I. Anstöße und allgemeiner Horizont
Das Thema „Bildungsurlaub" ist derzeit außerhalb eines auf Aktualität bedachten Gesprächs. Politische Entscheidungsakte, die die mit dem Bildungsurlaub verbundenen Intentionen einzig realisieren könnten, werden vermutlich erst in der zweiten Hälfte der laufenden Legislaturperiode zu erwarten sein. Auf den ersten Blick in die Tagespresse und die in dieser Frage oft weniger differenziert urteilende Wochenpresse mag es scheinen, als sei der denkbare Argumentenhaushalt vorgeführt und als sei eine Entscheidung für eine der Kontrovers-Positionen abhängig von einem eindeutigen „Zuschlag" der Legislative. Indes, die beiden Positionen, die später noch näher bezeichnet werden, haben je ihre guten Argumente für sich; eine Mischung aus beiden würde kein fauler Kompromiß sein
Der Begriff „Bildungsurlaub" — er hat im Englischen und Französischen in „educational leave" und „conge d'education" seine schiefen Entsprechungen — taugt weder für den vorgestellten Sachverhalt noch für die angestrebte Absicht. Der Bildungsurlaub befindet sich zunächst im Zusammenhang jener bildungspolitischen Reform, die die nachschulische Erziehung, die „post experience education"
Die Systematisierung und Kanonisierung des nachschulischen Lernens geht von einigen allgemeinen Beobachtungen der Arbeitswelt und ihren Veränderungen aus, das heißt von jenen Entwicklungstendenzen, die alle Industrie-B nationen charakterisieren, und zwar unabhängig von deren ideologischer Basis. Zu diesen allgemeinen Beobachtungen gehört die Mobilität, der Berufswechsel innerhalb oder außerhalb verwandter Berufsfelder. Diese Mobilität ist einmal ein Zeichen industrieller Strukturveränderungen durch den Aufbau neuer und den Abbau traditioneller Produktionszweige und der darin praktizierten Tätigkeiten; die Mobilität schließt indes auch eine Reihe von anthropologischen Problemen ein, die der von der Mobilität betroffene und ihr permanent ausgesetzte Arbeiter zu bewältigen hat
Trotz aller Anonymisierung des Produktionsprozesses, der Unverbindlichkeit und Unverbundenheit des Arbeitsplatzes, haben wir eine Berufsgesinnung tradiert, die ihre christlichen Begründungen nicht verleugnen kann. Freilich, es sind an die Stelle christlicher Argumentationen, wie sie etwa in der lutherischen Arbeitsethik umschrieben sind, innerweltliche Begrifflichkeiten getreten, aber die säkularisierten Traditionen weisen christliche Bezüge auf. Arbeit und Beruf sind als bürgerliche Stabilisatoren der ungeschriebenen Konvention eingefügt, das meint, dem Fortkommen, dem eigenen und dem gesellschaftlichen, nützt, wer an seinem Platze bleibt und dort seine Sache verrichtet. Diesen Platz zu wechseln bedeutet, sich in die Rolle des gesellschaftlichen Abweichlers zu begeben. Das ist die Welt von Stefan Zweig und Hans Fallada, die, mit Amerikanismen amalgamiert, noch heute unterschwellig weiterlebt. Während die junge Generation eine unkomplizierte Unbefangenheit gegenüber den gesellschaftlichen und industriellen Sachzwängen nachweist
Beruf und Mobilität In diesem Zusammenhang ergibt sich nun im Vorblick, daß die Mobilität, von industriellen Sachzwängen ausgelöst, zum Normalfall im Ablauf des Arbeitslebens werden wird und Eigenschaften voraussetzt, die deutlich von den tradierten Berufsnormen abweichen. An die Stelle der statischen Berufsgesinnung, Beruf als christlich oder bürgerlich orientierte vocatio, tritt die Fähigkeit zur Disponibilität, in der die Bereitschaft zum Berufswechsel konstitutiv eingeschlossen ist. Daß der Berufs-wechsel innerhalb eines Arbeitslebens sogar mehrfach vollzogen werden muß, ist übrigens seine Einsicht, in der alle Industrienationen konvergieren. Die Erziehungsideologie der DDR, die auf die objektiven Bildungsbedürfnisse hin projiziert wird und gleichzeitig von ihnen abgeleitet ist
Gehen wir also von der Mobilität als Regelfall aus, so haben wir zu bedenken, auf welchem Wege die Fähigkeit zur Disponibilität hergestellt werden kann, das heißt, wie methodisch und didaktisch die Formen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung angelegt sein müssen, um den objektiven Bildungsbedürfnissen entsprechen zu können
Zur Neuorientierung der Erwachsenenbildung Es scheint, als würde die Erwachsenenbildung von der finanziellen Förderung und von dem allgemeinen Trend zur Fortschrittlichkeit ausgeklammert. Eine sich fortschrittlich gebärdende, in Wahrheit allerdings altfränkisch anmutende Publizistik ist mit wohlfeilen Ab-Qualifizierungen der Erwachsenenbildung schnell bei der Hand. Und da und dort — man braucht es gar nicht zu verschweigen — liefert die Erwachsenenbildung auch noch geradezu einfältig die Munition für derartige publizistische Gehässigkeiten. Erwachsenenbildung, das bedeutet für manche Publizisten, deren Kenntnisse auf Erfahrungen gründen, die zwanzig Jahre zurückliegen, Nähe zur Volksküche, zur kleinbürgerlichen Bildungsidylle, bedeutet das Nachwehen der neuhumanistischen Bildungsmetaphysik, die mit Lebensuntüchtigkeit in eins zu fallen scheint.
Wer so argumentiert, ist nur partiell im Recht und übersieht geflissentlich, was sich an Zukunftsorientiertheit in der Erwachsenenbildung ausdrückt. Die Programme der Erwachsenenbildung sind nicht mehr in der Warenhausideologie komponiert: für jeden etwas, dabei wohlfeil und gut schmeckend. Die Erwachsenenbildung versteht sich heute weithin nicht mehr als eine blinde Reproduktion dessen, was man den klassischen Bildungshorizont nennt. Sie befindet sich — spätestens seit Beginn der sechziger Jahre — in einer Phase der Veränderungen, die freilich von der Öffentlichkeit vielfach nicht erkannt und — was schlimmer ist — nicht honoriert worden ist. Die Erwachsenenbildung, wie sie sich zum Beispiel in den Volkshochschulen manifestiert, ist gegenwartsbewußt und zukunftsorientiert, und das heißt ohne Pathos: die Erwachsenenbildung versucht, den Anforderungen der Berufs-und Arbeitswelt zu entsprechen, sie versucht, einen Kanon zu entwerfen, der stärker als bislang die objektiven Bildungsbedürfnisse berücksichtigt, ohne freilich die subjektiven Erwartungen auszuklammem. Die Erwachsenenbildung leistet solchermaßen — um eine modische Formel zu benutzen — Lebenshilfe und Berufshilfe, sie bedient sich auf angemessene Weise moderner Unterrichtsverfahren, sie hat ohne theatralische Gebärde die bildungsintensiven Programme des Fernsehens rezipiert und erprobt solchermaßen Anfänge eines „multi-media-approach". Der dritte Bildungsweg wird mit Grundstudienprogrammen, mit verschiedensten Zertifikatskursen angebahnt.
Die Erwachsenenbildung nimmt insgesamt Elemente der Erwachsenenqualifizierung in sich auf.
Wir reihen hier nur schlagwortartig Indizien für Fortschrittlichkeit aneinander. Man entschuldige und verstehe den Vergleich richtig. Die Erwachsenenbildung begibt sich hierzulande auf einen Weg, der in den Ländern des Ostblocks bereits beschritten wird; sie fügt sich zunehmend in das Gesamt des öffentlichen Bildungswesens ein, verzichtet auf die traditionelle Staatsdistanz, gibt jene Esoterik preis, die Berufsbezogenheit für unschicklich hält, und weiß, daß Bildungsanreize bei Erwachsenen heute davon ausgehen, ob eine Veranstaltung einem etwas „einbringt'', einen beruflich und sozial fördert. Bildungsveranstaltungen, zumal solche über einen längeren Zeitraum, werden nur dann in Anspruch genommen, wenn sie Aufstiegsberechtigungen einschließen oder zumindest Garantien dafür geben, daß sich der soziale Abstieg in Grenzen hält.
