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Der Totalitarismus-Begriff Grundzüge seiner Entstehung, Wandlung und Kritik | APuZ 44/1970 | bpb.de

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APuZ 44/1970 Der Totalitarismus-Begriff Grundzüge seiner Entstehung, Wandlung und Kritik

Der Totalitarismus-Begriff Grundzüge seiner Entstehung, Wandlung und Kritik

Walter Schlangen

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I. Einleitung

I. II. III. IV. V. VI. Einleitung Erste Ansätze . Totalitarismus'zu einem Begriff des Die Entwicklung der allgemeinen Totalitarismus-Theorie Wandlungen des Totalitarismus-Begriffs Kritische Aspekte des Probleme der Typologie Herrschafts-und Gesellschaftssysteme politischer 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4. INHALT Der Vergleich Bolschewismus Der Faschismus Elemente totalitärer Herrschaft Zusammenfassung H. Arendts Herrschaft C. J. Friedrichs Theorie der totalitären Diktatur Zusammenfassung Neuans싀ٝ?

Der Totalitarismus-Begriff ist in der Gegenwart ein vielbenutzter Terminus. Er fehlt heute in keinem politisch-historischen Nachschlagewerk und Lehrbuch und er scheint zur begrifflichen Grundausstattung jedes Politikers und Journalisten zu gehören. „Totalitär" sind danach die Herrschaftsund Gesellschaftssysteme der kommunistischen Staaten, „totalitär" sind das nationalsozialistische Regime in Deutschland und der italienische Faschismus gewesen. So ist der Begriff des „Totalitarismus" im westlichen Sprachgebrauch eine handliche Formel geworden, mit der man vermeintlich bündig und prägnant jene Staaten zu bezeichnen vermag, die aufgrund ihrer faschistischen oder kommunistischen Ausprägung der parlamentarischen Demokratie gegenüberstehen.

Schon seit Beginn seiner Verwendung etwa Ende der zwanziger Jahre ist der Totalitarismus-Begriff der Doppeldeutigkeit unterworfen, die hier erkennbar wird. Auf der einen Seite soll er als ein wissenschaftlicher Begriff dazu dienen, bestimmte historisch-politische Erscheinungen möglichst präzise und eindeutig zu beschreiben und zu charakterisieren, auf der anderen Seite aber gewinnt er — gerade infolge dieser Verkürzung — eine nicht unwesentliche ideologische Bedeutung in der politischen Auseinandersetzung selbst. Zwar teilt er dieses Schicksal, im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik zu stehen, mit einer großen Zahl von Begriffen, deren sich etwa die Geschichtswissenschaft, die politische Wissenschaft und die Soziologie bedienen. Hier scheint jedoch dieses Phänomen ein besonderes Gewicht zu haben, weil die wissenschaftlichen und politischen Komponenten schon in der Begriffsbildung eng zusammenwirken und auch in der weiteren Begriffsentwicklung nicht ganz zu trennen sind.

Die historische Situation, in der sich dieser Begriff des Totalitarismus herauszubilden begann, war nämlich schon durch besondere po-litische Frontstellungen gekennzeichnet. Die Ausgangslage der Begriffsbildung wurde bestimmt durch die Konfrontation des faschistischen Systems in Italien, das sich Ende der zwanziger Jahre konsolidierte, mit den parlamentarischen Regierungsformen in Europa, die weiterhin schwer von den gesellschaftlichen Nachwirkungen des Weltkriegs erschüttert wurden. In der politisch verworrenen Nachkriegssituation mußte die Auseinandersetzung mit dieser kämpferischen Bewegung notwendig fundamentalen Charakter annehmen; denn die Erfolge des italienischen Faschismus strahlten auf die faschistischen Bewegungen in den anderen Ländern aus, zugleich stärkte die weitere Verfestigung des Bolschewismus in Rußland die nationalen kommunistischen Bewegungen in den europäischen Staaten. Dadurch sahen sich deren Regierungen von zwei Seiten dem Angriff auf das System der liberalen parlamentarischen Demokratie ausgesetzt.

Dies macht es verständlich, daß politische Abwehr und wissenschaftliche Analyse dieser Bewegungen nicht sorgsam voneinander gesondert bleiben, sich vielmehr in diesem Zeitabschnitt miteinander und in wechselseitigem Bezug entwickeln. Die ersten Versuche, in einer umfassenden Betrachtung der politischen Phänomene zu einem wissenschaftlich begründeten Begriff des Totalitarismus zu kommen, sind denn auch sehr stark mitbestimmt von den ideologischen Motiven der politischen Auseinandersetzung. Das ändert sich allerdings auch kaum in den späteren, groß angelegten Versuchen zu einer Theorie des Totalitarismus, die nach der politischen Niederwerfung des Faschismus einsetzen. Es verlagert sich nur der ideologische Akzent.

In der ersten Phase der Bildung des Totalitarismus-Begriffs war dieser Akzent vornehmlich auf den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus gerichtet. Das entsprach den politischen Erfordernissen, wenn es auch schon, interessante wissenschaftliche Bemühungen zu einer Verallgemeinerung gab. Nach 1945 traten mit der veränderten politischen Konstellation neue politische Erfordernisse in den Vordergrund. Die ideologische Auseinandersetzung richtete sich gegen den Kommunismus, und der Totalitarismus-Begriff wurde vornehmlich als Instrument der Konfrontation mit dem Osten dienstbar gemacht. Diese Funktion aus der Zeit des Kalten Krieges hat er noch bis in die gegenwärtige Tagespolitik behalten; teilweise gilt die Anwendung dieses Begriffs auf Staaten des kommunistischen Lagers noch heute als ein Akt politischer Ethik, der von echter politischer Argumentation im Verhältnis zu diesen Ländern entbindet.

Diese wenigen Überlegungen haben schon deutlich gemacht, daß der Totalitarismus-Begriff und seine Verwendung eine ganze Reihe von Fragen aufwerfen. Es lohnt sich deshalb, der Entstehung, den späteren Wandlungen und der Kritik dieses wissenschaftlichen wie politischen Begriffs genauer nachzugehen. Die folgende Darstellung, die diesen Versuch unternimmt, will zunächst in großen Zügen die Entwicklung des Totalitarismus-Begriffs nachzeichnen, wie sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion darbietet, um danach die wichtigsten Gesichtspunkte der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Begriff vorzutragen.

Bei der Darstellung der Entwicklung des Totalitarismus-Begriffs ist es unumgänglich, ihren Gang zu überschaubaren Richtungen zusammenzufassen. Aus den zahlreichen in der Literatur vorhandenen Ansätzen muß daher eine straffe Auswahl getroffen werden, die vornehmlich die in Deutschland bekanntgewordene Literatur berücksichtigt. Sie läßt sich hier in drei Abschnitte gliedern. Der erste Abschnitt verfolgt die frühen Ansätze eines Totalitarismus-Begriffs bis zu dem Zeitpunkt, da sich in den vierziger Jahren allgemeine Elemente totalitärer Herrschaft aus der Erörterung herausbilden. Darauf folgt die Entwicklung der allgemeinen Totalitarismus-Theorie in den großen Arbeiten von Hannah Arendt und C. J. Friedrich aus den fünfziger Jahren. Im dritten Abschnitt wird dann versucht, aus der Diskussion vor allem in den sechziger Jahren die Wandlungen und Neuansätze des Totalitarismus-Begriffs aufzuzeigen. Schließlich soll der vierte Abschnitt systematisch die Hauptprobleme dieser Begriffsbildung und ihrer Anwendbarkeit auf politische Phänomene behandeln, um in der Folge ein zusammenfassendes Urteil über den Totalitarismus-Begriff zu ermöglichen.

II. Erste Ansätze zu einem Begriff des „Totalitarismus"

Dieser Abschnitt behandelt den Zeitraum der Diskussion um die Herausbildung des Totalitarismus-Begriffs von etwa Mitte der zwanziger Jahre bis zum Zusammenbruch des Faschismus und Nationalsozialismus 1945. Es wird ein weiter Bogen gezogen von frühen Ansätzen einer vergleichenden Betrachtungsweise des Faschismus und Bolschewismus bis zu einer Analyse, die systematische Elemente der totalitären Herrschaft vorstellt. Francesco Nitti und Erwin von Beckerath stützen schon Mitte der zwanziger Jahre ihre Interpretation des italienischen Faschismus auf einen Vergleich dieser Bewegung mit dem sowjetrussi-sehen Bolschewismus, wie das erste Kapitel zeigen wird. Das Schwergewicht der Arbeiten, die im zweiten Kapitel dargestellt werden, liegt auf der Analyse der totalitären Struktur des Faschismus, wobei Filippo Turatis und Hermann Hellers Ende der zwanziger Jahre entstandene Veröffentlichungen das italienische Regime untersuchen, während Franz L. Neumanns erstmals 1942 erschienene Analyse den deutschen Nationalsozialismus behandelt. Ein drittes Kapitel erörtert dann die Arbeit Sigmund Neumanns über die totalitäre Herrschaft, in die der italienische Faschismus, der Nationalsozialismus wie der sowjetrussische Bolschewismus einbezogen sind, und schließt diese Darstellung der ersten Ansätze zu einem Totalitarismus-Begriff ab. 1. Frühe Vergleiche von Faschismus und Bolschewismus In München veröffentlichte 1926 Francesco Nitti, der zwischen 1911 und 1920 mehrfach italienischer Minister, zuletzt Präsident des Ministerrates war und seit 1924, dem Jahr des Mateotti-Zwischenfalls, in der Emigration lebte, eine Schrift mit dem Titel „Bolschewismus, Fascismus und Demokratie". Darin untersucht er die parteipolitische Zukunft des Liberalismus in Italien und hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit und Demokratie, die in seinem Land durch Mussolinis faschistische Bewegung hinweggefegt sind. Bei der Erörterung der Gründe für diese Entwicklung und bei der Erörterung ihrer voraussichtlichen Tendenzen gelingen ihm jedoch Aussagen, die deutlich über die aktuelle politische Stellungnahme zu den Problemen des Faschismus und Bolschewismus hinausgehen und wichtige Ansätze zu theoretischen Verallgemeinerungen enthalten.

Nitti beschreibt die Krise der liberalen Demokratie in Europa, die sichtbar geworden sei durch das Aufkommen der Diktaturen in Italien und Rußland sowie die reaktionären Bewegungen in allen europäischen Demokratien Dieser sichtbare Befund veranlaßt den liberalen Politiker, nach den allgemeinen Ursachen für die Reaktion gegen die liberale Demokratie zu suchen. Er findet sie in der un-stabilen politischen Situation der Nachkriegszeit Die zerrüttete soziale Stellung der Mittelschichten habe zu einer Verschärfung des Nationalismus geführt und zu dem radikalen Gelüst, „den demokratischen Monarchien einen autokratischen Charakter zu verleihen oder die republikanischen Regierungen zugunsten einer proletarischen oder militärischen Diktatur umzustürzen" Im russischen Bol-schewismus und im italienischen Faschismus sei diese Radikalisierung auf Kosten der Freiheit schon zum Durchbruch gekommen.

Uber diese gemeinsame Ausgangslage hinaus haben Faschismus und Bolschewismus nach Nittis Auffassung ferner noch gemeinsame politische Zielsetzungen und gemeinsame Arten der Herrschaftsausübung. „Das Charakteristische dieser Bewegungen liegt ... in ihrer gemeinsamen Abneigung gegen jegliche Freiheit des einzelnen und gegen die Demokratie. In beiden Fällen war es eine Minderheit, welche die durch den Krieg geschaffenen Zustände benutzte und sich mit Waffengewalt durchsetzte, . . . die Freiheit mehr oder weniger unterdrückte und nur Abneigung und Verachtung für die demokratische Organisation zur Schau trug." Wegen dieser Gemeinsamkeiten lasse sich auf eine einheitliche politische Grundstruktur schließen. „Faschismus und Bolschewismus beruhen nicht auf entgegengesetzten Grundsätzen, sie bedeuten die Verleugnung derselben Grundsätze von Freiheit und Ordnung . . . Sie sind also die Verleugnung aller Grundlagen der modernen Zivilisation, die Rückkehr zur Moral der absoluten Monarchien und der Auffassung des Krieges als die selbstverständlichste Hantierung einer Nation."

Nitti bleibt sich jedoch bewußt, daß neben diesen strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Faschismus und Bolschewismus erhebliche Unterschiede in den ideologischen Zielvorstellungen bestehen, die geradezu eine unterschiedliche politische Bewertung verlangen. So mangele es dem Faschismus an einer „Lehre" und einem „festen Programm", er sei vielmehr eine „Bewegung", die ihre Anhänger lediglich unter der Idee des Nationalismus um den Führer als Mittelpunkt sammle. „Alle Macht vereinigt sich in dem Führer des Faschismus. Er ist das Haupt der Partei, der nationalen Miliz, des Heeres." „Der Faschismus hat kein Ideal. Er bedeutet einfach die Eroberung des Staates durch eine bewaffnete Minderheit . . . Die einzige Idee ist die des Nationalstaates, welcher, gelenkt von einer bewaffneten Partei, nach der Macht strebt." Gegenüber dieser bloßen geschichtlichen Regressivität sei die bolschewistische Bewegung immerhin ein „großes geschichtliches Welt-ereignis" mit progressiven Zielsetzungen, die an die Ideale der Französischen Revolution anknüpfe, sie „enthält etwas anderes als bloße Gewalt"

Trotz dieser Einsichten in die gemeinsame Ausgangslage und die gemeinsame Frontstellung von Faschismus und Bolschewismus gegen die liberale Demokratie, wie sie sich einem Verteidiger dieser politischen Position eröffnet, bleibt Nittis Urteil eigenartig beschränkt, wenn er beide Bewegungen als isolierte nationale Phänomene ohne Aussicht auf Verbreitung auffaßt Sicherlich hängt diese Schwäche Nittis auch damit zusammen, daß er mit seiner vergleichenden Betrachtung erst im allgemeinen politischen Zeithintergrund und beim allgemeinen politischen Ziel dieser Bewegungen ansetzt und nicht auf die typische Struktur rekurriert, wie dies Erwin v. Beckerath mit seiner ein Jahr später veröffentlichten Untersuchung über „Wesen und Werden des fascistischen Staates" versucht, die er 1929 mit seinem Aufsatz „Fascismus und Bolschewismus" systematisch fortsetzt

Auch Beckerath geht von der zerrütteten innenpolitischen Nachkriegssituation Italiens aus. Die Gemeinsamkeit der zusammengewürfelten Mitgliedschaft der faschistischen Bewegung sieht er „fast ausschließlich in einem im Grunde romantischen und antibourgeoisen Lebensgefühl" Er kennzeichnet damit den eigentümlichen Anti-Modernismus des Faschismus als Anziehungspunkt der unterschiedlichsten sozialen Gruppierungen, die sich alle durch die gesellschaftliche Entwicklung bedroht sehen. Dem entspreche die Programm-losigkeit und ideologische Ungeschlossenheit des Faschismus trotz seiner großen programmatischen Erklärungen und die Betonung der Aktion. „Die eigentlich gemischte Ideologie greift in alle Berufe und Stände ein, die vitale Schwungkraft der Bewegung war eine Attraktion für alle lebendigen und ehrgeizigen Elemente des Landes."

Die Struktur dieses faschistischen Staates glaubt Beckerath durch einen Vergleich zum Bolschewismus kennzeichnen zu können, weil wesentliche Übereinstimmungen in der Konzeption des Staates und der Struktur und Po-6 litik der herrschenden Klasse festzustellen seien. Beiden Bewegungen sei die ideologische Zielsetzung gemeinsam, die gesellschaftliche Ordnung grundlegend zu verändern, es seien revolutionäre Bewegungen. Beide Gesellschaftskonzeptionen ordneten die Rechte des Individuums der Gesellschaft unter, „beiden Ideologien ist die Abneigung gegen das parlamentarische System gemeinsam" Bei der Verwirklichung dieser Vorstellungen zeigen sich weitere typische Ähnlichkeiten beider Bewegungen in ihrer gewaltsamen Machtergreifung und ihrer Mobilisierung irrationaler Kräfte. Schließlich gibt es eine Verwandtschaft in der „Organisation und Politik der herrschenden Minorität: die Partei wird kleingehalten und streng gesiebt, sie verjüngt sich aus den angegliederten Jugendverbänden und bildet das Reservoir für die leitenden Staatsämter"

Mit dieser vergleichenden Betrachtung von Faschismus und Bolschewismus will Beckerath nicht die bestehenden Unterschiede beider Systeme verwischen, die sich vor allem in der inhaltlichen Ausprägung ihrer Ideologie zeigen. Gegenüber dem gesellschafts-revolutionären Bolschewismus hält er den Faschismus nach seiner Zielsetzung vielmehr für eine historisch rückschrittliche Bewegung, die mit den organisatorischen und technischen Hilfsmitteln des modernen Lebens einen „autoritären Staat im Stil des 18. Jahrhunderts" zu verwirklichen suche Nach seiner politischen Einschätzung der wirtschaftlich-politischen Situation Europas hält Beckerath es für wahrscheinlich, daß dieses Modell des anti-individualistischen und anti-parlamentarischen Staates — nicht das bolschewistische — Terrain gewinnen wird.

Trotz solcher gewichtigen Unterschiede in der konkreten Ausprägung hält Beckerath gleichwohl die Berechtigung einer vergleichenden Beschreibung des faschistischen und bolschewistischen Systems für gerechtfertigt und geboten, weil sich daraus eben „bestimmte Gleichförmigkeiten als typische Struktur" ableiten lassen Daher faßt er später drei solcher „typischen Strukturelemente" zusammen, die beide politische Phänomene im Unterschied zu anderen aufweisen: „den sozia-len Unterbau, die Machtinstrumente und das Ideensystem" dieser Bewegung Beide sind revolutionären Ursprungs wegen der Bereitschaft ihrer Mitglieder, die anstehenden politischen Probleme außerhalb der bestehenden Staatsordnung mit Gewalt zu lösen Beide Herrschaftssysteme stimmen in ihrem Macht-gefüge überein, in der Form der Partei und ihrer Diktatur über den Staatsapparat wie über das soziale und wirtschaftliche Leben Schließlich ist formal eine Gemeinsamkeit festzustellen in der Funktion, die einer bestimmten politischen Theorie für die Entwicklung und den Bestand des Herrschaftssystems zukommt, wenn auch inhaltlich die Gegensätze in der Ideologie überwiegen

Mit diesen Analysen von Nitti und Beckerath wird also frühzeitig eine vergleichende Betrachtungsweise von Faschismus und Bolschewismus in die Erörterung eingeführt. Dabei kommt vor allem die Gegenüberstellung dieser Herrschaftssysteme zur liberalen Auffassung von politischer Gestaltung zum Ausdruck. Diese frühen Vergleiche von Faschismus und Bolschewismus stellen gegenüber der liberalen Staats-und Geselschaftsordnung allgemeine Gleichförmigkeiten im Herrschaftsgefüge dieser beiden Systeme fest, vernachlässigen dabei aber keineswegs deren faktische Unterschiede im einzelnen. 2. Der Faschismus als . totalitäres'System Die Arbeiten, die in diesem zweiten Kapitel zusammengefaßt werden können, setzen in ihrer Analyse des Faschismus schon deutlichere Akzente und versuchen, tiefer in die Struktur und den Wirkungszusammenhang dieses Flerrschaftssystems einzudringen. Das gilt für Turatis 1928 erschienenen Aufsatz „Faschismus, Sozialismus und Demokratie" ebenso wie für Hellers Untersuchung „Europa und der Fascismus" von 1929 besonders aber für die vor allem sozioökonomisch ausgerichtete Studie von Franz L. Neumann über „Struktur und Praxis des Nationalsozialismus", die er 1942 in seinem amerikanischen Exil veröffentlichte. Turati wendet sich nachdrücklich gegen die Auffassung, der Faschismus sei ein ausschließlich italienisches Phänomen und lediglich aus der besonderen Situation der Nachkriegszeit zu verstehen. Zweifellos ergäben sich daraus wichtige Elemente für die Entstehung des Faschismus, die in allen kapitalistisch-demokratisch verfaßten Staaten latent vorhanden seien, wenn zu dieser Zeit auch erst in Italien voll zur Wirksamkeit gelangt Für sehr viel wichtiger hält Turati eine Analyse der Zukunftsperspektiven des Faschismus. Er sieht in ihm eine „internationale Gefahr für die ganze Welt, eine sowohl immanente wie bevorstehende Gefahr" und betont den universellen Charakter des Faschismus.

In zwei Gedankengängen versucht Turati den universellen Charakter dieses seinerzeit noch auf Italien beschränkten politischen Phänomens zu belegen. Der erste bringt die These: „Der Faschismus ist der ständig drohende Krieg." Ein solches System sei nämlich gezwungen, „den kriegerischen Geist seiner Anhänger in dauernder und ständig wachsender Spannung zu erhalten" um seine Herrschaft im eigenen Lande zu sichern. Zugleich müsse es aber die eigene Bevölkerung von seinen innenpolitischen Praktiken und Zielen ablenken auf große nationalpolitische Ziele, auf den nationalen Vorrang, auf Expansion, auf den Angriffskrieg gegen die anderen Nationen.

Dieser faschistischen Aggressionsgefahr für die anderen Staaten entspricht Turatis Befund der inneren Struktur dieses Herrschaftssystems und seiner Herrschaftsvorstellung. Das italienische Beispiel zeige, daß der Faschismus eine völlige Umwälzung aller bekannten politischen Ordnungen sei. Keineswegs sei die faschistische Ordnungsvorstellung nur gegen den Sozialismus gewandt, sondern gegen „alle Parteien und alle Klassen" Die faschistische Herrschaft bedeute nämlich eine bislang unbekannte totale Beherrschung durch eine politische Bewegung. „Sobald er (der Faschismus) sich einmal zur Partei gemacht hat, wird er totalitär, das heißt, er hört auf, eine Partei zu sein, um ein fremdes Besatzungsheer zu werden, gegen welches jede Rebellion technisch unmöglich und unwirksam ist." Diese Herrschaftsorganisation setze den Faschismus in die Lage, „eine Trennung nicht mehr von Klassen, sondern von Rassen hervorzurufen, die Trennung einer winzig kleinen Herrenrasse und einer riesengroßen Sklaven-masse . . ."

Mit Turatis prononcierter Kennzeichnung der faschistischen Herrschaftsstruktur als totalitäre Herrschaft ist die Erörterung zweifellos einen Schritt weitergekommen nach jener Differenzierung der faschistischen und bolschewistischen Systeme von der liberal-demokratischen Herrschaftsordnung, wie sie im ersten Kapitel vorgestellt wurde. Hermann Hellers schon angeführte Untersuchung vertieft die Analyse der totalitären Organisationsstruktur des faschistischen Staates noch weiter. Zunächst wird auch hier die Krise der europäischen Politik dargestellt und der Irrweg des europäischen Staatsdenkens erörtert, der schließlich in die Ideologie der faschistischen Bewegung Mussolinis gemündet sei.

Heller sieht ebenfalls die Ungeschlossenheit dieser Ideologie, die er als „programmatische Programmlosigkeit" beschreibt, bei der Aktion'und . Gefühl'Vorrang vor der Theorie haben In diesem faschistischen Denken sei „der nationale Staat der totalitäre, jede Lebensregung umfassende Staat" Letztlich jedoch sei der Faschismus „Mussolinismus und dieser, je nach der augenblicklichen Situation, Staatsverneinung oder Staatsvergottung, Sozialismus oder Kapitalismus, Syndikalismus oder Zentralismus, Katholizismus oder Pragmatismus"

Wie Heller die faschistische Ideologie als Instrument in der Hand des Diktators beschreibt, so erkennt er die Wirklichkeit des faschistischen Staats-und Gesellschaftsaufbaus als eine absolute zentralistische Diktatur. „Die faschistische Diktatur ersetzt den Parteien-staat durch den stato partito ..." der faschistischen Partei. Ihre Funktion sei die „dauernde Sicherung der eigenen Herrschaft", die gestützt werde auf die Gleichsetzung von Staat, Nation, Partei und Regierung Diese Gleichsetzung führt nach Heller zu einem organisatorischen Dualismus von Partei und Staat. Er spricht deshalb von einem „gespaltenen Staat" als der politischen Wirklichkeit des integralen faschistischen Staates

In diese dualistische Organisationsstruktur der totalitären Parteidiktatur seien auch die korporativen und syndikalistischen Elemente aus der faschistischen Staatsideologie eingegliedert. Entgegen der ideologischen Proklamation führten sie nämlich nicht zur gegliederten Beteiligung der Bevölkerung an der Willensbildung im neuen Staate, sondern gerade zur „zentralistisch-diktatorischen Entpolitisierung des gesamten Volkes" Damit kennzeichnet Heller die Funktion totalitärer Massenorganisationen. „Denn erst dadurch, daß der Faschismus neben der militärischen Macht der Miliz und der politischen Herrschaftsorganisation der Partei auch noch über die ökonomischen Interessenverbände der Massen verfügt, gelingt es ihm, sich an der Macht zu halten und die Massen zu beherrschen."

