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Entwicklung durch Arbeitsbeschaffung Schaffung von Arbeitsplätzen als Hauptproblem der Entwicklungshilfe | APuZ 7/1971 | bpb.de

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APuZ 7/1971 Artikel 1 Entwicklung durch Arbeitsbeschaffung Schaffung von Arbeitsplätzen als Hauptproblem der Entwicklungshilfe Deutsch-lateinamerikanischer Wirtschaftsdialog

Entwicklung durch Arbeitsbeschaffung Schaffung von Arbeitsplätzen als Hauptproblem der Entwicklungshilfe

Otto Matzke

/ 44 Minuten zu lesen

„The difiiculty lies, not in the new ideas, but in escaping from the old ones ..

John Maynard Keynes

Der Zuwachs des Sozialprodukts ist kein ausreichender Indikator

Jürgen Westphalen Deutsch-lateinamerikanischer Wirtschaftsdialog .................................... S. 22

Hauptziel der den Zeitraum von 1971 bis 1980 umfassenden Zweiten Entwicklungsdekade der UN ist die Steigerung des Sozialprodukts der Entwicklungsländer um jährlich mindestens 6°/0 (gegen 5% in der Ersten Dekade). Die Zuwachsrate des Sozialprodukts bleibt somit — wie schon in der Ersten Dekade — der Hauptindikator für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Wenn auch für das vergangene Jahrzehnt in einer Anzahl von Ländern die geplanten Zuwachsraten als erreicht betrachtet werden, so wird doch das erzielte „Ergebnis" vielfach als wenig befriedigend empfunden; ja Zweifel werden geäußert, ob der erreichte Zuwachs nicht nur auf dem Papier steht.

Ausgehend von der Erkenntnis, daß man „von Wachstumsraten nicht leben kann", werden sich immer mehr Entwicklungspolitiker der Tatsache bewußt, daß das Wachstum weitgehend nur einer kleinen Oberschicht zugute kommt und kaum zu einer wesentlichen Veränderung der sozialen Struktur und einer gerechteren Einkommensverteilung beiträgt. Robert S. McNamara, der Präsident der Weltbank, erklärte in seiner Ansprache auf der Konferenz für Internationale Wirtschaftliche Entwicklung der Columbia Universität im Februar 1970, daß die Wachstumsrate des Sozialprodukts allein kein befriedigender Indikator für ein Entwicklungsprogramm dar-stellt. Professor Gunnar Myrdal bezeichnete im Herbst 1970 in der Paulskirche in Frankfurt die Wachstumsindikatoren als „statistisch außerordentlich zweifelhaft, und zwar sowohl in bezug auf die Definition der benutzten Begriffe als auch bezüglich des Primärmaterials". Ähnliche Thesen werden auch von anderen namhaften Wissenschaftlern vertreten Es stellt sich daher die Frage nach einem Indikator mit höherem Aussagewert.

Der von dem Nobelpreisträger Professor Jan Tinbergen geleitete Ausschuß für Entwicklungsplanung der UN („Committee for Development Planning") hat in seiner Sitzung vom Januar 1970 die Bedeutung des Problems der Arbeitsbeschaflung unterstrichen. Die „Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze trägt zur Erzeugung und zum Wachstum bei. Ferner fördert sie eine gerechtere Einkommensverteilung und entspricht dem menschlichen Bedürfnis nach einer nützlichen und schöpferischen Tätigkeit und zur Teilnahme an den Aufgaben und den Vorteilen der wirtschaftlichen Entwicklung... Aus allen diesen Gründen hilft sie, die politischen und sozialen Spannungen zu vermindern." Trotz dieser Erkenntnis hat sich aber der an der Ausarbeitung der Strategie für die Zweite UN-Entwicklungsdekade führend beteiligte Tinbergen-Ausschuß dafür ausgesprochen, die Steigerung der Zuwachsrate des Sozialprodukts auch für die Zukunft wiederum als das Hauptziel zu wählen. Zur Begründung heißt es, daß diese Zuwachsrate der einzige Gesamtindikator sei, „der am ehesten einen quantitativen Eindruck der vor sich gehenden Veränderungen vermittelt". Die Generalversammlung der UN ist für die Zweite Entwicklungsdekade dieser Empfehlung gefolgt, und der Aspekt der Arbeitsbeschaffung wird in dem entsprechenden Dokument erst ziemlich am Ende der Empfehlung aufgeführt und auf die gleiche

Ebene von Prioritäten wie Erziehung und Ausbildung, Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Wohnungsbau gestellt

Es ist nicht zu leugnen, daß die Entwicklung des Sozialprodukts trotz aller Problematik hinsichtlich der Definition und der Ermittlung der zugrunde liegenden Werte ein immer noch notwendiger Indikator für den Fortschritt ist. Länder mit hochentwickelten und effizienten Steuersystemen werden die Größenordnung des Sozialprodukts statistisch einigermaßen verläßlich erfassen können. In Entwicklungsländern jedoch fehlt es meist an einem wirksamen Steuersystem und damit an der wichtigsten statistischen Grundlage für die Ermittlung des Sozialprodukts. In jedem Fall steht fest, daß selbt ein wesentlicher Zuwachs des Sozialprodukts als solcher in einem Entwicklungsland nicht gleichbedeutend ist mit einer entsprechenden Verbesserung der allgemeinen Beschäftigungslage oder gar des Lebensstandards der breiten Massen. Wenn „das Unvermögen, geeignete Arbeitsplätze zu schaffen, die größte Tragik der Entwicklungshilfe ist" (so — übrigens in gewissem Widerspruch zu seiner sonst die Bedeutung des Wachstums eher zu einseitig unterstreichenden Tendenz — der Pearson-Repor „Partners in Development" dann stellt sich die Frage, ob nicht künftig wenigstens neben dem Indikator „Wachstum des Sozialprodukts" einem Indikator „Zuwachs an Arbeitsplätzen" gleichrangige Bedeutung zur „Messung" des Entwicklungsstandes und Fortschritts eines Landes eingeräumt werden müßte. Ein Indikator „Zusätzliche Arbeitsplätze" würde einen, wenn auch keinesfalls vollkommenen, so doch klareren quantitativen Eindruck von Entwidclungsfortschritten vermitteln als der Indikator „Wachstum". Es ist in Entwicklungsländern übrigens statistisch wohl kaum schwieriger, Feststellungen über die Veränderung der Zahl der Arbeitsplätze zu treffen, als über die Veränderung des Sozialprodukts.

Die Arbeitsbeschaffung als eine der größten Herausforderungen

1: Gesamtbevölkerung Gesamtbevölkerung (in Mio.) Welt davon in Industrieländern Entwicklungsländern Südasien Ostasien Afrika Lateinamerika Ozeanien Welt davon in Industrieländern Entwicklungsländern Südasien Ostasien Afrika Lateinamerika Ozeanien Bevölkerung in arbeitsfähigem Alter (in Mio.) 1 Arbeitsfähige 2516 872 1 644 697 601 222 162 2 1 138 394 744 302 303 98 57 0, 8 2 997 994 2 003 865 704 273 212 2, 2 1 296 447 849 349 334 112 71 0, 9 3 597 1 110 2 487 1 107 810 346 283 2, 6 1 509 497 1ጐْ

Auch wenn bei der Formulierung des Dokuments über die Zweite Entwicklungsdekade eine Gelegenheit verpaßt wurde, die Bedeutung der Arbeitsbeschaffung viel deutlicher herauszustellen, so kann es heute doch wohl als herrschende Ansicht angesehen werden, daß die Schaffung produktiver Arbeitsplätze angesichts der „Bevölkerungsexplosion" besondere Bedeutung hat und daß dieses Problem wohl eine der größten Herausforderungen an die Menschheit darstellt. Ohne Lösung des Arbeitsbeschaffungsproblems kann es keine gesamtwirtschaftliche Entwicklung geben, da Arbeitslosigkeit immer Armut und deshalb Stagnation bedeutet. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und damit der Armut würde darüber hinaus fast automatisch auch weitgehend zu einer Lösung des Welternährungsproblems beitragen, das nicht nur ein technisches (Agrartechnik im weitesten Sinn sowie Ernährungserziehung), sondern mindestens ebensosehr ein Kaufkraftproblem darstellt

Viele Anzeichen sprechen dafür, daß das Problem der Arbeitslosigkeit spätestens ab Ende der siebziger Jahre ein Ausmaß erreichen wird, das sich heute nur wenige vorzustellen vermögen. Von den achtziger Jahren an könnte es einen katastrophalen Umfang annehmen.

Die unter Fortentwicklung der Theorie von John Maynard Keynes entwickelten Vollbeschäftigungskonzepte aus den dreißiger Jahren, welche auf dem Gedanken einer antizyklischen Wirtschafts-und Finanzpolitik beruhen, sind auf die meisten Entwicklungsländer gar nicht oder nur sehr beschränkt anwendbar, da ihre Arbeitsbeschaffungsprobleme nicht durch konjukturelle Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität verursacht werden, sondern durch strukturelle und technische Gegebenheiten, die noch durch die Bevölkerungsexplosion verschärft werden.

Von Regionalplänen zum Weltbeschäftigungsprogramm der ILO Die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization — ILO) hat das Beschäftigungsproblem in den vergangenen zehn Jahren immer zielbewußter in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt, wobei von der Grunderkenntnis ausgegangen wird, daß die ernsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme der Entwicklungsländer zu einem großen Teil eine Folge ihres Unvermögens sind, den am reichlichsten vorhandenen Produktionsfaktor, nämlich das menschliche Arbeitspotential, voll auszunutzen. Von Jahr zu Jahr wird klarer erkannt, daß ein allgemeines Wachsen des Sozialprodukts als solches kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen gerade der bedürftigsten Teile der Bevölkerung geführt hat, wie z. B.der landlosen und unterbeschäftigten Landarbeiter, der Landflüchtigen, die in die Außenbezirke der großen Städte abgewandert sind, und der arbeitslosen Jugendlichen.

