The diificulty of making up a Government is very mach like the difficulty of putting together a Chinese puzzle: the spaces do not suit what you have to put into them. And the difliculty of matching a Ministry is more than that of fitting a puzzle, because the Ministers to be put in can Object. One objector can throw out the Combination.
Walter Bagehot
Die Ziele der Kabinettsreform
Bei der Kabinettsreform
Obwohl vor jeder Regierungsbildung angekündigt wurde, es werde weniger Minister geben, hat sich die Zahl der Regierungsmitglieder zwischen 1949 und 1966 um die Hälfte vermehrt. Gehörten der ersten Regierung Adenauer noch vierzehn Mitglieder an, einschließlich des Bundeskanzlers, so saßen 1953 schon neunzehn und 1955 bereits einundzwanzig Personen auf der Regierungsbank. 1957 verringerte sich ihre Zahl noch einmal auf achtzehn. 1961 waren es aber wieder einundzwanzig und 1964 sogar zweiundzwanzig Personen. Die Re-gierung der Großen Koalition zählte zwanzig Mitglieder 1).
Verglichen mit den Regierungen anderer Länder ist die Zahl von zwanzig Kabinettsmitgiedem nicht eben ungewöhnlich hoch. Die gleiche Zahl hat das britische Kabinett bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts erreicht 4). Auch die Regierungen Italiens, Japans, Australiens, Kanadas haben in der Regel heute nicht weniger Mitglieder. Der französische Ministerrat unter Premierminister Chaban-Delmas umfaßt gegenwärtig neunzehn Minister und zwanzig stimmberechtigte Staatssekretäre
Die meisten Beobachter, nicht nur bei uns, halten ein Gremium von zwanzig Mitgliedern jedoch einfach für zu groß, um arbeitsfähig zu sein. Sie fordern eine Verkleinerung hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal, um die Beratungs-und Entscheidungsfähigkeit des Regierungskollegiums zu erleichtern; zum anderen, um die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts zu verbessern. Je größer ein Kabinett ist, so lautet die Argumentation, desto förmlicher, zeitraubender und unergiebiger werden die Sitzungen; desto mehr Rivalitäten treten auf; desto mühsamer wird die Verständigung, wer für was zuständig ist; desto größer wird der Koordinationsaufwand
Wann aber ist das der Fall? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten Claus Arndt genügen fünf bis sieben Minister 5). Der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee sah sieben bis acht Minister vor, denen unter Umständen zwei weitere Minister ohne Geschäftsbereich zur Seite stehen sollten
Ein Blick auf die englische Literatur zeigt, daß auch hier die Größenangaben beträchtlich schwanken. A. Salter und L. S. Amery setzen sich für ein kleines Gremium ein, das aus höchstens vier bis sechs Ministern besteht
Vergleicht man übrigens diese Zahlenangaben mit solchen aus dem vorigen Jahrhundert, so fällt auf, daß das, was heute vielfach als erstrebenswerte Größe gilt, in früheren Zeiten, als die Kabinette tatsächlich so klein waren, schon als zu umfangreich empfunden wurde. Offensichtlich trauert jedes Kabinett der Epoche nach, in der es aus weniger Mitgliedern bestand. Viscount Dudley, britischer Außenminister von 1827/28, brach nach einer Kabinettssitzung einmal in die Klage aus: „Wie schwierig ist es, eine Angelegenheit zu regeln, an der zwölf Leute teilhaben. Die Vernunft einer Partei scheint sich mit wachsender Zahl zu verflüchtigen." Wenige Jahre später schrieb Lord Brougham, die Erinnerung an Pitt's achtköpfiges Kabinett von 1784 mache „seinen Mund wäßrig": „Ich weiß nicht, welche Dinge wir . . . hätten unternehmen können, wenn wir acht anstatt vierzehn gewesen wären."
Gibt nicht vielleicht die moderne Organisationslehre einen Anhaltspunkt, welche Größe für ein Kabinett angemessen ist? Diese Lehre empfiehlt für leitende Gremien gewöhnlich sieben bis neun Mitglieder
Gewiß, „wenn ein Kabinett mehr als zwanzig Mitglieder hat, wird aller Voraussicht nach eine straffe und geschäftsmäßige Behandlung der zu beratenden Angelegenheiten nicht mehr möglich sein."
Bei alledem darf man nicht vergessen, daß ein Kabinett nicht nur ein Arbeitsgremium, sondern auch ein Führungsorgan ist. Für dessen Größe gelten aber ganz andere Maßstäbe. Ist es für ein Arbeitsgremium im allgemeinen besser, wenn ihm nur wenige Mitglieder angehören, so gilt für ein Führungsgremium eher das umgekehrte. Führung setzt Gefolgschaft voraus. Eine Regierung, die ihrer Funktion als Führungsorgan nachkommen will, muß bestrebt sein, einen möglichst breiten Rückhalt im Parlament zu finden. Für den Regierungschef bedeutet das, daß er darauf bedacht sein muß, für die wichtigsten Mitglieder der Regierungsparteien wie für die Vertreter der maßgeblichen Gruppen einen Platz im Kabinett zu finden. Er muß an die Katholiken und an die Protestanten denken, an die Gewerkschaften, die Wirtschaftskreise, die Bauern, die Frauen, die Nord-und die Süddeutschen. Er muß Rücksicht auf die Wünsche der Koalitionspartner nehmen. (Wenn der kleinste Koalitionspartner aus Prestigegründen glaubt, auf mehreren Ministersitzen bestehen zu müssen, dann kann allein dies schon zu einer Aufblähung der Regierung führen.) Unter Umständen muß er einen Rivalen mit einem Kabinettssitz bedenken, um ihn der Regierungsdisziplin zu unterwerfen. All dies kann sehr leicht zur Folge haben, daß eine Regierung größer wird, als es aus sachlichen Gründen notwendig ist, und daß ein Regierungschef häufig nicht so sehr Minister für Ministerien suchen, als umgekehrt Ministerien für Minister schaffen muß.
Daneben können auch eigennützige Motive einen Regierungschef veranlassen, eher zu viele als zu wenig Mitglieder in sein Kabinett aufzunehmen. Je mehr Minister er nämlich ernennen kann, desto größer ist sein Patronagepotential, und desto leichter fällt es ihm, von einer der ältesten Herrschaftstechniken, dem „divide et impera", Gebrauch zu machen. Es spricht viel für die Vermutung, daß ein Regierungschef sich schwerer mit zehn als mit zwanzig Ministern tut. Im ersten Fall ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß ihm zehn mächtige Feudalherren gegenüberstehen, die große Ressorts leiten und über einen starken Rückhalt in der Partei verfügen; im zweiten Fall hat er es aller Voraussicht nach mit einem Kollegium zu tun, in dem sich auch mehrere schwächere Minister befinden, Minister, die weder starke Parteipositionen besitzen noch große Ressorts hinter sich haben, die vielmehr in hohem Maße vom Regierungschef abhängig und infolgedessen auch leichter bereit sind, sich auf dessen Seite zu schlagen. Adenauer wußte das sicherlich. Er hätte sein Kabinett wohl kaum vergrößert, wenn er hätte befürchten müssen, daß dadurch seine Autorität geschmälert werden würde. Man sieht: Für die Größe eines Kabinetts sind zwei Gesichtspunkte maßgebend, die nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen sind, die vielmehr in einer gewissen Spannung zueinander stehen. So angebracht es einerseits ist, eine Regierung möglichst klein zu halten, um ihre Beratungs-und Entscheidungsfähigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, so empfehlenswert ist es andererseits aber auch, sie groß zu halten, um Platz für die führenden und einflußreichsten Mitglieder der Regierungsparteien zu haben und um die Position des Regierungschefs nicht zu gefährden.
