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7. März 1936 Studie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers | APuZ 40/1970 | bpb.de

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APuZ 40/1970 7. März 1936 Studie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen zu Jürgen Weber: Das sowjetische Wiedervereinigungangebot vom 10. März 1952 Zu den kritischen Anmerkungen Georg-Wilhelm Zickenheimers

7. März 1936 Studie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers

Manfred Funke

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Der Programmatiker einer Bewegung hat das Ziel derselben festzulegen, der Politiker seine Erfüllung anzustreben. Der eine wird demgemäß in seinem Denken von der ewigen Wahrheit bestimmt, der andere in seinem Handeln mehr von der jeweiligen praktischen Wirklichkeit. Die Größe des einen liegt in der absoluten abstrakten Richtigkeit seiner Idee, die des andern in der richtigen Einstellung zu den gegebenen Tatsachen, wobei ihm als Leitstern das Ziel des Programmatikers zu dienen hat. Adolf Hitler, Mein Kampf *) Es kommt immer darauf an, welche Macht man tatsächlich besitzt und wie stabil diese Macht ist, um die genau zu berechnenden Krisen zu überwinden. Man muß begreifen, um was es geht, man darf nicht Utopien nachjagen, sondern muß notfalls das Ziel in Etappen zu erreichen versuchen. Josef Goebbels am 5. April 1940 vor Vertretern der deutschen Presse Nach der Machtergreifung ging Hitler zielstrebig daran, sich mit der totalen Indoktrination des deutschen Volkes, der Wiederaufrüstung und der Lösung der Versailler Vertrags-fesseln das wichtigste machtpolitische Instrument zu verschaffen, welches zur Durchführung seiner auf die Gewinnung neuen Lebensraumes abzielenden Pläne nötig war. Das militärische Erstarken Deutschlands galt als Basis für jede aktive Außenpolitik

Die erfolgreiche Schaffung dieser Voraussetzung wurde durch die Bildung der sogenannten Stresa-Front, mit welcher Italien, England und Frankreich auf die deutsche Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (16. März 1935) reagierten, lediglich für kurze Zeit gebremst. Der deutsch-englische Flottenvertrag (18. Juni 1935) und der von Mussolini am 3. Oktober 1935 unter Mißachtung des Völkerbundes begonnene Krieg gegen Abessinien brachten bald eine so tiefe Unruhe und Verwirrung ins europäische Mächtesystem, daß Hitler es am 7. März 1936 wagen konnte, mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Rheinlandzone das letzte Bollwerk der westlichen Status-quo-Politik zu beseitigen Im Folgenden geht es um die Klärung des Fragenkomplexes,. wie Hitler im Frühjahr 1936 die internationale politische Lage beurteilte, die ihm den Coup nahelegte, und in welcher Weise sie die Vorbereitung, Durchführung und Absicherung der Aktion bestimmte. Die Dar-stellung der Wechselbeziehungen zwischen der europäischen Politik und Deutschlands Vertragsbruch soll dazu beitragen, Hitlers außenpolitischen Führungsstil in dieser entscheidenden Phase der Vorkriegsgeschichte zu verdeutlichen.

I. Die allgemeine Erwartung einer deutschen Aktion

Georg-Wilhelm Zickenheimer: Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen Weber: Das sowjetische vom 10. zu Jürgen Wiedervereinigungsangebot 1952 Jürgen Weber: Zu den kritischen Georg-Wilhelm Zickenheimers Anmerkungen ........... S. 35 S. 37

Als Mussolini trotz englischer Warnungen von seinem Vorhaben, der Eroberung Abessiniens, nicht abzubringen war und die französische Regierung aus Furcht vor Deutschland es weder mit Italien noch England verderben wollte, wurde der Völkerbund zunehmend geschwächt. Der Primat nationaler Sonderinteressen gegenüber der Pflicht zur kollektiven Friedenssicherung trat immer deutlicher zutage. Während sich an Abessiniens Grenzen seit dem Sommer 1935 der Strom italienischer Truppen und Waffen höher und höher staute, scheute man in Genf durchgreifende Maßnahmen gegen Mussolinis bevorstehenden Angriff auf ein anderes Völkerbundsmitglied. Die unterschiedliche Interessenlage der führenden Völkerbundsmächte Frankreich und England paralysierte alles, was über die halbherzige Anwendung von Wirtschaftssanktionen gegen Italien hinausging. Während das um seine Stellung im östlichen Mittelmeer besorgte Großbritannien offensichtlich zum schärferen Vorgehen gegen den Duce bereit war, tat Frankreich das genaue Gegenteil. Paris wollte einerseits dem Völkerbund gehorchen, andererseits aber den Duce nicht durch feindselige Handlungen (Olsperre) an die Seite Hitlers treiben. Bald stand die europäische Politik im Zeichen betriebsamer Ratlosigkeit.

Je mehr sich aufgrund der Intransigenz Mussolinis die Beziehungen der Stresa-Partner untereinander verschlechterten, desto größer wurde in den europäischen Hauptstädten die Sorge, Hitler könne die verworrene Situation ausnutzen und die militärische Hoheitsbeschränkung an der Westgrenze des Reiches beseitigen. In London fand man schon Monate zuvor die Ansicht weit verbreitet, daß Hitler „der lachende Dritte" im Streit zwischen Mussolini und dem Negus sein würde

In Paris herrschte naturgemäß die größte Unruhe. Botschafter Franpois-Poncet äußerte während des Neujahrsempfanges am 10. Januar 1936 zu AA-Staatssekretär von Bülow, Deutschland bereite offenbar den Boden für eine Uberraschungstat vor. Drei Tage später wurde der französische Botschafter noch deutlicher. Bei einem Besuch in der Wilhelmstraße hielt er von Bülow vor, daß die deutsche Regierung offensichtlich nach einem Vorwand suche, um den Locarno-Vertrag als von Frankreich verletzt hinzustellen und dann die entmilitarisierte Zone zu besetzen.

Dieser Verdacht des Botschafters exemplifizierte die allgemeine Erwartung eines deutschen Coups. Sie spiegelte sich besonders eindrucksvoll in den vom sogenannten Luftwaffenforschungsamt Görings angefertigten Interzepten des telephonischen und telegraphischen Nachrichtenverkehrs fast aller in Berlin akkreditierten Missionen

Der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, war darum kaum überrascht, als ihn Hitler am 14. Februar nach Berlin kommen ließ und ihm eröffnete, den Statuts quo am Rhein beseitigen zu wollen. Er hätte, so bemerkte der Botschafter daraufhin, bei seinem plötzlichen Abruf aus Rom sofort an die Erörterung dieser Frage gedacht. Sie läge offenbar „in der Luft". Schon zweimal hätte ihm der japanische Botschafter in Rom zu verstehen gegeben, daß man auf eine deutsche Aktion direkt warte, „um sich darauf stürzen zu können". Auch Baron Aloisi (Kabinettschef im italienischen Außenmininsterium und Ratsvertreter im Völkerbund) hätte erst vor zwei Tagen gefragt, was Deutschland im Fall einer Ratifikation des russisch-französischen Beistandspaktes tun wolle Am selben Tag (12. Februar 1936), an dem Aloisi diese Frage stellte, offenbarte Hitler seinem Wehrmachtsadjutanten Hoßbach den Entschluß zur Wiederbesetzung des Rheinlandes mit deutschen Truppen. Dies geschah in einem längeren Gespräch unter vier Augen im Sonderzug Hitlers in Schwerin, wo der „Führer" kurz zuvor an der Beisetzung des in der Schweiz ermordeten NSDAP-Landesgruppenleiters Gustloff teilgenommen hatte. Vom Zug aus gab Hoßbach anschließend dem Oberbefehlshaber des Heeres, von Fritsch, telefonisch andeutungsweise Kenntnis und bat ihn, noch am Abend desselben Tages zu Hitler in die Reichskanzlei zu gehen. Dort wurde der General von Hitler persönlich informiert. Anschließend reiste Hitler zur Winterolympiade nach Garmisch-Partenkirchen zurück. Ob er während des kurzen Aufenthaltes in Berlin auch mit dem Außenminister gesprochen hat, ist ungewiß. Jedoch war dieser bereits informiert, als von Hassell mit Hitler am 14. Februar in München zusammentraf.

Im Verlauf dieser Unterredung führte Hitler aus, daß er mit einer „außerordentlich weittragenden Frage" beschäftigt sei. Es handele sich darum, ob Deutschland die Ratifizierung des russisch-französischen Beistandspaktes bzw. auch schon einen zustimmenden Kammerbeschluß zum Anlaß nehmen solle, den Locarno-Vertrag zu kündigen und die entmilitarisierte Zone wieder mit Truppen zu belegen. Bisher hätte er als Termin für eine solche Aktion immer das Frühjahr 1937 ins Auge gefaßt. Die Entwicklung lege aber den Gedanken nahe, ob nicht der psychologiche Augenblick jetzt gekommen sei. Für einen Aufschub spräche zwar die Tatsache, daß das gegenwärtig noch unzulänglich gerüstete Deutschland 1937 über größere Kräfte verfügen würde. Denkbar sei auch ein möglicher russisch-japanischer Konflikt, der dann Deutschlands Aktion gegen den Locarno-Vertrag entlasten könnte. Indessen, so schränkte Hitler ein, erschiene diese Möglichkeit sehr unsicher. Auch die Stärke der anderen Staaten nähme ständig zu. England befände sich noch in militärisch schlechtem Zustand und wäre durch andere Probleme stark gefesselt. Frankreich leide unter innenpolitischen Schwierigkeiten. In beiden Ländern gebe es zudem eine starke Gegnerschaft gegen den „Russenpakt" Er glaube darum nicht, folgerte Hitler weiter, daß man dem deutschen Schritt mit militärischen Maßnahmen begegnen werde, höchstens mit wirtschaftlichen Sanktionen. Diese seien aber inzwischen bei den kleineren Staaten, die den Großmächten nur als Prügelknaben dienten, recht unbeliebt geworden. Er frage sich darum, ob er nicht mit der Anregung an Mussolini herantreten solle, die Verfälschung des Locarno-Vertrages durch die Franzosen zum Anlaß für seine Kündigung zu nehmen, der Deutschland dann folgen würde. Die politischen Vorteile für beide Länder lägen auf der Hand. Zudem empfände doch auch Italien den russisch-französischen Beistandspakt als bedenklich.

Demnach veranlaßte die allgemeine politische Entwicklung Hitler zur Vorverlegung der Rheinlandaktion. Es ergibt sich die Frage, in welcher Weise die durch den Abessinienkonflikt bestimmte internationale Politik Hitler zur Änderung des Termins bewog.

II. Hitlers Gründe für die Beseitigung der entmilitarisierten Zone und der Anlaß für die Aktion

Abkürzungsverzeichnis APA BA DGFP DDF DZA FO FOL IfZg MGFA PA PRO RAM St. S. VB = = = = = = = = = = = = = = Außenpolitisches Amt Rosenberg Bundesarchiv Koblenz Documents on German Foreign Policy Documents Diplomatiques Franais

Deutsches Zentralarchiv Potsdam Foreign Office Archives Foreign Office Library London Institut für Zeitgeschichte München Militärgeschichtliches Forschungsamt Freiburg i. Br.

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn Public Record Office London Reichsaußenminister Staatss✈ٕ?

1. Die Gründe Die entmilitarisierte Zone stellte für die Wehrmacht bei der Erfüllung der ihr von Hitler übertragenen Aufgabe, „die Organisierung der gesamten Nation für die Reichsverteidigung . . . in gesteigertem Tempo" zu vollziehen, ein großes Hindernis dar Nicht allein als entscheidende Voraussetzung für die geplante Beseitigung der deutschen „Verstümmelung im Osten" war die volle Souveränität an der Westgrenze des Reiches unerläßlich, sondern auch aus Gründen der allgemeinen Reichssicherheit. Hitler und seine Militärs waren sich, wenn auch mit unterschiedlicher Motivation, darin einig, daß die Wiederherstellung der Wehrhoheit in der entmilitarisierten Zone eine „unbedingte Notwendigkeit" (Hitler) sei.

Neben diesen strategischen Erwägungen waren offenbar auch innenpolitische Überlegungen für Hitlers Entschluß relevant. Von Neurath sogar maß diesen entscheidende Bedeutung zu. Nach Ansicht des Ministers fühlte Hitler das allgemeine Herabsinken der Begeisterung für das NS-Regime, was ihn zwang, nach einer weiteren nationalen Parole zu suchen und die Massen erneut zu entflammen. Für die Aktion sollte der Heldengedenktag März) „die Folie" bilden, um den propagandistischen Effekt zu erhöhen 8). Wie später der Erfolg bestätigte, bot sich mit dieser Aktion eine günstige Gelegenheit, die allgemeinen Versorgungsschwierigkeiten und die häufigen Zusammenstöße zwischen Partei und Kirche in in den vorwiegend katholischen Rheinlanden vergessen zu lassen. Rechtfertigen wollte Hitler den Vertragsbruch mit dem Abschluß des russisch-französischen Beistandspaktes. 2. Der Anlaß Die Unterzeichnung des russisch-französischen Beistandspaktes am 2. Mai 1935 erregte in Deutschland große Besorgnis — dies um so mehr, als Großbritannien erklärte, nicht automatisch aufgrund seiner Locarno-Verpflichtung zum Eingreifen gezwungen zu sein, wenn Deutschland mit Rußland in einen Konflikt ge raten und Frankreich Rußland durch einen Einfall in Deutschland zur Hilfe kommen würde.

In einer deswegen im Auswärtigen Amt abgehaltenen Konferenz bezeichnete Ministerialdirektor Gaus, der Leiter der Rechtsabteilung, die neue Lage des Reiches als „recht ernst". Nach den Vertragsbestimmungen verfügten Frankreich und Rußland über ihre volle Handlungsfreiheit im Falle einer Bedrohung oder eines Angriffs von seifen eines europäischen Staates. Damit sei dem Locarno-Vertrag der „Todesstoß" versetzt worden. Staatssekretär von Bülow habe bereits den Pakt mit seiner eindeutig gegen Deutschland gerichteten Spitze als „Ungeheuerlichkeit" gebrandmarkt. Die Presse sei angewiesen, „scharf gegen den Vertrag vorzugehen". Zwei Tage später warf von Neurath dem französischen Botschafter vor, „daß der Vertrag ausschließlich gegen Deutschland gerichtet sei"

Am 25. Mai 1935 sandte die Reichsregierung eine scharfe Protestnote an die Signatare des Locarno-Paktes, nachdem Hitler vier Tage zuvor in einer großen Rede vor dem Bruch des Abkommens gewarnt hatte. In dieser Note wurde der Pakt unter Hinweis auf Ziffer 1 des französisch-russischen Zeichnungsprotokolls als unvereinbar mit den Bestimmungen des Locarno-Vertrages erklärt. Wenn auch die englische (5. Juli), die italienische (15. Juli) und die belgische Regierung (19. Juli) darauf antworteten, daß sie sich der deutschen Auffassung nicht anschließen könnten, so hielt das Reich dennoch seinen Einspruch aufrecht. Ende Juli teilte die Reichsregierung in einem Kommunique mit, daß sie die Angelegenheit noch nicht als erledigt betrachte, sich aber vom weiteren Austausch juristischer Memoranden keinen praktischen Nutzen verspräche. Dies sollte Botschafter Köster auch dem französischen Ministerpräsidenten und Außenminister Laval deutlich zu verstehen geben In der Tat ließ Hitler keinen Zweifel am Widerstand gegen den Beistandspakt; selbst dann nicht, als sich die Ratifikation verzögerte und der Abessinienkonflikt stärker in den Mittelpunkt des Weltinteresses rückte. Davon mußte sich besonders Botschafter Franpois-Poncet überzeugen, als er, nach einem Aufenthalt in Paris, am 22. November 1935 mit Hitler zusammentraf. Der „Führer" unterbrach den Diplomaten sofort, als dieser im Auftrag Lavals beteuerte, der Beistandspakt würde sich nicht gegen Deutschland richten. Hitler nannte dieses Versprechen unglaubwürdig und betonte die Unmöglichkeit einer deutsch-französischen Verständigung auf der Basis des französisch-russischen Vertrags. Ähnlich reagierte Hitler auf die Anregung des englischen Botschafters, die Gespräche über eine allgemeine Abrüstung wiederaufzunehmen. Hitler wies auf den Beistandspakt, der eine militärische Allianz gegen Deutschland darstelle, als schweres Hindernis für solche Gespräche hin. Außerdem, so behauptete er weiter, hätte Frankreich mit der Paraphierung des Paktes den Locarno-Vertrag bereits „durchbrochen".

Noch am selben Tag unterrichtete Hitler sein Kabinett ausführlich von seinem Gespräch mit Sir Eric Phipps. Danach hatte er dem englischen Botschafter gesagt, daß die Einbeziehung Rußlands in ein westliches Vertragssystem, an dem Deutschland maßgeblich beteiligt wäre, nicht in Frage käme. Auf den Einwand des Diplomaten, ob bei einer solchen Einstellung Abrüstungsverhandlungen überhaupt denkbar wären, hatte er erwidert, daß Verhandlungen durchaus stattfinden könnten, die der Feststellung der Rüstungsgrenze nach den Bedürfnissen der Vertragspartner dienten. Hierbei würde es sich dann wahrscheinlich herausstellen, „daß es im Interesse sowohl Englands wie Frankreichs liegen dürfte, in die Aufhebung der Bestimmungen über die entmilitarisierte Zone einzuwilligen" Damit hatte Hitler einen Gedanken laut werden lassen, dessen Realisierung der Abessinienkonflikt immer näher rückte:

Mit der Vergrößerung dieser Chance wandelte sich die Bedeutung des russisch-französischen Beistandspaktes für Hitlers Außenpolitik. War der Pakt zunächst ausschließlich als gefährlicher französischer Isolationsversuch erschienen, so konnte man ihn nun gewissermaßen als „willkommenen Vorwand" benutzen um die Versailler Fessel zu lösen. Daß Hitler den Pakt als Vehikel gebrauchen wollte, ließ er bei seinen Gesprächen mit Botschafter von Hassell am 14. und am 19. Februar klar erk und am 19. Februar klar erkennen. Kein einziges Mal bezeichnete Hitler den russisch-französischen Vertrag als Grund seines Unternehmens; er sollte nur der „Anlaß" (Hitler) zur Remilitarisierung des Rheinlandes sein. Von Hassell gewann in seinen Besprechungen mit Hitler den Eindruck, daß dieser „die Ratifikation geradezu wünschte, nämlich als Plattform für seine Aktion" und „es ausdrücklich ablehnte, durch Warnungen in Paris und London die Ratifikation zu verhindern" 13).

Dieser Verdacht von Hassells bestätigte Hitlers Verhalten bei seiner Begegnung mit Fran-

ois-Poncet am 2. März. Obgleich der Beistandspakt wenige Tage zuvor, am 27. Februar, in der französischen Kammer gebilligt worden war, zeigte Hitler keineswegs eine Haltung, die den Botschafter für den Fall einer Ratifikation des Vertrages im Senat bedenklich stimmen mußte. Zwar verurteilte Hitler das französische Vorgehen wiederum als unvereinbar mit den Locarno-Bestimmungen, ohne jedoch mit dieser Kritik eine ernsthafte Warnung zu verbinden. Selbst die neuen Vorschläge für eine deutsch-französische Verständigung, die er im Gespräch mit dem französischen Journalisten Bertrand de Jouvenel einige Tage zuvor in Aussicht gestellt hatte, nannte Hitler nicht überholt. Er hätte zwar noch kein fertiges Angebot in der Tasche, antwortete er dem Botschafter, wolle aber die Angelegenheit weiterhin genau durchdenken. Dies sagte Hitler am selben Tag, an dem der Bereitstellungsbefehl für das Rheinlandunternehmen ausgefertigt wurde 14).

Seine Verschleierungstaktik, der Einmarsch in die Zone vor der endgültigen Ratifikation des Paktes im französischen Senat sowie die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem am Beistandspakt unbeteiligten Locarno-Partner Belgien charakterisierten Hitlers wahre Absicht. Sie bestand darin, den Beistandspakt zum Anlaß für die Aufhebung der entmilitarisierten Zone zu nehmen, weil die Gelegenheit günstig schien.