Auf der Konferenz der amerikanischen Mitgliedstaaten der ILO im Jahre 1966 in Ottawa wurde erstmals die Ausarbeitung eines konkreten Regional-Programms zur Arbeitsbeschaffung gefordert und daraufhin der Ottawa-Plan für die Entwicklung des menschlichen Potentials in den amerikanischen Mitgliedstaaten der ILO („Ottawa Plan for Human Resources Development") vorgelegt 8). Andere Weltregionen folgten diesem Beispiel. So forderte die 6. Regional-Konferenz für Asien in Tokio im Jahre 1968 die Ausarbeitung eines „Asian Manpower Plan“ und die 3. ILO-Regional-Konferenz für Afrika in Accra im Dezember 1969 beschloß ein „Jobs and Skills Programme for Africa“ (Programm für Arbeitsbeschaffung und Berufsausbildung in Afrika). Sind die erwähnten drei Regional-Programme auf die spezifischen Verhältnisse einiger Regionen ausgerichtet, so stellt das im Juni 1969 von der Internationalen Arbeitskonferenz (International Labour Conference), dem obersten Organ der ILO, verabschiedete Weltbeschäftigungsprogramm (World Employment Programme) den Versuch zur Entwicklung eines Konzepts für eine weltweite Strategie dar

Der Kolumbien-Plan Im Rahmen desWeltbeschäftigungs-Programms beabsichtigt die ILO, detailliertere Studien in einer Anzahl von Entwicklungsländern durchzuführen mit dem Ziel, die Ursachen der Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung festzustellen und geeignete Maßnahmen zur Abhilfe vorzuschlagen. Eine erste, umfangreiche Studie dieser Art, die sich mit einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Kolumbien befaßt, wurde im Spätsommer 1970 veröffentlicht An der Ausarbeitung waren neben der ILO elf multilaterale und regionale Organisationen beteiligt, unter ihnen die Weltbank, die FAO, die UNESCO, UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung), UNDP (UN-Entwicklungsprogramm), UNIDO (UN-Organisation für industrielle Entwicklung) und die WHO (Weltgesundheitsorganisation), welche eine Gruppe von 27 Entwicklungsspezialisten ausgewählt hatten. Ihr Leiter war Professor Dudley Seers, der Direktor des Instituts für Entwicklungsstudien der Universität Sussex. Die Studie zeichnet sich durch Gründlichkeit, Klarheit und so rückhaltlose Offenheit aus, wie sie wohl nur einer multilateralen Organisation einer souveränen Regierung gegenüber erlaubt ist.

Die ILO-Strategie Das Weltbeschäftigungsprogramm — ebenso wie der Kolumbien-Bericht der ILO — geht davon aus, daß man sich bei einer auf Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgerichteten Poli-tik nicht darauf verlassen kann, daß die notwendige Zahl von Arbeitsplätzen als Nebenprodukt einer allgemeinen, auf Steigerung des Sozialprodukts ausgerichteten Entwicklungspolitik anfallen wird. Das Motto für die Planung in sämtlichen Entwicklungsländern könnte lauten: „Man plane für Arbeitsbeschalfang, und die nationale Entwicklung wird von selbst folgen.“

Die Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen ist nicht nur als „Derivat“ des Zuwachses des Sozialprodukts anzusehen, sondern vielmehr Voraussetzung für dessen Wachstum und damit ein Entwicklungsziel „an sich".

Ging die bisher herrschende Meinung — auf einen stark vereinfachten Nenner gebracht — von dem Motto: Arbeitsbeschaffung durch Entwicklung aus, so setzt sich heute mehr und mehr die auch in dem ILO-Programm vertretene umgekehrte These durch: Entwicklung durch Arbeitsbeschaffung. In Wirklichkeit sind beide Thesen natürlich überpointiert, und es wäre — wie der Kolumbien-Bericht richtig sagt — eine „etwas falsche Alternative", etwa annehmen zu wollen, daß es sich im Grunde um „eine Wahl zwischen schnell wachsenden Einkommen und einem schnellen Beschäftigungsanstieg" handele Worauf es ankommt, ist eine vernünftige Synthese. War bisher die in einigen Ländern versuchte Planung auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffung zumeist nur — in mehr oder minder loser Form — auf den allgemeinen Entwicklungsplan abgestimmt, so muß künftig bei allen Entwicklungsvorhaben das Problem der Arbeitsbeschaffung als Hauptziel beachtet werden, andererseits darf aber auch bei jeder Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung der allgemeine Wachstumsaspekt nicht außer acht gelassen werden. Wenn die Schaffung neuer Arbeitsplätze ein in den Vordergrund der entwicklungspolitischen Bemühungen zu stellendes Ziel ist, so müssen die Anstrengungen der Entwicklungsländer selbst, sowie auch die der bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe, viel stärker und bewußter als bisher auf dieses Ziel ausgerichtet werden.

Auch wenn man das Beschäftigungsproblem in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Planung stellt, so darf das nicht im Sinne einer Rechtfertigung unwirtschaftlicher Produktionsmethoden verstanden werden. Nicht Beschäftigung als solche (krasses Beispiel frei nach Keynes: das Graben und Zuschütten von Erdlöchern), sondern produktive Beschäftigung muß das Ziel sein; das heißt, es muß versucht werden, Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig das Sozialprodukt durch erhöhte Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu vergrößern.

Das Grundproblem der Verteilung

Tabelle 2: Beschäftigungsstruktur nach Sektoren Welt Industrieländer Entwicklungsländer Lateinamerika Süd-und Ostasien Nordafrika Andere Landwirt- schaft 67, 1 33, 3 77, 7 63, 4 76, 8 76, 0 80, 1 Industrie 14, 7 30, 5 8, 9 16, 1 10, 2 8, 3 7, 2 Dienstleistun-

gen 18, 2 36, 2 13, 5 20, 5 13, 1 15, 6 12, 8 Landwirt- schaft 61, 5 30, 7 75, 0 54, 1 75, 3 72, 9 78, 3 Industrie 16, 9 32, 9 9, 3 18, 6 8, 8 9, 7 8, 1 Dienstleistun-

gen 21, 7 36, 5 15, 7 27, 3 16, 0 17, 2 13, 6 Landwirt- schaft 58, 1 ጐْ

Klar formuliert ist der theoretische Kernpunkt im Kolumbien-Bericht: „Die Frage ist letztlich ein Problem der Verteilung ... Die eigentliche Bedeutung der chronischen Arbeitslosigkeit liegt darin, daß sie die Ursache für chronische Armut darstellt. Falls eine Wahl zwischen . Einkommen'und . Beschäftigung'zu treffen ist, wägt man in Wirklichkeit die Vorteile derjenigen ab, die sonst arbeitslos wären, gegen den potentiellen Fortschritt der übrigen Gemeinschaft. Die entscheidende Frage lautet, ob es vorzuziehen ist, das Einkommen und den Verbrauch der niedrigsten Einkommens-gruppen anzuheben, statt das Einkommen und den Verbrauch des übrigen Teils der Gemeinschaft. Wenn man . Einkommen'als eine Gesamtgröße ansieht, ohne zu fragen, wer gewinnt und wer verliert, und dann diese Gesamtgröße der . Beschäftigung'gegenüberstellt, so verfehlt man den Kernpunkt."

Die überragende Bedeutung der Anhebung des allgemeinen Beschäftigungsniveaus für die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt ist offensichtlich. Das Dilemma besteht darin, ob und inwieweit eine Nation bereit ist, für dieses Ziel den Preis eines möglicherweise etwas verlangsamten allgemeinen Einkommensanstiegs zu zahlen

Der frühere Generaldirektor der ILO, David A. Morse, weicht allenfalls in Nuancen von diesen Thesen ab, wenn er es für den Fall eines* Konflikts zwischen einer auf Arbeitsbeschaffung ausgerichteten Entwicklungspolitik und dem Wachstumsziel als opportun bezeichnet, „sich mit etwas geringerem Wachstum zu begnügen, um das Beschäftigungsvolumen zu steigern. Damit würde man eine Methode des Wachstums wählen, die schnell neue Arbeitsplätze schafft und damit den Armen sofort greifbare Vorteile bringt, selbst wenn diese Methode nicht unmittelbar zum schnellstmöglichen Wachstum des Sozialprodukts führt. Zusätzliche Beschäftigung erstrebt nicht nur eine Produktions-und Einkommenssteigerung, sondern trägt auch zu einer gleichmäßigen Einkommensverteilung im Sinne des eigentlichen Ziels der wirtschaftlichen Entwicklung bei."

Kein Patentrezept Das Weltbeschäftigungsprogramm erhebt nicht den Anspruch, ein Patentrezept zu bieten. Die ILO geht in ihren Vorschlägen von der Kapitalknappheit in den Entwicklungsländern aus, der ein explosionsartig anwachsendes, ungenütztes Potential von Arbeitskräften gegenübersteht. Der Schwerpunkt für die Planung und Durchführung jedes Arbeitsbeschaffungsprogramms muß auf nationaler Ebene liegen. Entscheidende Voraussetzung ist, daß die einzelnen Regierungen den ernsthaften Willen haben, die Schaffung neuer Arbeitsplätze als ein Hauptziel bei ihren Bemühungen zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung anzustreben. Eine systematisch darauf ausgerichtete Politik setzt eine entsprechende Investitionsplanung und -förderung voraus, die bei jeder einzelnen Investitionsentscheidung die Prüfung der Arbeitsintensität zu einem wesentlichen Kriterium macht.

Das bereits zitierte Dokument über die Zweite Entwicklungsdekade faßt in prägnanter Form — wenn auch, wie bereits gesagt, ziemlich beiläufig — die Hauptpunkte für eine auf Arbeitsbeschaffung ausgerichtete Politik wie folgt zusammen: „Die Regierungen müssen ihre Steuer-, Währungs-, Handels-und sonstige Politik mit dem Ziele überprüfen, gleichzeitig die Beschäftigung wie das Wachstum zu fördern ... Wo immer eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der anzuwendenden Technik besteht, müssen die Entwicklungsländer versuchen, das allgemeine Beschäftigungsniveau dadurch anzuheben, daß sie die kapitalintensive Technologie auf solche Zwecke beschränken, wo sie in tatsächlichen Kosten ausgedrückt billiger und leistungsfähiger ist." Es besteht somit Übereinstimmung mit dem ILO-Konzept.

Von Fall zu Fall muß abgewogen werden, ob es nicht zweckmäßig ist, die reichlich vorhandenen Arbeitskräfte zu verwenden, statt knappes Kapital für den Ankauf (meist den Import) arbeitsparender, aber teurer Maschinen auszugeben. Es gibt natürlich Industriezweige (z. B. Stahl, Zement, Düngemittel, Erdöl-verarbeitung), die auch in einem Entwicklungsland überwiegend nur kapitalintensiv rationell arbeiten können. Andererseits bestehen aber — vor allem bei den Verarbeitungsindustrien — viel mehr echte Alternativen, als üblicherweise angenommen wird, und sie verdienen eine nüchterne Prüfung, bevor man sich, schematisch dem westlichen Beispiel folgend, für kapitalintensive Produktionsmethoden entscheidet. Dabei sollte von den volkswirtschaftlichen Kosten ausgegangen werden, die in vielen Entwicklungsländern nicht immer mit den betriebswirtschaftlichen identisch sind. Im Grunde müßten bei volkswirtschaftlicher Betrachtungsweise in jedem Kostenvergleich zwischen arbeits-oder kapitalintensiven Verfahren auch diejenigen „fixen Kosten" in Betracht gezogen werden, die in jedem Falle für Ernährung und Unterbringung der Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten aufzubringen sind: Diese Kosten wären von den Kosten abzuziehen, die bei Anwendung arbeitsintensiver Produktionsverfahren, rein betriebswirtschaftlich gesehen, anzusetzen sind.

