fest. Hier offenbarte sich, daß die Parlamentarisierung nur aus taktischen Erwägungen erfolgte. Mit ein paar aufgesetzten Reformen glaubte man in Deutschland, zu einem schnellen Frieden zu kommen. Jetzt sah man sich im Kabinett den unangenehmen Fragen des amerikanischen Präsidenten ausgeliefert. Nun erst drängte Scheidemann darauf, endlich das Nötige zu tun und die Neuerungen nicht immer nur „tropfenweise“ zu geben, wobei er wohl gestand: „Persönlich empfinde er es als etwas Schmachvolles, daß man alle die freiheitlichen Änderungen jetzt unter dem Druck der Feinde vornehmen müsse.“

Eher als das Kabinett formulierte jedoch der Interfraktionelle Ausschuß, was noch zu tun war. Zunächst wurde darauf gedrängt, endlich die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gesetzlich zu regeln. Dabei erschien es günstig, auf Vorarbeiten des Verfassungsausschusses vom Frühjahr 1917 zurückzugreifen, um damit eine gewisse Eigenständigkeit im innerdeutschen Verfassungswandel zu demonstrieren. Im Vordergrund der Sitzung stand aber die Auffassung, daß man das Vertrauen des Auslandes nicht erwerben würde, solange die militärische Nebenregierung nicht abgeschafft sei. Nachdem Gothein (FVP) angedeutet hatte, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, wurde ein Unterausschuß eingesetzt, der die Vorschläge zur Regelung der Kommandogewalt präzisieren sollte, um sie dann schnellstens der Regierung zu übergeben, damit sie in die Antwort an Wilson einbezogen werden könnte

Doch die Zeit drängte. Die nächste Note mußte sobald wie möglich abgehen. Dem Kanzler erschien es plötzlich kleinmütig und würdelos, die Verfassung auf Geheiß des Feindes Paragraph um Paragraph abzubauen. Ein größerer Verfassungsumbau war ihm offensichtlich unvorstellbar, so suchte er sein Heil in der Flucht nach vom. In seinem Antwortentwurf wies er mit forschen Worten eine Einmischung in innerdeutsche Verhältnisse zurück: „Der Präsident fragt nach den Bürgschaften für die Dauer des neuen Systems. Gesetzesartikel allein können diese Bürgschaft nicht geben. Die Gewähr für die Unwiderruflichkeit des neuen Systems... liegt darin, daß der erklärte Wille und die innere Überzeugung der großen Mehrheit des deutschen Volkes hinter ihm steht. Ein Rückfall wäre nur dann zu befürchten, wem Deutschland sich dem Ausland zuliebe mit unaufrichtiger Eile eine Verfassungsreform aufdrängen ließe, die seiner Eigenart und Geschichte nicht entspräche.“

Diesen Ton gegenüber Wilson anzuschlagen, hielten aber die anderen Kabinettsmitglieder nicht für ratsam. Die Form wurde auf ihren Einspruch hin verbindlicher gestaltet. Im Inhalt beschränkte sich der abgeänderte Tert ebenfalls nur auf die nochmalige Versicherung des demokratischen Charakters der neuen Regierung, der Zusage der Kanzlerverantwortlichkeit sowie auf einen Hinweis auf den geänderten Artikel über die Kriegserklärung. Obwohl neben dem IfA auch der Bundesratsausschuß für die Auswärtigen Angelegenheiten bei der Beratung des Entwurfs zu bedenken gab, daß die bisherigen Reformen Wilson nicht genügen könnten und es zweckmäßig sei, in einer „in die Augen springenden Form" das Militärkabinett der zivilen Reichsleitung unterzuordnen ging die vom Kabinett gebilligte endgültige Fassung nicht über die erwähnten Punkte hinaus und ließ so abermals viele Stellen offen, in die Wilson mit weiteren Rückfragen vorstoßen konnte. Am 21. Oktober ging die deutsche Note an Wilson ab. Für die darin zugesagte Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber dem Reichstag lag aber noch kein Gesetzentwurf vor. In seiner Plenumsrede am 22. Oktober versicherte Prinz Max, daß das Ergebnis entsprechender „Vorarbeiten" bald vorgelegt würde. Zwar hielt er die gesetzliche Verantwortlichkeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen gar nicht mehr für notwendig räumte allerdings ein, daß es von Vorteil sei, die politische Neugestaltung auf diese Weise zu bekräftigen. Das Vertrauen der Abgeordneten in die Stabilität der Reformen war offensichtlich geringer als das des Kanzlers. Herlod (Zentrum) und Ebert forderten nach-drücklich, daß die Verantwortlichkeit des Kanzlers und der Sekretäre gegenüber dem Reichstag „sichergestellt“ und „unwiderruflich“ werde