III. Die internationale Politik im Frühjahr 1936 und Hitlers Entschluß zum Einmarsch in die entmilitarisierte Zone

1. Hitlers Beurteilung Englands Hitlers Annahme, England befinde sich in militärisch schlechtem Zustand und sei durch andere Probleme stark gefesselt, war nicht aus der Luft gegriffen. Mit „ungläubigem Staunen"

hatte er bereits im September 1935 beobachtet wie sich die Entsendung der Homeileet ins Mittelmeer als Bluff erwies und Mussolini keineswegs zum Nachgeben zwang. Als der Duce vielmehr mit einem europäischen Krieg drohte, falls es zur Anwendung militärischer Sanktionen käme, schreckte England sogar zurück. Dies geschah weniger aus Respekt vor der militärischen Schlagkraft Italiens, als vielmehr aus Sorge darüber, daß eine englische Kräftebindung im Mittelmeer Japan zur Fortsetzung seiner Expansionspolitik und Hitler zur politischen Aktivität in Westeuropa reizen würde. Eine militärische Auseinandersetzung mit Italien konnte zur Initialzündung für politische Brände in den verschiedensten Teilen des Commonwealth werden und damit den gleichzeitigen Einsatz aller britischen Streitkräfte erforderlich machen. Für diesen Eventualfall reichten jedoch die einsatzfähigen Truppen bei weitem nicht aus. Bereits die vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen, welche die britische Regierung im Mittelmeer und im Roten Meer traf, konnten nur unter Entblößung anderer wichtiger Stützpunkte vorgenommen werden. In England stehende Verbände dürfte man im Hinblick auf das aufrüstende Deutschland nicht gegen Mussolini mobilisieren. „Germany is the most dangerous spot in Europe", bekannte Englands Premierminister Baldwin am 30. September 1935 im Gespräch mit S. R. Fuller, dem Vertrauten und Ratgeber Roosevelts. Italien rangierte auf Baldwins Liste gefährlichsten der Unruhestifter vor Rußland und Japan auf Platz zwei „Keep us out of war, we are not ready for it", forderte deshalb Baldwin von Außenminister Hoare nachdem man in London eingesehen hatte, daß Mussolini sich durch Drohungen allein nicht einschüchtern ließ.

Während sich die zunächst bekundete Entschlossenheit Londons, Mussolini zur Mäßigung zu zwingen, in eine mehr tastende Politik verwandelte, wurde ein neues Rüstungs-Programmerstellt. Für Schutzvorkehrungen im östlichen Mittelmeer stellte die Regierung 7, 8 Millionen Pfund bereit. Der ordentliche Wehrhaushalt für 1936/37 wurde gegenüber 1935/36 um 95 Millionen Pfund erhöht. Diese Ausgaben und ein zusätzliches Rüstungsprogramm bestätigten Hitlers Prognose, daß 1937 nicht nur Deutschland, sondern auch seine Nachbarländer stärker sein würden, zumal Frankreich dem englischen Beispiel folgte und seine Aufrüstung weiter intensivierte.

Der Abessinienkonflikt offenbarte Hitler jedoch nicht allein die mangelnde Kriegsbereitschaft Englands. Die Hinnahme der „moralischen Niederlage" nach dem Debakel der Flottendemonstration im Mittelmeer war für Hitler, der nur in machtpolitischen Vorstellungen dachte, zudem ein Beweis für die innere Schwäche und Entschlußlosigkeit der britischen Regierung. Der negative Eindruck vertiefte sich, als Mitte Dezember der sogenannte Hoare-Laval-Plan bekannt wurde, der eine friedliche Beilegung des Abessinienkonflikts vorsah und laut dem Italien etwa drei Fünftel Abessiniens erhalten sollte. Aufgrund des bis dahin propagierten vorbehaltlosen Bekenntnisses Englands zum Völkerbund hätte nur eine kollektive Bestrafung Italiens die logische Folge der britischen Politik sein können. Statt dessen sollte Mussolini plötzlich für die Mißachtung des Völkerbundes mit der Zuteilung abessinischer Gebiete belohnt werden. Diese Desavouierung des Prinzips der kollektiven Sicherheit rief bei Hitler erhebliche Zweifel an der Vertragstreue der Westmächte hervor und erleichterte vermutlich seinen Entschluß zum Bruch des Rheinpaktes Dabei dürfte noch folgende Überlegung Hitler in seinem Entschluß haben: Wenn sich England um seine gefährdete Position im Mittelmeer sorgte, seine mangelnde Rüstung jedoch von einem entschlossenen Vorgehen abriet, so war eine scharfe Reaktion Londons auf die Beseitigung der entmilitarisierten Zone um so weniger zu erwarten, als sich ihr strategischer Wert aufgrund der schnellen Entwicklung der Luftwaffe ständig verringerte. Eine Bindung englischer Kräfte am Rhein bedeutete eine Stärkung der italienischen Position im Mittelmeer, das nach Edens Worten lebenswichtige Bedeutung für das Commonwealth besaß. Hingegen war die entmilitarisierte Zone nach englischer Auffassung in erster Linie für Frankreich von Belang. Bezeichnenderweise quittierte Baldwin den Hinweis des besorgten französischen Ministerpräsidenten Sarraut auf die zunehmende Gefährung dieses Terrains mit der Bemerkung: „Wir sind in der Tat die Garanten des Locarnovertrages, aber die Frage interessiert Frankreich weit mehr als uns ..." Die Annahme, England werde sich, wenn nicht aus egoistischen Motiven, so doch aufgrund seiner Vertragsbindung zu einer scharfen Reaktion gezwungen fühlen, lag nach der mit dem Hoare-Laval-Kompromiß bekundeten Respektlosigkeit vor Vertragspflichten nicht mehr nahe.

Ein weiteres Moment, das Hitlers Entschluß festigen mußte, kam hinzu, als England als Gegenleistung für den deutschen Eintritt in die antiitalienische Front ein Objekt in Aussicht stellte, dessen politische Bedeutung das entmilitarisierte Rheinland weit überragte. Es handelte sich um die Aufgabe des britischen Widerstandes gegen die österreichischen „Anschluß " -Pläne Hitlers. Wurde diese Bereitschaft auch nur andeutungsweise sichtbar, so ließ allein die Einbeziehung dieser Möglichkeit in den politischen Kalkül der Briten die Erwartung eines militärischen Gegenschlages gegen die weitaus unbedeutendere Veränderung des Status quo am Rhein kaum mehr zu. Und dies noch weniger, wenn man den antiitalienischen Bestrebungen Englands geschickt entgegenkam. Zu diesem Zweck wollte Hitler mit der Kündigung des Locarno-Vertrages Vorschläge verbinden, die in ihrer praktischen Bedeutung der Wiederherstellung des Locarno-Paktes unter Aufhebung der entmilitarisierten Zone gleichkamen. Besonders bemerkenswert war dabei das Angebot der Rückkehr in den Völkerbund, das bewußt auf die englische Vorliebe für den Völkerbund, den Eckpfeiler britischer Außenpolitik, abgestimmt war.

Demgemäß wurde von Hoesch, der deutsche Botschafter in London, angewiesen, am 7. März gegenüber Außenminister Eden „besonders hervorzuheben, daß der Reichsregierung der Entschluß, sich zum Wiedereintritt in den Völkerbund bereit zu erklären, nicht leicht geworden und daß dabei nicht zuletzt die Erwägung maßgebend gewesen sei, der Politik der Britischen Regierung, die sich so eng an den Völkerbund attackiert hat, nach Möglichkeit entgegenzukommen". Der angebotene Wiedereintritt in den Völkerbund sollte offenbar die englische Regierung zur Diskussion dieser Offerte reizen und damit von einer spontanen militärischen Reaktion auf den geplanten deutschen Vertragsbruch abhalten. Daß England darauf einging, schien um so wahrscheinlicher, als das deutsche Angebot eine Stärkung des Völkerbundes und damit der antiitalienischen Isolationsbestrebungen Englands in Aussicht stellte.

In der Tat rief das deutsche Angebot der Rückkehr nach Genf den beabsichtigten Eindruck hervor. Gerade dieser Punkt, so beschrieb der französische Kriegsminister Maurin die Wirkung des deutschen Köders in London, „gefiel den Engländern sehr, da sie fest an die kollektive Sicherheit glaubten" Edens Unterhausrede am 9. März zeigte deutlich, in welch hohem Maße sich die englische Regierung durch die Hoffnung auf eine neugefestigte allgemeine Sicherheitspolitik verpflichtet fühlte, den deutschen Vertragsbruch weit milder zu beurteilen, als es in Frankreich der Fall war.

Demnach darf festgestellt werden, daß Hitlers Erwartung einer ungefährlichen Reaktion der Briten auf den geplanten Coup keineswegs unrealistisch gewesen ist. 2. Hitlers Beurteilung Frankreichs Hitlers Annahme, England sei militärisch schwach und durch andere Probleme stark gefesselt, erschien angesichts der englischen Haltung im Abessinienkonflikt gerechtfertigt. Seine Feststellung, daß Frankreich innerlich zerstritten sei, enthielt hingegen keinen direkten oder indirekten Bezug auf die französische Haltung im Streit um Abessinien, die den deutschen Diktator zu außenpolitischen Initiativen verlocken konnte. Vielmehr schien eine vorsichtige Zurückhaltung in der Rheinland-frage angebracht, wenn man aus der französischen Einstellung zum Abessinienkonflikt Rückschlüsse auf mögliche Maßnahmen der Pariser Regierung gegen einen deutschen Bruch des Locarno-Vertrages zog. Denn Frankreich beurteilte den Konflikt nach seiner kontinentalen Bedeutung und damit nach seiner Rückwirkung auf das deutsch-französische Machtverhältnis. Entsprechend versuchte Laval, jede Schwächung des Stresa-Partners Italien zu vermeiden, da eine solche zur Verschlechterung der französischen Position gegenüber Deutschland führen mußte. Folglich lehnte man in Paris militärische Sanktionen gegen Italien ab. Sanktionen wirtschaftlicher Art sollten nur behutsame Anwendung finden, um sie für Italien erträglich zu machen. Frankreich wollte zwar seiner Völkerbundspflicht genügen, aber ohne sich mit Italien zu verfeinden. Laval tat darum alles, um die Sanktionen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Bei den Genfer Auseinandersetzungen zwischen England und Italien unterstützte er Italien „de toutes ses forces" „I attempted", heißt es im Tagebuch Lavals, „to reconcile France's obligations to the League of Nations which could obviate a rupture with Italy."

Als beispielsweise London die Homefleet im September 1935 nach Gibraltar schickte, versicherte Laval den Italienern sofort, daß diese Aktion ohne vorherige Rücksprache mit der französischen Regierung erfolgt sei. Selbst den Beistandsforderungen Londons für den Fall eines italienischen Angriffs gegen England kam man in Paris nur widerstrebend nach. Vansittart, Ständiger Unterstaatssekretär im englischen Außenministerium, bezeichnete die französische Zusicherung, Großbritannien im Falle eines italienischen Angriffs gemäß Art. 16 der Völkerbundscharta zu unterstützen, als ein „Ja in zweitausend Worten" Man mißbilligte in Paris die rigorose Haltung Englands gegenüber Italien, wagte aber keine offene Opposition. Aus Sorge um den Status quo am Rhein und aus Furcht vor einer Schwächung der „Wacht am Brenner" infolge einer englisch-italienischen Auseinandersetzung suchte sich Frankreich sowohl die Gunst Mussolinis als auch die Englands zu erhalten. Man wollte Mussolini keinen Anlaß für eine Annäherung an Deutschland geben. Zu groß war die Furcht, daß er im Falle eines deutschen Bruches des Locarno-Vertrages seiner Garantieverpflichtung nicht mehr nachkommen würde

Das Sicherheitsbedürfnis gegenüber dem Reich ließ in Paris Englands Wunsch nach wirksamen Sanktionen gegen Italien zweitrangig erscheinen. „Die internationale Moral", soll Laval am 11. September 1935 zu Hoare gesagt haben, „ist eine Sache, die Interessen eines Landes sind eine andere." Diese Maxime spiegelte sich besonders in den nach der Rheinlandbesetzung von Flandin angestellten Versuchen wider, Italien ins antideutsche Lager zu locken, indem er in Rom die großzügige Unterstützung Frankreichs bei der Lösung des Abessinienkonfliktes anbot. Wie Flandin am 10. März 1943 gegenüber Eden offen zugab, wollte Frankreich den italienischen Beistand gegen Deutschland mit der Aufhebung der Sanktionen gegen Italien erkaufen. „Flandin esperait de remorquer Mussolini ä la suite contre FAllemagne en prenant nettement Position contre les sanctions ä Geneve et en favorisant toutes les tentatives de compromis dans l’affaire ethiopienne." Demnach waren die französischen Maßnahmen darauf gerichtet, „den abessinischen Konflikt möglichst sofort und zugunsten Italiens beizulegen, um eine gemeinsame Stellung möglichst aller europäischen Mächte gegen Deutschland herzustellen" Diese Taktik unterstrich deutlich die sekundäre Bedeutung der Abessinien-frage für die französische Außenpolitik. „No Frenchman", sagte der französische Völkerbundsdelegierte Massigli zu H. R. Wilson, „can possibly see the Ethiopian affair and the Rhineland affair on the same plane of impor-tance." Wenn letztlich der französische Protest nach Hitlers Coup dennoch über eine „vaine rodomontade" (Sarraut) nicht hinaus-kam, so lag dies vor allem an der vorsichtigen Zurückhaltung Londons und der daraus resultierenden Entschlußlosigkeit der französischen Regierung. Die meisten Militärs sprachen sich am 7. März im Ministerrat gegen eine allgemeine Mobilmachung aus, weil sie mit einer aktiven Unterstützung Englands nicht rechnen konnten. Außerdem verhinderten parteipolitische Spekulationen über die im Mai stattfindenden Parlamentswahlen eine schnelle und einheitliche Reaktion Frankreichs. Die allgemeine Kriegsunlust des Volkes kam als weite-res Hemmnis hinzu. „Während meiner dienstlichen Tätigkeit in Paris", resümierte später der deutsche Geschäftsträger in Paris, Dr. Forster, „habe ich noch niemals eine Periode erlebt, in der die Auffassungen über die außen-politische Lage und die Anschauungen darüber, was Frankreich tun müsse, so sehr auseinandergingen und beim einzelnen unvermittelt zwischen Abend und Morgen so sehr wechselten wie seit dem 7. März."

Die Rückwirkung der genannten Faktoren, die Frankreich von einer entschlossenen Reaktion abhielten, ließ sich indessen kaum vorausberechnen. Für Hitler war die Frage, ob Frankreich mit militärischen Gegenmaßnahmen auf die Beseitigung der entmilitarisierten Zone antworten würde, gänzlich offen. Sein Hinweis auf die inneren Schwierigkeiten Frankreichs war ein Entlastungsmoment, das in Wirklichkeit nicht existierte. Die erregte politische Atmosphäre in Paris hatte ihren vornehmlichen Grund in der Agitation und dem ständigen Machtzuwachs gerade derjenigen Kräfte, die in einigen Monaten die Regierung der so-genannten Volksfront bilden sollten. Es waren ideologische Gegner Hitlers, von denen er weit geringere Zurückhaltung erwarten durfte als von der Regierung Sarraut. Daß aber auch von ihrer Seite gefährliche Reaktionen kommen würden, erschien angesichts des französischen Widerstands gegen die sich während des Abessinienkonflikts vollziehende Auflösung der Stresa-Front als naheliegend. Die Vordergründigkeit seiner gegenüber von Hassell ausgestellten Behauptung, von Frankreich drohe aufgrund seiner inneren Wirren keine ernstliche Gefahr, decouvrierte Hitler selber, indem er andernorts seine große Besorgnis über mögliche Gegenschläge Frankreichs ein-gestand Die Einwände von Hassells lehnte er einfach ab. Der Botschafter bezweifelte, daß Hitler „wirklich alle Bedenken hören und durchdenken wollte". Bezeichnenderweise vermochte Hitler auch die Warnungen Forsters, den er aus Paris zu sich kommen ließ, mit sachlichen Argumenten nicht zu entkräften. Hitler reagierte nur gereizt und versuchte, Forsters Vorbehalte mit sarkastischen Bemerkungen zu überspielen. In der Tat konnte Hitlers Entscheidung nur auf dem „Glauben" beruhen, Frankreich werde nicht marschieren 3. Die Bedeutung des italienischen Engagements in Afrika für Hitlers Entschluß Wie bereits erwähnt, glaubte Hitler zunächst, vom Locarno-Garanten Italien keine Schwierigkeiten bei seiner Aktion gegen die entmilitarisierte Zone erwarten zu müssen. Er spielte sogar mit dem Gedanken, Mussolini die Kündigung des Locarno-Vertrags zu empfehlen, der Deutschlands Austrittserklärung folgen sollte. Von einem solchen Vorgehen versprach sich Hitler große Vorteile für Deutschland und Italien. Als günstige Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Plans betrachtete er die angeblichen Bedenken, die man in Italien gegen den russisch-französischen Beistandspakt hegte. Aus welchen Gründen durfte Hitler annehmen, daß der Locarno-Garant Italien einer deutschen Beseitigung der entmilitarisierten Zone keinen Widerstand entgegensetzen, ja sogar einem deutschen Vertragsbruch zustimmen würde?

Bis Ende 1935 war es den Italienern nicht gelungen, einen bedeutenden Sieg gegen den Negus zu erringen. Um die Jahreswende 1935/36 diktierten die abessinischen Truppen sogar das Kamplgeschehen, als sie die Takaze-Linie durchstießen und in Abbi Adi eindrangen. Nachdem sie in der ersten Januarhälfte fast die ganze Provinz Tembien zurückgewonnen hatten, erwog man im Hauptquartier des Oberbefehlshaber Badoglio vorübergehend den allgemeinen Rückzug Die abessinischen Erfolge schienen Mussolinis Schätzung zu bestätigen, daß 300 000 Mann, zwei Jahre offener Kampf und viele Jahre Kleinkrieg zur Erringung des Endsiegs notwendig sein würden.

Noch am 10. Februar 1936 äußerte Mussolini die Ansicht, der Krieg könne frühestens nach zwei Jahren ein Ende finden. Entsprechend . waren alle militärischen Stellen auf einen mehrjährigen harten Kolonialkrieg eingestellt.

Marschall Balbo, der Generalgouverneur von Libyen, befürchtete große Schwierigkeiten beim Nachschub und militärische Rückschläge.

Wie er dem deutschen Konsul in Neapel, Immelen, zu verstehen gab, konnte der Krieg günstigstenfalls in einigen Jahren zu einem leidlichen Ende geführt werden. Nichts ließ in der Tat zu Beginn des Jahres 1936 auf den völligen Sieg der Italiener innerhalb kurzer Zeit schließen. Der schnelle Erfolg im April 1936 kam völlig überraschend. „Der Jubel Italiens", schrieb von Hassell nach der Besetzung der abessinischen Hauptstadt, „ist begreiflich, denn das, was erreicht wurde, übertrifft weit die Erwartungen. Man hatte wohl an die Abtretung bedeutender Gebietsteile geglaubt, niemals aber an eine Eroberung ganz Abessiniens."

Für Badoglio kam der Zusammenbruch des äthiopischen Kaiserreichs offenbar ebenso unerwartet wie für den leitenden Staatssekretär des Kriegsministeriums, General Baistrocchi, und für Generalstabschef Pariani. Beide Generale gaben offen zu, daß sie „ungeheures Glück" gehabt hätten Dieses Eingeständnis warf ein bezeichnendes Licht auf die militärpolitischen Schwierigkeiten Italiens Anfang 1936. Sie ließen kaum die Garantieerfüllung Mussolinis im Falle einer einseitigen Aufhebung des Rheinpaktes erwarten.

