A. Die Wandlungen in der ideologischen Auseinandersetzung
Von der vielfältigen Problematik der sino-sowjetischen Auseinandersetzung auf ideologischem Gebiet sind vor allem drei Komplexe über die engere Fachdiskussion hinaus bekanntgeworden, nämlich die Frage nach der Vermeidbarkeit von Kriegen, nach der Strategie gegenüber der „Dritten Welt" und nach der Fortsetzung des Klassenkampfes in einer sozialistisch gewordenen Gesellschaft. Von diesen drei „Starthemen" abgesehen, existiert aber noch ein ganzer Katalog von weiteren Streitpunkten, die — ausgesprochen oder unausgesprochen — zu dem gespannten Verhältnis zwischen Moskau und Peking beitragen.
Mangels eines in sich geschlossenen chinesischen Lehrwerks sollen hier die von den Sowjet-ideologen verfaßten „Grundlagen des Marxismus-Leninismus
Die Themenliste der ideologischen Auseinandersetzung hat sich im Laufe der Jahre gewandelt:
Von 1956 bis 1958 ging es um die von Chruschtschow auf dem XX. Parteitag verkündeten Thesen (Vermeidbarkeit von Kriegen, Entstalinisierung, friedlicher Übergang zum Sozialismus auf „parlamentarischem" Wege), um die Probleme, die durch Maos Widerspruchsrede vom Februar 1957 aufgeworfen waren, um interne Blockbeziehungen (wie viele Wege zum Sozialismus gibt es?). Hierbei standen insbesondere die Meinungen von Togliatti, Gomulka und Tito sowie — allgemein gesprochen — der Streit zwischen Zentralisten und Autonomisten im Mittelpunkt
Von 1958 bis 1960 ging der Disput hauptsächlich um die „Drei-Banner-Politik" der Maoisten (Volkskommunen, Großer Sprung, Generallinie für den sozialistischen Aufbau) und um den Kurzweg zum Kommunismus („ 20 Jahre in einen einzigen Tag komprimieren")
Die „Neun Kommentare zum Offenen Brief des ZK der KPdSU", die von den Redaktionen der Pekinger Volkszeitung und der Roten Fahne zwischen dem 6. September 1963 und dem 14. Juli 1964 ausgearbeitet wurden, fächerten zum erstenmal die gesamte Problematik des sinosowjetischen Konfliktes auf: Im ersten Kommentar
1964— 1966: Mit den „Neun Kommentaren" waren die ideologischen Auseinandersetzungen zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Nunmehr begannen sich die Streitigkeiten langsam auf die Praxis niederzuschlagen, vor allem auf außenpolitischem Gebiet. Die Grenzfrage tauchte auf
Diese Ereignisse führten zu einer introvertierten und verbitterten Haltung Chinas, welche die im Jahre 1966 ausbrechende Kulturrevolution zwar nicht ausgelöst, ihr aber einen starken xenophobischen Beigeschmack verliehen hat.
Die Jahre 1966 bis 1968 standen ganz im Zeichen der Kulturrevolution und damit der chinesischen Innenpolitik. Außenpolitische Fragen waren im Gegensatz zu den vorausgegangenen Jahren fast eingefroren. Die Kulturrevolution brachte — wenn man von der bis dahin unerreichten Intensität des Geschehens absieht — ideologisch wenig Neues. Die Theorie von der Fortsetzung der Revolution, des Klassenkampfes und der Diktatur des Proletariats auch im Stadium des Sozialismus war z. B. bereits Gegenstand des „ 9. Kommentars" gewesen. Auch der Kampf gegen die Überreste der konterrevolutionsverdächtigen Bourgeoisie, gegen die Macht der Gewohnheit und der gleichzeitige Feldzug für die Verherrlichung der „Mao Tse-tung-Ideen" waren nicht prinzipiell neu.
Die Sowjets, die 1966 vom Informationsfluß abgeschnitten waren, reagierten auf die kultur-revolutionären Ereignisse in China mit dezidierten Erklärungen und erbitterten Attacken. Die sorgfältigste und systematischste Stellungnahme findet sich in fünf aufeinanderfolgenden Grundsatzartikeln, die 1968 im „Kommunist", dem Blatt des ZK der KPdSU, abgedruckt wurden
In engem Zusammenhang mit den fünf „Kommunist" -Artikeln stand der Angriff Wang Ming’s, eines hohen kommunistischen Funktionärs
Mit der Besetzung Prags durch sowjetische Truppen im August 1968, mit der Breshnew-Doktrin und mit den Grenzzwischenfällen am Ussuri (Anfang März 1969) und in Sinkiang (August 1969) begann abermals ein neues Kapitel in der ideologischen Auseinandersetzung — diesmal vor allem in bezug auf die Theorien des proletarischen Internationalismus, die Koexistenz und den eigenen Weg zum Kommunismus.
B. Die einzelnen Streitpunkte
I. Streitpunkte im Bereich der Ontologie (Diamat)
Die Dialektik enthält die allgemeinsten Gesetze, die sich mit dem Charakter der Bewegung der Materie befassen. Insgesamt gibt es seit Engels drei Gesetze der materialistischen Dialektik, nämlich das Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität, ferner das Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze und das Gesetz der Negation der Negation
— Entwicklung als ein quantitativer Veränderungsprozeß (aliud), bei dem die Ursachen im Inneren der Dinge und Erscheinungen zu suchen sind — mit der Folge, daß eine grundsätzlich neue Qualität entsteht
Nach der zuletzt genannten dialektischen Konzeption erfolgt das „quantitative Umschlagen" in d e r Weise, daß „kleine, anfangs unmerkliche quantitative Veränderungen durch allmähliche Anhäufung auf einer bestimmten Stufe . . . qualitative Veränderungen hervorrufen"
— der plötzliche „Sprung" und — der nicht-explosive „allmähliche" Über-gang
Der Kampf der aus einem Ding oder einer Erscheinung erwachsenden Gegensätze wird dabei zwar als häufig, nicht aber als universal angesehen
China im permanenten Ringen der Gegensätze dauernd ereignet, und zwar nach der einen wie nach der anderen Seite; denn es steht für sie außer Zweifel, daß der Kampf der Gegensätze universal ist. Die „Frei-von-ZusammenstoßTheorie" ist falsch: „Der Kampf der Gegensätze ist ausnahmslos überall im Gange .. ., er durchdringt den ganzen Prozeß von Anfang bis Ende ..., und darum ist er unbedingt, absolut"
Nach der — aus ihrer Grundannahme zu folgernden — Ansicht der Chinesen verschmelzen die Sprachen in Wirklichkeit nicht, sondern kämpfen miteinander. Wenn eine Sprache verschwindet, so ist dies immer die Folge der Gewalt der anderen
Der besondere Charakter der jeweiligen Widersprüche (z. B. im anorganischen, im organischen oder im gesellschaftlichen Bereich) bedingt eine jeweils besondere Art ihrer Lösung. a) Das Gesetz: Kein wesentlicher Unterschied zwischen der chinesi hen und der sowjetischen Auffassung
China b) Auch die Chinesen unterscheiden zwischen antagonistischen und nichtantagonistischen Widersprüchen, gehen jedoch davon aus, daß Antagonismen auch im Stadium des Sozialismus fortbestehen
China Im Gegensatz zur wechselvollen Geschichte dieses Gesetzes in der Sowjetunion war es in China von jeher voll anerkannt, auch wenn Mao nie ausdrücklich über die Existenz eines „Gesetzes der Negation der Negation" gesprochen hat
Ergebnis:
Die Souveränität und Konsequenz, mit der die Chinesen die Dialektik handhaben, schafft einen beinahe unüberbrückbaren Abgrund zwischen ihnen und den soviel kompromißbereiteren Sowjets. Für sie eigentlich ist jener Satz Tschernyschewskis geschrieben, der von den Sowjets für ihren eigenen Standpunkt in Anspruch genommen wird: „Ewiger Wechsel der Formen, ewige Ablösung. . . . Wer dieses große, ewige, allgegenwärtige Gesetz begriffen hat, wer sich daran gewöhnt hat, es auf jede Erscheinung anzuwenden, — o, wie ruhig ruft er herbei, was andere in Bestürzung versetzt. ... Er empfindet kein Bedauern für das, was seine Zeit überlebt hat und spricht: , Laß kommen, was kommen will. Auch in unserer Straße wird einst Feiertag sein'". Nur wer das ungebrochene Verhältnis der Maoisten zu ihrer philosophischen Grundüberzeugung versteht, wird ihre Zuversicht, ihren Optimismus, aber auch ihr Postulat begreifen können, daß „Kampf" Glück ist. Alle weiteren Differenzen zwischen den Sowjets und den chinesischen Ideologen, die unten noch im einzelnen dargelegt werden, sind bereits in ihren Kontroversen über den Diamat enthalten und manifestieren sich letztlich nur als besondere Ausprägungen ihres jeweiligen Hanges zur
Holubnychny geht so weit, sogar das „dunkle, aber furchtbare Rätsel um die Anschauungen Mao Tse-tungs zum atomaren Weltkrieg“ aus der bis zum letzten konsequenten dialektischen Grundhaltung zu erklären
II. Streitpunkte im Bereich der Erkenntnistheorie (Diamat)
1. Erkenntnistheoretische Postulate Sowjetunion Bei der Erkenntnistheorie geht es um die Frage, ob unser Denken imstande ist, die wirkliche Welt richtig zu erkennen, und ob unsere Vorstellungen und Begriffe ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit vermitteln
Die Sowjetideologen bejahen diese Frage, wobei sie folgende erkenntnistheoretischen Postulate aufstellen: a) Prämissen der Erkenntnis:
Die Wahrheit ist objektiv, „vom Subjektiven unabhängig"
Der Erkenntnisvorgang vollzieht sich in drei Phasen, und zwar „vom lebendigen Anschauen zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis — das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit"
Am Anfang steht die Sinneswahrnehmung. Die dabei aufgenommenen Empfindungen sind geChina Mao Tse-tung hat sich bereits 1937 mit der marxistischen Erkenntnistheorie auseinander-gesetzt
Ebenso wie die Sowjets bekennt sich Mao zur Objektivität der Wahrheit und akzeptiert auch den Dreistufenprozeß der Erkenntnis
Da die sinnliche Erkenntnis das innere Wesen der Erscheinungen, ihre notwendigen Beziehungen und Zusammenhänge noch nicht erschließt, hat eine qualitativ andere Erkenntnistätigkeit einzusetzen, nämlich das „Denken" in Form von Begriffen, Urteilen und Schlußfolgerungen. Ergebnis des Denkens ist die Erkenntnis des Wesens der Erscheinungen
Damit sich das Denken aber nicht von der Wirklichkeit löst und in ein rein phantastisches Konstruieren („Idealismus", wie es heißt) ausartet, muß letztlich ein Prozeß einsetzen, der die Verbindung des theoretischen Vorwurfs mit der Praxis stiftet. Von der Praxis kommt alles, und alles geht zu ihr zurück. Sie ist „Grundlage, Ziel und Kriterium" (!)
