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Die gegenwärtige sowjetische Politik der europäischen Sicherheit Das Problem der europäischen Friedensordnung | APuZ 10/1971 | bpb.de

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APuZ 10/1971 Artikel 1 Die gegenwärtige sowjetische Politik der europäischen Sicherheit Das Problem der europäischen Friedensordnung Erfolg oder Mißerfolg? Die Deutschland-und Ostpolitik der Bundesregierung

Die gegenwärtige sowjetische Politik der europäischen Sicherheit Das Problem der europäischen Friedensordnung

Gerhard Wettig

/ 63 Minuten zu lesen

Jahrhundertelang ist das Nachdenken über die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa von der Vorstellung des europäischen Gleichgewichts bestimmt gewesen. Der dabei zugrunde liegende Begriff des Gleichgewichts ist zwar vieldeutig und wird dementsprechend auf sehr verschiedene Weise verstanden doch lassen sich an dem alteuropäischen Staaten-system, das bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in wechselnden Formen bestanden hat, bestimmte charakteristische Merkmale aufweisen. Zum einen handelte es sich um ein polyzentrisches System. Eine Vielzahl erstrangiger Mächte existierte nebeneinander und besaß die Fähigkeit zur Koalitionsbildung nach allen Seiten hin. Das schloß die Möglichkeit der Entstehung permanenter Blöcke mit hierarchischen Strukturen aus und machte den Allianz-wechsel zu einem entscheidenden Vehikel antizyklischer Machtverlagerung, wenn einer der großen Staaten sich durch einen enormen Zuwachs seiner Machtmittel über die anderen Länder erheben wollte. Zum zweiten besaß das System eine sehr weitreichende Anpassungsfähigkeit an machtpolitische Veränderungen unter den ihm zugehörigen Staaten. Große Machtzunahme einzelner Länder und erhebliche Machtabnahme anderer Länder brachten die Art der zwischenstaatlichen Zuordnung nicht in Gefahr, weil weder die Anzahl der systemtragenden Großmächte noch ihre konkrete Identität festgelegt war und daher ohne Schaden für das Ganze wechseln konnte. Solange als Minimum drei große Staaten vorhanden waren, deren stärkster durch die beiden übrigen an dem Aufbau einer Vorherrschaft gehindert werden konnte, blieben alle Umbrüche im einzelnen systemunschäd-lich.

Schließlich war es ein unerläßlicher Bestandteil des Systems, daß es keine scharfen, eine prinzipielle Feindschaft setzenden politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Trennungen gab. Demzufolge bestand zwischen den staatlichen Mitgliedern des Systems eher ein assoziatives als ein dissoziatives Empfinden. Nur unter dieser Voraussetzung war der freie Wechsel der Allianzbindungen, der unbedingt systemnotwendig war, praktisch zu realisieren. Das alteuropäische Staatensystem war freilich keine Friedensordnung nach den strengeren Maßstäben unserer Zeit, welche die Verhinde-rung des Krieges als Lebensbedingung industrieller Gesellschaften erkannt hat. Der Krieg war damals systemmöglich und system-legitimiert; unter Umständen bildete er sogar die einzige Möglichkeit zur Rettung oder Wiederherstellung des Systems

Mit der Herausbildung eines permanenten bipolaren Allianzsystems (Mittelmächte und Entente) in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hörte, von vielen Zeitgenossen unbemerkt, das traditionelle System des europäischen Gleichgewichts auf zu bestehen. Es entbehrt darum auch nicht der geschichtlichen Logik, wenn die sich daran anschließende kriegerische Auseinandersetzung zu einer von den Mächten des alten Europa nicht mehr zu bewältigenden Pattsituation und zur schließlichen Intervention einer Außenmacht, nämlich der Vereinigten Staaten von Amerika, führte. Während der Zwischenkriegszeit gelang es nicht, das zerstörte System des europäischen Gleichgewichts wieder zu erneuern. Der Mißerfolg des Bemühens läßt sich unter anderem auf die Weigerung der USA, die übernommene Rolle innerhalb des europäischen Systems weiterzuspielen, auf die Entstehung des Sowjet-staates als einer Macht, die sich in einem prinzipiellen Gegensatz zu den übrigen Staaten empfand und daher ihr politisches Handeln an systemfremden Zielen orientierte, und auf die gesellschaftlich-politischen Radikalisierungen zurückführen, welche die Niederlage in einem gegenüber früher totalisierten militärischen Ringen bei den Deutschen auslöste. Die totale Herausforderung des nationalsozialistischen Deutschland an die Gesamtheit der anderen Mächte im Zweiten Weltkrieg ließ mit innerer Folgerichtigkeit diese anderen Mächte trotz aller trennenden ideologischen Gegensätze sich in einer unlöslichen Front gegen Deutschland fühlen und sie in Mißachtung der alt-europäischen Friedensregel, daß man den Besiegten als potentiellen Verbündeten im Kampf gegen die Herausforderungen von morgen nicht gänzlich entmachten dürfe, die Eliminierung des deutschen Faktors aus dem europäischen System anstreben. Daher wurde Deutschland einer Besatzungsherrschaft der Siegermächte unterworfen.

Als dann in den Nachkriegsjahren die Ost-West-Gegensätze immer stärker die Weltpolitik bestimmten, waren weder die kriegsgeschwächten europäischen Staaten der Sieger-koalition noch das zerschlagene und geteilte Deutschland in der Lage, im Verhältnis zu den beiden beherrschenden Flügelmächten USA und UdSSR die Rolle einer ausbalancierenden dritten Macht zu spielen. Die osteuropäischen Länder einschließlich eines deutschen Teilgebietes wurden in den Machtbereich der Sowjetunion einbezogen, und die westeuropäischen Länder einschließlich des deutschen Westens sahen ihre Sicherheit durch die UdSSR als weitaus stärkste Macht auf dem europäischen Kontinent so sehr bedroht, daß sie Schutz in der Bindung an die Vereinigten Staaten von Amerika suchten Mittlerweile sind zwar Potential und Selbstbewußtsein der westeuropäischen Staaten erheblich gewachsen, doch hat inzwischen die Entwicklung der militärischen Technologie zur Erlangung eines Weltmachtstatus eine Größenordnung an territorialen, materiellen und wissenschaftlichen Hilfsquellen erforderlich gemacht, wie sie unter den europäischen Staaten keiner mehr besitzt.

Daher ist das gegenwärtige Staatensystem ih Europa trotz aller einzelstaatlichen Verselbständigungstendenzen in den beiden Blöcken, Wie sie insbesondere Frankreich und Rumänien gezeigt haben, in seinen tragenden Grundlagen bizentrisch. Die beiden Blöcke bestimmen entscheidend die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa, namentlich in außen-und sicherheitspolitischer Hinsicht, überdies sind die europäischen Staaten entlang einer geographischen Scheidelinie, die mit den Blockgrenzen identisch ist, politisch, gesellschaftlich und ideologisch dissoziiert, das heißt, sie haben mit antagonistischen Wertungen versehene Vorstellungen und leiten daraus weithin auch antagonistisch bewertete Wahrnehmungen der jeweiligen Gegenseite ab Daraus wird dann vielfach die Schlußfolgerung nicht nur der faktischen Unmöglichkeit, sondern auch der moralisch-politischen Unzulässigkeit einer Annäherung gezogen Das Handeln beider Seiten ist von dem Willen bestimmt, der jeweils anderen Seite ein militärisches und politisches Gegengewicht entgegenzusetzen, das zumindest dieser eine Ausdehnung ihres Machtgebietes verwehrt. Die beiden Blöcke verweigern sich daher wechselseitig Veränderungen des Status quo und erkennen unausgesprochen die Teilung Europas in zwei Sphären gegenseitiger Nicht-Einmischung an.

Dies wird bewerkstelligt, indem beide Seiten zur Abwehr etwaiger zu ihren Ungunsten vorgenommener Veränderungen ein militärisches und politisches Potential bereithalten, das Gewaltakte zwischen den Blöcken zu einem unverhältnismäßigen und letztlich unkalkulierbaren Risiko macht. Dieses „Gleichgewicht der Abschreckung" setzt die Einbeziehung der USA in das europäische System voraus. Die UdSSR besitzt auf dem europäischen Kontinent ein militärisches und geopolitisches Gewicht, das die westeuropäischen Länder auch vereinigt bei optimaler Entfaltung ihrer Kräfte nicht erreichen können. Die wechselseitigen Schutz-und Beistandsverpflichtungen im Rahmen der NATO und die Präsenz beträchtlicher amerikanischer Streitkräfte in Westeuropa (die sozusagen die USA mit den westeuropäischen Staaten physisch identifiziert) sind daher unerläßliche Bedingungen für das Funktionieren der Abschreckung im Ost-West-Verhältnis. Durch die Teilung Deutschlands ist das frühere Kraft-zentrum in der Mitte Europas entscheidend geschwächt und auf den Rückhalt an den Vormächten beider Blöcke verwiesen, so daß die Bizentrizität von dort aus nicht in Frage gestellt, sondern verstärkt wird. Die Teilung Deutschlands gehört daher mit zu den Voraussetzungen des Systems der Abschreckung in Europa, auf die nicht ohne weiteres (das heißt, ohne kompensatorische Bemühungen) verzichtet werden kann, wenn das System in der bisherigen Weise fortbestehen soll.

Das System der Abschreckung hat seit seinem Bestehen den Ausbruch eines Krieges in Europa verhindert. An Ost-West-Konflikten, die— wie insbesondere in der Berlin-Frage — sich wiederholt zu akuten Krisen ausgewachsen haben, hat es seit den späten vierziger Jahren auf dem europäischen Kontinent wahrlich nicht gefehlt, doch ist eine kriegerische Austragung der Konflikte bisher immer vermieden worden. Trotzdem besteht weithin ein gewisses Unbehagen. Vor allem in den westeuropäischen Ländern ist im gleichen Ausmaß, wie das Problem der Kriegsverhütung durch die Pattstellung von NATO und War-schauer Pakt gelöst schien, eine Unzufriedenheit mit den aus der Bizentrizität resultierenden blockinternen Abhängigkeitstrukturen laut geworden. Ähnliche Tendenzen zeigten sich auch in den osteuropäischen Partnerländern der UdSSR, konnten sich aber im allgemeinen weniger artikulieren und durchsetzen. Aus anderer Richtung wurde kritisch geltend gemacht, das System der Abschreckung konserviere die Übel des Status quo in Europa wie beispielsweise die Bewußtseinsund Verhaltensstrukturen der intereuropäischen Konfrontation oder bestimmte, aus nationalen oder humanitären Gründen unerträgliche Sachverhalte (die Spaltung Deutschlands oder die Unterdrückung europäischer Völker, definiert nach der jeweiligen ideologischen Optik). In diesem Sinne ist die Kritik an dem bizentrischen System der Abschreckung ein Protest gegen den ideologisch-antagonistischen, gesellschaftlichen oder politischen Immobilis-

mus, wie er im Zeichen des Kalten Krieges eingetreten war. Verbunden damit ist häufig das Gefühl, daß auf der Basis feindlichen Gegenüberstehens und gegeneinander gerichteter Abschließung ein dauerhafter Friede nicht zustande kommen könne.

Gegen das System der Abschreckung wird auch eingewandt, daß die dadurch bewirkte Kriegsverhinderung nur unzuverlässiger Art sei und daher für die Zukunft einen allzu prekären Schutz biete. Der Zweifel geht dabei teilweise von der Konzeption des alt-europäischen Gleichgewichts aus, bei der die Existenz vieler erstrangiger Mächte mit freien Koalitionsmöglichkeiten das überwiegen der gegen die Aufrichtung einer Vorherrschaft kämpfenden Partei gesichert hatte. In dieser Perspektive muß das gegenwärtige bizentrische System als extrem instabil erscheinen: Die Verhütung von Initiativen, welche die wechselseitige Respektierung der Positionen beenden würden, hängt ausschließlich von der Existenz eines hinreichenden Abschreckungs-potentiais auf der Gegenseite ab. Damit fehlt nicht nur jede Alternative zu dem Zwang, die Rüstungen der Gegenseite mit mindestens gleichwertigen Anstrengungen zu beantworten. sondern es besteht auch jederzeit die Gefahr einer ungleichmäßigen Entwicklung auf beiden Seiten, die das vorhandene Gleichgewicht aufhebt. Die Übermacht der einen Seite kann nicht mehr durch die Verbindung einer dritten Macht mit der schwächeren Seite wett-gemacht werden und wird daher das System der Abschreckung durch ein monozentrisches Hegemonialsystem ablösen können. Einer neueren Untersuchung zufolge ist freilich bei diesem Denkmodell ein entscheidender Faktor nicht berücksichtigt. Danach geht die balancierende Wirkung, die früher in der Unsicherheit bezüglich der Allianzpartner auf der Gegenseite herrschte, heute von der Unsicherheit bezüglich des jeweiligen Grades der Risiko-und Einsatzbereitschaft auf der Gegenseite für den Fall bestimmter Herausforderungen aus

Nach einer anderen Argumentation bergen die technologischen Zukunftsaussichten die Gefahr großer Instabilität in sich. Waffentechnisch be-ruht die Abschreckung gegenwärtig darauf, daß die beiden Weltmächte jeweils die Fähigkeit zum „zweiten Schlag" besitzen, daß sie also auch nach erlittenem Kernwaffenüberfall noch über genügend nukleare Vergeltungskapazität verfügen, um die Gegenseite tödlich zu treffen. Aus dieser Unfähigkeit beider Seiten zu einem „ersten Schlag" (in dem Sinne, daß dieser Schlag von unannehmbaren Folgen begleitet wäre) wird der Schluß gezogen, daß keine der beiden Weltmächte es sich leisten kann, einen Kernwaffenkrieg gegen die andere zu beginnen. Weil ein konventioneller Krieg nicht mit Sicherheit von einem Übergang in eine nukleare Auseinandersetzung abgehalten werden kann, gilt diese Risikoeinschätzung in gewisser Weise auch für den Fall eines herkömmlichen Krieges zwischen den beiden Weltmächten Mit der Entwicklung neuer Waffensysteme wie der Raketenabwehrraketen (anti-ballistic missiles, ABM) und der Mehrfachsprengkopfraketen (multiple independently targeted reentry vehicles, MIRV) aber scheint der Durchbruch zur Fähigkeit eines „ersten Schlages" (ohne die Folge eines unannehmbaren fürchterlichen Gegenschlags) in den Bereich künftiger Möglichkeiten gerückt. In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick kritisch auf die prinzipielle „Unfähigkeit eines Systems souveräner Staaten, Krieg ganz zu vermeiden", und das Bestreben artikuliert sich, das machtpolitische System der zwischenstaatlichen Beziehungen in eine neue internationale Struktur ohne die Ultima ratio des Krieges zu verwandeln

Der kurze Überblick über die Struktur der gegenwärtigen zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa und über die verschiedenen Denkansätze der sich gegen sie richtenden Kritik oder Opposition macht deutlich, daß der Versuch zur Sicherung des europäischen Friedens mittels einer wechselseitigen Abschreckung zwar den Kontinent bisher vor kriegerischen Katastrophen bewahrt hat, aber dennoch als hinreichend problematisch empfunden wird, um der Suche nach besseren Lösungen, sei es in Ergänzung oder in Ersetzung des bestehenden Abschreckungssystems, Raum zu geben. Die sowjetische Führung hat schon sehr früh, nämlich Mitte der fünfziger Jahre, wiederholte Versuche unternommen, dieses Suchen durch Vorschläge über Maßnahmen der „europäischen Sicherheit" einzufangen und zu lenken.