Italiens Berliner Botschafter Attolico nannte im Gespräch mit seinem deutschen Kollegen von Hassell die Lage Italiens „im höchsten Grade schwierig". Sollte jemand einen annehmbaren Kompromißvorschlag machen, fügte Attolico hinzu, würde man in Rom „diesen Herrn nicht ins Gesicht spucken" Auf R. Strunk, den Sonderkorrespondenten des Völkischen Beobachters, wirkte Attolico wie der Exponent eines Staates, „der nach jedem Strohhalm greife" Graf Rogeri, der Dirigent der Politischen Abteilung im Palazzo Chigi, gestand von Hassell freimütig, Italien befinde sich in einer derart schwierigen Lage, „daß es gezwungen sei, jede sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, um die Aufmerksamkeit der Welt von sich abzulenken" Die gewünschte Gelegenheit zum Ausbruch aus dem „Feuerkreis", in dem Italien nach Ansicht Balbos gefangen war, bot Hitlers Plan, die entmilitarisierte Zone zu beseitigen. 4. Die deutsch-italienische Fühlungnahme in der Rheinlandfrage Nach seiner Besprechung mit Hitler kehrte von Hassell am Sonnabend, dem 15. Februar, nach Rom zurück. Sofort begann er, die voraussichtliche Haltung Italiens im Falle eines deutschen Einmarsches in die entmilitarisierte Zone zu erkunden. Zu diesem Zweck führte er am Montag zwei Unterredungen mit Suvich und Alfieri Dabei nahm die Begegnung mit Alfieri einen interessanten Verlauf: Als er erwähnte, nachmittags zum Duce gehen zu wollen, ergriff von Hassell die Gelegenheit beim Schopf. Er bat den Italiener, Mussolini zu grüßen und ihn zu fragen, ob er ihm, dem Botschafter, vor der Abreise nach Berlin „noch etwas zu sagen hätte". Alfieri willigte ein. Abends rief er von Hassell an und teilte mit, Mussolini ließe die Grüße herzlich erwidern; die Italiener würden am Fenster stehen und interessiert zusehen, falls Deutschland „irgend etwas” unternähme Offensichtlich wollte der Duce Zurückhaltung üben, wenn auch, wie von Hassell dieser Nachricht entnahm, „nach beiden Seiten". Aufgrund der Gespräche mit Alfieri und Suvich gewann er den Eindruck, daß die Italiener zwar eine deutsche Aktivität „herzlich begrüßen, aber — ohne verschärfte Sanktionen — schwerlich ihrerseits eine noch bestehende Brücke nach Paris—London abbrechen würden"

Nur für kurze Zeit schien es, als ob sich dennoch Hitlers Hoffnung auf eine italienische Unterstützung in seinem Kampf gegen den Versailler und Locarno-Vertrag erfüllen sollte. Einige Stunden nach Alfieris Anruf überbrachte nämlich der deutsche D. N. B. -Vertreter in Rom, Scheffer, dem Botschafter in großer Aufregung eine wichtige Information. Ihr zufolge war Scheffer von einem Vertrauensmann bestürmt worden, dem deutschen Botschafter noch vor seiner Abreise nach Deutschland mitzuteilen, daß „Italien sich seiner Verpflichtungen für los und ledig halten (?) oder erklären (?)" würde, wenn Deutschland den Locarno-Vertrag aufkündigte Um ein besseres Bild zu gewinnen, bat von Hassell, der tags darauf abreisen mußte, seinen Botschaftsrat, Vertrauensmann Scheffer den durch nochmals zu überprüfen.

Das Ergebnis teilte Baron Plessen dem inzwischen in der Reichshauptstadt eingetroffenen Botschafter telegrafisch mit. Danach hatte der Vertrauensmann zwar seine Scheffer gegebene Erklärung wiederholt und andeutungsweise auf Alfieri als deren Urheber hingewiesen; jedoch hatte er einschränkend hinzugefügt, Deutschland möchte den Vertrag doch noch nicht kündigen, sondern erst das „sicher zu erwartende weitere Ansteigen der europäischen Verwirrung abwarten"

Auch Botschafter Attolico gab sich reserviert, als ihn von Hassell vor seiner Audienz bei Hitler auf eine mögliche Kündigung des Locarno-Vertrags durch Italien ansprach. Potentiell wäre diese Absicht vorhanden, antwortete Attolico, ob die Frage jedoch in Rom Aktualität besäße, wüßte er nicht zu sagen. Von Hassell versuchte, eine genauere Stellungnahme zu provozieren, indem er die Antwort Attoli-cos als Ablehnung des deutschen Ansinnens hinstellte. Der Italiener betonte, dies ginge zu weit, beschränkte sich jedoch im übrigen auf die Erklärung, nichts Näheres zu wissen.

In Rom schien man über eine unverbindliche Ermunterung nicht hinausgehen zu wollen. Wie aus den Arbeitsergebnissen des deutschen Luftwaffenforschungsamtes hervorging, leistete die italienische Diplomatie, insbesondere Attolico, den deutschen Plänen nur diskret Vorschub

Offenbar suchte Italien eine deutsche Kollision mit den Westmächten als Ablenkungsmanöver für Afrika herbeizuführen, ohne sich selbst politisch zu exponieren. Von Hassell gewann die Überzeugung, daß sich Italien nicht an militärischen Maßnahmen der Westmächte gegen den deutschen Einmarsch ins Rheinland beteiligen würde. Ein „Vorausgehen", wie es Hitler noch am 14. Februar für möglich hielt, erschien dem Botschafter jedoch „ausgeschlossen". Dieses Urteil gründete sich nicht allein auf Attolicos und Alfieris ausweichende Zu -rückhaltung:

Am 6. Januar 1936 empfing Mussolini den deutschen Botschafter zu einem Gespräch über die italienische Situation in Europa. Dabei avisierte der Duce die Aufgabe seiner bisherigen Einstellung zur österreichischen Frage. Er bezeichnete nicht nur die Stresa-Front aufgrund der enttäuschenden Erfahrungen mit England und Frankreich „als ein für alle Mal tot", sondern versicherte auch, keinen Einwand mehr zu erheben, wenn Österreich als formell selbständiger Staat „praktisch ein Satellit Deutschlands würde". Der Duce wies dabei auf die Möglichkeit eines deutsch-österreichischen Freundschaftsvertrages hin, der Österreich „in das Kielwasser Deutschlands bringen würde, so daß es keine andere Außenpolitik als eine parallele zu Deutschland treiben könne". Diese Maßnahme sollte zudem ein Abgleiten Österreichs zur Tschechoslowakei und damit zu Frankreich verhindern. Eine solche Möglichkeit lag nach Mussolinis Ansicht nahe, weil in Wien im Hinblick auf Italiens Engagement in Ostafrika Zweifel an Mussolinis Fähigkeit laut wurden, Österreich „in entscheidender Stunde" helfen zu können. Um profranzösischen Tendenzen vorzubeugen, versprach Mussolini, der österreichischen Regierung die Bereinigung ihres Verhältnisses zu Deutschland nahezulegen. Diese Eröffnungen Mussolinis erschienen Hitler so bemerkenswert, daß er von Hassell am 11. Januar aufforderte, zwecks persönlicher Berichterstattung nach Berlin zu kommen.

Am 17. Januar trafen beide zusammen. Nach den Ausführungen von Hassells erklärte Hitler, fest entschlossen zu sein, „die wohlwollende Neutralität" gegenüber Italien fortzusetzen. Ein Zusammenbruch des Faschismus müsse vermieden werden, weil sonst zur außenpolitischen Isolierung des Reiches noch eine Isolierung moralischer Natur hinzukäme. Er wolle die Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Rom und Berlin fördern und unter die Ereignisse von 1934 einen Schlußstrich ziehen. An der Art, in der sich Österreich zu diesem Wandel der deutsch-italienischen Beziehungen stelle, ließe sich dann prüfen, „ob Italien seinen Worten in Wien auch. Taten folgen lasse" Damit bekundete Hitler gewisse Zweifel an der Aufrichtigkeit des italienischen Versprechens. Sowohl für ihn als auch für Botschafter von Hassell blieb die Frage offen, ob Mussolinis Kurswechsel auf einer Änderung seiner politischen Einstellung in der österreichischen Frage beruhte oder ob er nur ein taktisches Manöver darstellte, das aus der schlechten italienischen Situation in Abessinien resultierte.

Noch am selben Tag fragte von Hassell seinen italienischen Kollegen, ob Italien mit seiner neuen Einstellung das Reich etwa nur zu einem Vorstoß nach Österreich verleiten wolle, um das Interesse des Westens vom abessinischen Krieg abzulenken. Attolico protestierte heftig und versicherte in „formellster und bestimmtester Weise", daß Italien die Verständigung zwischen Wien und Berlin wünsche. Dabei machte er jedoch die Einschränkung, Deutschland solle „um Gottes Willen jetzt nicht etwa eine Aktion in bezug auf Österreich einleiten". Es möge nur von dieser neuen italienischen Einstellung Kenntnis nehmen und „ganz vorsichtig und allmählich" versuchen, die deutsch-österreichischen Beziehungen zu normalisieren. Daraus konnte man freilich keine sicheren Rückschlüsse auf die Aufrichtigkeit der italienischen Absichten ziehen, zumal sich seit der Unterredung mit Mussolini am 6. Januar in Wien keine Anzeichen für eine italienische Intervention zugunsten des Reiches erkennen ließen.

Um über die neue italienische Einstellung größere Gewißheit zu erlangen, schlug von Hassell ein Gespräch mit Mussolini vor, das von drei Gesichtspunkten bestimmt sein sollte. Erstens sollte man dem Duce versichern, daß der Reichskanzler von den am 6. Januar gemachten Ausführungen des italienischen Regierungschefs „mit großem Interesse Kenntnis genommen habe und sie im Interesse der deutsch-italienischen Beziehungen nur begrüßen könne". Zweitens sollte dem Duce nahe-gelegtwerden, keine Zweifel mehr an einer Befürwortung der deutsch-österreichischen Verständigung zu lassen, indem er sich an der Schaffung der dafür notwendigen Voraussetzungen beteiligte. Drittens gälte es, Mussolini zu erklären, „daß der Führer und Reichskanzler von dem Wunsche beseelt, daß der Faschismus und Italien die gegenwärtige Prüfung unerschüttert bestehen möchten, entschlossen sei, die bisherige, von Mussolini als für Italien wohlwollend bezeichnete Neutralitäts-Politik fortzusetzen". Deutschland erwarte sich dafür die italienische Aufkündigung der Stresa-Abmachungen. Dieser Vorschlag von Hassells wurde am 24. Januar in Berlin genehmigt. Drei Tage später bildete er die Grundlage eines Gespräches zwischen dem deutschen Botschafter und Mussolini. Dabei gestand dieser ein, bislang noch keinen Wink nach Wien gegeben zu haben; er hätte erst die Rückkehr des Botschafters abwarten wollen. Offenbar unter dem Eindruck der Versicherung von Hassells, Italien dürfte auch weiterhin mit der Sympathie des Führers und der wohlwollenden Neutralität des Reiches rechnen, versprach er, nunmehr die deutscherseits gewünschte Weisung nach Wien gehen zu lassen.

Einige Tage darauf versuchte von Hassell, den angekündigten Wechsel der italienischen Haltung in einer umfassenden Darstellung zu ergründen. Dabei beschäftigte ihn besonders die Frage, ob dieser Wandel auf einer veränderten politischen Einstellung des Duce beruhte oder auf der durch den Abessinienkrieg bedingten Notwendigkeit, überall „gut Wetter" (von Hassell) zu machen. Er kam zu dem Schluß, daß erst die weitere Entwicklung in Österreich einen wirklichen Beweis für Mussolinis Aufrichtigkeit erbringen könnte. Nach Ansicht des Botschafters mußte aufgrund der bedrängten Lage Italiens in Ostafrika bei der in Aussicht gestellten italienischen Aufgabe der Stresa-Politik geradezu zwangsläufig der Gedanke mitgewirkt haben, damit auf Frankreich einen gewissen Druck auszuüben.

Wenngleich von Hassell in dieser Absicht nicht das beherrschende Motiv des italienischen Kurswechsels sehen wollte, blieb man in Berlin argwöhnisch. Grund dazu gab eine gezielte Indiskretion der Italiener, welche die Absicht eines Pressionsversuchs gegenüber Frankreich durch die Betonung des zwischen Rom und Berlin in Gang befindlichen Gedankenaustausches deutlich erkennen ließ. Hiery über hatten die Russen, wie das Auswärtige Amt erfuhr, in Prag Mitteilung gemacht und als Quelle vertrauliche Äußerungen Attolicos zu Boris Stein, Botschafter der UdSSR in Rom, angegeben. In Berlin sah man den Verdacht bestätigt, daß Italien zugunsten seines abessinischen Abenteuers Deutschland wieder stärker in den Blickpunkt der europäischen Politik rücken wolle. Dies hatte offensichtlich auch Attolico im Sinn, als er am 19. Januar von Neurath zu bewegen suchte, gemeinsam mit Italien gegen die französisch-englische Allianz vorzugehen. Der Italiener verwies dabei auf einen Bericht Grandis, des italienischen Botschafters in London, laut dem die englisch-französische Intimität bereits den Grad einer Militärkonvention erreicht hatte, die nicht nur für den Abessinienkonflikt, sondern auch für die weitere Zukunft Geltung haben sollte. Attolico referierte Grandis Ansicht, wonach England eine für Italien erträgliche Lösung der Abessinienfrage anstrebe, um anschließend gemeinsam mit Frankreich und Italien den Locarno-Vertrag aufzuheben und Deutschlands Einkreisung zu vollenden.

Diese Prognose verstärkte den seit dem 6. Januar in der Wilhelmstraße herrschenden Eindruck, daß Mussolini das Reich durch Avancen hinsichtlich Österreichs zur Aufgabe seiner abwartenden Haltung verlocken wollte, um durch eine deutsch-österreichische Konfrontation die Aufmerksamkiet der Westmächte von Abessinien abzulenken.

Die Tendenz, Deutschland als den eigentlichen Unruheherd in Europa hinzustellen, spiegelte sich besonders in der italienischen Presse. Wenn Graf Rogeri auf von Hassells Vorstellungen entgegnete, die monierten Artikel seien nur taktischer Natur und durch die schlechte Lage Italiens veranlaßt, so konnte gerade dieses Argument das deutsche Mißtrauen gegenüber den Versprechungen nicht beseitigen, die der Duce am 6. Januar, auf dem Tiefpunkt seines abessinischen Abenteuers, gemacht hatte.

In der Wilhelmstraße liefen zudem Nachrichten ein, die kaum geeignet waren, den Argwohn zu beschwichtigen. Obgleich Mussolini am 27. Januar von Hassell zugesagt hatte, zugunsten Deutschlands in Wien zu intervenieren, konnte der dortige deutsche Gesandte von Papen keine Änderung in der österreichischen Politik bemerken. Vielmehr erfuhr er aus einer zuverlässigen Quelle, daß der italienische Gesandte in Wien, Preziosi, Außenminister Berger-Waldenegg versichert hatte, Italien würde mit Deutschland keine Vereinbarungen treffen, die nicht Österreichs Billigung fänden. Diese Nachricht wog um so schwerer, als von Papen auch durch den ungarischen Außenminister Kanya hinterbracht worden war, Baron Berger hätte ihm auf die Frage, ob Mussolini auf eine Aussöhnung mit Deutschland dränge, mit einem glatten „Nein" geantwortet. Als von Papen einige Tage danach mit dem österreichischen Vizekanzler Fürst Starhemberg zusammentraf, bestätigten dessen Äußerungen Kan-yas Information, derzufolge Mussolini bislang noch nicht mit der Wiener Regierung wegen eines deutsch-österreichischen Ausgleichs in Verbindung getreten war.

Eine andere Nachricht, die von Neurath aus absolut sicherer Quelle erhielt, erhöhte den im AA gehegten Argwohn noch weiter. Danach hatte Suvich dem tschechoslowakischen Gesandten in Rom gesagt, daß ihm die Furcht der Kleinen Entente vor einer Restauration des Habsburger Hauses unverständlich wäre. Zwar wäre auch er gegen die Wiederaufrichtung der Monarchie in Österreich, doch würde sie ein starkes Bollwerk gegen die Anschlußbewegung bilden.

Weder in der österreichischen, wie diese Beispiele unterstrichen, noch in der Locarno-Frage, wie Suvichs, Alfieris und Attolicos Verhalten zeigte, war demnach eine sichere Voraussage über die Haltung möglich, die Italien im Falle einer deutschen Aktion gegen den Status quo am Rhein einnehmen würde. Von Hassells Gespräch mit Attolico am 19. Februar lieferte für diese Undurchsichtigkeit der italienischen Politik den besten Beweis. Zwar konnte Attolico auf den offenbar von Mussolini selbst geschriebenen Artikel im Popolo d'Italia verweisen, in dem der Locarno-Vertrag als bedenklich „angeknakst" bezeichnet wurde, doch mußte er sich von seinem deutschen Kollegen sagen lassen, daß die Sprachregelung des italienischen Presseamtes anders lautete. Dort bezeichnete man den Locarno-Vertrag als gültig und betonte, Italien fühle sich durch den französisch-russischen Beistandspakt nicht betroffen. Attolico machte für diesen Widerspruch die Uneinigkeit zwischen den Völkerbunds-bzw. Locarno-Gegnern einerseits und den leitenden Persönlichkeiten im Palazzo Chigi andererseits verantwortlich. Damit ließen sich von Hassells Bedenken jedoch nicht entkräften. Gerade die Verwirrung innerhalb der italienischen Regierung erlaubte kaum einen sicheren Rückschluß auf ihre Haltung im Falle einer deutschen Kündigung des Locarno-Paktes. Dies brachte von Hassell bei seiner Unterredung mit Hitler am 19. Februar deutlich zum Ausdruck. Er schilderte „den höheren Barometerstand in Italien wegen der erzielten militärischen Erfolge und des Eindruckes eines leisen Desinteressements Englands, Fortfalls der Petroleumssanktionen und Sanktionsmüdigkeit vieler Länder". All das erhöhte nach Ansicht des Botschafters „nicht die Chancen für ein Mitgehen der Italiener". Unter Zustimmung von Neuraths, der neben von Ribbentrop an diesem Gespräch zwischen von Hassell und Hitler teilnahm, empfahl der Botschafter deshalb, erst eine sich später bietende Gelegenheit für die Beseitigung der entmilitarisierten Zone wahrzunehmen. Hitler blieb jedoch anderer Meinung. Nach von Hassells Aufzeichnung vertrat der Reichskanzler folgenden Standpunkt: „ 1) Die Gefahr bestände, daß die entmilitarisierte Zone allmählich eine Art unantastbarer Einrichtung würde, die anzutasten dann immer schwieriger würde. 2) Er glaube, daß die italienischen Erfolge die Engländer eher zu größerer Härte anstacheln würden als umgekehrt. 3) Anderseits wäre es psychologisch falsch zu glauben, ein Mann, wie Mussolini, würde nach erzieltem Erfolge kompromißgeneigter sein; er würde im Gegenteil dann erst recht aufs Ganze gehen. 4) In der Lage der beiden faschistischen bzw. nationalsozialistischen Staaten, die umgeben seien von den bolschewistisch verseuchten Demokratien, sei Passivität auf die Dauer keine Politik . . . Der Angriff sei auch in diesem Falle die bessere Strategie (lebhafte Zustimmung Ribbentrops). Deshalb glaube er, man solle jetzt den Russenpakt zum Anlaß nehmen."