Aus dieser „Einheit von Theorie und Praxis"
folgt, daß auch gesellschaftliche Theorien nur auf zwei Wegen verifiziert werden können, nämlich durch die „Produktion und die praktisch-revolutionäre Tätigkeit der Massen" (nicht etwa nur der einzelnen Individuen!)
China Wang Yang-ming, der letzte überragende Philosoph des alten China, hatte gelehrt, daß „Wissen und Handeln identisch sind „(chih hsing ho i) 79a).
Der überragenden Bedeutung entsprechend, die der Praxis zugebilligt wird, erklärt Mao:
„Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen? Fallen sie vom Himmel? Nein! Sind sie dem eigenen Gehirn angeboren? Nein! Die richtigen Ideen der Menschen können nur aus der gesellschaftlichen Praxis herrühren, nur aus dem Produktionskampf, dem Klassenkampf und dem wissenschaftlichen Experiment — diesen drei Arten der gesellschaftlichen Praxis"
Was in der Lehre Maos ganz besonders auffällt, ist die Kampfbetontheit seiner Praxis-auffassung, die, was die Diktion und die geistige, in langen Jahren des Partisanenkriegs anerzogene Haltung angeht, ungleich schär--fer ist als das sowjetische Gegenstück.
Nach Mao erwächst die Wahrheit aus dem Kampf gegen den Irrtum; im Kampf gegen bürgerliche Ideologien —-und nur im Kampf — kann sie sich entwickeln
China
biet des Klassenkampfes." 84) Ständiger Kampf macht wissend. Teilweiser Verzicht auf den Klassenkampf macht partiell unwissend. Verzicht auf den Kampf ü
Gibt es absolute Wahrheit?
„Unser stets relatives Wissen besitzt einen objektiven wahren Inhalt, der im Erkenntnisprozeß erhalten bleibt und die Grundlage für die weitere Entwicklung des Wissens bildet. Dieser unvergängliche Inhalt in den relativen Wahrheiten der menschlichen Erkenntnisse wird absolut wahrer Inhalt genannt oder einfacher absolute Wahrheit." 72) „Im Erkenntnisprozeß lagern sich die Kristalle der absoluten Wahrheit ab und vermehren sich." 73) „Mehrere griechische Philosophen, unter ihnen Anaximander z. B., glaubten, daß der Mensch vom Fisch abstamme. Diese Lehre ist zwar naiv und fehlerhaft, enthält aber doch einen Kern absoluter Wahrheit: die Idee nämlich von der natürlichen (und nicht etwa göttlichen) Abstammung des Menschen." 74)
Die absolute Wahrheit ist also der sich ständig anhäufende, absolut wahre Inhalt im relativ wahren Wissen. Sie ist der Prozeß der immer vollständigeren, gründlicheren und exakteren Widerspiegelung der objektiven Welt 75).
Auf den ersten Blick scheint die chinesische Lehre mit der sowjetischen identisch zu sein: Nach Mao Tse-tung „erkennen die Marxisten an, daß im absoluten und gesamten Entwicklungsprozeß des Universums die Entwicklung der einzelnen konkreten Prozesse relativ ist und daß daher im unendlichen Strom der absoluten Wahrheit die menschliche Erkenntnis eines einzelnen konkreten Prozesses auf jeder gegebenen Stufe seiner Entwicklung nur den Charakter einer relativen Wahrheit besitzt. Aus der Summe der unzähligen relativen Wahrheiten ergibt sich die absolute Wahrheit."
Mao hat diesen Satz von Lenin übernommen, jedoch mit einer Einfügung, die seinen ursprünglichen Sinn verkehrt: Im Unterschied zu Lenin spricht er von „unzähligen" relativen Wahrheiten und entwertet damit logischer-weise jeden Anspruch auf Absolutheit
Ahnt man in diesem Zusammenhang, warum Mao so großen Wert auf Praxis legt und unausgesetzt dem Voluntarismus das Wort redet, warum er fortgesetzt von Klassen-und Produktionskämpfen spricht und in diesem Zusammenhang eine permanente Politik des „hsia fang"
Damit ist hier nicht behauptet, daß diese Auswirkungen ganz und gar Emanationen eines Sowjetunion China apriorischen ideologischen Denkansatzes sind. Zweifellos haben die langjährigen Bürger-kriegserfahrungen der chinesischen Kommunisten viel zu der von Mao philosophisch formulierten Einstellung beigetragen. Es wäre auch sonderbar, wenn ausgerechnet der eigentliche Verfechter einer prononcierten „voluntaristischen" Epistemologie außerhalb der von ihm selbst verkündeten Gesetzmäßigkeiten gestanden hätte. Ebensowenig freilich ist andererseits daran zu zweifeln, daß Mao Tse-tung bei der Rezeption marxistisch-leninistischen Gedankenguts — bewußt oder unbewußt — zahlreiche Elemente der chinesischen Tradition, vor allem des Taoismus, hat einfließen lassen 94). Zugleich freilich bedeutet sein Denkansatz auch einen Bruch mit eben di
III. Streitpunkte im Rahmen der Geschichtslehre (Histomat)
1. Die Basis-Überbau-Lehre a) Nach der klassischen marxistischen Lehre stellt der ideologische überbau eine bloße Widerspiegelung der Basis dar. Von einer 100 °/oigen Deckung kann freilich ebensowenig die Rede sein wie von einer bloß passiven Rolle des Überbaus. Es können vielmehr Widersprüche zwischen Basis und überbau auftreten 96), ja sie sind taktisch gesehen sogar die Regel und dienen als solche als Antrieb zur Höherentwicklung. Wie die Tätigkeit der KP beweist, kann der überbau eine „aktive Rolle" spielen 97). Leitsatz des Histomat bleibt jedoch, daß der Basis im Verhältnis zum überbau eine bestimmende Rolle zukommt, während der überbau seinerseits le-a) Die Chinesen gehen zwar ebenfalls vom Basis-Überbau-Modell aus, gestehen aber dem überbau eine ungleich vitalere und auch autonomere Rolle zu als die Sowjets. Beinah sprichwörtlich ist in diesem Zusammenhang der maoistische Voluntarismus — eine Geisteshaltung, die die Ungeduld operationalisiert und die Menschen aus ihrer „Versklavung" gegenüber der objektiven Wirklichkeit befreien will
China Fähigkeit der organisierten Massen, mit jedem Feind fertig zu werden, kennt nur ein Hindernis: nämlich die Willensschwäche, die Unentschlossenheit, die Lethargie. Für diesen „voluntaristischen Illuminismus" 102) wird das „Objektive letzten Endes zum Werk des Sub
b) Obwohl die politische Revolution bereits 1949 und die wirtschaftliche Revolution Mitte der fünfziger Jahre vollendet war, wird es nach Maos Auffassung nicht nur „längere Zeit", sondern viele Generationen („Jahrhunderte"!) dauern, ehe die feudalistischen Rückstände
Am Beginn seiner revolutionären Karriere hat auch Mao Tse-tung den Klassenbegriff noch ganz von objektiven Kriterien abhängig gemacht
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich das pädagogische Postulat einer permanenten Erziehung. Durch einen „Umbau des Denkens"
Der tiefere Grund für diese verschiedenen Lösungsmethoden dürfte wohl darin liegen, daß Mao — ganz im Geiste der konfuzianischen Traditition — an die ursprünglich gute Natur des Menschen und seine Erziehbarkeit glaubt, während Stalin den Menschen mit Zynismus und existentiellem Mißtrauen begegnete. 3. Der überbau und „Mao Tse-tungs Denken"
Mao betont zwar immer wieder, daß die „subjektiven" Faktoren nur „innerhalb der objektiven materiellen Bedingungen" wirken könnten, jedoch zeigt das tatsächliche Verhalten der Sowjetunion China Chinesen, insbesondere die Einstellung gegenüber den „Mao Tse-tung-Ideen", daß diese Grenze längst überschritten ist. Die Verehrung Maos hat schon vor der Kulturrevolution Ausmaße erreicht, die nur noch in religiösen Kategorien zu begreifen sind. Er gilt als der „große Mentor" (wei-ta tao-shih) und als die „allerröteste Sonne" (tsui hung tsui hung t'ai-yang). Jeder hat nach seinen Weisungen zu handeln und seine Werke zu studieren. Sein Denken ist eine „Waffe" (wu-ch'i), ein „Leuchtturm" (teng-t'a), ein „Kompaß" (chihnan-chen), ein „Teleskop und Mikroskop" (wang-yüan-ch'ing ho hsien-wei-ch’ing). Seine Ideen wirken als „fa-pao" (wörtlich: Gesetzes-schatz), als eine Art magische Waffe, wie sie in buddhistischen Sutren vorkommt. Dieses Denken vermag „Wunder" zu wirken (jenchien ch’i-chi) wie Heilungen, Siege im Sport, bessere Ernten und Schutz bei Naturkatastrophen. — Welch ein Abstand zur marxistischen Basis-Uberbau-Lehre, nach der das Denken und Handeln der Menschen allein durch die gesellschaftliche Produktionsweise determiniert war! Aus dem marxistischen Materialismus ist mit anderen Worten ein „maoistischer Idealismus" geworden
IV. Streitpunkte im Rahmen der Wirtschaftslehre (Politökonomie)
Der Maoismus ist ein Lehrsystem, das in einzigartiger Weise auf soziale Fragen ausgerichtet ist und den gesamten Komplex der technischen und wirtschaftlichen Probleme ausschließlich aus der „sozialen" oder, wie es heißt, der „politischen" Perspektive betrachtet. Kein Wunder also, daß Wirtschaftsfragen als solche kaum eine Rolle spielen und daß es demzufolge auf diesem Gebiet auch kaum zu sino-sowjetischen Kontroversen gekommen ist.
Wenn der Abschnitt „Politökonomie" hier trotzdem eingeschoben wird, so geschieht dies vor allem um der Geschlossenheit und Vollständigkeit des ideologischen Überbaus willen. Auch vermag gerade dieser verhältnismäßig unwichtige Abschnitt zu beweisen, daß der chinesische Standpunkt ungleich dogmatischer ist als der sowjetische.
Die Politökonomie umfaßt drei Abschnitte, die dem „vormonopolistischen Kapitalismus", dem „Imperialismus" und dem „Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe" gewidmet sind. 1. Die Ausführungen über den vormonopolistischen Kapitalismus befassen sich — in Anlehnung an das „Kapital" von Marx — mit der Entstehung der kapitalistischen Produktionsweise, der Arbeitswerttheorie, der Mehrwert-1. In einem agrarischen Staat wie China hatten die Maoisten kaum Anlaß, sich über die industrielle Problematik des marxistischen „Kapitals" Gedanken zu machen. Die Fragen des vormonopolistischen Kapitalismus sind des-B Sowjetunion theorie, der Lehre vom Arbeitslohn, der Durchschnittsprofitrate, der Reproduktion, mit den Wirtschaftskrisen und mit den Theorien der Akkumulation und der Verelendung
Der Imperialismus ist nämlich — monopolistischer Kapitalismus (fünf Merkmale
— parasitärer oder verfaulender Kapitalismus (vier Merkmale
— sterbender Kapitalimus (zwei Merkmale 116)). 3. Der „Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe" (d. h. nach dem Zweiten Weltkrieg) erweist sich als die „zweite Etappe der allgeChina halb auch nie Anlaß einer sino-sowjetischen Auseinandersetzung gewesen
Wenngleich die Sowjets geneigt sind, solche Konzessionen in das Prokrustesbett ihrer Ver-Sowjetunion meinen Krise des Kapitalismus"
a) Der „staatsmonopolistische Kapitalismus" wächst noch mehr (Verflechtung von Staat und Monopolen, Subsidien für die Wirtschaft, „Militarisierung der Wirtschaft", „Staatskapitalismus")
b) „Bankrott der Theorie von der krisenfreien Entwicklung des Kapitalismus"
c) „Vertiefung und Ausdehnung der Klassenantagonismen"
China schärfungstheorie zu zwängen, so unterscheiden sie sich doch erheblich von den Maoisten, die vor allen positiven Errungenschaften des Kapitalismus grundsätzlich die Augen verschließen und in ihrer Presse die gesamte „westliche Hemisphäre" nur als ein Aufmarschgebiet von aufständischen Massen ansehen
V. Streitpunkte im Rahmen der politischen Lehren
Neben der Philosophie (Diamat), der Geschichtslehre (Histomat) und der Wirtschaftslehre (Politökonomie) sind die „politischen Lehren" ein wichtiger Teil des Marxismus-Leninismus. In den „Grundlagen des Marxismus-Leninismus" ist dieser vierte Teil in zwei Abschnitte gegliedert: „Theorie und Taktik der internationalen kommunistischen Bewegung" und „Lehre vom Sozialismus und Kommunismus". Gegenstand der „politischen Lehren" sind Themen wie „Die Arbeiterklasse", „Die Partei", „Die Politik der Aktionseinheit" und die „Bündniseinheit", die nationalen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, der Übergang des Kapitalismus in den Sozialismus, die Frage der Vermeidbarkeit von Kriegen, die Diktatur des Proletariats, die sozialistische Gesellschaft, das sozialistische Weltsystem, die kommunistische Gesellschaft usw. Aus der Fülle des hier aufgeführten Materials sollen im vorliegenden Zusammenhang sieben Themen herausgegriffen werden, die in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Peking und Moskau besondere Bedeutung erlangt haben, nämlich zum einen vier Fragen, die Probleme des Sozialismus, also sozusagen das „eigene Haus" betreffen (Staat und Gesellschaft im Zeichen des Sozialismus; die Stellung der kommunistischen Partei; das sozialistische Weltsystem, in dessen Bereich vor allem die Fragen des proletarischen Internationalismus und der Führung in der kommunistischen Weltbewegung angesprochen sind), und zum anderen Probleme, die mit kapitalistischen Staaten Zusammenhängen (Vermeidbarkeit von Kriegen; Fragen des Übergangs zum Sozialismus), und zuletzt das Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt. 1. Auffassungen vom Sozialismus a) Staat und Gesellschaft Situationsanalyse Sowjetunion Nach sowjetischer Auffassung gibt es in einer Gesellschaft nach Erreichung des sozialistischen Stadiums keine antagonistischen Widersprüche mehr. Das will nicht heißen, daß schädliche Elemente dann ganz ausgestorben sind. Die „Klasse der Nichtstuer oder die Klasse der Rowdies, die Klasse der Diebe am Staatseigentum oder die Klasse der Parasiten" sind jedoch keineswegs „Klassen" im Sinne der marxistischen Lehre
Die früheren Ausbeuterklassen (kapitalistische Unternehmer, Großgrundbesitzer, Großbauern) sind also verschwunden. Nun gibt es nur mehr Arbeiter, Bauern und Intelligenz. Diese drei bilden keine Klassen, sondern nur soziale Schichten. Die Klassenverhältnisse sind für sie eingeebnet worden, denn alle haben in bezug auf die Produktionsmittel gleiche Rechte und Pflichten. Die Sowjetunion tritt alles in allem also für eine Entspannungstheorie ein.
Im überbau manifestiert sich diese Basisveränderung wie folgt: — Der sowjetische Staat — und damit wohl auch jeder sozialistische Staat — ist kein Klas-China Die Theorie vom Absterben des Klassenkampfes wird von den Maoisten als eine der gefährlichsten revisionistischen Dogmen verurteilt. Nach ihrer Auffassung gibt es auch in einer sozialistischen Gesellschaft noch zwei Arten von Widersprüchen, nämlich sogenannte „Widersprüche zwischen uns und unseren Feinden" und „Widersprüche im Volk". Sie verbreiten — mit etwas verfeinerten Argumenten freilich — dieselbe „Verschärfungstheorie", die Stalin im Jahre 1937 ausgearbeitet hat und die später unter Chruschtschow verworfen wurde. Die Prämisse dieser „Verschärfungstheorie" geht davon aus, daß sich der Klassenkampf um so intensiver gestaltet, je weiter der Sozialismus fortschreitet. Denn je mehr die Kapitalisten ihr Ende herankommen sehen, um so verzweifelter werden ihre Widerstandskräfte. Die gestürzten Ausbeuter versuchen mit allen Mitteln, das ihnen geraubte Paradies wieder an sich zu reißen. Ihnen kommt zugute, daß die spontanen kleinbürgerlichen Kräfte ständig neue kapitalistische Elemente hervorbringen und daß die Rückstände bourgeoisen Denkens immer wieder Verwirrung in den Reihen der Arbeiterklasse stiften. Nicht zuletzt aber ist es die Einkreisung durch den Weltkapitalismus und die Drohung bewaffneter Interventionen von Seiten der Imperialisten, die den sozialistischen Entwicklungsprozeß stören und deshalb den Klassenkampf zu einer Dauererscheinung machen
Um die in der sozialistischen Gesellschaft weiter schlummernden Antagonismen zu beseitigen, bedarf es eines Kampfes von „fünf bis zehn Generationen oder sogar noch mehr"
— Auch die Partei ist nicht mehr die Partei einer bestimmten Klasse, sondern eine Partei des ganzen Volkes, vertritt sie doch die Interessen eines Volkes, das in seiner Gesamtheit die Lehren des Marxismus-Leninismus akzeptiert hat.