Vorschläge dieser Art können dabei eine zweifache Funktion haben: Sie können auf die Schaffung eines ganz bestimmten Systems der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa abgestellt sein, oder sie können sich darauf richten, das Verhältnis des vorschlagenden Staates zu anderen Staaten zu verändern, indem dieser zu einer (vielfach im voraus berechneten) Reaktion genötigt und dadurch in eine bestimmte außenpolitische Lage hineinmanövriert wird. Es kann also dem Staat, der das Projekt unterbreitet, entweder darauf ankommen, seine Beziehungen zu anderen Staaten zur Vorantreibung der hinter dem Projekt stehenden systemaren Zielvorstellungen zu benutzen, oder aber darauf, durch das Projekt und die mit seiner Hilfe bei dritten Staaten erweckten Wahrnehmungen und Vorstellungen einen oder mehrere andere Staaten in eine für die eigene Seite vorteilhafte Situation zu versetzen, ohne daß eine Veränderung des systemaren Status quo angestrebt wird.

Beide Arten von Zielen müssen sich freilich nicht unbedingt ausschließen: Es kann einer erstrebten Systemveränderung dienen, wenn ein anderer systemwichtiger Staat in ein anderes Verhältnis zu dem vorschlagenden Staat gebracht und damit möglicherweise zu einem neuen Verhalten gegenüber den Vorschlägen veranlaßt wird, und es kann den Wechsel bilateraler Beziehungen herbeiführen, wenn ein andersartiges Staatensystem einen neuen Rahmen setzt. Allerdings ist es nicht unwichtig, wo der Ansatz zur Änderung gesucht wird — bei den Beziehungen zu anderen Staaten innerhalb des bestehenden Systems oder bei systemaren Veränderungen gegenüber den anderen Staaten. Bei einer Analyse sowjetischer Vorschläge und Aktionen zur „europäischen Sicherheit" ist daher immer sowohl die Struktur des favorisierten Systemmodells als auch die Wirkung der verwendeten Reizworte auf die Gestaltung der weiteren Beziehungen zwischen der UdSSR und wichtigen anderen Staaten zu untersuchen.

Es gibt kein durchgängiges sowjetisches Programm der „europäischen Sicherheit". Die UdSSR hat vielmehr zu verschiedenen Zeitpunkten — 1954, 1955, 1965, 1966— 1968 und schließlich seit Frühjahr 1969 — sehr unterschiedliche Vorstellungen unter dieser Parole propagiert Gemeinsam freilich ist allen diesen Vorschlägen, daß sie die Änderung wichtiger Grundlagen des bestehenden Systems der wechselseitigen Abschreckung forderten, und zwar normalerweise wesentlich auf der westlichen Seite. Die Reizworte waren dabei offensichtlich bestimmten Tendenzen des Mißbehagens bezüglich des gegebenen Status quo in den westeuropäischen Ländern angepaßt, und zwar auch dann, wenn bestimm-te Elemente des Status quo zur Leitparole erhoben wurden. Die folgenden Ausführungen gehen von den Vorschlägen der europäischen Sicherheit aus, welche die sowjetische Seite seit März 1969 vorgelegt hat und analysiert die Kommentare, die von den politischen Führern und Sachverständigen der UdSSR seit dem Sommer 1970 zu den Problemen der Europa-Politik abgegeben worden sind.

Sowjetische Vorschläge zur europäischen Sicherheit 1969/70

Matthias Walden Hans Dieter Jaene Erfolg oder Mißerfolg? Die Deutschland-und Ostpolitik der Bundesregierung .............................................. S. 27

Die Parolen, unter welche die sowjetische Führung ihre Politik der europäischen Sicherheit in den Jahren 1966— 1968 stellte, waren auf die Mobilisierung möglichst starker Gegenkräfte gegen den Bündniszusammenhang der NATO und gegen die Anwesenheit der amerikanischen Militärmacht auf dem europäischen Kontinent gerichtet. Mittel zu diesem Zweck war sehr wesentlich eine konzentrische Steuerung aller Attacken gegen die Bundesrepublik Deutschland als den angeblich spannungserzeugenden und friedenverhindernden Staat. Begründet wurden diese Angriffe mit der Tatsache, daß die deutsche Bundesregierung an der These vom rechtlichen Fortbestand der Grenzen von 1937, an dem Wiedervereinigungsgebot, an dem grundsätzlichen Anspruch auf die Vertretung aller Deutschen und am Postulat der völkerrechtlichen Nicht-Existenz der DDR (mit der Folge, daß die Anerkennung der DDR durch andere -Staaten kei nesfalls geduldet werden konnte) festhielt. Daraus wurde für die Bundesrepublik Deutschland propagandistisch der Vorwurf abgeleitet, sie suche in „revanchistischer" Weise das Gebiet der DDR und weite Teile Polens, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion zu erlangen und wolle um dieses Zieles willen in militaristischer" Weise einen nuklearen Weltkrieg entfesseln. Diese Argumentation diente der damaligen sowjetischen Absicht, die Bundesrepublik Deutschland als den Störenfried in Europa zu denunzieren, in zweifacher Weise: Den Osteuropäern wurde die Gefährdung ihrer territorialen Sicherheit durch die Westdeutschen vor Augen gestellt, während den Westeuropäern erklärt wurde, daß ihre Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland sie in einen weder von ihnen gewollten noch für sie ersprießlichen deutschen Angriffskrieg gegen den Osten hineinzuziehen drohe.

Die deutsche Bundesregierung war bestrebt, die Absurdität derartiger Schlußfolgerungen aus ihrem eher theoretischen als praktisch motivierten Rechtsstandpunkt darzutun, unter anderem durch die Aushandlung eines Gewaltverzichtsvertrags mit der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern. Die UdSSR freilich war daran nicht interessiert und ließ die Verhandlungen scheitern Das strategische Konzept Moskaus ging damals vielmehr dahin, die Bundesrepublik Deutschland als diejenige Macht, von der nach dem französischen Austritt aus der NATO-Militär-organisation der weitere Fortbestand der NATO auf dem europäischen Kontinent abhing, durch maximale Pressionen zur Fortführung der atlantischen Bündnispolitik entweder unfähig oder unwillig zu machen Bis Anfang 1969 hatte sich die Lage in Europa so weit verändert, daß das bisherige strategische Konzept der Sowjetunion kaum noch anwendbar war. Bereits mit dem Regierungsantritt der Großen Koalition war der sowjetische Kurs erschwert worden, da deren modifizierte Ostpolitik im Westen und teilweise sogar in Osteuropa der sowjetischen Propagandathese von der westdeutschen Friedens-bedrohung erfolgreich entgegenwirkte. Nach dem sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei verbreitete sich in Europa weithin der Eindruck, daß die europäische Sicherheit in erster Linie durch die Sowjetunion — und nicht durch die von ihr angeschuldigte Bundesrepublik Deutschland — bedroht sei. Westeuropäische Hoffnungen auf eine mühelose Entspannung des Verhältnisses zur Sowjetunion verflogen. Dementsprechend wurde der NATO wieder größere Wichtigkeit bei der Aufgabe der Friedenserhaltung und der Friedenssicherung in Europa beigemessen. Die Sitzung des NATO-Rates wurde vorverlegt; auf ihr fanden sich die westeuropäischen Bündnismitglieder zu höheren Verteidigungsleistungen bereit.

Unter diesen Umständen mochten sowjetische Versuche zu einer Diskreditierung der NATO eher einen gegenteiligen Effekt hervorrufen, nämlich das Mißtrauen gegenüber den sowjetischen Absichten und die Überzeugung von der Unerläßlichkeit der NATO stärken. Während des Herbstes und des Winters suchte Moskau den bisherigen gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgerichteten Kurs fortzusetzen, zuerst mit einer Kampagne zum angeblichen sowjetischen Interventionsrecht in der Bundesrepublik und dann mit einer Offensive von Pressionen in West-Berlin In beiden Fällen führte der sowjetische Versuch, die Bundesrepublik Deutschland als gefährlichen Störenfried herauszustellen, statt dessen zur Solidarisierung der Westmächte mit ihr. Der sowjetische Anspruch eines Interventionsrechtes in Westdeutschland erschien doppelt odios, nachdem man gerade erst sowjetisches Interventionsverhalten in der Tschechoslowakei erlebt hatte, und in Berlin reagierten die drei Mächte gegen einen Druck, den sie als Versuch zu einem wechselseitigen Gegeneinanderausspielen ihrer Länder und des westdeutschen Verbündeten ansahen. Damit war weder der Anti-NATO-Kurs noch die Anti-Bundesrepublik-Politik ein weiterhin erfolgversprechendes Mittel sowjetischen Handelns.

Die Männer im Kreml entschlossen sich daher, die bisherige Generallinie zu ändern. Sie veranlaßten die Außenminister des Warschauer Paktes am 17. März 1969 zum Appell an die anderen europäischen Länder, eine „gesamteuropäische Konferenz zur Erörterung der Fragen der europäischen Sicherheit und einer friedlichen Zusammenarbeit" einzuberufen. Das Programm der europäischen Sicherheit, über das gesprochen werden sollte, wurde nur sehr vage angedeutet. Es hieß, alle strittigen Fragen sollten durch Verhandlungen statt durch Gewaltanwendung geregelt werden und es solle sich ein „Klima" der Verständigung und des Vertrauens herausbilden. Auffälligerweise war von einem Abbau der Bündnissysteme und der ausländischen Truppenstationierungen in Europa — zwei Hauptbestandteile der vorausgegangenen Warschauer-Pakt-Erklärungen von Bukarest (1966) und Karlsbad (1968) — keine Rede mehr. Unklar wurde gelassen, inwieweit die Vereinigten Staaten von Amerika an der geforderten Konferenz für europäische Sicherheit und an den sich vielleicht anschließenden europäischen Regelungen beteiligt werden könnten und sollten. Der Text des Appells enthielt keinen Hinweis darauf, doch konnte die Tatsache, daß der Appell „an alle europäischen Staaten" gerichtet war, vielleicht auf die Absicht eines Ausschlusses der USA hinweisen.

Eine deutliche Modifikation der sowjetischen Politik wurde durch die Behandlung angezeigt, die der Bundesrepublik Deutschland widerfuhr. Es fehlte die übliche Verteufelung des westdeutschen Staates. Die vorgetragenen Forderungen nach „Unverletzlichkeit der in Europa bestehenden Grenzen, darunter der Grenzen an Oder und Neiße und ebenso der Grenzen zwischen DDR und BRD, Anerkennung der Tatsache des Bestehens der DDR und der BRD, Verzicht der BRD auf ihre Ansprüche, das ganze deutsche Volk zu vertreten, und Verzicht auf die Verfügung über Kernwaffen in irgendeiner Form" und der ausdrücklich bekräftigte Standpunkt, West-Berlin besitze einen „Sonderstatus" und gehöre „nicht zu Westdeutschland", machen deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland zwar nicht aus der Schußlinie der sowjetischen Ansprüche herausgenommen war, aber doch immerhin mit größerer Mäßigung als bisher behandelt wurde. Die neuen Formeln gingen weniger weit und erlaubten eine größere Flexibilität als alles, was seit Anfang 1967 verlautbart worden war. Zudem brachte die UdSSR ihre Forderungen als „Faktoren der europäischen Sicherheit“ ins Gespräch, das heißt, sie verlangte im Unterschied zu bisher die Erfüllung ihrer Forderungen nicht mehr vor dem Zusammentreten einer europäischen Konferenz, sondern hielt nur daran fest, daß sie im Verlauf einer gesamteuropäischen Regelung irgendwann einmal erfüllt werden müßten

Etwas anders wurde das Programm der europäischen Sicherheit auf der Moskauer Konferenz der kommunistischen Parteien vom 5. bis 17. Juni 1969 akzentuiert. Das abschließende Konferenzdokument vom 18. Juni 1969, das den kommunistischen Parteien, vor allem auch soweit sie außerhalb des sowjetisch gelenkten Staatensystems sich befinden, als politische Leitlinie , dienen soll, erklärte „die Existenz der von den imperialistischen Kräften aufgezwungenen Militärblöcke und Militärstützpunkte auf dem Territorium anderer Staaten" zu einem „Haupthindernis für die Zusammenarbeit von Staaten" und folgerte daraus, „die Errichtung eines wirksamen Systems der europäischen Sicherheit" biete „eine wirkliche Garantie für die Sicherheit und eine der Voraussetzungen für den Fortschritt jedes europäischen Landes". In Übereinstimmung damit, so wurde hinzugefügt, hätten „sich die sozialistischen Länder bereits für eine gleichzeitige Auflösung der NATO und des Warschauer Vertrages ausgesprochen“. Die Formulierung eines Vorentwurfs vom März war entfallen, nach der das „Netz von Militärbasen", die „Kette aggressiver Militärblöcke" und das „nie gesehene Wettrüsten" auf der Seite des Imperialismus zu liquidieren waren. Zugleich war neu von „Aufgaben mehr spezifischen oder regionalen Charakters, die die Gewährleistung der Sicherheit auf einzelnen Kontinenten oder in einzelnen geographischen Zonen" beträfen, die Rede. Aus dem Text des Moskauer Haupt-dokuments läßt sich entnehmen, daß eine einseitige Auflösung der NATO und eine einseitige Beseitigung der amerikanischen An-Wesenheit in Europa weiterhin politische Wunschziele darstellen

Nachdem der Budapester Appell in den westlichen Ländern eine lebhafte Diskussion ausgelöst hatte, schien es der sowjetischen Führung an der Zeit zu sein, ihre Vorstellungen zu den Fragen der europäischen Sicherheit näher zu verdeutlichen. Ende des Sommers ließ sie einen Entwurf hierzu an die Regierungen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten hinausgehen Im Ergebnis veröffentlichten die Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten am 31. Oktober 1969 eine Erklärung. Darin wurden für die Sicherheitskonferenz zwei Themen vorgeschlagen: ein gesamteuropäisches Abkommen über den Verzicht auf die Anwendung und die Androhung von Gewalt im Verhältnis zueinander und der Ausbau der kommerziellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten. Wie es hieß, würde ein derartiges Vorgehen der „zuverlässigen Sicherheit, begründet auf kollektiven Prinzipien und auf den gemeinsamen Anstrengungen der an der gesamteuropäischen Konferenz teilnehmenden Staaten", dienen. Damit war das Problem einer europäischen Friedensordnung vorerst auf den gedanklichen Rahmen eines vertraglichen Gewaltsverzichts mit gleichzeitiger Sanktionierung des territorialen Status quo und einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in unpolitischen Bereichen eingeengt. Der Vorschlag des Gewaltverzichts war darauf abgestellt, ohne eine Änderung der bündnispolitischen Gegebenheiten ein Gefühl der Ost-West-Entspannung in Europa zu verbreiten. Mit dem Verlangen nach einem besseren wirtschaftlichen und technologischen Austausch zwischen den europäischen Ländern sollte offensichtlich den Entwicklungsbedürfnissen der kommunistischen Staaten entsprochen werden. Hinsichtlich der Teilnehmerschaft der vorgeschlagenen Konferenz bot die Prager Erklärung wenig Klarheit. Ein versteckter Passus, in dem von den „europäischen Staaten" die Rede war, könnte möglicherweise als Hinweis darauf verstanden werden, daß nur diese aufgefordert waren

Auf diplomatischer Ebene wurden der Prager Erklärung noch zusätzliche Erläuterungen beigefügt. Danach sollte der multilaterale Gewalt-verzieht nicht die laterventionsbefugnisse aufheben, die den vier ehemaligen Besatzungsmächten gegenüber Deutschland gemäß den Feindstaatenartikeln 53 und 107 der UNO-Charta zuständen. Weiterhin war deutlich, daß die UdSSR das Thema der zwischendeutschen Entspannung aus den Diskussionen der Konferenz verbannt wissen wollte und sich einer Er-streckung des Gewaltverzichts auf ihr eigenes Verhältnis zu den anderen Warschauer-Pakt-Staaten widersetzte. Schließlich war von Details einer Regelung der kommerziellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Kooperation die Rede.