Während Punkt 1 und 4 typische Argumente der ideologischen Machtpolitik Hitlers darstellten, machten Punkt 2 und 3 die Interdependenz zwischen dem Abessinienkonflikt und der geplanten Aktion gegen die entmilitarisierte Zone noch deutlicher sichtbar als die Überlegungen, die Hitler während der Besprechung am 14. Februar angestellt hatte. 5. Die Unterredung von Hassells mit Mussolini am 22. Februar über die voraussichtliche Reaktion des Reiches auf die Ratifikation des französisch-russischen Beistandspaktes

Wie bereits erwähnt, konnte von Hassell der am 14. Februar von Hitler ausgesprochenen Erwartung einer italienischen Beteiligung an der Aufhebung des Locarno-Vertrags nicht beipflichten. Er wandte ein, daß die italienische Politik zwar einerseits von dem Gedanken beherrscht würde, „in eine furchtbare Patsche geraten zu sein", aus der jeder gangbare Ausweg ergriffen werden müßte, daß aber andererseits dieses Bestreben Italiens auch das Tasten nach Möglichkeiten einbezöge, die dem Reich unangenehm sein mußten. Dabei verwies von Hassell auf die römischen Bestrebungen, es zu einem vollständigen Bruch mit dem Westen zumindest so lange nicht kommen zu lassen, bis die Genfer Sanktionen verschärft würden. Nach Ansicht des Botschafters zeigte besonders das Verhalten Grandis in London deutlich diese Tendenz. Von Hassell bat deshalb Hitler, zu bedenken, daß angesichts der überaus schwierigen Lage Italiens „keinerlei sichere Gewähr" für ein Eingehen Mussolinis auf Hitlers Plan gegeben wäre. Auch hielt er die von Hitler erwogene Mission Görings, der Mussolini die Wünsche des Führers überbringen sollte, für verfehlt. Die Geheimhaltung einer solchen Reise erschien dem Botschafter ausgeschlossen; statt dessen, so schlug von Hassell vor, sollte ihm selber der Auftrag erteilt werden. Er versprach, die Unterredung im persönlichen Auftrag des Führers mit Mussolini so zu führen, daß dieser keine Gelegenheit fände, den deutschen Plan „an die Gegenseite zu verkaufen". Diesem Plan gab man am 19. Februar den Vorzug. Sowohl von Hitlers Vorhaben, Mussolini die Kündigung des Locarno-Vertrags nahezulegen, als auch von der geheimen Reise Görings war keine Rede mehr.

Für die Annahme des Vorschlags von Hassells waren jedoch weniger dessen vorgebrachte Bedenken maßgebend als eine Information aus Paris, die Hitler am selben Tag erhielt. Derzufolge hatte der italienische Botschafter in Paris, Cerruti, Flandin gegenüber erklärt, Italien stehe fest zu seinen Abmachungen von Stresa und Locarno. Hitler zeigte sich tief beeindruckt und schlug vor, bei der Fühlungnahme mit Mussolini besonders vorsichtig zu sein und „gerade von dieser Meldung auszugehen". Von Ribbentrop sekundierte, daß Suvich den deutschen Plan sofort an die Franzosen „verpfeifen" würde. Von Hassell betonte, es gäbe nichts zu „verpfeifen", denn erstens läge das Problem „sowieso in der Luft" und zweitens würde er in Rom von deutschen Plänen oder Entschlüssen nichts Näheres verlauten lassen. Auch er wäre durchaus für eine vorsichtige Anlage des Gesprächs mit dem Duce Drei Tage später empfing Mussolini den deutschen Botschafter. Von Hassell richtete zunächst „die wärmsten Glückwünsche" des Führers zu dem großen Erfolg in Abessinien aus und versicherte dem Duce die „stärkste Sympathie" Hitlers für den faschistischen Staat, der zum großen Teil gegen die gleichen Feinde fechte wie der Nationalsozialismus. Diese wären nach Ansicht des Führers bestrebt, alle Gegner des Bolschewismus durch systematische Bearbeitung der labilen demokratischen Staatensysteme zu vernichten. Von Hassell verwies dabei auf die englische Politik, die Ruß-land immer stärker in die europäischen Probleme hineinzöge. Selbst in der Abessinien-Frage, sagte der Botschafter, arbeiteten Moskau und London „Schulter an Schulter" zusammen. Darum könnte wohl auch eine Sanktionsverschärfung noch keineswegs ausgeschlossen werden. Unter diesen Umständen hätte eine Information aus Paris den Führer sehr verwundert, laut der Cerruti erklärt hatte, Italien stände fest zu seinen Locarnound Stresa-Verpflichtungen. Ebenso befremdlich hätte in Berlin die Erklärung eines italienischen Presse-sprechers gewirkt, Italien fühle sich durch den russisch-französischen Beistandspakt nicht betroffen.

Mussolini nahm zu den genannten Problemen sofort Stellung. Daß Cerruti eine solche Äußerung in amtlichem Auftrag getan hätte, bezeichnete der Duce als ausgeschlossen, denn Stresa wäre für Italien „endgültig tot". Was Locarno beträfe, so sei es nur ein Anhängsel des Völkerbundes, das sofort von selbst entfiele, wenn Italien den Völkerbund verlassen würde Das wäre bei einer kommenden Sanktionsverschärfung, mit der er fest rechne, der Fall. Hinsichtlich des Beistandspakts bestätigte Mussolini die Verlautbarung seines Presseamtes, nannte ihn aber '„durchaus unsympathisch", „schädlich" und „gefährlich".

Von Hassell bemerkte darauf, daß er, Mussolini, sich wohl die Art der Überlegungen vorstellen könnte, die den Führer angesichts einer möglichen Ratifikation des Beistandspaktes beschäftigten. Sollte der Pakt angenommen werden, sähe sich der Reichskanzler „vor sehr ernste Entschlüsse" gestellt. Das Reich würde „diese Verletzung von Locarno nicht ohne irgendeine Reaktion hinnehmen können", wenngleich der Führer auch noch keine Entscheidung gefällt hätte. Dies träfe er erst in den letzten 36 Stunden vor ihrer Ausführung und ganz für sich allein.

Dann kam von Hassells entscheidende Frage: Wenn sich Italien von dem Beistandspakt nicht betroffen fühle, so wolle er wissen, ob die Annahme erlaubt sei, daß Italien auch im umgekehrten Sinne unbeteiligt bleiben, also im Falle einer „wie auch immer gearteten deutschen Reaktion auf die Ratifikation" nicht mit Frankreich und England zusammenwirken würde, auch wenn beide Länder glaubten, als Locarno-Mächte in Aktion treten zu müssen. Diese Annahme bestätigte der Duce „zweimal als richtig"

Das Ergebnis dieser Unterhaltung war für die diplomatische Vorbereitung des deutschen Coups in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Erstens war Mussolini von einer kommenden Verschärfung der Sanktionen überzeugt. Für diesen Fall stellte er den Austritt aus dem Völkerbund unter automatischem Fortfall der Locarno-Verpflichtungen in Aussicht. Zweitens brauchte mit einer Beteiligung Mussolinis an eventuellen englisch-französischen Maßnahmen gegen eine deutsche Reaktion auf die Ratifikation des Beistandspakts nicht gerechnet zu werden. 6. Die dilatorische Behandlung der Rheinland-frage durch Italien Zu Beginn der Unterhaltung hatte von Hassell gebeten, in persönlichem Auftrag des Führers seine Fragen „in ganz vertraulicher Form" besprechen zu dürfen. Mussolini hatte zugesagt, die Unterredung ebenfalls diskret zu behandeln. Offenbar in der Absicht, zu verhindern, daß sich der Duce nach der vertraulichen Fühlungnahme durch eine deutsche Uberra-schungstat brüskiert fühlen könne, schloß von Hassell seinen Bericht über dieses Gespräch mit einem Vorschlag. Wie bereits am 14. Februar, bat er auch diesmal in Berlin, Mussolini von einer deutschen, auf die Ratifikation des Russenpaktes hin getroffenen Entscheidung unterrichten zu dürfen, bevor die übrigen Beteiligten und die Öffentlichkeit davon Kenntnis erhielten. Er sicherte zu, für diese Verständigung einen Zeitpunkt zu finden, der jede Verwendung der Information zum Nachteil des Reiches unmöglich machen würde.

Vorsicht schien geboten, wie diese abschließende Bemerkung und von Hassells äußerst zurückhaltende Gesprächsführung erkennen ließen, da Italien nicht allein in der österreichischen, sondern auch in der Locarno-Frage eine verbindliche Stellungnahme vermied. In der offiziösen Presse Roms fand die deutsche Propaganda gegen die Ratifikation des Beistandspaktes wohl ein starkes, jedoch nur referierendes Echo. Sie zeigte zwar ein gewisses Verständnis für den deutschen Standpunkt, ließ aber zugleich auch das Tasten nach anderen Möglichkeiten erkennen.

Die italienische Presse, hieß es in einem Bericht der deutschen Abwehr, setzte während der ganzen Zeit ihre sehr geteilte Haltung in der Weise fort, daß sie sowohl in Berlin als auch gleichzeitig in Paris und London ein freundliches Echo suchte. Diese Labilität der Politik Mussolinis war auch in Aussprachen mit verschiedenen Exponenten der römischen Regierung das Hauptcharakteristikum bei der Behandlung außenpolitischer Themen. Dieses Urteil fand von Hassell in Gesprächen mit Suvich, Graf Rogeri und anderen politischen Persönlichkeiten vielfach bestätigt. Der Botschafter entdeckte sogar verschiedene Anzeichen dafür, daß man auf italienischer Seite offenbar nicht nur „eine verstärkte Vorsicht" zur Parole machte, sondern Deutschland auch „sozusagen etwas bremsen" wollte. Es erschien ihm nicht ausgeschlossen, daß Mussolini nachträglich, etwa durch Beeinflussung seiner Ratgeber im Palazzo Chigi, zu der Ansicht gekommen war, sich am 22. Februar zu entschieden über Italiens Haltung im Falle einer deutschen Reaktion auf die Ratifikation des Beistandspakts geäußert zu haben. Darauf deutete nicht allein der Tenor der italienischen Presse, sondern auch Suvichs Verhalten hin, als er am 26. Februar mit dem deutschen Botschafter die italienische Fassung des Protokolls über die Unterredung vom 22. Februar besprach. In dem Entwurf Suvichs stellte von Hassell eine bemerkenswerte Einschränkung der Zusicherung Mussolinis fest, sich an keinen Maßnahmen Frankreichs und Englands gegen eine deutsche Reaktion auf die Ratifikation des Beistandspaktes zu beteiligen. Laut Suvichs Niederschrift galt dies nur für eine deutsche Reaktion „in legitimen Grenzen". Erst nach von Hassells energischem Protest wurde diese Einschränkung aus dem Text gestrichen, wobei Suvich bemerkte, sich bei der Einfügung dieser Formel nichts Besonderes gedacht zu haben

Die italienische Zurückhaltung in der Frage des Beistandsund Locarno-Pakts erschien auf den ersten Blick unverständlich. Man hätte in Rom eine deutsche Aktion als förderungswürdig empfinden müssen, da man sich von ihr eine erhebliche Entlastung in der abessinischen Frage versprechen durfte, zumal Graf Rogeri noch kurze Zeit vorher den Wunsch nach einer solchen Entlastung geäußert und dabei dem deutschen Botschafter versichert hatte, Italien würde jede sich bietende Chance für ein Ablenkungsmanöver ergreifen.

Offenbar war ein Ablenkungsmanöver, das möglicherweise italienische Gegenleistungen verlangte, in der zweiten Februarhälfte nicht mehr gefragt. Vermutlich hatten die Erfolge Badoglios in Rom die Hoffnung erweckt, das Kolonialunternehmen beenden zu können, ohne dafür Einbußen an seiner kontinentalpolitischen Basis hinnehmen zu müssen. Warum sollte man jetzt eine deutsche Aktion im Rheinland unterstützen, aus der man zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht größeren Nutzen ziehen konnte? Offenbar veranlaßten Überlegungen dieser Art den Duce, die Fragen der europäischen Politik bis zum Ende des Abessinienkrieges dilatorisch zu behandeln und sich zu diesem Zweck einer Pendelstelle zwischen dem Reich und den Westmächten zu bedienen, die sein Kolonialunternehmen vor einer für Italien gefährlichen Einflußnahme der europäischen Großmächte bewahren sollte. Indem er in ihnen die Hoffnung auf die Erfüllung ihrer nationalen Sonderwünsche wach hielt, suchte er gleichzeitig eine milde Behandlung Italiens in Genf zu erreichen. So versicherte der Duce am 22. Februar dem deutschen Botschafter, für Italien sei die Stresa-Politik „endgültig tot", und fünf Tage später dem französischen, daß er gegenüber Deutschland noch die gleichen Gefühle hege wie im April 1935

Von Hassell vermutete daher zu Recht, daß erst die Verschärfung der Sanktionen eine verbindliche Stellungnahme Italiens zur Locarno-Frage herbeiführen würde. Er empfahl daher in Berlin, die Entwicklung abzuwarten, wenn man größere Gewißheit über die italienische Reaktion auf die deutsche Beseitigung der entmilitarisierten Zone erlangen wollte. Bei einer Sanktionsverschärfung wäre nicht nur mit der italienischen Passivität sicher zu rechnen, sondern vielleicht sogar mit der aktiven Unterstützung des deutschen Planes. Käme es jedoch zu keiner Verschärfung der Sanktionen, schloß der Botschafter seinen Bericht, so sähe er nur noch in einem vertraulichen Gespräch mit Mussolini die Möglichkeit, eine den deutschen Wünschen gemäße italienische Stellungnahme zu erreichen. 7. Die Bedeutung der italienischen Siegeschance in Abessinien für Hitlers Entschluß Den Vorschlag von Hassells, die Beseitigung der entmilitarisierten Zone auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, lehnte Hitler ab. Er sah in der weiteren Entwicklung des Abessinienkonfliktes eine Begünstigung seines Planes, die einen Aufschub der Aktion nicht rechtfertigte. Hitler glaubte, daß Mussolini, durch die Anfangserfolge ermutigt, trotz seiner Furcht vor England „aufs Ganze gehen" wolle. Diese Überzeugung legte den Schluß nahe, Italien und England würden auf die Beseitigung der entmilitarisierten Zone nicht bedrohlich reagieren, weil dies die Sorge um ihre gefährdeten Positionen im östlichen Mittelmeer nicht zuließ. Bei einem Zerwürfnis zwischen den beiden Locarno-Garanten, mit dessen Vertiefung Hitler rechnete, mußte ein ernsthaftes Engagement beider Mächte zugunsten des Locarno-Vertrages um so fraglicher sein, als die entmilitarisierte Zone weder für Italien noch für England einen realen politischen Wert besaß. Hitler brauchte demnach nur zu warten, bis sich Mussolini in Abessinien „festgebissen" (Gisevius) hatte und dann den deutschen Vertragsbruch nicht mehr zum Anlaß für einen Rückzug aus Äthiopien oder für eine Kompromißlösung nehmen konnte Diese Voraussetzung war erfüllt, sobald der ungeteilte Sieg über Abessinien dem Duce so greifbar nah erschien, daß ihn selbst das Risiko einer Konfrontation mit England nicht mehr zügeln konnte. War Hitler bereits am 19. Februar sachlich dazu berechtigt, den italienischen Sieg als Faktor in seine auf die Beseitigung der entmilitarisierten Zone gerichteten Erwägungen einzubeziehen?

Die Annahme Hitlers, Mussolini erstrebe kompromißlos den totalen Sieg in Abessinien, muß überraschen, denn noch vier Wochen zuvor befürchtete der „Führer", Italien und der Faschismus würden aus der abessinischen Prüfung zertrümmert oder zumindest sehr geschwächt hervorgehen. Gemeinsam mit den führenden Militärs vertrat er die Ansicht, die Eingeborenen würden die Invasoren über kurz oder lang vertreiben. Kriegsminister von Blomberg sagte zum englischen Botschafter Phipps, „that Italy has undertaken a task beyond her powers, and that the very large number of troops that she has thrown into East-Africa may prove fatal for her" Eine moderne Kriegführung unter wirksamer Verwendung von Panzern und Lastkraftwagen hielt man in dem unwegsamen abessinischen Buschgelände für unmöglich. Den italienischen Truppen gab man gegen die dem Terrain angepaßte Taktik der Eingeborenen keine große Chance. Noch am 1. Januar 1936 bezeichnete Hitler im Gespräch mit Franqois-Poncet die Hoare-Laval-Vorschläge als „ein unverhofftes Glück" für Mussolini In deutschen Partei-und Militär-kreisen äußerte man sich zudem sehr abfällig über die Leistungsfähigkeit der italienischen Heerführer und Soldaten

Demnach muß sich Hitlers Urteil über den Ausgang des Konflikts zwischen dem 17. Januar und dem 19. Februar geändert haben. Zweifellos vollzog sich dieser Wandel nicht über Nacht. Der erste große Sieg der italienischen Truppen im Tembien (11. — 16. Februar) berechtigte noch keineswegs zu dem von Hitler am 19. Februar gezogenen Schluß, Mussolini werde jeden Kompromiß ablehnen und sich nur mit der Eroberung ganz Abessiniens, also eines Gebietes zufrieden geben, welches fast viermal größer als Italien war. Sollte dieses Urteil mehr als eine willkürliche Behauptung sein, mußte Hitler seine Informationen über Abessiniens Kampfkraft und die Wirksamkeit der italienischen Siege aus anderen Quellen erhalten, als sie die ständig einander widersprechenden abessinischen und italienischen Kriegsberichte boten. Die Rückwirkung des abessinischen Geschehens auf Italiens europäische Politik war in der Tat viel zu wichtig, als daß man sich in Berlin mit den offiziellen Kommuniques aus Rom und Addis Abeba begnügt hätte. Bezeichnenderweise wurde kurz vor Ausbruch des Krieges eine Funkstation im Keller der deutschen Gesandtschaft zu Addis Abeba eingerichtet, die den unzensierten direkten Nachrichtenverkehr mit Berlin erlaubte und keinen von äthiopischer Seite festgesetzten Sendezeiten unterlag

Neben den Meldungen der deutschen Botschaft in Rom und der dortigen deutschen Waffenattaches waren die Gesandtschaftsberichte aus Addis Abeba besonders informativ. Aufgrund der guten persönlichen Beziehungen der deutschen Gesandten Kirchholtes, seines Nachfolgers Strohm und des Ersten Sekretärs Bock zum abessinischen Kaiserhaus war man über die dort herrschende Stimmung und die abessinische Kriegslage stets gut unterrichtet Ergänzt wurden diese Nachrichten durch die Informationen des im Auftrage Rosenbergs in Äthiopien weilenden Sonderberichterstatters des Völkischen Beobachters, Zimmermann, und des Vertreters des Deutschen-Nachrichten-Bü-ros, Schusser, die beide den Sender der Gesandtschaft benutzen durften Während beide Journalisten das Kriegsgeschehen auf abessinischer Seite beobachteten, berichtete SS-Hauptsturmführer Strunk aus dem Hauptquartier Badoglios. Die Berichte Strunks, der vom „Führer" sehr geschätzt wurde waren für Hitler, wie er selber bekundete, „besonders wertvoll" Dies wohl vor allem deswegen, weil Strunk die Möglichkeit hatte, unter Umgehung der strengen italienischen Zensur Informationen aus dem Hauptquartier Badoglios nach Berlin gelangen zu lassen. Ein weiterer Informant war der äthiopische (Honorar-) Generalkonsul in Berlin, Major a. D. Steffen. Er bezog seine Nachrichten direkt aus dem kaiserlichen Palast in Addis Abeba. Seine Berichte schickte er zu Händen von Wiedemann oder Hoßbach in die Reichskanzlei. Offenbar aus notwendigen Geheimhaltungsgründen oder um sich interessant zu machen, unterzeichnete Steffen seine Mitteilungen mit dem Pseudonym „von Este". Auch scheint der äthiopische Staatsrat David Hall Nachrichten geliefert zu haben, die Steffen der Reichskanzlei überbrachte.

Aufgrund der ihm aus diesen Quellen zukommenden Nachrichten erhielt Hitler ein Bild von der abessinischen Wehrkraft, das seine noch am 17. Januar geäußerte Skepsis wohl bald beseitigte. Neben dem Erfahrungsbericht Strunks, der nach dreimonatigem Aufenthalt an der Eritrea-Front Hitler den wahrscheinlichen Sieg Italiens meldete überzeugten Hitler vor allem die Vorträge Hoßbachs von der kommenden Niederlage des Negus. Hitler stimmte der durch Hoßbach vorgetragenen Ansicht des Generalstabs des Heeres „völlig" zu, „daß Italien auf Grund seiner militärischen Überlegenheit, insonderheit an modernen Waffen, aus dem Kriege als Sieger hervorgehen würde" Die Fesselung der italienischen Kräfte in Ostafrika ließ eine gefährliche Reaktion Roms auf den Rheinland-Coup am wenigsten erwarten.