China Staaten, die durchaus bereits als sozialistisch gelten durften, sind Beispiele dafür, wie wenig die Antagonismen ausgeräumt sind. Das trifft nach chinesischer Ansicht gleichfalls für die Sowjetunion zu. Im neunten Kommentar zum Offenen Brief des ZK der KPdSU liefern die Chinesen ein ganzes Arsenal von Beispielen aus Industrie, Landwirtschaft und Handel, wodurch gezeigt werden soll, daß leitende Funktionäre Untergebene ausgebeutet und betrogen haben. Alle diese Leute gehörten zur Klasse der Bourgeoisie und damit zu den Gegnern des Proletariats 135). überdies hat sich, der B
Auch eine „Partei des ganzen Volkes" ist ein Hirngespinst. Die Partei ist nämlich — ebenso wie der Staat — ein Instrument des Klassenkampfes. Alle politischen Parteien tragen Klassencharakter. Die Parteilichkeit ist der konzentrierte Ausdruck des Klassencharakters. Nirgends gibt es eine Partei, die nicht an eine Klasse gebunden ist und die über den Klassen steht, und nie gab es eine sogenannte „Partei des ganzen Volkes", die nicht die Interessen einer bestimmten Klasse vertreten hätte
Strategie — In einer nicht-sozialistischen Gesellschait entfaltet sich der Klassenkampf in mehreren Formen, nämlich als ökonomischer, als ideologischer und als politischer Kampf, dessen höchste Stufe die Revolution bildet 129). In einer sozialistischen Gesellschaft — Klassenkämpfe existieren auch noch in der sozialistischen Gesellschaft. „Normalerweise sind die Widersprüche innerhalb des Volkes nicht antagonistischer Art", aber wenn sie nicht richtig behandelt werden oder man es an Sowjetunion dagegen entfällt er, da es keine Antagonismen mehr gibt: Der Kampf um die Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen, also der ökonomische Kampf, wird überflüssig, weil wirtschaftliche Ausbeutung unmöglich geworden ist; die Befreiung der Massen vom Einfluß der bürgerlichen Ideen gilt als soweit fortgeschritten, daß ein ideologischer Kampf entbehrlich geworden ist; was schließlich den politischen Kampf angeht, so kann es für die Massen nicht erstrebenswert sein, die bestehende Staatsmacht zu stürzen oder durch Demonstrationen, politische Streiks, bewaffnete Aufstände usw. ihren Unwillen anzuzeigen — von einer Revolution ganz zu schweigen —, weil sie dadurch nur ihren eigenen Interessen zuwiderhandeln würden 130).
Mit dem Klassenkampf ist auch die „Diktatur des Proletariats" überflüssig geworden, die sich begriffsmäßig nur gegen Feinde des Sozialismus richten kann. An die Stelle dieser Diktatur des Proletariats tritt nun die „demokratische" Methode der
Mit dem Klassenkampf ist auch die „Diktatur des Proletariats" überflüssig geworden, die sich begriffsmäßig nur gegen Feinde des Sozialismus richten kann. An die Stelle dieser Diktatur des Proletariats tritt nun die „demokratische" Methode der Kritik und Selbstkritik sowie der Erziehung und Ausbildung
Der Wegfall des Klassenkampfes bedeutet nun nicht etwa, daß die Triebkräfte, die die Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft bestimmen, ausgeschaltet werden; sie treten nur in neuer Form in Erscheinung, nämlich als sozialistischer Wettbewerb, als moralisch-politische Einheit der Gesellschaft, als Freundschaft zwischen den sozialistischen Nationen und als sozialistischer Patriotismus. Auch die Partei trägt dazu bei, ein Bewußtsein planmäßiger Tätigkeit zu fördern.
— Der „Volksstaat" verändert seine Funktionen: Früher bestand die wichtigste Aufgabe des Staates darin, die Klassengegner zu unterdrücken. Nachdem jedoch die Ausbeuterklassen in ihren politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Positionen so sehr geschwächt sind, daß eine Unterdrückung überflüssig geworden ist, wachsen dem Staat neue Funktionen zu, nämlich die Leitung der Produktion, die Arbeits-und Konsumkontrolle, der Schutz des gesellschaftlichen Eigentums und vor allem der Schutz gegen die Überfälle imperialistischer Staaten.
China Wachsamkeit fehlen läßt und fahrlässig ist, können Antagonismen entstehen 138).
Zur Lösung der beiden bekannten Widersprüche, daß heißt des Widerspruchs „zwischen uns und unseren Feinden" und des Widerspruchs „innerhalb des Volkes", gibt es zwei verschiedene Methoden, und zwar die „Diktatur" und die „Demokratie". Den Feinden gegenüber ist die Methode der „Diktatur" am Platze: Innerhalb eines erforderlichen Zeitraums wird ihnen z. B. die politische Betätigung untersagt; man zwingt sie, sich den Gesetzen der Volksregierung zu unterwerfen, einer Arbeit nachzugehen und sich durch die Arbeit in neue Menschen zu verwandeln. Demgegenüber wendet man in bezug auf das Volk nicht die Methode des Zwanges an, sondern die „demokratische" Methode, das heißt, man muß dem Volke gestatten, sich politisch zu betätigen und es so, ohne es zu diesem oder jenem zu zwingen, durch Überzeugung und Erziehung zu gewinnen. Kritik und Selbstkritik sind methodisch grundlegend für die sich innerhalb des Volkes vollziehende Selbst-erziehung 139).
Es fragt sich noch, wo die Grenzlinie zwischen beiden Arten von Widersprüchen verläuft. Hierfür gibt Mao Tse-tung sechs Kriterien, die in folgenden Alternativen zum Ausdruck kommen: Bist du für die Einigung des Volkes oder für seine Spaltung? Bist du für den sozialistischen Aufbau oder dagegen? Bist du für die Festigung der „volksdemokratischen" Diktatur oder dagegen? Bist du für die Festigung des demokratischen Zentralismus, oder willst du ihn schwächen? Bist du für die Führung durch die kommunistische Partei oder nicht? Bist du für die internationale Solidarität des Sozialismus und der friedliebenden Völker in aller Welt oder nicht? Wer die Fragen positiv beantwortet und dementsprechend handelt, gehört zum „Volk". Wer mehr der zweiten der aufgewiesenen Möglichkeiten zuneigt, gilt als „Feind" 140). — Materielle Anreize waren, vor allem zu Beginn der sechziger Jahre, als Liu Shao-ch'i noch auf dem Höhepunkt seiner Macht war, Sowjetunion Neue Aufgaben erfordern auch neue Methoden der Herrschaftsausübung. Deshalb treten an die Stelle der früheren administrativen Zwangsmaßnahmen nunmehr die Methoden der Überzeugung und Erziehung.
— Auch die „Partei des Volkes" hat keine Unterdrückungspolitik mehr zu verfolgen, sondern sich mit demokratischen Methoden in den Dienst des sozialistischen Aufbaus zu stellen. — Im „grandiosen Plan des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft" hat die KPdSU auch den „Kampf um ein besseres Leben für das Volk" als ihre Aufgabe verkündet. Für die Sowjets sind materielle Anreize gleichsam das Salz jeden Wirtschaftens. Polemisch heißt es in einem gegen die Chinesen gerichteten Schreiben: „Nach ihrer Logik ergibt sich, daß es Kommunismus ist, wenn das Volk in Bast-schuhen geht und seine magere Kohlsuppe aus gemeinsamen Schüsseln löffelt. Wenn aber der werktätige Mensch gut lebt und morgen noch besser leben will, dann bedeutet dies nahezu eine Restaurierung des Kapitalismus!" 132)
China auch in China an der Tagesordnung. Seit der Kulturrevolution dagegen wurde ökonomische Askese zum obersten Gebot der Wirtschaftspolitik. Jede Form von materiellem Anreiz gilt als „Ökonomismus", der den sozialistischen Aufbau schädigt. b) Die Kommunistische Partei Äußere Strukturen:
Nach der heutigen Sowjetideologie muß sich eine Partei durch drei Merkmale auszeichnen 141), und zwar a) durch Unversöhnlichkeit gegenüber jeder Spielart des Kapitalismus, b) durch die Orientierung am Marxismus-Leninismus, c) durch die Position als Avantgarde der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. „Aufbau" und „Leben" der Partei werden durch den demokratischen Zentralismus bestimmt: Die leitenden Parteiorgane sind also von unten nach oben zu wählen und haben der Rangordnung gemäß Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen. Es herrscht straffe Partei-disziplin, Unterordnung der Minderhei
China auch in China an der Tagesordnung. Seit der Kulturrevolution dagegen wurde ökonomische Askese zum obersten Gebot der Wirtschaftspolitik. Jede Form von materiellem Anreiz gilt als „Ökonomismus", der den sozialistischen Aufbau schädigt. b) Die Kommunistische Partei Äußere Strukturen:
Nach der heutigen Sowjetideologie muß sich eine Partei durch drei Merkmale auszeichnen
Der ideologischen Formulierung nach gleicht die chinesische Version fast aufs Wort dem sowjetischen Vorbild: Kampf gegen Kapitalismus und Ausbeutung, Orientierung am Marxismus-Leninismus und (!) am „Denken Mao Tse-tungs" 149), Avantgardestellung 150), demokratischer Zentralismus 151), Pflichten der Par-Sowjetunion der Beschlüsse höherer Organe für untere Organe der Partei
Jedes Mitglied hat neun genau umschriebene Pflichten zu erfüllen
Die Partei hat eine „lebendige Verbindung zu den Massen" aufrechtzuerhalten
Innere Strukturen:
Hinter diesen Formulierungen steckt eine Ideologie, die von Lenin geschaffen und von Stalin perfektioniert wurde. Für orthodoxe Leninisten ist die Partei wie eh und je eine Art Heiliger Gral, dem sie all ihre Kraft widmen und auf dessen gleichsam magische Wirkung sie ihre Hoffnung setzen. Massenbewegungen werden nüchtern eingeschätzt, und man nimmt statt dessen lieber einen gewissen Bürokratismus sowie materielle Anreize in Kauf (Stalin). Nicht eine Massen-, sondern eine Elitepartei gilt als erstrebenswertes Ziel. So kommt es, daß die Revolution — auch, wenn dies nicht offen ausgesprochen wird — in Wirklichkeit „von oben" erfolgt, wobei die Fiktion einer Partei als Inkarnation des Proletariats aufrechterhalten wird. Organisatorisch ist sicherzustellen, daß sich die Partei als eine Einheit präsentiert, in der Disziplin und Gehorsam als „zentralistische Prinzipien" mit den „demokratischen" Gepflogenheiten der freien Diskussion und Meinungsbildung ausbalanciert und so die a priori vorhandenen Widersprüche zu , harmonischem Zusammenklang gebracht werden (demokratischer Zentralismus).
Die Partei, die unter Stalin auf einen ausgeprägten Personenkult eingeschworen war, China teimitglieder Massenlinie
Innere Strukturen:
Doch welch ein Unterschied in der Grundauffassung vom Wesen der Partei: Für Mao Tsetung ist die Partei nämlich nicht eine geheiligte Institution, die ihre Legitimation in sich selbst trägt, sondern lediglich eines von vielen nützlichen Werkzeugen, die in den Dienst der sozialistischen Sache gestellt werden
China Vertrauen auf die Massen
Seit dem 9. Parteitag im Jahre 1969 wird zwar die Partei wiederaufgebaut. Die neue Partei-satzung aber ist ganz auf die maoistische Linie eingeschworen. Insbesondere drei Punkte verdienen hervorgehoben zu werden: — Der Mittelbau der Partei ist zugunsten der Zentralorganisation sowie zugunsten der Ausschüsse auf der untersten Ebene mit verhältnismäßig schwachen Rechten ausgestattet worden. — Eng damit hängt ein Petitionsrecht zusammen, das es jedem Parteimitglied freistellt, unter Umgehung des früheren Instanzenwegs und ganz im Sinne der Massenlinie sich direkt an die Parteispitze zu wenden
— Am souveränsten aber tritt Maos Geringschätzung der Partei und ihres kollektiven Anspruchs auf Suprematie in der langen Apotheose hervor, die er am Anfang des Partei-statuts von 1969 seinem „Denken" und seiner „Linie" zollen läßt
Massenlinie, Klassen
Massenlinie, Klassenkampf, Begeisterung für Mao Tse-tung und seine Lehre und privilegienfeindliches Verhalten zählten also zu den wichtigsten, der Sowjetunion zwar nicht theoretisch, wohl aber praktisch fremd gewordenen Bestandteilen der maoistischen Linie im Parteiaufbau. c) Das sozialistische Weltsystem Zur Führung der kommunistischen Weltbewegung Nach sowjetischer Meinung „machte der objektive Verlauf der Geschichte, insbesondere der historische Sieg der Oktoberrevolution, die UdSSR zum Vortrupp und zum Bollwerk der internationalen sozialistischen Bewegung" 164). Dieser Geschichtsauffassung entsprechend leitet Moskau für sich den ideologischen Führungsanspruch ab, der ja zumindest zu Lebzeiten Stalins in der Tat gegeben war.
Nach Auffassung der Chinesen ist das Zentrum der Weltrevolution ständig von Westen nach Osten gewandert: Im 18. Jahrhundert lag es in Frankreich (Französische Revolution), im 19. Jahrhundert wanderte es nach Deutschland (Marx, Engels) und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Sowjetunion (Oktoberrevolution). Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schließlich verschob es sich nach China, während in Moskau das leninistische Erbe unter Chruschtschow und seinen revisionistischen Nachfolgern verschleudert wurde
Moskau hat sein Mandat verloren: Der Leninismus war der Marxismus in der Ara des Imperialismus und der proletarischen Revolution. Die Mao Tse-tung-Ideen dagegen sind der „Marxismus jener Epoche, in welcher der Imperialismus seinem totalen Zusammenbruch und der Sozialismus seinem weltweiten Sieg entgegensteht."
Mit dem revolutionären Erbe ist auch das persönliche Mandat des Führers der Weltrevolution an China gefallen: „Lenin war es, den die Geschichte als Förderer des Marxismus auserwählt hatte. Stalin, obwohl mit Marx, Engels und Lenin nicht vergleichbar, verteidigte die leninistischen Lehren, „bis schließlich Mao Tsetung, der ja unter den lebenden Kommunisten die längste revolutionäre Erfahrung be-Sowjetunion China sitzt", zum wahren Nachfolger dieser Männer wurde. Mao Tse-tung gilt deshalb als „der Lenin unserer Zeit"
Fragen des „proletarischen Internationalismus“
Definitionsgemäß ist der „proletarische Internationalismus"
— die wissenschaftlich begründete Ideologie der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse aller Nationen, -— der Ausdruck brüderlicher Verbundenheit aller schaffenden Menschen, — ein bestimmter Typus von Beziehungen zwischen den Arbeitern der einzelnen Länder
Diese komplexe Definition läßt vor allem zwei Fragen offen:
— Zum Verhältnis zwischen monolithischen Einheitsbestrebungen (Moskaus!) und Polyzentrismus („Verschiedene-Wege-Theorie"). Das Pendel hat seit 1917 mehrmals zwischen beiden Marken geschwankt
Zumindest für sich selbst haben die Chinesen von jeher einen eigenen Weg zum Sozialismus in Anspruch genommen
Nach der neostalinistischen
Der „proletarische Internationalismus" findet semantisch seinen Ausdruck in den Grundsätzen der brüderlichen Freundschaft, der engen Zusammenarbeit und der brüderlichen gegenseitigen Hilfe
Die Breshnew-Doktrin hat diese Definition nicht in Frage gestellt, sondern den Begriff der „brüderlichen Hilfe" erweitert und damit den „interventionistischen Gehalt" verstärkt
Die Doktrin hat sich vor allem in zwei Theorien niedergeschlagen: a) Die „Theorie der beschränkten Souveränität", die vor allem zu einer neuen strengeren Auslegung des Begriffs der „Konterrevolution" führte. (Für die Aktivierung der „brüderlichen Hilfe" ist es nicht mehr erforderlich, daß auswärtige imperialistische Kräfte im Gebiet des Hilfeempfängers tätig sind. Vielmehr genügt es bereits, wenn die KP eines sozialistischen Staates Reformkommunismus betreibt, ohne gleichzeitig Gewalt anzuwenden oder ihre Bündnisverpflichtungen zu lockern
China Für die Chinesen sind die fünf Prinzipien der „friedlichen Koexistenz" „selbstverständlich auch von den sozialistischen Staaten untereinander einzuhalten"
Daß die Chinesen den Führungsanspruch der Sowjets ablehnen, soll nicht heißen, daß sie überhaupt jede Hegemonie ablehnen.
Auf ideologischem Gebiet jedenfalls betrachtet sich Peking — wie bereits ausgeführt wurde — als das neue Mekka der marxistisch-leninistischen Revolution.
Darüber hinaus haben die Chinesen zumindest indirekt auch einen politischen Führungsanspruch angemeldet. Sie befürworten z. B.den „Volkskrieg" und hoffen, daß die Sieger auf die Pekinger Linie einschwenken. An Annexion oder Besetzung — ä la Budapest oder Prag — haben sie freilich noch nicht gedacht, wie ihr bisheriges außenpolitisches Verhalten beweist. Was den Chinesen vielmehr vorschwebt, ist ein (wenn nicht globales, so doch nachbarliches) Vasallenverhältnis der sozialistischen Staaten gegenüber Peking, wie es zur Zeit des Alten Kaiserreiches etwa in der Form des „Tributsystems" bestanden hatte
China — Diese Theorie wird als Ausdruck des „unersättlichen Expansionsstrebens der sowjetrevisionistischen Sozialimperialisten" verurteilt
Ganz im Sinne dieser Autonomiebestrebungen bekämpft Peking alle Anstrengungen Moskaus, seine Einflußsphäre zu erweitern. Neben dem „Sozialimperialismus" sind es vor allem vier Themen, die seit 1969 die Diskussion bestimmen: a) die Bemühungen Moskaus um ein „neues Stadium der wirtschaftlichen Integration zwischen den sozialistischen Staaten" 195), b) der Vorwurf des „Sozialkolonismus" 196) gegenüber der sowjetischen Theorie des internationalen Arbeiter-und Bauernbündnisses" 197), c) die sowjetische „Kanonenbootpolitik" im Mittelmeer, die auf lange Sicht angeblich auch China bedrohen kann 198), Sowjetunion China d) das „finstere System der kollektiven Sicherheit in Asien" 199), das auf der „bluttriefenden Freundschaft mit Suharto" beruhe, das den Reaktionären Ne Win und Rahman Wa
Nach sowjetischer Auffassung ist der Krieg nicht mehr unvermeidbar. „Die organisierte Kraft der internationalen Arbeiterklasse . . . besitzt heute den Vorteil, daß sie sich auf die materielle Macht, auf die Verteidigungskraft der sozialistischen Länder stützen kann, die dem Imperialismus entgegenstehen. Vorbei sind die Zeiten, da der Imperialismus ungeteilt herrschte. Die Lage hat sich grundlegend geändert. Im Gegensatz zu den ersten Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution, als die Sowjetunion allein stand, ist das Kräfteverhältnis in der Weltarena heute ganz anders geworden. Deshalb bedeutet heute, auf dem Standpunkt der Unvermeidlichkeit von Krie-Die qualitative Veränderung der Waffen kann an der Grundkonstellation des Klassenkampfes nichts ändern. Imperialismus ist wie eh und je seiner Natur nach aggressiv, wofür der „blindwütigste Militarismus" der USA ein illustratives Beispiel abgebe. Wie der Krieg in Vietnam beweist, hängt die Kriegführung von den Truppeneinheiten und nicht vom Waffenarsenal ab. Die Atombombe ist ein Papiertiger. Der Atom-Fetischismus, den die Sowjetunion betreibt, lähmt die Massen
Am 18. November 1967 erklärte Mao vor der Weltkommunistenkonferenz in Moskau, kein Chinese wolle den Krieg; denn der Ostwind (die sozialistische Revolution) werde über den Westwind (den reaktionären Kapitalismus)Sowjetunion gen zu verharren, Unglauben an die Kräfte des Sozialismus an den Tag zu legen, sich Stimmungen der Hoffnungslosigkeit und des Defaitismus hinzugeben.
China ohnehin siegen (These von der eindeutigen Überlegenheit der revolutionären Kräfte). Da die Imperialisten von ihren Angriffsplänen nicht abließen, müsse man sich gleichwohl auf den schlimmsten Fall, nämlich einen thermonuklearen Krieg, einstellen. Bei einem solchen Krieg könnten, Maos Auffassung zufolge, von den 2, 7 Milliarden Menschen über ein Drittel oder aber sogar die Hälfte zugrunde gehen.
Den überlebenden jedoch würde es weit besser gehen als je zuvor; denn die unvermeidliche Folge eines dritten Weltkrieges wäre der endgültige Sieg der sozialistischen Revolution
In seiner Rede vor dem IX. Parteikongreß im Jahre 1969 präzisierte Lin Piao nochmals die chinesischen Ansichten über das Verhältnis von Krieg und Revolution. Was die Frage eines Weltkriegs betrifft, „so gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die eine ist, daß der Krieg die Revolution hervorruft; die andere ist, daß die Revolution den Kieg verhindert"
— Widersprüche zwischen unterjochten Nationen einerseits und Imperialismus und Sozialimperialismus andererseits, — Widersprüche zwischen Proletariat und Bourgeoisie, — Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten und den sozialimperialistischen Staaten sowie zwischen den imperialistischen Staaten untereinander, — Widersprüche zwischen den sozialistischen Staaten und den sozialimperialistischen Staaten.
Diese vier Widersprüche führen in dialektischer Selbstentfaltung unweigerlich zur Revolution, die letzten Endes den Imperialismus und den Sozialimperialismus zu Grabe trägt
Zur zweiten Alternative (der Krieg fördert die Revolution) spricht Lin Piao zwar nicht expres-Sowjetunion China sis verbis, doch lassen sich Rückschlüsse ziehen aus der Tatsache, daß selbst die vorsichtigen Sowjets vom dritten Weltkrieg den globalen Sieg des Sozialismus und Kommunismus erwarten: Der Erste Weltkrieg hat nach ihrer Auffassung dem Sozialismus in den Sattel geholfen, der Zweite Weltkrieg hat den Radius des Kommunismus gewaltig erweitert, der dritte Weltkrieg würde das Werk vollenden 211). Um wieviel mehr müssen die Chinesen von der Richtigkeit dieser Th
Strategie — Jeder Krieg, also auch ein Kleinkrieg, ist deshalb zu vermeiden, weil er leicht in einen Steppenbrand ausarten kann.
— Statt dessen ist heute die friedliche Koexistenz zur Generallinie der Außenpolitik der Sowjetunion geworden.
Friedliche Koexistenz bedeutet viererlei:
Friedliches Nebeneinander von Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen auf dem Gebiet der Politik, mit dem Ziel, Kriege zu vermeiden. Es gilt also, einen „Kampf für die Abrüstung" 203) zu führen und die Reste des Zweiten Weltkrieges zu beseitigen. Gerade die Lösung der Krise in der Karibischen See wird zu einer hervorragenden Maßnahme im Rahmen der friedlichen Koexistenz-Strategie gerechnet.
Friedlicher Wettbewerb von Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen auf dem Gebiet der Wirtschaft mit dem Ziel, den Kapitalismus durch den Sozialismus zu überrunden. Diese Wettkampfsituation wird häufig durch das Bild eines Langstreckenläufers illustriert: Die USA sind zwar früher gestartet und haben deshalb noch einen gewissen Vorsprung, sie sind aber bereits in Atemnot geraten 204).
Unversöhnliches Nebeneinander auf dem Gebiet der Ideologie mit dem Ziel, dem reaktionären Denken der Kapitalisten durch die fortschrittliche, vom Volk unterstützte sozialistische Ideologie ein baldiges Ende zu bereiten.
Auf den drei Ebenen der Koexistenz gibt es also nur im politischen und wirtschaftlichen Be-Bei ihren Kalkulationen unterscheiden die Chinesen zwischen zwei Formen von Krieg, nämlich einem Weltkrieg einerseits und nationalen Befreiungskriegen sowie revolutionären Bürgerkriegen andererseits.
Sie propagieren die Vermeidung eines Weltkriegs, sind jedoch von der immanenten Aggressivität des Imperialismus überzeugt und betreiben daher — in Putativnotwehr — eine Politik der „Kriegsvorbereitungen". Für sie gilt der Grundsatz: „ 1. Wir sind dagegen (gegen einen Weltkrieg!), 2. Wir fürchten uns nicht."
Die beste Garantie für die Verhinderung eines Dritten Weltkriegs ist nach chinesischer Ansicht eine breite internationale Einheitsfront aller friedliebenden Länder. Ein Satz wie: „Die Stärkung und Festigung der Einheit und Zusammenarbeit aller sozialistischen Länder ist ... die verläßlichste Grundlage der Sache des . . . Weltfriedens" 212) kommt in fast allen Kommuniques vor, die die VRCh mit den verschiedensten sozialistischen Ländern ausgearbeitet hat.
Unvermeidbar dagegen sind nationale Befreiungskriege (gegen die „Imperialisten und ihre Handlanger") sowie revolutionäre Bürgerkriege (gegen bürgerliche Reaktionäre im eigenen Volk)
Seit dem Spätherbst 1959 gilt die neue These, daß die sowjetische Koexistenzpolitik eine Form des internationalen Klassenkamp
Seit dem Spätherbst 1959 gilt die neue These, daß die sowjetische Koexistenzpolitik eine Form des internationalen Klassenkampfes sei. Koexistenz ist im Grunde also nichts anderes als die Fortsetzung des Kampfes mit friedlichen Mitteln, wobei es darum geht, den völligen Sieg des progressiven sozialistischen Denkens herbeizuführen 206).
China noch Macht hat und solange das System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen besteht, können Kriege nicht ausbleiben. Das ist ein objektives Gesetz." 214): In der Geschichte gibt es kaum eine große Revolution, die ohne kriegerische Auseinandersetzungen verlief (Bürgerkrieg der USA, Französische Revolution, russische und chinesische Revolutionen, vietnamesische, algerische und kubanische Revolution usw.) 215).
Kriege lassen sich nur vermeiden, wenn vorher der Imperialismus beseitigt ist.
Die Solidarität mit den revolutionären Völkern der Dritten Welt gebietet es, diesen bei ihren revolutionären Kämpfen Hilfe zu leisten. Ist doch vor allem der Volkskrieg die Form, in der die Weltrevolution sich vollziehen muß. Lin Piaos Grundsatz, daß die Dörfer der Welt die Städte der Welt erobern müßten, ist eine These, die heute allgemein Anerkennung findet. Hierbei müsse man dem Gegner die gleichen Waffen entgegensetzen, die er selbst anwendet. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang, sowohl gegen Kapitulantentum als auch gegen Abenteurertum Front zu machen 216).
In diesem Sinne gilt nach wie vor das Wort Mao Tse-tungs aus dem Jahre 1938, daß „das Gewehr die Macht gebiert". Dieser Satz habe nichts mit Kriegslüsternheit zu tun, sondern interpretiere lediglich militärische Eingriffe als Notwehrmaßnahmen. Dabei ist die Über-zeugung leitend, daß es dem chinesischen Volk nur mit Hilfe des Gewehrs gelungen sei, eine sozialistische Staatsmacht aufzubauen: „So mancher verspottet uns als Anhänger der Theorie von der Allmacht des Krieges. Ja, wir sind Anhänger der Theorie von der Allmacht des revolutionären Krieges. Das ist nicht schlecht, das ist gut, das ist marxistisch." 217) Im übrigen gibt es nur ein Mittel zur Abschaffung der Kriege: „Man muß den Krieg mit dem Krieg bekämpfen." 218)
Ganz anders als Marx, Engels und Lenin hält Mao revolutionäre Kriege nicht etwa nur für eine, sondern für d i e höchste Form des Sowjetunion China Klassenkampfes
Auch die Chinesen treten grundsätzlich für friedliche Koexistenz ein. Sie haben seit 1954 die sogenannten „fünf Prinzipien" zu einem Bestandteil ihrer Außenpolitik gemacht
Dieses Instrumentarium der friedlichen Koexistenz darf nach chinesischer Auffassung jedoch nicht zur Generallinie der Außenpolitik werden, sondern stellt nur eines von mehreren Mitteln der Außenpolitik dar. Insgesamt setzt sich die außenpolitische Generallinie aus drei Teilen zusammen: Gegenüber sozialistischen Staaten gilt der Grundsatz des „proletarischen Internationalismus", im Verhältnis zu den „geknechteten Volksmassen und unterdrückten Nationen" der Dritten Welt hat das Prinzip der materiell wirksamen Solidarität zu walten und nur im Verhältnis zu nichtsozialistischen Staaten gelten die fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz 223). Von dieser Konzeption geleitet, erhebt China gegen die Führer der KPdSU den Vorwurf, diesen Differenzierungen nicht genügend Rechnung zu tragen und die friedliche Koexistenz für ihre Generallinie zu monopolisieren. Selbstverständlich sollen auch sozialistische Staaten untereinander die besagten fünf Prinzipien beachten, doch das genügt, wie es heißt, „bei weitem noch nicht"
Unsere Epoche ist nicht durch den Sieg des Sozialismus, sondern durch einen wilden Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus gekennzeichnet, der in Form sozialistischer Revolutionen und nationaler Befreiungskriege in Erscheinung tritt
China Strategie — Diese Möglichkeiten für einen friedlichen, nicht mehr mit Bürgerkrieg verbundenen Weg der sozialistischen Revolution gilt es maximal zu nutzen
—• Zwei Möglichkeiten für eine sozialistische Revolution bieten sich an:
Der „legale Weg" über das Parlament. Alle demokratischen antimonopolistischen Kräfte sollen sich zu einer Koalition zusammenschließen und das Parlament sodann zu einem Werkzeug des tatsächlichen Volkswillens umfunktionieren. Die Vorteile eines solchen friedlichen Übergangs wären erheblich: die Produktionsanlagen würden nicht zerstört, der Über-gang könnte sich rasch vollziehen, die Gewaltlosigkeit entspräche der Mentalität der Arbeiter und zudem könnte die revolutionäre Regierung von Anfang an mit der Autorität des alten Parlaments auftreten 232).
Der „illegale Weg". Die sozialistische Revolution könnte sich auch als sogenannte „demokratische Volksrevolution" vollziehen, die zwar ursprünglich keine sozialistischen Ziele verfolgt, aber gegen den „Monopolkapitalismus und gegen den Imperialismus" ankämpft
Der „legale" Weg ist zwar eine Möglichkeit, die, falls sie einmal Erfolge verspräche, auch von Marxisten-Leninisten bedenkenlos ausgenützt würde
Hinsichtlich der Folgen einer solchen antimonopolistischen demokratischen Volksrevolution äußern sich die Sowjets optimistisch: Sie wachse in eine sozialistische Revolution hinüber. Durch den Regierungswechsel und durch die Nationalisierung der Trusts und Monopole würden bereits 60 °/o des Volksvermögens zum Staatseigentum, womit ein stabiles Fundament für die Sozialisierung auch des Überbaus geschaffen sei
China Form der Machtergreifung gelten, so muß dies mit äußerster Zurückhaltung geschehen
Keinesfalls aber darf darunter das klassische Konzept des bewaffneten Machtergreifungskampfes leiden, dem die Chinesen unter allen Umständen den Primat einräumen
Aus dieser Situation ergibt sich für sie der zwingende Schluß, daß Kriege nicht mehr erforderlich seien, um die letzten Reste des Kolonialismus zu zerschlagen. Zum einen löst sich ihrer Auffassung zufolge der Kolonialismus von selbst auf, zum anderen ist zu berücksichtigen, daß in unserer Zeit selbst lokale Kriege gefährlich sind.
Nach chinesischer Auffassung haben die Imperialisten auch nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Kolonialismus niemals aufgegeben, sondern ihn nur in eine neue Form gekleidet, den „Neokolonialismus". Sie haben „die alte Form ihrer direkten Kolonialherrschaft abgewandelt und üben ihre Ausbeutung nun mit Hilfe von ausgesuchten und hochgezüchteten Agenten in neuer Form aus."
Die zentralen Thesen für die strategische Bedeutung der Dritten Welt lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
— „In den weiten Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas konzentrieren sich die verschiedenen Widersprüche in der gegenwärtigen Epoche. Hier sind die schwächsten Kettenglieder in der Herrschaft des Imperialismus, hier sind die wichtigsten Sturmzentren der Weltrevolution, von denen aus gegenwärtig dem Imperialismus direkte Schläge versetzt werden."
— „Die national-demokratische revolutionäre Bewegung in diesen Gebieten und die internationale sozialistische revolutionäre Bewegung sind die zwei gewaltigen historischen Strömungen unserer Zeit."
—„Die national-demokratische Revolution in diesen Gebieten bildet einen wichtigen Bestandteil der gegenwärtigen proletarischen Weltrevolution."
— „Die anti-imperialistischen revolutionären Kämpfe der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas haben die Grundlage der Herrschaft des Imperialismus und des Kolonialismus, .. . angeschlagen und erschüttert; sie stellen eine gewaltige Kraft für die Verteidigung des Weltfriedens in der gegenwärtigen Epoche dar."
—„In einem gewissen Sinne hängt daher die ganze Sache der internationalen proletarischen Revolution letztlich von den revolutionären Kämpfen der Völker in diesen Gebieten, der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung, ab."
— „Die anti-imperialistischen revolutionären Kämpfe der Völker Asiens, Afrikas und La-Sowjetunion China teinamerikas sind daher keinesfalls lediglich von lokaler Bedeutung, sondern von allgemeiner Bedeutung für die Weltrevolution des ganzen internationalen Proletariats." 264)
Strategie Vier Maßnahmen sind es vor allem, die die Sowjets hier für empfehlenswert halten:
Keine Anwendung militärischer Gewalt; statt dessen Wirtschaftshilfe für rückständige Länder, Kampf um die Abrüstung und Einschaltung der UNO zum Zwecke der Abschaffung des Kolonialismus.
Werbung für den Sozialismus: Die Sowjets gehen davon aus, daß das „sozialistische Lager" eine Attraktivität besitzt, die den Völkern der Dritten Welt den sozialistischen Weg als den einzig diskutablen erscheinen lassen muß
Unterstützung national-demokratischer Einheitsfronten. Dabei soll es in der ersten Phase des Befreiungskampfes nur um die nationale Frage gehen, die angeblich allen Mitkämpfern gemeinsam am Herzen liegt; in der zweiten Phase müssen dann die Sozialprobleme angepackt werden, und hier gilt es nach sowjetischer Vorstellung nun, nicht-kapitalistische Entwicklungen zu unterstützen. Den besten Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung zum Sozialismus bieten sogenannte national-demokratische Staaten (Kriterien: Eigenständigkeit und Distanz gegenüber Militärblöcken aller Art; Feindschaft gegenüber jeder Form von Neokolonialismus; demokratische Freiheit für das Volk; Agrarreform und breite Mitbestimmungsrechte)
All diese Ströme fließen schließlich zur Weltrevolution zusammen und führen zu einer sozialistischen Umwandlung der Dritten Welt während einer ganzen geschichtlichen Epoche (und nicht etwa, wie Marx es noch angenommen hatte, in einer Kettenreaktion)
Das Endstadium dieses Prozesses ist für die Sowjets dadurch gekennzeichnet, daß die westliche Arbeiterbewegung und das sozialistische Lager mit der Dritten Welt zu einer Einheit verschmelzen. „Gerechte Kriege" sind nach dem international geltenden Grundsatz der materiell wirksamen Solidarität zu unterstützen. Kein sozialistisches Land soll sich scheuen, auch in den Kolonialländern, dem Hinterland des Imperialismus, zu kämpfen
C. Die Schwartz-Wittfogel-Kontroverse
Conrad Brandt, Benjamin Schwartz und John K. Fairbank hatten 1952 eine „Documentary History of Chinese Communism"
1. Maos Politik von 1927, die den Bauern ein revolutionäres Avantgarde-Mandat zugedacht habe, sei eine „häretische" Abweichung von der Kominternlinie gewesen und somit als eigenständiger chinesischer Beitrag zu werten. 2. Auch die Konzeption der „Neuen Demokratie" aus dem Jahre 1940 sei von Mao zum Marxismus-Leninismus beigesteuert worden.
Wittfogel sucht die von dem Harvard-Trio behauptete Originalität Maos zu bestreiten, betreibt dieses Geschäft aber mit solcher Gründlichkeit, daß der unvorbereitete Leser den Eindruck gewinnen muß, als sei Mao einer der gehorsamsten Adepten des Marxismus-Leninismus Moskauer Prägung und der Komintern-Politik gewesen. Hier kurz seine Argumente:
Zu 1) Schon Marx und Engels hätten — entgegen den heute in Fachkreisen herrschenden Auffassungen — den Bauern beträchtliche revolutionäre Dynamik zugetraut
Angesichts dieses ideologischen Hintergrundes dürfe der „Hunan-Bericht" Maos von 1927
Wenn Mao die Bauern als „revolutionäre Vorhut" bezeichne und ihrem Kampf 70% des Erfolges der nationalen Revolution zuschreibe, so handele es sich dabei lediglich um den Nach-vollzug einer Leninschen Diktion
Zu 2) Auch das Konzept der „Neuen Demokratie" sei nicht maoistischer Provenienz. Mao selbst habe zugegeben, daß er die „korrekten Thesen" zu diesem Problemkreis von Lenin und Stalin übernommen habe
Die hier in groben Zügen referierte Debatte, die sich über ein Jahr hinzog, versickerte schließlich im Sand, obwohl oder gerade weil beide Seiten bis zuletzt auf ihren Positionen beharrten. Für die heutige Lage ist die Diskussion nur mehr von historischem Interesse.
Zu 1) Nach heutiger sowjetischer Auffassung gilt die Arbeiterklasse (das Proletariat) als führend im Kampf des Volkes für die Befreiung von der kapitalistischen Unterdrückung
Zu 2) Seit die Maoisten die politische Macht in China fest in der Hand haben, gehört auch die „Neue Demokratie", die eigentlich nichts anderes ist als ein Konzept zur Taktik der Machtergreifung, der Vergangenheit an. Zwischen Moskau und Peking gibt es diesbezüglich keine Meinungsverschiedenheiten mehr.
Die sowjetische Bündnistaktik arbeitet mit dem Konzept der „demokratischen Einheit"
Das maoistische Konzept der „Neuen Demokratie" unterscheidet sich kaum von der „demokratischen Einheit" der Sowjetideologen. Es empfiehlt den Zusammenschluß von Arbeitern, Bauern, kleinen Handwerkern und nationaler Bourgeoisie, die Zusammenarbeit „mit allen Schichten, allen politischen Parteien und Organisationen sowie allen Einzelpersonen, die gewillt sind, gegen die japanische Aggression" anzutreten
D. Zusammenfassung
Die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Peking, die seit 1960 in die Öffentlichkeit drangen, und die vor allem in den neun chinesischen Kommentaren zum Offenen Brief der KPdSU (14. 7. 1963) in aller Deutlichkeit manifestiert wurden, scheinen auf den ersten Blick nur im Bereich der „politischen Lehren" stattgefunden zu haben. Bei näherem Hinsehen erweist es sich jedoch, daß auch die drei anderen Hauptabschnitte des marxistisch-leninistischen Lehrgebäudes von dem Streit nicht unberührt geblieben sind. 1. Im Bereich des Diamat handhabt der Maoismus die Gesetze der Dialektik ungleich konsequenter als die Sowjets, die beispielsweise neben dem plötzlichen, „kampf" betonten Sprung in eine neue Qualität auch den nicht-explosiven, „allmählichen" Übergang anerkennen und überdies den „Kampf der Gegensätze"'— nach Meinung der Chinesen — allzufrüh durch andere (nicht-kampfbetonte) „Quellen und Triebkräfte der Selbstbewegung der Materie" ersetzen. Auch im Bereich der Epistomologie ist Maos Haltung — genauer: seine Praxisauffassung — ungleich kampfbetonter als die sowjetische Lehre: Während es für die Sowjets Kristalle absoluter Wahrheit gibt, die sich nach und nach im Strom der relativen Wahrheit absetzen, gibt es für die Chinesen keine andere absolute Wahrheit als jene, daß sich alles im Prozeß des Entstehens, der Entwicklung und des Untergangs befindet, auch die Wahrheit selbst! Jede Wahrheit ist also neu und muß als solche in einem Strom ewiger Aktivität und tatkräftiger Praxis neu verifiziert werden. 2. Auf dem Gebiet des Histomat hat Mao Tse-tung die klassische Basis-Überbau-Lehre auf den Kopf (oder auf die Beine?) gestellt: Der maoistische Voluntarismus will den Menschen aus seiner Versklavung gegenüber der objektiven Umwelt (Produktionsverhältnisse und Produktiv-kräfte) befreien. Diese Tendenz zeigt sich auch in der zeitlichen Dimension: Der überbau paßt sich der Basis nicht schon nach kürzerer Zeit an, sondern unter Umständen erst nach „Jahrhunderten". Ein besonderer Anwendungsfall dieses Basis-Überbau-Theorems ist die Klassen-zurechnung, die nicht mehr den Abstammungs-, sondern den Gesinnungsproletarier bevorzugt. Die dem „Denken des Vorsitzenden Mao Tse-tung" zugeschriebenen Theorien haben bewirkt, daß aus dem marxistischen Materialismus ein maoistischer Idealismus wurde. 3. Am wenigsten wurden Fragen der Politökonomie von dem sino-sowjetischen Streit erfaßt. Doch zeigt sich auch hier die ungleich dogmatischere Haltung der Chinesen, vor allem in der Einschätzung des „Verfaulens" der kapitalistischen Länder. 4. Im Bereich der politischen Lehren sind es vor allem drei große Sektoren, auf denen es zu bedeutsamen Differenzen gekommen ist:
— Probleme im Zeichen des Sozialismus: Bei diesen Fragen „im eigenen Haus" geht es in erster Linie um Staat und Gesellschaft im Entwicklungsstadium des Sozialismus. Gibt es noch verschiedene „antagonistische" Klassen oder nur noch ein in seinen Beziehungen zu den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen einiges Volk? Sind Staat und Gesellschaft also Institutionen der Klassenvertretung oder gibt es einen „Staat des ganzen Volkes" und eine Kommunistische Partei als „Partei des ganzen Volkes"? Geht der Klassenkampf in der Form einer „Diktatur des Proletariats" weiter oder „stirbt der Klassenkampf ab"? Sind „materielle Anreize" bei der Produktion als „ökonomistisch" abzulehnen oder sind sie erlaubt? Die Chinesen vertreten bei diesen Alternativen jeweils die erste, und damit schärfere Lösung.
— Der „Parteiaufbau" ist ein Problemkreis, der zwar nicht expressiv verbis zwischen den chinesischen Hammer und den sowjetischen Amboß geraten ist, wohl aber eine jeweils ganz verschiedene Geisteshaltung sichtbar werden läßt. Während die Sowjets Rationalität, technische Fungibilität des Apparats und Elitedenken, damit aber unausgesprochen auch „Revolution von oben" für Schlüsselelemente dieser Avantgarde-Organisation des Proletariats halten, stellen die Chinesen spontane Massenaktionen über perfekte Organisation, moralische und „politische" Faktoren über technische und technokratische Fähigkeiten sowie „Massenlinie" über Elitedenken und fordern damit die „Revolution von unten". Neben ihrem Kampf gegen den Organisa15 tionsfetischismus zeigen sie auch eine starke Abneigung gegen Bürokratie, gegen Privilegien und gegen elitäres Denken, wo sich dieses als konstitutives Element einer „Neuen Klasse" erweist.
— Außenpolitisch halten sie Peking für das neue Zentrum des Weltkommunismus und Mao für den Lenin unserer Zeit. Der Breshnew-Doktrin, die den Interventionismus in einer neostalinistischen Art und Weise wieder auferweckt hat, halten die Chinesen entgegen, daß der „proletarische Internationalismus", auf den sich die Sowjets ja berufen, auch die fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz (und damit Souveränität und Integrität jedes einzelnen sozialistischen Staates) mit umfasse. Genau gesehen sei die sowjetische Haltung nicht vom Gedanken der „brüderlichen Hilfe" bestimmt, sondern von „neokolonistischen und sozialimperialistischen Erwägungen der Renegatenclique" in Moskau.
Bei den Streitfragen um das Verhältnis zu den kapitalistischen Ländern stehen zwei Fragen im Vorgergrund: Ist der Krieg vermeidbar und gibt es einen friedlichen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus? Während die KPdSU seit ihrem. XX. Parteitag beide Fragen bejaht (Kriege seien zu gefährlich; die internationale Arbeiterklasse sei so sehr erstarkt, daß sie auch mit friedlichen Mitteln den Sozialismus verwirklichen könne) und friedliche Koexistenz postuliert, gehen die Chinesen von der Unvermeidbarkeit des Krieges aus (immanente Aggressivität des Imperialismus!) und betrachten die friedliche Koexistenz ebenso wie den „parlamentarischen Weg" als sekundäre Taktiken.
Im Hinblick auf die Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika geht es um die Frage, ob der Kolonialismus von selbst verschwindet und daher bewaffnete Geburtenhilfe für die Völker der Dritten Welt vermieden werden kann oder aber ob der Neokolonialismus so drückend ist, daß nur „echte Volkskriege" eine Lösung schaffen können.
Anfang der sechziger Jahre standen noch zwei weitere Fragen im Vordergrund: ob nämlich die chinesische „Bauernstrategie" und das Konzept der „Neuen Demokratie" maoistische Besonderheiten seien. Die Geschichte ist über beide Fragen hinweggegangen, da China — wenigstens ideologisch — heute ganz im Zeichen des „Arbeiterproletariats" steht und die „Neue Demokratie" nur eine taktische Maßnahme der längst abgeschlossenen kommunistischen Machtergreifung war.