Bei einem Kostenvergleich zwischen hoch-mechanisierten und arbeitsintensiven Methoden wird häufig übersehen, daß die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung—vor allem bei Verwendung importierter Maschinen und Anlagen — durch verschiedene Faktoren zugunsten der kapitalintensiven und damit zu Lasten der arbeitsintensiven Methoden verzerrt sein kann, wie etwa durch besonders niedrig angesetzte Verzinsungsbedingungen oder auch die in vielen Entwicklungsländern übliche Festsetzung der Wechselkurse für Auslands-währungen auf einem zu tiefen Niveau. Solche Bedingungen verschleiern die „realen" Kosten und stellen einen künstlichen Anreiz zur Mechanisierung durch Verwendung eingeführter Maschinen dar. Kapitalintensive Erzeugungsmethoden werden vielfach auch durch Krediterleichterungen, Zulassung besonders günstiger Abschreibungssätze und durch sonstige steuerliche Befreiungen gefördert

Manche Länder verfolgen mit oder ohne gewerkschaftlichen Druck eine Politik der Festsetzung von Mindestlöhnen, die vielleicht den Maßstäben mancher Industrieländer entsprechen, aber in keiner Weise dem Über-angebot von Arbeitskräften Rechnung tragen, und sie scheinen überzeugt zu sein, schon damit gute Sozialpolitik zu betreiben. Zu hohe Mindestlöhne vergrößern nicht nur die Anziehungskraft der Stadt gegenüber dem Land, sondern verstärken auch die Tendenz, mehr Maschinen statt Arbeiter zu verwenden. Die Verwaltungsbürokratie mancher Entwicklungsländer setzt auch durch großzügige Bemessung ihrer eigenen Besoldung ein schlechtes Beispiel für das allgemeine Lohnniveau ihres Landes. Ein zu stark ausgebauter Kündigungsschutz begünstigt zwar die bereits Beschäftigten, kann aber einen Arbeitgeber veranlassen, die Zahl der Beschäftigten möglichst klein zu halten und verstärkter Mechanisierung und Überstunden den Vorzug zu geben. Wie der obenerwähnte Kolumbien-Bericht auf Grund einer Erhebung von Ende 1969 feststellt, arbeiteten in Bogota 18 Prozent der Beschäftig-ten wöchentlich 64 und mehr Stunden. „Schutz des Arbeiters" bedeutet in-solchen Fällen Sicherheit für eine als fast priviligert anzusehende Minderheit, der große Unsicherheit anderer Gruppen gegenübersteht.

Bevorzugung arbeitsintensiver Produktionsmethoden

Bei jeder Entscheidung über die zu wählende Produktionstechnik kommt es darauf an, ob sie in einer vollbeschäftigten oder in einer durch chronische (vor allem strukturelle) Arbeitslosigkeit belasteten Wirtschaft zu treffen ist. Im ersten Fall kann die Produktion nur durch Mechanisierung erhöht werden. In einem Land mit weitverbreiteter Arbeitslosigkeit dagegen kann — rein theoretisch gesehen — die Erzeugung entweder durch Steigerung der Produktivität des einzelnen Arbeiters (d. h. durch verstärkte Mechanisierung) oder durch Einsatz einer größeren Zahl von Arbeitern gesteigert werden. Das für entwickelte Länder selbstverständliche Produktivitätskonzept ist für Entwicklungsländer nicht ohne weiteres anwendbar, und insbesondere darf der Begriff „Entwicklung" nicht — wie es naiverweise oft geschieht — mit „Modernisierung" verwechselt werden. Der Kolumbien-Bericht erwähnt als Beispiele für eine volkswirtschaftlich gesehen problematische Mechanisierung die Verwendung von Komputern in manchen Banken in Bogta oder die Einrichtung von Supermärkten.

Trotz der erwähnten grundsätzlichen Gesichtspunkte wird in Diskussionen über das Thema der in den Entwicklungsländern zu verwendenden Technologie häufig als selbstverständlich unterstellt, daß für die Entwicklungsländer bei allen Neuinvestitionen im Prinzip nur die höchstentwickelte Technologie in Betracht komme. So vertrat z. B.der Vizepräsident der EWG, Mansholt, in einer Ansprache anläßlich des Zweiten Welternährungskongresses der FAO in Den Haag im Juni 1970 die Auffassung, daß seines Erachtens die Errichtung von kleineren Industriebetrieben in ländlichen Gebieten keine Lösung für das sich stellende Problem sei und daß auch in den Entwicklungsländern der Errichtung modernster Industrieunternehmen der Vorzug zu geben sei. Mansholt steht damit im Widerspruch zu der heute zunehmend in Fachkreisen vertretenen These, daß die Frage, welche Technologie für die Entwicklungsländer die geeignetste sei, nur von Fall zu Fall entschieden werden kann.

Die von Mansholt nicht näher erläuterte Auffassung kommt der von der UNCTAD (United Nations Conference for Trade and Development) vertretenen These nahe, daß das langsame Wachstum in den Entwicklungsländern in erster Linie auf äußere Faktoren zurückzuführen sei, die nicht von den Entwicklungsländern selbst zu verantworten wären Dabei spielt nach Auffassung von UNCTAD insbesondere die ungünstige Entwicklung der Weltnachfrage nach Grundprodukten eine entscheidende Rolle, für die nach Meinung von UNCTAD die reichen Länder die Hauptverantwortung tragen. Ein zentraler Punkt der UNCTAD-Philosophie ist es, zu negieren, daß die Entwicklungsländer durch interne Anpassungsmaßnahmen befriedigende Entwicklungsfortschritte erzielen könnten. Man fordert daher neben einem Abbau der Handels-schranken im weitesten Sinne auch Hilfsmaßnahmen auf dem Rohstoffgebiet (u. a. durch Abschluß internationaler Rohstoffabkommen und durch sogenannte Ausgleichszahlungen). Als Voraussetzung für den „Sprung nach vorn" wird aber insbesondere ein hoher Grad von kapitalintensiver Industrialisierung angesehen, und man erwartet daher von der bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe die großzügige Unterstützung der Entwicklungsländer beim Ausbau einer hochmodernen Industrie. Hinter einem solchen strategischen Konzept steht der Gedanke, daß der industrielle Fortschritt zum Promotor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werden und dabei auch die Entwicklung der ländlichen Gebiete vorantreiben könne Die persönliche Autorität von Mansholt gibt allen denjenigen in den entwickelten und in den Entwicklungsländern Auftrieb, die es schon aus „psychologischen" oder „politischen" Gründen einfach nicht für „realistisch" halten, den Entwicklungsländern etwa eine nicht dem modernsten Stand entsprechende Technologie empfehlen zu wollen. Diese „Realisten" übersehen allerdings die Größenordnung und Tragweite des Problems. Wenn wirklich — wie noch darzulegen ist — bis zur Jahrhundertwende etwa 800 Millionen neue Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern zu schaffen sind, dann ist von dieser Realität auszugehen und alle anderen Erwägungen, insbesondere solche der politischen oder psychologischen „Zumutbarkeit" müssen an die zweite Stelle rücken. Die Argumentation dieser „Realisten" wäre allenfalls dann relevant, wenn sie einen Weg aufzeigen würden, wie — abgesehen von der Frage der Aufbringung des notwendigen Kapitals — das Problem der Schaffung von Hunderten von Millionen neuer Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Einführung der allermodernsten, kapitalintensiven und arbeitsparenden Technologie zu lösen wäre.

Der Drang der Entwicklungsländer zur Errichtung moderner, hochautomatisierter Anlagen ist psychologisch verständlich. Die modernen Kommunikationsmittel wie Film und Fernsehen haben dazu beigetragen, in vielen Ländern einen Nimbus der modernen Technologie zu schaffen. Dieser „DemonstrationsEffekt" pflegt in den reicheren Ländern angesichts der Kaufkraft der breiten Massen zu einer Veränderung der Konsumgewohnheiten zu führen. In den Ländern, wo es an ausreichender Kaufkraft fehlt, wirkt er jedoch frustrierend und verschärft die sozialen Gegensätze. Der „Demonstrations-Effekt" äußert sich nicht nur in der Veränderung von Konsum-wünschen, sondern beeinflußt auch die Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der für die Produktion anzuwendenden Technologie. Man möchte so schnell wie möglich die Sense durch den Mädrescher oder den Maulesel durch das Düsenflugzeug ersetzen und sich die z. T. mühevollen Phasen der industriellen Revolution der vergangenen zwei Jahrhunderte ersparen, bei der sich technische Verbesserungen mehr oder minder schrittweise durchsetzten. Ein allzu übereiltes Tempo könnte jedoch statt der erhofften Vorteile 'eicht ein soziales und damit politisches Chaos bringen und die moderne Technik zum Fluch latt zu einem Segen werden lassen „Intermediate Technology" erforderlich Auch der Zwischenbericht über den „Asian Manpower Plan“ bestätigt, daß die Tendenz zur Verwendung kapitalintensiver Produktionstechniken die Lösung des Beschäftigungsproblems erschwert und das für asiatische Länder im Hinblick auf ihren Menschenüberschuß eine „Intermediate Technology“, das heißt, eine nicht kapitalintensive Technologie besser geeignet ist. Der Plan empfiehlt Maßnahmen zur Förderung der Einführung solcher „Intermediate Technology", wie z. B. entsprechende Berufsausbildungskurse und die Gewährung von steuerlichen Vorteilen. Der vierte indische Fünfjahresplan (1969— 74) sieht die Ablehnung von Lizenzen zur Errichtung kapitalintensiver Produktionsanlagen in den Fällen vor, wo die kapitalintensive Technologie keine entscheidend wichtigen Vorteile bietet. Angesichts der Bedeutung arbeitsintensiver Produktionsmethoden sollten Wissenschaft und Forschung viel mehr als bisher — auch im Rahmen der technischen Hilfe — bei der Ausfindigmachung, Entwicklung und Anwendung solcher Produktionsmethoden im Sinne einer „Intermediate Technology" mitwirken. H. W. Singer schätzt, daß etwa 95 °/o der Weltausgaben für technische und wissenschaftliche Forschung auf Nordamerika, Europa und Japan entfallen und daß diese Forschung den Akzent auf eine kapitalintensive Produktionstechnik legt. Die schematische Übertragung solcher Forschungsergebnisse auf die Entwicklungsländer muß deren Arbeitsbeschaffungsproblem verschärfen.

