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Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen zu Jürgen Weber: Das sowjetische Wiedervereinigungangebot vom 10. März 1952 | APuZ 40/1970 | bpb.de

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APuZ 40/1970 7. März 1936 Studie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen zu Jürgen Weber: Das sowjetische Wiedervereinigungangebot vom 10. März 1952 Zu den kritischen Anmerkungen Georg-Wilhelm Zickenheimers

Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen zu Jürgen Weber: Das sowjetische Wiedervereinigungangebot vom 10. März 1952

Georg-Wilhelm Zickenheimer

/ 6 Minuten zu lesen

In der Ausgabe B 50/69 vom 13. Dezember 1969 brachten wir eine Analyse von Jürgen Weber zur frühen deutschen Ostpolitik mit dem Titel: „Das sowjetische Wiedervereinigungsangebot vom 10. März 1952 — Versäumte Chance oder trügerische Hoffnung?“ Da es sich bei diesem Thema um noch weitgehend unerforschte Fragen mit teilweise sehr komplizierten Sachverhalten handelt, war eine größere Resonanz nicht zu erwarten. Die Redaktion erhielt jedoch eine Stellungnahme zu diesem Artikel, die der skeptischen Haltung Webers zur sowjetischen Deutschland-politik eine positivere Auffassung der damaligen Verhandlungssituation gegenüberstellt. Diese Stellungnahme und eine Erwiderung Jürgen Webers werden im Folgenden abgedruckt.

In der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte" B 50/69 wagt sich Jürgen Weber an die Diskussion eines sehr schwierigen Problems heran, nämlich an die Frage, ob die sowjetische Note vom 10. März 1952 ein ernsthaftes Wiedervereinigungsangebot enthalten habe oder nicht. Der Mut hierzu ist zu begrüßen. Zu prüfen bleibt aber, ob Weber wirklich dem von ihm selbst aufgestellten Grundsatz gerecht wird: „Auch ein kritisch Urteilender . . . sollte sich davor hüten, die Vergangenheit nur im milden Glanz der Problemlosigkeit zu sehen; er sollte sich vielmehr die Mehrdeutigkeit jeder wirklich politischen Situation in Erinnerung rufen und mit in sein Urteil einbeziehen."

Wird Weber nun seinem eigenen Grundsatz gerecht, wenn er schreibt: „Unter dem Eindruck der intransigenten sowjetischen Haltung beschlossen die Westmächte, wenigstens ihre Besatzungszonen zu konsolidieren"? Steht hinter dem Wort „intransigent" nicht bereits ein völlig feststehendes Bild sowjetischer Nachkriegspolitik, das selber starr und unversöhnlich ist? Läßt sich eine Schwarz-Weiß-Malerei wirklich noch aufrechterhalten, nachdem eine Veröffentlichung, wie etwa die von Gar Alperovitz uns Einblicke in inneramerikanische Diskussionen der Nachkriegszeit gewährt hat? Ähnlich argumentiert Weber etwas später bei der Betrachtung eines westdeutschen Wehrbeitrages, den er für unausweichlich hält („Westdeutschland wurde zum Vorfeld bei der Verteidigung der westeuropäischen Freiheit; auf seinen militärischen Beitrag bei einem etwaigen sowjetischen Angriff konnte nicht verzichtet werden") und für den die deutsche Außenpolitik nur noch „annehmbare Bedingungen auszuhandeln" hatte. Diese waren nach Weber: politische Selbstbestimmung, eine Sicherheitsgarantie für das Territorium der Bundesrepublik und Gleichberechtigung. Dabei bleibt völlig offen, was unter „politischer Selbstbestimmung" und unter „Gleichberechtigung" zu verstehen ist.

Wird die Verhandlungssituation des Jahres 1952 wirklich durch den Satz erhellt: „. . . verlangten die Westmächte diesmal deutliche Beweise dafür, daß die Sowjetregierung keine diplomatischen Scheingefechte im Sinn hatte"? Ist da nicht sogleich die Frage erlaubt, wann man bei diplomatischen Verhandlungen von „Scheingefechten" zu sprechen hat und welche Kriterien es dafür gibt?

Das gleiche gilt für die Behauptung: „In Wirklichkeit behielt sich natürlich die Sowjetunion vor, die Grenzen dieser Souveränität im Friedensvertrag festzusetzen." Woher hat Weber dieses Wissen?

Vom Inhalt her unverständlich ist die Feststellung zur Sowjetnote vom 23. August 1952: „Nicht übersehen werden darf auch die sowjetische Anregung, Vertreter der DDR und der Bundesrepublik zu dieser Konferenz einzuladen. Hier zeichnete sich bereits das spätere Zweistaatenkonzept ab." Ist nicht auch Weber der Meinung, daß ein , Zweistaatenkonzept'schon seit spätestens 1949 sichtbar war? Auch Webers Folgerungen aus seinem Abschnitt: „Die Interessenlage und die seit 1950 praktizierte Politik der Sowjetunion" sind durchaus nicht einsichtig: . ergibt sich aus der in diesem Kapitel skizzierten Strategie der sowjetischen Außenpolitik, daß kein verantwortlicher Politiker ohne weiteres jene Offerte für bare Münze nehmen konnte und durfte, weil der instrumentale Charakter der sowjetischen Deutschlandinitiativen immer wieder deutlich hervorgetreten war" Kann und darf ein Politiker überhaupt jemals eine Offerte für bare Münze nehmen und besitzt nicht jede Offerte einen „instrumentalen Charakter"? Zumindest müßte doch der Begriff „instrumentaler Charakter" definiert werden.