Die östlichen Vorschläge fanden im Westen großen Widerhall. Neben Zustimmung zu einzelnen Elementen wurden Kritik und Verlangen nach Ergänzungspunkten laut. Die sowjetische Führung suchte durch das Budapester Memorandum der Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten vom 22. Juni 1970 so weit, wie sie es von ihrem Standpunkt für irgend vertretbar hielt, auf die westlichen Wünsche einzugehen. Vorangegangenen Erklärungen des sowjetischen Parteichefs Breschnew entsprechend, wurde die Parole ausgegeben, es sollten mehrere aufeinanderfolgende Konferenzen stattfinden. Außerdem war an die Schaffung eines dauernden Konferenzorgans gedacht, das die Fragen der europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit beraten könnte. Zu den früher genannten Themen der Konferenzdiskussion wurden die Probleme des Umweltschutzes in Europa und der kulturellen Beziehungen zwischen den europäischen Ländern hinzugefügt. Die „Prüfung der Frage bezüglich der Verminderung der auswärtigen Streitkräfte auf den Territorien europäischer Staaten", welche die sowjetische Führung als Antwort auf das Verlangen des NATO-Rates nach Gesprächen über einen beiderseitigen ausgewogenen Truppenabbau in Westund Osteuropa zugestand, sollte dagegen nicht auf der Konferenz, sondern in einem von ihr zu schaffenden Organ erfolgen

Diese auffallende Absonderung eines Themas von den übrigen Themen ist kaum ohne Bedeutung — um so weniger, als die sowjetische Presse-und Rundfunkpublizistik bis dahin stets die Behandlung einer beiderseitigen Streitkräfteverminderung im Zusammenhang mit der europäischen Sicherheit für unzulässig erklärt hatte und auch danach aus dem sowjetischen Mißbehagen bezüglich einer Erörterung dieses Problemkreises keinen Hehl machte. Wie wenig die Männer im Kreml Verhandlungen über diese Frage wünschen, geht auch daraus hervor, daß der sowjetische Außenminister im Herbst 1970 in verschiedenen westlichen Hauptstädten nachgefragt hat, ob die betreffenden Regierungen wirklich auf einer Behandlung der beiderseitigen ausgewogenen Truppenverminderung bestünden, wenn sie sich zu einer Konferenz für europäische Sicherheit bereitfinden sollten Die Verweisung der Frage an das erst noch zu bildende Konferenzorgan könnte den Zweck haben, keinen Zusammenhang zwischen ihr und anderen Verhandlungsgegenständen (an denen die UdSSR ein Interesse hat) zuzulassen und mithin der sowjetischen Seite ein unkooperatives Verhalten in dieser Angelegenheit zu ermöglichen, ohne daß schädliche Rückwirkungen an anderer Stelle allzu wahrscheinlich werden. Die Ost-Berliner Erklärung der Partei-und Regierungschefs der Warschauer-Pakt-Staaten vom 2. Dezember 1970 fügte den vorangegangenen Verlautbarungen wenig entscheidend Neues hinzu. Es wurde die bereits bei früheren Anlässen ausgedrückte Ansicht wiederholt, daß zur Abhaltung einer gesamteuropäischen Konferenz „gegenwärtig hinreichende Voraussetzungen" bestünden. Die interessierten Staaten wurden aufgefordert, von dem Stadium der Vorbereitung in bilateralen Kontakten zur „Durchführung multilateraler Konsultationen" überzugehen, um das angestrebte Zusammentreten zu beschleunigen. Die Formel, daß dabei „alle interessierten Staaten“ beteiligt werden sollten, unterstrich die schon im Budapester Memorandum ausgesprochene Bereitschaft zur Einbeziehung auch der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanadas. Eine versteckte antiamerikanische Spitze enthielt freilich die Stelle, an der außer von der „Aktivierung der aggressiven Kreise der NATO" und den „provozierenden Aktionen der revanchistischen und militaristischen Kräfte in der BRD" auch von den „unaufhörlichen Versuchen von außen" die Rede war, „die Entwicklung günstiger Prozesse auf dem europäischen Kontinent aufzuhalten".

Die Ost-Berliner Erklärung reflektiert im übrigen als erstes Dokument der Warschauer-Pakt-Staaten den Zusammenhang, in dem die einer gesamteuropäische Entspannung mit ein-vernehmlichen Regelung der Berlin-Frage steht. Die Partei-und Regierungschefs drückten unter Bezugnahme auf die angestrebten gesamteuropäischen Regelungen die Hoffnung aus, „daß die derzeit über West-Berlin geführten Verhandlungen mit der Erreichung einer wechselseitig annehmbaren Übereinkunft abgeschlossen werden, die den Interessen der Entspannung in Mitteleuropa und ebenso den Bedürfnissen der Bevölkerung West-Berlins und den legitimen Interessen und den souveränen Rechten der DDR entspricht". Der Hinweis auf die Belange und die Souveränitätsbefugnisse der DDR ist eng ver-bunden mit dem Ausdruck der „Solidarität mit der friedliebenden Politik der Deutschen Demokratischen Republik" und dem Verlangen nach der Aufnahme von „gleichberechtigten Beziehungen“ zur DDR, „darunter auf die allgemein akzeptierten Normen des Völkerrechts begründete Beziehungen zwischen DDR und BRD"

Der Moskauer Vertrag und die sowjetische Politik der europäischen Sicherheit

Einer der Gründe für die Erklärung, daß die Phase der bilateralen in eine Phase der multilateralen Konferenzvorbereitung übergeführt werden solle, war der Abschluß der bilateralen Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland. Seit langem hatten Forderungen gegenüber Westdeutschland wie das Verlangen nach Anerkennung der Oder-Neiße-Linie wie der Elbe-Werra-Linie, nach Anerkennung der DDR oder nach Verzicht auf nationale und supranationale Mitwirkung an Kemwaffenangelegenheiten im Zentrum der sowjetischen Vorschläge der europäischen Sicherheit gestanden. Solange derartige Forderungen ausschließlich darauf abgestellt waren, die Bundesrepublik Deutschland als „revanchistisch" und „militaristisch“ in der Öffentlichkeit zu diskriminieren, war natürlich kaum an einen erfolgversprechenden deutsch-sowjetischen Dialog über die bestehenden Streitfragen zu denken. Die Modifikation der sowjetischen Linie im Frühjahr 1969 schuf hier eine neue Lage. Die den Zwecken der Anklage dienenden Forderungen wie etwa diejenige, Bonn müsse mit seiner „faschistischen" und im Grund „neonazistischen" Innenpolitik im Interesse der europäischen Sicherheit endlich Schluß machen, wurden fallengelassen. Außerdem begann die sowjetische Propaganda, statt pauschal von einem „revanchistischen und militaristischen Westdeutschland" (das von allen politischen Kräften bis hin zum linken Flügel der SPD repräsentiert werde) nunmehr differenzierter von „revanchistischen und militaristischen Kräften in Westdeutschland" zu sprechen.

In der außenpolitischen Fachliteratur der UdSSR ging damit eine veränderte Bewertung der westdeutschen Sozialdemokratie einher: Die Wahl von Bundespräsident Heine-mann, so hieß es, lasse erkennen, daß die SPD mit ihrer politischen Selbstentäußerung gegenüber den Rechtskräften brechen wolle und Chancen zur Herstellung einer politischen Alternative zur herrschenden CDU/CSU besitze. Von da an wurde der SPD-Vorsitzende Brandt, der bis dahin in die politische Nachbarschaft des propagandistischen Buhmanns Strauß gerückt worden war, als selbständiger Politiker anerkannt und mit einigen bedingt positiven Vorzeichen versehen. Allmählich begann sich ein sowjetisches Interesse daran abzuzeichnen, nach Möglichkeit mit der Bundesrepublik Deutschland zu einer Übereinkunft über die Fragen des beiderseitigen Verhältnisses und über den Weg zu einer Sicherheitskonferenz zu gelangen. Ab Mitte September 1969 — also noch vor den Bundestagswahlen — fand der neue Kurs in der sowjetischen Presse deutlichen Ausdruck

Die Bildung der Kleinen Koalition in Bonn und die Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt wurden in Moskau mit abwartend-positiver Haltung aufgenommen. Parteichef Breshnew erklärte am 27. Oktober 1969, die neue Bonner Koalition habe die Absicht bekundet, Außenpolitik zu betreiben. realistische Einer derartigen Politik sagte er Unterstützung zu. Gleichzeitig machte er die CDU/CSU für die Erscheinungen des „Revanchismus" und „Militarismus" in Westdeutschland verantwortlich und spezifizierte die Kriterien, an denen die Sowjetunion die bundesdeutsche Politik messen werde: Anerkennung der Grenzen, Annullierung des Münchener Abkommens, Aufgabe der Hallstein-Doktrin, Unterzeichnung des Kernwaffensperrvertrages und positives Verhalten in den Fragen der europäischen Sicherheit Die sozialliberale Bundesregierung kam während der folgenden Monate der sowjetischen Seite mehrfach entgegen, um eine politische Übereinkunft mit der Sowjetregierung vorzubereiten. Insbesondere ließ sie den Kernwaffensperrvertrag unterzeichnen und diplomatische Vorgespräche durch ihren Moskauer Botschafter Allardt führen. Ab Januar 1970 verhandelte Staatssekretär Bahr in Moskau mit Außenminister Gromyko. In die Endverhandlungen schaltete sich Außenminister Scheel ein. Schließlich reiste Bundeskanzler Brandt nach Moskau, um den deutsch-sowjetischen Vertrag am 12. August 1970 zu unterzeichnen.

Der Text des Moskauer Vertrages läßt die Fragen erkennen, um die gerungen worden ist. In den Gewaltverzichtsverhandlungen von 1967/68 hatte die Bundesregierung den Standpunkt eingenommen, daß nur der Verzicht auf Mittel der Auseinandersetzung (nämlich auf die Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt), nicht aber der Verzicht auf Ziele der Auseinandersetzung (nämlich auf die deutsche Wiedervereinigung und die rechtliche Fixierung der deutschen Grenzen in einem Friedensvertrag) Gegenstand der Übereinkunft sein solle. Demgegenüber hatte die Sowjetunion darauf bestanden, daß kein Abkommen einen Sinn habe, das nicht zugleich den Konflikt selbst regele. In den neuerlichen Verhandlungen von 1970 ist die Bundesregierung nunmehr auf dieses Verlangen eingegangen. Der Gewaltverzicht ist daher mit einer Verständigung über bestehende Streitfragen verbunden worden.

Nach sowjetischer Ansicht, wie sie immer wieder auch in der Öffentlichkeit ausgesprochen worden ist, sollte die geforderte Regelung in einer vorbehaltlosen Sanktionierung des territorialen und machtpolitischen Status quo östlich der bundesdeutschen Grenzen bestehen. Es hieß, die Bundesrepublik Deutschland müsse die „Unveränderlichkeit" (neizmennost"), die „Unberührbarkeit" (neprikosnovennost’) beziehungsweise die „Unerschütterlichkeit" (nezyblemost') der Grenzen in Mittel-und Osteuropa einschließlich der Grenzen der DDR anerkennen und die Existenz des anderen deutschen Staates durch eine völkerrechtliche Formalisierung des beiderseitigen Verhältnisses endgültig akzeptieren. Die bundesdeutsche Seite dagegen verlangte, ihr müsse das Recht zu einer einvernehmlichen Änderung des Status quo belassen werden. Sie sei zwar bereit, die deutsche Teilung als eine Realität zu achten, weil eine kriegerische Änderung weder in ihrer Absicht noch in ihrem Interesse liegen könne, betrachte diese Realität aber trotzdem als bedauerlich und strebe daher eine Änderung an, wenn diese im freien Einvernehmen mit den beteiligten Parteien möglich werden sollte. Daher könne sie sich nur dazu verpflichten, den bestehenden Zustand nicht mit Gewalt „anzutasten".

Die sowjetischen Unterhändler dürften ihrem Standpunkt durch den Hinweis auf ihre Verpflichtungen gegenüber der DDR Nachdruck verliehen haben, wohingegen die bundesdeutschen Verhandlungspartner sich vermutlich auf den grundgesetzlichen Auftrag zurückgezogen haben, nach dem „Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden" sind. Außerdem war die bundesdeutsche Seite genötigt, auf die Artikel der Pariser Verträge mit den Westmächten vom Oktober 1954 hinzuweisen, welche die Regelung der Grenzfragen einem künftigen Friedensvertrag Deutschlands mit seinen früheren Kriegsgegnern vorbehalten und außerdem den bis dahin Besatzungsfunktionen ausübenden drei Mächten die Verantwortlichkeit für die Fragen Berlins und Gesamtdeutschlands belassen. Ein einseitiges Vorgehen war danach für Bonn rechtlich überhaupt nicht möglich. Eine Einbeziehung der Westmächte in die Verhandlungen und eine Ausweitung des bilateralen Gewaltverzichtsvertrages zu einem multilateralen Friedensvertrag kam aber von vornherein nicht in Frage. Die bundesdeutschen Unterhändler mußten im übrigen auch die innenpolitische Situation ihres Landes im Auge behalten: Wenn die Opposition den friedensvertraglichen Charakter des deutsch-sowjetischen Abkommens dartun konnte, bedurfte es zu dessen Ratifizierung einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments, die nicht in Aussicht stand.

Wie von einer unterrichteten Bonner Persönlichkeit ausgeführt worden ist 23), konnte die bundesdeutsche Seite die Sowjetregierung schließlich davon „überzeugen, daß eine förmliche völkerrechtliche Anerkennung der Grenzen (und der DDR) durch die Bundesrepublik Deutschland schon rechtlich nicht möglich ist, solange keine Friedensvertrag besteht und somit die Rechte der Vier Mächte für Berlin und Deutschland als Ganzes fortdauernde Geltung haben", und zwar darum nicht, weil sie nicht mittels einer völkerrechtlichen Anerkennung „über die Rechte anderer, z. B. in bezug auf die Teilung oder die Grenzen ganz Deutschlands'1, verfügen könne. Dementsprechend hat die Bundesregierung mit ihrem Verhandlungspartner ein Einvernehmen darüber erzielt, daß sie die territoriale Integrität der UdSSR und ihrer Verbündeten „uneingeschränkt", wie es im deutschen Text heißt, beziehungsweise „unter allen Umständen" (neuskosnitel'no), wie der russische Text formuliert, zu achten hat und keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten erheben wird, aber damit keine rechtliche oder gar moralische Sanktionierung irgendwelcher Grenzen, Staaten oder Zustände vollzieht In diesem Sinne verpflichten sich die vertragschließenden Seiten, die bestehenden Grenzen nicht . anzutasten" (posjagat’) und diese als „unverletzlich" (nerusimyj) anzusehen. Die beiden Vokabeln, deren Gebrauch an die Stelle früher verwendeter anderer Begriffe getreten ist, lassen die Auslegung zu, daß lediglich gewaltsame, nicht-einvernehmliche Änderungen ausgeschlossen werden und somit friedliche, in wechselseitiger Übereinkunft der Beteiligten vorgenommene Änderungen weiterhin zulässig sind.