Die ILO hat im Rahmen des Weltbeschäftigungsprogramms die Forschung auf dem Gebiet der arbeitsintensiven Produktionstechnik zu einem ihrer Hauptarbeitsgebiete gemacht. Sie beabsichtigt, Versuchsprojekte in verschiedenen Ländern durchzuführen, wobei man auf die Unterstützung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UN Development Programme — UNDP) hofft. Man kann sich für den Einsatz der nicht allzu knappen Mittel von UNDP kaum eine bessere Verwendung vorstellen, insbesondere wenn man daran denkt, daß in der Vergangenheit viele der vom UNDP finanzierten Projekte in ihrer entwicklungspolitischen Effizienz doch sehr zweifelhaft waren. Auch Nahrungsmittel-hilfe des Typs, wie sie vor allem vom UN/FAO-World Food Programme seit Jahren für arbeitsintensive Projekte gewährt wird, könnte eine zusätzliche Finanzierungsquelle für solche Versuchsprojekte sein (Abgeltung von bis zu 50 0/0 des Lohnes in Form von Lebensmitteln)

Die bewußte Ausrichtung der Planung in den Entwicklungsländern auf Tausende kleiner und mittlerer arbeitsintensiver Investitionsobjekte ist bisher nicht die Regel. Sie ist eine außerordentlich schwierige Aufgabe, da sie die geduldige Bewältigung unzähliger Details voraussetzt. Bekanntlich geben viele Regierungen in ihrer Investitionsplanung und -forderung nicht selten aus Prestige-und anderen Gründen spektakulären — „photogenen" — Groß-projekten den Vorzug. All das macht es auf Empfänger-und Geberseite nicht einfach, einen wesentlichen, wenn nicht den Hauptteil der bilateral und multilateral gewährten Kapitalhilfe auf bescheidenere, dafür aber in ihren Auswirkungen auf die Dauer sicher mehr Erfolg versprechende mittlere, kleine und kleinste Investitionsobjekte zu lenken.

Vorrang der ländlichen Bezirke

Da in den Entwicklungsländern insgesamt noch über 70 °/o aller Arbeitenden in der Landwirtschaft tätig sind, kommt der Schaffung neuer Arbeitsplätze dort und überhaupt in den ländlichen Bezirken mindestens für die nächsten Jahrzehnte besondere Bedeutung zu. In einem dem FAO-Rat im November 1970 vorgelegten Dokument über die mittelfristige Planung der FAO wird die Schaffung von Arbeitsplätzen als ein überragendes Sonderproblem („overriding special problem") anerkannt und dessen Bedeutung gerade für die ländliche Gebiete unterstrichen: „Einige dieser Aktivitäten (zur Schaffung von Arbeitsplätzen) fallen nicht in die Zuständigkeit der FAO, aber sie sind für die landwirtschaftliche Entwick-lung wichtig, insbesondere für die Beschäftigung der großen Massen Jugendlicher sowohl in den ländlichen wie in den städtischen Gebieten, die keine Möglichkeiten haben, unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen eine produktive Beschäftigung zu finden. Die FAO muß daher bereit sein, ihren Beitrag zu den allgemeinen Anstrengungen auf diesem Gebiet zu leisten."

Technischer Fortschritt braucht in der Landwirtschaft nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer Verminderung der Zahl der Arbeitsplätze zu sein. Die Verwendung von mehr Düngemitteln und mehr Schädlingsbekämpfungsmitteln stellt eine Form der Anwendung moderner Technik dar, bei der mehr (und nicht weniger) Arbeitskräfte benötigt werden. Ob die Verwendung besseren Saatguts, insbesondere der „hochertragreichen Sorten" (die zur sogenannten „Grünen Revolution" führte), positive oder negative Auswirkungen auf die Beschäftigungslage haben wird, kann heute noch nicht abschließend beantwortet werden. Die „Grüne Revolution" stellt trotz vieler noch offener technischer und wirtschaftlicher Fragen zwar einen entscheidenden Durchbruch für die Lösung des Problems einer schnellen Ertragssteigerung auf dem Getreidegebiet dar, man sollte aber vor übertriebenen Erwartungen warnen, soweit es sich um ihre Auswirkungen auf die Beschäftigungslage auf dem Lande handelt. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß angesichts der starken Ertragssteigerung der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft je produzierter Getreideeinheit zurückgeht und wohl kaum durch einen Mehrbedarf an Arbeitskräften für den größeren Aufwand und für die Bergung der größeren Ernten voll aufgewogen wird. Solange die „Grüne Revolution" dazu dient, bisherige Importe zu vermindern, kann der rückläufige Bedarf an menschlicher Arbeitskraft wahrscheinlich durch Steigerung der Gesamtproduktion kompensiert werden. Mit dem Erreichen der Selbstversorgung ist jedoch zu erwarten, daß der Gesamtbedarf an menschlicher Arbeitskraft für die Getreideproduktion rückläufig wird, außer wenn sich Exportmöglichkeiten bieten. Länder wie Indien und Pakistan sind sich dieser Probleme, die sich in den kommenden Jahren immer deutlicher stellen werden, bereits bewußt. Die Lage in den ländlichen Gebieten vieler Entwicklungsländer wird nicht so sehr durch Arbeitslosigkeit gekennzeichnet als durch Unterbeschäftigung, die freilich oft saisonbedingt und für die Lebensweise auf dem Land charakteristisch ist. Besondere Förderung verdienen daher arbeitsintensive Zweige wie Tierzucht, Forstwirtschaft, Fischerei, ferner Beund Entwässerungsarbeiten, die Verbesserung des gesamten Verarbeitungs-und Vermarktungssytems und die Errichtung von Genossenschaften. Unerläßlich sind auch strukturelle und institutionelle Veränderungen. Land-reform, verbunden mit einer Neuverteilung des Bodens, kann möglicherweise zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Eine Diversifizierung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten auf dem Lande ist anzustreben, z B. die Förderung von Handwerk, Kleinindustrie, Erziehung, Gesundheitswesen, Haus-bau und Infrastrukturen.

Das Problem der Städte Das Arbeitsbeschaffungsproblem in den Städten ist von dem auf dem Lande nicht zu trennen, außer wenn sich eine Regierung (z. B. nach chinesischem Beispiel) zu einem Verbot des Zuzugs in die Städte entschließt und auch gewillt und in der Lage ist, ein solches Verbot durchzusetzen, also die Menschen mit Zwang dorthin zu treiben, „wo China Dich braucht" Erfolge in der Arbeitsbeschaffung auf dem Lande bieten die einzige Chance zur Eindämmung der immer bedrohlichere Formen annehmenden Landflucht. Heute bereits weisen viele Stadtgebiete, vor allem in Lateinamerika und Afrika, durch Geburten und durch den Zustrom vom Lande ein mehr als doppelt so schnelles Bevölkerungswachstum auf wie die ländlichen Gebiete. Das ist als Realität hinzunehmen, und daher muß auch in den Städten bei allen Investitionsmaßnahmen einschließlich derjenigen, die die Verbesserung der Infrastruktur betreffen, soweit wie möglich von dem Faktor „Arbeit" Gebrauch gemacht werden.

Bei allen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in städtischen Gebieten sollte man aber die Erfahrungen nicht übersehen, die z. B. in Kenya und anderen Ländern Ostafrikas gemacht wurden. Eine Arbeitsheschaffungspolitik in städtischen Gebieten kann nur dann erfolgreich sein, wenn gleichzeitig durch Maßnahmen in den ländlichen Gebieten sichergestellt wird, daß nicht durch die Verbesserung der Lage in der Stadt eine noch über die schon bestehende Größenordnung hinausgehende Abwanderung vom Land ausgelöst wird Solange auf dem Land nicht zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten geboten werden, ist die Anziehungskraft der Stadt, die sich aus vielen Komponenten zusammensetzt (z. B. höhere Lohnerwartungen, bessere Arbeitsbedingungen und Gesundheitsdienste, Schulen, Wasserversorgung usw.) selbst dann groß, wenn die Landflüchtigen für längere Zeit mit Slum-Bedingungen vorlieb nehmen müssen, sich allerdings gleichzeitig eine Chance ausrechnen, vielleicht zu denen zu gehören, die eines Tages in der Stadt eine Beschäftigung finden werden. Unter den vielen Ideen zur Absorbierung der vorhandenen Arbeitskräfte verdient insbesondere der Gedanke dezentralisierter Landstädte Beachtung, den Lady Jackson (Barbara Ward) in der Päpstlichen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden im September 1959 vertreten hat Sie ist der Auffassung, daß der Bau neuer Städte und Wohnungen (teilfinanziert im Rahmen der bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe) einen der wichtigsten Beiträge zur Lösung des Beschäftigungsproblems darstellen würde. Der Städte-und Hausbau würde nicht nur das direkte Interesse der Arbeitslosen wecken, sondern auch eine Nachfrage nach Baumaterialien und Ausrüstungsgegenständen aller Art auslösen. Der Multiplikatoreffekt solcher Investitionen wäre sicherlich erheblich größer als der der Errichtung von Stahlwerken und Erdölraffinerien. Hinzu kommt, daß Arbeiten der erwähnten Art mit arbeitsintensiven Produktionsmethoden durchgeführt werden können.

Größenordnung des Problems

Wenn es sich darum handeln würde, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für einige Millionen oder selbst einige Dutzend Millionen Menschen neue Arbeitsplätze zu schaffen, könnte man vielleicht fragen, ob tatsächlich so durchgreifende Maßnahmen, ja eine völlig neue Ausrichtung der gesamten Entwicklungspolitik notwendig seien. Aber es handelt sich tatsächlich um ein Problem von einer so gewaltigen Größenordnung, daß man es nicht einfach als eines der vielen Probleme der Entwicklungshilfe betrachten und dementsprechend einordnen kann. Von seiner Lösung hängt das Schicksal von Hunderten von Millionen Menschen ab.

Nach den gegenwärtig bei der ILO und bei den UN verfügbaren Schätzungen über die vergangene und gegenwärtige Lage und die im nächsten Jahrzehnt zu erwartende Entwicklung ergibt sich hinsichtlich der Gesamtbevölkerung und der Zahl der Arbeitsfähigen („labour force") vorstehendes Bild (= Tabelle 1)

Auch wenn diese mit vielen Vorbehalten gegebenen Daten nicht auf die einzelne Million genau sein können und wollen, so machen sie immerhin den Ernst der Lage deutlich. Freilich sollte man sich bei der Würdigung der Angaben über die Zahl der Arbeitsfähigen nicht nur der bestehenden großen Definitionsschwierigkeiten und der besonderen Problematik einschlägiger statistischer Erhebungen in den Entwicklungsländern bewußt sein, sondern auch den Irrtum vermeiden, etwa die „Arbeitsfähigen" automatisch mit „Arbeitswilligen'gleichzusetzen. Angesichts der Sozialstruktur vieler Entwicklungsländer, ihrer klimatischen Verhältnisse und der von der westlichen häufig völlig verschiedenen Mentalität wäre das kaum realistisch.

Geht man von den in der obigen Tabelle (1) angedeuteten Größenordnungen aus, so wären zur Erreichung des Ziels der Vollbeschäftigung in der jetzt beginnenden Dekade in der Welt insgesamt nicht nur für die heute vorhandenen Arbeitslosen, sondern zusätzlich für die neu hinzukommenden etwa 280 Millionen Arbeitskräfte Arbeitsplätze zu schaffen. Davon entfallen nur rund 55 Millionen auf die Industrieländer, während die heute schon unter Arbeitslosigkeit leidenden Entwicklungsländer für etwa 226 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte sorgen müßten. Von diesen entfallen allein auf Asien rund 116, während sich Afrika und Lateinamerika in die verbleibenden reichlich 60 Millionen ziemlich gleichmäßig teilen.