Eng verflochten mit dem Problem der Größe des Kabinetts ist das Problem der Ressortabgrenzung. Mit Recht ist die Projektgruppe der Ansicht, „daß die Frage einer Verringerung der Zahl der Ressorts — abgesehen von den bei einer Kabinettsbildung maßgeblichen politischen Faktoren — vornehmlich unter dem Gesichtspunkt eines optimalen Ressortzuschnitts und einer sachgerechten Zuständigkeitsverteilung Bedeutung hat."
Ressortabgrenzungen sind oft weniger das Produkt vernünftiger Überlegungen als das Ergebnis von Macht-und Prestigekämpfen, bei denen jede Partei bestrebt ist, möglichst viele Kompetenzen an sich zu ziehen und möglichst wenige abzutreten 22). Manche Minister halten an einer einmal errungenen Zuständigkeit fest, als sei sie ihr Lehen. Als Paul Lücke 1961 vom Wohnungsbauministerium ins Innenministerium überwechselte, nahm er die Abteilung Raumordnung als Morgengabe in sein neues Ressort mit.
Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Grenzen zwischen den Ressorts vielfach antiquiert, willkürlich oder zufällig sind. Die Zuständigkeiten überkreuzen, überlagern, vermischen sich. Nach einem Gutachten des Bundesrechnungshofes vom Dezember 1963 befaßten sich im Bereich der Bundesregierung insgesamt zweihundertdreißig Referate in fünfzehn Ressorts mit Entwicklungshilfe
Diese Streitigkeiten belasten die interministerielle Zusammenarbeit. Es entstehen Reibungsverluste und Verzögerungen. Es kommt zu Doppelarbeit und Leerlauf. Der Aufwand, der nötig ist, um die beteiligten Ressorts an einen Tisch und ihre Interessen unter einen Hut zu bringen, wird immer größer. Man streitet sich mehr um Zuständigkeiten als um Sachen. Wo man Weitblick erwartet, findet man die Beteiligten von den inneren Problemen der Organisation überwältigt, und wo man glaubt, auf Initiative und Entscheidungsfreude rechnen zu können, stößt man auf einen zermürbenden Kampf um Zeichnungsbefugnisse. Im Labyrinth der Ausschüsse, Gremien, Kommissionen usw. geraten die Verantwortlichkeiten zunehmend ins Dunkel.
Auch in anderen Ländern empfindet man es heute als eine dringende Aufgabe, die Ressorteinteilung neu zu durchdenken, die Kompetenzen der Ministerien wieder schärfer voneinander abzugrenzen und sachlich zusammenhängende Aufgaben möglichst in jeweils einem Ressort zusammenzufassen.
Freilich lassen sich Ressortüberschneidungen nicht völlig beseitigen. Wie immer man die Zuständigkeiten der Minsterien auch voneinander abgrenzen mag, man wird es zum Beispiel nicht verhindern können, daß eine Aufgabe wie die Raumordnung die Interessen nahezu aller Ressorts berührt. Das gleiche gilt für viele andere Aufgaben auch. Die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Lebensbereiche macht eine Autarkie der einzelnen Ressorts unmöglich.
Mitunter empfiehlt es sich auch aus pragmatischen Erwägungen nicht, Ungereimtheiten zu korrigieren. „Wenn man an eine Reorganisation denkt, sollte man nicht vergessen, daß man es mit einer Gruppe oder Gruppen von arbeitenden Männern oder Frauen zu tun hat. Ein Ressort kann in theoretischer Hinsicht ein Unding und dennoch ein . glückliches Schiff'sein, und nur ein solches ist erfahrungsgemäß seetüchtig."
Manchmal sind Zuständigkeitsüberschneidungen sogar wünschenswert, nämlich dann, wenn durch eine Zusammenfassung der Kompetenzen in einer Hand das gewaltenteilende System der „checks and balances" innerhalb der Regierung in Frage gestellt würde. Das gilt auch für die von vielen geforderte Zusammenfassung der Konjunktur-und Finanzpolitik in einem Schatzamt nach britischem Muster 26). An sich hätte eine solche Zusammenfassung manches für sich. Die zunehmende Verflechtung der Wirtschafts-und Finanzpolitik legt es nahe, die monetären und fiskalischen Steuerungsinstrumente in einem Ressort zu konzentrieren, um einen möglichst großen Erfolg der Maßnahmen zu erzielen. Doch entstünde dadurch ein Mammutministerium, und die schon jetzt außerordentlich starke Stellung des Finanzministers würde vermutlich übermächtig. In diesem Falle könnte auch die Bundesbank kaum mehr das gewünschte Gegengewicht bilden.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, daß hinter Ressortkonflikten häufig rivalisierende gesellschaftliche Interessen stehen, die artikuliert und politisch ausgetragen werden sollten. (Was immer man gegen den Ressortegoismus auch einwenden mag: solange er diese Aufgabe erfüllt, ist er unentbehrlich.) So wichtig es zum Beispiel einerseits ist, die Sozialpolitik und die Wirtschaftspolitik aufeinander abzustimmen, damit die eine nicht der anderen das Wasser abgräbt, so wichtig ist es andererseits aber auch, die darin liegenden gesellschaftlichen Konflikte nicht zu eskamotieren, nicht zu früh und nicht im verborgenen zu regeln. Das letztere wäre aber der Fall, wenn man die beiden Ressorts vereinigen würde. Dann nämlich kämen die Konflikte nicht ins Kabinett, würden also auch nicht mehr mit politischen Mitteln entschieden, sondern von der Ministerialbürokratie neutralisiert, versachlicht oder weggeplant werden. Der Auffassung der Projektgruppe ist zuzustimmen, daß es grundsätzliche Zielkonflikte gibt, die im Gesamtinteresse zwischen den verschiedenen Ressorts ausgetragen werden müssen, bei denen es deshalb auch nicht ratsam ist, durch eine Konzentration der Kompetenzen in einem Haus die Konflikte zu verdrängen. „Soweit es sich um zentrale Fragen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens handelt, wird sich eine geteilte Zuständigkeit empfehlen, weil hier der notwendige Ausgleich nicht einem Ressort überlassen bleiben kann und eine Gegenkontrolle notwendig erscheint."
Für den Regierungschef bleibt noch ein anderer Gesichtspunkt zu beachten: Die Zusammenfassung von Aufgaben in einem Ressort verringert zwar den Koordinationsaufwand — innerhalb der Ministerien fällt die Koordination normalerweise leichter als zwischen ihnen —, vermindert aber auch leicht den Einfluß des Mannes an der Spitze der Regierung. Wie nicht zuletzt die französischen Erfahrungen zeigen, findet in einem Mammutministerium der Interessenausgleich im Ressort statt, wodurch die Rolle des Regierungschefs als Schiedsrichter zwischen den Ressorts beeinträchtigt wird
Auch eine zu präzise Ressortabgrenzung kann den Einfluß eines Regierungschefs schmälern. Es ist kein Zufall, daß erfolgreiche Regierungschefs
Mit anderen Worten: Ebensowenig wie die Frage nach der richtigen Größe eines Kabinetts erlaubt die Frage nach der richtigen Ressort-abgrenzung eine eindeutige Antwort; sie gestattet nur ein „einerseits — andererseits". So viel einerseits aus sachlichen Gründen dafür spricht, die ministeriellen Geschäftsbereiche scharf voneinander abzugrenzen, so wenig kann andererseits aus politischen Gründen auf Ressortüberschneidungen völlig verzichtet werden. Kurz: Kabinettsreform ist eine Sache des Augenmaßes, keine Reißbrettarbeit. Wie groß ein Kabinett sein soll und welche Ressort-abgrenzungen wünschenswert sind, ist nicht ein für allemal ausgemacht, sondern bleibt immer von neuem zu prüfen.