Die letzten Schranken zum parlamentarischen System fielen erst, nachdem am Nachmittag des 24. Oktober die dritte Note Wilsons eingetroffen war. Wie zu erwarten gewesen war, verlangte der Präsident präzisere Auskünfte:

Aus der deutschen Note ging nicht hervor, ob . die Grundsätze einer dem deutschen Volke verantwortlichen Regierung jetzt bereits vollständig angenommen" seien. Ferner betonte Wilson, „daß beim Friedensschluß ...

die Regierung der Vereinigten Staaten mit keinem anderen als mit den Vertretern des deutschen Volkes verhandeln kann, welche bessere Sicherheiten für eine wahre verfassungsmäßige Haltung bieten als die bisherigen Beherrscher Deutschlands. Wenn mit den militärischen Beherrschern und monarchistischen Autokraten Deutschlands jetzt verhandelt werden muß ..., dann kann Deutschland über keine Friedensbedingungen verhandeln, sondern muß sich ergeben. Diese wesentlichen Dinge können nicht unausgesprochen bleiben."

Daß die Glaubwürdigkeit des neuen Systems vor allem von der Frage der Kanzlerverantwortlichkeit und dem Ausmaß der alten Militärmacht abhing, hatte die Regierung inzwischen selbst erkannt. Indem sie aber noch immer keine greifbaren Ergebnisse vorlegte, mußte der Eindruck entstehen, daß sie sich von Wilson eine Verfassungsänderung nach der anderen aufzwingen ließ.

Gemeinsam mit Solf unternahm Max von Baden . Interpretationskunststücke“, um eine Grundlage für die Besprechung der Note im Kabinett zu finden. Erst jetzt erkannte er, wenn auch nur ein Prozent Wahrscheinlich-

eit ist, daß er (Wilson, d. Verf.) es ehrlich meint und daß er gewissermaßen uns zu Hilfe Iit ihm durch entscheidende demokratische dtsachen die nötige Plattform zu geben, dann Russen wir sie ihm geben." Sofort gab er deshalb den Auftrag, die eingebrachten Verassungsänderungen umgehend zu verabschie-

5 sowie die geplanten Reformvorschläge 102110) über die Verantwortlichkeit und Kommandogewalt schnellstens nachzuziehen Ebenso drängte jetzt auch der IfA, wobei Fischbeck feststellte: „Es wäre besser gewesen, wenn wir schon vor Eintreffen der Note etwas weiter gekommen wären."

In der Abendsitzung am 24. Oktober beschäftigte sich das Kabinett dann erstmalig detailliert mit den noch ausstehenden Verfassungsänderungen, die den Bedingungen Wilsons entgegenkommen sollten. Einig war man sich, daß sämtliche Befugnisse des Kaisers schnellstens der Kontrolle des parlamentarisch verantwortlichen Reichskanzlers unterstellt werden müssen. Lewald versprach vorrangige Bearbeitung im Innenministerium; in zwei Tagen sollten die Entwürfe dafür fertiggestellt sein

Als der preußische Kriegsminister Scheüch die Änderungen für zu weitgehend hielt, warnte Unterstaatssekretär David vor der Gefahr halber Maßnahmen: „Wenn man überhaupt noch einen Erfolg von der jetzt versuchten Rettungsaktion gegenüber Wilson erhoffen wolle, so müsse man klar und bestimmt die volle Verantwortung des Reichskanzlers für die Ausübung sämtlicher Befugnisse des Kaisers zum Ausdrude bringen.“