Gegenwärtige Beschäftigungsstruktur Die für die Beurteilung der Lage wesentliche Beschäftigungsstruktur wird dadurch gekennzeichnet, daß der größte Teil der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig war und noch ist Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten geht in den Entwicklungsländern nur sehr langsam zurück. Die folgende, auf ILO-Material beruhende Tabelle zeigt die Entwicklung im Zeitraum von 1930 bis 1960 Während in den entwickelten Ländern im Jahre 1960 nur noch 23 0/0 aller Beschäftigten auf die Landwirtschaft entfielen, waren es in den Entwicklungsländern 73 0/0. Im Zeitraum 1930 bis 1960 ging der Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen in den Industrieländern wesentlich zurück (von auf 23 0/0) gegenüber einem nur geringen Rückgang in den Entwicklungsländern (von 78 auf 73°/0). Auch heute und in der absehbaren Zukunft sind in dieser Hinsicht kaum schnelle und wesentliche Veränderungen zu erwarten, das heißt, die große Masse der auf dem Lande Geborenen wird weiterhin auf eine Beschäftigung in der Landwirtschaft angewiesen bleiben.

Umfang der Arbeitslosigkeit Es ist nicht einfach, den gegenwärtigen Umfang der Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern aufzuzeigen. Die OECD schätzt die „offene" (im Gegensatz zur „versteckten") Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern gegenwärtig auf durchschnittlich 10 °/o. Bei Einbeziehung auch der „versteckten" Arbeitslosigkeit („Unterbeschäftigung") neigen die meisten Untersuchungen zu der Annahme, daß gegenwärtig im Gesamtdurchschnitt mindestens 20 °/o des Arbeitskräftepotentials der Entwicklungsländer keiner produktiven Tätigkeit im westlichen Sinne nachgeht. Düster ist die Schätzung einer von Gunnar Myrdal geleiteten Gruppe von UN-Sachverständigen für Sozialplanung und -politik, die im September 1969 voraussagte, daß „Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung am Ende der kommenden Dekade leicht die Hälfte des Arbeitskräftepotentials der Entwicklungsländer treffen könnten, wenn dieses Problem nicht als solches angepackt wird" 33).

Audi wenn die über das Jahr 1980 hinausgehenden Schätzungen zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit spekulativen Charakter tragen, so läßt sich immerhin die mögliche Größenordnung des Problems indirekt einigermaßen andeuten. Den ILO-Schätzungen ist zu entnehmen, daß die Zahl der Arbeitsfähigen in den Entwicklungsländern bis zum Jahre 2000 auf 1, 7 Mrd. anwachsen wird, gegenüber 1 Mrd. heute und 1, 2 Mrd. im Jahre 1980. Unterstellt man, daß gegenwärtig 10 °/o der Arbeitsfähigen in den Entwicklungsländern arbeitslos sind (d. h. etwa 100 Mio.), so müßten von heute bis zum Jahre 2000 in den Entwicklungsländern zusätzliche Arbeitsplätze für etwa 800 Millionen Menschen geschaffen werden, wenn alle Arbeitfähigen in Arbeit und Brot gebracht werden sollen.

Radikales Umdenken nötig Die Erkenntnis, daß „die Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern nicht nur ein Mißgeschick ist, das einem an sich gesunden Sozialsystem zustößt" (David A. More), setzt sich immer mehr durch, und die volle Bedeutung des Problems der Arbeitsbeschaffung in den Entwicklungsländern wird in zunehmendem Maße erkannt. Insbesondere hat der Entwicklungshilfeausschuß (DAC) der OECD durch seinen Vorsitzenden, E. M. Martin, den Ernst der Lage mehrfach hervorgehoben: „Es gibt keine größere Ursache für Unzufriedenheit und keine größere Verschwendung ... als einen Arbeiter ohne produktive Beschäftigung." Auch der Generaldirektor der FAO, A. H. Boerma, dem selbstverständlich bewußt ist, daß ohne Arbeitsbeschaffung auch das Welternährungsproblem nicht lösbar ist (wegen Fehlens der Kaufkraft hebt immer entschiedener den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als die Priorität der Entwicklungspolitik hervor. Der Staatspräsident Indiens, Giri, betonte kürzlich, daß Arbeitslosigkeit und Armut die Hauptprobleme seines Landes seien und daß es ohne Arbeitsbeschaffung unmöglich sein werde, den Menschen den Mindestbedarf für eine zivilisierte Existenz zu sichern.

Aber trotz solcher und vieler anderer Stimmen kann noch immer nicht von einem wirklichen Durchbruch dieser Erkenntnis gesprochen werden. Wenn man sich wirklich entschließt, dem Arbeitsbeschaffungsproblem die höchste Priorität innerhalb der gesamten Entwicklungspolitik einzuräumen, dann scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, daß sich alle an der bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe Beteiligten, vor allem aber auch die Regierungen der Entwicklungsländer selber, einem radikalen Umdenkprozeß unterziehen. Im Rahmen einer solchen, einen tiefen Einschnitt darstellenden Überprüfung müssen sich — so bitter und unpopulär es auch sein mag — die Reichen und die Armen endlich von der Illusion freimachen, daß der wirtschaftliche und soziale Fortschritt der armen Länder eine Frage von nur wenigen Jahrzehnten sei und daß man mit Hilfe der modernen Technologie, das heißt, durch massiven Transfer modernster Technik, die lange Zeitspanne sozusagen überspringen könne, die die reichen Länder zu ihrer Entwicklung benötigt haben Schon gar nicht fördert es die Lösung der Probleme, sich in gegenseitigen Vorwürfen über die angeblichen Sünden und Unterlassungen in der Kolonialepoche zu ergehen und daraus „Reparationsverpflichtungen" der Reichen zu konstruieren. Selbst wenn die Reichen Entwicklungshilfe in massivstem Umfang — weit über das gegenwärtige Niveau hinaus — gewähren würden, so wäre damit der derzeitige Rückstand der Armen nicht in einer kurzen Zeitspanne aufzuholen. Angesichts der Bevölkerungsexplosion in zahlreichen Entwicklungsländern und des täglich wachsenden großen Arbeitskräftepotentials ist dort die schematische Anwendung der modernsten Technologie volkswirtschaftlich äußerst fragwürdig.

Problematische Erziehungs-und Ausbildungsinvestitionen

Ausgehend von der im allgemeinen als gesichert anzusehenden Erkenntnis, daß Erziehung und Ausbildung im Rahmen jener wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eine wichtige Rolle spielen, ist bei Gebern und Nehmern trotz vieler negativer Erfahrungen noch oft die irrige Annahme anzutreffen, daß Erziehung und Ausbildung schon als solche in jedem Fall und in jedem Ausmaß nützlich seien. In Wirklichkeit bedarf es für eine auf die Entwicklung, also auf die Arbeitsplatz-beschaffung ausgerichtete Strategie, auch eines wohldurchdachten Konzepts für die Erziehung und Ausbildung Isolierte Maßnahmen können sich als Verschwendung von Ressourcen erweisen. So wird z. B. bei der technischen Hilfe oft gesündigt, wenn dabei in den geförderten beruflichen Ausbildüngsprogrammen ein ungebührlich großer Akzent auf die Entwicklung beruflicher Fähigkeiten gelegt wird, die mit dem Schlagwort „White Collar Job“ gekennzeichnet werden oder die eine hochmoderne Technologie zur Voraussetzung oder zum Ziele haben, statt eine Ausbildung zu vermitteln, die dem Bedarf einer „Intermediate Technology“ Rechnung trägt.

Im Zwischenbericht über den „Asian Man-power Plan" heißt es: „Der Unterricht, der in technischen Schulen und Berufsschulen gegeben wird, ist viel zu oft übertheoretisch und entspricht nicht den tatsächlichen Bedürfnissen." Nach einer glaubwürdigen Schätzung wird sich die Zahl der in Indien unbeschäftigten Ingenieure von gegenwärtig etwa 60 000 bis 1974 (Ende des 4. Fünf-Jahres-Plans) auf etwa 100 000 erhöhen! Daß selbst die Ausbreitung des Grundschulwesens ohne Abstimmung mit der sonstigen Entwicklung eines Landes nicht immer problemlos ist, zeigte sich bei einem Experiment in Süd-Nigerien Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre, als man in diesem von über 20 Millionen Menschen bevölkerten Gebiet den Versuch unternahm, universell und kostenfrei eine Grundschulausbildung zu bieten. Ein neutraler Fachmann faßte sein Urteil über dieses Experiment dahin gehend zusammen, daß es alles in allem eine „desintegrative Wirkung auf das Land in seiner Gesamtheit" gehabt habe In streng wissenschaftlicher Terminologie: „Solange die Expansion des Erziehungswesens die Expansion der Arbeitsplätze übersteigt, tendieren die Interaktionen zwischen Erziehungssystem und politischem System zur Labilisierung des letzteren."

Die Bedeutung der Handelspolitik

Die Verantwortung der Geber ...

Bilaterale und multilaterale Geber von Entwicklungshilfe handeln falsch, wenn sie ohne ausreichende Prüfung der volkswirtschaftlichen Zweckmäßigkeit Hilfe für ausgesprodien kapitalintensive Projekte gewähren, wo im Einzelfalle eine arbeitsintensive Technik gesamtwirtschaftlich vorzuziehen wäre. Jede Entwicklungshilfeleistung — gleichgültig ob in der Form der Kapital-oder technischen Hilfe — sollte künftig in erster Linie davon abhängig gemacht werden, ob sie einen wirksamen Beitrag zur Lösung des Arbeitsbeschaffungsproblems darstellt. Die durch eine geschickte Lobby vertretenen Exportinteressen bestimmter Industriezweige der Geberländer oder die persönlichen Wünsche einer kleinen Führungsschicht der Empfängerländer sind keine ausreichenden Kriterien für eine solche — häufig die Form der Exportförderung annehmende — Entwicklungshilfe, da sie möglicherweise echten Interessen des Empfängerlandes zuwider-läuft

Viele reiche Länder leisten Lippenbekenntnisse, indem sie verkünden, den armen Ländern sogenannte Handelshilfe gewähren zu wollen, um sie in die Lage zu versetzen, Arbeiter zu beschäftigen und sich durch Exporte selbst die dringend benötigten Devisen zu verdienen: Handel ist besser als Hilfe. Leider aber stehen solche guten Erklärungen vielfach in schroffem Gegensatz zu dem bisherigen handelspolitischen Verhalten der gleichen reichen Länder, wenn es darum geht, für die Erzeugnisse der Entwicklungsländer durch Abbau von Zöllen oder anderer Einfuhrabgaben, durch Abschaffung mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und durch Gewährung von Präferenzen tatsächlich die eigenen Märkte zu öffnen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Lieferländern beizutragen.