Dies alles muß man im Auge behalten, wenn man die Vorschläge zur Kabinettsreform näher betrachtet. Drei Gruppen von Vorschlägen lassen sich unterscheiden. Während die einen für ein Kabinett aus Ministern ohne Geschäftsbereich eintreten, die anderen ein Kernkabinett nach britischem Vorbild befürworten, empfehlen wiederum andere eine Verkleinerung des Kabinetts im Wege einer Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche.
Erstes Modell: Ein Kabinett aus Ministern ohne Geschäftsbereich
„Von Zeit zu Zeit", schreibt Herbert Morrison in seinem Buch „Regierung und Parlament in England", „wird immer wieder über die Ideal-form des Kabinetts diskutiert. Besonders hartnäckige Verfechter treten für eine Reform ein im Sinne eines kleinen Kabinetts, bestehend aus Ministern ohne Geschäftsbereich bzw. aus sozusagen die Oberaufsicht führenden Ministern. Für diese Auffassung wird ins Feld geführt, daß heutzutage die Arbeitslast der Minister, die zugleich ein Ministerium leiten, so groß ist, daß sie nicht genügend Zeit haben, um sich den Fragen der großen Politik unter einem weiteren Gesichtswinkel zu widmen und um die zahlreichen und oft umfangreichen Kabinettsakten und diplomatischen Korrespondenzen zu lesen, was doch Voraussetzung für eine ordnungsmäßige Erfüllung der Aufgaben eines Kabinettsministers sei. Man macht geltend, daß deshalb der Beitrag der Ressortminister an den Kabinettsberatungen Gefahr laufe, nicht den Anforderungen zu entsprechen, unvollkommen zu sein und zu große Rücksicht auf die Interessen und Gesichtspunkte des eigenen Geschäftsbereichs zu nehmen, und daß die Ressortminister infolgedessen eher zu falschen als zu richtigen Schlüssen kommen würden. Ein aus solchen Ministern zusammengesetztes Kabinett werde schwerfällig oder geistig unbeweglich werden. In dem kleinen Kabinett aus Ministern ohne Geschäftsbereich könnten dagegen die Beratungen gründlicher und intimer sein, die Kabinettsmitglieder hätten mehr Zeit, um zwischen den einzelnen Sitzungen über die zu beratenden Gegenstände nachzudenken; sie könnten die Kabinettsakten und anderes wichtiges Informationsmaterial aus amtlichen und nichtamtlichen Quellen viel gründlicher studieren und auswerten; die Aufgabe der Koordination der Arbeit der einzelnen Ministerien und die Aufsicht über diese könnte unter den Kabinettsmitgliedern verteilt werden; dadurch würde man zu den Problemen, die eine ganze Gruppe von Ressorts betreffen, über der Sache stehende Stellungnahmen erhalten, die auf überparteilichem Urteil beruhen und sich auf sorgfältige Beratungen mit den betroffenen Ministern und auf eigene Studien gründen. Auf diese Weise würde ein funktionelles Element in die Beratungen des Kabinetts eingeführt werden, ohne daß die Sonderinteressen der Ressorts in den Vordergrund träten. Ein solches Kabinett, ein Kabinett aus wenigen weisen Männern — so argumentiert man — würde ein besonders leistungsfähiges Instrument darstellen."
In England hat diesen Gedanken am nachhaltigsten Leopold S. Amery vertreten. In seinem* Buch „Thoughts on the Constitution" von 1947 entwickelt Amery die Idee eines „Policy Cabinet", bestehend aus etwa einem halben Dutzend Mitgliedern, die alle von den Alltagslasten eines Ressortchefs befreit sind. Aufgabe dieses Kabinetts soll es sein, die Grundlinien der Politik festzulegen und, mit Hilfe einer Reihe von Ausschüssen, zu deren Beratungen auch die jeweils betroffenen Minister hinzugezogen werden, die laufenden Geschäfte der Ressorts zu beaufsichtigen und zu koordinieren
Einen ähnlichen Vorschlag hat für die Bundesrepublik vor einigen Jahren Emil Guilleaume gemacht, Leitender Ministerialrat im Innenministerium von Schleswig-Holstein 34). Ausgehend von der Feststellung, daß sich politische Funktion und Verwaltungsführung in Aufgabenstellung und Arbeitsmethode unterscheiden, schlägt Guilleaume vor, das Amt des Ministers von dem des Ressortchefs zu trennen und die Regierung in ein politisches Kabinett und ein Verwaltungskabinett aufzugliedern. Die grundlegenden Fragen der Staatsführung sollten dem politischen Kabinett übertragen werden, einem kleinen Gremium, dem nur Politiker angehören, die von Verwaltungsausgaben entlastet sind und die deshalb auch genügend Zeit haben, die politische Zielsetzung der Regierung kontinuierlich zu erarbeiten und im öffentlichen Leben zu vertreten. Die Leitung des Ressorts hingegen sollte Verwaltungsfachleuten überlassen bleiben, die vom politischen Kabinett berufen und abberufen werden und die zusammen in einem Verwaltungskabinett die Aufgaben der Regierung als Verwaltungsorgan erfüllen.
So bestechend der Gedänke einer Trennung von Planung und Vollzug auch ist: seine Schwierigkeiten liegen dennoch auf der Hand. Wo endet die Politik und wo fängt die Verwaltung an? Lassen sich Politik und Verwaltung in der Praxis überhaupt deutlich voneinander trennen? Sind die Grenzen zwischen beiden Bereichen nicht vielmehr fließend? Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre: Wäre eine solche scharfe Trennung, wie sie in den Vorschlägen von Amery und Guilleaume zum Ausdruck kommt, denn wünschenswert? Müßte man nicht befürchten, daß die am grünen Tisch geborenen Konzeptionen des politischen Kabinetts bloße Reißbrettstudien bleiben, praxisfremd und unrealistisch, weil ihren Verfassern die konkreten Verwaltungserfahrungen fehlen? Bestünde nicht überdies die Gefahr, daß es zwischen den politischen Ministern und den Verwaltungschefs zu ständigen Reibereien kommt, zu Kompetenzkonflikten, zu Macht-und Prestigekämpfen? Und würden sich in diesen Auseinandersetzungen nicht die letzteren durchsetzen, einfach deshalb, weil sie den Beamtenapparat hinter sich haben, weil sie über mehr Informationen verfügen, weil sie die Minister jederzeit mit material-und detailreichen Memoranden eindecken können? Wie wäre außerdem die Aufteilung der Befugnisse und Verantwortlichkeiten zwischen den Ministern, den Ressortchefs und den Beamten zu regeln? Wem wären die Ministerialbeamten verantwortlich? Könnte ein Minister im Parlament überhaupt für ein Ressort geradestehen, dessen Leiter er gar nicht ist 33)? Schließlich: Würde die Trennung in ein politisches Kabinett, in dem die politischen Entscheidungen fallen, und ein Verwaltungskabinett, das für die Fachfragen zuständig ist, nicht dem gerade in Deutschland weitverbreiteten, verhängnisvollen Vorurteil Vorschub leisten, das da lautet: es gebe auf der einen Seite den Politiker, der für die Akklamation und die Popularisierung sorge, von den Sachen selbst jedoch nichts verstehe, und es gebe auf der anderen Seite den Fachmann, der die wirkliche Arbeit leite?