Mit welcher Überstürzung die Reformen zum Abschluß getrieben wurden, zeigt sich wohl am deutlichsten darin, daß der Bundesrat gar nicht mehr gefragt werden konnte. Sie wurden dort erst am 28. Oktober beraten, zwei Tage, nachdem der Reichstag sie verabschiedet hatte, und am gleichen Tage, an dem sie bereits im Reichsgesetzblatt verkündet wurden, so daß von einer Mitbestimmung der verbündeten Regierungen nicht mehr gesprochen werden konnte. Die Entwürfe hatten lediglich dem Preußischen Staatsministerium vorgelegen ,

Auf ähnliche Weise wie der Bundesrat war der Kaiser zur Funktionslosigkeit verurteilt. Auch ihm blieb nichts anderes übrig, als die Systemänderung zu akzeptieren. Um aber nicht ganz abseits zu stehen, wollte er die Verfassungsänderungen mit einem Erlaß begleiten, in dem er sich zu der neuen Ordnung bekannte, die „grundlegende Rechte von der Person des Kaisers auf das Volk" übertrug. Aber Sätze wie: „Das Kaiseramt ist Dienst am Volk" aus dem Munde Wilhelms II. hielten die Kabinettsmitglieder nicht für angebracht und zu wenig glaubwürdig. Sie lehnten eine Veröffentlichung mit der Begründung ab, daß äußerste Zurückhaltung im Augenblick für den Kaiser das klügste Verhalten sei

Um die Öffentlichkeit über das Ausmaß der Reformen möglichst wirkungsvoll zu informieren, wurde am Tag vor der Einbringung der Gesetzentwürfe im Reichstag eine Pressebesprechung einberufen. Dem Regierungssprecher gelang aber nicht, die anwesenden Journalisten von der Eigenständigkeit der Reformen zu überzeugen. Als Reaktion auf seine nachdrückliche Feststellung, daß die Verfassungsänderungen nicht durchgeführt würden, weil Wilson es wolle, verzeichnet das Protokoll den zweifelnden Zuruf: „Nein?!". Dazu bemerkte der Sprecher, daß die Regierung „schon vor ungefähr einer Woche" (sic!) so weitgehende Reformen geplant habe

Am 26. Oktober 1918 stimmte der Reichstag gegen die Konservativen dem „Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfas. sung" zu: Der Reichskanzler und die Kabinetts-mitglieder waren künftig bei ihrer Amtsführung dem Reichstag verantwortlich (Art. 15), Der Kanzler konnte aber weiterhin nicht aus den Parlamentsmitgliedern nominiert werden, denn Art. 9, 2 blieb unverändert erhalten. Der Kaiser wurde aus dem politischen Bereich weitgehend ausgeschaltet, da der Kanzler für alle Handlungen des Monarchen die Verantwortung trug (Art. 15, 2). Vor allem hob die neue Verfassung die Kommandogewalt des Kaisers auf. In Zukunft konnte er die Offiziere nur noch mit Zustimmung des Kanzlers ernennen (Art. 53; 64). Die Verfassung brach also mit dem Immediatsprinzip. Das gehaßte Militärkabinett wurde durch eine Kabinettsorder vom 28. Oktober dem preußischen Kriegsministerium unterstellt Kriegserklärungen und Friedensschlüsse bedurften künftig neben der Zustimmung des Bundesrats auch der des Reichstags.

VI. Die Unwirksamkeit der Reformen

Mit den Verfassungsänderungen war das Deutsche Reich ein parlamentarisch regierter Staat geworden. Doch das neue System war vom Augenblick seines Entstehens an zu baldigem Scheitern verurteilt. Die erste parlamentarische Regierung in Deutschland hat ihre erklärten Ziele nicht erreicht. Jetzt rächte sich, daß der Verfassungswechsel bestimmt wurde von strategischem Kalkül. Er kam erst, als es nichts mehr zu kämpfen gab, zu spät, um glaubwürdig zu sein. Die Friedensbedingungen der Alliierten verloren darum auch nichts an ihrer Härte.