Solange die entwickelten Länder nicht bereit sind, ihrerseits ganz oder teilweise auf bestimmte Produktionszweige zu verzichten (besonders krasse Beispiele aus dem landwirtschaftlichen Gebiet: Zucker und pflanzliche Ole!) und den Entwicklungsländern den vollen Zutritt zu den eigenen Märkten zu gewähren, haben Schlagworte wie „Handelshilfe" einen hypokritischen Beigeschmack

Ein unhaltbares, aber nicht auszurottendes Argument mancher Protektionisten geht dahin, daß man den „Vorsprung“, den die Entwicklungsländer durch ihre niedrigen Löhne („KuliLöhne“) haben, „natürlich" durch Zölle oder andere Abgaben und Einfuhrbeschränkungen „kompensieren“ müsse, um eine „gleiche Wettbewerbslage" herzustellen. Wer so argumentiert, macht den Entwicklungsländern einen ihrer wenigen Vorteile streitig.

Andre Philip, früherer französischer Finanzminister, eine Autorität auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe und Sozialist, wurde nicht müde, sich in bestechenden Plädoyers für eine grundlegende Änderung der Verhaltensweise der Geberländer einzusetzen. Es war für ihn selbstverständlich, daß die reichen Länder nicht genug tun, wenn sie ihre Zollsätze etwas senken, die Einfuhrkontingente (oder wie immer mengenmäßige Beschränkungen von findigen Protektionisten genannt werden mögen) abbauen und Präferenzen gewähren. Noch we-nige Tage vor seinem Tode setzte er sich auf dem Zweiten Welternährungskongreß der FAO in Den Haag (Juni 1970) für eine Reihe von internationalen Abkommen über einzelne Erzeugnisse ein, in denen sich die reichen Länder verpflichten sollten, Importe aus den armen Ländern zuzulassen, um einen gewissen Prozentsatz ihres wachsenden nationalen Verbrauchs zu decken. Philip war sich dessen bewußt, daß solche Maßnahmen gewisse Strukturveränderungen in den entwickelten Ländern voraussetzen. Die Rübenzuckererzeugung wäre zum Beispiel zu Gunsten des Imports von Rohrzucker einzuschränken. Die europäische Milchwirtschaft würde so modifiziert werden müssen, daß die Einfuhr afrikanischer Fette möglich wird. Entsprechendes würde auf dem Gebiet der Textilwirtschaft und der Schuhindustrie gelten. „Das würde schwierige Probleme schaffen, die nur innerhalb eines Rahmenwerks einer langfristigen landwirtschaftlichen und industriellen Politik in einem Zeitraum von vielleicht 15 Jahren gelöst werden können. Man müßte in Etappen planen und Ausgleichszahlungen an diejenigen leisten, die nachteilig von den Änderungen betroffen werden. In anderen Worten, eine Politik der Entwicklungshilfe darf nicht auf das Rahmenwerk einer liberalen Politik beschränkt werden; wir, die Industrieländer, müssen einen Plan haben oder zum mindesten ein mittelfristiges Programm, welches sich mit all diesen Problemen befaßt."

Ohne die ausdrückliche Erwähnung so heißer Eisen wie der Protektion der Landwirtschaft oder der Textil-und Schuhindustrie betont auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erhard Eppler, immer wieder die Unvermeidbarkeit von Strukturänderungen: „Strukturen in unserer Industriegesellschaft werden sich auch in den nächsten Jahren verändern, ob wir Entwicklungshilfe leisten oder nicht . . . Und ganz sicherlich werden sich Formen der Produktion und des Handels ändern, sobald die Entwicklungsländer als gleichberechtigte Handelspartner mit uns Zusammenarbeiten. In unserem Land werden einige Wirtschaftszweige, die noch sehr arbeitsintensiv produzieren, langsam an Bedeutung verlieren, wenn unser Markt sich den Erzeugnissen der Entwicklungsländer öffnet." Eine Auseinandersetzung mit solchen Gedanken erscheint um so erforderlicher, als die einzige echt liberale Lösung — volle Öffnung der Grenzen für die Einfuhren aus den Entwicklungsländern — viel weiter gehen würde und damit ein noch viel schwerer zu erreichendes Ziel darstellt.

Immer größere Bedeutung könnte in der Zukunft die Verlagerung lohnintensiver Produktionen (zum Beispiel Konfektion, Optik, Zulieferungen für die elektronische Industrie) aus den Hochlohn-in Niedriglohnländer zukommen, einer Tendenz, die sich heute schon innerhalb Europas zunehmend bemerkbar macht. Auch mit der Verlagerung lohnintensiver Dienstleistungen sind gute Erfahrungen gemacht worden. So lassen zum Beispiel einige amerikanische Firmen ihre Datenverarbeitungsanlagen in Indien bei der Firma Tata Consultancy Services programmieren, weil die Löhne der indischen Computer-Experten bei nur etwa einem Drittel des amerikanischen Niveaus liegen

Es ist schwer vorauszusagen, inwieweit sich diese Tendenz neben der „Gastarbeiterlösung'1, das heißt der Migration, durchsetzen wird. Die Probleme der Migration — nicht nur von Arbeitskräften für den industriellen Bedarf, sondern für den breiten Zweig der Dienstleistungen aller Art (man denke nur an Fragen wie die des Haus-und Krankenpflegebedarfs) — sind noch längst nicht so gründlich durchdacht worden, wie es angesichts der Verfügbarkeit des dafür benötigten brachliegenden (und leicht anlernbaren) Menschenpotentials in den Entwicklungsländern einerseits und des immer größeren Bedarfs in den entwickelten Ländern andererseits erforderlich wäre. Ein nicht mit dem allgemeinen Migrationsproblem zu verwechselndes Thema ist der „Brain drain", die Abwanderung hoch-und höchstqualifizierter Arbeitskräfte aus den Entwicklungsländern in die reichen Länder. Für die meisten Entwicklungsländer stellt der Verlust hochqualifizierter Ärzte, Ingenieure und Angehöriger anderer freier Berufe ein ernstes Handicap für ihre gesamte Entwicklung dar, und es ist keine einfache Lösung in Sicht. Aus der zur Zeit zu verzeichnenden Rückwanderung von Spezialisten aus den USA in ihre „entwickelten" Heimatländer sollten keine voreiligen Schlüsse ge-zogen werden, vor allem soweit es sich um Spezialisten aus Entwicklungsländern handelt ... und die Verantwortung der Entwicklungsländer Die Hauptverantwortung für die Lösung der Aufgabe der Arbeitsbeschaffung liegt in erster Linie nicht bei den reichen Ländern, sondern bei den Entwicklungsländern selbst. Gerade sie müssen gründlich umdenken, wenn sie die Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen ernsthaft zum Hauptziel ihrer Entwicklungspolitik machen wollen. Das ist bisher nur ausnahmsweise der Fall. Wie neuere Untersuchungen ergeben haben, enthalten nur wenige Entwicklungspläne quantitative Beschäftigungsziele, und eine Prüfung dieser Pläne ergibt, daß die „entscheidenden Regierungsstellen sich des Ernstes der Lage nicht bewußt waren und sich auch heute noch nicht in vollem Umfange bewußt sind"

Bisher ist es nicht atypisch für die Mentalität vieler Regierungen, die an sie gerichteten Empfehlungen zur grundsätzlichen Bevorzugung von Investitionen in arbeitsintensiven Industriezweigen sozusagen als zynischen Versuch westlicher Imperialisten anzusehen, sich ihren technologischen Vorsprung zu sichern. Die von UNCTAD vertretene Entwicklungsphilosophie findet in vielen Entwicklungsländern nach wie vor Anhänger, zumal sie die Verantwortung für das Entwicklungsdilemma nur äußeren Faktoren zuschreibt, vor allem den reichen Ländern. Wie erwähnt, stehen hinter der Vorliebe für kapitalintensive Groß-projekte manchmal neben den Prestigeerwägungen und der geschickten — mit allen Mitteln arbeitenden — „salesmanship“ von Industrievertretern auch handfeste egoistische Interessen hochgestellter Bürokraten in Entwicklungsländern.

Auch die absolute Notwendigkeit, in der Planung und Investitionsförderung der zwar weniger spektakulären, aber sehr wichtigen Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes hohe Priorität zu geben, paßt nicht in das bisherige Entwicklungskonzept vieler Regierungen. Hier kommt den multilateralen Organisationen eine entscheidend wichtige Beratungsrolle zu, zumal man ihre Empfehlungen nicht einfach als „neokolonialistisch" interessierte Einmischung abtun kann. Hinsichtlich der Entwicklung der ländlichen Gebiete wird besonders die FAO eine wichtige Rolle zu spielen haben

Ungewisse Perspektiven

Das Problem der Arbeitsbeschaffung ist überaus komplex, da zu den sachlichen Problemen im engeren Sinne politische, soziologische und psychologische Aspekte hinzutreten, deren Lösung noch schwieriger erscheint. Ohne eine tiefgreifende Änderung der Verhaltensweise bei Gebern und Nehmern ist eine Lösung undenkbar. Zunächst kommt es insbesondere darauf an, den klaren Willen zu wecken, das Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen systematisch anpacken zu wollen. Der Umdenkprozeß hat begonnen, und es besteht vielleicht Anlaß zu einem gewissen Optimismus hinsichtlich des künftigen Verhaltens der Geber von bilateraler, vor allem aber der von multilateraler Entwicklungshilfe, die immer mehr die zentrale Bedeutung des Problems zu erkennen scheinen, auch wenn sie zum Teil noch zögern, nun auch die notwendigen Folgerun-gen aus der relativ neuen Erkenntnis zu ziehen. Kaum Anlaß zu Optimismus gibt die Lage in vielen Entwicklungsländern, in denen es noch heute einfach an der angemessenen Einstellung zu dem Problem und damit an dem entschlossenen Willen fehlt, der Arbeitsbeschaffung die höchste Prioritätsstufe zu geben.

Eine weitere wichtige Frage ist, ob das Problem auf freiwilliger Basis, also unter Respektierung der Interessen des Individuums, oder nur mit autoritären oder gar totalitären Methoden, kurz gesagt, unter Zwang wie in China und Kuba, lösbar ist. Wahrscheinlich ist diese Frage zumeist mit einem „Sowohl-als-auch" zu beantworten. In jedem Fall verdienen die Erfahrungen Chinas ein ernsthaftes Studium, soweit es sich um Großexperimente mit kapitalsparenden, arbeitsintensiven Produktionsweisen handelt.

Bei jeder systematischen Politik der Arbeitsbeschaffung darf jedoch nicht übersehen werden, daß ihre Problematik — ebenso wie die gesamte Entwicklungsproblematik — nicht ausschließlich aus ökonomischen Sachverhalten besteht. Viele Menschen in den Entwicklungsländern haben heute noch gänzlich andere Wertvorstellungen über den Sinn der Arbeit als ihre Mitmenschen in den Industriestaaten, und es ist für sie auch heute noch nicht selbstverständlich, sich in einen mehr oder minder geordneten Arbeitsprozeß einzufügen. Man kann eine solche Attitüde nicht einfach als „unterentwickeltes" Individualverhalten abtun. Ursächlich für ein solches Verhalten sind u. a. die im Vergleich zu den meisten Industrieländern andersartigen klimatischen, gesellschaftlichen, religiösen und familiären Verhältnisse und eine Lebensphilosophie, in deren Wertskala das Nichtstun anders eingestuft ist als in den Industriestaaten. Verzicht auf Freizeit ist für sie nur interessant, wenn ihnen zusätzliche Arbeit Vorteile bringt, die sie höher schätzen als Freizeit. Es besteht keine Veranlassung, solche Menschen gegen ihren Willen in Programme der Arbeitsbeschaffung einzubeziehen.

Arbeitsbeschaffung und Familienplanung Auch die größten Erfolge auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffung können in den meisten Ländern ohne erfolgreiche Familienplanung nicht die erwünschten Ergebnisse erzielen.

Freilich sollte man bei den Bemühungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorsorglich unterstellen, daß die Familienplanung zunächst keine großen Erfolge bringen kann, und es ist ebenso ein Gebot der Vorsicht, sich bei allen Maßnahmen der Familienplanung nicht etwa darauf zu verlassen, daß es möglich sein werde, das Arbeitsbeschaffungsproblem rechtzeitig zu lösen.

Auf dem Zweiten Welternährungskongreß der FAO in Den Haag im Juli 1970 forderte der Vize-Präsident der EWG, Mansholt, im Hinblick auf die Priorität der Probleme der Arbeitsbeschaffung und der Familienplanung die Einrichtung einer übernationalen Behörde, einer weltweiten „Organisation für Bevölkerung und Arbeitsbeschaffung“, die die seines Erachtens zur Zeit bestehende Lücke bei den zwischenstaatlichen Organisationen füllen soll und die mit erheblichen Vollmachten auszustatten wäre. Nach Mansholts Auffassung besitzen die Vereinten Nationen nicht die zum entschlossenen Handeln erforderliche politische und wirtschaftliche Macht.

Düsterer Ausblick — gibt es Hilfsstrategien?

Da kaum erwartet werden kann, daß selbst umfassende und schnell eingeleitete Maßnahmen der Familienplanung und der Arbeitsbeschaffung vollen Erfolg haben werden, ist zu befürchten, daß in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Zahl der Arbeitslosen ganz wesentlich steigen wird. Das Problem der Ernährung, Kleidung und Unterbringung dieser Menschen wird sich mit Sicherheit stellen, und es könnte schon in zehn Jahren eine Größenordnung annehmen, bei der für viele Millionen Menschen die verbleibende Alternative nur elendes Dahinsiechen und frühzeitiger Tod wäre.

Da diese Alternative nicht kaltblütig hingenommen werden kann, so fragt es sich, wie eine Hilfsstrategie aussehen müßte. Massive Wohltätigkeitsaktionen, die man vielleicht mit dem Bestehen eines Dauerkatastrophenzustandes begründen könnte, würden dem Prinzip zuwiderlaufen, daß konstruktive Entwicklungshilfe im Grunde nur Hilfe zur Selbsthilfe sein darf. Dem vor allem durch Armut — nicht aber durch ein unzureichendes Agrarpotential! — drohenden Hunger wäre vielleicht teilweise durch Nahrungsmittelhilfe in heute un-bekanntem Ausmaß und Formen zu begegnen, und die Hergabe von Nahrungsmitteln müßte in geeigneten Fällen auch von der Leistung von Arbeiten für die Gemeinschaft, zum Beispiel zur Verbesserung der Infrastrukturen, abhängig gemacht werden.

Sind Maos blaue Ameisenkolonnen oder staatliche Arbeiterheere für den Masseneinsatz zum Bau von Stauseen, Straßen, Bewässerungssystemen, der Kultivierung von Sümpfen oder Buschland wirklich die einizig mögliche Antwort zur Eindämmung der Arbeitslosenflut der nächsten Jahrzehnte, wie es zum Beispiel Claus Jacobi vorschlägt? Jacobi glaubt, daß vielleicht nur auf diese Weise Millionen Männer und ihre Familien der Verzweiflung entrissen und (auch durch Verwendung von Proteinpulver!) gesund ernährt werden können.

Man braucht nicht westlicher Idealist zu sein, um bei solchen Lösungsvorstellungen Alpträume zu bekommen. Wer im Westen, Osten, Norden oder Süden daran glaubt, daß der Mensch sich nicht in einer Ameisenkolonne am wohlsten fühlt, sollte nicht müde werden, mit den Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern, Entwicklungspolitikern und Futurologen über Konzepte und Methoden nachzudenken, die eine Alternative zu totalitären Lösungsversuchen und deren Negierung jeder persönlichen Freiheit des Individuums bieten. Sollte es eine solche Alternative nicht geben, so wäre immer noch einer „autoritären" Lösung der Vorzug vor der primitiven totalitären „Lösung" mit ihrer massiven Unterdrückung des Individuums zu geben.

Es bestehen bisher keine ausreichend klaren Vorstellungen, geschweige denn Pläne, wie der zu erwartenden düsteren Situation begegnet werden könnte. Es scheint an der Zeit, heute bereits an die Möglichkeit einer Abhilfe zu denken. Das Durchdenken dieser Aspekte würde nicht unwesentlich dazu beitragen, auch die Bedeutung der Probleme der Arbeitsbeschaffung und der Familienplanung in ihrem vollen — vielleicht tödlichen — Ernst ganz klar zu begreifen, und es könnte den Vorsatz stärken, alles zu unternehmen, um die Zahl der heutigen und künftigen Arbeitslosen so klein wie möglich zu halten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Die Schwierigkeit liegt nicht in den neuen Ideen, sondern darin, den alten zu entrinnen ..."

  2. International Development Strategy for the Secend United Nations Development Decade" (UN-Dokument 2626 [XXV], November 1970).

  3. Besonders drastisch sind die diesbezüglichen Formulierungen von Prof. Lauchlin Currie (in: Obstacles to Development, Michigan State University Press, 1967, S. 26)': „Bei den sogenannten nationalen Plänen stoßen wir wiederum auf einen Mischmasch von Zielen und Strategien. Das Hauptziel ist eine Steigerung des sogenannten Pro-Kopf-Bruttovolkseinkommens — eine Aufreihung von so großen Ungenauigkeiten, daß sie praktisch wertlos ist

  4. UN-Dokument E 4776

  5. „International Development Strategy for the Sec-ond United Nations Development Decade“ (UN-Dokument 2626, November 1970).

  6. Seite 58 der englischen Fassung.

  7. Siehe O. Matzke, Das Welthungerproblem als Frage der allgemeinen Entwicklung, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe, Nr. 135, 137 und 138 vom 22., 23. und 24. März 1970. Dort wird die zum Hunger führende „Kausalkette" wie folgt umschrieoen: Arbeitslosigkeit — Armut — fehlende kaufkräftige Nachfrage — geringe Produktion von Nahrungsmitteln — Unterernährung.

  8. Der gegenwärtige Stand ergibt sich aus dem Bericht „Review of Progress in the Implementation of the Ottawa Plan for Human Resources Development", der im April 1970 der 9. Konferenz der amerikanischen Mitglieder der ILO in Caracas vorlag (Nineth Conference of the American States Members of the International Labour Organization).

  9. Plan für Arbeitsbeschaffung in Asien. Der gegenwärtige Stand ergibt sich aus dem ILO-Dokument AAC/XIV/3: International Labour Organization, Asien Advisory Committee, 14th Session, Bandung, September 1970, „Progress of the Asian Manpower Plan“.

  10. „The World Employment Programme, Report of the Direktor General to the International Labour Conference", ILO, Genf 1969.

  11. „Towards Full Employment", ILO, Genf 1970. Vgl. dazu O. Matzke, Ein ILO-Beridit über das Problem der Arbeitslosigkeit in Kolumbien, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe, Nr. 1 vom 1. Januar 1971.

  12. „Plan for employment and national development will take care of itself" (Siehe „Towards a World Employment Programme“, ILO, Genf 1970, Seite 21).

  13. Kolumbien-Bericht, Paragraph 162.

  14. Kolumbien-Bericht, Paragraph 163.

  15. Die ILO-Mission gewann aus Unterredungen mit dem Staatspräsidenten von Kolumbien und bei anderen Informationsgesprächen die Überzeugung, daß allgemeine Übereinstimmung darüber herrscht, daß die Verminderung der Arbeitslosigkeit einen gewissen" Preis wert sei: „Wenn man die Frage so stellt, zeigt sich, daß mit starkem politischen Widerstand — und zwar nicht nur von Seiten der Beichen — bezüglich einiger Aspekte einer Beschäftigungsstrategie zu rechnen ist, es sei denn, die so-talen, wirtschaftlichen und politischen Gefahren wachsender Arbeitslosigkeit werden allgemein verstanden." (Kolumbien-Bericht, Paragraph 166).

  16. David A. Morse, Jobs — The New Challenge, in: War on Hunger — A Report from the Agency for International Development, Washington 1970, Seite 1 ff. Siehe auch das von Morse auf der Cambridge Conference on Development im September 1970 gehaltene Hauptreferat „Dimensions of the Employment Problem in Developing Countries“, Cambridge University 1970.

  17. Siehe Fußnote 2.

  18. cheaper in real terms and more 18) „Clearly . .“

  19. Bemerkenswert ist das Urteil des Kolumbien-Berichts über die Verwendung kapitalintensiver Methoden in Kolumbien (Paragraph 489): „Ein großer Teil der Verlagerung auf kapitalintensivere Methoden lief den nationalen Interessen zuwider, und ein Teil davon war Verschwendung... Eine verantwortungsbewußte Politik der Förderung arbeitsintensiver Methoden würde nicht nur die volkswirtschaftlichen Kosten der Erzeugnisse senken, sondern auch volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen verhindern."

  20. Vgl. Paragraph 629.

  21. „Towards a New Trade Policy for Development", Vereinte Nationen, New York, 1964.

  22. Vgl. zu diesem Grundproblem der Entwicklungshilfe Hla Myint, Dualism and the Internal Integration of Under-Developed Countries, in: Quarterly Review, Banca Nazionale del Lavoro, Rom, Juni 1970.

  23. Vgl. Lauchlin Currie, a. a. O., S. 80— 82. S. auch Paragraph 492 des Kolumbien-Berichts: „Viele technische Veränderungen hatten als Nebenprodukt negative Auswirkungen auf die Zunahme der Beschäftigung. Die große Anziehungskraft der neuen Erzeugnisse hat die Menschen oft blind bezüglich dessen gemacht, was die Technologie hinsichtlich der Nachfrage für Arbeitskräfte und der Verteilung der Einkommen angerichtet hat."

  24. Siehe Fußnote 9.

  25. „Dualism Revisited: A New Approach to the Problems of the Dual Society in Developing Countries." Brighton, Institute of Development Studies, Universität Sussex, 1969. Siehe auch K. Marsden, Progressive Technologies for Developing Countries, Technical Advisory Meeting on Economic Research for the World Employment Programme, ILO, Genf, November 1969, Dokument MER/WEP. 1969. 5. Vgl. auch den Pearson-Report („Partners in Development", S. 66 englische Fassung): „Die armen Länder sind mehr und mehr von einer Technologie abhängig geworden, die in anderen Ländern erdacht und entwickelt wurde und die ihren speziellen Bedürfnissen keine Rechnung trägt. Sie müssen erheblich größere Teile ihrer Ressourcen für die Forschung und Entwicklung verwenden ..

  26. Vgl. O. Matzke, Hunger und Uberschuß — überschußproblem und Welternährung — Die Rolle der Nahrungsmittelhilfe, Deutsche Welthungerhilfe, Bonn 1969.

  27. „Proposals for Medium-Tenn Activities and Programmes", Dokument Nr. CL 55/9 vom 17. Juli 1970, S. 6. Die von der FAO herausgegebene Zeitschrift CERES hat dem Problem der Arbeitslosigkeit die Ausgabe November/Dezember 1970 (Vol. 3, No. 6) gewidmet. Keiner der darin veröffentlichten Beiträge nimmt auf die Arbeiten der ILO, insbesondere auf das Weltbeschäftigungsprogramm Bezug — ein typischer Fall des Nebeneinander-Herredens.

  28. Claus Jacobi, Die menschliche Springflut, Berlin 1969, S. 132.

  29. Siehe Carl Eicher, Thomas Zalla und andere, Employment Generation in African Agriculture, Michigan State University, Michigan, Juli 1970, S. 11. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (17 12. 1970) berichtete über eine Polizeiaktion in Daressalam, auf Grund derer Arbeitslose aufs Land zurückgeschickt wurden. Vgl. ferner Walter Elkan, Urban Unemployment in East Africa, International Affairs, Juli 1970, S. 517 ff.: „Wenn (in den Städten) die Zahl der Arbeitsplätze steigt, so wird das nicht die städtische Arbeitslosigkeit vermindern, da der Strom der Zuwan rer in die Städte steigen wird, sobald es bekannt wird, daß sich die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Städten verbessert haben. Mit anderen Worten der . Pool'der städtischen Arbeitslosen füllt sich wieder auf“ (a. a. 0., S. 527).

  30. Englischer Text: Dokument Nr. JP 69/2/7 (Agenda Part I — item 3-II-A).

  31. „The World Employment Programme" (siehe Fußnote 10), S. 19. Die Kategorien „labour force" sowie „offene" und „versteckte" Arbeitslosigkeit sind alles andere als klar. Alle hier und anschließend gegebenen Werte können nur als mehr oder minder zutreffende Annäherungsversuche an die fraglichen Größenordnungen angesehen werden. Vgl. zu diesem Thema David Turnham, The Employment Problem in Less Developed Countries — A Review of Evidence, OECD Development Centre, Paris, Juni 1970, S. 171.

  32. „The World Employment Programme" (siehe Fußnote 10), S 28.

  33. Zitiert aus: Towards a World Employment Programme, ILO, Genf 1970, S. 32.

  34. Siehe die in Fußnote 7 erwähnte „Kausalkette".

  35. Auf das UNCTAD-Entwicklungskonzept, das die Erklärung für das unzureichende Wachstum in den Entwicklungsländern in erster Linie äußeren Faktoren zuschreiben möchte, wurde bereits verwiesen (siehe Fußnoten 21 und 22).

  36. Wegen Einzelheiten vgl.den in Fußnote 11 zitierten Kolumbien-Bericht, S. 214 ff., der in klarer und nicht nur für Kolumbien geltender Form die Kernpunkte herausarbeitet.

  37. Siehe Fußnote 9.

  38. David B. Abernathy, „The Political Dilemma of Populär Education: An African Case", Stanford University Press, 1969, S. 277, zitiert nach Eicher usw., S. 13 (siehe Fußnote 29). Eichers eigenes Urteil: „Die Erziehungsplaner sahen Anfang der sechziger Jahre nicht voraus, daß Mittel, die man für Erziehungszwecke ausgab, dann verschwendetes Geld darstellen, wenn die komplementären Hilfsmittel nicht verfügbar sind, um die Schulentlassenen zu beschäftigen."

  39. Hanf in: Rene König (Herausgeber), Aspekte der Entwicklungssoziologie, Sonderheft 13 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln und Opladen 1970.

  40. »Es besteht kaum ein Zweifel, daß in der Vergangenheit die Entwicklungshilfe wenig — oder sogar eine negative — Auswirkung auf das Be-schäftigungsproblem gehabt hat. Ein wesentlicher Teil der Hilfe war auf eine beschränkte Anzahl großer Projekte konzentriert und hatte — angesichts der Bindung der Hilfe — die Tendenz, die Einfuhr moderner arbeitssparender Anlagen zu fördern, statt die Bezahlung von Löhnen für eine größere Zahl lokaler Arbeiter. Eine Neudefinie-rung der Hilfsstrategie, wie sie sowohl von der Weltbankgruppe wie von der OECD vorgeschlagen wird, könnte als ein entscheidend positiver Beitrag zur Erreichung der Ziele des Weltbeschäftigungs-programms und des Asian Manpower Plan betrachtet werden.“ (Vgl.den in Fußnote 9 zitierten Zwis. 39bericht über den »Asian Manpower Plan",

  41. Vgl. dazu die Studie von K. G. Abercrombie, Trade should make more than money; it should also make jobs, CERES, FAO Review, Juli/August 1970, S. 40: „In ihrer Forderung nach Handelsliberalisierung haben sich die Entwicklungsländer bisher hauptsächlich auf ihren Bedarf an ausländischen Devisen berufen. Sie könnten ihre Position jedoch noch dadurch stärken, indem sie mehr als bisher die Gefahr ihres Beschäftigungsproblemes herausstellen. Die Argumentation, daß Handelsbeschränkungen sowohl soziale als auch wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen, könnte Sympathie erwecken In fast allen Nationen scheint man heute eine Wohlfahrtspolitik zur Unterstützung der eigenen Unterpriveligierten für den richtigen Weg zu halten. Im internationalen Handel fehlt es jedoch noch dringend an einer ähnlich aufgeklärten Einstellung.“

  42. Andre Philip, Medium-Term-Planning at Least, in: CERES (FAO Review), Mai/Juni 1970, S. 19.

  43. E. Eppler in einem Interview über Fragen der Entwicklungshilfe: „Zwei Drittel der Welt hoffen auf die Reichen", in: Westfälische Rundschau vom 26. November 1970.

  44. Vgl. „Arbeitsteilung zwischen Industrie-und Entwicklungsländern“, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe, Nr. 307 vom 8. 11. 1970.

  45. Wie der Kolumbien-Bericht feststellt, entfielen auf die zwischen 1956— 1968 allein aus diesem Land ausgewanderten 80 000 Personen mehr als ein Viertel auf hochqualifizierte, im Lande selbst dringend benötigte Fachleute. Der Bericht zitiert den Appell des kolumbianischen Staatspräsidenten aus dem Jahre 1967: „Es ist die Pflicht jedes kolumbianischen Staatsbürgers, seine Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst seines Landes zu stellen, selbst wenn es nur für die Ehre, ein Kolumbianer ™ sein, geschieht und um dem Lande einen Dienst zu erweisen." Auch der Kolumbien-Bericht hat für das Problem keine Patentlösung bereit.

  46. Vgl. Turnham, a. a. O., wo eine Arbeit von S Hsieh zitiert wird („Les Taux d’Augmentation de lEmploi dans les Plans de Developpement“, Revue Internationale du Travail, Januar 1968, in

  47. Siehe Fußnote 21.

  48. Vgl. das in Fußnote 27 zitierte FAO-Dokument.

  49. Während die heute bilateral und multilateral gewährte Nahrungsmittelhife (Jahresdurchschnittswert im vergangenen Jahrzehnt über 1 Mrd. Dollar) hauptsächlich auf mehr oder minder ungewollten Produktionsüberschüssen in westlichen Ländern beruht, ist in den achtziger Jahren nicht unbedingt mit solchen Überschüssen zu rechnen. Aber trotz der dann völlig veränderten Kostenlage für die Geberländer wird die Nahrungsmittelhilfe weiterhin erhebliche Bedeutung haben. Die Steuerung einer etwa notwendig werdenden Zusatz-produktion für den nichtkommerziellen Bedarf müßte wohl zweckmäßigerweise irgendwie „internationalisiert“, das heißt, multilateralisiert werden, damit sie a) in den Ländern und Zonen mit den geringsten Produktionskosten durchgeführt werden könnte (was auch einigen Entwicklungsländern zugute kommen würde), und b) Nahrungsmittel möglichst nicht über den voraussichtlichen Bedarf erzeugt würden. Wahrscheinlich kann Nahrungsmittelhilfe sodann teilweise auch in der Form einer Art von „Ziehungsrechten" erfolgen, etwa indem den bedürftigen Ländern bilateral (besser multilateral) die Mittel zur Verfügung gestellt werden, um bestimmte Arten und Mengen von Nahrungsmitteln zu den bestmöglichen Bedingungen zusätzlich zu ihren normalen kommerziellen Importen anzukaufen. Eines der in diesem Zusammenhang besonders zu beachtenden Probleme ist das der Marktverdrängung Durch die nichtkommerziellen Transaktionen dürfen weder die internationalen Märkte noch der interne Markt des die Nahrungshilfe empfangenden Landes gestört werden, insbesondere darf die Nahrungsmittelhilfe nicht die Landwirtschaft des Empfängerlandes beeinträchtigen, wie es leicht der Fall sein kann, wenn die für Hilfszwecke eingeführten Lebensmittel einfach auf den freien Märkten verkauft werden. Vgl. dazu auch die in Fußnote 26 zitierte Schrift „Hunger und Überschuß". Eine ausgezeichnete Untersuchung der Möglichkeiten zur Mobilisierung von Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten zum Zwecke her Landurbarmachung und Besiedlung in Taiwan durch Nahrungsmittelhilfe bringt Andres D. Goseco, Manpower Mobilization for Economic Development: A Case Study of its Application to Land Reclamation and Settlement in China (Taiwan), in: Monthly Bulletin of Agricultural Economics and Statistics, FAO, März 1968.

  50. Jacobi, a. a. O., S. 130.

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Otto Matzke, Dr. jur., Dipl. -Volkswirt, geboren 1911 in Luckau (Lausitz); Direktor der Project Management Division, UN/FAO World Food Programme, Rom. Veröffentlichungen u. a.: Hunger und Überschuß — Überschußproblem und Welternährung (Die Rolle der Nahrungsmittel-hilfe), Deutsche Welthungerhilfe, Bonn, 1969; zahlreiche Zeitungs-und Zeitschriftenaufsätze, vor allem in der Neuen Zürcher Zeitung, über allgemeine entwicklungspolitische Themen, Welternährung, Nahrungsmittelhilfe, Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern.