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Die unvollendete Entkolonialisierung Westund Zentralafrikas | APuZ 18/1970 | bpb.de

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APuZ 18/1970 Christliche Demokratie in Lateinamerika Die Organisation von Wirtschaftsregionen in Afrika Die unvollendete Entkolonialisierung Westund Zentralafrikas

Die unvollendete Entkolonialisierung Westund Zentralafrikas

Patrice Mandeng

/ 22 Minuten zu lesen

Einleitung

Spätestens seit der Unabhängigkeit Ghanas 1957, vormals Goldküste genannt, war sichtbar, daß die Befreiung Afrikas von der Fremdherrschaft. nicht mehr aufzuhalten war. Die Entkolonialisierung war das Zauberwort, das die damaligen Kolonialmächte, insbesondere England und Frankreich, gebrauchten, um das Ende ihrer direkten Herrschaft in Afrika zu bezeichnen. Während die Kolonialmächte sich rühmten, den Völkern Afrikas die Freiheit zu schenken, betrachteten diese Völker die Entkolonialisierung als einen errungenen Sieg über ihre Unterdrücker: Für sie war der antikoloniale Nationalismus der eigentliche Faktor, der — mit Unterstützung aller fortschrittlichen Kräfte der Welt — den unbeugsamen Willen der Kolonialmächte brach und dadurch ermöglichte, Afrika von der Kolonialherrschaft zu befreien. Diese unterschiedliche Interpretation der Entkolonialisierung führt daher zu der Frage, ob die Entkolonialisierung ein Sieg oder eher ein Kompromiß gewesen ist.

In diesem Beitrag soll anhand des antikolonialen Nationalismus gezeigt werden, daß die Entkolonialisierung ein politischer Kompromiß gewesen ist. Es wird davon ausgegangen, daß die ökonomische Ausbeutung der Kolonie das Wesen der Kolonialherrschaft ist, wobei die Herrschaftsmittel lediglich der Sicherung dieser Ausbeutung dienen. Die Entkolonialisierung hätte also nicht nur das Ende der politischen Herrschaft bedeuten müssen, sondern in erster Linie das Ende der ökonomischen Ausbeutung. Nach zehn Jahren der Unabhängigkeit muß aber festgestellt werden, daß die Entkolonialisierung im ökonomischen Bereich keinen nennenswerten Fortschritt gemacht hat. Die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent zeigt uns vielmehr, daß die ökonomische Abhängigkeit der Staaten Westund Zentral-afrikas eine Bedrohung der errungenen politischen Souveränität bedeutet. Das Unbehagen an dieser Situation drückt sich nicht zuletzt in der Suche nach einer Ideologie, dem afrikanischen Sozialismus, aus, die nachträglich die heutige politische und ökonomische Wirklichkeit Afrikas rechtfertigen soll. Die Hauptaufgabe dieses Sozialismus ist daher darin zu sehen, die unvollendete Entkolonialisierung zu verschleiern und vergessen zu helfen.

I. Die Entkolonialisierung

In dem Schlußwort seines Werkes „Dekolonisation" gibt Rudolf von Albertini folgende, von dem Inhalt des Begriffes Kolonialismus abgeleitete Definition der Entkolonialisierung: „Wenn man den Kolonialismus als Herr-schaftsund Uberlagerungssystem versteht, so bedeutet die Entkolonialisierung nicht einfach den Rückzug der Kolonialmacht, sondern die Etablierung neuer Beziehungen zwischen Kolonialmacht und Kolonien auf der Basis von Statusgleichheit und Selbstbestimmung."

Er erweitert diese Definition mit einer Interpretation der Begriffe . Statusgleichheit'und . Selbstbestimmung', wie sie — gemäß dem Objekt seiner Untersuchung — in den englischen und französischen Diskussionen über die Entkolonialisierung verstanden wurden. Da Albertini letztlich einen „Beitrag zum europäischen Selbstverständnis" leisten will, muß man ihm ohne weiteres einräumen, daß er die Etablierung neuer Beziehungen zwischen ehemaligen Kolonialmächten und ehemaligen Kolonien als ein wichtiges Element der Entkolonialisierung betrachtet. Sieht man aber die Entkolonialisierung lediglich unter dem Aspekt der völkerrechtlichen Anerkennung der Kolonien als souveräne Staaten, so deutet das darauf hin, daß die neuen Beziehungen, zwischen Kolonialmacht und Kolonien gegenüber der politischen Gestaltung der neu entstandenen Staaten eine untergeordnete Rolle spielen müssen. Das heißt, daß eine Entkolonialisierung die gesamte Entwicklung des Landes innerhalb oder außerhalb der Interessensphäre der ehemaligen Kolonialmacht zunächst absichern muß.

In der Tat verstanden viele Afrikaner die Entkolonialisierung anders als sie Albertini definiert. So schrieb der heutige Außenminister Madagaskars, Jacques Rabemananjara, im Jahre 1958 dazu: „Die Entkolonialisierung hat dann einen Wert, wenn die Handlungen, die sie vollzieht, und die Institutionen, die sie bestimmt, sowohl mit der radikalen Umwandlung der anachronistischen Strukturen als auch mit der Verwandlung der Mentalität übereinstimmen, die eine Zeitlang das System selber belebt haben." So betrachtet, bedeutet die Entkolonialisierung sowohl institutioneile Umwälzung wie individuelle Emanzipation. Nkrumah meint eben dies, wenn er lapidar feststellt: „Der Übergang vom Kolonialismus zur echten Unabhängigkeit ist eine revolutionäre Tat" wobei er allerdings impliziert, daß es scheinbare Unabhängigkeit gibt. Der Algerier Frantz Fanon hat die Entkolonialisierung am prägnantesten charakterisiert, wenn er ausführt: „Die Entkolonialisierung ist immer ein Phänomen der Gewalt . . . , ein Programm absoluter Umwälzung . . . , die Entkolonialisierung ist wahrhaft eine Schöpfung neuer Menschen..." Für Fanon, aber auch für die anderen, steckt in dem Begriff Entkolonialisierung die vollständige Infragestellung der kolonialen Situation. Dieses Selbstverständnis der Entkolonialisierung beruht auf einer Erkenntnis, die Albertini wie folgt beschreibt: „Europa hat nicht aus freiem Entschluß dekolonisiert . . . , sondern es wurde durch den zunehmenden Widerstand der kolonialen Bevölkerung dazu herausgefordert."

Zehn Jahre, nachdem die meisten Kolonien in Westund Zentralafrika souveräne Staaten geworden sind, muß aufs neue die Frage gestellt werden, ob die Entkolonialisierung so verlaufen ist, wie sie vielen Afrikanern vorschwebte oder aber wie sie den Kolonialmächten und ihren Verbündeten wünschenswert erschien. Dazu soll die Rolle des Nationalismus der afrikanischen Staaten näher betrachtet werden; insbesondere soll danach gefragt werden, ob der Nationalismus als antikolonialer Faktor die Konzeptionen der Kolonialmächte in den verschiedenen Phasen des Dekolonisations-Prozesses zu neuen Formulierungen zwang. Darüber hinaus soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob dieser Nationalismus bis zuletzt die Entkolonialisierung als den Abschluß der kolonialen Ausbeutung in ihrer ökonomischen und politischen Wirklichkeit verfolgte und heute noch verfolgt. Von dieser Perspektive aus muß auch der Sozialismus als Dekolonisationserscheinung kurz skizziert werden. Damit kann zugleich eine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob die verschiedenen Erscheinungsformen des Sozialismus in West-und Zentralafrika den antikolonialen Nationalismus und damit den Prozeß der Entkolonialisierung genau reflektieren.

II. Der Nationalismus

George H. T. Kimble hat den afrikanischen Nationalismus folgendermaßen beschrieben: „Der afrikanische Nationalismus ist das, was afrikanische Nationalisten wollen . . . ; und afri-kanische Nationalisten sind diejenigen, die für sich das Recht in Anspruch nehmen, zu regieren, in der von ihnen selbst gewählten Art und Weise regiert zu werden und sich mit allen ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln denjenigen zu widersetzen, die ihnen dieses Recht vorenthailen wollen." Diese Definition ist vieldeutig, denn sie beinhaltet nicht nur die machtpolitischen Kämpfe innerhalb eines afrikanischen Landes, sondern impliziert auch die Möglichkeit, daß eine Minderheit, z. B. weiße Siedler in Rhodesien, sowohl gegen die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung als auch äußerlich gegen die Kolonialmacht dieses Recht des Regierens in Anspruch nehmen kann. Thomas Hodgkin geht bei einer Definition des afrikanischen Nationalismus von den nationalistischen Bewegungen aus. Er versteht darunter „jede Organisation oder Gruppe, die ausdrücklich die Rechte, Ansprüche und Wünsche einer gegebenen afrikanischen Gesellschaft . . . gegen eine europäische Macht behauptet, was auch immer ihre konstitutionelle Form und Ziele sein mögen" In diesem Sinne bedeutet der Nationalismus die Herausforderung an die afrikanische Bevölkerung, die Herrschaftsverhältnisse, wie sie unter der Kolonialmacht bestanden, in Frage zu stellen, zu bekämpfen und zugunsten der ehemaligen Kolonien zu verwandeln.

Ein Nationalismus, der aus dem Prozeß der Entkolonialisierung hervorgeht und sich so versteht, sieht die Entkolonialisierung als ausschließlich auf eine Veränderung der Herrschaftsverhältnisse bezogen. Dieses Selbstverständnis deckt sich also mit der eingangs zitierten Definition Albertinis. Es soll daher die Behauptung aufgestellt werden, daß die meisten afrikanischen Politiker den antikolonialen Nationalismus und darüber hinaus die Entkolonialisierung im Sinne der Feststellung Albertinis, und das heißt praktisch im Widerspruch zu ihrer theoretischen Analyse, auffaßten und zehn Jahre nach der Unabhängigkeit der meisten Kolonien Westund Zentralafrikas keinen Schritt weitergekommen sind.

In den Anfängen erscheint der antikoloniale Nationalismus als eine Reaktion auf den Glauben der Kolonialmächte an die Überlegenheit der weißen (europäischen) Rasse und auf das daraus entstandene Postulat der Unfähigkeit und Unzulänglichkeit fremdrassischer Völker, sich selbständig zu entwickeln. Margery Perham hat diese Einstellung der Kolonialmächte folgendermaßen zusammengefaßt: „Die europäischen Beherrscher Afrikas . . . waren der festen Überzeugung, daß die Eingeborenen nicht allein in ihrer Entwicklung nahezu unermeßlich weit hinter ihnen selbst zurückgeblieben waren, sondern als Rasse grundsätzlich und für ewige Zeiten inferiorer Natur seien." Eine Analyse der Beziehungen zwischen Kolonialmacht und kolonisierter Bevölkerung bestätigt nicht nur diese Aussage, sondern bekräftigt die Feststellung Frantz Fanons, daß der kolonisierte Mensch auf die Stufe eines Tieres herabgesetzt worden sei

Der antikoloniale Nationalismus findet seinen Ausdruck zunächst in religiösen und kulturellen Bewegungen. Vittorio Lanternari schreibt in diesem Zusammenhang: „Eine kulturelle Tradition, reif durch Erfahrungen von Armut und Unterdrückung aller Arten, bringt sie (diese einheimischen Kulturen, d. Vers.) dazu, gegen die Unterdrückung, die Furcht und die Frustration eher im religiösen und sogar früher als im organisatorisch-politischen Bereich Widerstand zu leisten." Die religiösen Bewegungen, insbesondere die messianischen Kirchen und die Mahdibewegungen, tragen zwar einen restaurativen und reformistischen Charakter in ihrem Kampf gegen die gesamte Kolonialpolitik und gegen die christlichen Kirchen, die sie mit Recht als „Kirchen der Weißen" wegen ihrer Affinität mit der Kolonialmacht apostrophiert haben bezeichnend ist aber ihre Entschlossenheit, sich gegen den durch die Kolonisation in Gang gebrachten Auflösungsprozeß der traditionellen sozialen Strukturen und den damit verbundenen Akkulturationsprozeß zu wenden. Der Kampf gegen die christliche Kirche bedeutet von diesem Gesichtspunkt her Kampf gegen die Kolonialherrschaft. Mit Lanternari kann man also sagen, daß diese religiösen Bewegungen das Terrain für nationale Befreiungsbewegungen vorbereitet haben.

Eine ähnliche Rolle spielen die kulturellen Bewegungen. Eine ihrer bekanntesten Ausdrucksformen wird mit dem von Aime Cesaire und Leopold Sedar Senghor geprägten Wort „Negritude" bezeichnet. Das Ziel dieser kulturellen Bewegung mit politischen Zielen war, die kulturellen Errungenschaften der Periode vor der kolonialen Unterwerfung Afrikas gegen die Behauptung von einem kul-tur-und geschichtslosen Afrika zu verteidigen und vor der Assimilationsgefahr zu schützen, die „afrikanische Persönlichkeit" zu rehabili-tieren und zugleich die „kulturelle Einheit Afrikas" zu unterstreichen. Die Negritude wollte also letztlich erreichen, daß die Kolonialmacht die kulturelle Vergangenheit und dadurch die Gegenwart Afrikas anerkennt. Bei dem Versuch, die Verhangenheit Afrikas neu zu entdecken, hat die Negritude zweifellos zum Selbstvertrauen Afrikas und zum antikolonialen Nationalismus beigetragen. Trotz allem Eifer waren jedoch mit dem Ziel, die afrikanischen Kulturen in der Einschätzung der Kolonialmächte aufzuwerten, die Grenzen der Negritude bereits bestimmt. Denn als es darum ging, den politischen Kampf effektiv zu unterstützen, vermochte die Negritude diese Aufgabe nicht zu leisten. Aus diesem Grund hat sie heute einen reaktionären Charakter angenommen und ist somit unter anderem zum Geburtshelfer der Francophonie geworden.

Man kann also zusammenfassend behaupten, daß bis zum Zweiten Weltkrieg sowohl die religiösen als auch die kulturellen Bewegungen der einzige ernsthafte Ausdruck des antikolonialen Nationalismus in Westund Zentralafrika sind. Kennzeichnend für diese Bewegungen ist, daß sie über die kolonialen Grenzen hinaus operieren und sogar — im Falle der Negritude — über den afrikanischen Kontinent hinweg.

Albertini hat die englische Kolonialpolitik nach 1945, insbesondere während der Zeit der Labour-Regierung, als eine Politik des , challenge and response'charakterisiert: „Wo . . . die Emanzipationsbewegungen noch schwach waren und die Administration nicht unter Druck setzen konnten, blieben die Reformen der Labour-Regierung in bescheidenem Rahmen." Und an einer anderen Stelle: „Die Reformen nach 1945 erfolgten stets als Antwort auf den Widerstand und den Druck, die von der nationalen Opposition ausgingen." Man muß jedoch darauf aufmerksam machen, daß diese nationale Opposition — sei es aus taktischen Gründen wie bei Nkrumah, sei es aus Überzeugung wie bei Senghor und Houphouet-Boigny — stets den politischen Rahmen übernahm, den die Kolonialmächte lieferten. Das heißt, erst wenn die erklärten Ziele der Kolonialmacht in bezug auf ihre Entkolonialisierungspolitik nicht verfolgt werden konnten — da sie die Kolonialherrschaft in Frage gestellt hätten —, erst dann vermochte der antikoloniale Nationalismus sich diese Ziele zu eigen zu machen und darüber hinaus höhere Forderungen zu stellen. Beide Schritte endeten aber stets mit Kompromissen. Der antikoloniale Nationalismus setzte also immer einen Schritt zu spät ein, er konnte zwar Kompromisse erreichen, 1 übernahm jedoch nicht die Initiative. Langfristig bedeutete diese Taktik, daß der Nationalismus das Spiel der Entkolonialisierungspolitik der Kolonialmächte mitspielte. Diese Entwicklung ist besonders bis zum Jahre 1950 deutlich zu erkennen. Wie noch zu zeigen sein wird, sind die Bewegungen des antikolonialen Nationalismus in den Kolonien unter französischer Herrschaft davon mehr geprägt worden als jene unter englischer Herrschaft. Mit dieser Unterscheidung soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß die Politik der Kolonialmächte den Prozeß des antikolonialen Nationalismus auch geprägt hat.

Die Französische Kolonialpolitik Drei Etappen kennzeichnen die Entwicklung in den Kolonien unter der französischen Kolonialherrschaft: 1. die Haltung der politischen Führungsschicht zur Assimilationspolitik Frankreichs, 2. die , Bekehrung'der Demokratischen Afrikanischen Sammlungspartei (RDA) im Jahre 1950/51 und 3. die Haltung der nationalistischen Bewegungen zur Frage der Bildung einer französischen Gemeinschaft.

Die Betrachtung dieser drei Etappen läßt die Behauptung zu, daß bis in die fünfziger Jahre hinein die Tätigkeit des antikolonialen Nationalismus in den Kolonien West-und Zentral-afrikas unter französischer Kolonialherrschaft die Tätigkeit einer mehr oder weniger europäisierten kleinen afrikanischen Schicht und der traditionellen politischen Führungsschicht gewesen ist, welche die Forderung nach ihrer Anerkennung innerhalb des von Frankreich gegebenen Rahmens zu erfüllen suchten.

Diese Entwicklung ist zum größten Teil durch den Grundsatz der Kolonialpolitik Frankreichs, die Assimilation, verursacht und begünstigt worden. Die Integration ist ihr Ziel, und das bedeutet in diesem Zusammenhang die angebliche Aufnahme der kolonisierten Völker in die französische Kulturgemeinschaft, nachdem diese Völker auf ihre eigenständige Identität verzichtet haben. Schon früh erkennt aber Frankreich selbst, daß diese Politik irreal ist. Es geht dann zu der Politik der Assoziation über, die nun den Unterschied zwischen französischen Bürgern und französischen Unterta-nen macht. Die Masse der kolonisierten Bevölkerung gehört zu der letzten Kategorie, während die traditionelle und die europäisierte, aufsteigende politische Führungsschicht zur Kategorie der französischen Bürger zählt und damit durch Naturalisation der Integration unterworfen ist. Gerade der fortschrittlichste Teil dieser Schicht, die Intellektuellen, setzen alles ein, damit ihnen Gleichberechtigung und gleiche Behandlung innerhalb der plus grande France'gewährt werden Diese Haltung der Intellektuellen hat Fanon später zu dem vernichtenden Urteil veranlaßt: „Der kolonisierte Intellektuelle läßt seine Aggressivität dem kaum verhüllten Willen zugute kommen, sich der kolonialen Welt anzupassen. Er stellt seine Aggressivität in den Dienst seiner eigenen, seiner individuellen Interessen. So entsteht leicht eine Art Klasse von individuell befreiten Sklaven, von Freigelassenen. Was der Intellektuelle fordert, ist die Möglichkeit, die Freigelassenen zu vermehren, die Möglichkeit, eine authentische Klasse von Freigelassenen zu organisieren."

Die französische Kolonialmacht verhält sich entgegenkommend. Die angepaßte, intellektuelle Schicht wird stärker in die koloniale Administration ausgenommen. Sie erhält persönliche Vorteile und Rechte. Der Preis dafür ist aber, „auf nationales Bewußtsein — außerhalb des französischen — und auf Unabhängigkeitsforderungen als eine pure absurdite'zu verzichten" Das Ziel dieser Politik ist also, die politische Emanzipation dieser Schicht zu verzögern und damit einen antikolonialen Nationalismus zu verhindern. Das bedeutet aber, daß die ökonomische Ausbeutung der Kolonien von dieser politischen Schicht legitimiert werden sollte.

Die Politik Frankreichs hat jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg bei dieser Schicht, deren Streben nach Gleichheit unerfüllt blieb, Ernüchterung und Erbitterung hervorgerufen; und wenn man Mannoni Glauben schenken darf, so ist die Belebung des antikolonialen Nationalismus lediglich der Ausdruck dieser Enttäuschung gewesen. Der Hinweis auf diese psychologische Ursache kann jedoch nur eine Teilantwort liefern. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang die Tatsachen, daß die Schwäche Frankreichs nie zuvor so offenkundig war, daß die neuen aufsteigenden Mächte, die UdSSR und die USA, aus unterschiedlichen Motiven eine betont antikoloniale Haltung zeigten und damit den antikolonialen Nationalismus ermutigten, und daß die Situation in Indochina ein Prestigeverlust für Frankreich bedeutete und Auswirkungen innerhalb seines Machtbereiches zeitigte. Die Konferenz von Brazzaville konnte diesen Prozeß kaum noch bremsen. 1946 gründeten Vertreter der afrikanischen politischen Führungsschicht unter der Führung von Houphouet-Boigny eine Partei, die RDA, die Massencharakter haben sollte. Hier aber tritt die Ambivalenz zutage, die bis in die sechziger Jahre hinein ein Kennzeichen der afrikanischen Entwicklung blieb: Auf der einen Seite stand die Parteiführung, die den von der Kolonialmacht gegebenen politischen Rahmen lediglich erweitern will, auf der anderen Seite befand sich die Masse der Bevölkerung, die eine grundsätzliche Ablehnung der Entkolonialisierungspolitik Frankreichs erwartete. In den fünfziger Jahren waren deshalb Reformen, die lediglich die politische Führungsschicht befriedigen sollten, zum Scheitern verurteilt, denn „die Politik hörte . . . auf, Sache einer Minderheit zu sein, um zu einer mit Leidenschaft getragenen Volksbewegung zu werden, deren Aktionsfeld unendlich viel breiter als früher war . . ., und dieser Druck, der vom Volk ausging . . ., hinderte die Führer, sich mit einer Politik des Attentismus zu begnügen und sich auf Kosten des Volkes zu bereichern"

Frankreich hat seinerseits alles eingesetzt, um den antikolonialen Nationalismus des Volkes von der Führungsschicht fernzuhalten. Die Entwicklung der RDA bestätigt diese Feststellung. Die RDA, die sich nach den Worten ihres damaligen Vorsitzenden Houphouet-Boigny nur aus taktischen Gründen mit der Kommunistischen Partei Frankreichs verbündet hatte war es bis 1950 gelungen, die Entkolonialisierungspolitik Frankreichs durch wirtschaftliche und soziale Forderungen zu beschleunigen. Bereits 1948 wurde die Partei als Gefahr für die französische Kolonialpolitik angesehen. 1949 kam es zu ersten ernsten Zusammenstößen. 1950 machte die politische Parteiführung unter Houphouet-Boigny dann einen Rückzug, um neue Konfrontationen zu vermeiden Sie akzeptierte eine allmähliche Entkolonialisierung im Sinne der Union Franaise, worauf ihr später vorgeworfen wurde, mit diesem Schritt die Sache Afrikas verraten zu haben

Die englische Kolonialpolitik Der Idee einer plus grande France', einer , France une et indivisible’ steht die Idee des Commonwealth gegenüber für die Kolonien unter englischer Herrschaft. Während die Assoziation, die Assimilation und die Integration die Politik Frankreichs bestimmen, versteht sich Großbritannien als Sachwalter seines Imperiums und wendet das Prinzip eines aufgeklärten Rassismus an. Auf der Verwaltungsebene wird die indirect rule'mehr oder weniger streng ausgeübt, was Großbritannien ermöglicht, mit wenig Verwaltungskosten ein Höchstmaß an Effektivität zu erzielen. Dieses System basiert auf der Bereitschaft der traditionellen Führungsschicht, für England an der Macht zu bleiben, und zwar in einem Protektoratsverhältnis: „Es gibt nicht zwei Kategorien von Richtlinien — die britischen und die die der Eingeborenen—, die entweder getrennt oder in Kooperation miteinander arbeiten, sondern eine einzige Verwaltung." Die traditionelle Führungsschicht wird zu Angestellten, zu Agenten der Kolonialherrschaft — eine Rolle, die auch in den Kolonien unter französischer Herrschaft von den Intellektuellen übernommen wurde.

Die Schicht der Intellektuellen bleibt aber in Kolonien unter englischer Herrschaft bis in die fünfziger Jahre hinein von administrativer Verantwortung fern. Diese Situation führt zum Anwachsen der Spannungen zwischen der neuen Schicht auf der einen und der traditionellen Führungsschicht und England auf der anderen Seite Zwei Faktoren haben diese Spannung begünstigt: a) die enge Beziehung zwischen den Intellektuellen und den Amerikanern afrikanischer Herkunft im Rahmen der panafrikanischen Bewegung und b) die Auswirkung der Befreiungsbewegungen auf das Commonwealth

Die britische Politik, die Veränderungen innerhalb des Commonwealth und die Beziehungen zu dem Kampf der Amerikaner afrikanischer Herkunft gegen Rassismus und Ausbeutung haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Intellektuellen und die neu aufsteigende Schicht von Händlern und Freiberuflichen den antikolonialen Nationalismus in die Form von nationalistischen Bewegungen umsetzten. Zwar wünschte noch ein Teil von ihnen in den zwanziger Jahren zögernd einen „aktiven und angemessenen Anteil an dem Schicksal ihres Landes" Im Jahre 1938 lehnen sie aber schon die offizielle britische Entkolonialisierungspolitik ab, wie sich dies in der „Charta of the Nigerian Youth Movement" gegen die „indirect rule" manifestiert. 1944 setzt sich Nnamdi Azikiwe für das self-government ein und bekräftigt seine Entschlossenheit, die Autonomie zu erhalten. Im Oktober 1945 verabschieden die Teilnehmer des 5. panafrikanischen Kongresses in Manchester eine Resolution, die Forderungen nach Autonomie und Unabhängigkeit beinhaltet: „Wir sind entschlossen, die Freiheit zu verlangen; sollte die westliche Welt weiterhin mit Gewalt die Menschheit beherrschen, dann werden sich die Afrikaner vielleicht letzten Endes gezwungen sehen, Gewalt anzuwenden, um ihre Freiheit zu gewinnen."

Die Forderungen sind allgemein gestellt, man zögert noch bei der Wahl der Mittel. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, daß diese Forderungen gestellt wurden, denn dies bedeutete offenen Konflikt. Die aufsteigende Führungsschicht definierte ihre Position dem Anschein nach außerhalb der Entkolonialisierungspolitik der englischen Kolonialmacht und zugleich sagte sie derjenigen afrikanischen Schicht den Kampf an, die ihre Interessen mit denen der Kolonialmacht verbunden hatte.

Die erste konkrete Gelegenheit, diesen Weg zu betreten, bestand in der Ernennung Kwame Nkrumahs im Jahre 1947 zum Generalsekretär der United Gold Coast Convention (UGCC). Nkrumah setzte sich dafür ein, daß die UGCC — bisher hauptsächlich von den wohlhabenden Schichten getragen — zu einer Massenpartei reformiert wurde. Er setzte sich weiterhin für die Politik der „direct action" ein, die über gewaltlose Demonstrationen die Entkolonialisierung beschleunigen sollte. Er unterstützte Streikbewegungen und organisierte den passiven Widerstand. Seine antikoloniale Aktivität führte zu einem Bruch zwischen ihm und den anderen Mitgliedern der Parteiführung, so daß 1949 eine neue Partei, die Convention People Party, unter seiner Führung gegründet wurde. Diese Partei sollte nach seinem Willen ein Beispiel für die Befreiungsbewegungen Afrikas werden. Nkrumah verlangte den vollen Dominionstatus und ließ erkennen, daß er eine Politik zur Unabhängigkeit mit vielen Stufen ablehnte. Zwei Jahre später war der Weg zum Responsible Government'frei, was nach Albertini mehr bedeutete „als Dominionstatus, da es die Dekolonisation nicht an ein Verbleiben im Commonwealth knüpfte und die Möglichkeit der Unabhängigkeit oder einer Sonderregelung offen ließ"

Jedoch zeigt auch die Entwicklung in Ghana, daß sich der antikoloniale Nationalismus unter der englischen Kolonialherrschaft nur in dem von Großbritannien aufgezeigten politischen Rahmen auszudrücken vermochte. Bereits jetzt war zu erkennen, daß es nur noch darum ging, die Entkolonialisierung politisch zu beschleunigen, während die ökonomische Entkolonialisierung, die eigentliche Entkolonialisierung also, bis in die nachkoloniale Zeit verschoben wurde. Wenn also zwischen 1951 und 1960 von Entkolonialisierung gesprochen wurde, so wurde dabei in erster Linie an die politische und verwaltungstechnische Entkolonialisierung gedacht.

England hat als erste Kolonialmacht die verfassungsmäßige Konsequenz aus dieser Situation gezogen. Ghana wurde als erste westafrikanische Kolonie 1957 unabhängig. Nkrumah schrieb dazu sechs Jahre später: „Obwohl Ghana die sogenannte . volle Unabhängigkeit'am 6. März 1957 erlangte, gab es in der uns aufgezwungenen Verfassung gewisse Bestimmungen, die die Ausübung unserer Freiheit verhinderten. Sie bedeuteten eine Mißachtung unserer Souveränität und eine Fessel für unsere ungehinderte Entwicklung."

Frankreich hat von der . Union Franaise über das Loi-Cadre’ bis zur . Communaute'versucht, die ökonomische Grundlage des Kolonialsystems trotz der politischen Forderungen der nationalistischen Bewegungen zu retten. Seit 1960 konnte Frankreich durch zahlreiche bilaterale Verträge, durch die OCAM und durch ähnliche Organisationen seine politische, ökonomische und militärische Präsenz sichern, was sich in seinen militärischen Interventionen in Gabun und im Tschad nachweisen läßt. Das gleiche gilt für England, wenn man das nigerianische Drama heute analysiert.

Nach diesem Überblick kann man die Rolle des antikolonialen Nationalismus folgendermaßen charakterisieren: Der antikoloniale Nationalismus hat die politischen Konzeptionen der Kolonialmächte in den verschiedenen Phasen der Entkolonialisierung beeinflußt, wobei die internationale Lage nicht vergessen werden darf. Insbesondere hat er aber dazu beigetragen, den Zeitpunkt für die Beendigung der. politischen Kolonialherrschaft vorzuverlegen. Schließlich vermochte er die Bevölkerung der Kolonien in ihrem Kampf gegen die Kolonialherrschaft zusammenzuhalten.

Der antikoloniale Nationalismus hat aber weder die ökonomischen Strukturen der Kolonien, worauf die koloniale Ausbeutung basierte, in Frage stellen noch in diesem Bereich Konzessionen erhalten können. Der antikoloniale Nationalismus hatte außerdem weder eine Konsequenz aus den durch die Kolonialherrschaft aufgetretenen Deformationen der afrikanischen Gesellschaften gezogen noch dazu beigetragen, die ökonomische Entwicklung in eine für die Wirtschaftsentwicklung Afrikas vorteilhafte Richtung zu lenken. Statt dessen war sie seit den fünfziger Jahren — gemäß der Entkolonialisierungspolitik der Kolonialmächte — dazu übergegangen, die Kolonialherrschaft nur noch in ihren politischen Implikationen bzw. in ihrer verwaltungstechnischen Erscheinung zu begreifen. Durch den damit eingeschlagenen Weg wurden die tatsächlichen Probleme des Kolonialsystems verkannt. Der antikoloniale Nationalismus war daher unfähig, auf eine ökonomische Entkolonialisierung hinzuarbeiten, was man nach der politischen Unabhängigkeit mit dem Begriff Sozialismus zu verdecken begann. Der Sozialismus, insbesondere der afrikanische Sozialismus, sollte also eine Lücke ausfüllen, die der antikoloniale Nationalismus in seinem politischen Kampf offengelassen hatte.

III. Die Rezeption des Sozialismus

Die Rezeption des Sozialismus in West-und Zentralafrika ist oberflächlich gesehen die Folge der Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus auf der einen und der Distanzierung zu der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf der anderen Seite. In Wirklichkeit aber geht es um ein völlig anderes Problem. Seit der Beendigung der politischen Kolonialherrschaft sehen sich die Staaten Afrikas mit folgenden Problemen konfrontiert: den Monokulturen als Folge der kolonialkapitalistischen Wirtschaft; der scheinbar unüberwindbaren Kluft zwischen einer hochindustrialisierten Wirtschaft in den Städten und einer zurückgebliebenen Landwirtschaft; den unproportionalen Entwicklungsstadien innerhalb der ländlichen Regionen; dem chronischen Mangel an einheimischem Kapital als Folge der Kredit-politik unter der Kolonialherrschaft und dem Bedarf an Investitionen. Die Folgen der ökonomischen Ausbeutung sind also der Grund, weshalb nach dem Sozialismus gerufen wird.

Wenn Nkrumah in bezug auf Ghana zu dem Schluß kommt: „Aufgrund des Erbes des Imperialismus und des Kolonialismus ist der Sozialismus das einzige System, das Ghana ermöglichen kann, sich zu entwickeln" so kann er mit der Zustimmung der meisten afrikanischen Staaten rechnen. Trotzdem mußte Nkrumah 1964 konstatieren: „Der Sozialismus im heutigen Afrika neigt dazu, seinen objektiven Inhalt zugunsten einer irreführenden Terminologie und einer allgemeinen Verwirrung zu verlieren . . . Die Diskussion bezieht sich vielmehr auf die verschiedenen denkbaren Typen des Sozialismus als auf das Bedürfnis einer sozialistischen Entwicklung." Die Ursache hierfür ist offensichtlich: Es geht den afrikanischen Staaten weniger um den Sozialismus als vielmehr um die Industrialisierung und von diesem Gesichtspunkt aus um die Modernisierung. Am deutlichsten hat George Padmore diesen Zusammenhang analysiert.

Das ehemalige Mitglied der Kommunistischen Internationale und spätere Berater Nkrumahs, George Padmore, war 1934 aus der KPdSU ausgetreten, weil nach seiner Meinung die kommunistischen Parteien den Panafrikanismus eines „kleinbürgerlichen Nationalismus" bezichtigt hatten. Wichtig ist allerdings, daß Padmore einen militanten Antikommunismus entwickelte, der in seinem Buch „Panafricanism or Communism?" kulminierte. In diesem Buch legt Padmore dar, daß der beste Weg für Afrika der demokratische Sozialismus sei. Nach ihm sollen die wichtigsten Schlüsselbereiche der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle gebracht werden. Padmore verteidigt das Privateigentum und die Privatinitiative in dem übrigen Sektoren und wirbt um die Unterstützung des Auslandes, insbesondere der USA. Wenn Padmore jedoch von Sozialismus spricht, so meint er im Grunde die Sozialdemokratie. Im übrigen geht es ihm in erster Linie um die Modernisierung Afrikas.

Die Mehrheit der afrikanischen Staaten hat sich aber zum afrikanischem Sozialismus bekannt, von dem Ives Benot mit Recht sagt: „Für die afrikanische Bourgeoisie ist der afrikanische Sozialismus eine beruhigende Theorie. Er bedeutet, daß alles beim alten bleibt. Er tröstet den Patrioten lediglich über die konkret vorhandenen Schwierigkeiten hinweg; er appelliert an den nationalen Stolz, der jedem zugänglich ist, ich meine denjenigen, der keine effektiven Opfer verlangt oder Kräfte erfordert."

Leopold Sedar Senghor ist einer der profiliertesten Verteidiger des afrikanischen Sozialismus, den er als „lyrisch, existential und negroafrikanisch" bezeichnet. Seine theoretischen Ausführungen über den Sozialismus sind eine Mischung von Pierre Teilhard de Chardin und französischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts. Außerdem bleibt Senghor seiner Negritude-Vorstellung verhaftet. Senghor lehnt den Marxismus und die sozialistische Wirtschaftsweise entschieden ab und gibt an, die kapitalistische genauso abzulehnen. Er befürwortet deshalb den afrikanischen Sozialismus, weil er der Ausdruck eines Sozialismus sei, den man angeblich im vorkolonialen Afrika überall finden konnte. Es gehe im Grunde nur darum, diesen Sozialismus neu zu beleben und zu praktizieren. Wie allerdings dieser Sozialismus in der Wirtschaftsentwicklung des unabhängigen Afrika aussehen soll, wird nicht gesagt. Es steht nur fest, daß grundsätzliche Veränderungen abgelehnt werden. Da nun die Wirtschaft von der ehemaligen Kolonialmacht beherrscht wird, bedeutet dies die Aufrechterhaltung der bestehenden Wirtschaftsform. Ives Benot sagt daher mit Recht: „Der afrikanische Sozialismus Senghors ist im Grunde eine Theorie der Zusammenarbeit zwischen dem unabhängigen Afrika und der Führungsschicht westeuropäischer Staaten und führt zu demselben Resultat wie der Modernismus Padmores, mit dem er den Antikommunismus gemeinsam hat, aber ihn verbal eleganter ausdrückt."

Der afrikanische Sozialismus entpuppt sich als die Rechtfertigung der ökonomischen Kolonialausbeutung in den politisch unabhängigen Staaten West-und Zentralafrikas. Seine Funktion liegt darin, ein Gefühl der . Spezifität'bei dem Afrikaner zu erwecken, was einmal zur Entwicklung eines nationalen Stolzes beiträgt, aber auch die ökonomische Ausbeutung schmackhafter macht, indem die Industrialisierung und die Notwendigkeit der Unterstützung durch die ehemalige Kolonialmacht und ihre Verbündeten als lebensnotwendig formuliert werden. Der afrikanische Sozialismus soll die Afrikaner für den nationalen Aufbau mobilisieren, wobei diese dabei vergessen sollen, daß in ihren unabhängigen Ländern nach wie vor im ökonomischen Bereich koloniale Strukturen bestehen.

Kwame Nkrumah und Modibo Keita haben den Versuch unternommen, dem Sozialismus mit marxistisch-leninistischen Analysen in Afrika einen geeigneten Boden zu bereiten. Ihre Versuche drangen jedoch nur zögernd bis in die Wirtschaftsorganisationen hinein. Nkrumah lehnt zwar das paradiesische Bild einer traditionellen afrikanischen Gesellschaft, wie es der afrikanische Sozialismus propagiert, ab und prangert die traditionelle Gesellschaft als Hindernis der ökonomischen Entwicklung des unabhängigen Afrika an. Er sieht jedoch den Ursprung des Sozialismus im Kommunalismus, wie dieser sich in Afrika vor der kolonialen Unterwerfung geäußert haben soll. Er zieht dann die Folgerung: „In den kommunalistischen Gesellschaften ... ist der Sozialismus keine revolutionäre Lehre, sondern eine Wiederbelebung der Prinzipien des Kommunalismus in einer zeitgenössischen Sprache." Alle Vertreter des Sozialismus in West-und Zentralafrika sind sich in diesem Punkt einig. Manche von ihnen nutzen jedoch dieses Postulat aus, um die Situation nach der politischen Unabhängigkeit zu vereinfachen. Vorhandene Interessengegensätze werden nicht anerkannt. Die fundamentale Einheit des Volkes, wie sie der antikoloniale Nationalismus formuliert hatte, wird neu bekräftigt. Der Kampf zwischen „Besitzenden" und „Habenichtsen" wird nur noch global verstanden Die ökonomische Entkolonialisierung verliert dabei an Bedeutung.

IV. Zusammenfassung

Eine Analyse des antikolonialen Nationalismus und des Sozialismus macht deutlich, daß die vor zehn Jahren anscheinend abgeschlossene Entkolonialisierung Westund Zentral-afrikas eine verwaltungstechnische und gewesen ist. kann -Gewiß der antikolo niale Nationalismus auf das Erreichte stolz sein. muß daß er Jedoch festgestellt werden, damit nur Schritt Entkolonialisierung ersten zur echten hat. Daß er heute noch getan nicht zeigt die gewillt ist weiterzugehen, Rolle des Begriffes Sozialismus in Afrika, insbesondere die des afrikanischen Sozialismus. wenn die Bedeutung des Auch antikolonialen Nationalismus und des Sozialismus für den Aufbau Afrikas betont werden muß, so darf dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine Industrialisierung und Modernisierung in großem Ausmaß erst dann eintreten wird, wenn die ökonomische Entkolonialisierung vorher vorgenommen worden ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. R. v. Albertini, Dekolonisation, Köln und Opladen 1966, S. 597.

  2. Idem, a. a. O., S. 9.

  3. J. Rabemananjara, Nationalisme et Problemes malgaches, Paris 1958, S. 76.

  4. Kwame Nkrumah, Le consciencisme, Paris 1965, S. 115.

  5. Nkrumah bezieht sich in erster Linie auf die ehemaligen Kolonien unter französischer Kolonialherrschaft, Guinea ausgenommen.

  6. Frantz Fanon, Les damnes de la terre, Paris 1961, S. 29 ff.

  7. R. v. Albertini, a. a. O., S. 43.

  8. G. H. T. Kimble, Tropical Africa, Vol. II, New York 1962, S. 245 f.

  9. Th. Hodgkin, Nationalism in Colonial Africa, New York 1957, S. 23.

  10. M. Perham, Bilanz des Kolonialismus, Stuttgart 1963, S. 29.

  11. F. Fanon, a. a. O., S. 34.

  12. V. Lanternari, Les mouvements religieux des peuples opprimes, Paris 1962, S. 17 f.

  13. Idem, a. a. O., S. 14- 72.

  14. F. Fanon, a. a. O., S. 34; vgl. auch die Romane von Mongo Beti.

  15. Vgl. die Werke Senghors.

  16. R. v. Albertini, a. a. O., S. 214.

  17. Idem, a. a. O., S. 250.

  18. Vgl. Albertinis Urteil über Blaise Diaqne, S. 333 f.

  19. F. Fanon, a. a. O., S. 46,

  20. R. v. Albertini, a. a. O., S. 344.

  21. O. Mannoni, Prospero and Caliban, the Psychology of Colonization, New York 1956, S. 134 ff. (dieses Buch löste seitens afrikanischer Politiker eine Welle von Empörung aus).

  22. Rene Sedillot, Histoire des Colonisations, Paris 1958, S. 603— 604 und S. 628.

  23. B. Davidson, Les voies africaines, Paris 1965, S. 107.

  24. G. Chaffard, Les carnets secrets de la Colonisation, Paris 1965, S. 102 f.

  25. Idem, a. a. O„ S. 99— 132.

  26. Idem, a. a. O„ S. 296.

  27. B. Davidson, S. 151, Anm.

  28. Nigeria stellt ein typisches Beispiel für solche Spannungen dar.

  29. Der Panafrikanismus stammt aus Westafrika; in den USA findet er jedoch unter dem Leitwort

  30. Vgl. die nationalistischen Bewegungen Indiens.

  31. B. Davidson, a. a. O., S. 56.

  32. Idem, a. a. O„ S. 62.

  33. Vgl. die Werke Nkrumahs.

  34. R. v. Albertini, a. a. O„ S. 257.

  35. K. Nkrumah, Afrika muß eins werden, Leipzig 1965, S. 108.

  36. Zitiert bei Osend Afana, l'Economie de l'Ouest-Africain, Paris 1966, S. 204.

  37. K. Nkrumah, Le consciencisme, a. a. O., S. 115.

  38. Ives Benot, Ideologies des independances afri-caines, Paris 1969, S. 171— 173. Benot ist Lehrer am Ghana Institute of Languages in Accra. Als Journalist schreibt er für La Pensee und Democratie Nouvelle.

  39. Idem, a. a. O„ S 191 f.

  40. Bei O. Afana, a. a. O., S. 202.

  41. I. Benot, a. a. O., S. 177.

  42. K. Nkrumah, a. a. O., S. 115.

  43. Vgl. die Argumente zur Verteidigung des Einparteiensystems z. B. bei Nkrumah, a. a. O., S. 152.

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Patrice Mandeng, Dipl. -Sozialwirt, Doktorand an der Universität Göttingen bei Prof. Dr. B. Seidel, Seminar für politische Wissenschaft, geb. 22. Mai 1940 in Duala (Kamerun).