Aus diesem Formulierungstatbestand ist der Schluß hergeleitet worden, es handele sich um einen linguistischen Kompromiß, der beiden Seiten die ihr jeweils zusagende Deutung offenlasse: Die Sowjetunion habe auf diese Weise „nicht den Verzicht auf die Wiedervereinigung" erlangt und die Bundesrepublik Deutschland „nicht den Verzicht auf das Wiedervereinigungsverbot" bekommen Demgegenüber betont einer der maßgeblichen bundesdeutschen Unterhändler, die UdSSR habe . die Zulässigkeit von friedlichen und einvernehmlichen Grenzänderungen ausdrücklich bestätigt" Die Bundesregierung legt im übrigen Wert darauf, daß der Moskauer Vertrag den Grundsatz der Unantastbarkeit und der Unverletzlichkeit der Grenzen durch den einleitenden Passus „in Übereinstimmung mit den vorstehenden Zielen und Prinzipien“ eng auf den unmittelbar vorher geregelten Gewaltverzicht bezieht. Auf diese Weise, so wird erläutert, werde die Übereinkunft, die bestehenden Grenzen nicht anzutasten und als unverletzlich zu betrachten, deutlich zu einer Funktion des Gewaltverzichts gemacht. Die Formulierung des Artikels 1, derzufolge die vertragschließenden Staaten erklären, sie gingen bei der erstrebten Normalisierung der Lage in Europa von der „bestehenden wirklichen Lage aus", wird so interpretiert, daß damit die bestehende Lage als Ausgangs-statt als Endpunkt der Bemühungen markiert sei.

Einen wichtigen Bestandteil des Vertragswerkes bilden die angehängten Zusatzvereinbarungen. Durch sie wird konkretisiert, wie sich die Vertragsgrundsätze der Grenzrespektierung zu dem Bestreben der Bundesrepublik Deutschland verhalten, auf die deutsche Einheit hinzuwirken. Durch einen Hinweis in der Präambel des Vertrages wird der Notenaustausch, den Bundeskanzler Adenauer und Ministerpräsident Bulganin am 13. September 1955 aus Anlaß der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion vornahmen, in den Moskauer Vertrag einbezogen. Darin erklärten die beiden Regierungschefs, sie gingen davon aus, daß die Beziehungen zwischen beiden Staaten „zur Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen, beitragen werden und damit auch zur Lösung des gesamtnationalen Hauptproblems des deutschen Volkes, der Wiederherstellung der Einheit eines deutschen demokratischen Staates, verhelfen werden" Außerdem übergab Außenminister Scheel am 12. August 1970 den sowjetischen Vertragspartnern unwidersprochen einen Brief, indem er feststellte, der Moskauer Vertrag stehe „nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland ..., auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“ Die Berlin-und Deutschland-Rechte der Westmächte wurden außer durch Artikel 4, in dem festgestellt wird, daß der Vertrag nicht die von den vertragschließenden Staaten „früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen" berührt, zusätzlich durch einen Austausch von Erklärungen zwischen dem bundesdeutschen und dem sowjetischen Außenminister abgesichert, der in einen Notenaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten einging

Damit hat die Bundesregierung nicht nur ihre rechtlichen Verpflichtungen und ihre politische Loyalität gegenüber ihren westlichen Verbündeten gewahrt, sondern auch eine Infragestellung des Berlin-Status und der Rechtsgrundlagen für den Zugang nach West-Berlin vermieden. Bezüglich des Verhältnisses zur DDR hat die bundesdeutsche Seite gegenüber der UdSSR die paraphierte Absichtserklärung abgegeben, sie wolle mit der DDR ein Abkommen schließen, das die „gleiche verbindliche Kraft" haben werde wie andere von ihr geschlossene zwischenstaatliche Abkommen, und ihre Beziehungen zur DDR „auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, der Achtung der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in Angelegenheiten, die ihre innere Kompetenz in ihren entsprechenden Grenzen betreffen, gestalten" Diese Formulierungen blieben in dem Rahmen, den die Bundesregierung mit ihrer Konzeption der „innerdeutschen Beziehungen" abgesteckt hatte. Gleichzeitig wurde der DDR damit eine Anerkennung vor-enthalten, die sie als eine umfassende Souveränitätszuerkennung, namentlich auch bezüglich des West-Berlin-Verkehrs, hätte mißdeuten können.

Mit dem Moskauer Vertrag sind alle Fragen geregelt, welche die Sowjetunion im Namen der europäischen Sicherheit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland aufgeworfen hatte. Nach sowjetischer Argumentation sind damit die Hindernisse ausgeräumt, die bisher einer Regelung der gesamteuropäischen Entspannungs-und Sicherheitsprobleme im Wege standen. Allerdings ist bislang die Berlin-Frage — wiederholt der Ausgangspunkt scharfer Spannungen und Krisen — noch nicht gelöst. Da die Bundesrepublik Deutschland ihre Geschicke nicht von denjenigen West-Berlins trennen kann und die Sowjetunion in der Berlin-Frage auch das Verhalten der DDR bis zu einer bestimmten Grenze kontrolliert hätte es sachlich nahegelegen, die Lage Berlins in den Kreis der für das beiderseitige Verhältnis wichtigen Probleme einzubeziehen und sich über sie in der gleichen Form zu verständigen, wie dies hinsichtlich der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur DDR, zur Tschechoslowakei und zu Polen geschehen ist

Einer derartigen Verknüpfung stand freilich ein, wie sich herausstellte, unüberwindliches rechtliches Hindernis entgegen. Da der Berlin-Status nach bundesdeutscher Auffassung auf der besatzungsrechtlichen Kompetenz der drei westlichen Schutzmächte beruht und die Bundesrepublik Deutschland zudem auf Grund der Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 auf die Berlin-Verantwortlichkeit der drei Mächte festgelegt ist, konnte die sowjetische Seite mit Erfolg geltend machen, daß die Berlin-Frage nicht in die bundesdeutsche Kompetenz falle und mithin unmöglich Verhandlungsgegenstand werden könne. Außenminister Scheel und Bundeskanzler Brandt erreichten aber, daß die sowjetischen Führer den untrennbaren Zusammenhang zwischen einer Entspannung im bundesdeutsch-sowjetischen Verhältnis und einer einvernehmlichen Regelung des Berlin-Problems erkannten und danach ihr weiteres Verhalten bei den Viermächte-Verhandlungen über Berlin einzurichten zusagten. Freilich kam es nicht zu irgendeiner konkreten Absprache darüber, wie die Berlin-Frage zur beiderseitigen Zufriedenheit gelöst werden könne. Die Bundesregierung machte der sowjetischen Seite deutlich, daß sie erst nach erfolgter Berlin-Regelung die Ratifikation des Moskauer Vertrages in Gang setzen könne.

Innerhalb des von der UdSSR umrissenen Programms der europäischen Sicherheit hat der Moskauer Vertrag, sofern der weitere Gang der Berlin-Verhandlungen sein Inkrafttreten ermöglichen wird, alle entscheidenden Punkte entweder geregelt oder doch wenigstens in unmittelbare Reichweite gerückt. Zusammen mit dem von sowjetischer Seite angestrebten Arrangement über den Status quo in Mittel-und Osteuropa ist es zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zu einem Gewaltverzichtsabkommen gekommen, das beide Seiten in gleicher Weise verpflichtet

Da die UdSSR immer davon ausgegangen ist, daß es in Europa nur im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland kriegsträchtige zwischenstaatliche Konflikte gebe, dürfte damit der sowjetische Vorschlag eines europäischen Gewaltverzichtsabkommens in seinem ausschlaggebenden Teil verwirklicht sein. Ähnlich steht es mit dem zweiten Themenkreis, auf dessen Erörterung und Regelung die Sowjetunion gedrängt hat: mit der kommerziellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Zusammenarbeit. In seiner Präambel erklärt der Moskauer Vertrag den Ausbau all dieser Verbindungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zu einem erwünschten Ziel. Die Kooperation, welche die beiden vertragschließenden Staaten teilweise vor der Unterzeichnung des Vertrages (Erdgas-Röhren-Abkom-men) und teilweise nachher (Verhandlungen über den Bau eines sowjetischen Lastwagen-werkes, Leussink-Besprechungen in Moskau) in Aussicht genommen beziehungsweise schon vereinbart haben, läß deutlich eine beiderseitige Bereitschaft zum Ausbau der Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen erkennen. Nachdem die UdSSR schon seit langem ähnliche Austauschbeziehungen und Projekte mit anderen westeuropäischen Staaten, namentlich mit Frankreich und Italien, besitzt, scheint die vorgeschlagene Tagesordnung für eine Sicherheitskonferenz nur noch wenig reale Substanz zu haben.

Trotzdem legt die sowjetische Regierung nach wie vor großen Wert darauf, daß die von ihr gewünschten Fragen auf einer gesamteuropäischen Konferenz behandelt werden. Das bilateral Erreichte, so wird in der einen oder anderen Form zu verstehen gegeben, müsse jetzt in multilaterale Strukturen transformiert werden. In diesem Sinne hat die sowjetische Regierung sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen um den Moskauer Vertrag von der bundesdeutschen Seite versichern lassen, daß sie den Konferenzplan begrüße und sich für dessen Vorbereitung und erfolgreiche Durchführung einsetzen wolle. Welche Vorstellungen verbindet die sowjetische Führung mittlerweile mit dem Konferenzplan? Soll vielleicht irgendein grundlegender Wandel des Systems der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa eingeleitet werden, der weit über die angeregten Tagesordnungspunkte hinausreichen würde?

Das Ost-West-Kräfteverhältnis und die Lage des westlichen Bündnisses in sowjetischer Sicht

Nadi sowjetischer Einschätzung befindet sich das westliche Staatensystem, langfristig betrachtet, in einer schweren Krise Daher sind die „Kräfte des Imperialismus" überall auf dem Rückzug vor den „progressiven Kräften" Vor allem, so heißt es, ist die Außenpolitik der westlichen Vormacht, der USA, in größte Schwierigkeiten geraten und ist, was ihre bisherige Konzeption betrifft, zusammengebrochen. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden, nach sowjetischer Meinung, mit den Problemen ihrer Innen-und Außenpolitik nicht fertig und sind daher immer weniger in der Lage, eine Führungsrolle im westlichen Lager wahrzunehmen Aus dieser Perspektive folgt, daß die USA einen defensiven Kurs der Konservierung ihrer Positionen steuern und nach Möglichkeiten der Durchführung ihrer Außenpolitik mit möglichst geringem Aufwand suchen müssen Von der westlichen Vormacht gehen demnach keine dynamischen Impulse mehr aus. Daraus zieht man in Moskau das Fazit, der „Imperialismus“ sei schwächer geworden, könne aber, da er nach wie vor über ein mächtiges wirtschaftliches, politisches und ideologisches Arsenal gebiete, nach wie vor nicht als ein geringer Gegner angesehen werden Nach der sowjetischen Analyse müssen die Vereinigten Staaten von Amerika aber namentlich wegen der labilen Verhältnisse im Innern Einschränkungen ihrer außen-politischen Handlungsfreiheit hinnehmen. Das führe insbesondere dazu, daß sie außerstande seien, in Europa und anderswo sich anbahnende soziale und politische Veränderungen zu verhindern

In dieser Sicht bleibt den USA keine andere Wahl, als in der NATO die Zügel zu lockern, um das Bündnis überhaupt weiter aufrechtzuerhalten Die gesunkene internationale Autorität der Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und die stärker gewordenen wirtschaftlichen und politischen Positionen Westeuropas andererseits ließen den amerikanischen Hegemonialeinfluß auf zunehmende westeuropäische Selbständigkeitstendenzen stoßen Der sowjetischen Analyse zufolge, setzen sich aufgrund dieser Lage die Amerikaner und die westeuropäischen Staaten in gewissem Ausmaß wechselseitig matt. Demnach müssen die USA in der NATO auf viele Wünsche ihrer Bündnispartner eingehen und können es sich nicht leisten, diese durch eine Ablehnung der sowjetischen Vorschläge zur europäischen Sicherheit vor den Kopf stoßen aber gleichzeitig können sich die Westeuropäer nur sehr schwer von der amerikanischen Vormundschaft befreien, insbesondere weil sie mit der Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte auf dem Kontinent zu rechnen haben und wegen ihrer technologischen Anhänglichkeit keinen Bruch riskieren können Außerdem suchen die USA ihre Polle als Schutz-und Garantiemacht Westeuropas auszuspielen, um eine Lastenverteilung in ihrem Sinne durchzusetzen Aus all diesen Situationsdeutungen leitet die sowjetische Seite die These von den wachsenden „zwischenimperialistischen Widersprüchen“ zwischen beiden Seiten des Nordatlantiks ab, denen gelegentlich sogar zwar nicht militärische, aber doch unversöhnlich-antagonistische Formen im Sinne eines „zwischenimperialistischen Kampfes" zugeschrieben werden

Wie dargelegt wird, haben die herangereiften Widersprüche zwischen den westlichen Staaten die Macht der NATO untergraben. Die westeuropäischen NATO-Länder hätten die amerikanischen Erwartungen enttäuscht, daß sie sich als Werkzeuge der amerikanischen Global-strategie (beispielsweise im Zusammenhang mit dem Vietnam-Konflikt) gebrauchen lassen würden. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Verbündeten diesseits und jenseits des Nordatlantik bestünden nach Moskauer Diagnose auch hinsichtlich der NATO-Prämisse von der sowjetischen Bedrohung, die als die grundlegende Rechtfertigungsthese des Bündnisses gesehen wird. Die Amerikaner, so wird ausgeführt, suchten diese These zur Disziplinierung der NATO zu verwenden, wohingegen die westeuropäischen Partner sie, zumindest in ihrem praktischen Verhalten (Übernahme von Verteidigungslasten), wenig ernst nähmen Außerdem glaubt man in Moskau, daß sich die westeuropäischen Länder der amerikanischen Nukleargarantie für ihre Sicherheit gegenüber der UdSSR zunehmend ungewiß fühlen, seit der Einsatz amerikanischer Kernwaffen angesichts des veränderten militärstrategischen Kräfteverhältnisses einen vernichtenden sowjetischen Gegenschlag auf die USA heraufbeschwören würde Der immer gegensätzlicher werdende Charakter der NATO-Innen-beziehungen soll sich auch auf andere Bereiche auswirken. Nach sowjetischer Einschätzung sind die Vereinigten Staaten von Amerika hinsichtlich des von ihnen früher forcierten Prozesses der westeuropäischen Integration desillusioniert. Die Amerikaner, so wird aus-geführt, sind zu der Einsicht gelangt, daß die westeuropäische Integration keineswegs der automatische Motor einer NATO-Integration geworden ist, den sie sich davon erhofft hatten, und haben kein Interesse mehr an einer weiteren Vereinigung der westeuropäischen Staaten