Hellers Analyse unternimmt also den Versuch, über die verschwommene faschistische Ideologie, der er nur eine sekundäre Funktion im Vergleich zur eigentlichen politischen Aktion beimißt, auf die reale Struktur der totalitären Herrschaftsorganisation des faschistischen Staates vorzudringen. Als Kennzeichen dieser totalitären faschistischen Herrschaft nennt er die Parteidiktatur, den organisatorischen Dualismus von Partei und Staat, die Eingliederung der Massenorganisationen. Heller zieht daraus den Schluß, der Faschismus könne „durchaus nicht als eine neue Staatsform gelten, sondern als die der kapitalistischen Gesellschaft entsprechende Form der Diktatur" Er entwickelt also keine neue Begriffsbildung zur Beschreibung des faschistischen Staates, aus seiner Analyse ergibt sich aber die Bestimmung dieser Herrschaftsform als . totalitäre Diktatur', die ausdrücklich erst später von C. J. Friedrich verwandt wird.

An Hand des Erfahrungsmaterials des schon hoch entwickelten deutschen Nationalsozialismus führt Franz L. Neumann die Erörterung über die Elemente der totalitären Herrschaft mit seiner Untersuchung „Behemoth" weiter Aufgrund ihres Aufbaus und ihrer Untersuchungsmethode zählt diese Arbeit zu den ersten systematischen Analysen des „Totalitarismus". Neumann betont ausdrücklich seine soziologische Betrachtungsweise, die seinem Gegenstand allein angemessen sei. Der Nationalsozialismus könne nämlich nicht allein von seiner Ideologie her verstanden werden, da diese Ideologie nach den wechselnden Bedürfnissen der aktuellen Politik formuliert werde. Sie könne deshalb nur aus ihren gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen gedeutet werden, so daß sich eine sozioökonomische Betrachtung rechtfertige

In drei Teilen untersucht Neumann im einzelnen die ideologisch-politischen Hauptelemente, das Wirtschaftssystem und schließlich das politisch-soziale Gesamtsystem des Nationalsozialismus. Obwohl seiner Auffassung nach der Nationalsozialismus keine eigentliche geschlossene Gesellschaftstheorie hat und nur operationellen Charakter trägt, stellt er bestimmte ideologische Hauptelemente heraus. Dazu gehören die Idee des totalen Staates, das Prinzip des Führerstaates, die Rassentheorie und die Lebensraum-Politik.

Mit der Theorie des totalen Staates begründe der Nationalsozialismus die unbeschränkte Herrschaft des völkischen Staates über alle Bereiche der Gesellschaft und die politische und soziale Gleichschaltung Nach der Machtübernahme der nationalsozialistischen Bewegung sei diese Idee umformuliert worden zur Theorie des dreiteiligen Staates (Staat -— Bewegung — Volk) und habe zum tatsächlichen Dualismus von Partei und Staat geführt Dieser Dualismus werde aufgefangen durch das Führerprinzip, denn im nationalsozialistischen Führer vereinige sich alle Macht von Staat, Volk und Partei Seine Legitimation erhalte es letztlich aus der Rassentheorie. Rassismus und Antisemitismus dienten den kapitalistischen Bestrebungen des Nationalsozialismus als Enteignungspolitik und zur Verschleierung des Klassenkampfes Außenpolitisch lieferten sie die Rechtfertigung der Lebensraum-Politik, die F. L. Neumann als rassisch-proletarischen Imperialismus deutet

Weil der Nationalsozialismus dergestalt auf den sozialen Imperialismus ausgerichtet ist, hält Neumann dessen Wirtschaftssystem für einen entscheidenden Faktor, zumal es kaum ideologisch, sondern von seiner Effizienz für die Kriegführung bestimmt werde Dieses Wirtschaftssystem sieht er durch zwei Grundzüge gekennzeichnet: die Monopol-und Befehlswirtschaft Die Wirtschaft sei unter dem Nationalsozialismus autonom organisiert, die Verfügungsgewalt über das Privateigentum nicht aufgehoben, sie stehe jedoch durch verschiedene Ämter und Stellen unter dem Kontrolleinfluß des Staates. Zum starken Monopolisierungsprozeß in der Wirtschaft sei die staatliche Wirtschaftslenkung hinzugekommen Deshalb bezeichnet F. L. Neumann dieses nationalsozialistische Wirtschaftssystem als „totalitäre Monopolwirtschaft'', in der die Wirtschaft auf die Staatsmaschinerie, der NS-Staat auf die ökonomische Basis für seine imperialistischen Ziele angewiesen sei

Schließlich beschreibt Neumann das politisch-soziale Gesamtsystem des Nationalsozialismus als ein System, in dem die sozialen Gegensätze gesteigert sind zur Dominanz der herrschenden Klasse des totalitären Staates aus Partei, Armee, Wirtschaft, Bürokratie und Technik über die Bevölkerung, die in Massenorganisationen gleichgeschaltet sei. Als Mittel dieser herrschenden Klasse zur Sicherung ihrer totalitären Herrschaft nennt Neu-mann dann 1. die Ersetzung des sozialen Pluralismus durch eine monistische Organisation, 2. „die Atomisierung der Individuen", 3. die Zersplitterung aller gesellschaftlichen Gruppierungen und die Bildung abhängiger Eliten, 4. „die Umformung der Kultur in Propaganda mit ihrer Austauschbarkeit der Schlagworte" und 5. die Gewaltanwendung, den Terror als Ergänzung der Propaganda

Aus dieser differenzierten Analyse des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zieht F. L. Neumann den Schluß, daß mit dem totalitären Staat des Nationalsozialismus eine ganz neuartige Form der Gesellschaft vorliege die den herkömmlichen Begriff des Staates sprenge. Er bildet deshalb keinen systematischen Begriff zur Bezeichnung dieses Herrschaftsund Gesellschaftssystems aus, sondern greift auf die Metapher „Behemoth" zurück, um seinem Urteil Ausdruck zu geben, daß der Nationalsozialismus „ein Chaos, die Herrschaft der Gesetzlosigkeit und der Anarchie" ist

Die in diesem Kapitel behandelten Untersuchungen des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus belegen beispielhaft, wie die wissenschaftliche Erörterung dieser neu aufgetretenen politischen und sozialen Phänomene auf dem Weg der historisch-soziologischen Analyse versucht, die besonderen Strukturen dieser Herrschaftssysteme in den Blick zu bekommen. Wenn es auch nicht zu erwarten war, daß die Wissenschaft in diesem Frühstadium der Beschäftigung mit diesem Gegenstand schon eine einheitliche Begriffsbildung entwickelte, so ist doch die Annäherung im Urteil über wesentliche Strukturelemente eines totalitären Systems beachtlich. Dieser Abschnitt über die ersten Ansätze zu einem Begriff des Totalitarismus kann deshalb abgeschlossen werden mit der Arbeit von Sigmund Neumann, die in sehr übersichtlicher, systematischer Form die Ergebnisse über die Elemente totalitärer Herrschaft zusammenfaßt und ein geschlossenes Modell der totalitären Herrschaft am Material des italienischen Faschismus, des deutschen Nationalsozialismus und des russischen Bolschewismus entwickelt. 3. Elemente totalitärer Herrschaft Sigmund Neumann versucht in seiner Studie „Permanent Revolution" eine neuartige Deutung der modernen totalitären Diktaturen, indem er die Erklärung dieses Phänomens auf einen bestimmten charakteristischen Grundzug reduziert. Diesen Grundzug leitet er aus seiner Analyse der Gleichförmigkeit in Ausgangssituation und Herrschaftsweise des italienischen, deutschen und sowjetischen totalitären Systems ab. Neumanns These lautet, daß die zeitgenössischen Diktaturen auf revolutionäre Weise zur Macht gekommen seien und durch ihre Herrschaftsorganisation bemüht wären, diese Unsicherheit der politisch-sozialen Verhältnisse zu erhalten, um in der . permanenten Revolution'ihre totalitäre Herrschaft zu sichern. Dieser Grundzug der Aufrechterhaltung und Institutionalisierung der Revolution lasse sich genau von den realen Strukturen totalitär verfaßter Gesellschaften ablesen und mache ihren entscheidenden Unterschied zu älteren Formen politischer Despotie aus

Dabei ist sich S. Neumann der Grenzen seines Modells der . permanenten Revolution'bewußt und will es voll nur auf die europäischen totalitären Diktaturen angewandt wissen Sein methodisches Verfahren beschreibt er als Vergleich der Grundzüge dieser Systeme, der „die historischen Umstände und personellen Voraussetzungen, die ökonomischen und sozialen Kräfte sowie die psychologischen Motivationen und institutionellen Strukturen gleichermäßen zu einem vollständigen Bild des modernen Totalitarismus zusammenfaßt" Dabei orientiert et sich am „Vergleich des diktatorischen und demokratischen Herrschaftsaufbaues", zumal er von der Kenntnis der allgemeinen Grundzüge der modernen Diktatur eine Stärkung der demokratischen Kräfte erwartet”

Diktatorische Regime sind für S. Neumann zwar keine völlig neuen politischen Phänomene, dennoch sind die modernen Diktaturen wesentlich anders als vorangegangene autokratische oder absolutistische. Sie sind nämlich nicht lediglich irgendwelche Abweichungen vom demokratischen Modell der politischen Ordnung, sondern stellen eine tatsächlich unbeschränkte „totalitäre Herrschaft über praktisch jeden Bereich menschlicher Belange Und Aktivitäten" dar Es sind vor allem fünf gemeinsame Grundzüge; die nach Neumann die Form der modernen totalitären Diktatur kennzeichnen, und zwar das Versprechen von Sicherheit, der Vorrang der Aktion vor dem Programm, die quasi-demokratische Legitimierung, die Militarisierung des politischen Lebens und das Führer-prin^ip Diese Kennzeichen weist Neumann im einzelnen in Fallstudien über den italieni-scheu Faschismus, den deutschen Nationalsozialismus und den sowjetischen Bolschewismus nach.

S. Neumann stellt weiter fest, daß die durch diese gemeinsamen Grundzüge gekennzeichneten totalitären Systeme ihre Herrschaft über die Gesellschaft mittels eines Kanons bestimmter Herrschaftsinstrumente und Herrschaftstechniken durchsetzten und aufrechterhielten. Dazu zählt er als erstes die totalitäre Elite, die „political lieutenants", denen neben dem Führerprinzip die wichtigste Rolle im Herrschaftssystem zukomme Motor der permanenten Revolution'ist nach Neumann die totalitäre Partei, die über den Zugang zur herrschenden Elite bestimme, Verbindungsglied zwischen Staat und Gesellschaft sei und mit ihren Gliederungen die Gesellschaft durchziehe Sie bewirke mit ihrer eigenen Bürokratie heben der staatlichen den charakteristischen Amterpluralismus und die dualistische Struktur des totalitären Staates und stütze damit das totalitäre Führerprinzip ab Schließlich träten zu diesen Machtinstitutionen die Herrschaftstechniken der Propaganda und des organisierten Terrors, durch welche die Menschen der . permanenten Revolution'verfügbar und gefügig gemacht würden

Nach diesem Modell der . permanenten Revolution'weiden die modernen europäischen Diktaturen somit als totalitär strukturierte Herrschaft-und Gesellschaftssysteme beschrieben, die sich durch die fünf Merkmale kennzeichnen lassen und sich mit Hilfe der totalitären Elite, der totalitären Partei, der Propaganda und des Terrors an der Herrschaft erhalten, indem sie die Gesellschaft in einem gelenkten Prozeß ständiger Revolution bewegen. Die von S. Neumann herausgestellten Merkmale der totalitären Herrschaft sind demzufolge vor allem, dynamische Elemente. Die strukturellen Elemente der totalitären Diktatur beschreibt er in seiner vergleichenden Untersuchung erst in zweiter Linie als „institutional framework" totalitärer Herrschaft, weil es ihm primär auf die revolutionäre Qualität dieser Systeme ankommt. 4. Zusammenfassung Mitte der vierziger Jahre liegt damit nach knapp zwei Jahrzehnten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit zeitgenössischen politischen Phänomenen, deren Entwicklungstendenzen und Strukturen im Laufe dieses Zeitabschnit-tes überhaupt erst erkennbar wurden, ein systematisches Deutungsmodell der totalitären Herrschaft vor, das entscheidende Haupt-merkmale dieser Herrschaftsform formuliert und wichtige Einrichtungen für ihre Durchsetzung und Sicherung beschreibt. Es grün-det sich auf eine Reihe von Studien, welche die Erkenntnis der einzelnen Elemente dieser modernen Erscheinungsformen der Diktatur vorbereitet und die vergleichende Betrachtungsweise von Faschismus und Bolschewismus eingeführt haben.

III. Die Entwicklung der allgemeinen Totalitarismus-Theorie

In diesem dritten Abschnitt werden nach den vorbereitenden wissenschaftlichen Erörterungen zum Begriff des Totalitarismus die Konzeptionen einer allgemeinen Totalitarismus-Theorie von Hannah Arendt und C. J. Friedrich vorgestellt, die erstmals in den fünfziger Jahren erschienen sind. Mit diesen Arbeiten ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen faschistischer und bolschewistischer Herrschaftsund Gesellschaftsordnung in die entscheidende Phase eingetreten. Der politische Zusammenbruch des Nationalsozialismus 1945 und der Ausbau der Machtstellung des sowjetischen Regimes sowohl im Lande selbst als auch in seiner politischen Einflußzone in Osteuropa während der Nachkriegszeit haben neue Voraussetzungen für die wissenschaftliche Analyse ergeben, die nach Erkenntnisstand und Materiallage vordem nicht gegeben waren. 1. H. Arendts Bestimmung der totalitären Herrschaft Die 1951 veröffentlichte Arbeit von Hannah Arendt über die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" versucht, auf der Grundlage der nun angereicherten historischen Erfahrung mit den politischen Systemen von Faschismus und Bolschewismus eine allgemeine Theorie der totalitären Diktatur zu geben. Die eigentliche vergleichende Analyse der Strukturen totalitärer Herrschaft ist bei ihr in den Zusammenhang einer weitgespannten geschichtlichen Ableitung der Elemente des Totalitarismus einbezogen und macht nur den dritten Teil ihrer Studie aus, auf den sich die folgenden Darlegungen beschränken müssen.

Wesen der totalitären Herrschaft: Terror und Ideologie Hannah Arendt will diese Analyse der totalitären Herrschaft nicht als bloße Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung des Totalitarismus und seiner Institutionen und Herrschaftsweisen verstehen. Vielmehr will sie versuchen, „das wesentlich Neue, das nämlich, was diese Herrschaft wirklich zu einer totalen Beherrschung macht, in den Blick zu bekommen" Ihre Untersuchung ist darauf ausgerichtet, das „eigentliche Wesen der totalen Herrschaft" zu ergründen Sie sucht deshalb nach der charakteristischen Struktur des totalitären Staates und dem Prinzip seines Handelns. Dabei stellt sie fest, daß die totalitären Bewegungen die herkömmlichen Kategorien der Staatsformenlehre sprengen, weil sich im totalitären Staat Begriff und Funktion des Gesetzes völlig geändert haben. Hier sind sie „Bewegungsgesetze", die als objektive Normen der Geschichte oder Natur verstanden und deshalb naturnotwendig in der menschlichen Gesellschaft vollzogen werden müssen; sie haben nicht wie die positiven Gesetze die Funktion, lediglich die jeweiligen sozialen Umstände zu stabilisieren. Aus diesem Grund ist die totalitäre Herrschaft nach Arendt auch auf den Terror angewiesen, um diese objektiven Geschichtsprozesse realisieren zu können

Der totalitäre Terror enthülle sich somit als das eigentliche Wesen der otalitären Herrschaft. „Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt . . . einzig darin, daß sie Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, daß der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet." Dadurch versuche die totalitäre Herrschaft, jegliche Spontaneität menschlichen Handelns auszuschalten und „an die Stelle des Prinzips des Handelns . . . die Präparierung der Opfer" zu setzen Diese geistige Manipulation nach der Ausschaltung des Handelns durch den organisierten totalitären Terror sei die Aufgabe der Ideologie im totalitären System. Terror und Ideologie seien in der totalitären Herrschaft zu bisher unbekannter Effektivität entwickelt und kennzeichneten so das Wesen und das Prinzip dieser Herrschaftsform. „Der Zwang des totalitären Terrors . . . und der Zwang des logischen Deduzierens (die Ideologie, d. Vers.) . . . gehören zusammen, entsprechen und bedürfen einander, um die totalitäre Bewegung ständig in Bewegung zu halten."

Technik und Organisation der totalitären Bewegung Die Grundlage dieser totalitären Bewegungen sieht Arendt in der Entwicklung zur modernen Massengesellschaft nach der Auflösung der traditionellen Klassenordnung. Dadurch werde auch ihre Struktur bestimmt. „Totalitäre Bewegungen sind Massenbewegungen, und sie sind bis heute die einzige Organisationsform, welche die modernen Massen gefunden haben und die ihnen adäguat scheint." Zur vollständigen Ausprägung gelangten sie demzufolge auch nur in Ländern mit zahlreicher Bevölkerung, deren entwurzelter unpolitischer Mob sie dann spontan unterstütze. Erst durch die Erfassung von Millionen von Menschen mit Hilfe der Beeinflussung und Manipulation der Gesellschaft könnten diese Bewegungen ihre totale Herrschaft entfalten

Zum Erfolg der totalitären Bewegungen gehört nach Arendt neben dieser allgemeinen Grundlage in der politisch-gesellschaftlichen Situation jedoch unabdingbar eine bestimmte Technik und Organisation, von deren Einsatz die Errichtung und Aufrechterhaltung der Macht abhängig sei. Die Propaganda vor allem ist die Technik, mit der die totalitäre Bewegung die Massen erobert, weil sie genau auf die Mentalität der modernen Massen abgestimmt ist: Sie bietet mit ihren ununterbrochenen Wiederholungen eine einfache Orientierung für das Denken und Handeln der Massen. Totalitäre Propaganda ist ein Bestandteil der psychologischen Kriegführung der totalitären Bewegung; ihre Aufgabe ist die Eroberung der Masse für die Bewegung, die Organisierung ihrer Macht in der Zeit vor der Machtübernahme, in der noch die realen Machtmittel fehlen Für Arendt ist die totalitäre Propaganda deshalb ein Instrument der totalitären Bewegung im Umgang mit einer nicht-totalitären Außenwelt, das nach der Machterrichtung durch die terroristische Indoktrination der Gesellschaft abgelöst werde. Unter der totalitären Herrschaft werde dann die totalitäre Fiktion der Bewegung mit Gewalt in die Wirklichkeit umgesetzt

Als zweites Kennzeichen der totalitären Bewegung neben der Propaganda nennt Arendt die besondere Organisationsform der Anhänger vor der Machtübernahme So sei die Bewegung in den Kern der Parteianhänger und in Sympathisierenden-Gruppen gegliedert. Die Parteimitglieder stellten den ideologisch bewußten Teil dar, die Sympathisierenden bildeten eine Art Frontorganisation zur Abschirmung der revolutionären Moral und der ideologischen Fiktionen der Partei von der Außenwelt, zugleich seien sie eine überwachte „Brücke zur Normalität". Diese „Doppelfunktion der Fassade nach außen und innen" sieht Arendt als ein charakteristisches Strukturmerkmal totalitärer Organisation an, das auch innerhalb der Partei in Form der Zugehörigkeit zu einzelnen Eliteformationen bestehe. „Es ist offenbar, daß ein wesentlicher Vorteil dieser Struktur darin besteht, daß die totalitäre Bewegung als Ganzes bereits vor der Machtergreifung so etwas wie eine eigene geschlossene Welt darstellen kann, in welcher Abstufungen und Differenzierungen die . . . radikale Folgerichtigkeit der zentralen Fiktion nicht nur mildern, sondern auch gewissermaßen echte Meinungsverschiedenheiten ersetzen."

Der Apparat der totalitären Herrschaft Der totalitäre Staat weist nach der Etablierung der Herrschaft scheinbar eine monolithische Struktur auf, die Arendt aber nicht für charakteristisch hält. Der totalitäre Staats-aufbau sei vielmehr durch einen Dualismus von Staats-und Parteiinstitutionen gekennzeichnet, der sich aus den Problemen beim Übergang der totalitären Bewegung zur totalen Herrschaft ergebe, zwischen der Stabilität des Erreichten und der Fortführung der revolutionären Bewegung zu vermitteln. Die Folge sei das „Phänomen der Multiplikation" von Funktionen und Zuständigkeiten im neuen Herrschaftssystem, eine Unsicherheit über den jeweiligen tatsächlichen Machtträger. Zugleich bedeute dies aber auch eine Stärkung des organisatorischen Machtmonopols der Führung, die diese internen Machtverschiebungen wieder ausgleiche

Diese „Strukturlosigkeit des totalitären Staates" wird nach Arendt aber wieder aufgehoben durch die Rolle der Geheimpolizei im Herr-schaftsgefüge. In der Geheimpolizei falle die Macht des Staats-und Parteiapparates wieder zusammen Hauptaufgabe dieser Geheimpolizei sei „die unmittelbare Verwirklichung der totalitären Fiktion nach der Machtergreifung"; ihr Instrument sei der Terror. Dieser Terror sei jedoch nur in der Anfangsphase der Herrschaft gegen die innenpolitische Opposition gerichtet. Nach Arendt beginnt der spezifische Terror der Geheimpolizei erst nach der Ausschaltung jeglicher Opposition, weil er sich gegen einen „objektiven Gegner" richte, der von der Ideologie schon vorformuliert sei, unabhängig von konkreter Opposition gegen die totalitäre Herrschaft. Darin begründe sich die Terror-und Ausrottungspolitik gegen bestimmte Bevölkerungs-und Volksgruppen oder beliebig bezeichnete Systemfeinde.

Das eigentliche Wesen dieser totalitären Herrschaft sieht Arendt deshalb in der unbeschränkten terroristischen Umsetzung der totalitären Fiktionen in die alltägliche Wirklichkeit durch die Geheimpolizei und die vorbereitende Präparierung der totalitären Ideologie. Die konsequenteste Einrichtung totalitärer Herrschaft sei infolgedessen das Konzentrationslager. Dieser Wirkungszusammenhang bilde den grundlegenden Unterschied totalitärer Herrschaft zu anderen Formen der Despotie 2. C. J. Friedrichs Theorie der totalitären Diktatur Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des Totalitarismus-Begriffs sind die um die Mitte der fünfziger Jahre veröffentlichten Untersuchungen von C. J. Friedrich, die maßgeblich die spätere Rezeption dieses Begriffs bestimmt haben Die Grundzüge seiner allgemeinen Theorie der totalitären Diktatur sollen hier zusammenfassend wiedergegeben werden.

Friedrichs Überlegungen gehen davon aus, daß die Erscheinungsformen der modernen „totalitären Diktatur" mit den historisch bekannten Formen despotischer Herrschaft nicht gleichgesetzt werden könnten, daß selbst eine allgemeine Abgrenzung dieser Staatsformen als „Autokratie" von den Formen des Rechts-und Verfassungsstaates zu ihrer Charakterisierung nicht ausreiche. Er faßt deshalb die totalitäre Diktatur als eine besondere Staatsform neben der autokratischen und verfassungsstaatlichen Form auf und stellt fest, „daß die totalitäre Diktatur historisch einzigartig und sui generis ist und daß auf Grund der uns jetzt vorliegenden Tatbestände behauptet werden kann, daß die faschistischen und kommunistischen totalitären Diktaturen in ihren wesentlichen Zügen gleich sind, d. h., daß sie sich untereinander mehr ähneln als andere Systeme staatlicher Ordnung, einschließlich der älteren Formen der Autokratie." Er richtet deshalb seine Untersuchungen von italienischem Faschismus, deutschem Nationalsozialismus und sowjetischem Bolschewismus auf die „Gleichförmigkeiten von Struktur, Institutionen und Prozessen der Herrschaft" und versucht aus den auf diesem Wege festgestellten gemeinsamen Wesenszügen ein allgemeines Modell der totalitären Diktatur zu entwickeln

Die Wesenszüge der totalitären Diktatur „Die entscheidenden Wesenszüge, von denen wir behaupten, daß sie allen totalitären Diktaturen gemeinsam sind und ihre Gestalt ausmachen, sind die sechs folgenden: eine Ideologie, eine Partei, eine terroristische Geheimpolizei, ein Nachrichtenmonopol, ein Waffen-monopol und eine zentral gelenkte Wirtschaft." Friedrich räumt die Möglichkeit ein, daß es noch andere Faktoren geben könne und einzelne dieser Faktoren ebenso in herkömmlichen Herrschaftssystemen anzutreffen, sein könnten. Die entscheidende Zurechnung zur Form der totalitären Diktatur erhielten sie durch ihre Abhängigkeit vom technologischen Entwicklungsstand, den diese modernen Herrschaftssysteme aufweisen „Insgesamt gesehen konnten diese Regime nur auf dem Hintergrund der Massendemokratie und der modernen Technologie entstehen."