Auch in England ist die Idee eines kleinen Kabinetts von Ministern ohne Ressortverantwortung nur in Ausnahmesituationen, nämlich während der beiden Weltkriege, verwirklicht worden, und auch da nur annähernd. 1916 bildete Lloyd George ein fünfköpfiges Kriegskabinett. Aber selbst in diesem Fall war es unumgänglich, wenigstens einen Ressortminister in das Kabinett aufzunehmen, den Schatzkanzler Bonar Law 36). Auch Churchill begann, nachdem er im Mai 1940 zum Premierminister ernannt worden war, mit fünf Kabinettsmitgliedern, von denen lediglich einer, der Außenminister, ein Ministerium leitete
In Friedenszeiten haben erfahrene englische Autoren die Idee eines „Policy Cabinet" stets verworfen
Daneben hält man es auch für unmöglich, die Befugnisse und Verantwortlichkeiten der Mitglieder des „Policy Cabinet 1'klar von denen der Ressortminister zu trennen. Man ist davon überzeugt, daß zwischen den beiden Gruppen ständig Meinungsverschiedenheiten aufbrechen, die die notwendige Regierungssolidarität beeinträchtigen. Auch kann man sich nicht vorstellen, daß Minister ohne Portefeuille sich auf die Dauer gegenüber Ressortchefs durchsetzen können. Ebensowenig glaubt man daran, daß ein „Policy Cabinet" imstande ist, realistische Konzeptionen zu entwerfen. „Man unterstelle einmal", schreibt Herbert Morrison, „daß zwischen den aufsichtsführenden Ministern und den Ressortministern keine Einigung zu erzielen ist. Was soll dann geschehen? Es entsteht jedenfalls eine höchst unerwünschte Situation, die womöglich das Eingreifen des Premierministers oder sogar des Kabinetts erforderlich macht, und die unvermeidlich zu einer Einbuße an jenem guten Willen und jenem kameradschaftlichen Geiste führen muß, wie sie Voraussetzung einer erfolgreichen Kabinettsarbeit sind."
Zweiter Vorschlag: Die Übernahme des britischen Kabinettssystems
Eine zweite Gruppe von Vorschlägen zur Kabinettsreform empfiehlt die Übernahme des britischen Kabinettssystems, dessen charakteristisches Merkmal die partielle Trennung von Regierungs-und Kabinettsmitgliedschaft ist 44).
Die englische Regierung umfaßt viele Personen. Zu ihr zählen nicht nur die etwa fünfunddreißig Minister mit und ohne Portefeuille, sondern auch die Staatsminister (heute über zwanzig), die parlamentarischen Staatssekretäre (über dreißig), die obersten Justizbeamten (Law Officers) und einige Personen des königlichen Haushalts. Aber bei weitem nicht alle davon haben Kabinettsrang. Der Regierung Wilson beispielsweise gehörten zeitweise ein-hundertzehn Personen an, von denen aber nie mehr als vierundzwanzig im Kabinett saßen.
Bis zu einem gewissen Grad liegt es in der Hand des Regierungschefs, wen er in sein Kabinett aufnimmt und wen nicht. Gewiß, die wichtigsten Ressorts werden stets im Kabinett vertreten sein; was aber die weniger wichtigen betrifft, so hängt es ganz vom Premierminister ab, ob er ihren Leitern Kabinettsrang verleiht oder nicht. Seit 1945 bleiben durchschnittlich fünf bis zehn Ressortchefs aus der Kabinettsrunde ausgeschlossen
Aber nicht nur Ressortminister gehören dem Kabinett an. Manchmal wird auch ein Staatsminister, der gar kein Ressort leitet, sondern praktisch stellvertretender Ressortchef ist, ins Kabinett ausgenommen
Der Vorzug des englischen Kabinettssystems liegt vor allem in seiner Flexibilität. Je nach den Erfordernissen der Situation kann der Premierminister bestimmte Ministerien in sein Kabinett aufnehmen oder davon ausschließen.
Er kann Politiker, auf deren Urteil er Wert legt, denen er aber nicht die Bürde eines Ressortleiters zumuten möchte, zu Titularministern ernennen, um sie auf diese Weise dennoch an der Formulierung der allgemeinen Politik mitwirken zu lassen. Er kann umgekehrt Minister, mit denen er nicht mehr zusammenarbeiten möchte, die er aber aus irgendeinem Grund nicht aus der Regierung ausschließen kann, aus dem Kabinett entfernen, ohne ihnen zugleich ihre Ämter zu nehmen. Er kann Ministern, die im allgemeinen keinen Sitz im Kabinett haben, vorübergehend Kabinettsrang verleihen, wenn die Aktualität ihrer Aufgabe es angezeigt scheinen läßt. Er kann Ressorts, deren Arbeitsbereich unüberschaubar geworden ist, durch zwei Minister im Kabinett vertreten sein lassen: durch den Ressortchef und durch einen Staatsminister
Wäre eine solche oder eine ähnliche Regelung aber überhaupt praktikabel? Ich glaube nicht. Nicht, weil Artikel 62 des Grundgesetzes, wonach die Bundesregierung aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern besteht, ihr entgegenstünde — das ließe sich ändern —, sondern weil praktische Erwägungen sie ausschließen.
Wenn dem Kabinett höchstens fünf bis sieben Minister angehörten, dann hieße das, daß die Mehrzahl der Ressorts aus dem Kabinett ausgeschlossen werden müßte. Es wird wohl niemand im Ernst behaupten wollen, daß die betroffenen Minister bzw. die Parteien, die hinter ihnen stehen, eine solche Degradierung schweigend hinnähmen. Auch wäre es zweifelhaft, ob die wichtigsten Parteipolitiker, die im Kabinett zu versammeln . im Interesse des Bundeskanzlers liegt, in einem so kleinen remium Platz fänden, zumal im Falle einer Koalitionsregierung, die bei uns die Regel ist.
Sodann: Kann man sich wirklich vorstellen, daß ein Kabinettsminister, der ein großes Ressort leitet, auch noch imstande ist, mehrere Fachressorts zu beaufsichtigen und zu koordinieren? Und ist es nicht eine Illusion zu glauben, ein Minister ohne Kabinettsrang, z. B.der Landwirtschaftsminister, nähme von dem für ihn zuständigen Kabinettsmitglied, in diesem Falle wohl von dem Wirtschaftsminister, Weisungen entgegen? Wenn Arndt schreibt, die Weisungen sollten „so allgemein wie möglich" gehalten sein, dann macht das die Sache nicht einleuchtender. Entweder die Weisungen sind allgemein — dann bedeuten sie überhaupt nichts, oder sie sind konkret und werden vermutlich nur dann befolgt, wenn sie im Sinne des Fachministers liegen. Das heißt aber, daß man bei einer Zweiteilung der Regierung laufend Auseinandersetzungen zwischen den Kabinettsministern und den übrigen Regierungsmitgliedern befürchten müßte (ähnlich wie bei dem Modell Amerys), Auseinandersetzungen, die die Regierungsarbeit zu lähmen drohen.
Wie stünde es ferner um den Einfluß des Bundeskanzlers? Wäre er nicht hoffnungslos seinen wenigen Kabinettskollegen unterlegen, die praktisch die Funktion von Unterkanzlern hätten, zumal sie — und nicht der Regierungschef — den Kabinettsausschüssen vorsitzen sollen?
Irrig wäre es, wollte man Arndt's Konzept eines Kernkabinetts mit dem Inneren Kabinett in England in Beziehung bringen. Der Haupt-unterschied besteht darin, daß das Innere Kabinett eine gänzlich informelle Institution ist. Es funktioniert nur, weil es völlig in der Hand des Premierministers liegt, ob er dieses Gremium einberuft oder nicht und wen er zu den Beratungen hinzuzieht und wen nicht; weil die Beschlüsse dieses Gremiums keinerlei Verbindlichkeit besitzen, und weil der Regierungschef, sollte er einmal im „InnerCercle" aufWiderstand stoßen, jederzeit die Möglichkeit hat, die strittige Angelegenheit dem Gesamtkabinett zu unterbreiten. Ein solches Inneres Kabinett bei uns einzuführen wäre unter den gegenwärtigen Umständen undenkbar. Es würde dies eine Elastizität des Regierungsapparates und eine Freiheit des Regierungschefs in der Wahl seiner Minister voraussetzen, die es bei uns nicht gibt und die es in absehbarer Zeit auch nicht geben wird. Wenn man das englische Kabinettssystem tatsächlich übernehmen will, dann wird man nicht darum herumkommen, im Interesse einer wirksamen Regierung alle wichtigen Ressorts in das Kabinett aufzunehmen. In unserem Falle wären das mindestens zehn, wenn nicht zwölf: das Auswärtige Amt, das Innen-, Justiz-, Finanz-, Verteidigungs-, Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Arbeits-, Verkehrs-und Wissenschaftsministerium, das Entwicklungshilfeministerium und das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Das würde bedeuten, daß — wenn man von den Verhältnissen zur Zeit der Großen Koalition ausgeht — sieben Ressorts außerhalb des Kabinetts blieben: das Post-, Familien-, Gesundheits-, Schatz-, Vertriebenen-, Wohnungs-und Bundesratsministerium.
Ein solches Zahlenverhältnis zwischen Ministern innerhalb und außerhalb des Kabinetts macht aber eine Einführung des britischen Kabinettssystems so gut wie unmöglich. Niemand kann von neunzehn Ministern sieben aus dem Kabinett ausschließen, ohne dadurch schier unlösbare Schwierigkeiten heraufzubeschwören. Denn was wäre die Folge einer solchen Maßnahme? Die Ausgeschlossenen wären verärgert, verletzt oder deprimiert. Die Öffentlichkeit nähme sie kaum ernst. Ihre Beamten kämen sich als zweitklassig vor. Die entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen schlössen aus der Nichteinbeziehung in das Kabinett, die Regierung sei an ihren Angelegenheiten nicht interessiert. Die Parteien, die die Minister stellen, wären unzufrieden, weil diese im Kabinett keine Stimme hätten. Die Minister selbst empfänden gegenüber der Regierung möglicherweise nicht dieselbe Solidarität wie die Kabinettsmitglieder
So paradox es klingt: Nur wenn man zuvor die Zahl der Ressorts drastisch erhöhen würde, könnte man eine Reihe von Ministerien aus dem Kabinett ausschließen. Denn daß in England ein solcher Ausschluß möglich ist, hängt eben mit der Vielzahl der Regierungsmitglieder zusammen. Wenn, wie es in England der Fall ist, etwa fünfunddreißig Minister fungieren (ohne die Staatsminister und ohne die Parlamentarischen Staatssekretäre, die sogenann-ten Junior-Minister) und der Regierung annähernd hundert Personen oder mehr angehören, dann ist es für jedermann selbstverständlich, daß davon nur eine Minderheit Sitz und Stimme im Kabinett beanspruchen kann.
Nun gibt es Autoren, die auch bei uns eine Reihe zusätzlicher Ressorts für denkbar, wenn nicht sogar für wünschenswert halten
Ein solcher Vorteil wäre jedoch mit zwei entscheidenden Nachteilen erkauft: zum einen würde der Koordinierungsaufwand innerhalb der Bundesregierung dadurch noch mehr anwachsen, zum andern würde sich der Druck der Verbände auf die Ministerialbürokratie erheblich verstärken. Je kleiner ein Ministerium ist, desto größer ist die Gefahr, daß es ein Klientelministerium wird und partikulären Interessen zugänglich ist
Schließlich spricht noch eine andere Überlegung gegen eine Unterscheidung von Ministern mit und ohne Kabinettsrang. Eine solche Auffächerung setzte nämlich die Regierungschefs und die Parteien fortwährend der Versuchung aus, neue Ressorts zu schaffen, um ihre Anhänger zufriedenzustellen und ihre Machtbasis zu verbreitern. Man braucht nur an die zahlreichen Versuche der letzten zwanzig Jahre zu denken, ein Europa-, ein Mittelstands-, ein Sportministerium zu errichten, ein Ministerium für öffentliche Bauten, für Kriegsopfer usw. Was wäre aus diesen Versuchen geworden, hätte man die Zahl der Ressorts beliebig vermehren können, ohne dadurch das Kabinett arbeitsunfähig zu machen? Solange die Verfassung bindend vorschreibt, daß alle Minister im Kabinett sein müssen, ist einer beliebigen Vermehrung der Ressorts wenigstens ein gewisser Riegel vorgeschoben, was man nicht unterschätzen sollte.
Auch in England sind sich viele Beobachter heute darin einig, daß die Möglichkeit des Premierministers, neue Ressorts zu schaffen, ohne dadurch die Beratungs-und Entscheidungsfähigkeit des Kabinetts zu beeinträchtigen, zu einem Wildwuchs der „machinery of government" geführt hat, die auf ein vernünftiges Maß zurückzuschneiden eine der dringendsten Aufgaben einer neuen „HaldaneCommission*'wäre.
Dritter Vorschlag: Auflösung von Ressorts und Neuabgrenzung der ministeriellen Geschäftsbereiche
Eine dritte Gruppe von Vorschlägen zur Kabinettsreform befürwortet die Auflösung einer Reihe von Ressorts und eine Neuabgrenzung der ministeriellen Geschäftsbereiche. Unter den gegebenen Umständen scheint mir dies die realistischste Lösung zu sein.
Die Frage ist, welche Ressorts aufgelöst bzw. mit anderen Ministerien zusammengelegt und wie die Zuständigkeiten zwischen den Ressorts abgegrenzt werden sollen. Hier gibt es eine Reihe von Vorschlägen
Nach diesen Vorschlägen sollten sieben Ressorts aufgelöst und die ministeriellen Zuständigkeitsbereiche allgemein so aufgeteilt werden, daß möglichst wenig Ressortüberschneidungen auftreten und annähernd gleichgewichtige und in sich abgewogene Ministerien entstehen. Erhalten bleiben sollten einmal die „klassischen" Ressorts: das Auswärtige Amt, das Innen-, das Justiz-, das Finanz-und das Verteidigungsministerium; ferner die „neuklassischen“ Ministerien: das Wirtschafts-, das Landwirtschafts-, das Arbeits-und das Verkehrsministerium. Wegen der überragenden Bedeutung von Technik und Wissenschaft für die moderne Gesellschaft sollte auch das Wissenschaftsministerium weiter bestehenbleiben. Desgleichen das Post-und das Gesamtdeutsche
Ministerium: zwar zählten ursprünglich beide zu dem Kreis der auflösungsverdächtigen Ressorts, doch kam man zu dem Schluß, sie nicht abzuschaffen, wobei im ersten Fall praktische Erwägungen, im zweiten Fall politische Gründe ins Feld geführt wurden.