Die wachsende Auseinanderentwicklung der Richtungen des Atlantismus und des Europäismus hat in sowjetischer Sicht in erheblichem Ausmaß wirtschaftliche Hintergründe. Die ökonomische Position der USA ist danach durch deren passive Handelsbilanz angeschlagen, die vor allem durch die Wirtschaftsleistungen der EWG hervorgerufen wird. Demzufolge verbreitet sich in den Vereinigten Staaten von Amerika Sorge über die wirtschaftliche Expansion der EWG. Mithin, so heißt es, bestimmen zahlreiche Finanzstreitigkeiten und Währungsprobleme das Verhältnis zwischen beiden Wirtschaftsblöcken, und die führenden amerikanischen Kreise nehmen gegenüber der EWG eine weitaus negativere Haltung ein als früher Alle Anzeichen für einen sich anbahnenden „Handelskrieg“ zwischen den USA und der EWG stoßen auf größtes Interesse Neben wirtschaftlichen Gegensätzen sieht man in Moskau noch politische Differenzen. Nachdem im „imperialistischen Lager" an der Seite der USA weitere selbständige und ebenbürtige Machtzentren entstanden sind, können Reibereien um wechselseitige Geltungsansprüche nicht ausbleiben. In dem amerikanisch-atlantischen „Immobilismus“ wird ein Faktor gesehen, der in Westeuropa immer stärkeren Widerstand hervorruft

Trotz der Auffassung, daß die westeuropäische Integration sehr erwünschte Tendenzen des Antiamerikanismus erkennen lasse, stehen die sowjetischen Beobachter der EWG mit gemischten Gefühlen gegenüber. Fast alle von ihnen unterstreichen, daß, ungeachtet aller objektiven Unfähigkeit, in entscheidenden Fragen zu einer gemeinsamen Linie zu gelangen, die Vereinigten Staaten von Amerika und die westeuropäischen Länder doch letztlich von einer Gemeinsamkeit der Klasseninteressen gegenüber der UdSSR und ihren Verbündeten bestimmt seien. Darüber hinaus erscheint es als ein wesentlicher Sinn des westeuropäischen Zusammenschlusses, die Positionen der „westeuropäischen Monopolbourgeoisie" gegenüber den kommunistischen Ländern Ost-europas zu festigen — ein Existenzgrund, für den die sowjetische Seite begreiflicherweise wenig Sympathie empfindet. Die westeuropäischen Gemeinschaften haben daher für die UdSSR gleichzeitig eine positive und eine negative Funktion: die Funktion, die „Widersprüche des imperialistischen Lagers" zu konsolidieren und zu vertiefen, und die Funktion, die Etappen der „antisozialistischen Front" zu stärken und somit einen Beitrag zur „gesamtimperialistischen Strategie gegen die sozialistischen Staaten" zu leisten

Auf dem politischen Schauplatz Westeuropas haben sich die Verhältnisse nach sowjetischer Ansicht ebenfalls stark verändert. Besonders deutlich tritt in das Gesichtsfeld, daß sich die Politik Frankreichs, aber auch die der Bundesrepublik Deutschland von fremden Einflüssen weithin emanzipiert hat Daher erscheinen nunmehr drei Staaten als Rivalen um die Führung in Westeuropa: Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland Die neue Konstellation, die sich als Folge des Abtritts de Gaulles von der politischen Bühne ergeben hat, wird nüchtern beurteilt: Frankreich rückt von seinem kategorischen Nein gegen den britischen EWG-Beitritt ab, die schon traditionelle Spannung zwischen Großbritannien und Frankreich macht einer beiderseitigen Annäherung Platz, und die EWG schickt sich an, den Weg zu einer übernationalen Organisation einzuschlagen

Quer durch die verschiedenen westeuropäischen Länder sehen die außenpolitischen Analytiker der UdSSR einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen einer atlantischen und einer europäischen Richtung gehen: Die Atlantiker wollen den sich verringernden amerikanischen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas durch einen höheren Beitrag der westeuropäischen Länder ausgleichen und damit also so etwas wie eine „europäisierte NATO" zustande bringen während viele Gegenkräfte einer ge-samteuropäischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion den Vorzug geben Dabei haben sich, so wird hinzugefügt, im Vergleich zu früheren Jahren die Bedingungen insofern gewandelt, als in Westeuropa das Interesse an einer Kooperation mit den östlichen Staaten gewachsen ist und eine neue Generation nicht länger den Bahnen des Kalten Krieges zu folgen gewillt ist.

Die innere Situation in den einzelnen westeuropäischen Ländern wird in Moskau ebenfalls aufmerksam verfolgt. Der Kurs, den das gaullistische Frankreich unter Pompidou steuert, wird als Politik der allmählichen westeuropäischen Integration, als Streben nach nationaler Selbständigkeit im Verhältnis zu den USA und teilweise auch zur Bundesrepublik Deutschland und als eine zwar begrenzte, aber durchaus vorhandene Solidarität mit den westlichen Bündnispartnern gedeutet Der Antiatlantismus freilich überdauere de Gaulle Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß das gaullistische Frankreich zwar weiterhin ein wichtiger Faktor im sowjetischen Kalkül darstellt, aber die von ihm in der Vergangenheit erhoffte Rolle eines Veruneinigers der westlichen Welt nicht spielt. Neu bewertet wird die Bundesrepublik Deutschland. Sie wird zu denjenigen Staaten in der NATO gerechnet, die sich von der Unbeweglichkeit der amerikanischen Ostpolitik lösen Man bescheinigt ihr den Übergang zu einem realistischeren Verhalten gegenüber der UdSSR, legt sich aber zugleich auch Rechenschaft darüber ab, daß Bonn an seiner bisherigen atlantischen und westeuropäischen Politik festhält. Gleichwohl glaubt man in verschiedenen Bereichen Tendenzen zu einer gewissen Verselbständigung gegenüber den USA und der NATO verzeichnen und feststellen zu können, daß sich in den Vereinigten Staaten allmählich die Einsicht verbreite, die gestärkte Rolle des westdeutschen Staates könne zu dessen Lösung aus dem Einvernehmen mit den USA führen Der Bonner Regierungswechsel vom Oktober 1969 erscheint als eine positive Wende in der westdeutschen Politik. Darüber hinaus wird es Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel persönlich zugute gehalten, daß ein diplomatischer Ausgleich mit der UdSSR erreicht worden ist Die politische Veränderung in Bonn ist nach sowjetischer Ansicht zwar Ausdruck eines allgemeinen Erstarkens fortschrittlicher und friedliebender Kräfte in Westdeutschland, hat aber zugleich zu einer außerordentlichen Verstärkung der Tätigkeit aller friedensabotierenden und reaktionären Kräfte geführt, die im politischen Umkreis der NPD und der CDU/CSU angesiedelt werden. In zahllosen Kommentaren wird, häufig im Tone der Besorgnis, der Stand der Machtverteilung zwischen den Regierungsparteien und den Oppositionsgruppen untersucht. In Streitfragen, wo die sowjetische Führung in einem Gegensatz zur Bundesregierung steht, wird im allgemeinen die Polemik stellvertretend gegen die „reaktionäre CDU/CSU" gerichtet oder aber die offizielle Bonner Haltung mit Rücksichtnahmen auf die innenpolitischen Gegner erklärt. Seit dem Spätherbst 1970 läßt sich eine deutliche Tendenz zur politischen Differenzierung innerhalb der CDU feststellen Wie es heißt, setze auch dort ein Gärungsprozeß ein, weil wichtige Persönlichkeiten und Gruppen zu erkennen begännen, daß der Ausgleich mit der Sowjetunion unerläßlich sei

Sowjetische Ziele der Einflußnahme auf die Politik westlicher Länder

Auf der Basis der dargelegten Situationsein-Schätzung definiert die sowjetische Führung die Ziele, die sie gegenüber den westlichen Staaten verfolgt. Eine der Leitformeln dafür ist die „Entwicklung der inneren Widersprüche zwischen den kapitalistischen Staaten". Im einzelnen wird erläutert, die sowjetische Entspannungspolitik durchkreuze die Bemühungen der Imperialisten, die zwischen ihnen bestehenden Gegensätze mittels einer Politik der Spannung gegenüber den sozialistischen Ländern zu überwinden Immer wieder findet sich das Argument, mit der Beseitigung des „Mythos von der Bedrohung aus dem Osten" werde die NATO ihres tragenden Rechtfertigungsgrundes beraubt. Demnach soll also eine Änderung des öffentlichen Bewußtseins in Westeuropa dem nordatlantischen Bündnis allmählich seine politische Basis entziehen. Das ist eine alte Vorstellung der sowjetischen Seite: Bereits seit Mitte der sechziger Jahre ist hiervon die Rede gewesen. Dementsprechend heißt es dann, die Politik der europäischen Sicherheit richte sich gegen die NATO oder stelle eine Alternative zur NATO dar. Es wird ausdrücklich formuliert, daß die NATO-Krise ausgenutzt werden müsse Auch die „atlantische Disziplin" bildet ein ausdrückliches Angriffsziel Gegen alle Versuche einer politischen Stärkung, einer organisatorischen Erneuerung oder einer militärischen Vermehrung der NATO richtet sich dementsprechend das Verdikt, diese Maßmahmen bedeuteten eine Sabotierung der europäischen Sicherheit.

Die außenpolitischen Sachverständigen der Sowjetunion halten auch spezifische Argumente bereit, um die Westeuropäer von dem Nutzen einer NATO-Abkehr zu überzeugen. Eines davon zielt auf die amerikanische Kernwaffengarantie für den Schutz und die Sicherheit Westeuropas vor der UdSSR. Auf die westlichen Abschreckungsdiskussionen von Anfang und Mitte der sechziger Jahre zurückgreifend, erklärt die sowjetische Seite, seit dem Bestehen einer sowjetischen Fähigkeit zum vernichtenden nuklearen Gegenschlag gegen den nordamerikanischen Kontinent sei es höchst unwahrscheinlich geworden, daß die USA im Ernstfall ihre nukleare Macht zur Verteidigung Westeuropas einsetzen würden, wenn dieses von ihnen in einen militärischen Konflikt mit der Sowjetunion verwickelt worden sei. Die Westeuropäer hätten also in der NATO die ihnen von den Amerikanern auferlegten Lasten und Risiken szu übernehmen, ohne dafür etwas anderes als eine zweifelhafte Garantie zu erhalten. Wenn die westeuropäischen Staaten sich statt dessen mit der UdSSR über die Fragen der europäischen Sicherheit verständigen würden, biete sich ihnen ein Ausweg aus ihrer mißlichen Lage Daneben ist von der wirtschaftlichen Schwere der NATO-Verteidigungslasten die Rede, deren die Westeuropäer sich entledigen könnten, indem sie den gesamteuropäischen Ausgleich mit der Sowjetunion suchten. Erst wenn sie die Basis des Antisowjetismus und der Westbindungen verließen, können sie ihre wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten frei und unbelastet entfalten

Die sowjetische Führung möchte auch die Handels-und Wirtschaftsbeziehungen, die sie auf Grund der inneren Ergänzungsbedürfnisse ihres Landes mit den westeuropäischen Staaten, namentlich auch mit der Bundesrepublik Deutschland weiterzuentwickeln sucht, als Ansatzpunkte für Einflußnahmen auf die politische Orientierung Westeuropas verwenden. Einerseits wird erwartet, daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern hinsichtlich ihres Interesses am Osthandel zu einer weiteren Entfaltung bestehender Gegensätze führen werden. Andererseits geht die Berechnung dahin, daß mit der Zunahme der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Westund Osteuropa die ökonomischen Probleme im Verhältnis der Amerikaner und der Westeuropäer vermehrt und die politischen Blicke der westeuropäischen Regierungen immer mehr nach Osten gerichtet werden können. „Auf diese Weise verstärkt die Entwicklung der wirtschaftlichen Verbindungen und der politischen Kontakte zwischen den beiden Systemen unweigerlich den Interessenkonflikt zwischen den kapitalistischen Staaten." Durch den aktiven Einsatz wirtschaftlicher Mittel können demnach die sozialistischen Länder eine „neue Ebene der zwischenimperialistischen Rivalität" schaffen, und zwar gemäß der leninistischen These, daß die Ungleichmäßigkeit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Kapitalismus die Triebkraft der zwischenimperialistischen Widersprüche ist Die Sowjetunion ist, obwohl sie gegenwärtig keine andere realpolitische Möglichkeit sieht, als mit der Existenz der EWG als eines sich fortentwickelnden Organismus zu rechnen, im Sinne dieser Konzeption nicht daran interessiert, in Westeuropa wirtschaftlich statt mit einzelnen Staaten künftig mit einer einzigen Gemeinschaft zu tun zu haben. Wenn der supranationale Ausbau der EWG tatsächlich in den nächsten Jahren Wirklichkeit wird, ist es für Moskau zweckmäßig, durch vorangehende Handelsabkommen mit einzelnenMitgliedstaaten sozusagen schon einen Fuß in der Tür zu haben. Als besser würden es die Männer im Kreml freilich ansehen, wenn es gar nicht erst zu einer supranationalen Fortentwicklung der EWG kommen würde. In der Parole eines gesamteuropäischen Arrangements und in dem Zusammentreten einer Sicherheitskonferenz, auf der es zu Diskussionen und Regelungen der wirtschaftlichen Ost-West-Beziehungen kommen könnte, sieht die sowjetische Führung geeignete Gegenmittel. In den westeuropäischen Ländern suchen sowjetische Abgesandte ihr Publikum davon zu überzeugen, daß eine supranationale Organisation der EWG „verfrüht" sei, daß die UdSSR eine wirtschaftliche Diskriminierung durch eine exklusiv strukturierte EWG nicht akzeptieren könne und daß eine europäische Integration nur in gesamteuropäischem Rahmen und in allmählicher Form Sinn habe

Dem Moskauer Vertrag kommt im Zusammenhang der sowjetischen Westpolitik eine wichtige Funktion zu. Einem „Pravda" -Kommentar vom 22. August 1970 zufolge, ist er „gerichtet auf die Sanierung des politischen Klimas in Europa und die Schaffung zuverlässiger Bastionen der Sicherheit auf unserem Kontinent" und „entspricht den langfristigen Interessen des Friedens". In Klartext übersetzt, heißt das, daß die politische Atmosphäre in Europa durch eine Entspannung des bundesdeutsch-sowjetischen Verhältnisses aufgelockert werden soll, damit sich bessere Chancen für eine Verwirklichung der sowjetischen Vorstellungen von einer europäischen Sicherheit ergeben. Ins Auge gefaßt wird dabei ein auf lange Sicht angelegter allmählicher Veränderungsprozeß. Das zeigt sich heute vor allem darin, daß die Sowjetunion viele ihrer Wünsche nicht mehr zur Vorbedingung eines besseren Ost-West-Verhältnisses macht, sondern statt dessen hofft, daß ein verbessertes Ost-West-Verhältnis schließlich Auswirkungen in ihrem Sinne zeitigen wird. Im einzelnen heißt es, den Gegnern einer Konferenz über europäische Sicherheit schwinde durch die Prinzipien des Moskauer Vertrages (Gewaltverzicht und friedliche Zusammenarbeit) der Boden unter den Füßen Es ist auch davon die Rede, daß der Abschluß des Vertrages ein neues Kräfteverhältnis in Europa anzeige und das Scheitern der Konzeption demonstriere, die der NATO zugrunde liege Der Vertrag gilt als Katalysator, der die Einberufung einer Konferenz über europäische Sicherheit beschleunigt, und als Faktor, der günstige Voraussetzungen für deren Erfolg schafft.