Wenn man das Feld der Erwachsenenbildung nüchtern, unsentimental und ökonomisch überdenkt, so sollte es plausibel sein, die Erwachsenenbildung angesichts der wachsenden Mobilität unserer Arbeitswelt in das Zentrum der Bildungspolitik zu rücken. Ausbildung ist heute kein abschließbarer Vorgang mehr, sie ist nur eine Phase in einem permanenten, die ganze Berufszeit begleitenden Qualifizierungsprozeß. Und solche Qualifzierung, die ja nicht nur an Beruf oder Produktion ausgerichtet sein darf, sondern die beruflich orientierte Allgemeinbildung einschließen muß, sollte in einem Verbund von Erwachsenenbildung und innerbetrieblicher Fortbildung vor sich gehen. Es werden in Zukunft vom Arbeiter Qualitäten erwartet, denen er nur bei hinlänglicher Vorbereitung entsprechen kann. Der Arbeiter in der Mobilität muß — im Sprachgebrauch der Soziologen — disponibel sein, er muß über jene Beweglichkeits-, Anpassungs-und Umorientierungsbereitschaft verfügen, mit der er in einer Arbeitswelt einzig bestehen kann, in der der Berufswechsel der Normalfall ist und nicht mehr als ein persönlicher Schicksalsschlag empfunden wird.
Wir beziehen in diese Betrachtung derartige Aspekte mit ein, um deutlich zu machen, wie extensiv das Aufgabenverständnis der Erwachsenenbildung ist oder sein muß. Wenn auf dem Hintergrund solcher sozialer und beruflicher Veränderungen die Erwachsenenbildung verstärkt in Anspruch genommen wird, so muß sie finanziell und personell instand gesetzt werden, um ein Mehr an Arbeit und vor allem neuartiger Arbeit leisten zu können. Die Erwachsenenbildung ist in ihrem Selbstverständnis auf die zukünftigen Aufgaben vorbereitet oder sie versucht zumindest, sich darauf einzustellen. Die Programme ihrer Einrichtungen weisen einen erheblichen Anteil berufsbezogener Veranstaltungen auf, Zertifikate sind eingeführt oder in Entwicklung, Ansätze zu einem systematisierten Kursprogramm sind ebenso vorhanden wie verschiedene Formen, die einen dritten Bildungsweg begründen helfen, der den Zugang in mittlere Verantwortungsbereiche erschließen soll.
Erwachsenenbildung — Erwachsenenqualifizierung Wir können in jüngster Zeit beobachten, daß an vielen Orten die Erwachsenenbildung im Sinne von Erwachsenenqualifizierung interpretiert und in reformerische Konzepte einbezogen wird. Es sollte daraus freilich nicht jene Konsequenz hergeleitet werden, die mit gesellschaftspolitischen Begründungen die Erwachsenenbildung durch die Erwachsenenqualifizierung ersetzt. Erwachsenenbildung und Erwachsenenqualifizierung sind, wie sich aus dem vorab Gesagten ergibt, nebeneinander denkbar und erwünscht, indes sollten klare Grenzziehungen andeuten, was wie welchen Bereichen zuzuordnen ist.
Die Erwachsenenqualifizierung in der DDR führt ein engmaschiges, strukturelles und inhaltliches Geflecht von schulischen, beruflichen und allgemeinbildenden Qualifizierungsmaßnahmen und Qualifzierungsverfahren vor
Man darf also von dem Einverständnis ausgehen, daß die Erwachsenenbildung stärker dem Zusammenhang und der Abfolge der Schulbildung zugeordnet wird und gleichzeitig auf die Ansprüche zu beziehen ist, die sich aus der Arbeitswelt ergeben. Dieser sehr allgemeine Satz bewirkt heute kaum mehr Widerspruch; er entzündete sich allerdings bei der inhaltlichen Ausfüllung des Satzes. Die Frage lautet: Wie und wo wird systematisiertes Lernen praktiziert, und soll man überhaupt jenem radikalen Bildungsverständnis folgen, das Bildung und Lernen identifiziert?
Für längerfristige Kursprogramme gibt es Pläne und bereits realisierte Verfahren. Dabei ist es fraglos leichter, eine produktionsorientierte oder gar betriebsspefizische Qualifizie-rung in Gang zu setzen als einen Kanon zu entwickeln, der die technisch-ökonomische Grundbildung oder darüber hinaus ein gesellschaftspolitisches Orientierungswissen herstellen möchte. Von hier aus stellt sich die Frage nach dem Bildungsziel der Weiterbildung, die wir nach dem Gesagten so beantworten können: Es ist zu unterscheiden zwischen 1. beruflicher Weiterbildung, die arbeitsplatz-bezogen ist und der beruflichen und vor allem innerbetrieblichen Fortbildung dient; 2. beruflicher Weiterbildung, die unabhängig von den Arbeitsplatzspezifika eine technische oder ökonomische Fortbildung gewährleistet; 3. gesellschaftspolitischer Weiterbildung, die sich aus Elementen der Allgemeinbildung, der politischen Bildung, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Orientierung — was sich zu Teilen überschneidet — zusammensetzt und solchermaßen eine Orientierung konstituiert, die die Zusammenhänge erläutert, die über den Arbeitsplatz und den Betrieb hinausreichen.
Diese drei Formen der Weiterbildung stehen natürlich nicht isoliert nebeneinander. Es sollte vielmehr zahlreiche Punkte geben, wo sie sich berühren oder ineinander übergehen
Die unterschiedlichen Positionen in der Frage der Weiterbildung Die grundsätzliche Zustimmung zur Weiterbildung, deren Notwendigkeit durch gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Veränderungen bedingt ist, ist vorhanden und unbestritten. Unbestritten ist auch die vielfach sichtbar werdende Initiative seitens der Wirtschaft — eine Initiative, die zufolge von partikularen und produktionsbedingten Interessen nicht besonders auffällig ist —; die-diesbezüglichen Materialien, die die Bemühungen der Industrie veranschaulichen, sind nur einem begrenzten Personenkreis zur Kenntnis gekommen. Weitaus schwieriger ist die Zustimmung darüber zu erreichen, ob und in welchem Maße die bisherigen Weiterbildungsmaßnahmen zu aktivieren und auf welche Richtung hin Weiterbildungskurse anzulegen seien. Das „Bürgerrecht auf Bildung" wird vielfach ohne inhaltliche Bestimmung auf den Bereich der Erwachsenenbildung übertragen, und von daher werden kurzschlüssig alle Forderungen auf Bildungsurlaub für Rechtens erachtet.