Im Kapitel „Nationale Streitkräfte und deutsche Neutralität in kommunistischer Sicht" folgert Weber aus Äußerungen östlicher Politiker zum angeblich qualitativen Unterschied zwischen westdeutschen Europaarmeekontingenten und nationalen Streitkräften eines neutralen Staates: „Nationale Streitkräfte werden deshalb ungefährlich sein, weil sie fest mit dem Weltfriedenslager verbunden . . . sind" und einige Sätze weiter: „Die Neutralität Deutschlands sollte demnach eine prosowjetische Neutralität sein und seine innere Verfassung sollte der der DDR entsprechen . . ."! Leider bleibt Weber auch hierfür den Beweis schuldig. Die von ihm herangezogenen Presse-stimmen des Ostblocks können durchaus offizieller Natur gewesen sein, offen bleibt aber, ob es sich um Kommentare für das In-oder für das Ausland gehandelt hat. Dies wäre aber für eine Wertung entscheidend.

Ferner behauptet Weber: „Die Sowjetunion hätte nur einer deutschen Neutralität zugestimmt, die einer Ausdehnung ihres Einflußbereiches gleichgekommen und folglich keine Neutralität im objektiven Wortsinn gewesen wäre." Stimmt diese Ansicht wirklich? Zeigt die Lösung der österreichischen Frage, daß es wohl primär um die Verhinderung der Stärkung des jeweils gegnerischen Lagers gegangen ist?

Sethes These einer deutschen Hauptaufgabe, zwischen den USA und der UdSSR zu vermitteln, wird von Weber abgetan mit der Bemerkung: „Die Auffassung von der möglichen Vermittlerrolle eines neutralen Deutschlands zum damaligen Zeitpunkt geht an den Realitäten vorbei." Weber übersieht dabei offenbar, daß Sethe 1956 zu diesem Komplex folgendes schrieb: „Mißtrauen würde Deutschland freilich erregen, wenn es eine solche unabhängige Stellung gleichsam durch die Hintertür in heimlichen Gesprächen mit der Sowjetunion anstrebte." Im nächsten Abschnitt heißt es dann bei Sethe: „Deutschland wäre auch mit einer solchen Politik nicht isoliert. Es hätte bereits jetzt mächtige Weggenossen in Asien . . . Es hätte in Europa Weggenossen in Schweden und Österreich. Es könnte sich zutrauen, bald andere Staaten zu finden, mit denen es eine solche Politik im Grundzug gemeinsam betreiben könnte."

Nun kann man natürlich behaupten, eine solche Sicht der Dinge sei an den „Realitäten" vorbeigegangen. War aber, im Rückblick gesehen, die Einschätzung der Situation durch Konrad Adenauer „real", der am 16. März 1952 in Siegen erklärte: „Ziel der deutschen Politik ist es nach wie vor, daß der Westen so stark wird, März 1952 in Siegen erklärte: „Ziel der deutschen Politik ist es nach wie vor, daß der Westen so stark wird, um mit der Sowjetunion zu einem vernünftigen Gespräch zu kommen. Ich bin fest davon überzeugt, und auch die letzte Note der Sowjetunion ist wieder ein Beweis dafür, daß, wenn wir auf diesem Wege fortfahren, der Zeitpunkt nicht mehr allzu fern ist, zu dem Sowjetrußland sich zu einem vernünftigen Gespräch bereit erklärt." 14)

Denn daß die sogenannte „Politik der Stärke" die deutsche Wiedervereinigung nicht vorangebracht hat, wird heute doch wohl allgemein zugegeben werden müssen und ihre Charakterisierung durch Gustav Heinemann als „Politik der eingebildeten Stärke" 15) trifft doch wohl durchaus zu.

Um die Haltung der Westmächte zu diesem Komplex zu verdeutlichen, zitiert Weber u. a. Hans Buchheim: „Daher wäre, ganz gleich, was die Deutschen selbst gewollt hätten, eine Neutralisierung Gesamtdeutschlands für die Westmächte unannehmbar gewesen." 16) Damit wäre dann der . Schwarze Peter'bei den Siegermächten angekommen, und die westdeutsche Politik tat also gut daran, die Kreise der Mächtigen nicht zu stören. Das war sicherlich der Weg des geringsten Widerstandes, der risikoloseste für Westdeutschland, aber eben auch der Weg, der bestimmt nicht zur Überwindung der damals noch nicht vollkommenen Spaltung führen konnte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jürgen Weber, a. a. O., S. 4.

  2. Ebenda, S. 5.

  3. Gar Alperovitz, Atomare Diplomatie — Hiroshima und Potsdam, München 1966.

  4. Jürgen Weber, a. a. O., S. 5.

  5. Ebenda, S. 6.

  6. Ebenda, S. 8, Abschnitt 3: Der Inhalt der März-note und des sich anschließenden Notenwechsels.

  7. Ebenda, S. 8.

  8. Ebenda, S. 8.

  9. Ebenda, S. 12.

  10. Ebenda, S. 14.

  11. Ebenda, S. 16.

  12. Ebenda, S. 17.

  13. Paul Sethe, Zwischen Bonn und Moskau, S. 43.

  14. Jürgen Weber, a. a. O., S. 19.

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