Hingegen sollten aufgelöst werden: das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Vertriebenen-, das Bundesrats-, das Schatz-, das Familien-, das Gesundheits-und das Wohnungsbauministerium.
Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte in das Auswärtige Amt eingegliedert werden, das Vertriebenenministerium in das Innenministerium, das Bundesratsministerium in das Bundeskanzleramt und das Schatzministerium entweder gänzlich in das Finanzministerium oder in dieses und in das Wirtschaftsministerium. Für die Aufteilung der übrigen Ministerien entwickelte die Projekt-gruppe drei Alternativen:
Die erste Alternative sah die Errichtung eines Ministeriums für soziale Fragen vor. Dem neuen Ministerium sollten übertragen werden: die Aufgaben des Familienministeriums, ein Großteil der Aufgaben des Gesundheitsministeriums, die Abteilung Wohnungswesen des Wohnungsbauministeriums, die Sozialabteilung des Innenministeriums und die Unterabteilung Veterinärwesen des Landwirtschaftsministeriums. An sich hätte es nahegelegen, diese Aufgaben dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu übertragen, doch riet die Projektgruppe davon mit der Begründung ab, dadurch entstünde ein Überministerium, welches die Ausgewogenheit innerhalb der Regierung stören müßte. — Die noch ver15 bleibenden Aufgaben der aufzulösenden Ministerien — die Abteilung Städtebau des Wohnungsbauministeriums und die Abteilung Wasserwirtschaft, Reinhaltung der Luft und Lärm-bekämpfung aus dem Gesundheitsministerium — sollten bei dieser Alternative in das Innenministerium überführt werden.
Als zweite Alternative schlug die Projekt-gruppe vor, ein Bundesministerium für Strukturfragen zu errichten. In ihm sollten zusammengezogen werden: die Aufgaben auf dem Gebiet der Raumordnung aus dem Innenministerium, des Städtebaus und des Wohnungswesens aus dem Wohnungsbauministerium, der Reinhaltung von Wasser und Luft sowie der Lärmbekämpfung aus dem Gesundheitsmi
Die Reform des Kabinetts vom Herbst 1969
Die Kabinettsreform nach der Bundestagswahl 1969 berücksichtigte die Vorschläge der Projektgruppe, wenn auch nicht vollständig: Fünf Ministerien wurden aufgelöst oder mit anderen Ministerien vereinigt: das Vertriebenen-, das Gesundheits-, das Schatz-, das Bundesratsund das Postministerium. Das Vertriebenen-ministerium ging, von geringen Ausnahmen abgesehen, im Innenministerium auf. Das Gesundheitsministerium wanderte zum großen Teil ins Familienministerium und bildet nun zusammen mit diesem ein Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. Das Schatzministerium wurde dem Finanzressort zugeschlagen; lediglich die Verwaltung des ERP-Sondervermögens wurde dem Wirtschaftsministerium übertragen. In die Erbmasse des kleinen Bundesratsministeriums teilten sich mehrere Ressorts; der politische Kern wurde im Bundeskanzleramt angesiedelt. Die Post wurde dem Verkehrsminister unterstellt, doch soll diese Lösung nur vorläufig gelten. Nach dem Beispiel der Bundesbahn soll die Post m eine bundeseigene Anstalt umgewandelt werden, wie es eine Sachverständigen-kommission schon im Jahre 1965 vorgeschlagen hat 66).
Aber auch zwischen den weiterbestehenden Ressorts wurden Flurbereinigungen vorgenommen. Um die wichtigsten aufzuzählen: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die bisher im Innenministerium ressortiert war, und die Finanzgerichtsbarkeit, die bislang dem Finanz-nisterium und des Naturschutzes aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Aufgaben des Familienministeriums und die der Humanmedizin, der Veterinärmedizin und des Lebensmittelwesens sollten dem Innenministerium übertragen werden.
Als dritte Alternative empfahl die Projekt-gruppe, von der Bildung eines neuen Ressorts abzusehen und statt dessen das Familien-, das Gesundheits-und das Wohnungsbauministerium in das Innenministerium einzugliedern.
Was die Ressorts betrifft, die nicht aufgelöst werden sollten, so schlug die Projektgruppe in einer Reihe von Fällen eine Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche vor, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen zu werden braucht. minister unterstand, wurden dem Justizministerium übertragen. Damit ist der Anfang zu einem Rechtspflegeministerium gemacht. Die wünschenswerte Vereinheitlichung der unterschiedlichen Prozeßordnungen wird dadurch erleichtert. Die Sozialabteilung des Innenministeriums ging zum Teil an das Arbeitsministerium, zum Teil an das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. Die Referate für Bildung und Studentenförderung gingen an das Ministerium für Bildung und Wissenschaft Dafür bekam das Innenministerium aus dem ehemaligen Gesundheitsressort die Abteilung Reinhaltung von Wasser und Luft sowie Lärmbekämpfung zugesprochen. Aus dem Landwirtschaftsministerium wurden die Kompetenzen für Verbraucherangelegenheiten ausgegliedert. Sie werden heute ebenso wie die Aufgaben des Veterinärwesens im Familien-ministerium bearbeitet. Völlig unverändert blieben nur zwei Ressorts-Das Auswärtige Amt und das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen.
Mit diesen organisatorischen Änderungen kann sich die neue Bundesregierung rühmen, als erste mit der nunmehr schon seit über zehn Jahren von allen Parteien und Regierungen geforderten oder versprochenen Kabinettsreform Ernst gemacht zu haben. Brandt hatte es dabei insofern wohl etwas leichter als seine Vorgänger, als seine Partei disziplinierter ist als die CDU/CSU, die trotz ihrer Fraktionsein-B heit die Ministerien stets unter sich so aufteilten, als seien sie zwei Parteien
Obwohl das Erreichte gegenüber dem früheren Zustand zweifellos eine große Verbesserung darstellt, gäbe es noch manches zu reformieren. So sollte man neben der Finanz-und Verwaltungsgerichtsbarkeit auch die Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit dem Justizressort übertragen. Damit wäre der Weg zu einem Rechtspflegeministerium endgültig frei. Ursprünglich hatte man dies auch geplant, jedoch auf Einspruch der Gewerkschaften unterlassen, die die Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit offensichtlich als ein Art „Hausgerichtsbarkeit" des Arbeitsministeriums betrachten.
Auf das Bundesministerium für Wohnungsbau und Städtewesen hätte man ruhig verzichten können. Seine Aufgaben wären im Innenministerium, das ohnehin für die Raumordnung zuständig ist, gut aufgehoben gewesen. Diese im Zuge der Kabinettsreform anfänglich auch vorgesehene Lösung scheiterte am Widerstand der Kommunalorganisationen.
Noch besser wäre es gewesen, hätte man die Raumordnung aus dem Innenministerium ausgegliedert und zusammen mit den Aufgaben des Wohnungsbauministeriums und einem Teil der Aufgaben des Gesundheitsministeriums in ein neues Ministerium für Raumordnung und Umweltschutz eingebracht. Die industrielle Gesellschaft ist heute auf dem besten Wege, ihre natürlichen Lebensbedingungen zu zerstören und ihre Umwelt unbewohnbar zu machen. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, daß dem Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen künftig der Vorrang vor allen anderen Überlegungen eingeräumt werden muß.