Hält Friedrich die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge für das richtige Verständnis der genannten sechs Wesenszüge der totalitären Herrschaft für notwendig, so ist sein grundlegendes Argument für die Rechtfertigung seines Modells eigentlich ein methologisches. Er betont, daß die sechs Grundelemente, auf denen sein spezielles Modell des Totalitarismus aufbaut, einen geschlossenen Erklärungszusammenhang darstellen sollten, in dem die einzelnen Faktoren als voneinander abhängig verstanden werden müßten, so daß eine Isolierung einzelner Elemente diesen Aussagezusammenhang zerstöre. Die Einzigartigkeit der mit seinem Modell beschriebenen totalitären Diktatur ergibt sich für Friedrich dann vor allem daraus, daß in keiner der bekannten traditionellen politischen Herrschaftsformen diese sechs Merkmale zugleich vorhanden gewesen seien, deren Zusammenhang den spezifischen totalitären Charakter der modernen Diktaturen ausmache

Die sechs Faktoren des Totalitarismus Friedrich weist in ausführlichen Untersuchungen diese sechs Grundelemente der totalitären Diktatur in ihren historischen Ausprägungen im italienischen Faschismus, im deutschen Nationalsozialismus und im sowjetischen Bolschewismus nach und gibt dabei eine genauere Bestimmung dieser Faktoren seines theoretischen Erklärungsmodells.

Die totalitäre Ideologie wird als ein geschlossenes System von Ideen beschrieben, die Vorstellungen von gewaltsamen einem totalen Umsturz der Gesellschaft enthalten und sich auf eine allumfassende Ablehnung der bestehenden oder vorhergehenden Gesellschafts

Ordnung stützen Diese totalitäre Ideologie erhebe einen Exklusivitätsanspruch und fordere jedem Loyalität ab. Innerhalb dieses allgemeinen Grundmusters räumt Friedrich allerdings Unterschiede in der Ausprägung der Ideologie totalitärer Systeme hinsichtlich ihrer inhaltlichen Zielvorstellungen und des Grades an rationaler Durchbildung ein.

Die totalitäre Massenpartei als organisatorischer Eckpfeiler totalitärer Herrschaft beschreibt Friedrich als ein den staatlichen Institutionen übergeordnetes oder mit ihnen verbundenes Organisationsgeflecht zur Kontrolle der Gesellschaft. Sie sei hierarchisch strukturiert von der Führung über verzweigte totalitäre Eliten zur Masse der einfachen Parteimitglieder, die als die ideologisch bewußte Minderheit der Gesellschaft aufzufassen sei

Der totalitäre Terror der Geheimpolizei ist nach Friedrich das Instrument der revolutionären Machterrichtung der Partei. Er sei eine grundlegende Methode des Regimes zur Verwirklichung seiner ideologischen Doktrinen Ein solches System psychischen oder physischen Terrors gegen tatsächliche oder willkürlich ausgewählte Bevölkerungsgruppen sei geradezu der Lebensnerv eines totalitären Systems

Das totalitäre Nachrichtenmonopol versteht Friedrich als das Mittel, die totalitäre Propaganda technisch zur äußersten Effektivität zu entwickeln. Dadurch schaffe sich das Regime ein bisher unerhörtes Instrumentarium der Massenbeeinflussung und geistigen Manipulation, dessen letzter Zweck die Aufrechterhaltung der Macht der herrschenden Partei sei

Die totalitäre zentral gelenkte Wirtschaft sei die notwendige Folge eines totalitären Herrschafts-und Gesellschaftssystems Diese Entwicklung entspreche dem Prozeß zu einer allgemeinen Bürokratisierung der verschiedenen Lebensbereiche unter totaler Herrschaft. Ihr Hauptkennzeichen ist nach Friedrich die zentrale Planung mit ihrer totalen Abhängigkeit von ideologischen Zielsetzungen, der eine bürokratische Gleichschaltung aller Wirtschaftsgruppen entspräche In einer abschließenden Erörterung betont Friedrich nochmals, daß der allgemeine Charakter der totalitären Diktatur, den sein Modell herausarbeiten wolle, tatsächlich auch an den konkreten historischen Erscheinungsformen des italienischen, deutschen und russischen Herrschaftssystems sowie den späteren sowjetischen Satellitenstaaten Osteuropas verifiziert werden könne, weil sie diese sechs entscheidenden Wesenszüge aufweisen Später betont er, daß die Entwicklungsvorgänge innerhalb des Sowjetsystems in den sechziger Jahren insgesamt seine Analyse der totalitären Diktatur in keiner Weise beeinträchtigten 3. Zusammenfassung Mit den hier vorgestellten Untersuchungen von H. Arendt und C. J. Friedrich ist die letzte Phase in der Begriffsbildung der älteren Totalitarismus-Forschung abgeschlossen. Auf der Basis der veränderten Quellenlage nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und der allgemeinen Erweiterung des Erkenntnis-standesüber die Herrschafts-und Gesellschaftssysteme in Italien, Deutschland und Rußland versuchen sie eine Zusammenfassung der vorliegenden wissenschaftlichen Erörterung über die moderne totalitäre Diktatur. Sie fassen ihre verschiedenen historischen Erscheinungsformen als einheitlichen Typus einer neuen Herrschaftsform auf und entwickeln Konzeptionen von der strukturellen Überein-stimmung dieser Regime. Diese Übereinstimmung in bestimmten Grundzügen, die sie als Wesensmerkmale der totalitären Diktatur formulieren, ist die Grundlage, auf der Arendt und Friedrich eigenständige Begriffe zur Klassifikation der faschistischen, nationalsozialistischen und bolschewistischen Herrschaftssysteme entwickeln. Ihre Modelle der „totalen Herrschaft" oder „totalitären Diktatur" sind neue systematische Begriffe zur Beschreibung dieser Herrschaftsform im Unterschied zu anderen Staatsformen. Damit hat der Begriff des Totalitarismus seine letzte theoretische Ausprägung erlangt, in der er in der Folgezeit in der wissenschaftlichen Terminologie wie vor allem auch noch länger wirkend im allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wurde.

IV. Wandlungen des Totalitarismus-Begriffs

Im Anschluß an die ausführlichen Darstellungen der ersten Ansätze wissenschaftlicher Begriffsbildung zu den Phänomenen „totalitärer" Herrschaft und der Entwicklung eines allgemeinen Begriffs des Totalitarismus in den klassischen Totalitarismus-Theorien von Arendt und Friedrich soll dieser Abschnitt der Rezeption gewidmet sein, die dieser Totalitarismus-Begriff in der wissenschaftlichen Erörterung erfahren hat. Es versteht sich aus dem Sinn von Wissenschaft von selbst, daß diese Rezeption und diese weitere wissenschaftliche Erörterung eine kritische ist. So ist die wissenschaftliche Rezeption des Totalitarismus-Begriffes angemessen darzustellen als ein Prozeß der Wandlungen dieses Begriffes.

Diese Wandlungen des Totalitarismus-Begriffes, wie sie im Folgenden beschrieben werden sollen, setzen in der wissenschaftlichen Diskussion um diese Probleme schon unmittelbar mit der Vorlage von Arendts und Friedrichs Totalitarismus-Konzeptionen ein. Es ist dabei natürlich zu berücksichtigen, daß die Klassifizierung dieser Konzeptionen als die klassische Phase der Begriffsbildung nach einer vorbereitenden Anfangsphase der wissenschaftlichen Begriffsbildung chronologisch gesehen willkürlich ist. Sie begründet sich nach dem inhaltlichen Kriterium, daß mit diesen Entwürfen einer allgemeinen Theorie des Totalitarismus die wissenschaftliche Begriffsbildung einen bestimmten ausgereiften Grad an systematischer Durchformung und theoretischer Allgemeinheit erlangt hat.

In der daran anschließenden wissenschaftlichen Diskussion wird diese Begriffsbildung selbst zum Gegenstand. Sie wird kritisch reflektiert und auf die Phänomene bezogen, zu deren theoretischer Klärung sie entwickelt wurde. So lassen sich denn auch für diesen Entwicklungsgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unterschiedliche Phasen ansetzen. Bei der Verdeutlichung solcher Phasen der Weiterführung des Totalitarismus-Begriffes ist eine Beschränkung auf wenige Arbei-ten erforderlich, die gleichwohl den Prozeß der Wandlungen des Totalitarismus-Begriffs anzeigen können. In den folgenden drei Kapiteln sollen drei solcher Phasen der weiteren Entwicklung dieses Begriffs dargestellt werden. Das erste Kapitel zeigt Versuche einer Reduktion der Reichweite des allgemeinen Totalitarismus-Begriffs vor allem Friedrichscher Prägung. Im zweiten Kapitel werden einige Ansätze zu einer Neuorientierung der Totalitarismus-Forschung vorgestellt, die verstärkt zu Beginn der sechziger Jahre in die Diskussion kommen. Zum Abschluß dieses Abschnittes wird an zwei charakteristischen Beispielen die Auflösung der Totalitarismus-Konzeption dargestellt. 1. Reduktion des allgemeinen Totalitarismus-Begriffs In diesem Kapitel werden drei Studien behandelt, die wesentliche Gemeinsamkeiten in zwei Aspekten aufweisen: Da ist einmal ihr Versuch, grundsätzlich die Möglichkeiten auszuleuchten, die sich methodologisch der wissenschaftlichen Analyse bieten, eine empirisch fundierte allgemeine Theorie des Totalitarismus aufzustellen. Zum zweiten ist es die Frage der Anwendbarkeit der Totalitarismus-Konzeption auf konkrete Herrschafts-und Gesellschaftssysteme. Diese Studien stehen nämlich im Zusammenhang empirischer Einzeluntersuchungen politischer Systeme, die nach der klassischen Totalitarismus-Konzeption diesem Begriff zugeordnet werden.

Gurland: Vollständige Gegenstandsanalyse vor Theorienbildung Gurlands Studie zum Totalitarismus-Begriff erschien 1954 als Einleitung einer Untersuchung über die „totalitäre Erziehung" in der SBZ/DDR Sie behandelt die Problematik einer solchen Untersuchung zu einem Teilbereich eines Herrschaftsund Gesellschaftssystems, die in ihrer Begriffsbildung notwendigerweise den Gesamtkomplex einbeziehen muß, die also bei der Analyse der totalitären Erziehung zugleich auf eine Theorie des totalitären Herrschaftssystems vorgreifen muß. Die Analyse des sowjetzonalen/ostdeutschen Erziehungssystems werde damit selbst zu einem „Beitrag zur theoretischen Analyse totalitärer Herrschaft"

Ihrer Anlage nach kann eine solche Spezialstudie Gurland zufolge jedoch selbst keine allgemeinen Begriffsdefinitionen über das gesamte Herrschaftssystem entwickeln, sondern lediglich einzelne spezielle Hypothesen zu ihrem überschaubaren Teilbereich des Objekts zu verifizieren versuchen. Sie kann danach also nur einzelne Elemente einer Theorie des Gesamtsystems, einzelne Elemente einer allgemeinen Theorie des Totalitarismus entwickeln. Gurland begründet dies mit der These, daß „man einen Gegenstand in seiner Gänze analysiert haben muß, um seinen Begriff bestimmen zu können" Mit dieser Forderung will er der Schwierigkeit der Totalitarismus-Forschung entgehen, die darin besteht, daß mit einer abgeschlossenen Begriffsdefinition an die komplexe Realität sozialistisch beherrschter Gesellschaften herangegangen wird, ohne daß dieser Begriffsapparat noch flexibel genug ist, auf die konkreten historischen Besonderheiten eines solchen Systems einzugehen.

Gurland fordert deshalb „eine Darstellung des Gegenstandes, die so vielseitig ist, daß sie sein Spezifisches plastisch zu reproduzieren vermag" Bevor die Wissenschaft eine theoretische Konzeption des Totalitarismus vorlegen könne, müsse sie in begründeten Einzelanalysen jeden Bereich der historisch-politischen Wirklichkeit einer „totalitären Gesellschaft" genau erforscht haben. Auf dieser Basis entstehe dann allmählich ein „Bild der totalitären Wirklichkeit, in dem sich manche der für eine Theorie der totalitären Gesellschaft wesentlichen Züge deutlich abzeichnen"

Aus der besonderen Situation der Totalitarismus-Forschung, die sich in den fünfziger Jahren mit dem noch neuen Phänomen der sozialistisch beherrschten Staaten in der sowjetischen Einflußsphäre wissenschaftlich zu beschäftigen beginnt, ist Gurlands Forderung, die Analyse auf üoerschaubare Einzelbereiche zu begrenzen und erst diese genau zu erforschen, zweifellos für die Praxis des Forschungsprozesses von Bedeutung. Sie verbirgt aber ihre eigentlichen methodologischen Schwierigkeiten und klärt deshalb die Problematik der traditionel-len Totalitarismus-Forschung nicht, von der sie ausgegangen war. Dieser Ausgangspunkt war das Ungenügen an dem Verfahren, das Gesellschaftssystem der SBZ/DDR, ja Teilbereiche hiervon mit der vorgeformten Begriffsbildung der Totalitarismus-Theorie zu analysieren, den schon entwickelten Begriff des Totalitarismus dieser Analyse einfach zugrunde zu legen, ohne daß seine Angemessenheit für dieses Phänomen schon zureichend geklärt sei. Gurlands methodologisch unbedachte These stellt in ihrer Allgemeinheit jedoch das Verfahren empirischer wissenschaftlicher Begriffsbildung in Frage, trägt aber zu dieser Verfahrensfolge von Hypothesenbildung, ihrer Falsifikation durch empirische Analyse und erneuter modifizierter Hypothesenbildung nichts auf der erforderlichen Abstraktionsstufe bei.

Drath: Primärphänomen des Totalitarismus Die von Gurland aufgeworfene Frage nach dem zulässigen Verhältnis von Einzelanalyse und allgemeiner Theorienbildung in der Totalitarismus-Forschung führte Martin Drath in seiner Untersuchung zum Totalitarismus-Begriff fort, die gleichfalls als Einleitung zu einer Spezialstudie über das Herrschaftssystem der DDR erschienen ist Für Drath ist jedoch wissenschaftliche Forschung notwendig darauf angelegt, „jeweils mit (einem) Teilgebiet zugleich das Ganze des Systems in den Blick zu bekommen" Jeder Analyse eines Gegenstandes liege eine hypothetische Bestimmung dieses Gegenstandes zugrunde, jede empirische Analyse gehe von einer hypothetischen Begriffsbestimmung aus. Die Probleme der Begriffsbildung in der Totalitarismus-Forschung sind für Drath deshalb Grundprobleme der politischen Wissenschaft überhaupt die am Totalitarismus-Begriff zu einer Klärung gebracht werden könnten.

Für Drath bleibt der Totalitarismus-Begriff trotz seiner wertenden Elemente ein Erkenntnisbegriff. Sein Bezug auf das Wertsystem der freiheitlichen Demokratie beeinträchtige seine Erkenntnisqualität nicht, denn jede Begriffsbildung, zumal der politischen Wissenschaft, sei „nie ganz voraussetzungslos" Die vorliegenden Probleme des Totalitarismus-Begriffes seien methodische Fragen, die aus dem Prozeß seiner Entwicklung entstünden. Als idealtypischer Begriff habe er seinen Gegenstand auf bestimmte Merkmale reduziert und diese Merkmale begriffsbestimmend verwendet. Wesentlich für die Geltung eines solchen Begriffs sei dabei die soziale Relevanz der begriffs-bestimmenden Merkmale, nicht die vollständige Entsprechung der empirischen Wirklichkeit mit dem Begriff. Drath versucht daraufhin, die „Notwendigkeit oder Zufälligkeit" der bestimmenden Merkmale des vorliegenden Totalitarismus-Begriffs zu überprüfen

Er entwickelt zu diesem Zweck ein „zentrales Prinzip des Totalitarismus" und bezeichnet es als „Primärphänomen". Dieses Primärphänomen soll als das „fundamentale charakteristische Merkmal" verstanden werden, dem gegenüber alle anderen Merkmale des Totalitarismus-Begriffs sekundär sind, da sie sich erst aus diesem eigentlichen Wesensmerkmal ergeben Als das Primärphänomen des Totalitarismus, durch welches die totalitäre Herrschaft durchgängig bestimmt werde, nennt Drath ihr „Ziel, ein neues gesellschaftliches Wertungssystem durchzusetzen, das bis in . Metaphysik'hinein fundiert wird" Dieses Wesensmerkmal kennzeichne die „Grundlagen, Zusammenhänge und Einzelheiten jedes besonderen totalitären Systems"; aus ihm ergäben sich die unterscheidenden Merkmale totalitärer Systeme zu anderen Herrschaftsformen, etwa der autoritären Herrschaft

Drath glaubt, daß sich die Begriffsbestimmung des Totalitarismus durch ein Primärphänomen in der Analyse des Herrschaftssystems der DDR schon bewährt habe, zumal sie nicht die komplexen Zusammenhänge der Entstehung eines bestimmten totalitären Systems erklären wolle, sondern nur die Wirksamkeit des primären Wesensmerkmals des Totalitarismus angebe. Die jeweils besonderen Wirkungszusammenhänge des Primärphänomens bewirkten dann die Differenzen in der Ausprägung der konkreten totalitären Systeme. Deshalb könnten mit dieser formalisierten Bestimmung des Totalitarismus-Begriffs auch Erscheinungen wie das italienische, deutsche und kommunistische totalitäre System, die in Einzelheiten differieren, als gleichartig bezeichnet werden.

Die kritische Überprüfung der Merkmale des Totalitarismus-Begriffs in Draths Untersuchung hat also zu einer Formalisierung der Begriffsbestimmung geführt. Den traditionellen idealtypischen Begriff mit seinen verschiedenen Merkmalen (bei Friedrich sechs Grund-merkmale der totalitären Diktatur) konzentriert Drath auf sein Primärphänomen totalitärer Systeme, die Durchsetzung eines neuen gesellschaftlichen Wertungssystems, das allen anderen Begriffsmerkmalen als konstitutiv zugrunde liegt. Er glaubt mit dieser modifizierten Bestimmung des Totalitarismus-Begriffs seine Anwendung auf die faschistische, nationalsozialistische sowie die verschiedenen kommunistischen Erscheinungsweisen aufrechterhalten zu können, da durch den Nachweis dieses Primärphänomens die Subsumtion dieser Phänomene unter den Begriff des Totalitarismus gewährleistet sei, während die Analyse mit den sekundären Merkmalen dann differenzierter die besonderen Wirkungszusammenhänge in den einzelnen totalitären Systemen berücksichtigen könne.

Bracher: Gemeinsamkeiten wesentlich in der Herrschaftstechnik Karl-Dietrich Brachers Beitrag zu der von Gur-land und Drath bisher verdeutlichten Problematik ist in seiner Einleitung zu der bekannten Studie über die „Nationalsozialistische Machtergreifung" enthalten Sie läßt sich als eine zusammenfassende Erörterung der Bedingungen und Möglichkeiten einer allgemeinen Totalitarismus-Theorie verstehen, in der vor allem die Zusammenhänge zwischen historischer Erforschung in empirischen Analysen und allgemeiner Theorienbildung untersucht werden. Bracher steht nämlich den vorliegenden Entwürfen der Totalitarismus-Forschung, die eine allgemeine theoretische Bestimmung totalitärer Herrschaft in generellen Erklärungsmodellen des Totalitarismus vornehmen, mit dem Vorbehalt gegenüber, daß ihnen die erforderliche Untermauerung durch empirische Untersuchungen der vielgestaltigen historisch-politischen Realität dieser Herrschaft-und Gesellschaftssysteme fehlt.

Bracher geht davon aus, daß „erst auf dem empirischen Weg historisch differenzierender Bestandsaufnahme und durch die Analyse konkreter Erscheinungsformen . . . bestimmte Grundelemente totaler Herrschaft erschlossen (werden), die allgemeinere Aussagen über Bedingungen, Wesen und Grenzen des Totalitarismus erlauben" Dies gelte um so mehr, als die Erscheinungsformen des modernen Totalitarismus ebenso vielfältig seien wie seine Voraussetzungen und seine einzelnen Elemente. „Zeitpunkt, nationale Bindung und politisch-ideologische Zielvorstellungen wirken zweifellos differenzierend, so sehr die beiden wichtigsten Ausprägungen, die kommunistische und die nationalsozialistisch-faschistische, zugleich eine weitgehende Ähnlichkeit in der Technik der Herrschaftsausübung sichtbar machen, die auf gemeinsame, vom politisch-ideologischen Gehalt unabhängige Grundprinzipien totalitärer Staatspraxis hinweist."

Auf diesen Aspekt der Ähnlichkeit in der Technik der Herrschaftsausübung stützt sich dann Brachers Argumentation, wenn er schließlich eine generelle Bestimmung des Totalitarismus als Gesamtphänomen für möglich hält trotz der verschiedenen individuellen Voraussetzungen und Zielsetzungen der einzelnen konkreten Erscheinungsformen. Bracher betont die Gleichartigkeit der negativen, antidemokratischen, wie der . positiven', totalitären, Hauptmerkmale dieser einzelnen Herrschaftssysteme, durch die sich die wichtigsten Merkmale der totalitären Herrschaftsform angeben ließen, „die sie zugleich von allen früheren Formen der Diktatur oder des Absolutismus grundlegend unterscheiden und zu einem eigenen Phänomen unseres Zeitalters machen" Deshalb sei von weiteren empirisch-historisch angelegten differenzierenden Studien über die Erscheinungsweise der faschistischen, nationalsozialistischen und kommunistischen Herrschaftstechnik sicher eine Erweiterung der Zahl ihrer gemeinsamen Merkmale zu erwarten, die den „in der Praxis überraschend einheitlichen Charakter totalitärer Herrschaft noch deutlicher herausarbeiten"

Durch diese Überlegungen Brachers zur Problematik des Totalitarismus-Begriffs wird die Möglichkeit einer einheitlichen wissenschaftlichen Begriffsbildung für die Erscheinungs-formen nationalsozialistisch-faschistischer und kommunistischer Herrschaftssysteme nachdrücklich unterstrichen. Bracher erwartet von einer ins einzelne gehenden empirisch-historischen Bestandsaufnahme der Wirkungsweise dieser Herrschaftssysteme eine weitere Vervollständigung der Merkmale totalitärer Herrschaftspraxis. Gleichzeitig wird damit aber eine wichtige Einschränkung der theoretischen Reichweite des Totalitarismus-Begriffs formuliert. Entgegen den Ansprüchen der klassischen Totalitarismus-Theorie, mit ihren Modellen das Wesen totalitärer Herrschaft umfassend bestimmen zu können, reduziert Bracher die theoretische Verallgemeinerung dieser konkreten Phänomene durch den Begriff des Totalitarismus auf die herrschaftstechnischen Elemente dieser Systeme. In dieser Rezeption des Totalitarismus-Begriffs wird somit bewußt seine analytische Grenze reflektiert, die Bracher in dem vielfältigen Komplex der individuellen, jeweils besonderen geistigen, historischen und politisch-sozialen Bedingungen und Umstände dieser Herrschaftssysteme sieht. Bracher leitet damit ein Verständnis des Totalitarismus-Begriffs ein, nach dem dieser als generalisierender Begriff zur Bestimmung wichtiger Züge dieser politischen Phänomene didaktisch seine Berechtigung hat. 2. Neuansätze der Totalitarismus-Forschung Nach diesen Überlegungen zur angemessenen Weise der Rezeption des klassischen Totalitarismus-Begriffs werden im folgenden Kapitel einige charakteristische, vor allem in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zahlreicher werdende Auffassungen behandelt, die die Verwendbarkeit der Totalitarismus-Konzeption für die Analyse der sozialistischen Herr-schafts-und Gesellschaftssysteme in Frage stellen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus-Begriff ist in diesem Zeitabschnitt erheblich kritischer geworden, zumal unter dem Einfluß der Verschiebung des Interessenschwerpunkts auf die wissenschaftliche Erforschung der seit der Nachkriegszeit weiterentwickelten sozialistischen Staaten.