Eine innerdeutsche Neuordnung hätte die Friedensverhandlungen nur dann positiv beeinflussen können, wenn Deutschland nicht restlos geschlagen worden wäre. Aber gerade diese Voraussetzung fehlte der Regierung Max von Baden. Das Waffenstillstandsangebot ließ die Alliierten sofort die Beweggründe der plötzlichen deutschen Parlamentarisierung durchschauen: Das neue System war von Anfang an eine zwangsläufige Begleiterscheinung der Niederlage, ein Symptom der Furcht.

Hugo Preuß analysierte die neuen Verhältnisse treffend in einem Aufsatz „Die Improvisierung des Parlamentarismus". Die Plötzlichkeit der Durchführung mußte unzweifelhaft suspekt wirken. Er schrieb weiter: „Die , Par-

lamentarisierung’ und . Demokratisierung’ eines großen Staatswesens . . . soll von einem Tage datiert werden können! Und das ist nicht der Tag einer siegreichen Revolution, eines Bastillesturms, sondern es ist das Datum eines Erlasses! Die Eigenartigkeit des Vorganges macht den skeptischen Zweifel drinnen und draußen wohl begreiflich."

Der „Bastillesturm" kam dann aber doch. Obwohl an der Spitze des Staates auch die gewählten Vertreter der Volksmehrheit standen und obwohl während ihrer Amtszeit die weitestgehenden Reformen durchgesetzt worden waren, stürzte man sie. Arthur Rosenberg irrt aber, wenn er meint, daß der 9. November 1918 eigentlich eine Revolution des Volkes gegen sich selbst gewesen sei Welche augenfälligen Merkmale hatte die neue Regierung auch anzubieten? Sie wurde von einem Prinzen geführt, der nicht auf demokratischem Wege gewählt wurde. An der Spitze des Staates blieb Wilhelm II. als Sym bol des alten Regimes. Vor allem aber, die Regierung verstand keinen Frieden zu machen Als die Meutereien Anfang November 19 ausbrachen, war die Demokratisierung Deutschlands allenfalls künftiges Programm, aber keine Realität.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Auf keinen Fall läßt sich aus diesen Ansätzen die Kontinuität eines Parlamentarisierungsprozesses herleiten, „der lange vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges bereits eingesetzt hatte", wie neuerdings Bermbach behauptet. Vgl. Udo Bermbach, Voiformen parlamentarischer Kabinettsbildung in Deutschland, Köln 1967, S. 11.

  2. Vgl. P. Chr. Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis 1913, Lübeck 1970, S. 32 ff.

  3. O. Hintze, Staat und Verfassung, Göttingen 1962, S. 423.

  4. W. C. Haussmann, Die Durchsetzung des parlamentarischen Systems im Deutschen Kaiserreich, Heidelberg 1927, S. 23 f.

  5. Vgl. A. Rosenberg, Entstehung der Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1961, S. 138.

  6. F. Fischer, Griff nach der Weltmacht, Studienausgabe, Düsseldorf 1967, S. 280.

  7. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversann, lung und des Deutschen Reichstages, 4. Rel Bd VII, S. 390 f.

  8. KGraf V'Hertling, Ein Jahr in der Reichskanzters nnnerungen an die Kanzlerschaft meines Va-t WFrei burg 1919, S-173.

  9. p C Haussmann, a. a. O., S. 73.

  10. F Fischer, a. a. O., S. 545.

  11. Vgl. Th. Heuss, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, Stuttgart 1949, S. 432.

  12. Vgl. Kreuz-Zeitung Nr. 497 v. 29. 9. 1918.

  13. Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. I. Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik. Bd 1/1 u. II: Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Düsseldorf 1959, u. Bd 2: Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Düsseldorf 1962; hier: Bd l/II, S. 488 f.

  14. A. a. O., S. 591 (Richthofen am 14. 9. 1918).

  15. Bermbach, a. a. O., S. 281 f.

  16. Quellen l/II, S. 764.

  17. Quellen l/II, S. 605 f.

  18. Quellen l/II, S. 641 b. na

  19. Außer Art. 9, 2 RV stand auch Art. 21, 2 Parlamentarisierung im Wege: Aufgabe des Ke tagsmandats bei besoldetem Reichsamt.

  20. Vossische Zeitung Nr. 496 v. 28. 9. 1918.

  21. Quellen l/II, S. 726 A. 19.

  22. Quellen 1/11, S. 582.

  23. unentsprechend wird hier unter Parlamentarisie-standen r die Berufung von Parlamentariern ver-lammeen , 28 nntarioshcnheendie Verantwortlichkeitsfrage des par-

  24. Ebenda, S. 684.

  25. Quellen l/II, S. 725.

  26. Payer, a. a. O., S. 105.

  27. Prinz Max, a. a. O., S. 148.

  28. Ebenda, S. 306 ff.

  29. Ebenda, S. 306.

  30. Vgl. J. Petzold, Ethischer Imperialismus. Eine Studie über die politische Konzeption des Kreises um den Prinzen Max von Baden am Vorabend der deutschen Frühjahrsoffensive von 1918, in: Politik im Krieg 1914— 1918, Berlin 1964, S, 204 ff. Bei Petzold ist die gesamte Denkschrift abgedruckt, während sie in Max von Badens Memoiren nur in den ihn nicht belastenden Passagen erscheint; vgl. Prinz Max, a. a. O., S. 231 ff.

  31. Ebenda.

  32. C. Haussmann, Schlaglichter. Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen, hrsg. v. U. Zeller, Franx furt/M 1924, S. 211.

  33. Ebenda, S. 127.

  34. Vgl. Rosenberg, a. a. O., S. 101.

  35. WUA/2, S. 253. Hertling, a. a. O., S. 176.

  36. WUA/2, Ani. 11, S. 361 ff.

  37. Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusam-nenbruch, 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neu-E nung Deutschlands in der Gegenwart, hrsg. v. s. 322chaelis UE'Schraepler, Bd 2, Berlin 1958,

  38. WUA/2, Anl. 15, S-386 f.

  39. IHintzes an den Adjutanten des Kronprin-An Major. von Müller, vom 23. 10. 1918,

  40. ebenda, «« 1 FEKben'7da, *s-f. 401.

  41. Ebenda, Anl. 16, S. 415 f.

  42. Ursachen und Folgen, a. a. O., S. 349; Hertling, a. a. O., S. 185.

  43. WUA/2, Anl. 16, S. 419.

  44. Schulthess Europäischer Geschichtskalender, hrsg. v. W. Stahl, Jg. 1918/1, S. 314.

  45. Berliner Börsen-Courier Nr. 459 v. 1. 10. 1918, zit. nach K. Lütge, Die Politik des Reichskanzlers Max von Baden, Kiel, Diss. phil. 1953, S. 27.

  46. Vossische Zeitung Nr. 501 v. 1. 10. 1918.

  47. Hertling, a. a. O., S. 182.

  48. Berliner Tageblatt v. 1. 10. 1918, zit. n. Lütge, a. a. O., S. 29.

  49. Prinz Max, a. a. O., S. 331.

  50. WUA/2, S. 293.

  51. Hertling, a. a. O., S. 183.

  52. Vgl. S. 30.

  53. Prinz Max, a. a. O., S. 331.

  54. Ebenda, S. 344.

  55. Quellen l/II, S. 738 ff., S. 751 ff.

  56. Quellen 2, S. 3 ff.

  57. Eben da, S. 20; vgl. Payer, a. a. O., S. 84: Payer am Hertling, bereits vor dessen Abreise nach Spa im. v'erklärt, daß er den Kanzlerposten nicht somrnehmen werde. Die Umbildung sei am wirk-ddaenr altetenn, wabesnentzes. ich die neue Regierung ganz von

