In der Ausgabe B 50/69 vom 13. Dezember 1969 brachten wir eine Analyse von Jürgen Weber zur frühen deutschen Ostpolitik mit dem Titel: „Das sowjetische Wiedervereinigungsangebot vom 10. März 1952 — Versäumte Chance oder trügerische Hoffnung?“ Da es sich bei diesem Thema um noch weitgehend unerforschte Fragen mit teilweise sehr komplizierten Sachverhalten handelt, war eine größere Resonanz nicht zu erwarten. Die Redaktion erhielt jedoch eine Stellungnahme zu diesem Artikel, die der skeptischen Haltung Webers zur sowjetischen Deutschland-politik eine positivere Auffassung der damaligen Verhandlungssituation gegenüberstellt. Diese Stellungnahme und eine Erwiderung Jürgen Webers werden im Folgenden abgedruckt.
In der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte" B 50/69 wagt sich Jürgen Weber an die Diskussion eines sehr schwierigen Problems heran, nämlich an die Frage, ob die sowjetische Note vom 10. März 1952 ein ernsthaftes Wiedervereinigungsangebot enthalten habe oder nicht. Der Mut hierzu ist zu begrüßen. Zu prüfen bleibt aber, ob Weber wirklich dem von ihm selbst aufgestellten Grundsatz gerecht wird: „Auch ein kritisch Urteilender . . . sollte sich davor hüten, die Vergangenheit nur im milden Glanz der Problemlosigkeit zu sehen; er sollte sich vielmehr die Mehrdeutigkeit jeder wirklich politischen Situation in Erinnerung rufen und mit in sein Urteil einbeziehen."
Wird Weber nun seinem eigenen Grundsatz gerecht, wenn er schreibt: „Unter dem Eindruck der intransigenten sowjetischen Haltung beschlossen die Westmächte, wenigstens ihre Besatzungszonen zu konsolidieren"?
Wird die Verhandlungssituation des Jahres 1952 wirklich durch den Satz erhellt: „. . . verlangten die Westmächte diesmal deutliche Beweise dafür, daß die Sowjetregierung keine diplomatischen Scheingefechte im Sinn hatte"?
Das gleiche gilt für die Behauptung: „In Wirklichkeit behielt sich natürlich die Sowjetunion vor, die Grenzen dieser Souveränität im Friedensvertrag festzusetzen."
Vom Inhalt her unverständlich ist die Feststellung zur Sowjetnote vom 23. August 1952: „Nicht übersehen werden darf auch die sowjetische Anregung, Vertreter der DDR und der Bundesrepublik zu dieser Konferenz einzuladen. Hier zeichnete sich bereits das spätere Zweistaatenkonzept ab."
Im Kapitel „Nationale Streitkräfte und deutsche Neutralität in kommunistischer Sicht" folgert Weber aus Äußerungen östlicher Politiker zum angeblich qualitativen Unterschied zwischen westdeutschen Europaarmeekontingenten und nationalen Streitkräften eines neutralen Staates: „Nationale Streitkräfte werden deshalb ungefährlich sein, weil sie fest mit dem Weltfriedenslager verbunden . . . sind"
Ferner behauptet Weber: „Die Sowjetunion hätte nur einer deutschen Neutralität zugestimmt, die einer Ausdehnung ihres Einflußbereiches gleichgekommen und folglich keine Neutralität im objektiven Wortsinn gewesen wäre."
Sethes These einer deutschen Hauptaufgabe, zwischen den USA und der UdSSR zu vermitteln, wird von Weber abgetan mit der Bemerkung: „Die Auffassung von der möglichen Vermittlerrolle eines neutralen Deutschlands zum damaligen Zeitpunkt geht an den Realitäten vorbei."
Nun kann man natürlich behaupten, eine solche Sicht der Dinge sei an den „Realitäten" vorbeigegangen. War aber, im Rückblick gesehen, die Einschätzung der Situation durch Konrad Adenauer „real", der am 16. März 1952 in Siegen erklärte: „Ziel der deutschen Politik ist es nach wie vor, daß der Westen so stark wird,
Denn daß die sogenannte „Politik der Stärke" die deutsche Wiedervereinigung nicht vorangebracht hat, wird heute doch wohl allgemein zugegeben werden müssen und ihre Charakterisierung durch Gustav Heinemann als „Politik der eingebildeten Stärke" 15) trifft doch wohl durchaus zu.
Um die Haltung der Westmächte zu diesem Komplex zu verdeutlichen, zitiert Weber u. a. Hans Buchheim: „Daher wäre, ganz gleich, was die Deutschen selbst gewollt hätten, eine Neutralisierung Gesamtdeutschlands für die Westmächte unannehmbar gewesen." 16) Damit wäre dann der . Schwarze Peter'bei den Siegermächten angekommen, und die westdeutsche Politik tat also gut daran, die Kreise der Mächtigen nicht zu stören. Das war sicherlich der Weg des geringsten Widerstandes, der risikoloseste für Westdeutschland, aber eben auch der Weg, der bestimmt nicht zur Überwindung der damals noch nicht vollkommenen Spaltung führen konnte.