Die Auswahl der hier vorgestellten Arbeiten sucht dem Rechnung zu tragen, indem sie bestimmte Hauptaspekte dieser wissenschaftlichen Diskussion, an der dann verschiedene Autoren beteiligt werden, zusammenfaßt. Diese Schwerpunkte werden gesehen in dem Versuch, den Ansatz der Totalitarismus-Theorie systematisch zu überprüfen, ferner in den Ansätzen einer Modifizierung des analytischen Verfahrens bei der Erforschung sozialistischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme sowie schließlich in der Entwicklung neuer analytischer Konzeptionen für diesen Forschungsgegenstand.

Kritik am Ansatz der Totalitarismus-

Konzeption Den Autoren dieser Kritik am analytischen Ansatz der Totalitarismus-Theorie und an den Elementen des Totalitarismus-Begriffs geht es keineswegs von vornherein um die Ablösung der traditionellen Begriffsbestimmung des Totalitarismus. Wie schon angedeutet wurde, ist es ihre Absicht, die Probleme des Totalitarismus-Begriffs kritisch zu durchleuchten, die sich aus seiner Anwendung auf die Analyse zeitgenössischer sozialistisch verfaßter Herrschafts-und Gesellschaftssysteme wie etwa der DDR stellen Dem verantwortungsbewußten Forscher stellen sich dabei nämlich mehrere Fragen, die unmittelbar in das schwierige Verhältnis von Wissenschaft und Politik hineinreichen. Ist es wissenschaftlich gerechtfertigt, die Gesellschafts-und Herrschaftsordnung, die sich in der DDR herausgebildet hat und sich weiterentwickelt, pauschal unter den gleichen Begriff zu fassen wie den Bolschewismus stalinistischer Prägung und die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland? Ist es wissenschaftlich weiterhin vertretbar, ohne Unterschied auch für diese politischen Systeme Begriffe zu verwenden, die zweifellos von dem Einfluß bestimmter politischer Situationen nicht frei sind?

Zum Ausgangspunkt der Erörterung über die Angemessenheit des Totalitarismus-Begriffs und seiner Kategorien werden Überlegungen zur Perspektive der Totalitarismus-Forschung, wie sie vor allem von P. Ch. Ludz und H. Zimmermann angestellt werden Hier wird das Verfahren der Bildung des Totalitarismus-Begriffs problematisch, wonach auf der Basis demokratischer Wert-und Ordnungsvorstellungen eine Bestimmung der faschistisch-nationalsozialistischen und kommunistischen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme versucht wird. Der Totalitarismus-Begriff, der aus dieser Theorienbildung hervorging, sei zwar als wissenschaftlicher Begriff angelegt, zugleich aber auch politisch wertend gemeint In Anbetracht dieser Doppelstruktur des Totalitarismus-Begriffs stellt sich Stammer die grundsätzliche Frage, „wieweit sich der Sozialwissenschaftler von den einer freien Gesellschaft zugrunde liegenden Werten freizumachen vermag, wieweit er in der Analyse totalitärer Systeme sozialwissenschaftliche Begriffe verwenden kann, die nicht . systemimmanent', sondern , systemtranszendent'entwickelt worden sind"

Es wird die schwerwiegende Befürchtung geäußert, ob denn ein solcherart systemtranszendent gewonnener Begriff, der die Bindung seiner Kategorien an die Wertmaßstäbe der parlamentarischen Demokratie keineswegs verheimlicht, überhaupt dazu dienen kann, einzelne „totalitäre" Systeme angemessen systemimmanent zu interpretieren, oder ob die Verwendung dieses Begriffs des Totalitarismus bei der Analyse sozialistischer Herr-schafts-und Gesellschaftssysteme nicht „tendenziell zu wissenschaftlichen und politischen Fehleinschätzungen führen muß" Die Kritik richtet sich deshalb speziell auf das methodische Verfahren der Bildung dieses generellen Totalitarismus-Begriffs. Als idealtypischer Begriff wurde er darauf angelegt, bestimmte Strukturmerkmale der totalitären Herrschaft zu systematisieren, indem er von den konkreten politisch-sozialen Faktoren der einzelnen Regime abstrahierte. Aufgrund allgemeiner gemeinsamer Grundmerkmale konnte dann die Herrschaftsform des Totalitarismus von anderen Herrschaftsformen unterschieden werden. Hier wird nun die Fragwürdigkeit gerade dieser Generalisierung zum Gegenstand der Erörterung gemacht.

Ausgehend von den tatsächlichen Unterschieden in den historischen Voraussetzungen, den politischen Zielsetzungen und den Wirkungszusammenhängen der einzelnen Herrschaftssysteme, die als Erscheinungsformen der totalitären Herrschaft in diesem Begriff zusammengefaßt werden, schätzt Stammer die Möglichkeit gering ein, nach Zahl und Qualität hinreichende gemeinsame Wesensmerkmale zu finden, welche die Vielfalt dieser gesellschaftlich-kulturellen Phänomene in einen einheitlichen Allgemeinbegriff des Totalitarismus zu bringen erlaubten Es wird grundsätzlich angemerkt, daß eine solche typologische Begriffsbildung „das Singuläre zum bloß Accidentiellen zu erklären und damit in seiner die Erkenntnis bedrängenden Stringenz aus dem Blick zu verlieren" in Gefahr steht, daß vor allem die Erkenntnis der „historischen Dimension der je konkreten Herrschaftssysteme und ihrer Eigengesetzlichkeit" dadurch verhindert werden könne

Ludz kritisiert weiterhin, daß die „Schematisierungen und Typisierungen historischer Erscheinungen in den verschiedenen totalitären Bewegungen und die Aufgipfelung dieser Erscheinungen zu Strukturmomenten jedes totalitären Herrschaftsund Gesellschaftssystems . . .den Anspruch (erheben), das Ganze, also die ideologisch-politische und sozialökonomische Dynamik der verschiedenen totalitären Herrschaftsund Gesellschaftssysteme vornehmlich mit der Analyse der Herrschaftstechnik theoretisch wie historisch-deskriptiv in den Griff zu bekommen" Aus diesem Vorbehalt gegen die in der klassischen Totalitarismus-Forschung beanspruchte Reichweite ihres theoretischen Begriffs, der nur auf einer Verallgemeinerung herrschaftstechnischer Merkmale dieser Systeme gestützt ist, ergibt sich für die hier behandelten . Autoren jedoch noch eine forschungstechnische Folgerung im Hinblick auf die Analyse sozialistischer Systeme.

Die Aspektverengung des Totalitarismus-Begriffs auf die Herrschaftstechnik mache es unmöglich, Entwicklungen innerhalb dieser Systeme angemessen zu erfassen, von denen sich nur sehr fragwürdige Analogien zur nationalsozialistischen und bolschewistischen Herrschaftspraxis bilden ließen „Wandlungen der Organisation und der Herrschaftsstruktur, die Dynamik und die sich neu bildenden Kräfte innerhalb der Gesellschaft können mit dem herkömmlichen Totalitarismusbegriff kaum erfaßt werden", faßt Ludz die Kritik am Begriff des Totalitarismus zusammen Sein Ansatz lasse nämlich „keinen Raum für eine sinnvolle Deutung und damit die Möglichkeit einer theoretischen Bewältigung der Dynamik bolschewistischer Systeme"

Die hier gedrängt vorgetragenen kritischen Argumente gegen die traditionelle Totalitarismus-Konzeption münden in die Forderung nach einer Revision des Begriffsapparates der Totalitarismus-Forschung. Entscheidend ist neben der angeführten methodologischen Problematik dieser Begriffsbildung die immer wieder vorgebrachte Unzulänglichkeit dieses Totalitarismus-Begriffs für die aktuelle Erforschung bolschewistischer Systeme. Vor allem in der Auseinandersetzung mit den bekannten Grundmerkmalen dieses Begriffs wird am Wandel einzelner dieser Faktoren in den bestehenden sozialistischen Herrschaftsund Gesellschaftssystemen nachzuweisen versucht, daß aufgrund der teilweise erheblich veränderten Verhältnisse in diesen Systemen die traditionellen „Strukturmerkmale des Totalitarismus-Begriffs jedenfalls für empirisch-deskriptive wie auch für theoretische Analysen bolschewistischer Gesellschaftsordnungen nicht hinreichen"

Veränderte analytische Verfahrensweisen Das Interesse der Kritiker der traditionellen Totalitarismus-Forschung richtet sich deshalb folgerichtig auf das Ziel, die bloßgelegten Schwierigkeiten des klassischen Ansatzes zu überwinden. Man verspricht sich dies von einer Veränderung des bisherigen analytischen Ansatzes der Forschung. Die angestrebte neue Perspektive der Totalitarismus-Forschung soll das „starre, im Grunde unhistorische Systemdenken" im idealtypischen Totalitarismus-Begriff mit seinen fixierten Merkmalen ersetzen durch ein „dynamisches, auf den politischen und sozialen Prozeß in bolschewistischen Systemen abgestelltes analytisches Vorgehen" Dieses Vorgehen wird als erstes in einer veränderten Auffassung über den Gegenstand der Forschung sichtbar.

So betont etwa Ludz, daß die sozialistischen Herrschaftsund Gesellschaftssysteme jeweils als „geschlossenes, historisch und politisch als notwendig zu begreifendes und sich nach objektiven Gesetzmäßigkeiten dynamisch entwickelndes Gebilde" begriffen werden müßten.

Es sei eine „Reflexion auf einen Gesamtzusammenhang" dieser Systeme erforderlich wenn man sie als Gesamtkomplex politischer, sozialer, ideologischer etc. Faktoren erfassen wolle, „deren Entwicklungsprozeß nach eigenen, nur aus ihr selbst erklärbaren Gesetzmäßigkeiten verläuft" Eine Beschränkung auf ihre formalen Aspekte von Struktur und Technik der Herrschaft erscheint deshalb zur Erreichung dieses Zieles unzulänglich. Vielmehr werden systemimmanente Analysen der sozialistischen Systeme in größerer Kooperation der verschiedenen Sozialwissenschaften gefordert.

„Eine Voraussetzung dieser Analysen mit dem Ziel der adäguaten Gewichtung der Grundkategorien für ein möglichst zutreffendes Bild der wirklichen Zusammenhänge (in den sozialistischen Systemen, d. Vers.) ... ist die verstärkte Inangriffnahme vergleichender immanenter Forschungen. Erst solche Arbeiten sind u. E. imstande, eine sinnvolle Deutung der ideologischen und politisch-sozialen Umstrukturierungsprozesse und der gualitativ neuen Ordnung der bolschewistischen Systeme zu geben, nicht nur historische Zustände zu beschreiben, sondern auch die gegenwärtigen Situationen und die in ihnen angelegten Entwicklungstrends aus der jeweilig historisch-politischen Eigendynamik bolschewistischer Systeme abzuleiten." Solche Analysen der zeitgenössischen sozialistisch verfaßten Systeme sollen die Gefahr von Fehldeutungen durch systemtranszendente Begriffskategorien vermeiden und über den Rahmen der totalitären Wesensmerkmale im traditionellen Totalitarismus-Begriff hinaus eine umfassende Anzahl von relevanten Faktoren zu berücksichtigen ermöglichen Es kann hier darauf verzichtet werden, zur weiteren Verdeutlichung der geforderten analytischen Verfahrensweise bei der Totalitarismus-Forschung die Ansätze wiederzugeben, die von P. Ch. Ludz und H. Zimmermann im Zusammenhang ihrer Kritik am traditionellen Totalitarismus-Begriff skizziert worden sind In den noch zu behandelnden Beispielen neuer theoretischer Ansätze in diesem Kapitel kann das überzeugender gezeigt werden, zumal sich diese Arbeiten auch schon an ihren Ergebnissen ausweisen können.

Neue theoretische Ansätze In diesem Zusammenhang kommt dem „Entwurf einer soziologischen Theorie totalitär verfaßter Gesellschaft" von Ludz eine besondere Bedeutung zu, weil diese Abhandlung ebenso wie der ganze Aufsatzband, dessen theoretische Einführung sie darstellt, bahnbrechend für die Diskussion über die DDR-Forschung in der Bundesrepublik gewesen ist Ludz geht in dieser Abhandlung von den Fragen aus, die bisher kritisch an den traditionellen Totalitarismus-Begriff gestellt wurden. Ihr Kernpunkt war die Auffassung, daß die herkömmliche Theorie des Totalitarismus nicht in der Lage sei, ein zutreffendes Bild über die zeitgenössischen „totalitär" verfaßten Gesellschaften kommunistischer Prägung zu vermitteln. Auch Modifizierungen des klassischen Totalitarismus-Begriffs wie durch das Primärphänomen'totalitärer Herrschaft bei M. Drath oder die Ergänzung der Totalitarismus-Theorie durch die These einer . Revolution von oben'bei R. Loewenthal erscheinen Ludz unbefriedigend, Prozesse innerhalb sozialistischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme wie etwa den Wandel ihrer Ideologie oder die Dynamik ihrer sozialen Strukturen hinreichend zu erklären.

Um einige dieser Prozesse innerhalb sozialistisch verfaßter Gesellschaften differenzierter erfassen zu können, setzt Ludz eine soziologische Analyse der Gesellschaft der DDR an, deren Prozeßhaftigkeit und soziale Dynamik bislang keine besondere Beachtung gefunden hat in den analytisch gröber angesetzten und von der klassischen Totalitarismus-Konzeption bestimmten Darstellungen über das Herrschaftssystem der DDR und seine Einzelapsekte. Ludz faßt die Gesellschaft der DDR als ein eigenständiges politisch-ökonomisch-soziales System auf, in dem unbeschadet seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Lager und den daraus resultierenden, zum Teil weitgehenden Abhängigkeiten soziale wie politische Prozesse in einer Eigengesetzlichkeit verlaufen, die aus der Analyse des Systemzusammenhangs erkennbar werden können. Veränderungen der Ideologie und Wandlungen in der Sozialstruktur müssen dieser Auffassung zufolge als wichtige Faktoren für das gegenwärtige Erscheinungsbild dieses Herrschaftsund Gesellschaftssystems berücksichtigt werden.

Ludz geht bei seiner soziologischen Analyse der DDR-Gesellschaft, deren Folgerungen den Ansatz der traditionellen Totalitarismus-Theorie in Frage stellen, von zwei Überlegungen aus. Die erste Überlegung bezieht sich auf den Wirkungszusammenhang von sozialen Normen und ihrem Sanktionsvollzug in einem Sozialsystem. Auch eine bolschewistische Partei sei in einem hochtechnisierten Sozialsystem wie die DDR darauf ausgerichtet, die Ausübung der Macht nach bestimmten geltenden Normen auszurichten, denn die Einhaltung dieser Normen durch die Partei selbst sei erforderlich für den reibungslosen Funktionsablauf des Sozialsystems. In einem sozialistischen System sind diese Normen von der herrschenden Partei selbst gesetzt. Ihre Geltung ist deshalb gefährdet, wenn sie von den herrschenden Gruppen manipuliert wird oder wenn die Partei als Träger des Sanktionsmonopols Schwankungen im Vollzug von Sanktionen bei Verstößen gegen die gesetzten Normen zuläß Derartige Schwankungen im Sanktionenvoll zug eines sozialistischen Herrschaftssystems lassen Folgerungen auf die Gültigkeit dieser Normen oder auf den Durchsetzungswillen der herrschenden Partei zu.

So könne die Feststellung solcher Schwankungen einen Wandel der Normenstruktur anzeigen und die Übernahme gewisser, von der Partei gesetzter Normen durch bestimmte Gruppen der Gesellschaft bzw. die Anpassung von bestimmten Parteigruppen an traditionelle und neu in der Gesellschaft sich bildende Gebote und Verbote bedeuten. Sie könne auch Ausdruck der Unsicherheit der Partei in ihrer Einschätzung der Nützlichkeit und Verwendbarkeit traditioneller, von der Partei vertretener Normen sein oder eines Wandels des ideologischen Dogmas überhaupt Sie verdeutlichen jedenfalls, daß in dieser Gesellschaft Prozesse ablaufen, in denen zwischen einander gegenüberstehenden sozialen Werthaltungen vermittelt werden muß. Sie zeigen also an, daß in dieser Gesellschaft soziale Konflikte bestehen, die in irgendeiner Form ausgetragen oder vermittelt werden. Dies sind aber Vorgänge in einem . totalitär'verfaßten Gesellschaftssystem, die mit dem traditionellen Totalitarismus-Begriff überhaupt nicht erfaßt werden könnten. Ludz zufolge geben solche Schwankungen im Sanktionenvollzug sozialistischer Gesellschaften Hinweise auf Wandlungsprozesse in ihrem Gesellschafts-und Herrschaftsgefüge.

Die zweite Überlegung von Ludz knüpft daran an und bezieht sich auf den Wirkungszusammenhang von sozialen Konflikten und dem Wandel in sozialistischen Gesellschaftsund Herrschaftssystemen. Ihr Ausgangspunkt ist die Annahme, daß auch sozialistische Gesellschaften Veränderungen unterworfen sind, die „von verschiedenen sozialen Kräften, allgemein: von der Partei und den von ihr initiierten sozialen Prozessen wie vom Eigengewicht dieser Dynamik" ausgehen Solche Veränderungen im Gesellschaftsgefüge führt Ludz auf die Existenz sozialer Konflikte zurück. Sozialer Konflikt bezeichnet dabei nach soziologischem Sprachgebrauch das gegensätzlich orientierte Verhalten sozialer Gruppen in einem Sozialsystem, das mit dem sozialen Wandel des Systems korrespondiert. Ludz nimmt an, daß in einem sozialistischen System die „Aufrechterhaltung und Sicherung von Macht und Herrschaft der Staatspartei wie der Funktionsablauf des bestehenden Systems" die Grenze jedes Konflikts zwischen sozialen Gruppen und entsprechend des Wandels ihrer Sozialstruktur sei Die Schwankungen im Sanktionenvollzug zeigten einen solchen Wandel an und es werde erkennbar, daß die Gruppen im System mit gegensätzlich orientiertem Sozialverhalten — Partei-und Nicht-Parteigruppen — sich in der Vermittlung ihres Konflikts auf gemeinsame soziale Normen auszurichten begännen.

Es zeigt sich schon darin, daß diese theoretischen Ausgangsüberlegungen Konsequenzen für die Analyse des Herrschaftsund Gesellschaftssystems der DDR haben. Der Zusammenhang von Wandel der Ideologie und Wandel der Gesellschaft verweist nach Ludz nämlich auf eine gewisse Gemeinsamkeit von Normen der Partei und Normen der Gesellschaft in einem sozialistischen System. Die Schwankungen im Vollzug von Sanktionen gegen Verletzungen kodifizierter Normen des Systems ließen nämlich eine Schwäche der herrschenden Partei in der „Durchsetzung der eigenen rechtlichen und sozialen Normen und (ihre) Anpassung an die in der Gesellschaft bereits vorhandenen Leitbilder" erkennen Der Entwicklung gemeinsamer Normen von der herrschenden Partei und den gesellschaftlichen Gruppen gehe aber ein langwieriger und sehr komplexer Prozeß von Konflikten und Anpassungen voraus, den Ludz durch einen Rückgriff auf die Veränderungen in den Werthaltungen einer bolschewistischen Partei durch ihre historische Entwicklung von einer Außenseitergruppe zur herrschenden Partei verdeutlicht.

Eine bolschewistische Partei ist nach Ludz durch ihre soziale Marginalität, ihre gesellschaftliche Außenseiterrolle geprägt, aus der sie ihre politische Ideologie, ihre sozialen Normen und ihre Organisationsform entwickelt, die denen der sie umgebenden Gesellschaft entgegengesetzt sind. Ihr Ziel sei die Durchsetzung dieser Ideologie, dieser Normen und Organisation in dieser Gesellschaft, und mit der Machtübernahme betreibe sie dann die Umge-staltung der Gesellschaft. Die von der herrschenden bolschewistischen Partei gesetzten sozialen Werthaltungen und kodifizierten Normen werden in einer langen Phase des Bestehens eines sozialistischen Systems jedoch nur von der Parteiminorität getragen; sie stehen in Konflikt mit den traditionellen Wertorientierungen der Gesellschaft, der sie mit Gewalt oktroyiert werden. Daraus resultiert ein Konflikt zwischen den tradierten sozialen Normen, den vom System gesetzten Normen und solchen Normen, die sich aus der Struktur der neuen Gesellschaft erst bilden. Ein Großteil dieser Konflikte spiele sich ebenso innerhalb der Partei ab, deren Mitglieder noch stärker sich überkreuzenden Normenkonflikten ausgesetzt seien.

Der „Leerformelcharakter''der kommunistischen Ideologie ist für Ludz das Medium, das diese Konflikte wieder in das System integrieren könne. Er eröffne die Möglichkeit, flexibel Ansprüche der Gesellschaft, wie sie sich aus den neu sich bildenden sozialen Normen des Systems ergeben, etwa die Orientierung an technischem und sozialem Fortschritt, in die offizielle Ideologie und in die kodifizierten Normen des Systems zu übernehmen und so langfristig einen sozialen Konformismus zwischen den Zielen der herrschenden Partei und den Bedürfnissen der Gesellschaft herzustellen. Die Leerformei-Ideologie sei „Medium der Funktionstüchtigkeit des sozialen Systems . . ., einmal als Orientierungsmittel von Eliten und Massen, zum anderen als Lenkungsinstrument der Gesellschaft durch die herrschenden Gruppen, schließlich als Kanon von Geboten und Verboten, die von den Betroffenen bis zu der Grenze, die durch die Rechtfertigung der gegebenen Herrschaft der Partei bestimmt ist, negiert und/oder in eigene Interessen umgedeutet werden können"

Aus den dargelegten Elementen von Funktionsänderungen der SED-Ideologie und sozialem Wandel und sozialer Konflikte im Gesellschaftssystem der DDR zieht Ludz die Folgerung, daß durch diese Entwicklungen das Primärphänomen des Totalitarismus im Sinne Draths in Frage gestellt sei, daß „ein bolschewistisches System unter den Bedingungen der Industriegesellschaft damit eher zu einer autoritären als zu einer totalitären Verfassung tendierte, daß die totalitäre soziale Kontrolle abgelöst würde von einer autoritären sozialen Kontrolle, die in Einzelbereichen eine spontan von der Gesellschaft ausgehende, nicht zentral von der Partei organisierte soziale Kontrolle nicht ausschließt" Das Herrschaftsund Gesellschaftssystem der DDR verlange unter Berücksichtigung dieser Entwicklungsvorgänge eine veränderte Klassifizierung und rechtfertige die Bezeichnung als eine zur autoritären Ordnung tendierenden Herrschaftsform.

Diese soziologische Umformulierung der Totalitarismus-Theorie, die Ludz in seiner Abhandlung vornimmt, stellt die Gültigkeit des traditionellen Totalitarismus-Begriffs entscheidend in Frage. Das Verständnis und die Analyse sozialistischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme wird dadurch auf eine veränderte Grundlage gestellt, daß Ludz über die bloße Analyse der strukturellen Aspekte einer totalitären Gesellschaft, wie sie der Totalitarismus-Begriff vermittelte, hinausgeht. Es gelingt ihm, bestimmte soziale Prozesse innerhalb dieses Gesellschaftssystems mit seinem Ansatz sichtbar zu machen und andere Faktoren als herrschaftstechnische in die theoretische Deutung des sozialistisch verfaßten Systems einzubeziehen.