IV. Die geheime Vorbereitung und Durchführung der Rheinlandaktion

Auf die Ratifikation des Beistandspakts in der französischen Kammer am 27. Februar reagierte man in Berlin keineswegs scharf. Man wollte Frankreich nicht beunruhigen, damit die Überraschung um so besser gelingen konnte. Demgemäß wurde die deutsche Presse am 28. Februar vom Propagandaministerium angewiesen, die Kommentierung der für das Reich so bedeutsamen französischen Ratifikation nicht zu umfangreich zu gestalten und sie nicht an leitender Stelle, sondern nur in Glossen-form zu behandeln. Die Feststellung, die Würfel seien gefallen und Frankreich habe für den Bolschewismus optiert, sollte ebenso vermieden werden wie die Erörterung der Folgen, die sich aus der Ratifikation ergeben mochten Am 3. März folgte die Weisung, eine Behandlung des Themas „Rheinland" bis auf weiteres zu unterlassen Am 5. März antwortete Braun von Stumm (AA-Presseabteilung) auf eine entsprechende Anfrage von HAVAS, daß eine deutsche Reaktion auf die Ratifikation nicht zur Diskussion stände Sogar noch am 6. März stellte Aschmann, der Leiter der AA-Presseabteilung, eine geplante Aktion in Abrede während sich der Vortragende Legationsrat von Schmieden als AA-Sonderkurier bereits auf dem Wege nach Paris befand, um das für die französische Regierung bestimmte Memorandum über die Beseitigung der entmilitarisierten Zone zu überbringen Um den Coup nicht durch Indiskretionen zu gefährden, gab Hitler selbst seinem Kabinett erst am Abend des 6. März von der inzwischen angelaufenen Aktion Kenntnis. In einer einstündigen Rede begründete er seinen Schritt damit, daß Frankreich mit der Annahme des Beistandspakts in der Kammer einen klaren Bruch des Locarno-Vertrags begangen hätte. Einige deutsche Truppen befänden sich bereits in Marsch. Alle Minister stimmten einmütig den Maßnahmen Hitlers zu Von den Kabinettsmitgliedern hatte Hitler offenbar nur Göring, von Blomberg und von Neurath vorher informiert

Auch in der Wilhelmstraße traf man alle Vorbereitungen „unter größter Geheimhaltung" (von Schmieden). Beispielsweise wurde von Rintelen, der Leiter des Westeuropa-Referats, nicht von seinem Minister informiert. Das für die Locarno-Signatare bestimmte Memorandum wurde im Geheimauftrag von Neuraths vom Vortragenden Legationsrat Frohwein entworfen. Der dem Staatssekretär von Bülow attachierte Legationssekretär von Bargen erhielt erst unmittelbar vor dem Einmarsch von Hitlers Vorhaben Kenntnis Selbst die führenden Militärs wurden nur so weit unterrichtet, wie es zur Durchführung ihres Einzelauftrags im Rahmen der Gesamtaktion notwendig war Dies beweist in geradezu frappanter Weise die Reaktion des War Offive auf den deutschen Coup. Es machte dem deutschen Militärattache von Geyr heftige Vorwürfe, weil trotz gegenteiliger Versicherungen das Unternehmen angeblich seit längerer Zeit geplant gewesen sei. Das War Office, das über die Vorbereitung der Aktion ziemlich viel Material besäße, glaube allerdings zu wissen, daß die meisten der deutschen Offiziere keine Kenntnis von der bevorstehenden Aktion gehabt hätten

Auch die Mitglieder des Reichstags erfuhren erst am 7. März den Grund ihrer Zusammenkunft. Sie waren für den Abend vorher unter dem Vorwand eines Kameradschaftsabends aller Abgeordneten nach Berlin gerufen worden

Um einen optimalen Überraschungseffekt zu erzielen und jegliches Risiko auszuschließen, wurden die deutschen Missionen in den Hauptstädten der Locarno-Signatare ebenfalls erst im letzten Augenblick verständigt. Am 5. März, um 12. 15 Uhr, gingen Informations-Telegramme in Geheimchiffre und zur persönlichen Entschlüsselung des jeweiligen Missionschefs nach Paris, London, Rom und Brüssel. Sie enthielten die Weisung, unauffällig die Möglichkeit einer Demarche beim Außenminister des Gastlandes für Sonnabend vormittag (7. März) sicherzustellen. Bei der Notifikation, so lautete der Auftrag weiter, sollte der deutsche Schritt mit dem Hinweis auf das russisch-französische Bündnis gerechtfertigt und die Friedensmäßigkeit des deutschen Einmarsches besonders betont werden. Auf den möglichen Einwand, das Reich hätte zumindest die Annahme des Paktes im französischen Senat ab-warten müssen, möge man antworten, daß nach Annahme des Vertrages in der Kammer und im Senatsausschuß mit 19 zu 4 Stimmen die Zustimmung des Senats als sicher vorausgesetzt werden konnte

Das deutsche Memorandum, welches die Maßnahmen begründete und die Friedensvorschläge Hitlers enthielt, wurde am 6. März den deutschen Missionen überbracht. Von Schmieden fuhr als Sonderkurier in der Nacht vom 5. zum 6. März nach Brüssel, wo er den deutschen Geschäftsträger Bräuer informierte. Am Mittag des 6. März reiste er weiter nach Paris. Der dortige Geschäftsträger, Botschaftsrat Forster, erhielt somit erst in der Nacht zum 7. März die Weisung, am folgenden Morgen das Memorandum zu übergeben und den Einmarsch zu notifizieren Da Flandin sich nicht in Paris aufhielt — ein Zeichen, daß er nichts von der Aktion ahnte —, nahm A. Leger die Erklärung Forsters entgegen. Der Staatssekretär war überrascht und reagierte „mit wenigen, freilich sehr scharfen Äußerungen"

Auch die englische Regierung traf der Coup ganz unvorbereitet. Noch zwei Tage zuvor hatten Eden bei einer Unterredung mit Vernon Bartlett (News Chronicle) versichert, er sei wegen der Rheinlandfrage weniger denn je beunruhigt

Auch in Brüssel reagierte man völlig überrascht. Nachdem Bräuer dem Ministerpräsidenten van Zeeland und dem Generalsekretär des Auswärtigen, van Langenhove, von der Aktion Mitteilung gemacht hatte, verharrten beide Herren „längere Zeit in völligem Schweigen". Schließlich antwortete van Zeeland, der deutsche Schritt treffe ihn so unerwartet, „daß er irgendwelche Erklärung nicht abzugeben vermöge . . ."

Während die deutschen Diplomaten in London, Paris und Brüssel den Regierungen Englands, Frankreichs und Belgiens offiziell davon Kenntnis gaben, daß in Deutschland die Locarno-Abmachungen nicht mehr als bindend betrachtet würden, informierte von Neurath zur gleichen Zeit in Berlin die Botschafter Italiens, Englands und Frankreichs. Er empfing sie im Abstand weniger Minuten und übergab ihnen mit einem kurzen Kommentar das vorbereitete Memorandum. Den Vertretern Belgiens, Polens und Ungarns händigte es Staatssekretär von Bülow aus.

Noch eine Stunde zuvor wußte Francois-Poncet nichts Genaues über die Aktion zu berichten, als er mit Flandin telefonierte Die Unkenntnis dieses sonst sehr gut informierten Diplomaten unterstrich die Heimlichkeit, mit welcher das Unternehmen vorbereitet wurde. Um sich gegen den Vorwurf der Nachlässigkeit zu rechtfertigen, überprüfte der französische Botschafter nochmals ganz genau die von ihm sorgfältig registrierten Äußerungen Hitlers, von Neuraths und von Bülows. Dabei mußte er, wie er gegenüber von Bülow klagte, feststellen, daß die besagten Personen bis in die Märztage hinein jede Absicht einer Besetzung des Rheinlandes geleugnet hatten Auch Botschafter von Hassell, den Hitler zweimal vor der Aktion konsultiert hatte, erhielt erst in der Nacht von Freitag auf Sonnabend (6. — 7. März) von dem bereits angelaufenen Unternehmen Kenntnis. Vorher war nur die Weisung an ihn ergangen, um einen Empfangs-termin für Sonnabend vormittag im Palazzo Chigi nachzusuchen. Dementsprechend war eine Begegnung mit Suvich verabredet worden. Erst in der Nacht zum 7. März erhielt von Hasscll Order, die Unterredung mit Mussolini persönlich zu führen. Gleich am Morgen machte der Botschafter den Versuch, beim Duce vorgelassen zu werden. Innerhalb einer halben Stunde gelang es ihm, unmittelbar vor Beginn einer Ministerratssitzung, die Audienz zu erhalten. Fast zur gleichen Zeit, als von Neurath Attolico in Berlin empfing, unterrichtete von Hassell den italienischen Ministerprä-B sidenten von dem deutschen Einmarsch in die entmilitarisierte Zone und legte ihm die Hauptgesichtspunkte des deutschen Memorandums dar. Mussolini zeigte sich „auf das äußerste betroffen". Er erklärte, die gemachten Ausführungen wären von einer solchen Tragweite, daß sie auf das sorgfältigste geprüft werden müßten. Doch könnte er schon nach seinem ersten Eindruck sagen, daß das Reich „viel zu weit" gegangen sei.

Mussolini meinte damit keineswegs den deutschen Einmarsch, sondern vielmehr das damit verbundene deutsche Angebot eines Wieder-eintritts in den Völkerbund. Der Duce sah, so berichtete von Hassell, zwischen dem, was Deutschland forderte bzw. nahm, und dem, was es anbot, „kein Verhältnis". Er vermutete, daß Engländer und Franzosen die Wiederherstellung der deutschen Souveränität in der entmilitarisierten Zone nur mit „dem üblichen Protestgeschrei" beantworten würden. Dagegen würden beide Mächte in dem deutschen Angebot eine Gelegenheit sehen, Deutschland „wieder in ihr altes System einzuspannen". Denn der Völkerbund, der „eine englisch-französisch-russische Erwerbsgenossenschaft" wäre und bliebe, würde hierdurch stabilisiert. Damit kam Mussolini, nachdem er die übrigen Teile des Memorandums kurz gestreift hatte, auf den Kernpunkt des deutschen Angebots zu sprechen. Er erklärte, „daß die an keinerlei Bedingungen geknüpfte Ankündigung, in den Völkerbund zurückkehren zu wollen, gleichbedeutend damit sei, Italien die Waffe aus der Hand zu schlagen. Es sei klar, daß er auf den Genfer Appell jetzt nicht mehr negativ antworten könnte . . . und daß das Hauptargument Italiens in seinem politischen Kampf, nämlich die Drohnung mit dem Austritt aus dem Völkerbund, jeden Wert verloren habe." Von Has-seil versuchte, Mussolini'zu beruhigen. Er versicherte weisungsgemäß, ein möglicher Wiedereintritt Deutschlands in den Völkerbund würde nichts an der bisherigen Haltung des Reiches in der abessinischen Frage ändern. Wenn die anderen Mächte auf das neue deutsche Vertragsangebot eingingen, würden die Verhandlungen darüber doch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Italien brauche also mit einem deutschen Wiedereintritt in den Völkerbund frühestens dann zu rechnen, wenn die abessinische Frage bereits ihre Lösung gefunden habe. Zudem könnte das Reich in Genf sein ganzes politisches Gewicht zugunsten Italiens geltend machen. Ferner wies von Hassell auf die mit der Aufhebung der entmilitarisierten Zone verbundene „Entlastungsoffensive" hin, weil sich die Aufmerksamkeit der Welt nicht mehr auf Abessinien, sondern auf den deutschen Vorstoß konzentrieren würde. Außerdem hätte Italien durch die Aufkündigung des Rheinpaktes insofern ein wertvolles Atout erhalten, als die von Deutschland den anderen Mächten angebotene Neuregelung der Rheinlandfrage von der Zustimmung Roms abhängig wäre.

Die Beschwichtigungsversuche von Hassells machten auf Mussolini offensichtlich wenig Eindruck. Für ihn blieb, wie er gegenüber dem deutschen Botschafter betonte, entscheidend, die bisher im Kampf um Abessinien eingenommene Position nicht mehr halten zu können. Er ließ von Hassell in wachsendem Maße erkennen, „daß er dessen Mitteilung als schweren Schlag empfand". Mit den Worten, die neugeschaffene Situation weiter durchdenken zu wollen, verabschiedete sich der Duce und begab sich in den Ministerrat. Nach von Hassells Empfinden hatte der deutsche Schritt wie „ein In-den-Rücken-Fallen in seiner jetzigen schweren Lage" gewirkt. Mussolini zeigte nicht, wie etwa nach dem Dollfuß-Mord, zornige Erregung, sondern eher „eine Art Geschlagenheit". „Mein Gesamteindruck", notierte Botschaftsrat von Plessen, der den Botschafter zum Duce begleitet hatte, „geht dahin, daß Mussolini, ohne direkt ausfallend zu werden, die ihm gemachten Mitteilungen nicht schlechter hätte aufnehmen können, daß er die von uns beabsichtigten Maßnahmen für eine Dummheit hält und sie als einen Verrat an Italien betrachtet."

Bis dahin hatte man in Rom aufgrund der Berichte Attolicos geglaubt, die Möglichkeit eines solchen deutschen Vorgehens ausschließen zu können. Diese Gewißheit resultierte insbesondere aus Äußerungen Hitlers, die er einige Wochen zuvor bei einer persönlichen Unterredung in Berlin mit Professor Manacorda, einem politischen Ratgeber des Duce, getan hatte. Wie Manacorda von Hassell erzählte, hatte Hitler auf die Frage nach einer möglichen Rückkehr des Reiches in den Völkerbund auf den Tisch schlagend ausgerufen: „Niemals, niemals, niemals!" Entsprechend fühlte man sich in Rom ebenso überrascht wie in Paris und Brüssel. Suvich versicherte v. Hassell, mit allen Möglichkeiten gerechnet zu haben, nur nicht mit dem deut-23 sehen Angebot der Rückkehr nach Genf. Noch kurz zuvor hätte er den besorgten Mussolini wegen eines möglichen deutschen Coups „aus vollster Überzeugung beruhigt" Suvich und der Duce fühlten sich betrogen; ihr Ärger war um so größer, als das überraschende Angebot Hitlers Italien in eine äußerst kritische Lage gegenüber dem Völkerbund brachte.

V. Die Bedeutung des deutschen Angebots der Rückkehr nach Genf für Mussolinis Abessinienpolitik

Mit der Gewißheit, Deutschland werde nicht in den Völkerbund zurückkehren, glaubte sich der Duce im Besitz eines wirksamen Mittels gegen mögliche Sanktionsverschärfungen. Er konnte dem Westen mit der Abkehr vom Völkerbund und einer Allianz mit dem Reich drohen, falls solche Pressionen Anwendung finden sollten. Auch durfte er mit Zugeständnissen des Westens in der abessinischen Frage rechnen, wenn man ihn im Falle einer deutschen Verletzung des Status quo für gemeinsame Gegenmaßnahmen gewinnen wollte. Darum versuchte Mussolini, in Paris den Eindruck aufrechtzuerhalten, bei entsprechenden Gegenleistungen würde sich Italien der Fortsetzung der mit den Abmachungen von Rom und Stresa angestrebten Isolierung Deutschlands nicht entziehen.

Der anhaltende Erfolg dieser Taktik wurde durch das deutsche Angebot der Rückkehr nach Genf in Frage gestellt. Denn gingen die Westmächte auf die deutsche Offerte ein, so standen plötzlich alle europäischen Großmächte im Lager des Völkerbundes, den Italien mit seiner Androhung des Austritts dann nicht mehr so nachhaltig wie bisher beeindrucken konnte Jetzt stand Italien die außenpolitische Isolierung bevor, während sich Deutschland durch sein Angebot womöglich von ihr befreite. Die für Italien negativen Konsequenzen einer solchen Entwicklung beschwor Suvich, als er einen Tag nach der deutschen Aktion mit von Hassell zusammentraf. Der Staatssekretär erklärte, nur Frankreich würde die Rücknahme des deutschen Schrittes verlangen, hingegen zeigten die Briten bereits die Neigung, sich den Wiedereintritt Deutschlands in den Völkerbund gerade im Hinblick auf den englischen Konflikt mit Italien nicht entgehen zu lassen. Sie seien darum bemüht, „in (den)

franzöischen Wein Wasser zu gießen"

Diese Reaktion der Engländer machte Mussolinis Vorwurf verständlich, das Reich habe durch die gänzlich unerwartete Bereitwilligkeit zur Rückkehr in den Völkerbund Italiens Politik aufs äußerste erschwert. Der Duce fühlte sich getäuscht, da dieses Angebot im Gegensatz zu den bisherigen deutschen Versicherungen stand. Es brach ihm, wie er selber sagte, die Spitze seiner Waffe ab, mit der er seinen Erfolg in Abessinien gegen die neueste Bedrohung verteidigen wollte.

Diese kam aus Genf. Dort war auf englischen Wunsch am 2. März der Achtzehner-Ausschuß zusammengetreten, um die Frage einer Ausdehnung der Sanktionen auf Kohle, Eisen und Stahl zu prüfen. Man beschränkte sich jedoch auf die Entgegennahme eines Berichts über die Wirksamkeit der bisherigen Sanktionen und wollte offenbar der Frage einer Sanktionsverschärfung nicht nähertreten. Eden erhob Einspruch. Er gab die britische Bereitschaft für ein Olembargo bekannt und betonte, daß sich Großbritannien einer prompten Verhängung der Olsanktion durch diejenigen Staaten anschließen würde, die zu den wichtigsten Ol-produzenten und -lieferanten gehörten.

Die scharfe Sprache Edens überraschte besonders Flandin, den der englische Außenminister erst in Genf von dem am 26. Februar in London gefaßten Entschluß zur Sanktionsverschärfung informierte, um französische Indiskretionen gegenüber Italien zu vermeiden. Eilfertig versicherte Flandin dem italienischen Delegierten Bova Scoppa, von Edens Absicht nichts gewußt zu haben. Edens Forderung, sofort einen Termin für die Verhängung der Olsanktion zu bestimmen, wurde abgelehnt, denn kurz zuvor hatte man in Paris angesichts der italienischen Androhung des Austritts aus dem Völkerbund beschlossen, nicht an Olsanktionen des Völkerbunds teilzunehmen. Dies wollte Frankreich nur dann, wenn England garantierte, notfalls auch allein seinen Verpflichtungen als Locarno-Garant nachzukommen. Diese Bedingung glaubte England jedoch nicht erfüllen zu können. Wieder scheiterte ein entschlossenes Vorgehen am mangelnden Mut der Briten zu Alleingängen und an der Verzögerungstaktik Flandins. Es gelang ihm, Zeit zu gewinnen, indem er seinen Antrag durchbrach-B te, zunächst noch einen Friedensappell an Italien und Äthiopien zu richten. Beide Staaten erhielten am 3. März die Aufforderung, unverzüglich zu Verhandlungen im Geiste und im Rahmen des Völkerbunds zu schreiten, die den Krieg beendigen sollten. Es wurde ihnen auferlegt, den Friedensappell bis zum 10. März zu beantworten.

Der Appell erschien Mussolini als ein Ultimatum, dem er sich nicht beugen wollte, da er ihn als „pistolet sur la gorge” empfand Ebenfalls mußte die Formel, die Verhandlungen im Geiste des Völkerbunds zu führen, bei Mussolini auf Widerstand stoßen. Andernfalls hätte er seine bisherige Argumentation verraten. Bekanntlich verteidigte er seinen Rechtsbruch mit der These, Abessinien als Sklaven-und Barbarenstaat besäße nicht die Voraussetzung zur Mitgliedschaft im Völkerbund, wo deshalb auch nicht die abessinische Frage entschieden werden könnte. Dies wäre nur in zweiseitigen Verhandlungen möglich. Um diese Einwände aufrechterhalten zu können und sich gleichzeitig der Genfer Pression zu entziehen, griff Mussolini zu seinem erprobten Gegenmittel. In der üblichen Manier kündigte er den Austritt Italiens aus dem Völkerbund für den Fall an, daß man in Genf auf eine negative Beantwortung des Friedensappells mit einer Verschärfung der Sanktionen reagieren würde.