  58. Bermbach, a. a. O„ S. 290.

  59. Ebenda, S. 292.

  60. K. Epstein, Matthias Erzberger and the S. 260 °f German Democracy, Princeton 1959,

  61. Quellen 2, S. 32.

  62. WUA/2, Änl. 16, S. 415 ff.

  63. Quellen l/II, s. 738.

  64. Ebenda, S, 772.

  65. Ebenda, S. 739.

  66. Quellen 2, S. 20.

  67. Vgl. Bermbach, a. a. O„ S. 112 f.

  68. Quellen 2, S. 51 f.

  69. Quellen l/II, S. 739.

  70. Prinz Max, a. a. O., S. 343.

  71. Quellen 2, S. 4.

  72. Prinz Max, a. a. O., S. 343.

  73. Ebenda, S. 357.

  74. Ebenda, S. 343 u. 356.

  75. Ebenda.

  76. Vgl. die „Ministerliste" bei Prinz Max, a. a. 0-S. 357 f.

  77. Vorschlag Trimborns, vgl. Quellen 1/1, S. 740.

  78. Ebenda.

  79. Prinz Max, a. a. O., S. 342. . . ..

  80. Ph. Scheidemann, Memoiren eines Soziald kraten, Bd 2, Dresden 1928, S. 189 ff.

  81. Zit. n. Vossische Zeitung Nr. 506 v. 3. 10. 1918.

  82. Beendau. Nr. 507 v. 4. 10. 1918.

  83. runq dou dung zum Gesetzentwurf zur Abände-Quellen 12 sc 4hsverfassung, vom 3. 10-1918, vgl.

  84. Ebenda, S. 45.

  85. Art. 9, 1 RV.

  86. Protokolle über die Verhandlungen des Bundes-rats des Deutschen Reiches, Jg. 1918, 55. Sitzung, S. 1435.

  87. Stenographische Berichte des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd 314, L 93. Sitzung v. 22. 10. 1918. S. 6155 f.

  88. Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918, Berlin 1927, Nr. 34, S. 74.

  89. IfA-Sitzung vom 4. 10. 1918, Quellen 2, S. 70 ff.

  90. Reichsgesetzblatt 1918/2, S. 1237.

  91. Quellen 2, S. 88, 95 u. 129.

  92. Amtliche Urkunden Nr. 37, S. 85.

  93. Quellen 2, S. 98 f.

  94. Ebenda, S. 130.

  95. Amtliche Urkunden, Nr. 47, S. 106.

  96. a. a. 0. s. 2. aa°. * 183 ff.; Scheidemann,

  97. IfA-Sitzung vom 12. 10. 1918, Quellen 2, S. 148 ff.

  98. IfA-Sitzung vom 13. 10. 1918, ebenda S. 174.

  99. Amtliche Urkunden, Nr. 48, S. 109 f.

  100. Sitzung des Kabinetts v. 16. 10. 1918, Quellen 2, S. 205 f.

  101. IfA-Sitzung v. 17. 10. 1918. Quellen 2. S. 253 ff.

  102. Prinz Max, a. a. O., S. 458. 10

  103. Äußerung von Dandl in der Sitzung am -• . 1918, -s. E. Deuerlein, Der Bundesratsaussdu Re die Auswärtigen Angelegenheiten 1870— 19181 gensburg 1955, S. 311 f.

  104. Sten. Ber. d. Reichstags, 193. Sitzung, S. 6155 ff.

  105. Amtliche Urkunden, Nr. 76, S. 190 ff.

  106. Frinz Max, a. a. O„ S. 497

  107. Ebenda, S. 495.

  108. Sitzung am 24. 10. 1918, Quellen 2, S. 329 ff.

  109. Ebenda, S. 332.

  110. Besprechung im Reichsarat des Innern am 25. 10. 1918, Quellen 2, S. 350.

  111. Protokolle des Bundesrats, 60. Sitzung; vgl. Quellen 2, S. 417 ff. u. S. 367, A. 14.

  112. Prinz Max, a. a. O., S. 525.

  113. Quellen 2, S. 336.

  114. Für die Interpretation der Verfassungsänderun gen vgl. Quellen 2, S. 378 ff. . _

  115. Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 549 26. 10. 1918.

  116. Rosenberg, a. a. O., S. 223 f.

Weitere Inhalte

Elisabeth Grundmann, geb. 1941, studierte Geschichte und Romanistik in Kiel und Berlin und ist zur Zeit wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Volkshochschulverband. Claus-Dieter Krohn, geb. 1941, studierte Geschichte und Germanistik in Hamburg und Berlin und promoviert gegenwärtig in Hamburg über ein Thema zur Finanzpolitik der Weimarer Republik.