Auch in einer zweiten Hinsicht geht der soziologische Ansatz von Ludz über die traditionelle Totalitarismus-Konzeption hinaus. Seine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen sozialen Normen und ihrem Sanktionenvollzug sowie zwischen sozialen Konflikten und gesellschaftlichem Wandel innerhalb sozialistischer Gesellschaftssysteme wendet analytische Kategorien von größerer analytischer Reichweite als die Kriterien der Totalitarismus-Konzeption auf sozialistische Herrschaftsund Gesellschaftssysteme an. Ludz versucht mit diesen analytischen Kategorien den gegebenen Stand der Lösung im Konflikt sozialistischer Systeme erkennbar zu machen, der zwischen ihrer vorgegebenen ideologischen Bestimmtheit und ihrem Ziel besteht, eine funktionsfähig organisierte industrielle Gesellschaft zu entwickeln. Diese analytischen Kate-gorien sind nicht von einem bestimmten politischen Gesellschaftsbild vorbestimmt, sondern allgemein anwendbar in der Analyse politischer Systeme, bei der es um den je spezifischen Wirkungszusammenhang von ideologischen Voraussetzungen und Zielvorstellungen und politisch-sozialen Strukturelementen des Sozialsystems geht. 3. Die Auflösung der Totalitarismus-Konzeption Es wurde im letzten Kapitel schon auf den Prozeß einer Objektivierung der analytischen Kategorien beim Versuch, einen Neuansatz für die traditionelle Totalitarismus-Theorie zu finden, hingewiesen. Dabei konnte auch schon verdeutlicht werden, daß ein solcher Prozeß notwendig auf eine Ablösung des Totalitarismus-Begriffs zielt, da die Ergebnisse der veränderten analytischen Annäherung an sozialistische Herrschaftsund Gesellschaftssysteme — und auf diese verengt sich die wiedergegebene Diskussion des Totalitarismus-Begriffs — eine modifizierte begriffliche Bestimmung dieser Systeme nahelegt. Die vorerst letzte Station im Entwicklungsgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus-Begriff, die sich derzeit schon übersehen und beschreiben läßt, führt den Prozeß der Ablösung der Konzeption des Totalitarismus weiter und versucht theoretische Modelle für die Interpretation der zeitgenössischen sozialistischen Staaten zu entwickeln, die deren analytische Reichweite übertreffen. Ihre Darstellung muß im folgenden auf zwei Beispiele beschränkt werden, die wichtige Aspekte des analytischen Instrumentariums und der theoretischen Konzeption zeigen können.

Deutung des Sowjetsystems als autoritäres System Mit dem ersten Beispiel wird deutlich, daß die Veränderungen der Analyse sozialistischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme, die zum Abrücken vom Totalitarismus-Begriff für diese Erscheinungsform politischer Systeme führt, nicht auf die . Volksdemokratien'beschränkt ist. Vielmehr ist dieser wissenschaftsgeschichtliche Prozeß die Folge von Entwicklungsvorgängen in diesen Herrschaftssystemen, die seit den sechziger Jahren zunehmend von der Wissenschaft zur Kenntnis genommen werden und selbst einen neuen Zugang der Forschung erforderlich machen. Eine derartige Untersuchung eines sozialistischen Herrschafts-und Gesellschaftssystems und seiner neuen Entwicklungszüge, die zur Konsequenz einer neuen theoretischen Konzeption führen, ist Arnold G. Meyers Studie über das sowjetische politische System

Meyer geht zunächst davon aus, daß das wesentliche Kennzeichen des sowjetischen Systems die zentrale Kontrolle aller gesellschaftlich relevanten Bereiche durch die bolschewistische Partei sei. Dieses totalitär verfaßte bolschewistische System unterscheide sich von der eingeschränkten und kontrollierten Herrschaft demokratisch-parlamentarischer Systeme durch die gelenkte Organisierung und Politisierung des gesellschaftlichen Lebens, deren Ziel die Durchsetzung des in der bolschewistischen Ideologie vorgegebenen sozialen Wert-systems sei Der parteigesteuerte soziale Wandel innerhalb des bolschewistischen Systems der Sowjetunion setze jedoch auch dynamische Elemente im Sozialsystem frei, die von dieser Deutung mit der Totalitarismus-Konzeption nicht erfaßt werden könnten.

Das gegenwärtige Erscheinungsbild des sowjetischen Herrschafts-und Gesellschaftssystems mache ein differenzierteres Begriffsschema als das starre des Totalitarismus-Begriffs erforderlich. Meyer lehnt sich bei seiner Interpretation des Sowjetsystems deshalb an ein Klassifikationsschema an, das in der Organisationssoziologie von Rensis Likert entwickelt wurde Danach wird es möglich, politische Herrschaftsformen in einem Begriffs-Kontinuum einzuordnen. Dieses Begriffsschema wird untergliedert durch vergleichbare Merkmale und Elemente politischer Herrschaft, die jeweils die verschiedenen Typen politischer Herrschaft kontinuierlich voneinander abgrenzen Vor allem der graduelle Übergang zwischen zwei benachbarten Typen bei Veränderung gewisser Klassifizierungsmerkmale kann Meyer zufolge nach einem derartigen Schema dem tatsächlichen Erscheinungsbild konkreter Gesellschaftssysteme angemessener angegeben werden als bei reinen idealtypischen Begriffen.

Meyer formuliert ein Kontinuum von vier politischen Herrschaftsformen: den Ausbeutungs-Autoritarismus (exploitative), den Wohltätigkeits-Autoritarismus (benevolent), den konsultativen Autoritarismus und schließlich den partizipativen Autoritarismus Der herkömmliche Totalitarismus-Begriff ist hierbei in den beiden ersten Typen aufgegangen und der traditionelle Autoritarismus-Begriff aus der Staatsformenlehre in den Formen des konsultativen und partizipativen Autoritarismus. Bei diesem Begriffsschema sind bewußt Differenzierungsformen der traditionellen begrifflichen Unterscheidungen der Herrschaftstypen in die Begriffsbildung ausgenommen. Die Möglichkeit der begrifflichen Zuordnung eines konkreten Herrschaftssystems ist von zwei zugespitzten Formen der Herrschaft (Totalitarismus — Autoritarismus) auf vier graduell sich abstufende Herrschaftsformen erweitert, deren letzte schon wiederum Konvergenzen zur parlamentarisch-demokratischen Form aufweist.

Meyer vertritt die Auffassung, daß das sowjetische Herrschaftsund Gesellschaftssystem in dieses Begriffsschema angemessener eingeordnet werden könne. Dieses Urteil bezieht er auf die verschiedenen Entwicklungsstadien des Sowjetsystems wie auf die gegenwärtige Erscheinungsform, deren Tendenzen sichtbar würden. Die gegenwärtige Erscheinungsform ordnet Meyer dem Typ des konsultativen Autoritarismus zu, wogegen frühere Entwicklungsphasen des Sowjetsystems dem Aus-beutungs-bzw. Wohltätigkeits-Autoritarismus zugerechnet werden müßten. Er begründet diese Begriffsbestimmung mit den im einzelnen weiter ausgeführten Entwicklungsvorgängen innerhalb der sowjetischen Gesellschaft, die die Ablösung einiger traditioneller Elemente mit sich gebracht hätten, die bisher als Merkmale einer totalitären Herrschaftsordnung dienten.

Die DDR als konsultativ-autoritäTes Herrschaftssystem Einen breiteren Raum soll die Darstellung einer neueren Interpretation des Herrschaftsund Gesellschaftssystems der DDR einnehmen, die sich an dieses Klassifikationsschema von Meyer anlehnt und eine komplexe Theorie des Wandels der DDR-Gesellschaft zu geben versucht. Es handelt sich dabei um die empirisch-systematische Untersuchung von Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-führung von P. Ch. Ludz in der konsequent die theoretischen Ansätze seines im vorhergehenden Kapitel behandelten „Entwurfes" weiterentwickelt werden. Von besonderer Bedeutung für unseren Zusammenhang der Erörterung des Totalitarismus-Begriffs und seiner Wandlungen ist der theoretische Bezugsrahmen, den Ludz seinen sehr detaillierten empirischen Studien über die Organisationsstruktur der SED, die sozialstrukturelle Zusammensetzung ihrer Führung und die ideologischen Entwicklungen voranstellt. Dieser theoretische Bezugsrahmen stützt sich wiederum auf einige wesentliche Thesen über den sozialen und politischen Wandel innerhalb des Herrschaftsund Gesellschaftssystems der DDR, die Ludz in seiner empirischen Analyse zu belegen versucht.

Sind diese Ausgangsthesen der Untersuchung zunächst lediglich auf die SED als die herrschende Partei und damit maßgebliche Gruppierung des DDR-Systems bezogen, so schließen sie doch auch gesamtgesellschaftliche Aspekte dieses industriegesellschaftlich bestimmten Herrschaftssystems ein. Ludz folgt dem Konfliktansatz in der soziologischen Analyse, wenn er die DDR als ein Sozialgebilde versteht, in dem sich „gesamtgesellschaftliche und partielle Entwicklungstendenzen durchkreuzen und überlagern" und dadurch Prozesse politischen und sozialen Konfliktes freisetzen. Die SED als Auslöser solcher Konflikte sei selbst infolge ihrer Geheimbund-tradition solchen Konflikten ausgesetzt, die nach außen als Anpassungskonflikte an die unter ihrer Führung entstandene Gesellschaft erschienen: dem Konflikt zwischen der politisch maßgeblichen traditional orientierten Führungsschicht und den an modernen Organisationsformen orientierten Parteifachleuten.

Gesamtgesellschaftlich verlaufe der Konflikt zwischen der älteren Generation und der in der DDR ausgewachsenen Nachkriegsgeneration, die schon aus der entwickelten neuen Gesellschaft Verhaltensmuster und Leitbilder gewonnen habe. Wie bei den partei-internen Konflikten, bei denen sich eine Ablösung der älteren Funktionärsgeneration und ein Aufstieg neuer fachgeschulter Eliten zeige, stehe auch gesamtgesellschaftlich eine traditionale Verhaltensorientierung einer Ausrichtung an neu entwickelten Normen der Gesellschaft gegenüber. Allgemeingesellschaftliche Tendenzen als Folge der industriegesellschaftlichen Entwicklung, etwa das Anwachsen groß-bürokratischer Apparaturen und die zunehmende Verselbständigung der staatlichen und wirtschaftlichen Großbürokratien gegenüber dem Parteiapparat, schaffen zudem nach Ludz eine institutionelle Basis für die aufstrebenden neuen Eliten des Systems.

Ludz faßt diese Thesen über den politischen und sozialen Wandel in der DDR zu einer Grundhypothese über das Herrschaftsund Gesellschaftssystem der DDR zusammen, die den Rahmen des traditionellen Totalitarismus-Begriffs sprengt. „Die SED als eine in ihrem Ursprung totalitäre Partei tendiert unter den Bedingungen des politischen, sozialen und geistigen Wandels, wie er sich in den Jahren nach Stalins Tod im Ostblock und mit einer gewissen Verzögerung auch in der DDR abzeichnet, zur autoritären Partei. Die autoritäre Partei etabliert autoritäre Herrschaft, die hier, wie die totalitäre, als eine bestimmte Herrschaftsform industrieller Gesellschaft verstanden wird." Als Unterscheidungsmerkmale dieser sich entwickelnden autoritären Herrschaft von der totalitären nennt Ludz folgende: Die autoritäre Herrschaft in einem sozialistischen System stütze sich wie totalitäre auf eine Weltanschauung umfassenden Inhalts, diese sei jedoch jetzt dem System vorgegeben und müsse nicht erst durchgesetzt werden; sie verfüge über eine größere Flexibilität des Kontrollsystems und größere Anpassungsmöglichkeiten der verschiedenen Organisationssysteme an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt; statt eines starren Systems von Kontrollen seien flexiblere Koordinierungsund Kooptierungszwänge gegeben; sie gründe sich prinzipiell nicht auf dem Massenterror, sondern auf eine spezifische Form der Gruppenidentifikation, die durch die Organisationsstrukturen in Partei, Staat und Wirtschaft erreicht werde; schließlich kennzeichne autoritäre Herrschaft in einem sozialistischen System die Anerkennung oder doch Duldung von sozialen Konflikten seitens der Führungsgruppen.

Als die entscheidende Grundproblematik der herrschenden Partei in diesem Prozeß sozialen und politischen Wandels innerhalb einer sozialistisch verfaßten Gesellschaftsordnung sieht Ludz die Kontrolle der dynamischen wissenschaftlichen und wirtschaftlich-technischen Entwicklung an, wie sie auch sozialistischen Gesellschaften aus den Bedingungen der Industriegesellschaft und der Funktionsfähigkeit des Systems aufgegeben ist, wobei als ihre Grenze die Sicherung der Macht der Parteiführung angesehen werden müsse. In einem sozialistischen Herrschaftssystem verlaufe diese Entwicklung also in der Spannung zwischen zwei Zielen: der Bewahrung des Führungsanspruchs der Partei und dem Aufbau einer fortschrittlichen industriellen Gesellschaft. Ludz läßt keinen Zweifel, daß dieses zweite Ziel von entscheidender Bedeutung für die Neuinterpretation des Herrschaftsund Gesellschaftssystems der DDR und die Aufgabe des Totalitarismus-Begriffs ist: „Wenn konstitutive Merkmale der industriellen Gesellschaft, in erster Linie der in ihr vorherrschende Organisationstyp, von der Parteiführung der SED implizite oder explizite anerkannt werden, dann wandelt sich die totalitäre Herrschaft zur autoritären. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt setzt eine Reihe von Kräften frei, die funktionale und dysfunktionale Konflikte für das Herrschaftssystem der DDR mit sich bringen. Er begünstigt die Differenzierung der politischen Führungsgruppe und führt neue, konkurrierende Eliten herauf, so daß die totale Durchdringung der Gesellschaft durch das ideologische Wollen einer Partei gegenwärtig in weit schwächerem Maße gegeben ist und Schwankungen im Sanktionenvollzug der herrschenden Gruppen fast unvermeidlich werden."

Nach dieser ausführlichen Darstellung der Grundkonzeption und ihrer Hypothesen für diese Interpretation des Gesellschafts-und Herrschaftssystems der DDR können die verschiedenen theoretischen Aspekte der empirischen Untersuchungen, die im umfangreichen empirischen Teil der Arbeit diese Hypothesen genauer belegen, nun knapper behandelt werden. Sie haben nicht nur ihre Bedeutung im Rahmen dieser Arbeit, sondern sind in unserem Zusammenhang der Modifizierung der Totalitarismus-Konzeption vor allem auch geeignet, die analytischen Möglichkeiten eines differenzierten Forschungsansatzes zu demonstrieren. Ludz verfolgt mit seiner Untersuchungskonzeption die Auffassung, den sozialen, politischen und geistigen Wandel innerhalb sozialistischer Gesellschaftssysteme mit einer Studie über die politischen Führungsgruppen der herrschenden Partei faßbar zu machen, da Veränderungen innerhalb dieser herrschenden Eliten ein Indikator für Veränderungen des Gesamtsystems seien.

Sein umfangreiches empirisches Material zum Wandlungsprozeß innerhalb der SED-Partei-elite und des DDR-Systems geht er unter drei theoretischen Gesichtspunkten an: einem organisationssoziologischen Aspekt, einem elitentheoretischen Aspekt und einem ideologie-kritischen Aspekt. Hier können nur die wichtigsten Thesen zusammengefaßt werden. Aus seiner Analyse der Organisationsstrukturen in der Gesellschaft der DDR kommt Ludz zu dem Ergebnis, daß sich die SED als die herrschende Partei des Systems von der traditionellen Organisationsform kommunistischer Bewegungen abzuwenden beginne. Auch als herrschende Parteien hätten kommunistische Parteien aus ihrer Gründung in der vorindustriellen Gesell-schäft die Struktur von Geheimbünden beibehalten, die eine strenge Abkapselung der Führungskader und die unbedingte Vorrangstellung der ideologischen Ausrichtung auf alle Bereiche von Staat und Gesellschaft bedeute, die in den obersten Parteigremien festgelegt worden sei. Vornehmlich unter dem Einfluß wirtschaftlicher Entwicklungen, zumal seit Anfang 1963 mit der Einführung des „Neuen ökonomischen Systems", seien jedoch zunehmend Tendenzen der Versachlichung im Organisationsaufbau der SED festzustellen.

Diese Tendenzen zeigten sich deutlich in der verstärkten Berücksichtigung von ökonomischen und technischen Fachleuten bei der Besetzung von Entscheidungspositionen in weiten Bereichen von Staat und Wirtschaft und ebenso schon der Parteiorganisation. Ludz interpretiert diesen Prozeß als eine Anpassung des Organisationstyps der DDR an die „Dynamik der industriellen Gesellschaft". Dadurch werde das Herrschafts-und Gesellschaftssystem zunehmend von Elementen eines „konsultativen Autoritarismus" gekennzeichnet; die DDR lasse sich also als ein Herrschaftssystem bezeichnen, in dem weiterhin der SED als der herrschenden Partei die Prärogative der Macht zukomme, in dem aber die einzelnen Entscheidungen unter Konsultation von Fachleuten, also in einer gewissen Beteiligung der Gesellschaft, vorbereitet würden.

Unter dem elitentheoretischen Aspekt analysiert Ludz die „Wandlungs-und Beharrungstendenzen in der sozialstrukturellen Zusammensetzung der SED-Führungsgremien". Seine Ergebnisse stützen die Annahme, daß sich ein sozialer und politischer Wandel innerhalb des Systems der DDR vollzieht. Bei den Angehörigen der obersten Partei-und Macht-elite der SED stellt Ludz deutliche Tendenzen eines Generationenwechsels fest. Der traditionelle Typ des bloßen Parteikämpfers trete zurück zugunsten wissenschaftlich-technisch qualifizierter Parteirepräsentanten. Zudem seien deutliche Ansätze einer Trennung der Staats-und Parteielite festzustellen und institutionell eine gewisse Verselbständigung der Staats-und Wirtschaftsbürokartie vom Parteiapparat. Diese Erscheinungen will Ludz natürlich auch als Folge der Herrschaftsdauer der SED verstanden wissen, die nun auch auf Parteikader mit Hoch-und Fachschulausbildung zurückgreifen könne. Ihre Auswirkung auf den System-wandel als Folge der vermutlich größeren Aufgeschlossenheit dieses Personenkreises für eine reibungslose Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft und ihrer stärkeren Orientierung am Leistungseffekt sozialistischer Gesellschaftsorganisation seien noch nicht abzuschätzen.

In der ideologiekritischen Untersuchung des offiziell vertretenen Marxismus-Leninismus gelingt Ludz jedoch schon der Nachweis, daß die ideologische Geschlossenheit des Systems der DDR aufgebrochen zu werden beginnt, und zwar gerade unter dem Einfluß der Tendenzen, die auch für den allmählichen Aufstieg neuer Eliten maßgeblich sind. Ludz stellt die Existenz einer „institutionalisierten Gegenelite" zu der traditionellen Führungselite der SED fest, die im Rahmen der Partei neue Denkansätze in die kommunistische Ideologie einzubringen versuche. Diese informelle Gegen-elite als Träger des von Ludz so genannten „institutionalisierten Revisionismus" setze sich zusammen aus Parteifachleuten in Staat und Wirtschaft sowie Parteiideologen und -Philosophen, die das System prinzipiell bejahten, die ideologische Doktrin und die Aktionsprogramme der SED jedoch in eigener Deutung an die Dynamik der industriellen Gesellschaft — wie sie sich auch in der DDR entwickle und als Zielvorstellung des sozialistischen Systems bestehe — anpassen wollten, um sie flexibler und leistungsfähiger, damit aber auch für die Gesellschaft attraktiver zu machen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß diese Konzeption zur Untersuchung des Wandels in der SED-Führung einen komplexen Ansatz bietet, um ein sozialistisches Herrschafts-und Gesellschaftssystem mit sich weiterentwickelnden industriegesellschaftlichen Organisationsformen und daraus folgenden geistigen und sozialen Konflikten empirisch in den Griff zu bekommen. Ludz'Interpretation des zeitgenössischen DDR-Systems als eines tendenziell konsultativ-autoritären Herrschaftssystems, mit der die Anwendung des traditionellen Totalitarismus-Begriffs überholt wird, scheint insgesamt angemessener zu sein in dem Versuch, ein komplexes sozialistisch'verfaßtes Herrschaftsund Gesellschaftssystem begrifflich einzuordnen zwischen totalitärer politischer Ordnung als monopolisierter Machtausübung und politischer Entscheidungsbefugnis einer Parteielite einerseits und demokratisch-parlamentarischer politischer Ordnung als Teilnahme der pluralistischen gesellschaftlichen Kräfte an der politischen Entscheidung und ihrer Kontrolle andererseits. Die von Ludz festgestellten Wandlungstendenzen im politischen und sozialen System der DDR, die seiner Interpretation als konsultativ-autoritäres System zugrunde liegen, versteht er als Bedingung einer langfristigen Festigung des sozialistischen Systems der DDR. Sie geben keinen Anlaß, diese mit einem neuen Klassifikationsbegriff beschriebene Wandlung als einen geistigen, sozialen und politischen Wandel in das „westliche Lager" zu mißdeuten. 4. Zusammenfassung In diesem Abschnitt sollten an Beispielen aus dem Komplex der Totalitarismus-Forschung die Wandlungen verdeutlicht werden, die der traditionelle Totalitarismus-Begriff Arendt-seher und Friedrichscher Prägung in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten anderthalb Jahrzehnte erfahren hat. Dieser Wandlungsprozeß des Totalitarismus-Begriffs wurde zur besseren Übersicht in drei Entwicklungsschritte mit jeweils graduell abgestuften Zielsetzungen aufgegliedert. Die bestimmende Frage der gesamten kritischen Rezeption des Totalitarismus-Begriffs-war die Überlegung, ob mit dieser Konzeption tatsächlich die einzelnen als . totalitär'begriffenen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme angemessen analytisch erfaßt werden könnten.

Unbeschadet möglicher Unterschiede in den individuellen historischen Voraussetzungen, sozioökonomischen Gegebenheiten und politischen Zielsetzungen des italienischen Faschismus, deutschen Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus hatte der Totalitarismus-Begriff diese Phänomene anhand einiger gemeinsamer Merkmale zu Erscheinungsformen eines einheitlichen Herrschaftstyps des Totalitarismus erklärt und ihre wesentliche Übereinstimmung in der allgemeinen Grundstruktur hervorgehoben. Dieser Geltungsan-spruch des Totalitarismus-Begriffs wie die Methode seiner Begriffsbildung werden im Verlauf seiner Rezeption kritisch überprüft. Vor allem mit der Verlagerung des Forschungsschwerpunktes auf die sozialistischen Herrschaftssysteme wird die Anwendbarkeit eines so konzipierten einheitlichen Begriffs in Frage gestellt.

Die erste Entwicklungsstufe der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus-Begriff zeigte das Ungenügen an seiner methodologischen Struktur und seinem analytischen Geltungsanspruch. Nach dem Umweg über die Forderung Gurlands, die sozialistischen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme erst einmal nach allen Aspekten zu untersuchen, um dann daraus einen angemessenen theoretischen Begriff zu entwickeln und die Schwierigkeiten aus der Anwendung des Totalitarismus-Begriffs auf diese Weise zu vermeiden, führte sie zu einer Modifizierung der ursprünglichen Konzeption. Mit seiner Formulierung des „Primärphänomens" des Totalitarismus glaubt Drath eine größere Flexibilität für die Analyse der .sekundären Merkmale', die nach dieser Auffassung die jeweils konkrete Ausprägung des einzelnen totalitären Systems bestimmen, erreichen zu können. Er leitet damit eine Reduktion des traditionellen Totalitarismus-Begriffs ein, die mit den Überlegungen Brachers fortgeführt wird. Darin wird der Begriff des Totalitarismus auf die Beschreibung von Ähnlichkeiten in der Herrschaftstechnik und -praxis der einzelnen politischen Phänomene beschränkt und als didaktisches Instrumentarium zur Bestimmung wichtiger einheitlicher Züge der faschistischen, nationalsozialistischen und kommunistischen Herrschaft gerechtfertigt. Diese eingeschränkte, aber doch grundsätzliche Rezeption des Totalitarismus-Begriffs scheint in der dargestellten zweiten Entwicklungsstufe überwunden, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem analytischen Ansatz und den analytischen Kategorien der Totalitarismus-Theorie führt. Die Vorbehalte gegen einen Allgemeinbegriff totalitärer Herrschaft zur Beschreibung von politischen Systemen mit heterogenen Voraussetzungen und Zielsetzungen, der sich nur auf wenige Aspekte ihrer politisch-sozialen geistigen Wirkungszusammenhänge stützt, gehen auf im Versuch, eine neue Forschungsperspektive und neue analytische Wege zu finden für den Komplex der noch in der Entwicklung stehenden sozialistischen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme. Diese Forschungsansätze gehen von der Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit dieser politisch-gesellschaftlichen Systeme aus und qualifizieren sich in dem soziologischen Versuch über das DDR-System von Ludz, in welchem spezifische Faktoren aus dem Wirkungszusammenhang dieses Herrschafts-und Gesellschaftssystems zur Grundlage ihrer begrifflichen Klassifizierung werden.