Diese Waffe der Austrittsdrohung wurde nach römischer Auffassung Mussolini durch das deutsche Angebot aus der Hand geschlagen. Die Folge war, laut Suvich, eine „völlige Änderung" der geplanten italienischen Antwort auf den Genfer Appell. Man strich die ursprünglich beabsichtigten Vorbehalte und erklärte seine grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen. Bereits am Nachmittag des 7. März erschienen in Rom Extrablätter, in denen Mussolinis prinzipielle Zustimmung zum Genfer Appell verkündet wurde. Tags zuvor hatte der italienische Botschafter beim Vatikan dortselbst eine Szene wegen eines Artikels im Osservatore Romano gemacht, weil dieser die Annahme der Genfer Empfehlung zu befürworten gewagt hatte.

Festzuhalten ist, daß Hitler Mussolini nicht in das Unternehmen gegen die entmilitarisierte Zone einweihte. Wie von Hassell in seinem Telegramm vom 7. März zugab, unternahm er nach seiner Begegnung am 22. Februar mit Mussolini keinen weiteren diplomatischen Vorstoß in der Locarno-Frage. Bei dieser Unterredung hatte von Hassell aus Vorsicht „nur ganz allgemein von einer irgendwie gearteten deutschen Reaktion auf die Ratifikation des Russenpaktes" gesprochen. Auf eine diesbezügliche Anfrage des jugoslawischen Gesandten verneinte von Neurath ausdrücklich die Existenz eines vor der Aktion zwischen Rom und Berlin getroffenen Abkommens. Italien sei ebenso wie die anderen Mächte überrascht worden; Mussolini habe den deutschen Schritt zunächst sogar als gegen Italien gerichtet aufgefaßt. Bei der Überreichung des Memorandums am 7. März bekannte der Leiter der Politischen Abteilung im AA, Dieckhoff, dem amerikanischen Botschafter Dodd, daß auch die italienische Regierung ebenso wie die übrigen Locarno-Mächte heute zum ersten Mal von diesem Schritt erführe. Attolico versicherte ehrenwörtlich, Hitlers Vorhaben sei nicht mit Italien verabredet worden. Von Hassell bestätigte dies nochmals, als er dem Regierenden Bürgermeister von Hamburg, Krogmann, privat mitteilte, Mussolini sei „sehr ungehalten darüber gewesen, daß der Führer sich bereit erklärt habe, in den Völkerbund einzutreten, ohne ihn vorher zu verständigen". Botschafter Attolico kam mit seiner gegenüber von Bülow gemachten Bemerkung, Mussolini habe die Beseitigung der entmilitarisierten Zone „vorausgeahnt", der Wirklichkeit am nächsten Diese „Ahnung" lag nach dem Gespräch des Duce mit von Hassell am 22. Februar sehr nah.

VI. Die diplomatische Abschirmung des Coups gegenüber dem Locarno-Garanten Italien

Das unvorhergesehene Angebot Hitlers, nach Genf zurückzukehren, erregte von Hassell sehr. Ärgerlich erinnerte er am 9. März von Neurath daran, daß Hitler in den vorausgegan-genen Besprechungen stets die Notwendigkeit der Erhaltung des Faschismus und der deutsch-italienischen Zusammenarbeit im Rahmen des praktisch Möglichen betont hätte. Wollte man dies ernstlich, hielt der Botschafter seinem Minister vor, so müßte in Berlin alles getan werden, um den negativen Eindruck, der durch die Art des deutschen Vorgehens entstanden sei, wieder auszugleichen. In der Tat betrachteten nur die italienische Öffentlichkeit und die militärische Führung die Aktion Hitlers „hundertprozentig freundlich". Sie sahen darin eine Erleichterung der militärpolitischen Lage und hofften, das englisch-französische Interesse werde sich nunmehr stärker auf Deutschland als auf Abessinien konzentrieren. Bei Mussolini indessen überwog von Anfang an „die entsetzte Überraschung“ über das deutsche Angebot, durch das sich, wie General Roatta formulierte, Italien zu Verhandlungen im Geiste des Völkerbundes „gezwungen" sah. Von Hassells Versprechen, Deutschland würde im Völkerbund Italiens Interessen Unterstützen, ließ ihn unbeeindruckt, da, wie er am 7. März äußerte, das abessinische Problem spätestens in fünf bis sechs Monaten erledigt wäre und dann die angebotene Unterstützung für Italien keine machtpolitische Relevanz mehr besäße. Insgeheim fürchtete der Duce sogar die Möglichkeit einer deutschen Unterstützung der Sanktionspolitik, sobald das Reich in den Völkerbund zurückgekehrt war. Sein Mißtrauen wurde zudem durch den Verdacht einer deutsch-englischen Verständigung genährt. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, der Einmarsch ins Rheinland sei mit England vereinbart worden; Hitler habe die Kooperation mit London der mit Rom vorgezogen.

Diese negative Aufnahme des deutschen Schrittes bewog von Neurath zu einem Beschwichtigungsversuch. Er wies von Hassell an, dem Duce mitzuteilen, daß die Reichsregierung zu ganz anderen Ergebnissen gekommen sei als er. Das deutsche Vorgehen begünstige doch Italien in seinem gegenwärtigen Konflikt „ganz ungeheuer". Von Hassells Bild von der Entlastungsoffensive sei absolut zutreffend. Die italienischen Bedenken, durch das deutsche Angebot würde der Völkerbund gestärkt, könnte man in Berlin nicht verstehen. Die deutsche Offerte würde sich angesichts der augenblicklichen Lage nicht zum Nachteil Italiens auswirken, denn die Völkerbundsmächte wären zunächst mit der deutschen Locarno-Kündigung beschäftigt. Zudem würde die Frage einer deutschen Rückkehr nach Genf erst dann akut, wenn vorher eine Übereinstimmung über die übrigen Punkte des Memorandums erzielt worden sei. Er habe auch, fuhr von Neurath fort, Attolico bereits wissen lassen, daß Deutschland selbst nach vollzogenem

Wiedereintritt in den Bund keine italienfeindliche Haltung einnehmen würde. Vielmehr werde dann das Reich ein starkes Gegengewicht gegen „einseitige Präponderanzen", insbesondere gegen die Sowjetunion, bilden. Anschließend stellte der Außenminister von Hassell anheim, bei Mussolini oder Suvich durchblicken zu lassen, daß Italiens Vorgehen im Vorjahr dem Reich gewisse Entlastungen gebracht hätte. Diese seien, wie man in Rom zugeben müßte, in keiner Weise gegen Italien ausgenutzt worden. Vielmehr hätte man es so weit als möglich unterstützt. „Wir gönnten Italien", endete von Neuraths Weisung, „die daraus erwachsenen Vorteile, erwarteten aber unsererseits, daß Italien die Lage nicht gegen uns ausnutze."

Noch am selben Tag ging von Hassell zu Mussolini und trug ihm den Inhalt der Weisung vor. Der Duce gestand zwar eine gewisse Entlastung zu, verharrte aber bei seiner Ansicht, das deutsche Angebot der Rückkehr nach Genf habe der italienischen Position einen „schweren Stoß" versetzt. Von Hassell versuchte, diese Beurteilung mit dem Hinweis zu mildern, der tatsächliche deutsche Wiedereintritt in den Völkerbund läge ja noch „in weitem Felde". Um seinem Argument mehr Nachdruck zu verleihen, bat von Hassell, eine offizielle Zusicherung im genannten Sinne geben zu dürfen. Von Bülow erteilte tags darauf seine Einwilligung, wies von Hassell jedoch an, über die Formel, daß die Rückkehr „wahrscheinlich noch in weitem Felde liegt", nicht hinauszugehen und sich in diesem Punkt nicht festzulegen. Mussolini könnte keine feste Zusicherung erhalten. Von Hassell fragte zurück, ob er wenigstens „authentisch" erklären dürfte, der deutschen Aktion sei keine Absprache mit England vorausgegangen. Damit wolle er einer möglichen Hinwendung Italiens zu Frankreich begegnen; in Rom versuche man nämlich, die deutsche Aktion zum Anlaß dafür zu nehmen, um sich mit Hilfe Frankreichs von den Sanktionen loszukaufen.

Solche Bestrebungen deuteten sich bereits am 8. März an, als Staatssekretär Suvich von Hassell zu verstehen gab, daß Italien als Preis für seine Beteiligung an der Pariser Locarno-Konferenz verlangen würde, von einer Sanktionsverschärfung abzusehen und nicht mehr darüber zu sprechen

Während Rom damit England und Frankreich unter Druck zu setzen suchte, machte man gleichzeitig dem Reich beruhigende Zusicherungen, um eine mögliche deutsch-englische Annäherung zu erschweren. Suvich sicherte von Hassell zu, Italien würde sich auf der zum 10. März nach Paris einberufenen Ministerkonferenz der Locarno-Mächte nur durch seinen dortigen Botschafter vertreten lassen. Dieser würde die besondere Stellung Italiens als eines sanktionierten Landes betonen, sich nur zuhörend verhalten und alle Beschlüsse unter Vorbehalt lediglich entgegennehmen. Von Hassells Frage, ob sich demnach Mussolini an seine Zusicherung vom 22. Februar halten würde, bejahte Suvich. Er knüpfte daran jedoch die Bitte, diese Mitteilung vertraulich zu behandeln. Es müßte der Eindruck vermieden werden, als ob sich der Locarno-Garant Italien mit Deutschland ins Einvernehmen gesetzt hätte. Mussolini bestätigte am nächsten Tag Suvichs Erklärung. Er versicherte von Hassell, dem Pariser Botschafter „strenge Weisung" gegeben zu haben, sich bei der Konferenz der Locarno-Mächte „rein zuhörend" zu verhalten. Ferner habe er bei den Engländern und Franzosen keinen Zweifel darüber gelassen, „daß irgendeine italienische Aktion gegen Deutschland um so weniger in Frage komme, als gegenüber den Erdrosselungsversuchen der Sank-tionisten Deutschland für Italien das einzige offene Fenster gewesen sei". Ein mit Sanktionen belegter Staat würde sich hüten, über ein anderes Land Sanktionen zu verhängen.

„Sanzionisti non sanziano altri."

Mussolinis Kennzeichnung der Sanktionen als Hindernis für die aktive Teilnahme Italiens an den Pariser Verhandlungen war jedoch ebensowenig ein Beweis für eine prodeutsche Einstellung der italienischen Regierung wie Suvichs Bitte um eine vertrauliche Behandlung der Zusicherungen, die der Duce von Hassell am 22. Februar gegeben hatte. Gerade das Ersuchen des Staatssekretärs dürfte in erster Linie deswegen erfolgt sein, um eventuelle Avancen Frankreichs nicht durch eine offene Begünstigung Deutschlands in der Rheinpaktfrage zu erschweren.

Der Versuch, sich der Sanktionen unter Ausnutzung des Locarno-Problems mit Hilfe Frankreichs zu entledigen, stieß jedoch auf den Widerstand Englands, und Mussolini beschloß, zunächst einmal die weitere Entwicklung abzuwarten Dementsprechend verhielt sich die italienische Presse. In der Woche nach dem 7. März vermied sie jede klare Stellungnahme zu Hitlers Vertragsbruch. Mehrmals erging die Anweisung, peinlichste Zurückhaltung zu üben und diese mit der Sonderstellung Italiens als eines sanktionierten Landes zu begründen. Offenbar wartete der Duce auf die günstige Gelegenheit, in der er seinen Trumpf der vorbehaltenen Stellungnahme ausspielen konnte.

Um die Verlockung französischer Zusicherungen zu neutralisieren, ermächtigte das AA von Hassell zu der offiziellen Erklärung, der deutschen Aktion sei keine Fühlungnahme mit England vorausgegangen; die erste Mitteilung darüber sei gleichzeitig an die britische und an die italienische Regierung erfolgt. Außerdem sollte von Hassell versichern, daß das Reich auch nach seinem Wiedereintritt in den Völkerbund keine italienfeindliche Politik treiben würde. Mit. diesem Versprechen wollte man sich in Berlin Mussolinis Zusage erkaufen, bei den kommenden Verhandlungen in London die Sache Deutschlands zu vertreten. Noch war man sich der Sympathien des Duce keineswegs gewiß. Wie Militärattache Fischer treffend urteilte, durfte man auf eine zurückhaltende Stellungnahme Italiens in London hoffen, doch nur so weit, wie die unmittelbaren Interessen Italiens unberührt blieben.

VII. Der deutsche Coup im Schatten des internationalen Abessinienkonfliktes

Sofort nach dem deutschen Einmarsch in die entmilitarisierte Zone rief Frankreich unter Hinweis auf Artikel 4 des Locarno-Vertrags den Völkerbundsrat an. Bevor dieser in Ak-tion trat, hielten Vertreter der sogenannten Rest-Locarno-Mächte am 10. und 11. März eine Konferenz in Paris ab, ohne jedoch zu gemeinsamen Entschlüssen zu kommen. Zu groß waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Frankreich. Nach seiner Rückkehr am 11. März bemerkte Eden in einem Gespräch mit Leopold von Hoesch, „die Verhandlungsatmosphäre sei gestern in Paris so unmöglich gewesen, daß die englischen Vertreter auf (die) Fortsetzung der Aussprache verzichtet und (die) Verlegung derselben nach London durchgesetzt hätten" wo auch der Völkerbundsrat zusammentrat. Dieser sollte laut Artikel 4 Absatz 3 des Locarno-Vertrags über die gegen das Reich zu treffenden Maßnahmen befinden, nachdem am 12. die Locarno-Mächte einschließlich Italiens eine deutsche Vertragsverletzung festgestellt hatten. Hitler nahm die an das Reich als im Streit befindliche Partei ergangene Einladung des Rates an. Von Ribbentrop sollte am 19. März in London die deutschen Interessen vertreten.

Da Deutschland die Zusage erhalten hatte, vor Anhören seines Vertreters erfolge keine Beschlußfassung, konnte man in Berlin die gewonnene Frist dazu benutzen, um Mussolini zu hofieren. Dies erschien um so ratsamer, als Mitte März die Unsicherheit darüber wuchs, ob die englische Regierung, die erwartungsgemäß weit zurückhaltender auf den Vertragsbruch reagiert hatte, nicht doch letztlich der französischen Agitation erliegen würde. Denn Frankreich versuchte, wie Eden Botschafter von Hoesch am 11. März eröffnete, die englische Bindung an seine Verträge „mit allen Mitteln" auszunutzen und England zu einer gemeinsamen Strafaktion gegen das Reich zu bewegen. Mit dem Hinweis auf seine, wenn auch nur zögernde Gefolgschaft im Sanktionskampf gegen Italien pochte Paris ungestüm auf die Einlösung dieses politischen Wechsels in der Rheinlandfrage. Es wollte England unter Heranziehung von Artikel 4 Absatz 1— 2 des Vertrags auf seine Verpflichtung zu sofortiger Hilfeleistung nach der zu erwartenden Verurteilung Deutschlands durch den Völkerbund festlegen. Laut Eden dachte die französische Regierung an eine militärische Unterstützung durch England, das sich indessen mit einer maßvollen Lösung zufriedengeben wollte. Um dafür eine günstige Voraussetzung schaffen zu können, schlug Eden von Hoesch vor, Deutschland solle während der kommenden Verhandlungen einen Teil seiner ins Rheinland entsandten Streitkräfte zurückziehen, nur eine symbolische Besetzung aufrechterhalten und auf dem okkupierten Gebiet keine Befestigungen anlegen. Schon am nächsten Mittag erhielt von Hoesch die telegrafische Antwort aus Berlin. Darin teilte Ministerialdirektor Dieckhoff im Auftrag des Führers mit: „Eine Diskussion über dauernde oder vorübergehende Beschränkung unserer Souveränität in der Rheinlandzone kann für uns nicht in Betracht kommen."

Der negative Eindruck, den dieser Bescheid in London hervorrief, wurde noch durch Hitlers am gleichen Tag in Karlsruhe gehaltene Rede gesteigert, als er ausrief, absolut nichts könnte Deutschland zum Rückzug aus dem Rheinland zwingen. Diese provozierende Ablehnung der englischen Vorschläge leistete naturgemäß einer verstärkten Agitation Frankreichs Vorschub, was wiederum Englands Verhandlungsposition um so mehr erschwerte, als von Hoesch erneute Kompromißvorschläge als gänzlich aussichtlos ablehnen mußte

Damit sah sich London vor die Alternative gestellt, entweder seine Pflicht zu sofortiger Hilfeleistung im Anschluß an die Verurteilung Deutschlands zu erfüllen oder nach französischer Auffassung vertragsbrüchig zu werden. Im zweiten Falle mußte mit der endgültigen Abkehr Frankreichs vom System der kollektiven Friedenssicherung gerechnet werden, was England als führende Völkerbundsmacht nicht wünschen konnte. So schien sich eine Entscheidung Englands zugunsten Frankreichs anzubahnen, als Marineminister Monsell von Hoesch zu verstehen gab, die englische Regierung könnte gegenüber dem Reich unmöglich eine andere Haltung einnehmen, nachdem sie ihre Politik im Sanktionskampf gegen Italien bereits auf die strikte Erfüllung ihrer Vertrags-pflichten festgelegt hätte. Diese Eröffnung beeindruckte den deutschen Botschafter so tief, daß er die kommende Entwicklung als „überaus ernst" beurteilte. Das gemeinsame Telegramm der drei Waffenattaches vom selben Tag unterstrich die sich für Deutschland anbahnende bedrohliche Situation. Der in Berlin aufgenommene Telegrammtext lautete in seinem wichtigsten Teil: „Militär-, Marine-und Luftattache haben nach gemeinsamer sorgfältiger Prüfung hiesiger politischer Entwicklung zu melden, daß Lage als außerordentlich ernst anzusehen ist. Sehr ungünstige Entwicklung innerhalb weniger Tage ist möglich." Die Wilhelmstraße ließ sich nicht von der Nervosität der Londoner Botschaft anstecken. Besonders von Neurath „betrachtete die Lage wesentlich ruhiger". Er entdeckte nirgendwo Anzeichen für die Vorbereitung von militärischen Sanktionen und schloß aus dieser geheimdienstlichen Information über den Verlauf der Beratungen in London, daß dort nur wirtschaftliche Repressalien erwogen würden Teilte man deshalb auch nicht die Befürchtungen der deutschen Beobachter in London, so hatte man dennoch keinen Grund zur Sorglosigkeit. Die englische Entrüstung über das deutsche fait accompli war keineswegs nur oberflächlich. Dem Militärattache, General von Geyr, schien sie weit stärker zu sein als nach der Erklärung der deutschen Wehrhoheit im Jahre zuvor. Die Möglichkeit einer scharfen antideutschen Politik rückte unvermittelt in den Blickpunkt der Londoner Beratungen, als Churchill und Austin Chamberlain in einer Sitzung des For-eign Affairs Committee am 12. März drei Viertel aller Mitglieder von der Notwendigkeit einer Unterstützung Frankreichs zu überzeugen vermochten. Die am selben Tag erfolgte Zurückweisung der englischen Bitte um eine deutsche guten Willens kaum Geste des war neu einsetzender Bestrebungen Unterbindung Frankreichs geeignet, von England gewisse Sicherheitsgarantien oder sogar ein Militärbündnis einzuhandeln.