Wichtig erscheint der sowjetischen Seite ferner, daß der Moskauer Vertrag „grundlegende Friedensprinzipien" wie die „organische Verbindung der Unverletzlichkeit der Nachkriegs-grenzen mit dem Verzicht auf die Anwendung von Gewalt" anerkennt und damit einen Zündstoff beseitigt, der den Kalten Krieg angefacht habe Mit Befriedigung stellte die „Pravda“ am 18. August 1970 fest, diejenigen, die sich daran gewöhnt hätten, die Bundesrepublik Deutschland als Instrument der aggressiven NATO-Blockinteressen anzusehen (das heißt also die Amerikaner), müßten sich nun darauf umstellen, daß sie ihre Eigeninteressen wahrnehme. Radio Moskau sprach in einer Inlandssendung vom 27. August 1970 hiervon als von einer „Bedrohung der imperialistischen Interessen in Europa". Moskau erhofft sich also von dem Vertrag mit Bonn eine allmähliche Lokkerung des Verhältnisses zwischen Westdeutschland und den USA. Unter sowjetischen Sachverständigen ist davon die Rede, daß mit der Regelung der bundesdeutsch-osteuropäischen Streitfragen die Probleme eliminiert seien, welche die Orientierung der Bundesrepublik Deutschland auf die USA und auf die NATO bedingt und den besonderen Beziehungen zwischen Bonn und Washington zugrunde gelegen hätten

Mit ihrer Deutschland-und Europa-Politik sucht die sowjetische Führung nicht nur auf die westliche Außenpolitik im engeren Sinne einzuwirken. Sie möchte vielmehr auf breiter Ebene das gesellschaftliche Bewußtsein in den westeuropäischen Ländern beeinflussen, das die Außenpolitik gegenüber der UdSSR bestimmt. Dem-zufolge wird immer wieder die „Entlarvung des Antikommunismus" zur Aufgabe erklärt. Auf sowjetischer Seite ist man sich auch sehr klar dessen bewußt, daß man mit außenpolitischen Handlungen innenpolitische Konstellationen in anderen Ländern beeinflussen kann. Der sowjetischen Politik der europäischen Sicherheit und, soweit es speziell die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland betrifft, auch dem Moskauer Vertrag wird daher unter anderem die Funktion zugewiesen, die innenpolitischen Kräfte des Westens zu scheiden und dabei den „aggressiv antisowjetischen" oder „militant-reaktionären" Flügel in eine Isolierung zu manövrieren.

Den kommunistischen Parteien Westeuropas, deren innenpolitische Interessen seit langem in der sowjetischen Außenpolitik wenig berücksichtigt werden (ein eklatantes Beispiel hierfür war das sowjetische Liebeswerben um de Gaulle, der im Inneren eine ausgesprochen antikommunistische Linie verfolgte), wird dann rechtfertigend erklärt, der sowjetische Kurs der europäischen Sicherheit ziele darauf ab, die Gegner auf der politischen Rechten mattzusetzen und einen Aufschwung der „friedliebenden" und „progressiven" Kräfte einzuleiten. Diese Argumentation beruht auf der Gleichsetzung des der Sowjetunion außen-politisch Dienlichen mit den innenpolitischen Interessen der nicht-regierenden kommunistischen Parteien — zwei Aspekte, die in Wirklichkeit nur allzu häufig divergieren. In diesen Zusammenhang gehört auch die Neubewertung, die der westdeutschen Sozialdemokratie seit dem Frühjahr 1969 zuteil geworden ist. In dem Maße, wie die sowjetische Führung erkannte, daß die SPD den Willen und die Macht zu einer bundesdeutschen Politik des Ausgleichs mit der UdSSR besaß, wurde die Polemik gegen sie gedrosselt und eine positive Beurteilung eingeführt — sehr zum Leidwesen der deutschen Kommunisten in der DKP und in der SED, welche die politische Konfrontation zur SPD und das Bild von einer bösartigen, feindseligen Sozialdemokratie für eine innenpolitische Notwendigkeit erachten. Die sowjetische Führung geht heute im Unterschied zu früheren Jahren auch dort von den bestehenden Realitäten aus, wo diese nicht in ihrem Sinne sind. Sie hat davon abgesehen, die Bindungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Westmächten und insbesondere zu den Vereinigten Staaten von Amerika zum Hindernis einer bundesdeutsch-sowjetischen Entspannung zu machen. Durch frühere Erfahrungen wußte sie, daß keine Aussicht bestand, die außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik Deutschland auf diese Weise in Frage zu stellen. Auch die bundesdeutsche NATO-Solidarität, die in der Vergangenheit häufig als Erweis für die angeblich aggressive, friedensfeindliche und revanchistische Politik der Bundesregierung hatte herhalten müssen, wird widerspruchslos hingenommen. Existenz und weiterer Ausbau der EWG werden als Gegebenheiten verstanden, auf die man sich wohl oder übel einstellen muß. Das alles heißt freilich nicht, daß die Sowjetunion darauf verzichten will, auf eine Änderung dieser Sachverhalte hinzuwirken, und daß sie sich dabei nicht der Möglichkeiten bedienen würde, die ihr die Politik der europäischen Sicherheit eröffnen kann. Ganz im Gegenteil: Was früher politische Strategien der Spannung und der Anschuldigung nicht zuwege brachten, soll nun durch Mittel der Entspannung und der Beeinflussung angestrebt werden. Die sowjetische Politik der europäischen Sicherheit ist mutmaßlich nicht zuletzt durch die Einsicht bestimmt, daß eine politische Strategie der Entspannung auf die Dauer die gewünschten Ziele vielleicht eher näherbringen könnte als ein drohendes und forderndes Verhalten, das die westlichen Staaten immer wieder zur Zurückstellung ihrer Differenzen, zur Einigung und zur Übernahme großer politischer wie militärischer Bündnisverpflichtungen veranlaßt hat.

Von daher sollte es nicht überraschen, wenn die sowjetische Seite die neuen Konstellationen, die sich im Zuge der Entspannung ergeben haben und noch ergeben können, sorgfältig auf alle Ansatzpunkte hin untersucht, die sie für eine Durchsetzung ihrer Ziele bieten könnten. Freilich sollte man diese Ziele erkennen und im Auge behalten: Denn da es von dem Verhalten der anderen Staaten abhängt, inwieweit die sowjetischen Berechnungen aufgehen, muß man diese natürlich gut kennen, um ihnen gegebenenfalls entgegenwirken zu können. Indem aber die UdSSR das Medium der Entspannung wählt, um darin ihre Ziele zu verfolgen, bietet sich für die westlichen Staaten eine Chance, daß, wenngleich ganz sicherlich nicht so etwas wie ein selbsttätiger Friede ausbricht doch ein sich weiter vom Kriege weg entfernender Zustand erreicht werden kann.

Sowjetische Vorstellungen für Veränderungen am System der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa

Neben der Absicht zur Einflußnahme auf die Politik anderer Staaten ist auch der Wunsch nach Änderungen des bestehenden europäischen Staatensystems eine mögliche Komponente der sowjetischen Politik der europäischen Sicherheit. Es stellt sich also die Frage, inwieweit die UdSSR die Art der Staatenbeziehungen in Europa grundlegend verändern will. Erste Hinweise hierauf könnte der Rahmen bieten, in den die sowjetische Regierung die vorgeschlagene Konferenz für europäische Sicherheit stellen will. Da ist zunächst einmal die Frage der Tagesordnung. Die sowjetische Regierung hat zwar die Erörterung anderer Punkte als die von ihr genannten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber doch mit dem Verlangen, es dürften keine für irgendwelche Konferenzteilnehmer unannehmbare oder allzu komplexe, aufhaltende Themen zur Diskussion gestellt werden, sehr restriktive Zulassungsbedingungen aufgestellt. Praktisch läuft der sowjetische Standpunkt darauf hinaus, daß nur diejenigen Fragen erörtert werden können, die auch für Moskau interessant oder doch wenigstens genehm sind. Mit dieser Argumentation wurde zunächst der Aufnahme der Entspannung im zwischendeutschen Verhältnis in die Konferenzagenda und dann dem Verlangen des NATO-Rates nach einer ein-vernehmlichen Berlin-Regelung vor dem Zusammentritt einer Sicherheitskonferenz widersprochen. Außerdem hieß es, es gelte zu verhindern, daß die künftige Konferenz zum Forum des Dialogs zwischen den beiden Blöcken werde, weil das dem gesamteuropäischen Charakter der Beratung zuwiderliefe, der unter anderem in einer bedeutsamen Rolle der neutralen Länder zum Ausdruck kommen müsse.

Mit dieser Begründung wurde bis Mitte 1970 jegliche Einbeziehung der Frage abgelehnt, ob sich die Staaten der NATO und des War-schauer Paktes nicht über eine ausgewogene Verminderung ihrer beiderseitigen Streitkräfte verständigen könnten. Als im Westen unüberhörbar geltend gemacht wurde, eine Sicherheitskonferenz, die nicht über dieses entscheidende Sicherheitsproblem sprechen dürfe, werde wenig Sinn haben, gestand Moskau schließlich eine von den anderen Tagesordnungspunkten gesonderte Behandlung der Frage zu, verbreitete aber weiterhin die Ansicht, daß diese Frage jetzt noch nicht spruchreif sei Offensichtlich geht es darum, einen Verhandlungszusammenhang zwischen dieser Frage und anderen, sowjetischerseits interessierenden Themen zu verhindern Die sowjetische Unwilligkeit erklärt sich daraus, daß Moskau damit rechnet, auch ohne Gegenleistungen von seiner Seite werde es zu erheblichen Teilabzügen der amerikanischen Streitkräfte aus Europa kommen Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß davon, wie bestimmte politische oder militärische Beziehungen zwischen den Staaten beider Bündnisse neu geregelt werden könnten, auf der Sicherheitskonferenz möglichst keine Rede sein soll.

Gleichzeitig jedoch hat die Sowjetunion seit dem Herbst 1969 allmählich immer stärker hervortreten lassen, daß sie, ausgehend von der vorgeschlagenen Sicherheitskonferenz, irgendeine Institutionalisierung des gesamteuropäischen Zusammenhangs anstrebt und damit Ansätze zu Veränderungen an den zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa zu gewinnen sucht. Seit dem Winter 1969/70 taucht die Vokabel „System der europäischen Sicherheit in den sowjetischen Verlautbarungen auf. Wenig später kam die Version auf, daß eine Serie von Konferenzen zur Lösung der europäischen Sicherheitsprobleme stattfinden solle. Etwa gleichzeitig wurde auch die Möglichkeit angedeutet, daß aus der Konferenz ein permanentes Organ — also eine regionale Organisation der beteiligten Staaten — hervorgehen könne. Alle diese Elemente gingen dann in das Budapester Memorandum vom 22. Juni 1970 ein. In der Folgezeit war dann von der Notwendigkeit eines permanenten Konferenzorgans die Rede*). Daran schließt sich der Vorschlag einer multilateralen Konferenzvorbereitung an, die zuletzt im Sinne einer Vorkonferenz auf der Ebene etwa von Botschaftern konkretisiert wurde In diesem Zusammenhang wird der vorgeschlagene multilaterale Gewaltverzichtsvertrag, der die geschlossenen beziehungsweise noch zu schließenden bilateralen Gewaltverzichtsverträge ergänzen und vollenden soll, als ein entscheidender Schritt des Überganges zu einem re-gionalen Rahmen der Staatenbeziehungen in Europa dargestellt. Dabei denkt die sowjetische Seite unter anderem wesentlich daran, den regionalen Rahmen zur Festlegung von Normen und Prinzipien der wechselseitigen Zusammenarbeit zu verwenden

In den finden sowjetischen Verlautbarungen sich gelegentlich Aussagen, nach denen eine sehr des Systems der weitreichende Änderung zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa das Ziel ist. Die Politik der europäischen Sicherheit erscheint dann als ein Kampf gegen die von der NATO verfolgte Politik der militärischen Abschreckung und des militärischen Gleichgewichts Das könnte so gedeutet werden, daß es der UdSSR in Europa um die Ersetzung des Abschreckungssystems durch ein Hegemonialsystem geht. Sowjetische Außenpolitikexperten erörtern untereinander, daß die „Kräfte des Imperialismus" überall auf dem Rückzug seien und die herrschenden Kreise im Westen mit der unaufhörlich wachsenden Rolle der Sowjetunion zunehmend zu rechnen genötigt seien. Dementsprechend könne der westliche Kampf um die Aufrechterhaltung des bestehenden Kräfteverhältnisses die weitere Veränderung dieses Kräfteverhältnisses zugunsten der UdSSR nicht verhindern, und die westlichen Staaten müßten dem ihre Politik anpassen

Vor sachverständigen westlichen Zuhörern polemisierte ein sowjetischer Experte gegen die westliche Denkweise, nach der das 1945 verlorene Kräftegleichgewicht in Europa durch westliche Bemühungen wiedergewonnen werden müsse, während ein anderer es als eine unabänderliche Tatsache herausstellte, daß zwar die Sowjetunion und ihre Verbündeten, nicht aber die westeuropäischen Staaten hinreichende Hilfsquellen für die Gewähr ihrer Sicherheit besäßen Das könnte in dem Sinne gemeint sein, daß die westeuropäischen Staaten doch endlich damit aufhören sollten, unnütze und kostspielige Versuche zur Aufbesserung ihrer schwachen Position gegenüber der UdSSR zu unternehmen, und statt dessen lieber Konsequenz vernünftige einer -die dau ernden Verständigung mit Moskau ziehen sollten. In die gleiche Richtung zielt laufende die Polemik gegen die westliche „Politik der Stärke", womit das Bestehen der NATO-Staaten gemeint ist, die sowjetischeMilitärmacht durch eine Gegenmilitärmacht politisch aufzuwiegen. Wenn der westlichen Seite gleichzeitig noch vor Augen gehalten wird, daß die durch die gegenseitige nukleare Abschreckung herbeigeführte Balance des Schreckens nur Gefahren in sich berge und keinen sicheren Frieden erzeugen könne hätte das von dieser Vermutung her durchaus seine Logik: Die westeuropäischen Länder, so würde dann zu interpretieren sein, sollen sich nicht länger in Bedrohungen ihrer friedlichen Existenz stürzen, sondern die Zuordnung zur Sowjetunion suchen. Die sowjetischen Äußerungen lassen gleichzeitig keinen Zweifel an der Entschlossenheit Moskaus, den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenhalt zwischen den osteuropäischen Staaten auf absehbare Zeit hinaus nicht im allermindesten in Frage stellen zu lassen. Der engen Verbindung der kleineren Länder mit der UdSSR wird der Vorrang vor allen anderen außenpolitischen Sorgen eingeräumt; die Konzertierung aller politischen Bemühungen auf Seiten der kommunistischen Staaten Europas erscheint als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg An irgendeine Auflockerung im Warschauer-Pakt-Bereich, die der angestrebten Auflockerung oder gar Auflösung im NATO-Bereich entsprechen würde, ist also nicht gedacht. Im Gegenteil: Die Praktizierung des Anspruches, der durch die sogenannte Breshnew-Doktrin bezeichnet ist, erscheint geradezu als die unerläßliche Voraussetzung jeder Entspannungspolitik, die nicht in eine Kapitulation vor dem Klassengegner ausmünden soll. Nach sowjetischer Ansicht würde jede Form der Koexistenz, bei der die prinzipielle Unversöhnlichkeit des Gegensatzes zwischen Sozialismus und Kapitalismus außer acht bliebe und der harte ideologische Kampf gegen den Westen vernachlässigt würde, zu einer inneren: Aufweichung des „sozialistischen Lagers" führen: Daher gilt es, die eigenen Reihen in jeder Hinsicht dicht zu schließen und die Ausbreitung westlicher Einflüsse nach Osten unter strikter Kontrolle zu halten. Der Schock, den die tschechoslowakische Reformentwicklung in Moskau hervorgerufen hat, steckt den sowjetischen Führungsgruppen noch tief in den Knochen. Darum ist es nicht verwunderlich, daß der Einmarsch in die ÖSSR als der entscheidende Schlag gegen die vermeintliche imperialistische Konzeption des antisozialistischen Kampfes bewertet wird Demzufolge erscheint die Abstimmung Osteuropas gegen die ideologischen Einwirkungen des westlichen Klassenfeindes als die einzig annehmbare Grundlage, auf der Annäherungen in zwischenstaatlicher Hinsicht erfolgen können.

Daraus folgt, daß, soweit nicht die westlichen Länder zu einer einseitigen Demontage ihrer Bündnisse und ihrer Gemeinschaften bereit sind, an keine grundlegende Änderung des in Europa bestehenden Systems der zwischenstaatlichen Beziehungen zu denken ist. Sowjetische Abgesandte, die von Westeuropäern auf die Frage einer beiderseitigen Lockerung der Blöcke angesprochen werden, äußern sich dann stets sehr vorsichtig. Da heißt es dann beispielsweise, die Existenz der beiden Bündnisse sei „keine historisch unwiderrufliche Erscheinung", doch könnten die sozialistischen Länder sich heute nicht zu einem allmählichen Abbau der Warschauer-Pakt-Organisation bereitfinden, weil ja auch die NATO-Staaten an ihrer Allianz festhielten. Nur wenn es einmal zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa komme, könne daraus eine Liquidierung der Militärblöcke resultieren. Andeutungsweise wird dabei zugestanden, daß hier unveränderbare Realitäten vor-lägen Oder es wird davon gesprochen, daß die Sache der europäischen Sicherheit aus dem Gravitationsbereich der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen herausgehalten werden müsse. Es gehe also nicht um Fragen der Beziehungen zwischen den Blöcken, sondern um eine Konfliktregelung neben oder sogar über den Blöcken. Erst von da aus könnten dann vielleicht einmal Voraussetzungen dafür entstehen, die Militärbündnisse abzubauen Nach einer weiteren Version stellt die Auflösung der Blöcke keinen zwangsläufigen Prozeß dar. Es bedürfe vielmehr noch erheblicher Anstrengungen in dieser Richtung; vorerst sei die Situation dafür noch nicht reif

Zuweilen wird auch klar gesagt, daß mit einer Änderung des durch die sowjetisch-amerikanische Abschreckung bestimmten europäischen Systems nicht zu rechnen sei. Die Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte auf dem europäischen Kontinent wird dann als Bestandteil einer globalen Stabilisierung des Kräfteverhältnisses betrachtet, die ein rein regionales Sicherheitssystem, insbesondere in militärischer Hinsicht, von vornherein ausschließe. Daher, so lautet dann die Folgerung, seien zunächst die politische Basis der Koexistenz zu legen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen, ehe man zu den komplexen Fragen der europäischen Sicherheit im eigentlichen Sinne übergehen könne Die vorstehenden sowjetischen Äußerungen dürften darauf hindeuten, daß die sowjetische Führung in realistisch-vorsichtiger Einschätzung der politischen Gegebenheiten nicht ernstlich mit der Möglichkeit einer Demontage des Abschrek-kungssystems an seinen westlichen Pfeilern rechnet. Soweit sich absehen läßt, steht weder ein dramatischer Rückzug der Amerikaner aus Europa noch ein bündnisbedrohender antiatlantischer Vorstoß von westeuropäischer Seite bevor.

Wozu erfolgen dann von der sowjetischen Seite Vorschläge und Äußerungen, die auf systemverändernde Absichten hinzudeuten scheinen? Zwei Motive sind hierfür denkbar. Zum einen mag es als eine gute Politik erscheinen, große Zielperspektiven aufzumachen, um für die verschiedenen kleineren Nahziele, die man verfolgt, einen wirksamen propagandistischen Vorspann, eine die eigenen Absichten hinreichend verunklärende politische Logik und ein als diplomatische Ausgangsposition ausspielbares , Uberschußprogramm‘ verfügbar zu haben. Zum anderen kann man, wenn man in die eigene Politik alle möglichen unverbindlichen Perspektiven, Eventualitäten und Zweideutigkeiten hineinbringt, die Positionen und Bereitschaften der anderen Seite am besten testen und auf diese Weise Anhaltspunkte dafür gewinnen, was man gegebenenfalls in nächster Zukunft durchsetzen und in fernerer Zukunft anstreben kann. Natürlich kann sich bei solchen Tests diese oder jene Einwirkung zur Erosion von Positionen der anderen Seite geltend machen lassen oder sich vielleicht sogar einmal irgendeine unverhoffte Gelegenheit eröffnen, die sich dann kurzfristig nutzen läßt. Auch wenn davon auszugehen ist, daß der gegenwärtigen sowjetischen Politik keine weitreichenden Vorstellungen hinsichtlich einer radikalen Veränderung des durch die gegenseitige Abschreckung bestimmten europäischen Staatensystems zugrunde liegen, so kann doch, wenn der Zeitpunkt einmal dazu reif erscheinen sollte, von den bezogenen Ausgangspositionen her mühelos ein solcher Kurs eingeschlagen werden.

Realer ist freilich im gegenwärtigen Augenblick der Versuch, das bestehende europäische Staatensystem durch eine Art Politik der kleinen Schritte allmählich und unmerklich zu modifizieren, bis sich schließlich daraus größere Veränderungen summiert haben. Beispielsweise könnte die EWG in ihrer Struktur so verändert werden, daß sie den Osteuropäern offensteht, auf bestimmte gesamteuropäisch festgelegte Normen des Handelsaustauschs verpflichtet wird und sich weder in supranationaler noch in politischer Hinsicht fortentwickelt, wie es alles den sowjetischen Wünschen entsprechen würde.

Audi der Aufbau einer europäischen Regional-organisation als solcher wäre nicht ohne langfristig bedeutsame Folgewirkungen. Er könnte insbesondere die Sicherheitserwartungen der westeuropäischen Öffentlichkeit von der NATO weg auf sich hinlenken. Die Regional-organisation wäre in der Funktion sowohl eines danebengestellten Arrangements als auch eines überwölbenden Daches im Verhältnis zu den beiden Blöcken möglicherweise in der Lage, die NATO institutionell und politisch auszuhöhlen, ohne den Ersatz eines anderen Sicherheitssystems zu bieten

In jedem Fall dürfte der sowjetischen Führung ein internationaler Rahmen, durch den sie ihr Land und ihre Macht in eine förmliche Beziehung zu den westeuropäischen Staaten setzen und die andere Supermacht, die USA, in die Rolle des potentiellen Außenseiters in Europa drängen kann, als ein bedeutender Vorteil erscheinen. Obwohl Moskau seit dem Budapester Memorandum vom 22. Juni 1970 öffentlich erklärt, daß die USA und Kanada an allen Stadien der Vorbereitung und Durchführung einer Sicherheitskonferenz beteiligt werden können, ist die Besorgnis nicht ausgeräumt, daß den beiden amerikanischen NATO-Partnern keine vollgültige und dauernde Rolle dabei zugedacht sein könnte. Die sowjetische Formulierung ist wohl nicht ohne Absicht in der Möglichkeitsform gehalten. Damit stimmt überein, daß die sowjetische Seite anscheinend informell den Standpunkt bezieht, erst auf westeuropäisches Betreiben hin — und nicht etwa von vornherein — könnte die amerikanische Beteiligung festgelegt werden. Auf diese Weise würden die USA und Kanada in die Position von eigentlich nicht dazugehörigen, nur ausnahmsweise zugelassenen Mitgliedern des europäischen Staatensystems manövriert, die als Bittsteller auftreten müßten und daher keinen vollwertigen Status hätten. Konsequenterweise müßte vor jeder neuerlichen Entscheidung — bei der Abhaltung weiterer Konferenzen, bei der Besetzung des permanenten Konferenzorgans und bei Abschluß jeder vertraglichen Regelung — jedesmal erneut der Wille der europäischen Staaten festgestellt werden, ob sie die Mitwirkung der beiden amerikanischen Länder weiterhin wünschen. Die USA und Kanada würden dann zu zufallsweise geduldeten Zaungästen in Europa — mit allen Folgen für den amerikanischen Willen zu weiterer militärischer und politischer Präsenz auf dem europäischen Kontinent.

Die sowjetische Seite hat bisher in der Öffentlichkeit noch kein klares Votum abgegeben, das derartige Befürchtungen gegenstandslos machen würde. Eher im Gegenteil: Die häufigen Darlegungen, die europäischen Sicherheitsprobleme könnten nur in gesamteuropäischem Rahmen gelöst werden, lassen weiten Raum für die Vermutung, daß die gegenwärtig noch in Europa mitwirkenden außereuropäischen Mächte im Verlauf des gesamteuropäischen Kooperationsprozesses allmählich ausgeschieden werden sollen. Das könnte für die westlichen Regierungen unter gewissen Voraussetzungen ein Grund sein, die auch von ihnen grundsätzlich bejahte Sicherheitskonferenz auf die Verhandlung bestimmter anstehender Probleme des Ost-West-Verhältnisses zu beschränken und dem Vorschlag einer institutionellen Verfestigung mit skeptischer Vorsicht gegenüberzutreten. Das würde darauf hinauslaufen, daß zwar alle Entspannungsmöglichkeiten ausgelotet werden, aber darum noch kein Ost-West-Multilateralismus in Europa aufgebaut wird, wenn dieser keine klar umrissene und systematisch ebenso sinnvolle wie akzeptable Funktion erhält.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine Untersuchung der möglichen Bedeutungen gibt Ernst B. Haas, The Balance of Power: Prescription, Concept, or Propaganda, in: James N. Rosenau, Hrsg., International Politics and Foreign Policy, New York—London 1961, S. 318— 329. Haas unterscheidet in den Darlegungen europäischer Denker „Gleichgewicht" im Sinne von Machtverteilung, Äquilibrium, Hegemonialstellung, Stabilität, Instabilität, Machtpolitik, historische Gesetzlichkeit und Norm des Handelns.

  2. So hat beispielsweise die französische Monarchie, die eineinhalb Jahrhunderte lang die später vom Deutschen Reich übernommene Rolle des Herausforderers in Europa spielte, wiederholt das europäische Staatensystem so sehr bedroht (unter Ludwig XIV.) oder angeschlagen (unter Napoleon L), daß nur die gemeinsamen kriegerischen Anstrengungen der übrigen Mächte das System restabilisieren konnten.

  3. Vgl. zu dieser Problematik Gerhard Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943— 1955, München 1967.

  4. Man kann durchaus fragen, ob die durch bestimmte Informationserwartungen und Zielvorstellungen festgelegten Wahrnehmungsmuster nicht vielfach die Urteile unzulässig verzerren. So läßt sich anzweifeln, ob in vieler Hinsicht wirklich zwischen dem sozialdemokratischen Schweden und dem sozialistischen Ungarn ein fundamentalerer Unterschied besteht als zwischen dem weithin labourgeprägten Großbritannien und dem eher frühkapitalistisch-autoritären Spanien.

  5. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Anti-Konvergenz-Kampagne der DDR, aber auch der UdSSR. Vgl. Bernhard von Rosenbladt, Die Auseinandersetzung mit der Konvergenztheorie in der DDR: Untersuchung zur Problematik einer verstärkten Kommunikation zwischen BRD und DDR, Stiftung Wissenschaft und Politik (Ebenhausen/Isartal), SWP-S 168 (Mai 1970); sowie die Beiträge von Henryk Olsienkiewicz, C. Olgin, F. Hajenko und Stefan C. Stolte zum Konvergenz-Thema, in: Bulletin (Institute of the Study of the UdSSR), Jg. 17, H. 8 (August 1970), S. 7— 69.

  6. Vgl. Glenn H. Snyder, The Balance of Power and the Balance of Terror, in: Dean G. Pruitt/Richard C. Snyder, Hrsg., Theory and Research on the Causes of War, Englewood Cliffs, N. J., 1969, S. 121 f.

  7. Sowohl die amerikanischen Erörterungen im Zusammenhang mit der „arms control" als auch die sowjetischen Ausführungen zur „friedlichen Koexistenz in den Beziehungen zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung" lassen die Auffassung erkennen, daß ein Krieg, der die beiden Weltmächte in irgendeiner Form militärisch miteinander konfrontieren würde, unbedingt vermieden werden müsse.

  8. Carl Friedrich von Weizsäcker, Kriegsfolgen und Kriegsverhütung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament", B 1/71 vom ? '1Q 71. S 13 ff

  9. Vgl. Boris Meissner, Sowjetunion und die kollektive Sicherheit, in: Außenpolitik, 1970, H. 7, S. 393-405.

  10. Die Verhandlungen gerieten wegen des sowjetischen Verlangens, die Bundesrepublik Deutschland solle gegenüber der UdSSR auf die Anwendung oder Androhung von Gewalt verzichten, gleichzeitig aber ein sowjetisches Gewaltanwendungsrecht aufgrund der Artikel 53 und 107 der UNO-Charta akzeptieren, endgültig in eine Sackgasse, nachdem bereits vorher deutschlandpolitische Maximalforderungen Moskaus kaum zu überwindende Schwierigkeiten geschaffen hatten. Darüber hinaus suchte die sowjetische Regierung den Eklat eines öffentlichen Scheiterns der Verhandlungen, indem sie am 11. Juli 1968 unter Bruch der vereinbarten Vertraulichkeit ihre — sehr polemisch gehaltenen — Noten an die Bundesregierung publik machte. Vgl.den Abdruck der sowjetischen Noten in: Izvestija vom 12., 13. und 14. 7. 1968; Material für die Presse zum Thema Gewaltverzicht, zusammengestellt vom Auswärtigen Amt und veröffentlicht durch das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung am 12. 7. 1968; Nachdruck von einzelnen Dokumenten durch: Der Tagesspiegel vom 14. 7. 1968 und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. 7. 1968 und 25. 7. 1968.

  11. Vgl. Gerhard Wettig, Moskau und die Große Koalition in Bonn, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B 10/68 vom 6. 3. 1968, S. 3— 22.

  12. Die UdSSR begründete ihren Interventionsan-Spruch wieder mit den Artikeln 53 und 107 der UNO-Charta. Zu dem Vorgehen gegen West-Berlin vgl. Gerhard Wettig, Die Berlin-Krise 1969, in: Osteuropa, 1969, H. 9, S. 685— 697.