Die Totalitarismus-Konzeption als Deutung der Grundstruktur eines politischen Systems aus dem strukturellen und funktionellen Vergleich mit faschistisch-nationalsozialistisch-bolschewistischen Herrschafts-und Gesellschaftssystemen und der Typisierung bestimmter Merkmale zum generellen Begriff des Totalitarismus ist mit dieser Analyse und Interpretation des sozialistischen Systems in der DDR schon überschritten. Sie wird vollends aufgelöst als Instrument für die Erforschung und Beschreibung sozialistisch verfaßter Systeme im Prozeß sozialer und politischer Entwicklungen mit dem Fortgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Totalitarismus-Begriff.

Die hier vorgestellte letzte überschaubare Stufe dieses wissenschaftshistorischen Prozesses bringt die Entwicklung komplexer theoretischer Ansätze zur Analyse sozialistischer Systeme, die ausgehen von den politischen, sozialen und geistigen Wandlungstendenzen, denen die herrschende Partei eines solchen Systems ausgesetzt ist wie die Gesamtgesellschaft, wenn sie das Ziel der Entwicklung und leistungsfähigen Organisierung einer modernen industriellen und damit wahrscheinlich sozial komplexen Gesellschaft verfolgt. Die Konsequenz dieser analytischen Verfahren ist das Aufgeben des traditionellen Begriffsschemas politischer Herrschaftsformen und des Geltungsanspruchs allgemeiner Theorien wie der Totalitarismus-Theorie, die das , Wesen" totalitärer Herrschaft allgemeingültig begrifflich fassen wollte. An ihre Stelle sind danach be31 schreibende und erklärende Theorien politischer Systeme von „mittlerer Reichweite" getreten, welche die feststellbaren unterschiedlichen Formen politischer Herrschaft in diffe-renziertere Begriffschemata einordnen, die auch graduelle Abstufungen aufgrund erweiterter und differenzierterer Merkmalbestimmungen begrifflich angeben.

V. Kritische Aspekte des Totalitarismus-Begriffs

In diesem letzten Abschnitt soll versucht werden, wesentliche kritische Aspekte des Totalitarismus-Begriffs, die auch schon in der bisher nachgezeichneten wissenschaftlichen Diskussion um diese Konzeption zum Ausdruck gekommen sind, in einem nun systematischen Zusammenhang zu behandeln. Dadurch ist dann auch die Möglichkeit gegeben, solche Aspekte des Totalitarismus-Begriffs, die in der chronologischen Darstellung verschiedener Stufen seiner Entwicklung etwas in den Hintergrund treten mußten oder aber aus dem jeweiligen Zusammenhang der Erörterung vorausgesetzt wurden, nachdrücklicher hervorzuheben, soweit ihr Verständnis unerläßlich erscheint für ein Urteil über die Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen dieses Begriffs.

Die Erörterungen dieses Abschnitts werden zunächst eine Antwort auf die Frage zu geben versuchen, welche Stelle der Totalitarismus-Begriff und seine Modifizierungen im Begriffs-schema der Staatsformenlehre einnehmen. Daran schließt sich eine Untersuchung der Funktion des Totalitarismus-Begriffs an, die er aus dem engen Bezug seines Gegenstandes zur wissenschaftlichen wie politischen Auseinandersetzung bekommen hat. Das macht wiederum eine Analyse des methodischen Ansatzes dieser Begriffsbildung im folgenden Kapitel notwendig. Es wird dann darum gehen, die analytischen Grenzen eines allgemeinen Totalitarismus-Begriffs zu erörtern. Schließlich wird das letzte Kapitel den Problemen einer Typologie politischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme im Zusammenhang des Totalitarismus-Begriffs und seiner Wandlungen nachgehen. 1. Der Totalitarismus-Begriff in der Staats-formenlehre Die Darstellung der ersten Entwicklungsstufe des Totalitarismus-Begriffs hatte gezeigt, wie aus verschiedenen Ansätzen zur Analyse der Phänomene von Faschismus und Bolschewismus ein begriffliches Instrumentarium gebildet wurde, mit dem diese in immer deutlicheren Umrissen erkennbar werdenden Herrschaftssysteme klassifiziert werden sollten in ihrem Unterschied und in ihrer Verwandtschaft zu anderen bereits bekannten Herrschaftssystemen. Um diese begriffliche Kennzeichnung vornehmen zu können, wurden in den Untersuchungen der damals zeitgenössischen und in ihrer Zielsetzung und Struktur erst allmählich erkennbaren politischen Systeme von Faschismus und Bolschewismus Begriffe verwendet, die im wissenschaftlichen Sprachgebrauch schon vorlagen. Von diesen Begriffen konnte man erwarten, daß ihre Anwendung auf bestimmte Staaten ohne besondere Explikation die Einschätzung ihrer politischen Institutionen und rechtlichen Ordnung verständlich machte.

Gemeint sind die Begriffe der Staatsformen-lehre, deren Ursprünge weit in die Tradition politischen Denkens zurückreichen. Sie brachten die Unterscheidung in die Regierungsformen der Monarchie, Aristokratie und Politie sowie ihrer negativen Entwicklungsformen Tyrannis, Oligarchie und Ochlokratie bei Aristoteles, die dem Kriterium der Anzahl der Machtträger in einem Staat folgt. Dieses relativ einfache Schema blieb lange Zeit die Grundlage für die Beschreibung der Staatsformen, bis es etwa bei Montesquieu weiterentwickelt wird. Montesquieu unterscheidet die Herrschaftstypen der Republik, der Monarchie und der Despotie aufgrund der Zahl der in einem Staat Regierenden und der Art dieser Herrschaftsausübung — dem „Geist der Gesetze". In den politischen Wissenschaften hat sich schließlich auf der Grundlage dieser Unterscheidungen und in der Folge von Aspekterweiterungen des politisch-sozialen Denkens ein Klassifikations-B Schema der Regierungsformen herausgebildet, in dem demokratisch-rechtsstaatliche, autoritäre und diktatorische Herrschaftsweisen unterschieden werden.

Die Untersuchungen des italienischen Faschismus und des Sowjetbolschewismus konnten sich auf diese Unterscheidungen beziehen in ihren Versuchen, diese Herrschaftsausprägungen begrifflich zu klassifizieren. Schon in den ersten Ansätzen einer Klassifikation von Faschismus und Bolschewismus mit diesem Begriffsschema der Staatsformenlehre ergaben sich jedoch Schwierigkeiten, diese Herrschaftssysteme zwischen Demokratie und Diktatur einzuordnen. Der unterschiedliche politische Standort des Beurteilenden in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus vergrößerte diese Schwierigkeiten, war aber nicht ihre Ursache. Sie ergab sich vielmehr aus diesen politischen Phänomenen selbst, die es begrifflich zu erfassen galt. Im Rahmen der hier untersuchten Totalitarismus-Forschung wurde ihre Lösung in der Entwicklung eines eigenen Klassifikationsbegriffs für diese Form der Herrschaft gefunden, deren Eigenständigkeit man herausarbeitete. Dieser Begriff des Totalitarismus wurde dann selbst in das Begriffsschema der Staats-formenlehre eingegliedert, bis neuere Überlegungen ihn wieder in Frage stellten.

Dieser große Entwicklungsgang bleibt undeutlich ohne eine Konkretisierung seiner einzelnen Schritte, die hier skizziert werden sollen. Die Begriffsentwicklung in der Totalitarismus-Forschung schritt nur allmählich in der analytischen Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand voran, wie auch die Auflösung des Totalitarismus-Begriffs sich allmählich durch ‘ie Auseinandersetzung mit diesem nunmehr veränderten oder anders aufgefaßten Gegenstand vollzog. In den frühen Ansätzen zu einem Begriff des Totalitarismus wird zur Beschreibung der politischen Regime in Italien, Rußland und später Deutschland zunächst lediglich der traditionelle Begriff der Diktatur herangezogen. Erst bei genauerer Prüfung werden zusätzliche Bestimmungen zu diesem allgemeinen Diktatur-Begriff erkennbar, die den besonderen Stellenwert dieser modernen Erscheinungsformen von Diktatur zu ihren historischen Ausprägungen angeben sollen.

So spricht Beckerath im Zusammenhang des italienischen Faschismus von dessen Versuch, „einen autoritären Staat im Stil des 18. Jahrhunderts zu verwirklichen, der gleichwohl von den Energien des modernen Lebens durchflutet wird" Zur genaueren Charakterisierung dieses Regimes bemüht sich Beckerath also, dem aus dem Klassifikationsschema der Staatsformenlehre herangezogenen traditionellen Begriff noch eine zusätzliche Interpretation zu geben, welche die Modernität in den wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen hervorhebt. Ein eigenständiger Klassifikationsbegriff ist damit für die faschistischen und bolschewistischen Systeme der Herrschaft nicht entwickelt, aber doch eine gewichtige Modifizierung am herkömmlichen Begriff des Autoritarismus oder der Diktatur angelegt.

Mit zwei anderen Beispielen aus dieser ersten Phase der Begriffsentwicklung verhält es sich ähnlich. Turati gibt zwar eine sehr nachdrückliche Beschreibung des Faschismus als eines totalitären Systems, das mit keiner anderen historisch bekannten politischen Ordnung zu vergleichen sei. Den daraus notwendig werdenden Schritt zur Entwicklung eines entsprechenden systematischen Begriffs für dieses Herrschaftssystem vollzieht er jedoch nicht. Auch Heller bleibt nach seiner detaillierten Analyse der Organisationsstruktur des italienischen Faschismus beim Begriff der Diktatur stehen, modifiziert ihn aber — entgegen seiner Feststellung, dieser faschistische Staat sei durchaus keine neue Staatsform — wiederum, indem er ihn interpretiert als „die der kapitalistischen Gesellschaft entsprechende Form der Diktatur": also eine Form der Diktatur, die von recht neuartigen sozialen, ökonomischen und technologischen Voraussetzungen bestimmt ist.

In diesen mehr oder weniger deutlichen Interpretationsversuchen an dem herkömmlichen Begriffsinstrumentarium zur Bestimmung von Herrschaftsformen artikuliert sich jedenfalls schon der Eindruck, daß diese in ihrer Bedeutung historisch vorgeprägten Begriffe nicht einfach übertragbar sind auf diese Herrschaftsund Gesellschaftssysteme, deren besondere Strukturen im Vergleich mit den bekannten Staatsformen von diesen verschiedenen Untersuchungen gerade herausgearbeitet werden. Im Fortgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen faschistisch-nationalsozialistischer und kommunistischer Herrschaft wird das auch nachdrücklich formuliert. Vor allem aber tritt nun der Versuch in den Vordergrund, aus dieser Erkenntnis Konsequenzen für die Begriffsbildung zu ziehen. Diese Versuche führen schließlich zur Entwicklung eigenständiger systematischer Begriffe, die diese Formen der Herrschaft in ihrer Gemeinsamkeit untereinander und in ihren Unterschieden zu anderen Regierungsformen kennzeichnen sollen.

Franz L. Neumann kommt so aus seiner Analyse der besonderen ideologischen, ökonomischen und allgemein gesellschaftlicher Elemente des Nationalsozialismus zu dem Ergebnis, daß dieses Herrschaftsund Gesellschaftssystem nicht angemessen mit den traditionellen Begriffen der Staatsformenlehre erfaßt werden könne. Der Nationalsozialismus sei vielmehr eine neuartige Form der Gesellschaft, die dem herkömmlichen Begriff von Staat überhaupt widerspreche. Er bezeichnet das nationalsozialistische Herrschaftssystem deshalb als „Nicht-Staat", als „Behemoth" Dies ist nun freilich eine sehr eindeutige und — wie später noch genauer untersucht werden wird — eine auch politisch gemeinte Einschätzung, aber noch keine begriffliche Systematisierung. Diese gelingt Sigmund Neumann mit der Entwicklung seines Modells der permanenten Revolution'. Dieses Modell soll den allgemeinen Begriff der Diktatur ersetzen und eine spezielle Klassifikation der totalitären Herrschaftsform des Faschismus-Nationalsozialismus und Bolschewismus geben.

Mit S. Neumanns theoretischem Modell der . permanenten Revolution'zur begrifflichen Bestimmung der gemeinsamen Wesensmerkmale dieser Herrschaftssysteme ist die Begriffsbildung vorbereitet, die in den Theorien von Arendt und Friedrich zu einer umfassenden Begriffsdefinition des Totalitarismus führt. Diese Theorien beziehen sich in ihren systematischen Überlegungen ausdrücklich auf die vorliegende Staatsformenlehre, halten aber ihre Begriffe für ungeeignet, das spezifische Wesen der faschistischen, nationalsozialistischen und bolschewistischen Herrschaft zu bezeichnen. Sie entwickeln deshalb den neuen Klassifikationsbegriff des Totalitarismus, von dem sie überzeugt sind, daß er anhand gemeinsamer Merkmale dieser politischen Systeme ihre strukturelle Einheitlichkeit kennzeichnen kann. Mit diesem allgemeinen Begriff des Totalitarismus werden also zur Zeit dieser Begriffs-entwicklung schon historische Herrschaftsund Gesellschaftssysteme Italiens und Deutschlands sowie das noch fortbestehende sozialistische System der Sowjetunion einschließlich seiner sich erst konsolidierenden „Satelliten" in Europa als eigenständige Staatsform bezeichnet. Der Begriff des Totalitarismus hat damit eine systematische Ausprägung erreicht, die ihn auf die Abstraktionsstufe der Klassifikationsbegriffe in der traditionellen Staatsformenlehre stellen soll.

Dieser Anspruch des klassischen Totalitarismus-Begriffs hat sich jedoch nicht voll erfüllt. Er ist zwar in die Lexika und Handbücher eingegangen und auch im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitet, aber eine eindeutige und unbestrittene Definition, wie sie in den zuletzt genannten allgemeinen Theorien des Totalitarismus angelegt ist, hat sich in der Wissenschaft nicht durchsetzen können. Daß derart eine geschlossene Definition des Totalitarismus weiterhin ein offenes Problem ist, geht allerdings nicht nur zu Lasten der kritischen Diskussion, die sich der Vorlage dieser Totalitarismus-Konzeptionen angeschlossen hat. Gleichwohl lieferte diese Diskussion gewichtige Argumente, den Geltungsbereich des allgemeinen Totalitarismus-Begriffs einzuschränken. Unsere Darstellung der Wandlungen dieses Begriffs konnte verdeutlichen, daß damit eine Änderung in der Zielrichtung der Begriffsbildung verbunden ist. Dieser Zusammenhang verdient verfolgt zu werden, bevor in den nächsten Kapiteln den speziellen methodischen und analytischen Problemen des Totalitarismus-Begriffs nachgegangen wird, die in erster Linie für den geschilderten Tatbestand verantwortlich sind. Es wurde schon hervorgehoben, daß die intensive Totalitarismus-Diskussion vor allem mit der Verlagerung des Forschungsschwerpunktes auf die sozialistischen Staaten zusammenhängt. Die Entstalinisierung mit der daraus folgenden Auflockerung im Ostblock stellten der Totalitarismus-Forschung die Aufgabe, in der Analyse der sozialistischen Herrschaftsund Gesellschaftssysteme diese neuen Entwicklungstendenzen mit zu verarbeiten. Der Aspekt der Einheitlichkeit dieser Erscheinungsformen mit den historischen Phänomenen des Faschismus-Nationalsozialismus und ebenso des stalinistischen Bolschewismus trat dabei in den Hintergrund. Martin Draths Versuch, den Anspruch des Totalitarismus-Begriffs zu retten durch eine Umformulierung auf das entscheidende „Primärphänomen" des Totalitarismus und variablere „sekundäre" Merkmale entspricht schon dieser Blickrichtung. Die Konzentration der Begriffsdefinition auf das Phänomen der „Durchsetzung eines neuen Wert-systems in der Gesellschaft" wirkt als eine Formalisierung des Begriffs, die ihn von der Festlegung auf allzu konkrete Merkmale der Organisation und des Vollzugs der politischen Herrschaft, die durch dieses Primärphänomen bestimmt ist, befreit. Mit dieser Definition wird der Totalitarismus-Begriff auch anwendbar auf revolutionäre politische Bewegungen mit anderen Voraussetzungen und Vollzugsformen als den am historischen Beispiel von Faschismus und Bolschewismus beschriebenen.

Freilich wurde dieser Totalitarismus-Begriff in der Umformulierung durch Draths Primär-phänomen der veränderten Aufgabe der Totalitarismus-Forschung bei der Analyse sozialistischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme auch noch nicht gerecht. Sie stellte nämlich gerade die Geltung dieses Primärphänomens in Frage. Wenn diese Konzeption auch Anwendung finden kann in einem — möglicherweise sehr langen — Anfangsstadium politischer Herrschaft, die eine derartige revolutionäre Umorientierung des sozialen Wertsystems in der Gesellschaft vornimmt, so wird ihre Brauchbarkeit problematisch in einem Stadium der Entwicklung dieses Herrschaftssystems, in dem sich ein neuer sozialer Konformismus auszuwirken beginnt. Diese Problematik verweist zurück auf die Tatsache, daß sich der Drathsche Totalitarismus-Begriff wie auch seine Definition bei Arendt und Friedrich im wesentlichen aus seiner Unterscheidung zu . autoritärer'Herrschaft bestimmt.

Totalitäre Herrschaft wird dabei ausdrücklich allerdings nicht nur als eine Steigerung autoritärer Kennzeichen angesehen, sondern als eigenständige . andere Form von Herrschaft Läßt sich autoritäre Herrschaft als eine Zentralisierung der politischen Macht und als Ausschluß der Bürger von der Teilnahme an der politischen Willensbildung verstehen, die durch eine Kontrolle der politisch bedeutungsvollen Bereiche der Gesellschaft sichergestellt wird, so gilt hiernach für die totalitäre Herrschaft: Sie ist eine mit ihren Gestaltungsansprüchen die gesamte Gesellschaft und alle Lebensbereiche durchdringende Herrschaft, die ihre verbindliche Ideologie allen mit Gewalt aufzwingt. Eine solche Unterscheidung von autoritärer und totalitärer Herrschaft wird etwa auch innerhalb der Lehre von den Staatsformen durch die Verfassungslehre von Karl Loewenstein sanktioniert. Loewenstein unterscheidet die politischen Systeme in Konstitutionalismus und Autokratie, wobei er Autokratie als konzentrierte Machtausübung ohne Kontrolle versteht. Innerhalb dieser durch ihre Ideologien und typischen Institutionen unterscheidbaren politischen Systeme untergliedert er als Regierungstypen der Autokratie den Autoritarismus und Totalitarismus.

Solche Klassifikationsbegriffe sind jedoch theoretische Begriffskonstruktionen, deren methodische Anlage hier noch am Beispiel der Bildung des Totalitarismus-Begriffs erörtert werden soll. Sie geben bestimmte charakteristische Züge eines Herrschaftssystems an, an denen sich die Bestimmung eines konkreten Herrschafts-und Gesellschaftssystems orientieren kann. Die Untersuchungen der veränderten Gegebenheiten im politischen und sozialen System sozialistischer Staaten, von denen die Revision des Totalitarismus-Begriffs ausging, hatten eine andere Zielsetzung. Ihr Konflikt mit der Totalitarismus-Konzeption ist jedoch von grundlegender Bedeutung, weil er maß-gebliche Gesichtspunkte liefern kann zur Beantwortung der Frage, welche Stellung dem Begriff des Totalitarismus in der Staatsformen-lehre bleibt und welcher Art dieser Totalitarismus-Begriff ist Aus der Diskussion um diesen Begriff hatte sich schon eine Antwort ergeben, nämlich Brachers Hinweis auf die didaktische Brauchbarkeit und Notwendigkeit eines generalisierenden Begriffs zur Bestimmung wichtiger ähnlicher Züge von Faschismus-Nationalsozialismus und Kommunismus 2. Die Doppelfunktion des Totalitarismus-Begriffs Der Totalitarismus-Begriff hat seit Beginn seiner Herausbildung den Charakter eines politischen Kampfbegriffs gehabt — und er hat diesen polemischen Zug bis auf den heutigen Tag in seiner Verwendung im politischen Alltag nicht verloren. Seine Aussichten, sich als ein seriöser und gesicherter wissenschaftlicher Begriff durchzusetzen und Bestand zu gewinnen im Rahmen der begrifflichen Klassifikation von Herrschafts-und Gesellschaftsformen, hängt deshalb zumindest auch davon ab, ob er diesen Charakter verlieren kann. Um die Bedeutung dieser politischen Funktion des Totalitarismus-Begriffs abschätzen zu können, muß man auf die besondere Situation während der Bildung dieses Begriffs zurückgehen.

Der Totalitarismus-Begriff entstand zu einer Zeit, da sich in Europa der Begriff des „totalen Staates" zunehmend eine reale Basis zur Umsetzung in den Bereich tatsächlicher politischer Gestaltung zu schaffen begann. Die Idee des totalen Staates, wie sie in den Vorstellungen des italienischen Faschismus vorhanden war und sich vor allem im nationalsozialistischen Staatsverständnis ausdrückte, ist selbst als Gegenbegriff zum liberalen Staats-und Verfassungsverständnis entstanden. Gegen die Prinzipien der demokratischen Legitimität und des parlamentarischen Entscheidungsvollzugs in der Politik setzt er die Totalität des Politischen:

Der Staat ist ein organisch gewachsenes Ganzes, das Individuum einbezogen in die Homogenität der Gemeinschaft, deren Souveränität sich in der gewachsenen Gliederung in Regierende und Regierte ausdrückt, die allein dem Staat echte Autorität verleiht Dieser ideologische und dann politische Angriff auf die politischen Werte des Westens rief Verteidiger hervor, die das Selbstverständnis des Faschismus abwerten wollten mit einem pro-noncierten Gegenbegriff, der sich wiederum orientierte am Selbstverständnis des parlamentarisch-demokratischen Staates: dem Begriff des totalitären Staates

Die politische Auseinandersetzung mit dem Faschismus ist allerdings älter als dieser politische Kampfbegriff. Nolte weist darauf hin, daß es zur Zeit von Mussolinis „Marsch auf Rom" schon eine kleine Bibliothek von Schriften über den Faschismus gegeben habe Aber dieser Kampfcharakter des Totalitarismus-Begriffs zeigt sich auch in solchen Beiträgen, denen man eine wissenschaftliche Betrachtungsweise dieses Phänomens nicht absprechen kann. Das geht deutlich aus den Beiträgen der hier zugrunde gelegten Auswahl hervor, womit zugleich noch einmal unterstrichen wird, daß sich der Totalitarismus-Begriff zunächst nur auf die faschistischen Bewegungen bezog. Bei Turati etwa dient er zur Verdeutlichung des Urteils, daß diese Bewegung „jeden Anschein und jede Substanz der Demokratie, d. h.des modernen zivilisierten Zusammenlebens" vernichte und auch bei Heller kennzeichnet er den fundamentalen Gegensatz des Faschismus zur Tradition des westlichen politischen Denkens. Hier wie auch in der späteren Totalitarismus-Theorie ist der wertende Charakter des Begriffs nicht zu leugnen. Man braucht nur noch S. Neumanns Auffassung, daß diese Totalitarismus-For-schung „Kampf gegen die moralische Anarchie" sei, oder Friedrichs Verdikt, daß der Totalitarismus „nur Verfallserscheinung oder Perversion der Demokratie" sei, hinzuzufügen

Trotz der angeführten Verwendung hat der Totalitarismus-Begriff in diesen Arbeiten aber auch eine wissenschaftliche, eine analytische Relevanz, die mit seinem polemischen Akzent in Konflikt steht. Es hat sich gezeigt, daß der Totalitarismus-Begriff seit seinem Auftreten in der wissenschaftlichen Literatur eine doppelte Funktion als politisch wertender und als wissenschaftlich-analytischer Begriff hat, daß er also auf eine problematische Weise dichotomisch angelegt ist. Diese Zwiespältigkeit birgt die Gefahr in sich, daß die analytische Funktion des Begriffs von der politisch-wertenden in einem Maß beeinträchtigt wird, das ihn blind macht für die abgewogene Beurteilung der politischen Realität. Zumal bei einem Begriff, der der Analyse zeitgenössischer politischer Systeme dienen soll, kann dies auch zu verhängnisvollen praktischen Fehlbeurteilungen beitragen. Deshalb hat der Rechtfertigungsversuch dieser Begriffsstruktur nur begrenzte Gültigkeit, der die politische Wertbezogenheit des Totalitarismus-Begriffs auf eine pädagogische Verpflichtung der Wissenschaft zur Berücksichtigung demokratischer Werte begründen will.