Eine solche Aufgabe schließt Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen ebenso ein wie Natur-und Landschaftsschutz, Lärmbekämpfung, Abfallbeseitigung, Reinhaltung von Wasser und Luft usw. Solange diese Aufgaben auf verschiedene Ressorts verstreut sind, wird man kaum erwarten können, daß sie wirksam gelöst werden. Der Naturschutz zum Beispiel liegt heute in den Händen des Landwirtschaftsministeriums, obwohl er dort schlecht aufgehoben ist, da die Landwirte in ihm eher einen Hemmschuh sehen.
Theoretisch wäre es denkbar, alle diese Aufgaben in einem schon bestehenden Ressort, etwa dem Innenministerium, zu konzentrieren. Praktisch wäre eine solche Lösung aber kaum effektiv, jedenfalls nicht so effektiv, wie sie im Interesse der Aufgabe sein muß. Raumordnung und Umweltschutz gehören nicht zu den Aufgaben, für die sich mächtige Interessengruppen einsetzen; eher zählen sie zu den vernachlässigten Bereichen des Lebens, die unter einer deutlichen Diskriminierung leiden. Wer auf diesem Gebiet etwas unternehmen will, ruft zwangsläufig den Widerstand vieler Ressorts — vor allem des Wirtschafts-, des Landwirtschafts-, des Verkehrs-und des Finanzministeriums und der hinter ihnen stehenden Lobbies auf den Plan, und gerät außerdem mit den Interessen der Länder und Gemeinden in Konflikt, die in diesen Fragen große Rechte besitzen. Raumordnung und Umweltfragen lassen sich daher auch nicht isoliert behandeln, sondern setzen eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ressorts und zwischen Bund, Ländern und Gemeinden voraus. Diese Zusammenarbeit ist alles andere als einfach. Wer hier erfolgreich sein will, muß nicht nur in der Lage sein, sich gegen den massiven Druck zahlreicher Ressorts durchzusetzen, die die Erfordernisse der Raumordnung und den Schutz der Umwelt für gewöhnlich ignorieren oder bagatellisieren
Abgesehen davon, spricht für ein eigenes Ministerium auch die Überlegung, daß zur Lösung der Umweltprobleme besondere Arbeitsmethoden und Denkweisen nötig sind, spezifische Kenntnisse gebraucht werden, eigene Fachleute herangebildet werden müssen, und daß all dies, wie das Beispiel der Entwicklungshilfe zeigt, am ehesten in einem eigenen, speziell für diese Aufgabe geschaffenen Ressort sich verwirklichen läßt. Eine neue Aufgabe einer alten Institution anzuvertrauen ist häufig der sicherste Weg, um zu verhindern, daß die Aufgabe gelöst wird.
Umstritten sind nach wie vor die Zuständigkeitsregelungen auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Der Kompetenzwirrwarr ist hier notorisch
Bevor 1961 das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet wurde, lag die Entwicklungshilfe vornehmlich in den Händen des Auswärtigen Amtes und des Wirtschaftsministeriums* ). Daran änderte sich auch nach Gründung des neuen Ressorts zunächst nichts. Jahrelang blieb es ohne sachliche Zuständigkeiten. Erst nach einem dreijährigen Verwaltungskrieg, der alle Beteiligten Geld, Zeit und Nerven kostete, beschloß das Bundeskabinett Ende 1964 eine Neuregelung. Danach wurde das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit formell zuständig „für die Grundsätze, das Programm und die Koordinierung der Ent-wicklungspolitik". Wegen der außenpolitischen Bedeutung der Entwicklungshilfe muß es sich dabei jedoch mit dem Auswärtigen Amt abstimmen. Auch bei einzelnen Hilfsmaßnahmen ist es gehalten, das Einverständnis des Auswärtigen Amtes einzuholen. Die Kapital-hilfe, die etwa die Hälfte der Entwicklungshilfe ausmacht, blieb beim Wirtschaftsministerium. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bekam lediglich die Zuständigkeit für die technische Hilfe (Ausbildungshilfe, Sozialstrukturhilfe, Entsendung von Experten und Entwicklungshelfern) zugesprochen.
Diese Zuständigkeitsregelung, die im wesentlichen noch heute gilt, hat das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit vielerorts in den Ruf gebracht, überflüssig zu sein. Was soll auch ein Ministerium, welches für einen Großteil seiner Aufgaben entweder nicht oder nicht allein zuständig ist?
In ihrem Bericht zur Reform der Bundesregierung hat die Projektgruppe vorgeschlagen, das Entwicklungshilfeministerium aufzulösen und als besondere Organisationseinheit dem Auswärtigen Amt einzugliedern
Bekanntlich hat sich die Kabinettsreform vom Herbst 1969 auch nicht an die Empfehlungen der Projektgruppe gehalten. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit blieb bestehen, und mit ihm der Kampf um Kompetenzen. Heftig umstritten ist heute vor allem die Zuständigkeit für die Kapitalhilfe. Das Entwicklungshilfeministerium möchte diese Zuständigkeit bei sich konzentrieren: weil die jetzige Regelung zu zahlreichen Pannen geführt hat; weil künftig noch mehr als bisher sogenannte „Verbundhilfe" geleistet werden soll, was eine enge Koppelung von technischer Hilfe und Kapitalhilfe voraussetzt, und weil langfristige Konzepte sich nur schwer entwikkeln und verwirklichen lassen, wenn dabei mehrere Ressorts mitreden.
Man wird diesen Argumenten kaum widersprechen können. Dennoch ist die Frage, ob nicht eine bessere Koordination zwischen den beteiligten Ressorts hier schon genügen würde
Exkurs über den Nutzen von Ministern ohne Portefeuille
In ihrem „Bericht zur Reform von Bundesregierung und Bundesverwaltung" weist die Projektgruppe am Rande auf die Möglichkeit hin, Minister ohne Portefeuille zu ernennen. „Ihre Einführung böte den Vorteil, daß politischen Notwendigkeiten Rechnung getragen werden könnte, ohne daß damit eine Aufgabenzersplitterung durch Ressortneugründungen Hand in Hand gehen würde."
Minister ohne Portefeuille gab es in Europa schon im vorigen Jahrhundert 73). In Deutschland wurden sie allerdings erst 1918 eingeführt, obwohl Bismarck sie einst empfohlen hatte. Sie dienten oder sie dienen als Verbindungspersonen zum Parlament, zu den Par-teien oder zu den Verbänden, als Berater, als Leiter von Sonderausgaben, als Vertraute des Regierungschefs und dergleichen mehr. In den meisten Fällen verdanken sie ihre Ernennung Patronage-Motiven.
Die Einrichtung ist vor allem in England gebräuchlich. Dort empfindet man es seit jeher als nützlich, einige wenige Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung und im Kabinett zu haben. Die Inhaber solcher Sinekuren tragen so verschiedene Titel wie Lord Privy Seal, First Secretary of State, Paymaster-General, Chancellor of the Duchy of Lancaster, Minister without Portfolio u. a. m. Die wichtigeren unter ihnen werden heute in der Regel mit Sonderausgaben oder mit der Leitung von Kabinettsausschüssen betraut; die weniger wichtigen nehmen die meist vage Funktion eines Beraters ein oder dienen einfach als Staffage. Je nach dem Charakter und der Bedeutung ihrer Aufgabe steht ihnen ein kleiner Arbeitsstab zur Verfügung oder nicht.