Wenn die vorab beschriebenen Weiterbildungsnotwendigkeiten bestehen, stellt sich die Frage nach dem Ausmaß und damit auch die nach einem alle arbeitenden Menschen erfassenden und betreffenden Bildungsurlaub. Mir scheint indes, daß der Begriff zu einer weithin ungeprüften, emotional aufgeladenen Formel geworden ist, an der sich — in unterschwelligen Verdächtigungen — demokratische und technokratisch-undemokratische Geister scheiden. Die bündige Reduzierung auf die Antithese berufsbezogene Weiterbildung = technokratisch-undemokratisch und affirmativ, gesellschaftspolitische Weiterbildung = fortschrittlich-demokratisch und kritisch sollte nicht zugelassen sein
Die Regelung der Erwachsenenqualifizierung in der DDR
Die Klärung dieser Aspekte ist zudem dadurch erschwert, daß, abgesehen von ideologischen und gemutmaßten Setzungen, wissenschaftliche Ergebnisse über Experimente zum Bildungsurlaub nicht vorliegen
Tatbestände und Entwicklung des „Bildungsurlaubs"
Die Kultusministerkonferenz erläutert die derzeitigen Befunde über berufliche Weiterbildung und Arbeitsförderungsgesetz anläßlich ihrer jüngsten Enquete zur Erwachsenenbildung wie folgt: „Die weitestgehende Forderung zur Frage der beruflichen Erwachsenenbildung dürfte die in einer Arbeitsgemeinschaft der DGB-Bundesarbeitstagung im Dezember 1968 in Essen sein (mitgeteilt von Semmler, in: Volkshochschule im Westen, 1969, H. 1, S. 14/15), in der es u. a. heißt: 1. Berufliche Erwachsenenbildung ist wie andere Bildungszweige als Gemeinschaftsaufgabe zu gestalten ... 5. Die Finanzierung der beruflichen Erwachsenenbildung muß aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen. Eine Heranziehung der Beiträge aus der Arbeitslosenversicherung würde entschieden abgelehnt. Semmler meint, daß der Trend der Diskussion eindeutig zu überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen gehe, und der Leiter der Abteilung Berufsbildung der IG-Metall, Lemke, (vgl. a. a. O., S. 1), hat auf dieser Tagung für die berufliche Ausbildung Erwachsener ein eigenständiges, betriebsunabhängiges System von öffentlichen Ausbildungseinrichtungen gefordert . . . sicherlich haben die überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen laufend zugenommen, und das Berufsbildungszentrum Heidelberg wie auch das in Essen entstehende Berufsbildungszentrum sind betriebsunabhängige
Einrichtungen. Dennoch würde die Verwirklichung der Forderungen der Arbeitsgemeinschaft eine radikale Änderung gegenüber dem jetzigen Zustand bedeuten. Die berufliche Fortbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes geschieht .. . auf die mannigfaltigste Weise. Eine umfassende Bestandsaufnahme über den Bereich beruflicher Fort-oder Weiterbildung gibt es nicht. Einen ungefähren Überblick über betriebliches, überbetriebliches und betriebs-unabhängiges Bildungswesen enthält der Bericht der Bundesregierung über den Stand der Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildungsplanung vom 13. 10. 1967 (Bundestagsdrucksache V/2166, S. 51 ff., insbes. S. 62—68). Hingewiesen sei auch auf den Bericht der Bundesregierung über den Bildungsurlaub vom 1. 12. 1967 (Bundestagsdrucksache V/2345, Abschn. D, . Bildungsleistungen der Wirtschaft', S. 17 ff.), sowie den Bericht der Bundesregierung über den Stand der Maßnahmen auf dem Gebiet der individuellen Förderung von Ausbildung und Fortbildung vom 20. 3. 1967 (Bundestags-drucksache V/1580, Kap. 3, S. 51 ff. und Kap. 5 [Förderung der Ausbildung und der Fortbildung durch die Wirtschaft] S. 71 ff.). Die vorstehend genannten, durchwegs berufsspezifischen Angebote zur beruflichen Fortbildung finden eine wichtige Ergänzung durch die Bildungsangebote der traditionellen Erwachsenenbildungseinrichtungen, die zwar durchweg nicht berufsspezifisch orientiert sind, aber doch berufsfördernd sein können und oft auch berufsbezogen sind und den Teilnehmern auch für ihre berufliche Behauptung und Weiterentwicklung Hilfen geben können und wollen, was . . . die Teilnehmer auch meistens erwarten."
Indes, die spärlichen Berichte aber Aktivitäten zum Bildungsurlaub lassen nicht erkennen
Die Pläne zu längerfristigen Kursprogrammen — als einen auch didaktisch durchkomponierten nenne ich den von meinen Mitarbeitern und mir entwickelten Bochumer Plan
Bevor wir den Gang der Diskussion an Hand ausgewählter Belege nachzeichnen, fasse ich zusammen: 1. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturveränderungen bewirken Mobilität. 2. Die Mobilität kann zum Teil mit den Mitteln der Weiterbildung gesteuert werden. 3. Die Erwachsenenbildung ist in der Form von Erwachsenenqualifizierung Teil eines extensiven Weiterbildungsprogramms. 4. Neben der beruflichen Weiterbildung, die sich am Arbeitsplatz vollzieht, wird der Bildungsurlaub als eine Variante der Weiterbildung gefordert und praktiziert, die die Weiterbildung als eine weiterreichende Qualifizierung versteht als jene, die nur betriebsorientiert ist. 5. Wesentliche Voraussetzungen für eine generelle Einführung des Bildungsurlaubs sind bislang nicht näher bestimmt und geklärt.
II. Die Diskussion 1968
Nachdem seit Beginn der sechziger Jahre die Forderung nach Bildungsurlaub in den Katalog gewerkschaftlicher Ansprüche ausgenommen worden war und in tarifliche Verträge einzubringen versucht wurde, verstärkte sich die auch über die Gewerkschaften hinausgreifende Diskussion und erreichte in der Zeit zwischen 1966 und 1968 einen ersten Höhepunkt. In dieser ersten Phase einer nicht mehr nur internen, vor allem auch politisch angelegten Erörterung des Bildungsurlaubs sind die Argumente für und wider bereits hinlänglich ausgebreitet worden.
Bevor die publizistischen Antriebe zu dieser Diskussion angegeben werden, soll, ausgehend von unseren allgemeinen Vorbemerkungen, eine Charakterisierung der Positionen versucht werden. Zunächst kann gesagt werden, daß bezüglich der Notwendigkeit von Qualifizierungsmaßnahmen bei den Sozialpartnern Einmütigkeit herrscht, wobei die Qualifizierung in einer vermehrt zu Mobilität neigenden Gesellschaft beides intendieren muß: einmal die Chance zum Aufstieg und sodann die Verhinderung eines Abstiegs, der soziale und gesellschaftliche Degradierung bedeuten kann. Es scheint nämlich ausgemacht, daß bei Verzicht auf Qualifizierung nicht einmal die erreichte berufliche Position erhalten werden kann, sondern Abstiegsprozesse beschleunigt werden
Des weiteren und gerade in diesem Zusammenhang gilt zu bedenken, daß prognostische Berufspolitik nicht auf den Aspekt der Qualifizierung verkürzt werden darf, vielmehr müssen alle Phasen schulischer und nachschulischer Bildungseinrichtungen so verfaßt sein, daß sie Übergänge von der Schule zur Arbeitsweit, Einpassungen und berufliche Umorientierungen Heranwachsender und Prozesse der Umschulung Erwachsener in einer Weise ermöglichen, die psychische Implikationen vermindert
Die von uns angegebenen und denkbaren Zielrichtungen des Bildungsurlaubs sind in der Diskussion verabsolutiert und auf eine Antithese zurückgeführt worden-, es besteht vielfach eine Alternative zwischen beruflich orientierter und staatsbürgerlicher Weiterbildung. Im Sinne solcher Vereinfachung lassen sich die Positionen auch so profilieren: 1. Die Gewerkschaften, politisch von der SPD unterstützt, fordern einen gesetzlich geregelten zweiwöchigen Bildungsurlaub, der vorzugsweise der staatsbürgerlichen Weiterbildung dient. 2. Die Arbeitgeber, die der Eigeninitiative oder der Bildungswilligkeit mehr Raum geben möchten, plädieren für eine Fortentwicklung der vielfältigen innerbetrieblichen Fortbildungsmaßnahmen. An die Stelle der Forderung „Bildungsurlaub für alle" tritt hier das Prinzip der Freiwilligkeit und der Förderung der Begabten und Qualifizierungsbereiten.
Die Alternative läßt eine Reihe von Fragen offen, die hier kurz skizziert seien: Einmal bleibt zunächst völlig ungewiß, wer die Kosten für den Bildungsurlaub übernehmen soll. Die Arbeitgeber sind, zugegeben oder versteckt, nur dann bereit, in eine Förderung einzutreten, wenn Rückwirkungen auf die Produktivität ihrer Unternehmen zu erwarten sind, das heißt, wenn der Bildungsurlaub so gestaltet würde, daß er Produktions-oder betriebswirksam wäre. Dabei ist bis heute nicht schlüssig ermittelt, wie hoch sich die aufzuwendenden Beträge belaufen würden
Was die Dauer des Bildungsurlaubs betrifft, so scheint ein ungeprüfter Konsens darüber zu bestehen, daß sie etwa zwei Wochen betragen solle, ohne daß freilich nachgewiesen wird, ob das eine für ein systematisiertes Lernprogramm optimale Zeitspanne ist. Mir scheint, daß die Fragen seit der Diskussion von 1968 keiner eindeutigen Klärung zugeführt wurden und daß besonders die methodisch-didaktischen Probleme und Konsequenzen des Bildungsurlaubs nicht einmal in ihrem allgemeinen Horizont abgeleuchtet sind. Allerdings ist eine Annäherung der Standpunkte soweit erreicht, als heute die geschilderte Alternative so eindeutig und autonomistisch nicht mehr vorgetragen wird. Vielmehr erscheint eine Synthese von politisch-ökonomischem Orientierungswissen und Fachwissen
Das Arbeitsförderungsgesetz und die beruflich-orientierte Weiterbildung Doch zunächst wenden wir uns den Kulminationspunkten und Diskussionsanstößen von 1968 zu, wobei wir freilich auf einige Vor-erfahrungen zurückgreifen müssen. Einmal spielt in diesem Zusammenhang eine intensive Erörterung des „Entwurfs eines Arbeits-förderungsgesetzes"
Die Förderungsmaßnahmen beschreibt der Entwurf in Artikel 42: „(1) Gefördert wird die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen mit ganztägigem Unterricht (Vollzeitunterricht), berufsbegleitendem Unterricht (Teilzeitunterricht) und Fernunterricht (Briefunterricht). (2) Gefördert wird insbesondere die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen, die gerichtet sind auf 1. einen beruflichen Aufstieg, 2. die Anpassung der Kenntnisse und Fähigkeiten an die beruflichen Anforderungen, 3.den Eintritt oder Wiedereintritt weiblicher Arbeitsuchender in das Berufsleben, 4. eine bisher fehlende berufliche Abschlußprüfung, 5. die Heranbildung und Fortbildung von Ausbildungsfachkräften. (3) Die Maßnahmen müssen nach Dauer, Gestaltung des Lehrplanes, Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrung des Leiters und der Lehrkräfte eine erfolgreiche berufliche Fortbildung erwarten lassen."
Von daher ist in der Folgezeit — das Gesetz ist am 1. Juli 1969 in Kraft getreten — immer wieder argumentiert worden, daß die hier gesetzlich fixierten Fortbildungsmaßnahmen ausreichend seien, daß den Bildungswilligen durch das Arbeitsförderungsgesetz die Möglichkeit einer berufsorientierten Weiter-und Fortbildung eingeräumt werde und daß demzufolge weiterreichende Regelungen entbehrlich seien. Freilich lenkt der Hinweis auf das Arbeitsförderungsgesetz von dem Gedanken des Bildungsurlaubs ab, weil durch die Formulierungen des Arbeitsförderungsgesetzes Vorentscheidungen getroffen sind, die zumindest der ursprünglichen Absicht des Bildungsurlaubs entgegenstehen. Die Förderungsmaßnahmen sind hinsichtlich des Adressatenkreises eingegrenzt und bleiben auf berufliche Förderung beschränkt.
Der Bildungsurlaub in der politischen und verbandspolitischen Diskussion Als einen zweiten Diskussionsanstoß werte ich die Auseinandersetzung mit dem von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Budde entwikkelten Gesetzentwurf über einen bezahlten Bildungsurlaub. Dieser Entwurf wurde von Budde bereits im Juli 1966 der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgelegt, dessen weitere Behandlung aber nach kurzer Erörterung seiner-zeit zurückgestellt. Budde legte ohne Änderung den Entwurf im Jahre 1968 seiner Fraktion erneut vor, woraufhin die Bundes-vereinigung der Arbeitgeberverbände ihre Bedenken präzisierte. Der Buddesche Entwurf weicht mindestens in zwei Punkten von der gewerkschaftlichen wie auch der sozialdemokratischen Initiative ab. So wird der Urlaubs-anspruch und die Periodizität des Bildungsurlaubs präziser gefaßt: „Jeder Arbeitnehmer hat in einem Zeitraum von jeweils drei Kalenderjahren unter den nachfolgenden Voraussetzungen Anspruch auf Gewährung eines bezahlten Bildungsurlaubs von mindestens sechs Tagen"
Die Diskussion um den Buddeschen Entwurf ist indes nur verständlich auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der sozialdemokratischen Initiative und dem sich daran anschließenden Hearing des Bundestagsausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik, das bereits Anfang 1967 stattgefunden hatte. Und diese Erörterungen des Bildungsurlaubs stellen wiederum in der Genesis des Bildungsurlaubs eine vergleichsweise späte Phase dar. Vorangegangen waren gewerkschaftliche Forderungen und Aktivitäten, auf die hier nur andeutungsweise eingegangen wird. Etappen in dieser Entwicklung werden u. a. markiert durch das Kölner Spitzengespräch zwischen Vertretern des DGB-Bundesvorstandes und der BDA
Seit 1965 ist der Bildungsurlaub mit unterschiedlicher Intensität im Gespräch geblieben, wobei zunächst die Arbeitgeber aus der Defensive heraus argumentierten, die Gewerkschaften andererseits über die bloße Forderung hinaus keine näheren Bestimmungen lieferten. Eine gewisse Klärung hinsichtlich grundsätzlicher Positionen und Absichten hat ein Bericht des Europäischen Büros für Erwachsenenbildung vom November 1966 erreicht, der auf Anregung des Sekretariats der Europäischen Gemeinschaften zustande gekommen war. Ausgehend von diesem Bericht „Der Beitrag der Erwachsenenbildung zur Ausbildung der Arbeiter und Angestellten" hatte am 13. /14. Februar 1967 in Brüssel eine Konferenz stattgefunden, auf der die Stellung der Erwachsenenbildung im Zusammenhang der laufenden Diskussion um den Bildungsurlaub zu bestimmen versucht wurde. Die Tendenz dieser Gespräche ist später so umschrieben worden: „Auf der Seite der Erwachsenenbildung wird versucht, die herkömmliche Kluft zwischen Allgemeinbildung und Berufsausbildung zu überbrücken. Handel und Gewerbe haben ihrerseits auch großes Interesse für Ausbildungsmöglichkeiten. Man mißt in diesen Kreisen dem Unterricht als Bedingung für wirtschaftliches Wachstum großen Wert bei. Die Gewerkschaften verlangen, daß in der Berufsausbildung die allgemeinen Aspekte stark berücksichtigt werden; hinter dieser Forderung steht der Wunsch, die soziale Sicherheit zu vergrößern dadurch, daß man die Möglichkei-ten für Berufswechsel verbessert."
Das Bundestagshearing Nach diesem Exkurs lenken wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf das Hearing und die Diskussion von 1968. Das Hearing, das am 23. Februar 1967 in Bonn stattfand, hat wiederum die Argumente vorgeführt, die bei dem damaligen Diskussionsstand besonders herausgestellt wurden und die wir schon vorab bezeichnet haben. Die Anhörung bezog sich auf den SPD-Antrag betreffend Bildungsurlaub (Drucksache V/965), durch den die Bundesregierung aufgefordert wurde, vor dem Bundestag zu berichten, welche Folgerungen sie aus einigen namentlich genannten Empfehlungen und Entschließungen internationaler Gremien hinsichtlich der Gewährung eines Bildungsurlaubes zu ziehen beabsichtige. Die Argumente und Positionen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände begründete deren Geschäftsführer Eichler, der auch den Bundesverband der Deutschen Industrie und den Deutschen Bauernverband mit vertrat; für die Arbeitnehmer wurden die Sachverständigen Schleicher (DGB), Apel (DAG), Krause (Deutscher Beamtenbund), Seiler (Deutscher Handels-und Industrieangestellten-Verband), Ströh (Arbeiter-und Angestelltenkammer in Bremen) gehört. Der Deutsche Volkshochschulverband (Tietgens) war geladen, wohl um die edukativen Probleme des Bildungsurlaubs sichtbar werden zu lassen.
Ich darf an dieser Stelle die Einwände der Wirtschaft gegen den Bildungsurlaub — gewiß auch in Wiederholung von bereits Gesagtem — abgekürzt wiedergeben
Die seinerzeit von Eichler aufgestellte Kostenrechnung wird zumal in Verbindung mit der Aufhebung des 17. Juni als Feiertag keine Gültigkeit mehr haben, wie überhaupt der Bildungsurlaub von der Kostenseite her die geringsten Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte. Demgegenüber scheinen mir die anderen Argumente bedenkenswerter, so die Frage nach der Effizienz, die mit der Frage nach der Periodizität, das heißt der Wiederholungen des Bildungsurlaubs verbunden ist; so auch die Frage, ob die Antithese von Zwangscharakter contra nachgewiesener, freiwilliger Bildungsbereitschaft zulässig ist.
Erwachsenenqualifizierung und Revision des Bildungsbegriffs Auch hier lohnt wohl ein Hinweis auf die sozialistische Praxis der Erwachsenenqualifizierung. Die Erwachsenenqualifizierung etwa in der DDR ist nicht von dem westlichen Demokratieverständnis her zu bewerten. Begriffe wie Delegation — die in westlichen Industrienationen als manipulative, ökonomisch fixierte Begriffe diffamiert werden — sind in der DDR bis in Gesetzesverlautbarungen hinein gebräuchlich und kennzeichnen ein System, das Einsetzung und Umsetzung von Arbeitskraft an ökonomische Zielprojektionen anschließt und seinen Zwangscharakter mit ökonomischen Maximen begründet. Ob dieser Zwangs-charakter eine Übergangserscheinung ist, die später der ökonomisch bewußten Einsicht weicht, steht dahin. Aber was geschieht hierzulande — ich halte diese Frage trotz geglaubter, praktizierter und zu unterstützender Liberalität für erlaubt —, wenn nicht jenes Bewußtsein zustande kommt, das die Einsicht in die notwendige Weiterbildung herstellt, wenn die Arbeiter nicht bereit sind, berufliche Erwachsenenbildung im Sinne von Erwachsenenqualifizierung zu treiben, wenn sie nur kurzfristig und im Status quo denken, wenn sie trotz Aufklärung die ökonomischen Veränderungen nicht mehr wollen? Wird nicht die Möglichkeit denkbar sein, daß Weiterbildung verordnet werden muß, weil sie freiwillig nicht vollzogen wird?
Auch in den Beiträgen der Vertreter des Deutschen Industrie-und Handelstages (DIHT), Eichwede, und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Kübler, werden die Dauer des Bildungsurlaubs, seine Effektivität und das durch ihn provozierte oder doch verstärkte „Anspruchsdenken"
Außerdem scheint festzustehen, daß der Bildungsbegriff nicht mehr mit so dichten weltanschaulichen Voraussetzungen ausstaffiert werden kann wie noch bis in die Mitte unseres Jahrhunderts und daß sich dabei der Konsensus auf Wissenschaftlichkeit, Zweckgerichtetheit und objektive Bildungszwänge minimalisiert. Die schon traditionellen Versöhnungsversuche (Weinstock) zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, auch die Zuordnung der einzelnen Bildungsinstitutionen zu angebbaren Bildungsaufträgen (Volksschule -> volkstümliche Bildung) müssen aufgegeben werden zugunsten einer Öffnung nach vorn, die gelegentlich als prognostisch-wissenschaftliche Neugierde bezeichnet wurde
Die Anstöße für eine die Praxis bestimmende Revision des Bildungswesens haben ihren Ausgang genommen von den gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen, die von den Ansprüchen und Anforderungen an die Verfassung unserer Bildungsinstitutionen ausgehen. Von daher ist erklärlich, daß den in der Wirtschaft gebräuchlichen Bildungsvorstellungen Nüchternheit, gelegentlich auch utilitaristische Vordergründigkeit nachgesagt wird. Auf dem Hearing hat — zum Vorteil der Diskussion um den Bildungsurlaub — Eichwede eine derartige Reduzierung der Bildungszieldiskussion versucht
Zunächst hat — soweit sich das an dem publizistischen Niederschlag messen läßt — das öffentliche Hearing kaum zu einer Abklärung der Positionen beigetragen, und die nachfolgenden Diskussionen haben auf diesem Hintergrund den Beigeschmack obstinater Wiederholungen des bereits mehrfach Gesagten.
Das Jahr 1968 markiert eine Zäsur in Situation und Diskussion des Bildungsurlaubs. Der Sachverhalt wird in den „Informationen für die Wirtschaft" wie folgt charakterisiert: „Die Diskussion um einen gesetzlichen oder tarif-vertraglichen Bildungsurlaub hat Aktualität gewonnen durch den Bericht der Bundesregierung zum Bildungsurlaub vom 1. 12. 1967; den Tarifvertrag in der bayerischen Metallindustrie vom Januar d. J.; den im März d. J. im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf der SPD zum Bildungsurlaub; die Ankündigung der Arbeitnehmergruppe der CDU, ihren sog. Budde-Entwurf von 1966 in der Fraktion vorzutragen. Der Bericht der Bundesregierung vertritt zwar einerseits die Ansicht, daß die gesetzliche Einführung eines Anspruchs auf bezahlten Bildungsurlaub z. Z. im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation nicht in Betracht gezogen werden könne; andererseits wird aber die tarifvertragliche Festlegung eines solchen Anspruchs geradezu empfohlen. Der Tarifvertrag in der bayerischen Metallindustrie sieht vor: eine unbezahlte Freistellung für Aus-und Fortbildung auf die Dauer von zwei Wochen pro Jahr (für berufliche und staatsbürgerliche Zwecke); eine Beschränkung des Bildungsurlaubs auf maximal ein Prozent der Arbeitnehmer eines Betriebes."
In diesem Bericht finden sich auch Hinweise auf die Kosten und die materiellen Einwände insgesamt gegen den Bildungsurlaub: „Zehn Tage Bildungsurlaub für jeden zehnten Arbeitnehmer — soviel Bildungsurlauber kommen* nach dem SPD-Entwurf in Frage — kosteten der Wirtschaft 1 Mrd. DM jährlich (bei 50 DM pro Person und Tag), ganz abgesehen von der damit verbundenen Verkürzung der effektiven Arbeitszeit. Die Einführung des Bildungsurlaubs würde auch im internationalen Vergleich die deutsche Wirtschaft belasten. Nach dem Bericht der Bundesregierung zum Bildungsurlaub gibt es gesetzliche Ansprüche auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit nur in Belgien und Frankreich, und auch dort nur für eng begrenzte Personenkreise (Jugendliche) und Bildungsbereiche. Bezahlter Bildungsurlaub ist anderen Ländern überhaupt nicht bekannt. ... Nach dem SPD-Entwurf würde sich eine Zahl von 2 Mill. Bildungsurlaubern pro Jahr bzw. 80 000 pro Tag ergeben. Die verfügbaren 16 000 Ausbildungsplätze für Erwachsene (DGB-Schätzung) reichten noch nicht einmal für ein Viertel der Bildungsurlauber aus. Nach dem Budde-Entwurf wäre die Zahl der möglichen jährlichen Bildungsurlauber noch größer als nach dem SPD-Entwurf, denn er sieht trotz der geringeren Zahl an Bildungsurlaubstagen für den einzelnen Arbeitnehmer eine generelle Beschränkung der jährlichen Bildungsurlaubsquote für den einzelnen Betrieb nicht vor. Es stellt sich auch die Frage nach der Auswahl der Teilnehmer. Irgendwelche Kriterien für die Prüfung von Begabung, Bildungswilligkeit usw. sieht der Gesetzentwurf nicht vor; sie sind auch objektiv gar nicht bestimmbar. Die Gefahr des Mißbrauchs staatsbürgerlicher Bildungsveranstaltungen für einseitige Gruppeninteressen liegt auf der Hand."
Ich meine, daß sich in diesem Bericht die Widerstände gegen den Bildungsurlaub vielfach reproduzieren und daß auch bewußt wird, daß die Forderungen und Zurückweisungen zunächst unvereinbar scheinen. Diese Kontroversposition verhindert, daß abseits von der grundsätzlichen Zustimmung oder Ablehnung Überlegungen inhaltlicher Natur für den Fall der Einführung des Bildungsurlaubs vorge-nommen werden. Mir scheint hier ein signifikanter Tatbestand des Diskussionsablaufs vorzuliegen. Auf der einen Seite wird die inhaltliche Ausfüllung des Bildungsurlaubs für nachgeordnet erachtet und zunächst die Durchsetzung angestrebt, auf der anderen Seite befürchtet man, daß eine Beschäftigung mit den Inhalten des Bildungsurlaubs die Einführung präjudiziere oder diese Beschäftigung als Zustimmung zum Bildungsurlaub ausgelegt werden könnte.
Indes, in das Jahr 1968 fällt auch einer der ersten Entwürfe, der den Kanon des Bildungsurlaubs zu fixieren sucht. Es handelt sich um ein Papier der „Arbeitsgruppe Bildungsurlaub", an dessen Erarbeitung Erwachsenenbildner aus Süddeutschland mitgewirkt haben
Dieser Themenkatalog wird später in unsere Betrachtung noch einmal einbezogen.
III. Die bisherige Diskussion
Die Diskussion um den Bildungsurlaub innerhalb der letzten zwei Jahre hat zur Profilierung der organisatorischen, strukturellen und finanziellen Schwierigkeiten und Fragwürdigkeiten nur wenig beigetragen. Insgesamt hat sich die Argumentationsbreite kaum erweitert; demzufolge kann vermutet werden, daß durch die Artikulation der veröffentlichten Meinung die politische Entscheidungsfreudigkeit kaum gefördert wurde. Bei einem Überblick der Presseberichte
Zusammenfassung der Gründe für und wider den Bildungsurlaub Das Reservoir möglicher Positionen, wie wir es bereits charakterisiert haben, spiegelt sich in der Presse wider, Lösungsvorschläge, die etwa die finanzielle Situation betreffen, werden kaum vorgetragen. Für den Bildungsurlaub e wurden als Begründungen genannt: 1. Der Zwang zur Weiterbildung im Zusammenhang beruflicher Mobilität; dabei wird die Weiterbildung als Teil der Berufsausübung verstanden. Hier liegt übrigens ein Verständnis von integrierter Weiterbildung vor, das in dieser Form auch im Strukturplan der Bildungskommission des Bildungsrates zum Ausdruck kommt
Die Argumente gegen den Bildungsurlaub sind nicht minder gewichtig und die pauschalen Verdächtigungen, die Gegner des Bildungsurlaubs wiesen eine undemokratische Mentalität Besitzender nach, verrät weniger Infamie als den Verzicht, die eigenen Forderungen bis zum Ende durchzudenken. Die Gegner des Bildungsurlaubs meinen u. a.: 1. Der Bildungsurlaub garantiere an sich keine der Produktivität förderliche Effizienz und könne auch als Variante des bisherigen Urlaubs mißbraucht werden. 2. Die Kostenfrage sei bislang nicht eindeutig entschieden; der Wirtschaft allein könnten die Kosten nicht angelastet werden; es handle sich beim Bildungsurlaub um eine Art Gemeinschaftsaufgabe, deren finanzielle Lasten von einer differenziert zu strukturierenden Stiftung übernommen werden müßten. 3. Eine nur politische Bildung schließe die Gefahr willentlicher Indoktrination ein; ein didaktisch vertretbares Konzept für einen zehn oder 14 Tage dauernden Kurs sei bislang nicht verfügbar. 4. Es sei zumindest fraglich, ob eine von der jeweiligen betrieblichen Situation absehende Grundbildung entwickelt werden könne.
Wir haben hier nur einige der dominanten Begründungen im Für und Wider angegeben, die auch die publizistische Diskussion bestimmen. Zur Materiallage möchte ich hinzufügen, daß sich die Zeitungen, die eine fast kontinuierliche Auseinandersetzung pflegen, auf einen überschaubaren Kreis eingrenzen lassen und daß die Kulminationspunkte auch in diesen Zeitungen durch äußere Anstöße bewirkt werden. Schließlich kann durch die publizistischen Belege die Vermutung unterstützt werden, daß gegenwärtig der Bildungsurlaub an den Rand der Bildungs-und Berufsdiskussion getreten ist und daß die Interessierten und Engagierten auch politische Entscheidungen oder zumindest die Vorankündigung solcher Entscheidungen erwarten.
Die Diskussion und ihre aktuellen Anlässe In unserem Berichtszeitraum — ab 1968 — beschäftigt sich die Presse zunächst — aber nicht nur sie — mit der Tarifvereinbarung des Bildungsurlaubs, durch die den rd. 380 000 gewerblichen Arbeitnehmern der bayerischen Metallindustrie ein Anspruch auf Bildungsurlaub zugestanden wird. In der Gesamtentwicklung des Bildungsurlaubs bedeutet dieses Ereignis eine Peripetie, und so wird es auch im publizistischen Echo interpretiert. Die Gegner des Bildungsurlaubs sehen in dieser Entscheidung ein „Präjudiz in Bayern“
Im April 1968 wird dann der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf mit Zustimmung oder Ablehnung bedacht. Dabei betont der „Vorwärts" die Initiative für die politische Bildungsarbeit, die durch den Entwurf ausgelöst werden könnte
In der Mitte des Jahres 1968 wird ausgehend von der SPD-Initiative und dem wiederum vorgelegten Budde-Entwurf in der Presse versucht, eine klärende Position zu beziehen, die sich etwas von den nur äußeren Anstößen abhebt und solche Argumente vorführt, die grundsätzliche Fragen des Bildungsurlaubs betreffen
Ausgehend von solcher auch inhaltlicher Bestimmung des Bildungsurlaubs werden hinfort die Zielprojektionen des Bildungsurlaubs stärker in den Blick genommen. Die Profilierung führt freilich nicht wesentlich über den zu dieser Zeit üblichen Diskussionshorizont hinaus. Es werden u. a. angesprochen: die Hintergründe, die den Bildungsurlaub motivieren, etwa die Mobilität und die dabei zu erwartende Disponibilität, sodann die Dauer des Bildungsurlaubs und dessen Periodizität, die mehr berufliche oder mehr staatsbürgerliche Anlage und auch die Kapazitätsschwierigkeiten, also der Mangel an Lehrern und Unterbringungsmöglichkeiten
Einen publizistischen Auftrieb erhält die Diskussion dadurch, daß die Ruhr-Universität Bochum Anfang 1969 mitteilt
Trotz solch wissenschaftlicher Bekundungen kann nicht verhindert werden, daß in der Diskussion der Bildungsurlaub auf Begriffe wie Freizeitraum, Verlängerung der Rekreation usw. reduziert und mehr der Urlaub als die Bildung betont wird
Die Thematik des Bildungsurlaubs wandert in bedächtige, breit angelegte, indes auch weniger publikumswirksame Artikel der Wochen-zeitschriften ab; in die Erörterungen fließen methodische Überlegungen, Hinweise und Empfehlungen für die Anwendung moderner Unterrichtstechnologien im Bildungsurlaub ein. In einem Referat über die Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Bad Boll zum Thema Bildungsurlaub in der Wochenzeitschrift „Publik" wird diese Tendenz spürbar: „Das Nachdenken über den Bildungsurlaub führt somit zur kritischen Überprüfung unseres Bildungswesens. Es sind einige sich hartnäckig haltende Vorurteile, die überwunden werden müssen, soll eine an der Wurzel ansetzende Neugestaltung möglich werden. Denn die verbreitete Meinung ist falsch, Bildungsarbeit könne lediglich schon vorhandene Begabungen aktualisieren. Zu frühzeitig hat dieser Irrtum bisher die Bildungswege getrennt. Begabungsbarrieren wurden dadurch errichtet, die vorhandene soziale Unterschiede verstärkten und bereits im Schulsystem den gesellschaftlichen Kontakt unterbrachen. Ferner entspricht es überholtem Standesdenken, das Lernen sei den Jugendlichen, das Schaffen den Erwachsenen vorbehalten. Neue Perspektiven rückten den Bildungsurlaub in einen größeren Zusammenhang. Kann er vielleicht ein besonders wichtiges Instrument einer zukunftsoffenen Reform sein? Ist er für viele Arbeitnehmer nicht die einzige Chance, die Gegenseitigkeit des Lernens zu erfahren, Spielregeln der Diskussion und der politischen Auseinandersetzung zu erproben und sich dabei auch wirksam gegen Demagogien zu wappnen? — Fragen, die das Für und Wider um Rechtsansprüche, Kosten, Eigen-beteiligung, Urlaubsdauer und Teilnehmerauswahl auf den zweiten Rang verwiesen, festgefahrene Positionen auflockerten und ein Gespräch ermöglichten, das die Vorzüge aufwies, die der Bildungsurlaub vermitteln soll."
Schließlich haben Bundestagswahl und die nachfolgende Regierungsbildung als Anstöße gewirkt, die die etwas zurückgetretene Debatte um den Bildungsurlaub wieder in Gang brachten. Einige der kommentierenden Beob-achter mochten wohl der Meinung sein, es sei nun ein leichtes, an die SPD-Initiative der vorangegangenen Jahre wieder anzuknüpfen und diese Initiative durch einen eindeutigen politischen Entscheidungsakt durchzusetzen. Freilich zeigte sich demgegenüber, daß die Bundesregierung in Sachen Bildungsurlaub ein bedächtiges Tempo anzuschlagen gedachte, und man darf vermuten, daß hierbei die Fülle der Bedenken und nachgewiesenen Schwierigkeiten eine Rolle spielte. Bei einer überschau der politisch-parlamentarischen Aktivitäten kann festgehalten werden, daß das Thema durch definitive Zusagen oder Vorankündigungen nicht aktualisiert wurde; eine politische Entscheidung dürfte vermutlich erst in der zweiten Phase der Legislaturperiode erfolgen.
Das gibt allerdings dem zuständigen Ministerium die Pflicht auf, diese Zeit durch wissenschaftlich abgesicherte Experimente zu nutzen und vor allem zur Unterstützung der politischen Entscheidung ein thematisch-didaktisches Konzept zu erarbeiten. Solche Arbeit wird tendenziell gefördert durch die moderne Wendung des Begriffs Erwachsenenbildung im Strukturplan der Bildungskommission des Bildungsrates und in den jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Freilich ist diese Wende bereits in den sechziger Jahren vorbedacht, und nur kulturpolitische Ignoranten können leichtfertig ein Bild von der Erwachsenenbildung entwerfen, das diese gleichsam in ihre vorwissenschaftliche Phase zurückverweist
Ende 1969 — eine neue Diskussionsphase?
Neben den Berichten, die mit einläßlichem Sachverstand die Aspekte des Bildungsurlaubs aufweisen, stehen natürlich auch Ende 1969 und Anfang 1970 Artikel, die sich ganz auf Ferien-und Freizeitprobleme eingrenzen und übergeordnete Bezüge, die dem Bildungsurlaub zugehören, nicht aufweisen
Dieses Spektrum spiegelt sich in der Presse meist in der Berichts-und punktuellen Mitteilungsform wider; eine Kommentierung bleibt zumeist aus; die Zeitungen verzichten auf das kritische oder zustimmende Räsonnement. Es scheint, als meinten die Redaktionen, daß der neuerliche Ausweis von Argumentationen den Leser ermüde; einzig die „Süddeutsche Zeitung" versucht, ausgehend von der Tarifierung des Bildungsurlaubs bei den Sägewerken
Zu den offiziellen und öffentlichen Verlautbarungen gehört eine Äußerung des Bundesarbeitsministers W. Arendt anläßlich des Richtfestes des Berufsförderungszentrums in Essen, wo er — nach einer Meldung des „Handelsblattes"
„Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß nicht ausschließlich der Arbeitgeber darüber entscheiden soll, ob und unter welchen Bedingungen er seinen Arbeitnehmern Bildungsurlaub gewährt. Der Parlamentarische Staatssekretär vom Bundesarbeitsministerium, Roh-de, teilte in der Fragestunde des Bundestages mit, daß Vorarbeiten für eine gesetzliche Regelung ausgenommen seien."
Schließlich gebe ich hier — wie bereits angekündigt — einen Beitrag aus der „Süddeutschen Zeitung" wieder, den ich für eine zutreffende Zustandsschilderung halte: „Zweifellos ist es richtig beobachtet, daß die Gewerkschaften — obwohl sie grundsätzlich den Anspruch auf bezahlte Freistellung der Arbeitnehmer verfechten — der Forderung auf , Bildungsurlaub" derzeit keine Priorität zuerkennen. Darin kommt zum Ausdruck, daß es bei den Gewerkschaftsmitgliedern nicht gut um das Verlangen nach einer breitgefächerten Erwachsenenbildung bestellt ist; dafür nun gibt es wiederum einige plausible Erklärungen und sogar Entschuldigungen. Jedenfalls kann man unter den gegebenen Bedingungen nicht erwarten, daß die Gewerkschaften allein einen höheren Rang für das Projekt Bildungsurlaub’ durchsetzen. Andererseits ergibt sich bei vorbehaltloser Betrachtungsweise eindeutig, daß es in der Arbeitnehmerschaft wegen der Versäumnisse in der Vergangenheit Bildungsdefizite gibt, die geschlossen werden sollten — einfach, weil das Begabungspotential der Bundesrepublik nicht groß genug ist, als daß auf lange Sicht Bildungschancen vergeben werden dürften. Niemand kann sich also hinter der Auffassung verschanzen, man brauche dem Projekt . Bildungsurlaub'keine Dringlichkeit zuzuerkennen, solange sich bei den Arbeitnehmern außerhalb der Fortbildung im Beruf kein Bildungswille rege. Allein schon die Tatsache, daß man im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Regelungen für die individuelle Förderung der Fortbildung im Beruf traf, sollte vom Gesetzgeber als Hinweis auf die Notwendigkeit ergänzender Bildungsmöglichkeiten verstanden werden. Andernfalls entstünde nämlich die Gefahr, daß die AFG-Regelungen auf die Dauer ihren Wert einbüßen. Obwohl die Bundesregierung Ende 1967 das Thema eines Gesetzes über die Freistellung für Bildungsmaßnahmen von ihrer politischen Tagesordnung abgesetzt hat, ist die Angelegenheit von dauernder Aktualität. Da noch immer die Überlegung wirksam ist, den Feiertag des 17. Juni ökonomisch gegen ein Bildungs-B Urlaubsgesetz , einzutauschen', fehlt auch 1970 nicht der Anlaß, neu darüber nachzudenken."
Dieser Überblick über den publizistischen Niederschlag des Themas Bildungsurlaub macht m. E.deutlich, daß 1.der derzeit vorhandene Argumentationsbestand nicht ausgeweitet werden kann, 2. das artikulierte Interesse am Bildungsurlaub offensichtlich geringer geworden ist, 3. eine differenzierte Erörterung auch aus Gründen der Kompliziertheit des Themas nicht erfolgt, 4. die Diskussion befördernde Anregungen kaum entwickelt werden, 5. die Redaktionen das Thema vermutlich erst dann wieder aufgreifen werden, wenn eine politische Entscheidung vorliegt, 6. die Redaktionen — mit Ausnahme der an die Position der Arbeitgeber gebundenen — annehmen, daß die politische Entscheidung zugunsten des Bildungsurlaubs ausfallen werde und daß die Sorge vor allem der inhaltlichen Klärung zu gelten habe.
Insgesamt: Der Ertrag ist nicht beeindruckend; eine differenzierte Bewußtseinsbildung ist von der Publizistik vermutlich nicht ausgegangen, wie überhaupt die Vermutung gestattet sei, daß im Kreise der letztlich Betroffenen, nämlich der Arbeitnehmer, der Bildungsurlaub kein Thema ist, das dort zur Abwägung der Schwierigkeiten Anlaß geben könnte.
IV. Argumente — Verortung und Modelle. Eine Schlußbemerkung
Wir haben in den vorstehenden Darlegungen einige Hinweise auf Ursachen, Anlässe und Motive für den Bildungsurlaub gegeben, wobei wir bewußt und zufolge der vorliegenden Materialfülle nur Ausschnitte aus einer breiten Diskussion vorführen konnten. Es sind in diesem Zusammenhang, vor allem bei der Porträtierung der Positionen, die Argumente im Für und Wider sichtbar geworden — sie brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Ich hoffe, es konnte auch bewußt gemacht werden, daß mit der Forderung nach Bildungsurlaub nur ein Anspruch markiert wird, der eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich bringt, die vor der Realisierung des Bildungsurlaubs bedacht sein müssen. Ich nenne nur: die Finanzierung, die Unterbringung der Bildungsurlauber in geeigneten Tagungsstätten, die optimale Dauer eines Bildungsurlaubs, die spezielle Schulung von Lehrkräften und die thematische Ausgestaltung des Bildungsurlaubs. Diesen Schwierigkeiten stehen Notwendigkeiten gegenüber, die sich aus der gesellschaftlichen Situation, den technisch-* technologischen Veränderungen und Anforderungen ergeben, und es bestehen des weiteren jene objektiven Bildungsbedürfnisse, die sich aus den Entwicklungstendenzen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt herleiten. Wir haben diesen Horizont in unserer Darstellung abgeleuchtet. Die Gründe des Für und Wider sind gleichberechtigt und sollten fernab von Denunziation und Diffamierung einer kritischen und adäquaten Prüfung anheimgegeben werden. Auf jeden Fall dürfte sicher sein, daß das bisherige Maß von Qualifizierungsmaßnahmen nicht ausreicht und daß die Herstellung eines technischen und gesellschaftlichen Orientierungswissens für größere Zahlen von Arbeitern und Angestellten erforderlich ist, wenn sie instand gesetzt werden sollen, der Mobilität nicht mit Angst und Resignation entgegenzusehen.
Im Sinne allgemeiner und wohl auch unbestreitbarer Sätze halte ich für richtig, daß eine politische Entscheidung für den Bildungsurlaub erst vollzogen werden sollte, wenn einige Experimente im überschaubaren Raum ausgewertet sind. Eine wirtschaftlich derart tiefgreifende Entwicklung sollte nicht ohne Bedacht der Konsequenzen eingeleitet werden. Ob ein derartiges Experiment, das mit wissenschaftlichem Sachverstand verschiedener Disziplinen verfolgt werden sollte, notwendig im Rahmen der Universität ablaufen müßte, steht dahin; für die Universität spräche das in ihr zur Verfügung stehende Instrumentarium und die Unabhängigkeit von den kontroversen Gruppeninteressen. Allerdings würden derartige Experimente wohl eine Laufzeit von etwa zwei Jahren benötigen — denkt man an die didaktisch curricularen Vorbereitungen, an die Auswertungen und nachfolgenden Kontrolluntersuchungen. Diese Spanne erscheint vielen angesichts anstehender politischer Entscheidungsnotwendigkeiten zu lang. Hier liegen Versäumnisse, Mangel an Entschlossenheit und an Offenheit für das Experiment.
So bleibt letztlich die Frage, wie der Bildungsurlaub inhaltlich zu strukturieren sei. Gibt es einen Mittelweg zwischen den autonomistischen und verabsolutierenden Standpunkten: entweder politische Bildung oder berufliche Weiterbildung? Ich hatte bereits dazu gesagt, daß ausgehend von der Veränderung und Erweiterung des Bildungsbegriffs die Synthese keine faule Zwischenlösung, keine Beschwichtigungstaktik sei. Natürlich wird sich die Zustimmung der beiden Partner eher gewinnen lassen, wenn der jeweilige von ihnen für vorrangig erachtete Aspekt anteilig an einem Programm für den Bildungsurlaub berücksichtigt ist. Ferner wäre hinzuzufügen, daß in einer Zeit, da politikfreie Räume nicht mehr vorstellbar sind, politische und berufliche Bildung keineswegs mehr als klar trennbare und eindeutig unterscheidbare Bildungsorientierungen zu bestimmen sind. Es ginge also bei der thematischen Anlage eines Bildungsurlaubs-Programms um Bereiche und Gegenstände, an denen sich politische und berufliche Sachverhalte gleichermaßen exemplifizieren lassen.
Wir brauchen an dieser Stelle nicht auf die didaktischen Implikationen von politischer und beruflicher Bildung einzugehen. Ich verweise hier nur auf die gegenwartsbewußte Konzeption, wie sie sich in der Didaktik der politischen Bildung unserer Tage widerspiegelt
Ausgehend von der Initiative der Ruhr-Universität Bochum haben meine Mitarbeiter und ich überlegt, wie ein Bildungsurlaub unter den genannten Voraussetzungen aussehen könnte, wobei der von uns bereits früher entwickelte Bochumer Plan, ein Qualifizierungsverfahren im Komplexlehrgang
Zunächst ein Zeitplanmodell: Geht man davon aus, daß insgesamt zwölf Unterrichtstage zur Verfügung stehen, so könnte nachstehender Zeitplan befolgt werden:
9. 30— 11. 00 Vorlesung (Lektion) für alle.
11. 00— 11. 30 Fragen an den Referenten.
13. 30— 15. 00 Seminar in Großgruppen mit etwa 50 Personen (Leitung: die Fachdozenten, die anderen Dozenten hospitieren und protokollieren den Ablauf); Thema; Erörterung der Lektion bzw. eines Problems nach der Methode Entrainement mental'.
Seminare als Niveaukurse nach Vorbildung differenziert. 15. 30— 17. 00 Übung in Kleingruppen mit etwa 15 Personen (alle Dozenten als Leiter eingesetzt); Thema: Erarbeitung eines Textes, Lösung einer Aufgabe (Erlernung von Techniken), abschließend: Erfahrungsaustausch der Dozenten.
Abends: Lektüre, Fernsehen mit Besprechung, freie Verfügung oder Anfertigung kleinerer Referate.
Gesamtplanung: zwölf Unterrichtstage, je vier Tage für einen Fachbereich, die Fachbereiche alternieren.
Zu Beginn eine Einführung in das Rahmen-thema. Am Schluß eine Gruppendiskussion über das Gesamtthema. Anregungen für weitere Lektüre.
Wir gehen im Experiment von einer Teilnehmerzahl von 150 Bildungsurlaubern aus. Für diese 150 Teilnehmer möchten wir, um ein optimales Ergebnis erzielen zu können, 15 Dozenten vorsehen. Dem vierzehntägigen Bildungsurlaub geht eine sechstägige intensive Dozentenschulung voraus. Die Inhalte dieser Schulung sind von uns genau angegeben und auf den speziellen Aufgabenbereich des Bildungsurlaubs hin ausgerichtet worden.
Für das Thema „Betrieb und Beruf" — also eines der Unterthemen von „DDR und BRD in bundesrepublikanischer Sicht" — war folgende Skizze entworfen vorden:
Vorgesehen für diesen Aspekt sind insgesamt vier Unterrichtstage, deren Aufgliederung sich an das Rahmenschema hält: 1. Tag:
9. 30— 11. 00 Vorlesung „Erwachsenenqualifizierung in der DDR". Einführung in das Thema, historische Entwicklung, ökonomische Prämissen und Perspektiven für Qualifizierungsmaßnahmen. 13. 30— 15. 00 Seminar in Großgruppen. Das Seminar in Großgruppen vertieft den Vortrag. 15. 30— 17. 00 Übung in Kleingruppen. Hier werden ein oder zwei ausgewählte Texte bearbeitet (s. J. H. Knoll/H. Siebert: Erwachsenenbildung-Erwachsenenqualifizierung). 2. Tag:
9. 30— 11. 00 Vorlesung „Markt-und Planwirtschaft", wobei Vergleiche mit den Erwachsenenqualifizierungsmaßnahmen in der DDR vorgenommen werden sollen. Als Ausgangspunkt wird für die BRD der Stufenplan von Krupp o. ä. genommen. 13. 30— 15. 00 Seminar in Großgruppen. Erläuterung der Stellungnahmen zur Stufenausbildung der Arbeitgeber-und Arbeitnehmerverbände. 15. 30— 17. 00 Übung in Kleingruppen. Vertiefung des Gegenstandes durch Lektüre von zwei oder drei Denkschriften. 3. Tag:
9. 30— 11. 00 Vorlesung „Ordnungs-und Führungskräfte im Betrieb". Überblick über die Führungs-und Ordnungsmächte im Betrieb in der DDR und BRD. 13. 30— 15. 00 Seminar in Großgruppen. Informationen über Status, Abhängigkeiten und Verfahrensweisen volks-eigener Betriebe. 15. 30— 17. 00 Übung in Klein-gruppen. Vom Betriebsrats-und Betriebsverfassungsgesetz in der DDR. 4. Tag:
9. 30— 11. 00 Vorlesung „Berufsmobilität und Berufsprognose". Überblick. 13. 30— 15. 00 Seminar in Großgruppen. Erläuterungen von statistischen Materialien. 15. 30— 17. 00 Übung in Kleingruppen. Vergleich der Entwicklung BRD —DDR. An den Abenden der vier Tage werden entsprechende Filme des DDR-Fernsehens vorgeführt.
Es kann hier auf die detaillierte Ausführung dieser Skizzen verzichtet werden, auch auf den Hinweis jener Materialien, die den Teilnehmern, aber auch den Dozenten zur Verfügung gestellt werden sollten. Wir haben unseren Entwurf nur als Diskussionsgrundlage angesehen, wobei wir das Rahmenthema wie auch dessen thematische Untergliederung und materiale Ausführungen keineswegs als endgültige Grundlage für ein Experiment ansehen würden. Die Arbeiten sind inzwischen sistiert worden, da eine finanzielle Absicherung dieses Experiments nicht möglich war.
Dieser Beitrag konnte viele Fragen nicht schlüssig beantworten, er wollte aber auf ihre dringliche Beantwortung aufmerksam machen, weil sie vermutlich noch in dieser Legislaturperiode auf dem Hintergrund eines Gesetzgebungsverfahrens erneut gestellt werden. Die Zeit bis dahin sollte und könnte genutzt werden.