Zweifellos ließe sich eine derartige Verpflichtung zur kritischen Selbstaufklärung der Demokratie begründen, von der im Zusammenhang mit der Kritik des Totalitarismus-Begriffs auch H. J. Lieber spricht die Einlösung dieser Verpflichtung läßt sich jedoch nur schwer ermessen. Jedoch läßt sich nachweisen, daß der Begriff des Totalitarismus metatheoretische Voraussetzungen enthält, nach denen er sich in seinen Definitionen an Wert-und Ordnungsvorstellungen liberal-demokratischer Staatsverfassung orientiert. Den Kriterien der totalitären Herrschaftsund Gesellschaftsordnung liegt ein Gegenmodell demokratischer Herrschaftsund Gesellschaftsordnung zu-gründe, das selbst nicht weiter einer kritischen Überprüfung anhand der tatsächlichen Verwirklichung in konkreten Gesellschaften unterworfen ist. Zurecht kritisiert Ludz eine solche ungeprüfte Übernahme von „Leitbildern aus vorindustriellen Gesellschaftsordnungen" bei der Entwicklung der analytischen Kriterien, aus denen sich die Begriffsdefinition des Totalitarismus zusammensetzt Das Verfahren, zur Bestimmung der charakteristischen Merkmale totalitärer Herrschaft im Vergleich zu demokratischer „an den Wert-und Ordnungsvorstellungen der ursprünglichen Konzeption des bürgerlich-parlamentarischen Rechtsstaates gewissermaßen , Abschreibungen'vorzunehmen, diese Vorstellungen zu relativieren und durch eine Uminterpretation an die neuen Verhältnisse der Massengesellschaft anzupassen" m), dient sicherlich nicht der unverfälschten Erkenntnis dieser Herrschaftssysteme.

Bei diesen sehr weitgehenden Folgerungen aus der unbestreitbaren politisch-analytischen Doppelfunktion des traditionellen Totalitarismus-Begriffs muß allerdings die schon angeführte unterschiedliche Erwartung in bezug auf diesen Begriff in Erinnerung gebracht werden. Will man mit einem Begriff des Totalitarismus ebenso wie mit einem allgemeinen Modellbegriff von Demokratie, der seinerseits in einem noch sehr unzulänglich reflektierten problematischen Verhältnis zu den gegebenen Bedingungen und Möglichkeiten seiner Realisierung steht, in erster Linie einige charakteristische Züge politischer Herrschaft bezeichnen, die dann in konkreten Herrschafts-und Gesellschaftssystemen in einem beliebigen Grad verwirklicht sein mögen, dann kann seine didaktische Brauchbarkeit noch in Frage stehen. Will jedoch die Analyse von Herrschafts-und Gesellschaftssystemen, hier also sozialistischer Systeme, ein angemessenes Bild seiner aus dem Konflikt von ideologischen, politischen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, Bedingungen, Möglichkeiten sowie Zielsetzungen entwickelten Struktur-und Funktionszusammenhänge bekommen, so ist ein solcherart strukturierter Totalitarismus-Begriff für sie in Frage gestellt. Das läßt sich noch von einem anderen Gesichtspunkt her verdeutlichen, wenn die Erörterung den methodischen Ansatz dieser Begriffsbildung einbezieht.

/3. Der methodische Ansatz der Begriffsbildung Mit der Erörterung des methodischen Ansatzes; der der Bildung des Totalitarismus-Begriffs zugrunde liegt, werden notwendig auch wieder Fragestellungen ausgenommen, die im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Stellung dieses Begriffs im Schema der Staatsformenlehre noch offenbleiben mußten Es wird schwer zu leugnen sein, daß die Totalitarismus-Forschung ihre Erfolge vornehmlich dieser methodischen Anlage ihrer Begriffs-bildung zu verdanken hat. Immerhin gelang es ihr in knapp drei Jahrzehnten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Phänomenen des italienischen Faschismus, des deutschen Nationalsozialismus sowie des sowjetischen Bolschewismus, deren Beschreibung und Erklärung unter allgemeine Kategorien zu bringen und ein Begriffssystem zu entwickeln, das zu einem einheitlichen Verständnis in den Aufbau und die Praxis dieser Herrschaftssysteme führte.

Der methodische Ansatz der allgemeinen Totalitarismus-Theorie, von der hier zuletzt ausgegangen wurde als der bestimmenden Ausprägung des Totalitarismus-Begriffs, ist schon in den frühesten Stadien der Begriffs-entwicklung angelegt. Es genügt hier zunächst, zwei Aspekte dieses Ansatzes hervorzuheben und in dieser Entwicklung zurückzuverfolgen: die komparative und die strukturelle Blickrichtung. Die im ersten Abschnitt dargestellten Untersuchungen des Faschismus-Nationalsozialismus und Bolschewismus bieten hinreichend Beispiele für diese Auffassung.

Schon Nitti stellt die faschistische und bolschewistische Bewegung in einen gemeinsamen Gegensatz zur Demokratie und ihren Verfassungswerten und kennzeichnet sie als revolutionäre Systeme, in denen Minderheiten ihre absolute Gewalt ausüben. Bei Beckerath ist die vergleichende Strukturanalyse von Faschismus und Bolschewismus schon ein reflektierter

Untersuchungsansatz, nach dem er . Gleichförmigkeiten'der . typischen Strukturelemente'feststellen will, nämlich: strukturelle Gemeinsamkeiten des faschistischen und bolschewistischen Systems hinsichtlich ihres revolutionären Ursprungs, ihres Herrschaftsaufbaus und der Funktion ihrer Parteien und Ideologien.

Turati, Heller und Franz L. Neumann können trotz gradueller Unterschiede, vor allem nämlich zunehmender Systematisierung, zusammen betrachtet werden. Bei ihren Untersuchungen des italienischen Faschismus bzw.deutschen Nationalsozialismus verfolgen sie eine strukturanalytische Betrachtungsweise. Das Ergebnis ist eine Beschreibung grundlegender Strukturelemente, auf die sich ihrer Auffassung zufolge die analytische Bestimmung der jeweiligen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme reduzieren lasse. Sigmund Neumann schließlich verbindet diesen strukturanalytischen mit dem komparativen Aspekt und formuliert eine Anzahl von . basic patterns'der modernen Diktatur, auf die er sein Deutungsmodell typischer Elemente des Faschismus-Nationalsozialismus und Bolschewismus, das Modell der permanenten Revolution'innerhalb dieser Herrschaftsform, aufbaut.

Dieser Ansatz wird in den Theorien von Arendt und Friedrich als bewußte Untersuchungsmethode durchreflektiert und fortentwickelt. Sie untersuchen ihren Gegenstand, das faschistische, nationalsozialistische und das bolschewistische Regime, unter dem vergleichenden Aspekt, allgemeine „Gleichförmigkeiten von Struktur, Institutionen und Prozessen der Herrschaft" in diesen einzelnen Systemen herauszuarbeiten. Um in dieser Betrachtungsweise das allgemeine Wesen totalitärer Herrschaft zu beschreiben, reduzieren sie die Vielfalt der historisch-politischen Elemente der individuellen Erscheinungsformen dieser Regime auf einige Faktoren, die allen Ausprägungen totalitärer Herrschaft gemeinsam sind. Diese Faktoren legen sie als typische Wesensmerkmale ihrer Theorie des Totalitarismus zugrunde, mit der diese besondere Form der Herrschaft begrifflich abgegrenzt wird von anderen Herrschaftstypen. Das Ergebnis dieser Totalitarismus-Forschung, die Deutung des Faschismus-Nationalsozialismus wie Bolschewismus als einheitliches Phänomen totalitärer Herrschaft und die systematische Definierung dieser Erscheinungsform politischer Herrschaft anhand einiger allgemeiner typischer Merkmale, erweist sich also nach diesem knappen Rückblick auf die Entwicklung ihres methodischen Ansatzes als eine Konsequenz der analytischen Blickrichtung, die den Untersuchungen dieses Materials zugrunde gelegt wurde. Der Begriff des Totalitarismus, der sich aus diesem methodischen Verfahren ergeben hat, kann nun genauer bestimmt werden. Es dürfte aus den bisherigen Erörterungen deutlich geworden sein, daß es sich hierbei um einen . idealtypischen'Begriff handelt, wie er in den Sozialwissenschaften eingeführt ist. Diese idealtypische Konstitution des Totalitarismus-Begriffs ist ein entscheidender Angriffspunkt in der vorgestellten kritischen Diskussion der Totalitarismus-Forschung gewesen.

Nach Max Weber, der den Idealtypus’ in vorbildlicher Weise definiert und für die Analyse verwendbar gemacht hat ist die Bildung idealtypischer Begriffe ein Instrument, das in der sozialwissenschaftlichen Forschung heuristisch wie für die Darstellung unentbehrlich sein kann, weil er das „Zurechnungsurteil" schult: „er ist keine . Hypothese', aber er will der Hypothesenbildung die Richtung weisen. Er ist nicht eine Darstellung des Wirklichen, aber er will der Darstellung eindeutige Ausdrucksmittel verleihen." Wie wird nun ein solcher Begriff gebildet? „Er wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte (de Untersuchungsgegenstandes, d. Vers.) und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankengebilde nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht . . . Ein Idealtypus in unserem Sinne ist . . . etwas gegenüber der wertenden Beurteilung völlig Indifferentes, er hat mit irgendeiner anderen als einer rein logischen . Vollkommenheit'nichts zu tun.“

Es kann nun kurz erläutert werden, inwiefern die Bildung des Totalitarismus-Begriffs mit dieser Bestimmung idealtypischer Begriffsbildung übereinstimmt. Die hier im einzelnen behandelten Beispiele der Totalitarismus-Theorie gehen ihr Material mit der Konzeption an, daß die Formulierung eines Typs der totalitären Herrschaft möglich sei. Aus den gegebenen Erscheinungsformen faschistischer, nationalsozialistischer und bolschewistischer Herrschaft greifen sie einzelne Faktoren heraus, die sie in allen Herrschaftssystemen in ähnlicher Weise vorzufinden glauben: die Ideologie, die monopolistische Partei, das hierarchische Führerprinzip, den gelenkten Terror. Diese gemeinsamen Faktoren aus dem historischen Erfahrungsmaterial definieren sie als allgemeine Merkmale totalitärer Herrschaft: das Auftreten solcher Merkmale in einem konkreten Herrschafts-und Gesellschaftssystem erlaubt es danach, dieses System als eine Erscheinungsform des Totalitarismus zu begreifen. Der idealtypische Begriff des Totalitarismus ist in der besonders ausgeprägten Form bei Friedrich bestimmt durch den Zusammenhang der sechs Faktoren „eine Ideologie, eine Partei, eine terroristische Geheimpolizei, ein Nachrichtenmonopol, ein Waffenmonopol und eine zentral gelenkte Wirtschaft" Sie konstituieren den Typus der totalitären Diktatur, der begrifflich unterschieden wird von anderen Herrschaftstypen.

In der Deutung des Totalitarismus-Begriffs bei Arendt und Friedrich, zu der auch noch Draths Umformulierung zum Primärphänomen des Totalitarismus hinzugenommen werden kann, als einem idealtypischen Begriff ergeben sich jedoch Schwierigkeiten, die zu den vorher erörterten Problemen infolge der Doppelfunktion dieser Begriffsbildung hinzutreten. Mit diesem Begriff des Totalitarismus wird nämlich der doppelte Anspruch erhoben, er sei eine zureichende empirische Theorie der konkreten politischen Systeme Italiens, Deutschlands und Rußlands sowie zugleich die übertragbare allgemeine Kennzeichnung des Typs totalitärer Herrschaft. Wie wir gesehen haben, war dieser Anspruch ein entscheidender Ansatzpunkt für die Kritik am traditionellen Totalitarismus-Begriff. Zum einen setzte er sich damit nämlich der Möglichkeit aus, von der Entwicklung in der Erforschung des Faschismus und Bolschewismus korrigiert zu werden, da er deren historisch-empirische Fundierung noch gar nicht haben konnte Zum anderen aber überschritt er damit die Möglichkeiten eines Idealtypus, der nur eine rationale Begriffskonstruktion leisten kann, die der Hypothesenbildung über das konkrete historische Material die Richtung weist, selber aber keine empirische Hypothese ist.

Dieser Anspruch machte also die Rezeption des Totalitarismus-Begriffs so problematisch, weil er ihn der erfahrungswissenschaftlich üblichen Falsifizierung durch empirische Über-prüfung an dem Gegenstand, an dem er gewonnen worden war, gleichzeitig aussetzte und wieder entzog. In dieser ersten Hinsicht mußte er sich Differenzierungen seines historischen Urteils über den Faschismus-Nationalsozialismus und die sozialistischen Systeme gefallen lassen, zumal aufgrund der verstärkt einsetzenden Analysen der Entwicklung der sozialistischen Herrschaftsund Gesellschaftssysteme. In der anderen Hinsicht schließlich begründete er das Urteil, daß noch keine ausgereifte endgültige idealtypische Definition des Totalitarismus erarbeitet sei. Das macht die Begrenzung auf empirisch besser überprüfbare Theorien mittlerer Reichweite und die Zurückhaltung vor der Bildung idealtypischer Klassifikationen verständlich. Vornehmlich bei der Untersuchung sozialistischer Regime wirkt sich diese Tendenz aus, und ihr Hauptargument ist die analytische Begrenztheit des traditionellen allgemeinen Totalitarismus-Begriffs. 4. Analytische Grenzen eines allgemeinen Totalitarismus-Begriffs Der idealtypisch gebildete allgemeine Totalitarismus-Begriff stützt seine Bestimmung der totalitären Herrschaft auf bestimmte Faktoren dieser Herrschaftssysteme, die er als die typischen Grundmerkmale totalitärer Herrschaft versteht. Aus der Darstellung der Wandlungen des Begriffs ist deutlich geworden, daß vor allem auch der begrenzte Gesichtspunkt bei der Auswahl der maßgeblichen Faktoren kritisiert wurde. Die dabei verfolgte strukturanalytische Betrachtungsweise erfaßt nämlich nur Elemente der Herrschaftsstruktur und Herrschaftstechnik dieser Regime, die auch nur ein formales Bild der einzelnen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme zu zeichnen erlauben. Die bekannten Merkmale wie Ideologie, Monopolpartei, zentralisierter Herrschaftsaufbau etc. werden nur unter dem Aspekt in Anspruch genommen, daß sie im Wirkungszusammenhang der einzelnen Systeme erkennbar sind und demzufolge eine formale gemeinsame Bestimmung all dieser Systeme zulassen. Bei dieser Feststellung der Gleichartigkeit bestimmter Struktur-und Funktionselemente der einzelnen Herrschaftsund Gesellschaftssysteme wird bewußt von allen individuellen Bezügen, in denen sie stehen, abgesehen.

Dieses analytische Verfahren läßt es also nicht zu, die besonderen Zusammenhänge zu berücksichtigen, in denen die verschiedenen Elemente innerhalb der einzelnen politisch-sozialen Systeme jeweils stehen, also die spezifischen Bezüge dieser Faktoren aus der historischen Entwicklung, der sozioökonomischen Struktur, der sozialen Funktion und politischen Zielsetzung dieser Einzelsysteme. Bei der in Frage stehenden formalen Zurechnung dieser Faktoren zu einem Strukturmodell totalitärer Herrschaft geht die Gewichtung des Stellenwertes verloren, den sie im Zusammenwirken mit den anderen Elementen in ihrem politisch-sozialen Wirkungszusammenhang haben. Denn Elemente wie Ideologie und Partei haben etwa im Nationalsozialismus und in sozialistischen Regimen sehr verschiedene Dimensionen, die in keiner Weise bei einer formalen Reduktion auf die Gemeinsamkeit, daß sie in beiden Systemen eine Funktion haben, in Betracht gezogen werden können. Eine solche Beschränkung auf den formalen Aspekt von Struktur und Technik der Herrschaft reicht dieser kritischen Auffassung zufolge überhaupt nicht aus, um einen angemessenen Begriff des Totalitarismus zu begründen. Hier deckt sich dieses Urteil mit dem vorher wiedergegebenen, daß von einer ausgereiften idealtypischen Definition des Totalitarismus nicht die Rede sein könne. Die Kritik an der analytischen Begrenztheit des traditionellen Totalitarismus-Begriffs, nimmt man ihn als eine empirische Theorie der konkreten Herrschaftsund Gesellschaftssysteme faschistisch-nationalsozialistischer und sozialistischer Prägung, richtet sich jedoch noch tiefer auf die analytische Konzeption. Es wird das umfassendere Argument herangezogen, daß die struktur-funktionale, statische Gesellschaftskonzeption, wie sie den Analysen der traditionellen Totalitarismus-Forschung zugrunde liege, unzureichend sei, auch die dynamischen Aspekte politischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme angemessen zu analysieren. In der Einschränkung auf die Erforschung der sozialistischen Systeme konkretisiert sich das in dem Vorwurf, sie sei nicht hinreichend in der Lage, über die bloße Herrschaftsstruktur hinaus interne Entwicklungsvorgänge aus dem dynamischen Gesamtzusammenhang der vielfältigen systemrelevanten Faktoren analytisch zu erfassen und demzufolge begrifflich darzustellen.

Mit dem traditionellen Totalitarismus-Begriff werden diese Regime nämlich als ein politisch-sozialer Struktur-und Funktionszusammen-hang gedeutet, der durchgängig integriert ist. Die besondere totalitäre Qualität dieser Herrschaftssysteme ergibt sich gerade aus der Deutung als ein politisch-soziales System, das unter dem umfassenden Zwang der herrschenden Partei alle politischen und Sozialvollzüge seiner Einzelbereiche an den vom System gesetzten Normen ausrichtet. Daraus folgt die Auffassung, daß sich die totalitäre Herrschaftsund Gesellschaftsstruktur im Systemvollzug ständig selbst stabilisiert, also aus sich selbst heraus nicht veränderlich ist, allenfalls durch eine von außerhalb des Systems herangetragene revolutionäre gewaltsame Umwälzung, die aber wegen der Machtmittel des Systems faktisch unmöglich ist. So können bei dieser Deutung graduelle Funktionsveränderungen einzelner Grundelemente des totalitären Systems, etwa der Ideologie oder der Kontrollmechanismen (Terror), unberücksichtigt bleiben, soweit dadurch das Strukturgefüge des Systems, das in den formalen Kriterien der Grundmerkmale totalitärer Herrschaft zum Ausdruck gebracht ist, nicht betroffen wird.

Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts, der sich vornehmlich aus der Analyse sozialistischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme ergibt, sei hier nur auf die Beispiele verwiesen, die B. Meissner und R. Loewenthal bieten Beide halten an der Interpretation sozialistischer Systeme mit dem Totalitarismus-Begriff fest, weil nach ihrer Auffassung die mit diesem Begriff bezeichnete totalitäre Grundstruktur fortbesteht, obwohl sie bei der empirischen Analyse Prozesse des sozialen Wandels und des sozialen Konflikts, also Wandlungstendenzen aus der innergesellschaftlichen sozialen Eigengesetzlichkeit des Systems heraus, feststellen. Die zugrunde gelegte analytische Konzeption läßt jedoch eine Berücksichtigung dieser Aspekte bei der Deutung des Gesamtsystems nicht zu.

Diese Überlegungen zeigen, daß der traditionelle allgemeine Totalitarismus-Begriff der Untersuchung politischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme bestimmte Grenzen setzt. Er wurde gebildet zur Beschreibung und Erklärung der strukturellen und funktionalen Grundzüge totalitärer Herrschaft in ihrem Unterschied zu anderen, vor allem traditionellen autoritären und demokratischen, Herrschaftssystemen als eine allgemeine Deutung der faschistisch-nationalsozialistischen und bolschewistischen Regime. Die kritische Analyse der Struktur und methodischen Anlage dieses Begriffs konfrontierte seinen Anspruch allerdings mit der hier deutlich gewordenen Grenze seiner analytischen Möglichkeiten: der angemessenen Berücksichtigung dynamischer Aspekte dieser Herrschafts-und Gesellschafts-Systeme neben der formalen von Herrschaftsstruktur und -technik. Wie die Darstellung der Wandlungen des Totalitarismus-Begriffs vor Augen geführt hat, kommt es deshalb zur Entwicklung von Forschungsansätzen, die eine neue analytische Perspektive verfolgen.

Diese Entwicklung vollzieht sich vor allem im Bereich der Sozialismus-Forschung, wofür wiederum die Untersuchungen des Herrschaftsund Gesellschaftssystems der DDR von Lutz als Beispiel stehen können Ihnen liegt eine differenzierte Konzeption zugrunde, die Erscheinungen der Stabilität einer Gesellschaft in ihrem strukturellen und institutionellen Aufbau wie auch ihren internen politischen und sozialen Veränderungserscheinungen analytisch gerecht zu werden versucht. Unter dem Gesichtspunkt, daß nach der systemimmanenten Zielvorstellung und auch faktisch industrie-gesellschaftlich bestimmte Organisationsund Gesellschaftsformen in einem sozialistisch verfaßten Regime entwickelt werden, untersucht Ludz Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der herrschenden Parteielite in der DDR und erhält damit auch Ansatzpunkte für die Beschreibung des Gesamtsystems der DDR. Diese mehrdimensional angelegte empirische Analyse erbringt guantifizierte Kriterien für das Urteil, daß das Herrschafts-und Gesellschaftssystem unter den gegebenen Bedingun-den der Industriegesellschaft Züge entwickelt hat, die sich nicht mehr als . totalitär'bezeichnen lassen.

An diesem Beispiel wird auch deutlich, in welcher Weise die intendierte Allgemeinheit des traditionellen Totalitarismus-Begriffs aufgelöst ist. Galt er zunächst als umfassende Deutung des allgemeinen Wesens totalitärer Herrschaft, so bleibt er am Ende der hier behandelten Phase seiner kritischen Rezeption in der Wissenschaft als ein historischer Begriff zurück. In dieser Auffassung des Totalitarismus-Begriffs als historischer Begriff ist die heuristische Bedeutung anerkannt, die er für die Erkenntnis allgemeiner Struktur-und Funktionselemente historisch abgrenzbarer Phänomene wie des italienischen Faschismus, des deutschen Nationalsozialismus und der stalinistischen Ausprägung des Bolschewismus hat. Darin drückt sich aber gleichermaßen aus, was die Erörterungen der kritischen Aspekte dieses Begriffs ergeben haben: seine fragwürdige Struktur infolge seines polemischen Akzents, die analytische Begrenztheit seines methodischen Ansatzes, die Unzulänglichkeit seiner Definition als idealtypischer Begriff. Es bleibt die Frage offen, welche Rolle ein solcher Begriff in einer Typologie politischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme haben kann.

VI. Probleme der Typologie politischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme

Die Erörterung des Totalitarismus-Begriffs ist mit dieser Fragestellung in einen größeren Problemkreis gestellt, von dem die bisherigen Überlegungen immer schon beeinflußt wurden. Es ist die über den hier gegebenen Anlaß der Analyse des Totalitarismus-Begriffs hinausgehende Problematik der angemessenen Typologie politischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme, in die aber die Beurteilung dieser Begriffsbildung einbezogen werden muß. In einer gewissen Vereinfachung lassen sich zwei Positionen unterscheiden, wie eine Lösung dieser Fragen auszusehen habe: eine traditionalistische und eine progressive. Beide Positionen sind auch schon in der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus-Begriff zum Ausdruck gekommen. Die eine Position wird gekennzeichnet durch ihren Bezug auf die traditionelle Staatsformen-lehre, deren Umrisse vorher schon kurz vergegenwärtigt worden sind. Eine Lösung der der Wissenschaft gestellten Aufgabe, die konkreten historischen Erscheinungsformen politischer Herrschaftsund Gesellschaftssysteme rational überschaubar zu machen und einer geB ordneten Erkenntnis aufzuschließen, erwartet sie von der Bildung idealtypischer Begriffe zur Bezeichnung von Herrschaftstypen. Die empirischen Erscheinungsformen politischer Systeme sollen danach in ein übersichtliches Schema allgemeiner Begriffe eingeordnet werden. Diese Typenbegriffe sollen als eine logische Abstraktion, als rationales Gedanken-gebilde, die wesentliche Züge der unterschiedlichen Formen politischer Systeme wiedergeben und auf diese Weise als ein Orientierungsmittel für die empirische Analyse der einzelnen, jeweils historisch-individuellen Herrschafts-und Gesellschaftssysteme fungieren. Die allgemeinen Begriffe einer solchen Typologie der Herrschaftsformen werden also primär gesehen in ihrer heuristischen Funktion für die Untersuchung realer politischer Systeme und ihrer didaktischen Funktion für die Übersichtlichkeit ihrer begrifflichen Einordnung. Im Ergebnis führt dies zur Formulierung von Klassifikationsschemata, deren typologisches Begriffssystem abhängig ist von den zugrunde gelegten Kriterien der Typenbildung. Die in der Literatur vertretenen zahlreichen untereinander differierenden Typologien politischer Ordnungsformen brauchen hier nicht verfolgt zu werden, es genügt der Hinweis auf die nach dieser Position gebräuchliche typologische Unterscheidung in demokratisch-rechtsstaatliche, autoritäre und diktatorisch-totalitäre Regime

Die andere Position, die hier unterschieden werden soll, geht von ganz anderen Überlegungen aus und stellt andere Erwartungen an eine solche Typologie politischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme. Von entscheidender Bedeutung dafür sind die Probleme, die sich hinsichtlich der begrifflichen Bestimmung konkreter politischer Regime stellen. Eine exakte Bestimmung eines solchen Systems verlangte nämlich die Berücksichtigung so vielfältiger Faktoren und Zusammenhänge, daß ein Klassifikationsschema der beschriebenen Art überfordert wäre, wollte es alle denkbaren graduellen Abstufungen aufnehmen. Diese Auffassung zielt aber darauf ab, C en ungeheuer großen Entscheidungsspielraum einzuengen und kontrollierbar zu machen, den allgemeine Klassifikationsschemata wegen der für ihre Typenbildung notwendigen hohen Abstraktion ihrer Begriffe haben. Diese Kontrolle soll dadurch erreicht werden, daß die Begriffe weitgehend operationalisiert und quantifiziert werden, beides sozialwissenschaftliche Verfahren, die nun in den bisher geistes-

wissenschaftlich bestimmten Bereich der politischen Theorie eingebracht werden. Danach werden verschiedene Merkmalreihen, die sich auf die Strukturen und sozialen Prozesse der politisch-gesellschaftlichen Systeme beziehen, aufgestellt und in sich quantitativ abgestuft. Sie geben somit nicht verallgemeinerte Grundelemente der Herrschafts-und Gellschaftssysteme wieder, sondern machen quantifizierte Angaben über das Auftreten dieser Faktoren in den verschiedenen Regimen. Das Schema der allgemeinen Herrschaftstypen differenziert sich dadurch zu einem Begriffs-Kontinuum, dessen variable Merkmale tendenziell mit fortschreitender empirischer Kenntnis über die Erscheinungsformen politisch-sozialer Systeme immer komplexer werden. Ein Beispiel dafür hat in unserem Zusammenhang schon der typologische Ansatz von A. G. Meyer gebracht, auf den sich auch die Begriffsbildung von Ludz stützt

Die hier gekennzeichneten Positionen sind freilich zugespitzte Ansätze, auf dem Weg wissenschaftlicher Analyse und Begriffsbildung zu einer gesicherten wissenschaftlichen Kenntnis über die Erscheinungsformen politisch-gesellschaftlicher Ordnung zu gelangen, die stets eine Leistung der abstrahierenden Rationalisierung der gegebenen phänomenalen Vielfalt ist. Dem Vorzug der didaktischen Überschaubarkeit von idealtypischen Begriffen zur allgemeinen Bestimmung klar abgrenzbarer Typen politischer Herrschaft steht die Möglich-keit gegenüber, sich der Komplexität moderner Gesellschaften und ihrer politischen Ordnung durch differenziertere Begriffssysteme anzunähern. Die Erörterung des Totalitarismus-Begriffs und seiner Aspekte zeigte ihn in diese Spannung aus den unterschiedlichen Erwartungen an die Begriffsbildung gestellt. Danach bleibt für den Begriff des Totalitarismus nur die Alternative, in einer differenzierten Begriffssystematik politischer Herrschafts-und Gesellschaftssysteme aufzugehen als eine — freilich analytisch noch unzulängliche — Markierung eines historischen Entwicklungsstandes solcher Herrschaftsformen; oder aber auf den Ansätzen der traditionellen Begriffsbildung weiterentwickelt zu werden zu einem Idealtypus totalitärer Herrschaft, der, aus den Beschränkungen auf ein bestimmtes historisches Erfahrungsmaterial gelöst, die Kenntnis . totalitärer'Züge in politischen Regimen mit unterschiedlichem Selbstverständnis erleichtern kann.

In jedem Fall ist es unerläßlich, daß sich eine kritische Wissenschaft, die mit derartigen Begriffen operiert, aber ebenso eine Öffentlichkeit, die sie in ihren Sprachgebrauch übernimmt, von traditionellen Vorstellungen über die Gesellschaft und ihr politisches System löst. In einer Entwicklungsphase, in der die sozialen und ökonomischen Interdependenzen in allen Gesellschaften größer und die Steuerungsund Kontrollmöglichkeiten als Konseguenz der fortschreitenden Technisierung und Organisierung des Sozialsystems durch Verwaltung und Planung seiner Abläufe komplexer werden, in einer solchen Situation erscheint es wissenschaftlich als unangemessen und politisch als Romantisierung, ein verläßliches Urteil über die politische Herrschaftsform einer Gesellschaft nur aus der Berücksichtigung einiger Institutionen der Gesellschaftsstruktur und Verfassungsform ableiten zu wollen. . Totalitäre'Züge müssen angesichts dieser umfassenden Wirkungszusammenhänge in hochindustrialisierten Gesellschaften, die das Sozialverhalten des Menschen bestimmen, keineswegs ausgeschlossen sein in Herrschaftsund Gesellschaftssystemen, die traditionell als demokratisch verfaßt gelten. Gleichermaßen darf durch ein traditionelles politisches Bewußtsein nicht der Blick auf Veränderungen in einem politischen System verstellt werden, welche die Mitbestimmung des Menschen über sein Sozial-verhalten berühren, ohne sich demonstrativ in Institutionen des Herrschaftsund Gesellschaftssystems auszudrücken. Einer „Totalitarismus-Forschung" kommen in diesem Sinn sicherlich erhebliche Aufgaben zu.

Anhang: Auswahlbibliographie zur Totalitarismus-Forschung

Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, (dt.) Frankfurt (1955)

— Elemente totaler Herrschaft, Frankfurt (1958)

Aron, R., Demokratie und Totalitarismus, (dt.) Hamburg (1970)

Brzezinski, Zbignew K., Totalitarianism and Rationality, in: Ders., Ideologie and Power in Soviet Politics, London (1962)

Buchheim, Hans, Totalitäre Herrschaft. Wesen und Merkmale, München (21962)

Drath, Martin, Totalitarismus in der Volksdemokratie. Einleitung zu Ernst Richert, Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Köln-Opladen (21963)

Friedrich, Carl J., Brzezinski, Z. K., Totalitäre Diktatur, Stuttgart (1957)

— Totalitarian Dictatorship and Autocracy, Second Edition, revised by C. J.

Friedrich, Cambridge (1965)

— Totalitarianism. Proceedings of a Conference Held at the American Academy of Arts and Sciences, Cambridge (1954)

Greiffenhagen, Martin, Der Totalitarismusbegriff in der Regimenlehre, in: PVS 3 (1968)

Henning, E., Zur Dialektik von Pluralismus und Totalitarismus, in: Der Staat, Bd. 7 (1968)

Hildebrand, Klaus, Stufen der Totalitarismusforschung, in: PVS 3 (1968)

Inkeies, A., Soziologie und Sowjetforschung, in: Moderne Welt 2 (1966)

Leibholz, Gerhard, Das Phänomen des totalen Staates, in: Ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe (1958)

Ludz, Peter Ch., Entwurf einer soziologischen Theorie totalitär verfaßter Gesellschaft, in: Ders. (ed.), Soziologie der DDR. Studien und Materialien zur Soziologie der DDR. Sonderheft 8 des KZfS, Köln-Opladen (1964)

— Offene Fragen in der Totalitarismusforschung, in: PVS 2 (1961)

— Parteielite im Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-Führung, Köln-Opladen (1968)

Loewenthal, Richard, Totalitäre und demokratische Revolution, in: Der Monat 13 (1960) Moore, Barrington, Totalitäre Elemente in vorindustriellen Gesellschaften, in:

Ders., Zur Geschichte der politischen Gewalt, Frankfurt (1966)

Neumann, Franz L., Notizen zur Theorie der Diktatur, in: Ders., Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt (1967)

Neumann, Sigmund, Permanent Revolution. Totalitarianism in the Age of International Civil War, London (21956)

Schulz, Gerhard, Der Begriff des Totalitarismus und des Nationalsozialismus, in:

Soziale Welt 12 (1961)

Seidel, Bruno, S. Jenkner (ed.), Wege der Totalitarismus-Forschung, Darmstadt (1968)

Stammer, Otto, Aspekte der Totalitarismusforschung, in: Ders., Politische Soziologie und Demokratieforschung, Berlin (1965)

Talmon, J. L., Die Ursprünge der totalitären Demokratie, Köln-Opladen (1961)

Wittfogel, K A., Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung politischer Macht, Köln (1963)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Francesco Nitti, Bolschewismus, Fascismus und Demokratie, München 1926.

  2. Erwin v. Beckerath, Wesen und Werden des fascistischen Staates, Berlin 1927; ders., Fascismus und Bolschewismus, in: Volk und Reich der Deutschen, 3. Bd., Berlin 1929.

  3. Filippo Turati, Fascismo, socialismo e democra-zia (1928), in: A. Schiavi, Esilio e morte di Filippo Turati, Roma 1956, S. 122— 137, dt. Übersetzung in: E. Nolte (Hrsg.), Theorien über den Faschismus, Köln—Berlin 1967, S. 143 ff.

  4. Hermann Heller, Europa und der Fascismus, Berlin-Leipzig 1929.

  5. Franz L. Neumann, Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism 1933— 1944, New York 1963 (Nachdruck der 2. Ausl. v. 1944).

  6. Sigmund Neumann, Permanent Revolution. To-talitarianism in the Age of International Civil War, London 19562.

  7. F. Nitti, Bolschewismus a. a. O., S. 10 f.

  8. Nitti, S. 22 f., vgl. auch S. 58.

  9. Nitti, S. 28 f.

  10. Nitti, S. 34.

  11. Nitti, S. 36.

  12. Nitti, S. 53.

  13. Nitti, S. 50.

  14. Nitti, S. 54.

  15. Nitti, S. 54.

  16. Nitti, S. 81 ff.

  17. Beckerath, Wesen und Werden des fascistischen Staates (s. o. Anm. 2).

  18. Beckerath, Wesen, a. a. O., S. 24.

  19. Beckerath, Wesen, a. a. O., S. 143.

  20. Beckerath, Wesen, a. a. O., S. 146 f.

  21. Beckerath, Wesen, a. a. O., S. 149.

  22. Vgl. dazu Beckerath, Wesen, a. a. O., S. 154.

  23. Beckerath, Fascismus, a. a. O., S. 134.

  24. Ebenda.

  25. Vgl. Beckerath, Fascismus, a. a. O., S. 135.

  26. Vgl. ebenda, S. 142 ff.

  27. Vgl. ebenda, S. 136, 151.

  28. Vgl. oben Anm. 3.

  29. Vgl. oben Anm. 4.

  30. Vgl. oben Anm. 5.

  31. Turati, Faschismus, a. a. O., S. 148 f.

  32. Ebenda.

  33. Turati, Faschismus, a. a. O., S. 150.

  34. Ebenda.

  35. Ebenda.

  36. Turati, Faschismus, a. a. O., S. 150.

  37. Heller, Europa, a. a. O., S. 42 f.

  38. Heller, S. 56.

  39. Heller, S. 64.

  40. Heller, S. 96.

  41. Heller, S. 98 ff.

  42. Heller, S. 101.

  43. Heller, S. 123.

  44. Ebenda.

  45. Ebenda.

  46. Vgl. oben Anm. 5.

  47. F. L. Neumann, Behemoth, a. a. O., S. 37 ff.

  48. Ebenda, S. 48 ff.

  49. Ebenda, S. 65 ff. et passim.

  50. Ebenda, S. 83 ff.

  51. Ebenda, S. 98 ff. et passim.

  52. Ebenda, S. 187 et passim.

  53. Ebenda, S. 222.

  54. Ebenda, S. 261.

  55. Ebenda, S. 254 ff.

  56. Ebenda, S. 354.

  57. Ebenda, S. 398.

  58. Ebenda, S. 400 ff.

  59. Ebenda, S. 470.

  60. Ebenda, S. VI.

  61. Vgl. oben Anm. 6.

  62. Vgl. S. Neumann, Permanent Revolution, a. a. O., S XI tf.

  63. Ebenda, S. XIII ff.

  64. Ebenda, S. XV.

  65. Ebenda, S. XIV f.

  66. Ebenda, S. 1 ff.

  67. Ebenda, S. 36 et passim.

  68. Ebenda, S. 43 ff. et passim.

  69. Ebenda, S. 104 ff et passim.

  70. Ebenda, S. 150 ff.

  71. Ebenda, S. 198 ff. et passim.

  72. New York 1951, dt. Frankfurt 1955.

  73. Arendt, Elemente, a. a. O., S. 726.

  74. Arendt, S. 724.

  75. Arendt, S. 727 ff.

  76. Arendt, S. 736.

  77. Arendt, S. 737 ff.

  78. Arendt, S. 745.

  79. Arendt, S. 492.

  80. Vgl. dazu Arendt, S. 492 ff.

  81. Arendt , S. 548 ff. et passim.

  82. Arendt, S. 544 ff.

  83. Arendt, S. 576 ff. et passim.

  84. Arendt, S. 582.

  85. Arendt, S. 626 ff. et passim.

  86. Ilierzu und zum Folgenden Arendt, S. 663 ff.

  87. Vgl. hierzu Arendt, S. 736 et passim.

  88. The Unique Character of Totalitarian Society, in: ders. (ed.), Proceedings of a Conference Held at the American Academy of Arts and Sciences March 1953, Cambridge 1954; ders. u. Z. K. Brzezinski, Totalitarian Dictatorship and Autocracy, Second Edition, revised by C. J. Friedrich, Cambridge 1965; dies., Totalitäre Diktatur, Stuttgart 1957.

  89. Friedrich, Totalitäre Diktatur, a. a. O., S. 15; vgl. auch Totalitarianism, a. a. O., S. 47. Im folgenden wird als abgekürzte Zitierweise verwandt: Friedrich I für „Totalitäre Diktatur", II für „Totalitarian Dictatorship", III für „ Totalitarianism".

  90. Fi edrich II, S. 19.

  91. Friedrich II, S. XI, vgl. ebenso Friedrich I, S. 7.

  92. Friedrich I, S. 19.

  93. Friedrich I, S. 21, II, S. 24.

  94. Friedrich II, S. 27.

  95. Vgl. hierzu Friedrich I, S. 19 ff.; II, S. 21 f.

  96. Friedrich II, S. 88 f.

  97. Friedrich I, S. 19 ff.; II, S. 51 ff.

  98. Friedrich I, S. 122 ff.

  99. Friedrich II, S. 22; I, S. 124.

  100. Friedrich I, S. 104 ff.

  101. Friedrich I, S. 161.

  102. Friedrich I, S. 173 ff.

  103. Friedrich I, S. 256 f.

  104. Friedrich II, S. VIII.

  105. A. R. L. Gurland, Einleitung zu: M. G. Lange, Totalitäre Erziehung, Frankfurt/M. 1954 (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft Bd. 3).

  106. Gurland, S. IX.

  107. Ebenda.

  108. Gurland, S. X.

  109. Ebenda.

  110. Martin Drath, Totalitarismus in der Volksdemokratie, Einleitung zu: Ernst Richert, Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Köln—Opladen 1963 (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft Bd. 11).

  111. Drath, Totalitarismus, S. IX f.

  112. Drath, S. XI.

  113. Drath, S. XIV f., besonders auch Anmerkungen 8 f.

  114. Drath, S. XVI.

  115. Drath, S. XVII.

  116. Drath, S. XXV et passim.

  117. Drath, S. XXVIII.

  118. K. D. Bracher, Voraussetzungen des nationalsozialistischen Aufstiegs. Einleitung zu: ders., Sauer, Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln Opladen 1970 (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft Bd. 14).

  119. Bracher, Voraussetzungen, S. 5, vgl. auch S. 3.

  120. Bracher, S. 8 f.

  121. Bracher, S. 13.

  122. Ebenda.

  123. Vgl. etwa P. Ch. Ludz, Offene Fragen in der Totalitarismusforschung, in: PVS 2 (1961), S. 322 f.

  124. H. Zimmermann, Probleme der Analyse bolschewistischer Systeme, in: Soziale Welt 12 (1961), S. 194; Ludz, Offene Fragen, a. a. O., S. 320.

  125. Vgl. hierzu neben Ludz, S. 321, vor allem auch G. Schulz, Der Begriff des Totalitarismus und des Nationalsozialismus, in: Soziale Welt 12 (1961), S. 116 f.; H. -J. Lieber, Aspekte totalitären Denkens, Berlin 1962, S. 4 f.; O. Stammer, Aspekte der Totalitarismusforschung, in: ders., Politische Soziologie und Demokratieforschung, Berlin 1965, S. 261.

  126. Stammer, Aspekte S. 261.

  127. Ludz, Offene Fragen S. 320.

  128. Stammer, Aspekte S. 262 f. und S. 272.

  129. Lieber, Aspekte, a. a. O., S. 5.

  130. Ludz, Offene Fragen, S. 328 f.

  131. Lieber, S. 5 f.

  132. Ludz, Totalitarismus oder Totalität?, in: Soziale Welt 12 (1961), S. 133 f.

  133. Ludz, Offene Fragen, S. 328.

  134. Ludz, Offene Fragen, S. 348.

  135. Vgl. etwa Ludz, Offene Fragen, S. 320, und Zimmermann, Probleme, a. a. O., S. 194.

  136. Ludz, Totalitarismus, S. 136 f.

  137. Zimmermann, Probleme, S. 198.

  138. Ludz, Offene Fragen, S. 324.

  139. Vgl. hierzu auch Stammer, Aspekte, S. 263 f. und 275 f.

  140. Ludz, Totalitarismus, S. 137 ff.; Zimmermann, Probleme, S. 199 ff.

  141. P. Ch. Ludz, Entwurf einer soziologischen Theorie totalitär verfaßter Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.), Soziologie der DDR. Studien und Materialien zur Soziologie der DDR, Sonderheft 8 der KZfS, Köln— Opladen 1964.

  142. Vgl. die Darstellung des . Primärphänomens'totalitärer Herrschaft von Drath hier unter III, 1.

  143. Vgl. hierzu R. Loewenthal, Totalitäre und demokratische Revolution, in: Der Monat, 13 (1960), H. 146, S. 29 ff.

  144. Ludz, Entwurf, a. a. O., S. 19 f.

  145. Ludz, Entwurf, S. 20.

  146. Ebenda.

  147. Ludz, Entwurf, S. 21.

  148. Ludz, Entwurf, S. 36.

  149. Ludz, Entwurf, S. 21.

  150. Arnold G. Meyer, The Soviet Political System. An Interpretation, New York 1965.

  151. Meyer, S. 470 f.

  152. R. Likert, New Patterns of Management, New York 1961.

  153. Meyer, Soviet, S. 243 et passim.

  154. Parteielite im Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-Führung. Eine empirisch-systematische Untersuchung, Köln—Opladen 1970 (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft Bd. 21).

  155. Vgl. zur Begründung dieses analytischen Ansatzes zur Erforschung sozialistischer Herrschaftssysteme die Ausführungen über Ludz'. Entwurf unter III, 2.

  156. Hierzu und zum Folgenden s. Ludz, Parteielite, S. 2 ff.

  157. Ludz, Parteielite, S. 3.

  158. Ludz, Parteielite, S. 4 f.

  159. E. v. Beckerath, Wesen und Werden des fasci-stischen Staates, a. a. O., S. 154.

  160. H. Heller, Europa und der Fascismus, a. a. O., S. 123.

  161. F. L. Neumann, Behemoth, a. a. O., S. VI.

  162. Vgl. etwa M. Drath, Totalitarismus, a. a. O., S. XXVII; ebenso, C. J. Friedrich, Totalitäre Diktatur, a. a. O., S. 15.

  163. Karl Loewenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959.

  164. Vgl. hierzu auch Martin Greiffenhagen, Der Totalitarismusbegriff in der Regimenlehre, in: PVS 3 (1968).

  165. Vgl. K. D. Bracher, Voraussetzungen des nationalsozialistischen Aufstiegs, a. a. O.

  166. Vgl. zur Begründung dieser Idee neben anderen (C. Schmitt, E. R. Huber) vor allem Ernst Forsthoff, Der totale Staat, Hamburg 1933.

  167. Vgl. zu diesem Zusammenhang die Literaturübersicht bei Gerhard Schulz, Der Begriff des Totalitarismus und der Nationalismus, in: Soziale Welt 12 (1961), S. 112 ff.

  168. Ernst Nolte, Vierzig Jahre Theorien über den Faschismus, Einleitung zu: ders. (Hrsg.), Theorien über den Faschismus, Köln-Berlin 1967, S. 15.

  169. F. Turati, Faschismus, a. a. O., S. 151.

  170. S. Neumann, Permanent Revolution, a. a. O., S. 310; Friedrich, Demokratie, Art. in: HDSW Bd. II, Göttingen 1959, S. 564.

  171. H. J. Lieber, Aspekte totalitären Denkens, a. a. O.

  172. P. Ch. Ludz, Parteielite im Wandel, a. a. O., S. 18.

  173. H. Zimmermann, Probleme der Analyse bolschewistischer Systeme, a. a. O., S. 195.

  174. Vgl. C. J. Friedrich, Totalitarian Dictatorship, a. a. O., S. 19.

  175. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 19683, S. 19Ü ff.

  176. C. J. Friedrich, Totalitäre Diktator, a. a. O., S. 19.

  177. Vgl. zur Illustration etwa die kritischen Auffassungen gegen eine durchgängige Deutung des Nationalsozialismus mit diesem Konzept, die referiert werden bei Martin Greiffenhagen, Der Totalitarismusbegriff in der Regimenlehre, a. a. O., Kap. VI.

  178. Boris Meissner, Der soziale Strukturwandel im bolschewistischen Rußland, in: ders. (Hrsg.), Sowjetgesellschaft im Wandel. Rußlands Weg zur Industriegesellschaft, Berlin 1966, bes. S. 107 ff., R. Loewenthal, Von der gelenkten Revolution von oben zur spontanen Evolution von unten, in: ders. u. B. Meissner (Hrsg.), Sowjetische Innenpolitik. Triebkräfte und Tendenzen, Stuttgart 1968, S. 114 ff.

  179. P. Ch. Ludz, Parteielite im Wandel, a. a. O.; Entwurf, a. a. O.

  180. Vgl. auch diese zusammenfassende Formulierung in dem wissenschaftsgeschichtlichen Resümee bei K. D. Bracher, Wissenschaftsund zeitgeschichtliche Probleme der politischen Wissenschaft in Deutschland, in: Politologie und Soziologie, Festschrift zum 65. Geburtstag von Otto Stammer, Köln—Opladen 1965, S. 60.

  181. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Robert A. Dahl, Modern Political Analysis, Englewood Cliffs, N. J. 1963, sowie Karl W. Deutsch, The Nerves of Government. Models of Political Communication and Control, Glencoe, 111. 1963.

Weitere Inhalte

Walter Schlangen, Dr. phil., Tätigkeit als wiss. Referent bei einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut, derzeit wiss. Assistent am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn, geb. 21. August 1942, Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie, Philosophie und Sozialgeschichte; Promotion mit einer Untersuchung methodologischer Aspekte der Analyse von Herrschaftsund Gesellschaftssystemen in der Politikwissenschaft (erscheint voraussichtlich 1971).