Angesichts des ungewissen Ausgangs der englisch-französischen Konsultationen hielt man in Berlin eine Rückversicherung bei Mussolini für ratsam. Alles mußte vermieden werden, was den Duce noch tiefer verstimmen konnte. Die Presse bekam die Anweisung, keine negative Kritik an Italien zu üben, obgleich es am 12. März der Verurteilung des Reiches durch die übrigen Locarnomächte zugestimmt hatte. Die Fortsetzung von Zeitungsartikeln, in denen auf die unangenehmen Folgen des deutschen Angebotes der Rückkehr nach Genf für die italienische Außenpolitik hingewiesen wurde, verbot man sofort, als sich Suvich über solche Berichte beschwerte. Den Journalisten wurde befohlen, keinerlei Kommentierung der italienischen Haltung vorzunehmen. Sie sollten besonders darauf achten, in den Eigenberichten ihrer Zeitungen aus London keine abträglichen Stellungnahmen über die dortige italienische Haltung durchschlüpfen zu lassen. Diese Sprachregelung galt ebenso für die redaktionelle Behandlung des abessinischen Krieges, denn Mussolini war in dieser Frage sehr empfindlich, wie z. B. Attolicos Beschwerde über den Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom 13. März bewies. Mit Bezug auf den darin behandelten Unterschied zwischen der deutschen Besetzung der entmilitarisierten Zone und der italienischen Eroberung abessinischen Gebietes riet der Italiener, solche Vergleiche besser nicht anzustellen. Mussolini wäre immer noch über die deutsche Bereitschaft verstimmt, dem Völkerbund beizutreten.

Von Neurath suchte bei dieser Begegnung Haltung Attolico, beabsichtigte die mit Italiens auf der Londoner Konferenz zu erkunden Attolico ihm auf entsprechende eine Frage von einer Instruktion für Grandi Kenntnis, wonach dieser dem Rat erklären sollte, daß Italien als sanktioniertes Land keiner Maßnahme zustimmen könnte, sei sie auch nur moralischer Natur, welche den Weg zur Anwendung von Sanktionen eröffne. Auf von Neuraths Bemerkung, Italien würde demnach wohl im Rat gegen einen eventuellen Sanktionsbeschluß stimmen oder sich der Stimme enthalten, reagierte der Botschafter indessen ausweichend. Von Neuraths mißtrauische Frage, ob nicht bereits italienisch-französische Abmachungen über eine wechselseitige Unterstützung in der Abessinien-und in der Rheinlandfrage bestünden, verneinte Attolico jedoch.

Vier Tage später traf in Berlin ein Telegramm von Hassells ein, das Attolicos Aufrichtigkeit in Frage stellte. Nach zuverlässigen Informationen, so hieß es darin, seien französische Bestrebungen zu beobachten, Mussolini unter Ausnutzung seiner Furcht vor einer deutsch-englischen Annäherung gegen das Reich aufzustacheln. Tags darauf unterstrich von Hassell in einem Privatbrief an von Neurath abermals diese Tendenz. Noch am 24. März äußerte sich der Botschafter zu Kanya besorgt über das Mussolini gemachte Angebot Frankreichs, „französische Hilfe zur Abschaffung (der) Sanktionen durch (eine) entsprechende Zusage in Richtung Stresa zu erkaufen Generalmajor Fischer schloß am 18. März seinen Lage-bericht mit dem Eingeständnis, daß es bei den verschiedenen politischen Strömungen in Rom nicht mit Sicherheit vorauszusagen sei, ob das italienische Pendel zuletzt nach Berlin oder Paris ausschlagen würde

In dieser Ungewißheit reiste die deutsche Delegation am 18. März nach London. Von Schmieden war einen Tag zuvor von Genf aus vorausgeflogen, um die technischen Vorbereitungen zu treffen. Als ehemaliger Völkerbundsbeamter wurde er von Generalsekretär Avenol und Untergeneralsekretär Azcarate freundlich empfangen. Dank ihrer Vermittlung erreichte von Schmieden beim Ratspräsidenten Bruce eine Änderung des geplanten Verfahrens, wonach im Anschluß an von Ribbentrops Rede sofort abgestimmt werden sollte. Von Schmieden erreichte es, die Abstimmung erst in einer getrennten Sitzung am Nachmittag des 19. März vorzunehmen. Mit dieser Modifizierung des Verfahrens hoffte das AA, einer möglichen Krise vorzubeugen, die durch „eine unberechenbare Reaktion Ribbentrops" (v. Schmieden) hervorgerufen werden konnte. Eine solche psychologische Vorsichtsmaßnahme war durchaus angebracht, wie von Ribbentrops Benehmen nach der Abstimmung zeigte. Als Eden auf ihn lächelnd zuschritt und ihm die Hand entgegenstreckte, tat von Ribbentrop, als habe er nichts bemerkt und verließ mit eisiger Miene den Saal

Eine Begegnung von Ribbentrops mit dem italienischen Botschafter Grandi fand vor der entscheidenden Sitzung nicht statt Ebenso wie vor dem deutschen Einmarsch in die entmilitarisierte Zone war zwischen Rom und Berlin kein gemeinsames Vorgehen beider Regierungen in London verabredet worden.

Italien schloß sich am 19. März der Verurteilung Deutschlands an, ohne Berlin vorher von dieser Absicht zu informieren. Obgleich der Entschluß des Duce schon am 11. März feststand, ließ es Suvich am 14. März gegenüber von Hassell mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer negativen Entscheidung bewenden. Von Bülow zeigte sich gegenüber Attolico sehr befremdet und monierte vor allem die italienische Zustimmung zum Resolutionsentwurf der Locarno-Mächte, der zur endgültigen Regelung der deutschen Rechtsbeugung dienen sollte. Attolico versuchte, den negativen Eindruck von Bülows mit der Versicherung zu mildern, daß die italienische Zustimmung nur „ad referendum" erfolgt sei, und das Reich „absolut" davon überzeugt sein dürfte, daß sich Italien an Sanktionen nicht beteiligen würde. Ähnlich reagierte Suvich auf die Vorhaltungen von Hassells. Die Feststellung der faktischen Vertragsverletzung, behauptete Suvich, sei unvermeidbar gewesen. Es habe keine „technische Möglichkeit" gegeben, den Locarno-vom Versailler Vertrag zu trennen. Einen Bruch des letzteren habe der Führer ja nicht geleugnet und nur auf diesen habe Grandi in seiner Rede am 18. März Bezug genommen.

Diese Versicherung war um so wertwoller, als der Resolutionsentwurf in der Tat für Deutschland äußerst unangenehme Vorschläge enthielt. So besagte etwa der Artikel II, daß die deutsche Regierung durch ihre einseitige Maßnahme keine legalen Rechte erworben hätte und dem Internationalen Haager Gerichtshof ihre Argumente, aus denen sie die Unvereinbarkeit des französisch-russischen Beistandspaktes mit dem Locarno-Vertrag herleiten wolle, unterbreiten müßte. Während der darauffolgenden Verhandlungen dürfte das Reich keinerlei Befestigungen in der okkupierten Zone anlegen und keine Truppenverstärkungen vornehmen. Zur Kontrolle möge für die Dauer der Beratungen auf dem umstrittenen Gebiet ein internationales Truppenkontingent stationiert werden. Nach Artikel III sollten die Locarno-Mächte (ohne Deutschland) ihre Generalstäbe zu sofortigen Beratungen darüber anweisen, wie sie im Falle eines un-provozierten Angriffs ihre Verpflichtungen technisch am besten erfüllen könnten. Obendrein hatte Flandin in der französischen Kammer erklärt, Grandi habe nicht nur der Resolution zugestimmt, sondern darüber hinaus habe auch seine persönliche Haltung immer das Gepräge freimütigster Freundschaft getragen.

Mussolini fühlte sich aus einem noch zu nennenden Grund bemüßigt, die negative Reaktion Berlins auf die italienische Haltung in London zu mildern. Am Morgen des 21. März rief er persönlich Attolico an und schickte ihn mit „beruhigenden" Anweisungen in die Wil-B helmstraße. Dort teilte Attolico von Bülow mit, Grandi sei zu der Erklärung ermächtigt worden, daß Italien sich „in Sachen Memorandum vollkommen frei fühle" und sich eine endgültige Stellungnahme vorbehalte. Wenn der deutschen Regierung, fügte der italienische Botschafter hinzu, an einem gemeinsamen Vorgehen mit Italien gelegen sei, möge man ihn davon rechtzeitig unterrichten. Er bat, dies dem Führer mitzuteilen und die italienische Botschaft über die weiteren deutschen Maßnahmen auf dem laufenden zu halten.

In Berlin wurde das italienische Angebot sofort geprüft. Noch am selben Tag wies von Neurath von Hassell an, Mussolini möglichst schnell, in jedem Fall bis Montag mittag, aufzusuchen und ihm im Auftrag des Führers mitzuteilen, daß Deutschland den meisten der im Londoner Memoradum enthaltenen Vorschlägen nicht zustimmen könne. Es wäre darum begrüßenswert, wenn Italien bei nächster Gelegenheit auch seinerseits gegen die Resolution Stellung nehmen würde. Immerhin hätte das Reich Italien im Abessinienkonflikt durch „wohlwollende Neutralität" gewisse Dienste geleistet Von Neuraths Anweisung, Mussolini spätestens bis Montag mittag aufzusuchen, hatte wohl folgenden Grund: Auf Dienstag, den 24. März, war eine Debatte der Resolution des Völkerbundsrats angesetzt. Offenbar sollte von Hassell Mussolini dahin beeinflussen, Grandi für diese Beratung mit pro-deutschen Instruktionen zu versehen. Eine offizielle Verlautbarung über Italiens beabsichtigte Stellungnahme auf dieser wichtigen Konferenz stand bis dahin noch aus. Doch nicht allein der Bittcharakter des Telegramms ließ die deutsche Ungewißheit über Italiens Haltung bei der kommenden Ratstagung erkennen, sondern ebenso von Blombergs Tagesbefehl vom 21. März, der eine Beurlaubung von Offizieren in die Locarno-Länder einschließlich Italiens verbot.

Zwar empfing der Duce den deutschen Botschafter erst am Abend des 23. März, gab ihm aber beruhigende Zusagen. Mussolini versprach, die italienische Stellungnahme zum Resolutionsentwurf in jedem Fall mit Hitler abzustimmen und sich an keinen antideutschen Maßnahmen zu beteiligen. Grandi würde entsprechende Anweisungen bekommen.

Mussolini hielt sein Versprechen. Am 24. März mußte der Völkerbundsrat feststellen, daß Italien den Resolutionsentwurf noch nicht unterzeichnet hatte. Die offizielle Beratung mußte demgemäß ausgesetzt werden.

Mussolini hatte guten Grund für diese deutsch-freundliche Haltung, denn Mitte März war es klargeworden, daß London seine bisherige Sanktionspolitik fortzusetzen beabsichtigte. Als am 23. März auf Betreiben Englands der Dreizehner-Ausschuß zusammentrat, um über die Wiederholung des Friedensappells vom 3. März und die Beendigung des Krieges zu beraten, erhöhte sich Mussolinis Glaube an die Feindschaft der Briten. Er rechnete mit einem verstärkten Widerstand Englands in der abessinischen Angelegenheit, sobald die Rheinlandfrage geklärt worden war. Neben einer freundlicheren Haltung gegenüber Berlin erschien ihm daher eine schnelle Entscheidung in Abessinien als beste Lösung, um englischen Pressionen auszuweichen. Noch stand die Rheinlandaffäre zu sehr im Vordergrund des europäischen Interesses, als daß man in Rom sofortige Sanktionsverschärfungen erwarten mußte.

Die gewonnene Frist suchte man mit der Taktik listigen Zauderns zu verlängern. In bekannter Manier wurden sowohl den Franzosen als auch den Deutschen verheißungsvolle Avancen gemacht, die sich gegenseitig neutralisierten. So versicherte am 24. März Attolico von Neurath, das Reich brauche keine italienische Beteiligung an irgendwelchen antideutschen Maßnahmen zu befürchten. Tags darauf schrieb Aloisi jedoch in sein Tagebuch: „Chambrun a ete reu par Mussolini, ä qui il a pose la question du maintien des accords de Locarno, en ce qui nous concerne. Mussolini a d-veloppe notre point de vue et a dit que si la France leve les sanctions, nous l'appuierons. Cette declaration du Duce est en Opposition radicale avec les assurances dj donnees par lui ä l’Allemagne. C’est Fhabituel Systeme." Dem entsprach auch die absichtliche Verschleppung der Locarno-Frage durch die Nichtunterzeichnung der Londoner Resolution, wodurch die schnelle Beratung neuer Maßnahmen zur friedlichen Beilegung des Abessinien-konflikts hintertrieben werden sollte. Als z. B. Madariaga, der Vorsitzende des Dreizehner-Ausschusses, gemäß dessen am 23. März gefaßten Beschluß, zunächst auf persönlichem Wege Friedensgespräche mit den Kriegsparteien einzuleiten, an Grandi herantrat, antwortete der Italiener lediglich, in der abessini-sehen Frage ohne Information zu sein. Italien hätte in dieser Angelegenheit keine Eile und verließe sich ganz auf die erfolgreiche Fortsetzung seiner Operationen in Afrika.

Wie nicht anders zu erwarten, führten die Gespräche Madariagas zu keinem Ergebnis. Doch in London wollte man nicht resignieren. Der siegreiche italienische Vormarsch, die Anwendung von Giftgas gegen die Abessinier, die Erfolglosigkeit aller Friedensbemühungen und das verblassende Prestige des Völkerbundes erregten die englische Öffentlichkeit. „Mieux vaut prevenir", beschrieb Aloisi am 3. April die antiitalienische Stimmung, „car il se forme en Angleterre, ä propos de notre bombarde-ment de Harra, une atmosphere trs favo-rable envers nous et dj Fon chuchote que des repercussions pourraient se produire analogues ä celles de Fachoda." Unter diesem moralischen Druck — schließlich hatten die Konservativen erst im November mit ihrem Bekenntnis zum Völkerbund die Parlamentswahlen gewonnen — schlug die Regierung vor, der Völkerbund möge einen letzten Friedensappell erlassen. Sollte er abgelehnt werden, sei der Sanktionsausschuß einzuberufen. Als diese Absicht Londons in Genf bekannt wurde, ließ Aloisi wissen, daß er an den für den 10. April vorgesehenen Beratungen der Rest-Locarno-Mächte über den deutschen (1. April) und französischen Friedensplan (8. April) nicht teilnehmen würde, falls die Forderung nach Einberufung des Sanktionsausschusses bestehenbliebe. „Au comite de sanctions", notierte Aloisi die Anweisung des Duce, „je devrai faire une däclaration energique (en regardant Eden dans les yeux, a prcis Mussolini) pour enoncer que les dernieres manifestations offi-cielles de l'Angleterre avait accuse une ten-dance ä exclure l'Italie de la Cooperation europeenne. Je devrai dire que l’Italie, qui s'est toujours maintenue fidele ä ses engagements, avant d’en prendre de nouveau qui peuvent comporter des risques, a le devoir de s'assurer que la Cooperation italienne, facteur essentiel de paix dans le passe et sans laquelle on ne peut reconstruire l’europe, est voulue par les puissances garantes. En ce cas, eile continuera ä collaborer tandis que, dans le cas contraire, eile se reserve de reconsiderer sa politique." Damit wurde klar, daß Mussolini die am 7. März aufgeworfene Rheinlandfrage nicht primär als Locarno-Garant betrachtete, sondern sie zuerst nach ihrer Relevanz für die* angestrebte Festigung der italienischen Position in Genf beurteilte. Den letzten Zweifel an dieser Einstellung, die von Hassell und Cham-brun sofort nach dem 7. März durchschauten, beseitigte Mussolini am 21. April in Genf. An diesem Tag ließ er dem Völkerbundsrat durch Aloisi offiziell mitteilen, daß Abessinien allein die Verantwortung für die Verzögerung der italienischen Mitarbeit am europäischen Friedenswerk trage, dessen Aufbau der Lösung des Abessinienkonfliktes folgen müsse

Die Vorbehalte Italiens bei den Besprechungen der Rest-Locarno-Mächte und seine Ablehnung, sich an den am 19. März vereinbarten Besprechungen der Generalstäbe zu beteiligen, waren somit keineswegs Ausdruck einer pro-deutschen Option Mussolinis in der Rheinland-

Affäre. Die offen eingestandene Priorität der Abessinienfrage beweist, daß Mussolinis Zurückhaltung bei den Locarno-Beratungen in erster Linie von der Absicht bestimmt war, den italienischen Vorstellungen bei der Erledigung des Abessinienkonfliktes in London und Paris Nachdruck zu verleihen. Die drohende Möglichkeit eines deutsch-italienischen Zusammengehens sollte im Westen den Reiz des italienischen Versprechens erhöhen, die europäischen Probleme im Geist der römischen Abmachungen vom Januar 1935 zu lösen, sobald die Sanktionsfrage im italienischen Sinne erledigt war. Diese verlockende Zusage gab der Duce dem französischen Botschafter am 18. April ebenso freimütig wie die Versicherung, sich um eine Besserung seines Verhältnisses zu England bemühen zu wollen. „Je m’emploirai par tous les moyens ä ce rapprochement et rien ne sera negliger pour y parvenir." Bezeichnenderweise beteiligte sich Italien an den am 8. Mai erneut beginnenden Besprechungen der Rest-Locarno-Mächte nicht etwa aus Sympathie für Deutschland, sondern deshalb, weil kurz zuvor der Völkerbundsrat den italienischen Souveränitätsanspruch auf Abessinien verworfen hatte und daraufhin der Delegierte Haile Selassies am Ratstisch Platz nehmen durfte. Diese Entscheidung des Rates war für Italien der einzige Grund zum Boykott der Locarno-Konferenz Zurück blieben England und Frankreich, deren unterschiedliche Aufnahme des deutschen Rechtsbruchs vom 7. März eine gemeinsame, für Hitler gefährliche Resolution kaum mehr erwarten ließ. Dies um so weniger, als der überraschende Sieg Badoglios über Abessinien die entmilitarisierte Zone zum Randproblem für die englische Außenpolitik degradierte. Während die Locarno-Frage somit im diplomatischen Dickicht nationaler Sonderinteressen verschwand, wurde immer deutlicher, daß aus dem Interesse der beiden Diktatoren am Versagen des Prinzips der kollektiven Sicherheit allmählich „eine Parallelität der Politik beider Länder" entstanden war, wenngleich auch ohne „bewußte Kooperation" Hitler hatte auf seinem Wege von der verdeckten zur offenen Aggression einen weiteren Etappensieg erzielt, denn nun begann der Duce, auf Hitlers Kurs einer doktrinären Bündnispolitik zwischen Rom und Berlin einzuschwenken.

Im Anmerkungsteil wurde auf folgende gedruckte Literatur Bezug genommen:

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Dazu grundlegend: H. -A. Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933— 1938, Frankfurt am Main — Berlin 1968; ders., Zur Programmatik und Struktur der nationalsozialistischen Außenpolitik 1919— 1939, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT vom 13. 12. 1967; K. D. Bracher, Die deutsche Diktatur — Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln — Berlin 1969 (Kap. VI: Außenpolitik zwischen Revision und Expansion); E. Jäckel, Hitlers Weltanschauung — Entwurf einer Herrschaft, Tübingen 1969; zur außenpolitischen Strategie Hitlers vgl. besonders das hervorragende Werk von Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich — Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919— 1945, München 1969; ferner G. Meinck, Hitler und die Aufrüstung 1933— 1937, Wiesbaden 1959; B. A. Carroll, Design for total war: arms and economics in the Third Reich, Paris 1968. Im übrigen vgl. zu der in diesem Aufsatz behandelten Thematik das soeben erschienene Buch des Verfassers: Sanktionen und Kanonen — Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt 1934— 1936, Düsseldorf 1970.

  2. Nach Artikel 42— 43 des Versailler Vertrages durfte Deutschland weder auf dem gesamten linken Rheinufer noch in einer 50 km breiten „neutralen" Zone auf der rechten Stromseite Truppen stationieren oder militärische Einrichtungen unterhalten. Diese Abmachung war im Locarno-Vertrag (1925) zwischen Frankreich, Deutschland und Belgien neu verankert worden. England und Italien waren die Garanten dieses Paktes. Vgl. Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten, Bd. 3: 1935— 1936 (Internationale Politik), hrsg. v. Werner Frauendienst, Essen 19422, S. 290 ff., und F. Berber (Hrsg.), Locarno. Eine Dokumentensammlung, Berlin 1936.