Der Wert dieser Einrichtung ist auch in England umstritten. Positiv beurteilt sie Herbert Morrison: „Die Minister ohne Geschäftsbereich können, da sie von der Alltagsarbeit eines Ressort-Ministers unbeschwert sind, der Gestaltung und Planung der zukünftigen Politik Zeit und sorgfältiges Studium widmen. Sie sollten von Vorurteilen frei sein, denen verständlicherweise die Ressortminister nicht entgehen können, und aus diesem Grunde ist ihr Beitrag zu den Beratungen ebenso wichtig wie unentbehrlich. Vorausgesetzt, der Premierminister hat eine glückliche Hand bei ihrer Auswahl und findet Persönlichkeiten, die für diese Aufgabe und für die Koordinierungsarbeit fähig und geeignet sind, so ist die Mitgliedschaft einer angemessenen Zahl von Ministern ohne Geschäftsbereich im Kabinett ein wirklicher Vorteil."
Weniger positiv ist das Urteil von Churchill. Churchill hat dabei das Los desjenigen im Auge, der, wie er es empfindet, das Pech hat, bei der Regierungsbildung mit einem solchen bloß nominellen Amt abgespeist zu werden. Churchill, der im Ersten Weltkrieg, nach dem Dardanellen-Desaster, selbst einmal für wenige Monate als Chancellor of the Duchy of Lancester im Kabinett gesessen hatte, charakterisiert diese Zeit mit den Worten: „In this Position I knew everything and could do nothing." 78) Als ihm zu Beginn des Zweiten Weltkriegs die Admiralität — und nicht, wie er ursprünglich befürchtet hatte, eine Sinekure — angeboten wurde, war er daher sehr erleichtert: „. . . es war mir lieber, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen, als über der Arbeit zu brüten, die andere leisten, wie es leicht das Los eines Ministers wird, der zwar sehr viel Einfluß, aber kein eigenes Ministerium hat. Es ist leichter, bestimmte Weisungen zu erteilen als Ratschläge, und ich will lieber das Recht haben, in einem beschränkten Umkreis handeln zu dürfen, als vor aller Welt und über alles zu reden."
Churchills Bemerkungen machen die prinzipielle Schwäche der Position des Ministers ohne Geschäftsbereich deutlich: Da er keine eigenen Zuständigkeiten besitzt, kann er nur raten, nicht befehlen. Ob und inwieweit seine Ratschläge befolgt werden, hängt gänzlich von seinen Kabinettskollegen, insbesondere vom Premierminister ab. Im allgemeinen wird er nur dann etwas ausrichten können, wenn er die volle Autorität des Regierungschefs hinter sich hat.
Dies ist auch der Grund, weshalb aktive Naturen im allgemeinen wenig Interesse für solche Ämter zeigen. Mit John Kenneth Galbraith sind sie der Auffassung, „daß man als vernünftiger Mann keine Staatsfunktion übernehmen sollte, wenn man kein klar umrissenes Aufgabengebiet hat. Man sollte seine Stärke nicht von dem Manne über sich, sondern von der Aufgabe selbst ableiten. Man sollte nicht einer derjenigen sein, mit denen der Präsident sprechen will, sondern mit denen er sprechen muß."
Vorübergehend gab es auch in der Bundesrepublik Minister ohne Portefeuille, wenngleich sie nicht unter diesem Namen auftraten. Da sie bestimmte Sonderausgaben erfüllen sollten, wie zum Beispiel Wasserwirtschaft, Mittelstandsfragen, Beziehungen zum Bundestag usw., wurden sie Sonderminister genannt. 1953 holte Adenauer vier solcher Minister in sein Kabinett, allerdings nicht, weil er sich für die Kabinettsarbeit etwas davon versprochen hätte, sondern weil er glaubte, auf diese Weise am bequemsten die Wünsche der Regierungsfraktionen nach mehr Ministersitzen erfüllen zu können. 1961 wurde Heinrich Krone Bundesminister für besondere Aufgaben. Wenn man genau sein will, dann muß man allerdings auch den Bundesratsminister, der von 1949— 1969 im Kabinett saß, als Minister ohne Portefeuille bezeichnen
Bewährt hat sich die Einrichtung des Sonder-ministers jedoch nicht. Vom Parlament und von den Parteien wurden die Minister ohne Ministerien kaum ernst genommen. In der Öffentlichkeit galten sie als Müßiggänger 76). Im Kabinett besaßen sie kaum Einfluß. Welche Funktion sollten sie innerhalb der Regierung auch erfüllen? Wegen der prinzipiellen Gleichheit der Bundesminister kamen sie als Koordinierungsminister nicht in Frage, und wegen des schwach ausgebildeten Kollegialprinzips konnten sie bei Kabinettsberatungen wenig ausrichten. Zwischen der Richtlinienkompetenz des Kanzlers einerseits und der Ressortselbständigkeit andererseits bleibt in unserem Re-gierungssystem einem Minister ohne Geschäftsbereich wenig Platz zur Entfaltung. Zu Recht stellt Ernst-Wolfgang Böckenförde fest: „Der Minister ohne Portefeuille kann nur etwas bedeuten und sich auswirken, wenn die politische Gesamtleitung der Regierungsarbeit und die Bestimmung der Richtlinien der Politik nicht beim Kanzler, sondern beim Kabinett liegen. Das Kabinett ist dann der Ort, wo ein solcher Minister sein politisches Gewicht und seine Überzeugungskraft in die Waagschale werfen kann."
Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Sonderminister nach einem eigenen Ressort drängen. Zweien von ihnen ist dies auch gelungen. Franz Josef Strauß, der 1953 als Sonderminister ins Kabinett eintrat, wurde zwei Jahre später Atom-minister. Heinrich Krone begann 1963, sich ein Ministerium für die Angelegenheiten des Bundesverteidigungsrates aufzubauen. Das heißt: Die Einführung von Ministern ohne Geschäftsbereich ist der Ansatzpunkt für die Bildung neuer Ressorts. Genau aus diesem Grund empfiehlt es sich denn auch nicht, solche Minister zu ernennen.
Einen Sonderfall stellen die Minister Westrick und Ehmke dar
Die Spekulationen derer, die in Ehmke eine Art „Unterbundeskanzler" sehen, haben sich inzwischen wohl als übertrieben herausgestellt. Der Regierungschef hat jedenfalls inzwischen Ehmkes Stellung und Aufgabenbereich fixiert. So steht fest, daß er nicht in Abwesenheit des Kanzlers oder dessen Stellvertreters Kabinettssitzungen leiten darf. Dennoch bleibt die Doppelfunktion von Minister und Chef des Bundeskanzleramtes verfassungsrechtlich bedenklich. Der springende Punkt scheint mir der zu sein, daß Ehmke (genau wie vormals Westrick) als Minister im Kabinett stimmberechtigt, als Chef des Kanzleramtes jedoch an die Weisungen des Regierungschefs gebunden ist. Er dürfte also im Kabinett nur im Sinne Brandts abstimmen. Praktisch läuft das darauf hinaus, daß der Bundeskanzler im Regierungskollegium eine doppelte Stimme besitzt. Das ist jedoch unzulässig, ganz davon abgesehen, daß die Stimmabgabe eines Ministers nicht anders als die eines Abgeordneten nicht an Weisungen und Aufträge gebunden sein darf. Zumindest bei formellen Abstimmungen, die allerdings äußerst selten stattfinden, dürfte Ehmke seine Stimme nicht abgeben.