  13. Zitiert nach dem — an einer Stelle von der deutschen Fassung leicht abweichenden — russischen Text (Pravda vom 18. 3. 1969). — Die Vorgeschichte des Appells laßt die Veränderung des sowjetischen Verhaltens gegenüber der Bundesrepublik Deutschland noch deutlicher werden. Die Delegationen der DDR und Polens setzten sich für eine scharfe Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland ein und trafen dabei auf rumänischen Widerstand. Sie waren sehr überrascht, als sich — anders als bisher — die sowjetische Delegation nicht auf ihre Seite stellte, sondern sich an einer Verurteilung Westdeutschlands für desinteressiert erklärte. Damit war dem Verlangen der DDR und Polens der politische Boden entzogen. Vgl. Hans-Ulrich Kempski, Die roten Bosse verzichten auf den Popanz, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. 3. 1969.

  14. S.den Vergleich der Endfassung mit einem bekannt gewordenen Vorentwurf vom März 1969 bei Heinz Timmermann, Das Hauptdokument des Moskauer Kommunistenkonzils, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und. internationale Studien (Köln), Nr. 39/1969, A 1— 54.

  15. Vgl. Robert Legvold, European Security Conference, in: Survey, H. 76 (Sommer 1970), S. 46.

  16. Text zitiert nach: Pravda vom 1. 11. 1969.

  17. Text zitiert nach: Pravda vom 27. 6. 1970.

  18. Moskau will Entgegenkommen in der Berlin-Frage zeigen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. 11. 1970.

  19. Text zitiert nach: Pravda vom 4. 12. 1970. Hervorhebungen vom Verfasser hinzugefügt.

  20. Zur Berichterstattung der sowjetischen Presse im September 1969 vgl. die Darstel'ung von Georg Zalitatsch, Die Regierung Brandt aus der Sicht der Moskauer Presse, in: Osteuropa, 1970 H. 7, S. 468— 471.

  21. Wiedergegeben nach G. Zalitatsch, a. a. O., S. 472.

  22. Abgedruckt u. a. in: Das Parlament vom 26. 9. 1970. Eine Gegenüberstellung der deutschen und der russischen Fassung findet sich in: Osteuropa, 1970, H. 12, S. 821 f.

  23. Georg Ferdinand Duckwitz, Die Wende im Osten, in: Außenpolitik, 1970, H 11, S. 649. — Wenn Duckwitz, der Anfang 1970 als zuständiger Staatssekretär im Auswärtigen Amt über die Verhandlungen genau informiert worden ist, in diesem Zusammenhang darauf verweist, die sowjetischen Unterhändler hätten sich auch davon überzeugen lassen, daß die DDR nicht über die Rechte anderer (und das kann nur heißen: der UdSSR) verfügen könne, so läßt dies darauf schließen, daß der sowjetischen Seite zugleich die negativen Konsequenzen einer formellen völligen Entlassung der DDR aus dem Erstreckungsbereich besatzungsrechtlicher Restkompetenzen in der deutschen Frage bewußt geworden sind. Das würde auch erklären, warum Moskau die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland schließlich fallengelassen hat.

  24. So bei G. F. Duckwitz, a. a. O., formuliert.

  25. Klaus Mehnert, Der Moskauer Vertrag, in: Osteuropa, 1970 H. 12, S. 824.

  26. Paul Frank, Sicherheitsprobleme im Lichte des Moskauer Vertrages, in: Europa-Archiv, 1970 H. 24 (25. 12. 1970), S. 869.

  27. Abgedruckt bei G. F. Duckwitz, a. a. O., S. 652.

  28. Wiedergegeben a. a. O., S. 653.

  29. Abgedruckt in: Das Parlament vom 26. 9. 1970.

  30. Punkt 6 des „Bahr-Papiers“, abgedruckt u. a. in: Das Parlament vom 26. 9. 1970.

  31. Vgl. Gerhard Wettig, Der Einfluß der DDR auf die Deutschland-Politik der Warschauer-Pakt-Staaten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament", B 43/69 vom 25. 10. 1969, S. 17 ff.

  32. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur DDR und zur CSSR, an denen die UdSSR ein großes Interesse bekundete, kamen in der Form bundesdeutscher Absichtserklärungen zur Sprache. Hinsichtlich des Verhältnisses zu Polen erklärte die — damals bereits im diplomatischen Dialog mit Warschau stehende — Bundesregierung lediglich, daß sie das angestrebte Abkommen als einheitliches Ganzes mit den übrigen Verträgen ansehe.

  33. Klaus Mehnert, a. a. O., S. 825 ff., bezweifelt mit konstruierten Gründen, ob die sowjetische Gewaltverzichtszusage eine Inanspruchnahme der UNO-Artikel 53 und 107 gegenüber der Bundes-B

  34. Vgl, die Rede Breshnews am 21. 4. 1970, in: Pravda vom 22. 4. 1970 sowie den Beitrag von S. Sanakoev zur Diskussion sowjetischer Außenpoli-tikexperten Mitte August 1970, in: Mezdunarodnaja äizn‘ (hinfort: MZ), 1970, H. 9, S. 8.

  35. Beitrag von V. Matveev zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 10.

  36. G. A. Arbatov, Amerikanskaja vnesnjaja politi-ka na poroge 70-ch godov, in: SSA, 1970, H. 1, S. 21 f„ 34.

  37. S. I. Beglov, S§A — Zapadnaja Evropa: nekotorye aspekty vzaimootnoäenij, in SSA, 1970, H. 6, S. 8.

  38. A. Iskenderov, Mezdunarodnyj raboij klass i antiimperialisticeskaja bor ba, in: MZ, 1970, H. 11, S. 5.

  39. G. A. Arbatov, a. a. O., S. 22, 27— 32; A. Iskenderov, a. a. O., S. 5 ff.; Beiträge von L. Vidjasova und L. Zav'jalov zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 30, 35— 39.

  40. A. Gorochov, Vstupaja v 70-e gody, in: MZ, 1970, H. 1, S. 11 f.

  41. S. I. Beglov, a. a. O., S. 4; I. Ivanova, Antikommunizm i koncepcija „Atlantiöeskogo Soob-

  42. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 32.

  43. N. Jur'ev, Evropejskaja bezopasnost'— trebovanie vremeni, in: MZ, 1970, H. 7, S. 4.

  44. S. I. Beglov, a. a. O., S. 6, 12; Beiträge von V. Matveev und L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 11, 33; N. Jur'ev, a. a. O., S. 4.

  45. A. Aleksandrov, Tekuscie problemy mirovoj politiki, in: MEMO, 1970, H. 7, S 90.

  46. So M. Bunkina, a. a. O., S. 55, 60. - In dem Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 35, wird es auf die gemeinsame klassenbedingte Abwehrstellung der westlichen Staaten gegen die „historische Offensive" des Sozialismus zurückgeführt, daß es zwischen ihnen zu keinen militärischen Zusammenstößen komme. Ähnlich äußert sich S. I. Beglov, a. a. O., S. 7.

  47. I. Ivanova, a. a. O., S. 5; Nerazresimye problemy NATO, in: SA, 1970, H. 12, S. 68.

  48. S. I. Beglov, a. a. O., S. 8; L. Jur’eva, Novye memuary generala de Gollja, in: MZ, 1970, H. 12, S. 96.

  49. I. Ivanova, a. a. O., S. 7; O. Bykov, Imperialistieskaja integracija i antikommunizm, in: MEMO, 1970, H. 9, S. 136 f.

  50. S. I. Beglov, a. a. O., S. 4 f.; A. Aleksandrov, ’-ä-O., S. 89.

  51. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 32.

  52. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 30 f.; Ne-tazresimye problemy NATO, a. a. O., S. 68.

  53. O. Bykov, a. a. O., S. 136; M. Bunkina, a. a. O., S. 62.

  54. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 30.

  55. A. Aleksandrov, a. a. O., S. 88.

  56. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 33; A. Aleksandrov, a. a. O., S. 89; Äußerungen des 1. Sekretärs der sowjetischen Botschaft in Bonn, Popov, während einer Diskussion in der Politischen Akademie Eichholz am 9. 9. 1970.

  57. S. I. Beglov, a. a. O„ S. 10.

  58. Ju. Rachmaninov, Sovetsko-francuzskie otno-senija i bezopasnost’ Evropy, in: M 2, 1970, H. 10, S. 31.

  59. Ja. Bronin, K social’no-politiceskoj charakteristike vnesnej politiki gollizma, in: MEMO, 1970, H. 3, S. 84— 87; T. Vladimirov, Sovetskij Sojuz — Francija: vazny sag vzaimootnosenij, in: M 2, 1970, H. 11, S. 92.

  60. V. Vasil'ev, O nekotorych faktorach sovremennoj mezdunarodnoj izni, in: M 2, 1970, H. 4, S. 93.

  61. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 31.

  62. V. Repnickij, Voenno-promyslennaja integracija v ramkach NATO, in: M 2, 1970, H. 5, S. 90; V. Glazunov, Bundesver v politiceskoj zizni FRG, in: M 2, 1970, H. 7, S. 61; Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., 31.

  63. V. Ezov/V. Syrokomskij, Sveye vetry nad Rejnom, in: Literaturnaja gazeta vom 2. 12. 1970.

  64. Vgl. etwa D. Mel’nikov, Sovetsko-zapadnogermanskij dogovor i razmezevanie politieskich sil v FRG, in: MEMO, 1970, H. 12, S. 19.

  65. Beitrag von S. Sanakoev zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 8.

  66. M. Bunkina, a. a. O„ S. 62.

  67. A. Gorochov, a. a. O., S. 7.

  68. S. I. Beglov, a. a. O., S. 8.

  69. S. I. Beglov, a. a. O„ S. 11 ff.

  70. M. Bunkina, a. a. O., S. 55 ff.

  71. So Botschaftssekretär Popov während einer Diskussion in der Politischen Akademie Eichholz am 9. 9. 1970.

  72. Radio Moskau in russischer Sprache am 7. 9. 1970.

  73. Radio Moskau in russischer Sprache am 27. 8. 1970.

  74. Otpoved'fal'sifikatoram, in: Pravda vom 23. 9. 1970.

  75. A. Gorochov, a. a. O., S. 9 ff.

  76. Beitrag von L. Vidjasova zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 31.

  77. Es wäre gefährlich zu meinen, daß die Anstrengungen, die bisher den „negativen Frieden", d. h. die Abwesenheit von Krieg, möglich gemacht haben, nun auf einmal nicht mehr nötig wären. Einige aktuelle Erwägungen hierzu finden sich bei Paul Frank, Sicherheitsprobleme im Lichte des Moskauer Vertrages, in: Europa-Archiv, 1970, H. 24 (25. 12. 1970), S. 867— 876.

  78. Beispielsweise in deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau und Radio Frieden und Fortschritt am 25. 8. 1970.

  79. Vgl. die Darlegungen von N. Jur'ev, a. a. 0., S. 4f.; Ju. Rachmaninov, a. a. O., S. 38.

  80. Offen ausgesprochen von V. Sachov, Puf k reJeniju nasuich problem Evropy, in: MZ, 1970, H. 1, S. 18 f.

  81. Novyj etap podgotovki obsceevropejskogo so-veäfanija (Leitartikel), in: MZ, 1970, H. 8, S. 3fj Ju. Rachmaninov, a. a. O., S. 38.

  82. Ju. Rachmaninov, a. a. O., S. 7; A. Gorochov, a. a. O.. S. 11.

  83. Ju. Rachmaninov, a. a. O., S. 37. — Eine Festlegung von Prinzipien und Normen der zwischenstaatlichen Kooperation in Europa könnte für die UdSSR unter anderem auch den Zweck haben, ihr den Zugang zum westeuropäischen Wirtschaftsraum zu günstigen Bedingungen offenzuhalten und damit eine Öffnung der EWG nach Osteuropa herbeizuführen. Es kann in diesem Sinne zu verstehen sein, wenn der „Abbau der Diskriminierungen" zur Aufgabe einer Sicherheitskonferenz erklärt wird (V.

  84. Vgl. z. B. Oberstleutnant V. Molcalov, S kame-nem za pazuchoj, in: Krasnaja zvezda vom 13. 9.

  85. Beiträge von S. Sanakoev und V. Matveev zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a-O„ S. 7f„ 10.

  86. Ausführungen von Ju. Rubinskij und N. Lebedev während eines außenpolitischen Ost-West-Fachgesprächs, a. a. O., S. 50, 67.

  87. Ausführungen von N. Lebedev und Ju. Rubinskij während eines außenpolitischen Ost-West-Fachge-sprächs, a. a. O., S. 67, 80.

  88. Vgl. u. a. Tomaevskij, Leninskij princip mirnogo sosuscestvovanija i klassovaja bor'ba, in: Kommunist, 1970, H. 12 (August 1970), S. 102; Beiträge von O. Seljaninov und E. Novosel'cev zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 14, 23 f.; N. Novikov, Reajuaja sila v antiimperialisticeskoj bor'be, in: MZ, 1970, H. 11, S. 45 f.

  89. Beitrag von V. Matveev zur Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten, a. a. O., S. 11.

  90. Ausführungen von N. Lebedev während eines außenpolitischen Ost-West-Fachgesprächs, a. a. O., S. 67.

  91. Ausführungen von Ju. Rubinskij während eines außenpolitischen Ost-West-Fachgesprädis, a. a. 0., S. 82 ff.

  92. Botschaftssekretär Popov während einer Diskussion in der Politischen Akademie Eichholz am 9. 9. 1970.

  93. Ausführungen von Ju. Rubinskij während eines außenpolitischen Ost-West-Fachgesprächs, a. a. 0., S. 86 f.

  94. Die sowjetischen Äußerungen lassen beide Möglichkeiten zur Deutung der sowjetischen Absichten zu. Die Vermutung, daß es Moskau gerade auf die für die westliche Seite problematischen Folgewir-Lungen ankommen könnte, wird durch eine Untersuchung darüber, welche Funktionen ein regionales europäisches Organ erfüllen könnte und welche Friedenssicherungsleistungen von ihm im Vergleich zu den bereits bestehenden Institutionen der politischen Ost-West-Kommunikation zu erwarten wären (Hans Peter Schwarz, Europäische Sicherheitskonferenz: Ein nützliches Konzept der Entspan-nungspolitik? in: Hans Peter Schwarz/Helga Haftendorn, Hrsg., Europäische Sicherheitskonferenz, Opladen 1970, S. 121— 148) erhärtet: Das Ergebnis, daß eine Regionalorganisation keine Vorteile bei der Regelung von Ost-West-Problemen böte, könnte als Hinweis darauf gewertet werden, daß mutmaßlich andere Absichten hinter dem Vorschlag stehen.

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Gerhard Wettig, Dr. phil., geboren 1934 in Gelnhausen/Hessen, Studium der Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft; wissenschaftlicher Referent am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studienin Köln ’ . . Veröffentlichungen u. a.: Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943 bis 1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967; Die Rolle der russischen Armee im revolutionären Machtkampf 1917. Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 12, Berlin 1967; Politik im Rampenlicht. Aktionswei-sen moderner Außenpolitik, Fischer Bücherei 845, Frankfurt 1967; (zusammen mit Ernst Deuerlein, Alexander Fischer und Eberhard Menzel): Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970.