  3. Vgl.den Bericht des deutschen Botschafters in London, von Hoesch, vom 16. 5. 1935, PA, Bot. Paris, Paket 420 b, Politik Abessinien, Bd. 4.

  4. Mitteilung an Vers, von Dr. W. von Schmieden, damals Vortr. Leg. Rat. im AA. Uber ihn liefen die für das AA bestimmten Interzepte. Vgl. auch die eidesstattliche Erklärung des damaligen Leiters der AA-Chiffrierabteilung, K. Selchow, in Nürnberg. BA. All. Proz. LVI/4, Weizsäcker-Dok. 122.

  5. Aufzeichnung von Hassells über die Unterredung mit Hitler am 14. 2. 1936 in München, PA, Bot. Rom., Geheimakten, Paket 8, 1936, DGFP IV/564.

  6. Am 2. 5. 1935 schlossen Frankreich und die UdSSR einen Beistandspakt, der beide Staaten verpflichtete, sich gegenseitig sofort Hilfe zu leisten, falls einer der Signatare Gegenstand eines nicht provozierten Angriffs eines europäischen Staates werden sollte (Vertrags-Ploetz, Teil II, Bd. 4, A, 2. Ausl., S. 130— 131).

  7. So z. B. Keitel am 6. 12. 1935 vor dem Reichsverteidigungsausschuß, Bericht von der 11. Sitzung des RVA, Office of Counsel for War Crimes, Dok. EC — 406.

  8. Vgl. von Hassells private Tagebuchaufzeichnung, die E. Robertson wiedergibt: Zur Wiederbesetzung des Rheinlandes, VfZG, Jg. 10, S. 203— 204.

  9. Aufzeichnung (Abschrift) von Oberstleutnant von Böckmann, Abt. „Ausland" im RKM, über diese Konferenz am 4, 5. 1935, Stempel „Geheim", Unterschrift mit Bleistift „Stülpnagel", MGFA H 27/11, Außenpolitik, Jan. 1934—Febr. 1936. Aufzeichnung von Neuraths vom 6. 5. 1935, PA Büro RM 7, Frankreich, Bd. 28.

  10. Weisung von Neuraths an Köster, den deutschen Botschafter in Paris, vom 27. 7. 1935, PA, Bot. Paris, Paket 578 a, Handakten Köster.

  11. DGFPIV/460.

  12. M. Braubach, Der Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Zone am Rhein im März 1936. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW, H. 54, 1956, S. 11.

  13. Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vordem Internationalen Militärgerichtshof, Bd. 34, S. 645— 646.

  14. E. Kordt, Nicht aus den Akten, S. 128.

  15. Fuller Papers, Franklin D. Roosevelt Library.

  16. T. Jones, A diary with letters, S. 159.

  17. In diesem Sinne: E. Kordt, Nicht aus den Akten, S. 128; ders, Wahn und Wirklichkeit, S. 75; J. R. von Salis, Von Versailles bis Hiroshima, S. 536 bis 537; F Wiedemann, Der Mann, der Feldherr werden wollte, S. 151; A. Bullock, Hitler, S. 340; E. Anchieri, Les rapports italo-allemands, S. 10; J. B. Duroselle, Histoire diplomatique, S. 215 bis 216. Dr. Hans Thomsen, Ministerialrat und Leiter des Ressorts „Auswärtiges" in der Reichskanzlei, teilte d. Vers, mit, daß Hitler durch die „lahme Reaktion" Englands und Frankreichs auf Mussolinis drohende Haltung zu seinem Entschluß ermutigt worden sei.

  18. Les evenements survenus en France .. Bd. I, S. 393.

  19. Ebenda, Bd. III, S. 910.

  20. P. Aloisi, Le Journal, S. 292, Eintragung vom 3. 8. 35.

  21. P. Laval, The unpublished diary, S. 34.

  22. DGFP IV/370.

  23. Vgl. Flandins, Lavals Nachfolger als Außenminister, Aide memoire vom 3. 3. 1936, DDF 1/283.

  24. A. Eden, Angesichts der Diktatoren, S. 313, 409.

  25. Mitt. von Baron Bova Scoppa, dem damaligen Generalsekretär der italienischen Delegation beim Völkerbund, an Vers.

  26. Vgl.den Bericht von Konsul Krauel vom 23. 4. über die Ratstagung des Völkerbundes vom 15. bis 20. 4. 1936 in Genf, PA, Abt. III, Politik 3, Polit. Bez. Äthiopien-Italien, Bd. 14. Vgl. ferner DGFP V/45, 80, 113, 180, 274, 283, 289.

  27. H. R. Wilson, For want of a nail, S. 85.

  28. DGFP V/273.

  29. Vgl. P. Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne, S. 93; Der Hochverratsprozeß gegen Dr. Guido Schmidt, S. 456; B. v. Lossberg, Im Wehrmachtsführungsstab, S. 11. Ein weiteres Beispiel für die Unsicherheit hinsichtlich der zu erwartenden französischen Reaktion bietet der Spezialauftrag, mit dem von Bülow den VLR von Schmieden nach Paris schickte. Dieser sollte sich dort nach dem Einmarsch in die Zone einige Tage aufhalten, um als Sonderbeobachter des AA in enger Verbindung mit General Kühlenthal und dessen Gehilfen, Hauptmann Speidel, die französischen Gegenmaßnahmen zu erkunden (Mitt. von Schmiedens an Vers.). Wie aus dem Bereitstellungsbefehl vom 2. 3. 1936 hervorgeht, wurde die Möglichkeit militärischer Gegenmaßnahmen keineswegs ausgeschlossen, IMT, Bd. 34, S. 646.

  30. A. Bullock, Hitler, S. 342.

  31. Diese vertrauliche Mitt. machte Major Mario Badoglio, der Sohn des Marschalls und dessen Stabsoffizier, dem deutschen Geschäftsträger in Addis Abeba. Dr. Bock, nach der Einnahme von Addis Abeba (Tagebuch des Botschafters a. D. Bock). Vgl. ferner die Berichte Bocks vom 30. 12. 1935 und 11. 1. 1936, PA, Abt. III, Politik 3, Polit. Bez. zwischen Äthiopien und Italien, Bd. 12; ferner den Rückblick des deutschen Militärattaches in Rom, Generalmajor Fischer, auf die militärische Lage Italiens in der ersten Hälfte 1936 vom 26. 6. 1936, MGFA, H 27/13, Berichte Militärattache Rom 1936. Vgl. besonders die großen Berichte im Völkischen Beobachter vom 27. und 30. 12. 1935. Ferner J. F. C. Fuller, Der erste der Völkerbundskriege, S. 89; A.del Boca, La guerra d'Abissinia 1935— 41, S. 66 ff.; L. Pignatelli, La guerra dei sette mesi, S. 137 ff.

  32. Vgl.den Bericht des VB-Sonderkorrespondenten Zimmermann vom 23. 5. 1936 aus Addis Abeba, Hoover Inst., Reichskanzlei, Adjutantur des Führers, „Abessinisch-Italienischer Krieg", Kopie TS Germany R 352 Kah. no. 4.

  33. Bericht Fischers vom 7. 5. 1936, a. a. O.

  34. DGFP IV/506.

  35. Aufzeichnung Malletkes (APA) vom 14. 1. 1936

  36. Bericht von Hassells vom 22. 1. 1936, PA, Bot. Rom, Paket 716/2, Abessinien, Innere und äußere Politik. Jan. — Febr 1936.

  37. F.de Suvich war Staatssekretär des italienischen Außenamtes, dessen Leitung Mussolini zu dieser Zeit selber innehatte. D. Alfieri war Staatssekretär im italienischen Ministerium für Presse u. Propaganda.

  38. Vgl. E. Robertson, a. a. O., S. 203. Von Hassells Privatnotizen geben keine nähere Auskunft über den Inhalt der Gespräche, die getrennt voneinander mit Alfieri und Suvich geführt wurden.

  39. Ebenda. Die Fragezeichen von Hassells deuten darauf hin, daß Scheffer keine näheren Erklärungen geben konnte. Offenbar war er von dem V-Mann nur um Überbringung der Information gebeten worden. Für eine detaillierte Begründung schien man keine Zeit gehabt zu haben, da man an-nahm, von Hassell reise noch am Montag abend nach Berlin.

  40. PA, Botschaft Rom, Film-Nr. 261349— 54.

  41. Mitt. von Schmiedens an Vers.; vgl. ferner J. Lipskis Wiedergabe seiner Unterhaltung mit Attolico, in: J. Lipski, Diplomat in Berlin, S. 251— 252.

  42. DGFP IV/506.

  43. DGFP IV/575.

  44. DGFP IV/564, 575.

  45. Von Hassells Aufzeichnung über dieses Gespräch vom 22. 2. 1936, PA, Bot. Rom, Geheimakten, Paket 7/Nr. 20, DGFP IV/579; vgl. von Hassells Sprechzettel für diese Unterredung, ebenda, Paket 8/Film-Nr. 261341— 44; vgl. dazu das italienische Protokoll von dieser Besprechung im Anhang von von Hassells Bericht vom 5. 3., FOL 6001, Geheimakten 1920— 36, Po 2, Italien, Politische Beziehungen zu Deutschland, Bd. 3.

  46. Vgl. von Hassells Aufzeichnung vom 26. 2. 1936, PA, Bot. Rom, Geheimakten, Paket 7/Nr. 28, DGFP IV/592. Erst am 3. 3. 1936 wurde das revidierte Protokoll dem deutschen Botschafter übergeben (Telegramm von Hassells vom 3. 3. 1936, FOL 6001, Geheimakten 1920— 36, Po 2, Italien, Politische Beziehungen zu Deutschland, Bd. 3, DGFP V/5 und 6).

  47. DGFP IV/579; DDF 1/239.

  48. H. B. Gisevius, Adolf Hitler, S. 348; DGFP IV/574.

  49. DGFP IV/506; Botschafter Phipps am 10. 10. 1935 an Hoare, F. O., Cab. Office, Cab. 24/259.

  50. A. Francois-Poncet, Als Botschafter in Berlin, S. 304; vgl. ferner die Mitteilung des damaligen persönlichen Adjutanten Hitlers, F. Wiedemann, an Vers.; „Ich weiß mit aller Bestimmtheit, daß Hitler zu Beginn des Krieges einen italienischen Mißerfolg voraussagte."

  51. Vgl. von Hassells Privatschreiben an von Neurath vom 4. 5. 1936, DZA, RAM, Handakten von Neurath, Italien, Jan. 1933 — Aug. 1937.

  52. Eine Äußerung über den Ausgang des Krieges zwischen diesen beiden Daten konnte nicht ermittelt werden.

  53. Mitteilung von Waldheims, des damaligen Attaches und Konsularrichters der deutschen Gesandtschaft, an Vers. Dr. Unversehrt, der im September 1935 als Geschäftsträger von Dr. Bock abgelöst wurde, teilte dem Vers, mit, daß man täglich um 12 Uhr auf einer Geheimfrequenz Berlin kontaktierte.

  54. Dies geht aus den privaten Tagebuchaufzeichnungen Dr. Bocks, in welche der Vers. Einblick nehmen durfte, hervor. Laut Auskunft Dr. Bocks und von Waldheims genoß auch der Gesandtschaftsarzt Bruns, Leibarzt des Negus und Leiter

  55. Mitteilung von Waldheims an Vers. Daraus erklärt sich, daß Nachrichten über das Kriegsgeschehen bis zu ihrer Veröffentlichung im Völkischen Beobachter häufig nur eine Übermittlungsdauer von einem Tag benötigten.

  56. H. Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 321 (zitiert nach der von G. Ritter besorgten Ausgabe).

  57. Schreiben der VB-Schriftleitunq vom 10. 10. 1935 an den Leiter der AA-Presseabteilung, Aschmann (PA, Presse-Abt., Italien 4, Presse, Propaganda und allgemeine Angelegenheiten, Bd. 5).

  58. Vgl. Strunks Bericht vom 31. 1. 1936.

  59. Mitt. General Hoßbachs an Vers.

  60. BA, ZSg 101/1, Bd. 7, Anweisung Nr. 223.

  61. Ebenda; desgl. BA, ZSg 102/1.

  62. DDF 1/350; vgl. dort Francois-Poncets Zusammenstellung der seit Januar 1936 gemachten deutschen Zusicherungen, die entmilitarisierte Zone nicht zu beseitigen.

  63. W. L. Shirer, Berlin Diary, S. 48.

  64. Mitt. von Schmiedens an Vers. Die Erlasse für Rom, London, Brüssel und Paris wurden durch Sonderkuriere überbracht.

  65. Vgl. das von Lammers angefertigte Sitzungsprotokoll, BA, R 43II/1475, DGFP V/9.

  66. über diesen Personenkreis gibt die Aufzeichnung von Hassells vom 14. 2. 1936 Auskunft. Schacht bestritt gegenüber Vers., eingeweiht gewesen zu sein. Dagegen steht Wiedermanns Behauptung gegenüber dem Vers., daß „Blomberg vor der Aktion warnte, während • Schacht und Neurath keine Folgen voraussagten". Reichsfinanzminister a. D. Graf Schwerin-Krosigk teilte dem Vers, mit, von der geplanten Aktion bis zu ihrer Durchführung nichts gewußt zu haben.

  67. Mitt. von Schmiedens, von Rintelens, von Bar-gens an Vers. Vgl. besonders DDF 11/43.

  68. Vgl. M. Braubach, a. a. O., S. 16; DDF 1/389.

  69. DGFP V/43.

  70. Vgl. die vertrauliche Presseanweisung (Dr. Kausch) vom 4. 3. 1936, BA, ZSg 101/7.

  71. Telegrammtext vom 5. 3. 1936, PA, Abt. IIF, Abrüstung R 47, Proklamierung der deutschen Souveränität in der entmilitarisierten Rheinlandzone, Bd. 1, DGFP V/3, 4, 7.

  72. Mitt. von Schmiedens an Vers. Wer die Botschaft in London verständigte, war nicht zu ermitteln. Der damalige Botschaftsrat Bismarck vermag sich nicht zu erinnern. Er bestätigte aber, daß der Botschaft Hitlers Absicht erst unmittelbar vor der Aktion bekanntgeworden sei (Mitt. Fürst Bismarcks an Vers.). Vgl. auch DGFP V/3, 6, 8; L. Geyr von Schweppenburg, Erinnerungen eines Militärattaches, S. 80.

  73. Aufzeichnung des Herrn Gesandten a. D. Forster für Vers. Vgl. auch DGFP V/17.

  74. Telegramm Krauels vom 5. 3., PA, Abt. III, Politik 3, Polit. Bez. zwischen Äthiopien und Italien, Bd. 13, DGFP V/2.

  75. Bericht Bräuers vom 7. 3. 1936, PA, Abt. IIF, Abrüstung R 47, Proklamierung der deutschen Souveränität . .., Bd. 1, DGFP V/14.

  76. Vgl.den Inhalt des um neun Uhr geführten Telefonates, DDF 1/296, 298, 412.

  77. DGFP V/169.

  78. Telegramm von Hassells vom 7. 3. 1936, PA, Bot. Rom, o. näh. Ang., Film-Nr. 261384— 261390, DGFP V/8; von Hassells Privatnotiz, E. Robertson, a. a. O., S. 205; PA, Bot. Rom, Geheimakten, Paket 8, Film-Nr. D 682628— 30.

  79. Vgl. von Hassells Telegramm vom 7. 3. 1936 a. a. O.

  80. DDF 1/242; DGFP V/28.

  81. DDF 1/290; P. Aloisi, Eintragung vom 5. 3. 1936, S. 355.

  82. Tagebuch Krogmann, Eintragung vom 5. 6. 1936, Kopie im Besitz von Prof. Dr. H. -A. Jacobsen (Bonn); DGFP V/330.

  83. DGFP V/ll.

  84. DGFP V/54; 75.

  85. Telegramm von Hassells vom 8. 3. 1936, a. a. O.; Telegramm von Hassells vom 9. 3. 1936, PA, Bot. Rom, Geheimakten, Paket 8, DGFP V/41.

  86. A. Eden, a. a. O., S. 409, DGFP V/91; M. Magistrats, La Germania e l'impresa italiana di Etiopia, Riv. di Studi Polit. Int., A. 18, No. 17, 1950, S. 598.

  87. Telegramm von Hoeschs vom 11. 3. 1936, PA, Abt. IIF, Abrüstung R 47, Proklamierung der deutschen Souveränität. .., Bd. 2, DGFP V/8. Vgl. hierzu auch Forsters Telegramm vom 10. 3. 1936: „Wie ich aus guter Quelle erfahre, soll in der Vormittags-sitzung der Vertreter der Locarno-Mächte, als Engländer Möglichkeiten der Verhandlung über deutsche Vorschläge zur Debatte stellten, Sarraut jede Erörterung hierüber schroff abgelehnt haben"

  88. DGFP V/66, 81, 84, 96.

  89. DGFP V/91, 98. Nach Mitt. von Geyrs an Vers, ist diese Fassung des Telegramms „hochprozentig verfälscht". Der tatsächliche Text habe geheißen: „Lage ernst, 50 zu 50 Frieden zu Krieg, Geyr, Wassner, Wenniger." Diese Formel stammt nach Mitt. von Geyrs von dem damaligen amerikanischen Militärattache in London, R. Lee, mit dem von Geyr befreundet und der über die Lage „von englischer Seite bestens orientiert war". Auf die Frage von Geyrs, wie es um die Möglichkeit eines Krieges stehe, antwortete der Amerikaner „ 50 zu 50".

  90. Vgl. die Kommentare von Kamphoeveners und Dieckhoffs vom 14. 3. 1936 auf der 7. und 8. Abschrift des Attache-Telegramms sowie von Bülows Telegramm an von Hoesch vom selben Tag. PA, Abt. IIF, Abrüstung R 47, Proklamierung der deutschen Souveränität.. ., Bd. 3, DGFP V/109.

  91. DGFP V/20; Bericht Fischers vom 18. 3. 1936, MGFA, H 27/13, Berichte Militärattache Rom 1936.

  92. Mitt. von Dr. Böttiger, dem damaligen Pressechef der „Dienststelle", der von Ribbentrop nach London begleitete, an Vers.

  93. Dies bestätigten dem Vers, die Delegationsmitglieder von Schmieden, von Raumer, Kordt und Woermann. Auch zwischen der deutschen und italienischen Botschaft in London bestand nach Mitt. von Fürst Bismarck an Vers, kein engeres Verhältnis.

  94. Vgl. DGFP V/174, 177.

  95. Aloisi, a. a. O., S. 364; vgl. Chambruns Bericht vom 27. 3., DDF 1/518.

  96. P. Aloisi, a. a. O., Eintragung vom 8. 4. 1936, S. 368.

  97. Telegramm Krauels vom 21. 4. 1936, PA, Büro RM, Handakten Dolmetscher Schmidt, Politisches, Bd. 3.

  98. DDF 11/90

  99. Vgl. Krauels Telegramm vom 14. 5. 1936, PA, Büro St. S., Wiederbesetzung des Rheinlands, März bis Mai 1936; ferner Krauels Drahtbericht vom selben Tag, PA, Pol. I, Völkerbund 15, Länderakten Italien, 16. 5. 1936— 30. 5. 1940.

  100. Vgl. von Hassells Bericht vom 24. 4. 1936, PA, Bot. Rom, Paket 674 a/1, Pol. 2 a, Ital. Außenpolitik, Allgemeines, Bd. 6; vgl. ferner M. Magistrat!, a. a. O., S. 599, und DDF 11/210.

Weitere Inhalte

Manfred Funke, geb. 23. Juni 1939. Dr. phil., Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für politische Wissenschaft der Universität Bonn. Veröffentlichungen: Sanktionen und Kanonen — Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt 1934— 1936, Düsseldorf 1970; außerdem mehrere Zeitungsaufsätze. Redaktionelle Leitung der „Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte".