Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Friedenspädagogik als Problem politischer Bildung | APuZ 15/1970 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 15/1970 Friedenspädagogik als Problem politischer Bildung

Friedenspädagogik als Problem politischer Bildung

Hans-Günther Assel

/ 130 Minuten zu lesen

I. Das Novum in der gegenwärtigen Weltpolitik

Krieg und Frieden beherrschten mit ihrem Wechselspiel die Jahrhunderte abendländischer Geschichte. Krieg und Frieden erwiesen sich auch als typischer Charakterzug des pluralistischen Staatensystemes. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich Tendenzen bemerkbar, welche die so selbstverständliche Polarität in Frage stellten, weil nicht mehr rückgängig zu machende technologische Prozesse eintraten, die das Bild der Weltpolitik von Grund her umgestalteten. Noch im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmte das „Konzert der Mächte" die Grundlinien der Weltpolitik. Der Außenpolitik fiel im Zeitalter der Pentarchie, der Hexarchie und des Achtmächtesystems der Primat zu. Mit Hilfe geschickter politischer Kombinationen bildeten sich im System Koalitionen, welche ihr Gewicht gegen jene Mächte ausspielten, die nach Hegemonialstellungen strebten. Die Gleichgewichtspolitik war das Mittel der beteiligten Hauptmächte, sich die Freiheit zu erhalten. Niemals stellte sich das Problem der absoluten Stärke und nie stand die physische Auslöschung der Staaten zur Debatte. Die Zerstörungskraft war begrenzt und die Frage einer Overkill-Fähigkeit trat überhaupt nicht in Erscheinung

Doch die traditionelle Gleichgewichtspolitik hörte nach dem Zweiten Weltkrieg auf zu existieren. Mit der Erfindung der Atomwaffen zeichnete sich zum erstenmal in der Geschichte die Gefahr ab, die menschlichen Kulturleistungen zu vernichten, weil die Zerstörungskapazitäten immer größer wurden. Nie zuvor hatten sich Politiker mit dem Problem der Selbstauslöschung beschäftigt. Doch jetzt tauchte es mit der fortschreitenden technologischen Entwicklung auf. Zwar betraf das Problem nur die beiden Supermächte, denn nur sie entwickelten ein absolutes Zerstörungspotential. Die Bedrohung für den Weltfrieden beruhte auf dem weltpolitischen Gegensatz, der sich nach der Niederlage des Faschismus zwischen den beiden Hauptmächten herausbildete. Die Erde wurde in zwei große Blöcke eingeteilt, die sich mit unterschiedlichen Ideologien bekämpften, wobei jede Seite versuchte, der anderen ihr Konzept aufzudrängen. Die demokratische Ordnungsvorstellung konkurrierte mit der kommunistischen. Man stellte die übrigen Nationen vor die Alternative, sich für den Osten oder für den Westen zu entscheiden, so daß ideologische Frontlinien die Welt in die beiden großen Lager teilte.

Doch das ideologische und soziale Moment bildet nicht das Novum, von dem hier zu sprechen ist und das unserer Gegenwart den Stempel aufdrückt, denn die polare Zweiteilung der Welt hatte schon mit dem Jahre 1917 begonnen: mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg und mit dem Ausbruch der russischen Oktoberrevolution. Das ideologische Moment bestimmte die Zäsur von 1917, denn nun wurden die Konflikte nicht mehr mit nationalen Argumenten begründet, sondern sie brachen aus sozialen Gegensätzen hervor, die über die nationalen Grenzen hinwegreichten. Die ideologischen Frontlinien sind heute nicht mehr das Charakteristische. Am Ende des Ersten Weltkrieges zeichnete sich bereits ein Doppeltes ab: die polare Zweiteilung und die globale Einheit, die durch den Völkerbund repräsentiert wurde.

Hans Rothfels hat diesen Gedanken knapp und treffend formuliert: „Schon 1918 ist im Grunde die Antithese Washington—Moskau eine sehr reale gewesen. Sie tritt zurück in den 20er und 30er Jahren, als Demokratie, Faschismus und Kommunismus gleichsam im Dreieck nebeneinander bestehen, in mannigfachem Gegen-und Zusammenspiel, bis sie seit 1945 sich wieder herauszuarbeiten beginnt." Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der starre Ost-West-Konflikt durch, der die weltpolitische Struktur der gegnerischen Bipolarität voll in Erscheinung treten ließ. Die Unlösbar-flikt mit allen Belurchtungen ausbildete, induzierte den technologischen Rüstungswettlauf, der schließlich im atomaren Patt zunächst endete

Die Entwicklung der Nuklearwaffen und die Fortschritte in der Raketentechnik veränderten das strategische Denken grundlegend, denn beide Supermächte bauten ihr Zerstörungspotential so aus, daß der Nuklearkrieg als Mittel der Konfliktschlichtung heute sinnlos wird. Da es bei solchen Auseinandersetzungen nicht mehr Sieger und Besiegte geben kann, weil auch der „Sieger" mit hohen Verlusten zu rechnen hat, wird ein zivilisiertes Leben fraglich. Die gewaltsame Konfliktschlichtung in dieser Form läßt nur noch die Möglichkeit eines verstümmelten, lebensunwerten und barbarischen Lebens offen.

Was die Kriege als letztes Mittel bisher nie vermochten: Totalzerstörung und Vernichtung des Kontrahenten, muß heute als Realität mit einkalkuliert werden. Die Möglichkeit einer Selbstauslöschung der Menschheit ist also gegeben. Das ist das Novum, dem wir uns im Zeitalter gegenseitiger Abschreckung gegenübersehen. Die technologische Komponente, real ausgedrückt in den ABC-Waffen, verändert die Situation fundamental. Insofern haben wir eine neue geschichtliche Zäsur überschritten, die mit dem Beginn der Kennedy-Administration anzusetzen ist, weil die Politiker erkennen, daß der Weg von der Konfrontation zur Kooperation zu beschreiten ist. Es entsteht der Zwang, wenigstens partielle Schritte gemeinsam zu tun und in bestimmten Fragen das Feinddenken aufzugeben, denn die Lage verlangt ein Denken in „neuen" Dimensionen.

Wir wissen, daß die Prozessualität so schnell vor unseren Augen ablief, daß wir uns mit unserer Bewußtseinshaltung im Nachhinken befinden, weil viele nur schwer begreifen, was dieses Novum für die Menschheit bedeutet. Zwei wichtige Probleme harren ihrer Lösung: Ergründung der Bedingungen, unter denen Völker, Nationen und supranationale Gemeinschaften auf dieser Erde menschenwürdig existieren können, und Beginn mit der Planungsarbeit, die eine „Welt ohne Krieg" anstrebt. Die technologische Komponente, die das Novum induziert, wird sich in Zukunft noch ver-das strategische Denken — nachhaltig beeinflussen. Krieg und Frieden erscheinen als antiquierte Begriffe, sobald man sich bewußtseinsmäßig auf die „neuen" Dimensionen einstellt. Daß hierzu auch bestimmte Erziehungsund Lernprozesse nötig sind, bleibt unbestritten. Damit tritt die Möglichkeit ein, die Margaret Mead so ausdrückte: „Jetzt haben wir erstmalig eine reale Chance, weltweite Herrschaft von Gesetz und Ordnung zu errichten. Wenn früher von Frieden gesprochen wurde, meinte man eigentlich Waffenstillstand."

Wir leiten daraus die Erkenntnis ab, daß ein dauerhafter und positiver Frieden zum ersten-mal in den Bereich der Realität tritt. Bisher befanden wir uns stets in kriegerischen Aktionen, die durch Waffenstillstandsvereinbarungen unterbrochen wurden, welche neue Revanchegefühle auslösten und den Krieg vorbereiteten. Erst jetzt geraten wir in die Lage, den vollen Sinn des Wortes „Frieden" zu verstehen. Konfliktlösungen durch Aggression und Gewalt sind auf Grund der fortschreitenden technologischen Entwicklung nicht vertretbar, so daß man selbst die Spekulation über das Undenkbare wird aufgeben müssen, weil sich das Überleben-Können immer problematischer gestaltet

Doch wer vermag sich schon auf diese „neuen" Dimensionen bewußtseinsmäßig einzustellen und danach praktisch zu handeln? Verantwortliche Wissenschaftler, die den technologischen Prozeß durch ihre Forschungen beschleunigen, haben ihre Mahnungen deutlich ausgesprochen und ihre Zeitgenossen aufgefordert, der neuen „Qualität" des Novums im Denken und Handeln gerecht zu werden. Doch Appelle an die Menschheit genügen nicht! Die konsequente Analyse und Kritik unseres gegenwärtigen Zustandes ist vonnöten, damit sich eine Bewußtseinslawine in Gang setzt, welche die ganze Weltbevölkerung erfaßt. Radikale Aufklärungsarbeit ist zu leisten im Rahmen der politischen Bildungsarbeit. Dazu bedarf es eines bisher nie gekannten Einsatzes von pädagogischen Fähigkeiten, um zu dieser Bewußtseinserhellung einen adäquaten Beitrag zu leisten. Der Auftrag ist klar: Menschen für eine waf-* fenlose und kriegslose Welt zu erziehen. Doch die Durchführung dieses Auftrages stößt in unserer Gegenwart auf fast unüberwindbare Schwierigkeiten. Es gibt noch keine verbindliche Friedenspädagogik in der Welt und kaum politische Pädagogen, die systematisch und konsequent in ihrem Wirkungskreis die Menschen für eine Welt ohne Krieg und Gewalt, das heißt für eine dauerhafte Friedenswelt erziehen könnten.

Wir befinden uns in einer Diskrepanz, denn technologisch eilen wir mit Riesenschritten der Zukunft entgegen und bewußtseinsmäßig verharren die Weltbürger noch in ihrer Vergangenheit. Daher sind andere und höhere Bewußtseinsformen nötig, um das Leben in der Zukunttsgesellschaft zu formen, die freilich nicht ärmer an Problemen und Konfliktlagen sein wird als unsere gegenwärtigen Gesell-schaftssyteme Aber die Zukunftsgesellschaft braucht ein Denken in neuen Dimensionen. Die politische Bildung sollte daher die Chance ergreifen, die sich mit dieser neuen Lage auch für sie abzeichnet: Sie hat die Menschen, und vor allem die Jugend, zum Frieden zu erziehen, denn nur der Frieden kann allein noch menschenwürdige Ordnung garantieren. Der Geist des Wettrüstens und der militante Geist, der noch von einigen Ideologien gestützt wird, sind Verhaltensweisen, die sich für das Abschreckungszeitalter, in dem wir gegenwärtig leben, als typisch erweisen. Die beiden Supermächte setzen alle ihre Kräfte dafür ein, daß noch wirkungsvollere Abschreckungssysteme und wirksamere Selbstschutzmaßnahmen ergriffen werden. Der Reiz, den Kontrahenten technologisch zu überflügeln und damit das „Gleichgewicht des Schreckens" zu verschieben, offenbart ein pathologisch-politisches Verhalten, mit dem wir zu rechnen haben. Daher werden weitere Overkill-Potenzen aufgebaut, die niemandem einen wahren Dienst leisten, aber die Behauptung stützen, die Abschrek-kungsfähigkeit um des Friedens willen erhöhen zu müssen.

Aber ein Abschreckungsfrieden ist ungeeignet, die Probleme zu lösen, die uns aufgetragen sind, denn er vermag nicht die Welt dauerhaft zu sichern. Diese „negative" Friedensform, die uns heute die Abschreckung beschert, verlangt nach einem „positiven" Frieden, der nicht zu-letzt mit geistigen Mitteln zu erkämpfen ist. Das Unbehagen in unserer Gegenwart ist groß, weil wir Riesensummen in die Rüstungsforschung und das Wettrüsten investieren, um damit ein negatives Resultat zu erzielen: ein System der Abwesenheit vom Krieg, das die geistige Kriegsbereitschaft nicht abbaut

In dieser Situation hat die politische Bildung ihr determinierendes Ziel zu erkennen: Aufklärungsarbeit für den positiven Weltfrieden zu leisten, Erkenntnisprozesse in Gang zu setzen, die sich so bewußtseinsfördernd auswirken, daß jedermann gewillt ist, seinen Beitrag für ein „befriedetes Dasein" der Menschen zu leisten

Auch die Vergangenheit hatte ihre Friedens-wünsche und entwickelte zahlreiche Friedens-pläne. Aber diese Friedensstimmen setzten sich letztlich nicht durch, obwohl sie unterschiedliche Friedensmodelle zur Diskussion stellten Das Wechselspiel von Krieg und Frieden schien eine naturgegebene Polarität zu sein, an der der Mensch nichts zu ändern vermochte. So traten entscheidende Bewußtseinsveränderungen — trotz mannigfaltiger Friedenstheorien — nicht ein und eine neue Praxis, die den Durchbruch erzielt hätte, kam nicht in Gang. Viele erblickten in der klassischen Gleichgewichtspolitik das Wesensgesetz des internationalen Staatensystems; sie verhinderte den Hegemonialund Imperialfrieden, der wegen seiner Unfreiheit zu vermeiden war. Sogar moderne Staatsmänner halten noch den prinzipiellen Antagonismus unter den Großmächten für nicht aufhebbar.

Manche erhofften sich vom Freihandel eine friedensstiftende Wirkung, weil er Fortschritt, Reichtum und Humanität förderte. Man vertraute auf die Wunderkraft der Wirtschaft. Multipolarität und ökonomischer Austausch galten als Kriterien für die Erhaltung des Friedens und der Freiheit. Doch mit den Schattenseiten der Industrialisierung traten Klassenkämpfe auf, welche die Gesellschaft polarisier-ten. Die Weltwirtschaft nivellierte nicht die großen sozialen Unterschiede, die nun zwischen Industrie-und Agrarstaaten auftraten und die neue soziale und politische Konflikte hervorriefen. Den Kapitalismus und Imperialismus traf der Vorwurf, wegen wirtschaftlicher Profite die Welt in den Krieg zu stürzen. Lenin lieferte mit seiner Imperialismusthese eine ökonomische Theorie des Krieges. Er lehnte die Auffassung von der wirtschaftlichen Interdependenz, die Wohlstand und Frieden schuf, schroff ab, so daß diese Theorien sich konträr gegenüberstanden.

Aber auch dort, wo der politische Sozialismus zur Herrschaft gelangte und wo er seine Vorstellungen durchzusetzen vermochte — Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmittel —, schuf er kein „befriedetes Dasein". Die großen Hoffnungen erfüllten sich nicht mit der proletarischen Revolution. Die sozialistische Friedensvorstellung, die klassenlose Gesellschaft, blieb Utopie. Selbst die demokratische Friedenstheorie pazifizierte die Welt nicht, obwohl man gegen ungerechte Kriege moralisch zu Felde zog und alle Aggressionen verpönte. Man berief sich auf Kant, um die Kluft zwischen Politik und Moral zu schließen Woodrow Wilson kämpfte hartnäckig für eine demokratische Welt und setzte den Völkerbundsgedanken durch. Man bemühte sich, den Krieg international zu ächten und unterzeichnete dazu den Briand-Kellogg-Pakt. Alle diese Versuche zerstörten nicht den Kriegsgeist, der mit der faschistischen Ideologie erneut auftauchte. Zwar war die Schaffung der Vereinten Nationen durch die Initiative des Wilson-Schülers Roosevelt ein bezeichnender Akt nach dem Sieg über den Faschismus, eine weltweite Friedensorganisation aufzubauen, aber diese Organisation hat noch keine grundlegende Bewußtseinsveränderung — trotz mancher Teilerfolge — erzielen können

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg scheiterten alle Friedenskonzepte, so daß wir die Fest

Stellung treffen müssen, daß weder eine faschistische, bolschewistische noch eine demokratische Friedensidee der Welt ein befriedetes Dasein bescherte. Weder Hitlers Idee vom Imperialfrieden noch die Utopie der klassenlosen Gesellschaft, aber auch nicht die demokratischen Friedensorganisationen, der Völkerbund und die Vereinten Nationen, schufen einen dauerhaften Frieden. Bis zur Gegenwart entzündeten sich Bürgerkriege und konventionelle Kriege aus heterogenen Interessenlagen heraus, ohne daß die Vernunft oder politische Moral ein wirksames Mittel zur Verhinderung der Zusammenstöße hätte sein können.

Aber bereits Kant sah das Problem, das uns gegenwärtig bewegt, weil es zum Novum unserer heutigen Konstellation geworden ist. Er spekulierte mit der Möglichkeit, daß der geschichtliche Ablauf wegen der Fortschritte in der Kriegstechnik den Menschen eines Tages zwingen werde, eine vernunftgemäße Organisation der Staatenwelt vorzunehmen In der Tat stellt die Kluft zwischen Technologie und politischer Moral das Problem dar, das zu lösen ist. Und schon Kant erhob die Forderung, die politische Moral dem hohen Stand der Wissenschaft anzugleichen. Darüber hinaus sind weitere Probleme zu beachten. Die unterschiedlichen Sozialsysteme, die miteinander konkurrieren, erweisen sich als Hemmschuh, jenen befriedeten Daseinszustand zu verwirklichen Heterogene Gesellschaftsund Staatsordnungen erhalten den Antagonismus aufrecht, so daß sich Bedingungen für die Gleichartigkeit sozialer und politischer Zustände nicht entwickeln lassen, die einen dauerhaften Frieden fördern könnten.

Diese Probleme stellen sich der politischen Bildung: die Kluft von Technologie und Moral und den unfruchtbaren Antagonismus zu durchbrechen. Die Entfaltung politischer Vernunft, die den Weltfrieden sichert, wird zur Grundbedingung künftiger Existenzerhaltung der Völker. Die politische Pädagogik muß friedliche Kooperationsformen entwickeln, damit der Weltfrieden geschaffen wird Im Zeitalter der Weltraumfahrt investieren wir geistige und materielle Ressourcen in außerirdische Projekte. Neue Erfolge hängen von der Beschaffenheit des Erdtrabanten ab. Ein neues Zeitalter von Entdeckungsfahrten liegt unmittelbar vor uns. Mit der Weltraumfahrt realisiert sich ein Stück Hoffnung, Aufgeschlossenheit und Vernunft für Friedensaufgaben in dieser Welt einzusetzen. Wir sind zum Frieden verurteilt, wenn wir weitere Kulturleistungen vollbringen wollen.

Das technologische Novum, das die Gefahr der Selbstzerstörung mit sich bringt, verlangt nach Bewußtseinsveränderungen, die von einer Friedenspädagogik und Friedenserziehung zu leisten sind. Dabei geht es um die Entwicklung neuer Formen menschlicher Verbundenheit, die dem sich vereinheitlichenden Lebensstil gerecht werden. Die globale Interdependenz wächst trotz aller gegensätzlichen Prozesse, die sich in der Gegenwart abspielen. Noch sind die Konflikte zwischen Hunger und Überfluß, die Konflikte zwischen Weltanschauungen und Rassen nicht geschlichtet. Aber sie verlangen nach Analyse und Aufklärung und einer bewußten politischen Bildung, weil die Existenzgefährdung zu politischer Vernunft zwingt. „Wir sind auf Gedeih und Verderb an diesen winzigen Stern und seine Bewohner — unsere Mitmenschen — gekettet und müssen mit dieser unabänderlichen Tatsache fertig werden."

Friedenspädagogik unterscheidet sich von jeder traditionellen politischen Pädagogik, weil sich diese mehr oder weniger in den Dienst der politischen Systeme stellte und sie damit den einzelnen Ideologien diente. Die Verantwortung ist aber heute unteilbar, wenn wir aus dem gegenwärtigen Zustand des „Gleichgewichtes des Schreckens" durch Reform-und Bewußtseinsprozesse herausfinden wollen. Dieter Senghaas hat den Schlüsselbegriff „organisierte Friedlosigkeit" geprägt der anzeigt, daß eine Syndromanalyse nötig ist, weil die Kriegsbereitschaft erhalten bleibt, obwohl der offene Krieg durch die Perfektionierung der Mittel verhindert wird. Dennoch antizipiert unsere Abschreckungspraxis noch laufend das Feinddenken. Dieser den Fortschritt hemmende Zustand läuft der Entfaltung einer Civitas maxima entgegen, die ein menschenwürdiges Dasein für alle Weltbürger durchsetzen möchte

Wir sollten daher lernen, daß wir unsere vorhandenen geistigen und materiellen Ressourcen dafür einzusetzen haben, daß. Hunger und Elend, soziale Ungerechtigkeit und Unterdrük-kung, Unwissenheit und nationale Leidenschaften einzudämmen und zu beseitigen sind, wenn die Friedensbereitschaft wachsen und das Feinddenken eliminiert werden soll. Das verlangt nach pädagogischer Aktivität und Aufklärungsarbeit, die mithilft, die fatalen Entwicklungen für jedermann sichtbar zu machen und die jene Strukturformen enthüllt, welche die organisierte Friedlosigkeit als Terrorfrieden erscheinen lassen der Ungleichheit und Ausbeutung, Haß-und Neidgefühle, ideologische Verblendung und Aggression bestehen läßt. Will man die neuen Fragestellungen und Lernprozesse mit Qualität vollziehen, so bedarf es der Mitarbeit politischer Pädagogen, welche die bestehenden Vorurteile und Ressentiments, Ideologien und Sündenbock-theorien auf ihren Kern hin überprüfen, um in einer kritischen Analyse jene Motive freizulegen, die einer Friedensbereitschaft hinderlich sind

Friedenspädagogik bewährt sich in der Enthüllung von Zusammenhängen, die den Frieden gefährden, und in der Aufdeckung von Ideologien, die den Status quo oder die Stabilisierung bestehender Herrschaftsverhältnisse betreiben. Diese analytische und kritische Fä-higkeit soll den Blick für Kategorien öffnen, die dem Frieden förderlich sind Das permanente Feinddenken belastet jede Friedens-erziehung. Wer daher eine Friedenspädagogik konzipieren möchte, darf sich nicht von antiquierten ideologischen Vorstellungen verwirren lassen. Er muß auch über die Unzulänglichkeiten der bestehenden Verhältnisse hinaus prinzipiell vorausdenken, um wenigstens theoretisch den circulus vitiosus zu durchbrechen. Zweifellos leben wir im Zustand „organisierter Friedlosigkeit", in einem stabilisierten Drohsystem, das so manifest geworden ist, daß man sich die Frage vorzulegen hat, wie Friedenserziehung überhaupt möglich werden soll, weil ja die Menschen ständig mit dem Feinddenken konfrontiert werden. Stets ist mit dem potentiellen Gegner zu rechnen. In einem solchen System scheint eine Friedenspädagogik ein fragwürdiges Unternehmen zu sein, weil ja der Unfriede ständig reproduziert wird

Die dominierenden sozialen und politischen Wertdifferenzen machen eine Friedenspädagogik zu einem schwierigen Unterfangen, das sehr leicht in Selbsttäuschung einmünden kann, weil sich erheblicher Widerstand gegen den nötigen Bewußtseinswandel einstellt. Die traditionellen Denkweisen sind nicht von heute auf morgen abzubauen und die herrschenden Gruppen sind wenig geneigt, Erziehungstendenzen zuzulassen, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Wie sind mutige Schritte zu vollziehen, die eine gewaltfreie Welt vorbereiten? Die politische Pädagogik der Vergangenheit konnte keine befriedigende Antwort auf die gestellte Frage erteilen, weil sie sich an anderen Grundkategorien orientierte. So ließen sich apologetische und ideologische Tendenzen nur schwer vermeiden, weil sich ein „bewußtes Handeln bewußter Menschen auf der Grundlage wissenschaftlich abgesicherter Forschung" nicht ereignete. Die aber durch das technologische Novum veränderte Grundsituation zwingt alle Einsichtigen dazu, mit Kooperationsprozessen zu beginnen und Integrationen zu fördern, welche die stagnierenden oder rückläufigen Tendenzen überwinden. Der Zwang von der Konfrontation zur Kooperation überzugehen, hat auch die praktische Politik erfaßt, die Beweise für praktische Friedenspolitik und Gewaltverzichte erbringen muß. Selbst die Supermächte müssen solche Teilschritte unternehmen, um Spannungen abzubauen, die sonst zu gefährlichen Verkrampfungen führen. Der noch latente Nord-Süd-Konflikt demonstriert das Dilemma, daß praktische Friedensstrategien ernsthaft anzupacken sind, wenn nicht weltweite Revolutionen ausbrechen sollen.

Die soziale Homogenität wird zu einem entscheidenden Kriterium, das über den Frieden auf der südlichen Hälfte des Globus entscheiden wird. Der Zwang, von der Konfrontation zur Kooperation überzugehen — und dieser Zwang ist nicht rückgängig zu machen —, verlangt auch nach pädagogischen Konsequenzen, die verdeutlichen, daß wir nicht mehr über die Alternative von Krieg und Frieden verfügen. Das technologische Novum ist die Ursache dafür, die Chancen zu nutzen, die für den Aufbau eines dauerhaften Friedens gegeben sind. Es liegt heute im Interesse der Supermächte, sich einer Friedensforschung nicht hemmend in den Weg zu stellen, die eine Basis für die Friedenspädagogik bildet, deren Aufgabe es ist, die geistigen Zielsetzungen zu beschreiben, damit neue Bewußtseinsformen sich durchsetzen, die den Zukunftsaufgaben gerecht werden. Hier kam es zunächst darauf an zu zeigen, daß das technologische Novum eine Friedenspädagogik nötig macht, deren kritische Inhalte noch zu erörtern sind.

II. Politische Pädagogik im Wandel der Zeit

Solange sich die politische Pädagogik in den Dienst bestimmter politischer Systeme stellte und sich zur Apologetin der Politik machte, konnte sie die grundsätzliche Aufgabe einer Friedenspädagogik nicht erfassen. Ein Blick in die Geschichte genügt, um uns davon zu überzeugen, daß es keine reale Chance für eine Friedenserziehung gab. Gewiß zeichneten sich Ansätze dazu nach dem Ersten Weltkrieg ab. Jedoch die ideologische Staatspädagogik verhinderte die Entfaltung solcher Ideen. Friedrich Wilhelm Foerster wandte sich leidenschaftlich gegen die starke Überhöhung des Staatsgedankens und verurteilte jede Autoritätspädagogik, weil sie sich gegen alle Individualrechte aussprach. Er wollte die Jugend schon im Geiste der Völkerverständigung und zur Friedensbereitschaft erziehen, indem er Gewissenhaftigkeit und Selbständigkeit förderte. Die allgemeine Tendenz der politischen Pädagogik, im Staat einen sittlichen Höchstwert zu erblicken, erschien Foerster als ein Symptom für den Mangel einer „Kultur der Seele", denn der Staat hatte sich vom Ordnungsbild der Person her aufzubauen. Keiner der großen politischen Pädagogen der Zeit setzte sich so überzeugend für Friedenserziehung ein wie Foerster. Er traf den Punkt, auf den in der Tat alles ankommt: den Menschen nicht als Feind und Gegner, sondern als Mitmenschen zu betrachten. Er plädierte bereits dafür, vernünftige Regeln für die Lösung von Konflikten aufzustellen. Er verwarf die militärische Ausbildung, die der Kriegsbereitschaft diente, und erblickte das Fundament des Friedens in der geistigen Haltung des einzelnen, in der „Aufrüstung der moralischen Kräfte im Menschen" Er widmete sich dem Problem, die aggressiven Neigungen zu bekämpfen, und forderte, wie es einst Kant getan hatte, sichtbare Fortschritte in der Moral. Er formulierte den für die Friedenserziehung gültigen Gedanken: „Die Menschheit ist doch heute auf einer Stufe angelangt, wo die gegenseitige Ergänzung, Aushilfe, Erziehung der Völker ganz unentbehrlich geworden ist."

Foerster entwickelte Ideen, die wir heute für eine Friedenspädagogik als einem neuen Denkansatz unserer politischen Pädagogik erneut fruchtbar machen müssen, weil sie sich in seiner Zeit nicht durchsetzten. Das Mitmenschliche, die gegenseitige Ergänzung, die Beseitigung des moralischen Rückstandes, die systematische Erziehung der Völker, die Betonung der Individualrechte, die Überwindung des unfruchtbaren Freund-Feind-Verhältnisses, überhaupt das Problem der Aggressivität werden von ihm mit aller Klarheit angesprochen. So dachte er weit über seine eigene Zeit hinaus, ohne daß diese sich von seinen Gedanken überzeugen ließ, weil sich breite Bevölkerungskreise in Deutschland dem nationalen Denken verschrieben. Foerster blieb als Pazifist und Utopist ein Außenseiter der Pädagogik. Im Rückblick verstehen wir die Worte seines Biographen Franz Pöggeler, der ihn als einen „der ganz wenigen Pioniere einer internationalen Ausweitung der politischen Erziehung" bezeichnete

Hier ist ein Programm formuliert, das stimulierend wirken sollte, denn die internationale Ausweitung der politischen Erziehung ist heute eine conditio sine qua non, wenn die Freiheit und sittliche Würde für den einzelnen erhalten und wenn ein Weltgemeinwohl entwickelt werden soll. Als Kritiker jeder Macht-und Gewaltpolitik geißelte er vor allem den Entsittlichungsprozeß, der sich mit ihr breit-machte, und brandmarkte alle falschen Idole in der Politik. Die Würde eines Staates beruhe nicht auf seiner Machtstellung, sondern auf der Qualität seiner Ordnung. Friedenserziehung habe die Aufgabe, Aggressivität, Haß, Fanatismus und Antagonismus zugunsten einer Versöhnung zu überwinden

Foersters Idee einer Friedenserziehung wurde von der von Hegel beeinflußten Staatspädagogik verworfen. Die politische Pädagogik forderte den nationalen Aspekt politischer Erziehung. Staat, Nation und Volk galten als grundlegende Werte, die der Heranwachsende zu verstehen hatte. Mitmenschlichkeit und Frieden hielt man für utopische und schwärmerische Vorstellungen, die mehr in das Reich der Phantasie als in realpolitische Erwägungen gehörten. Der Staatsbegriff als Grundkategorie politischer Erziehung konnte vom Friedensbegriff nicht verdrängt worden. Die staatsbürgerliche Erziehung erhielt ihren Primat. Sie wurde von bestimmten nationalen Kreisen, die vom romantischen Geist beeinflußt waren, angefochten, weil diese sich auf eine „volksbürgerliche Erziehung" beriefen. So konnte man Wilhelm Stapel als Antipoden zu Eduard Spranger hinstellen, weil er sich mit seinem Volkheitsbegriff scharf vom Staatsbegriff unterschied. Stapel klagte die Staatspädagogik an und versuchte sie durch eine „Volkspädagogik" zu ersetzen. Er leugnete nie, daß er in Adolf Hitler den Vollender seiner politischen Pädagogik erkannte. Er kämpfte gegen die Ratio und das Abstrakte, verwarf das Künstliche und rein Organisatorische, wehrte sich gegen den Gleichheitsgedanken, indem er die spezifische Eigenart des deutschen Volkes betonte. Er trat für den lebendigen Organismus und für die Tiefe des Seelischen ein, die sich in der „Volkheit" als Volkseinheit spiegelten. Er lehnte die „Staatspädagogik" als mechanistisch und die „Individualpädagogik" als intellektualistisch ab. Der Weg, den Stapel einschlug, führte die politische Pädagogik nicht aus der Sackgasse heraus, denn die Vergötzung des Staates wurde durch eine Vergötzung des Volkes ersetzt. Der Stapelsche Volkskult nahm die nationalsozialistische Gemeinschaftsideologie vorweg. Er wandte sich gegen den demokratischen Volkswillen, den er als willkürlich empfand Er hatte seine eigenen Vorstellungen von Demokratie Mit seinem „volksbürgerlichen Erziehungsideal" stärkte er in Wahrheit die antidemokratischen Kräfte im Weimarer Staat.

Weder die Staatspädagogik noch die Volks-pädagogik erkannte die Chance, die in einer Friedenserziehung lag. Spranger übersah trotz seiner hohen Gesinnungs-, Pflicht-und Opfer-ethik, die er vom einzelnen forderte, daß der Staat, den er unter sittliche Normen stellte, nicht immer gewillt war, diese anzuerkennen. So lag ihm der natürliche Gedanke des Machtmißbrauches durch den Staat völlig fern. Die idealistische Staatspädagogik hatte keine Antwort für den Tatbestand, daß politische Führungsgruppen bedenkenlos sittliche Maßstäbe mißachteten. Und Stapel förderte den Volks-mythos, indem er das Volk heroisierte. Die Schöpferkraft des Volkes bewährte sich im Hervorbringen des Genies, das stellvertretend für das Volksganze handelte. Hier wurde der Keim zu einer Geniekultlehre gelegt, die sich später im „Führerkult" manifestierte.

Die politische Pädagogik entwickelte mit diesen Ideen und mit dieser Bewußtseinshaltung keine demokratische Tugenden. Hier führte keine Brücke in die Lebenswirklichkeit des demokratischen Staates. Sie folgte in Deutschland anderen Leitbildern und verfocht auch andere Zielvorstellungen. Das Friedensproblem wurde in diesem Denkansatz nicht gesehen. Pazifismus war verpönt; er galt als eine pathologische Erscheinung, als ein Gift, das man von der Jugend fernhalten wollte. Daß Frieden zum entscheidenden Grundproblem politischer Pädagogik werden würde, lag nicht im Bereich der Denkmöglichkeiten dieser Theoretiker. Foerster blieb in der Tat ein vergessener Außenseiter dessen Einsichten nicht aufrüttelnd und überzeugend genug wirkten und bald in Vergessenheit gerieten.

In Deutschland triumphierte das totalitäre Erziehungsideal. Ideologische Verblendung war das Resultat dieser Pseudo-Erziehung, die ein exaltiertes Kampfethos predigte, das allein kriegerische, militärische und heroische Tugenden propagierte: Härte, Zähigkeit, Wagemut, rücksichtsloser Einsatz, fanatischer Glaube an die Ideologie und Führertreue. Dieser totalitäre Tugendkanon wurde zum Lehrinhalt totalitärer Erziehung, wobei jede geistige Spontaneität und jedes kritische Bewußtsein zugunsten eingeimpfter ideologischer Formeln unterdrückt wurde. Das Freund-Feind-Modell förderte das dichotomische Denken: einerseits das Volksgemeinschaftsdenken und andererseits das bewußte Feinddenken. Die Kampf-theorie konnte doch nur Glauben finden, wenn sich der Feind personalisieren ließ. Die totalitäre politische Pädagogik legte den Nachdruck auf ihre besonderen Liebes-und Haßobjekte. Man verherrlichte das Kollektiv als Volks-gemeinschaft und verunglimpfte den Feind. Volksgemeinschaft bedeutete Glück und Geborgenheit und der Feind stellte die Inkarnation des Bösen dar. Alle Mittel der Propaganda setzte man für dieses dichotomische Denken ein. Und damit mobilisierte die politische Pädagogik Kollektivgefühle, die sich auf die bevorzugte Gruppe richteten, um die Schlag-und Kampfkraft zu erhöhen. Andererseits aktivierte man irrationale Feindgefühle, um die Geächteten mit destruktiver Kraft zu treffen, denn die Ideologie brauchte den „Feind", um die Stoßrichtung des Kampfes zu signalisieren Adolf Hitler hat diesen Tatbestand zugegeben, denn er wollte „Rasse" nicht im wissenschaftlichen Sinne interpretieren. Er brauchte den Juden, um den Feind, der das Gift des Pazifismus verbreitete, zu personifizieren Wer aber Rassewert besaß, stellte sich dem Kampf und bewies sein Heldentum. Wer in dem unerbittlichen Daseinskampf überleben wollte, mußte den ideologischen Gegner vernichten. Die totalitäre politische Pädagogik teilte diese Grundauffassung und stellte sich bewußt in den Dienst der Staatsideologie, ohne jene kritischen und aufklärerischen Kräfte zu wecken, welche die Freund-Feind-Theorie näher analysiert hätten. Man nahm die ideologische Modellvorstellung fraglos und kritiklos hin und pervertierte alle Maßstäbe, um die ideologischen Normen zu bestätigen. Der Feind hatte kein Recht auf Existenz. Seine perfekte Vernichtung war zwingendes Gebot der Weltanschauung, weil sich im Feind die „Gegenwelt" symbolisierte. Die ideologische Modellvorstellung beruhte auf der Dichotomie, daß der heilen Volksgemeinschaft die feindliche „Gegenwelt" gegenübertrat. Dieser Denktypus verleitete dazu, eine metaphysische Haßfront aufzubauen, die mit „heroischer Kampfleidenschaft" als dem allein gültigen politischen Erziehungsstil aufrechterhalten wurde

Die nationalsozialistische Pädagogik ist nur ein typisches Beispiel für totalitäre Weltanschauungen und für Ideologien, die zu allen Zeiten solche oder ähnliche Freund-Feind-Bilder entwarfen. Ernst Krieck und Alfred Baeum-ler setzten sich im Dritten Reich für das Ziel-bild des „politischen Soldaten" ein, weil es die Gewähr bot, daß Hitlers „Lebensraumpolitik"

sich realisieren ließ. Der junge Volksgenosse sollte lernen, sich dem Führerbefehl treu und bedingungslos zu unterstellen. Das persönliche Gewissen hatte zu schweigen, wenn der „Held" durch Krieg und Zerstörung, durch Blut und Tod schritt.

Totalitäre Erziehung bedeutete aktive Kriegs-erziehung, weil der Krieg als das reinigende „Stahlbad" empfunden wurde, als die höchste Bewährungsprobe, die es überhaupt gab. Der Krieg diente einer ganzen Nation, war „Schule der Nation". Totalitäre Erziehung verlieh dem kriegerischen Geschehen einen positiven Wertakzent Alexander Mitscherlich hat in unseren Tagen versucht, dieses Phänomen zu deuten, und gezeigt, daß die Aggression Züge von heldischen Tugenden annimmt, die sich gegen den Feind richten. Der Held genießt besondere Verehrung. Er überwindet durch sein Erfolgshandeln das Böse und die Schuld. Die Aggression wird damit zu einer Tugend um-

funktioniert

Die totalitäre politische Pädagogik verkennt die Aggressionsproblematik und überspitzt das Freund-Feind-Verhältnis; sie möchte die politische Bildung für ideologische Zwecke gebrauchen und daher völlig in ihren Dienst stellen. Auch hier triumphiert das antagonistische Denken. Ob die politische Pädagogik ins Schlepptau von Nationalisten oder Imperialisten gerät, ob Faschisten oder Marxisten sie benutzen, immer wird sie zur Magd der Politik degradiert, denn das antagonistische Denken stellt bewußt den Grundsatz der Parteilichkeit in den Mittelpunkt. Der Staats-und Volksbegriff, der Rassen-und Klassenbegriff dienen als Grundkatagorien einer politischen Pädagogik, die sich nicht vom Grundsatz der Parteilichkeit zu lösen vermag. Bewußte Parteilichkeit und Aggression, das Denken in den Kategorien von Freund und Feind zementieren einen Antagonismus, auf dessen Boden sich keine Friedenspädagogik entwickeln läßt, weil ja ihre Aufgabe gerade darin besteht, unfruchtbare Haßfronten abzubauen, die durch Schablonen und Klischees, durch Ressentiments und Stereotype nur aufrechterhalten werden

Ideologisches Konfliktdenken konzentriert sich auf den Feind und Widersacher, von dem man behauptet, daß er allein der Störenfried der vernünftigen Ordnung sei. Erst nach der Ver-nichtung des Gegenspielers dürfe man hoffen, Krieg und Revolution als Mittel der Politik zu begraben. Solche bequemen Sündenbocktheorien haben bis heute jedenfalls getrogen, denn Aggression und Gewalt erbten sich von Generation zu Generation fort. Keine siegreiche Klasse oder Nation konnte bisher der Welt einen dauerhaften Frieden bescheren, weil man die Menschen politisch so erzog, daß man sie in aktuelle Freund-Feind-Fronten einspannte. Man kam aus dem dichotomischen Denken nicht heraus, weil man politische Bildung mit von vornherein fixierter Haltung und mit einseitiger Loyalität verwechselte Hier wurde nicht politisch gebildet, sondern ideologisch erzogen, so daß nun ideologische Front-linien nationale Grenzen und Haßfronten ersetzten. Den Verzicht auf den Krieg als Mittel der Auseinandersetzung konnte dieser Denktypus nicht ins Auge fassen.

Aggression und Revolution, subversiver Krieg, Bürgerkrieg und Intervention gehören nach wie vor zu den Mitteln, mit denen man hofft, politische Konflikte zu lösen. Die gewaltsame Konfliktlösung beherrscht noch vielfach das Denken der entscheidenden Politiker und Staatsmänner. Gewiß hat man eine Fülle von Vorschlägen zur Rüstungskontrolle, zur Abrüstung und Entspannung eingebracht und langwierige Konferenzen darüber abgehalten, aber die Ergebnisse sind bisher bescheiden geblieben. Und dennoch vollzog sich ein gewisser Wandel, denn die traditionelle Unterscheidung von Krieg und Frieden, die scharfe Differenzierung dieser gewohnten Begriffe hat sich in der Gegenwart verwischt. Darauf zielt die Bemerkung von Dieter Senghaas ab: „Dem Begriff des Krieges und dem Begriff des Friedens entsprechen in der Politik und Gesellschaft keine eindeutigen Sachverhalte mehr." Die einst so präzise Trennlinie verliert ihre scharfen Konturen. So haben wir uns nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch an neue Begriffe gewöhnt. Wir sprechen vom „Kalten Krieg" oder vom „Terrorfrieden", um damit anzudeuten, daß wir uns weder in einem akuten Kriegszustand noch in einem gesicherten Frieden befinden. Ein Schwebezustand voller Spannungen und Risiken bleibt erhalten, obwohl die nuklearen Waffensysteme nicht zum Einsatz gelangen. Die atomare Schwelle wird nicht überschritten, wenn auch lokale

Kriege und begrenzte Konflikte ausgetragen werden. Wir leben in einem „paradoxen Frieden".

Die Supermächte setzen sich aus Furcht vor dem atomaren Selbstmord an den Verhandlungstisch, obwohl sie sich zugleich in einem ideologischen, ökonomischen und strategischen Konkurrenzverhältnis befinden, denn beide Partner wissen, daß sie einen Atomkrieg im Angesicht des „Gleichgewichtes des Schrekkens" nicht führen können, weil ein solcher das Ende der politischen Vernunft bedeuten würde. Und dennoch — und hier zeigt sich die Paradoxie — erhält man den Antagonismus aufrecht Deshalb werden die lokalen Krisenherde in der Weltpolitik nicht ausgelöscht; sie schwelen weiter, trotz mancher unternommener Anstrengungen, die weltweite Konfrontation zu umgehen. Es fehlt am entschlossenen Willen, das so lang gehegte Mißtrauen im Zeitalter der Bipolarität abzubauen und damit den „Kalten Krieg" zu überwinden.

Die Hoffnung auf gegenseitige Aushilfe und Ergänzung, auf einen vernünftigen, für alle Seiten tragbaren Kompromiß im Ost-West-Geschehen scheint bei dem Stand der Dinge — trotz mancher Ansatzpunkte: Verhandlungen über ein kollektives Sicherheitssystem und über Gewaltverzicht — nicht in Reichweite zu liegen. Das rationale Denken, das so große Triumphe in Wissenschaft und Technik feiert — in der Atom-und Raketentechnik, in der Automation und Kybernetik —, konnte bisher noch nicht zur planenden Vorbereitung für die Änderung unserer gegenwärtigen Bewußtseinsstrukturen verwandt werden. Gerade im Schatten dieser technologischen Rationalität wuchern noch in üppiger Weise ideologische Vorstellungen, die ihren schärfsten und unversöhnlichen Akzent in den totalitären Systemen erhalten.

Noch haben wir nicht die tieferen Gründe dafür erschlossen, warum unser 20. Jahrhundert zu einer Zeit des Völkermordes, der Massenvernichtung und Massenaustreibung, engstirniger Ideologien, des Terrors und der Konzentrationslager wurde. Das Problem so vieler Dehumanisierungsprozesse brennt auf unseren Nägeln. Wir müssen ergründen, warum sich die politische Vernunft nicht entfalten läßt, die eine nötige Voraussetzung für die Lernund Erziehungsprozesse ist, die eine Welt der Zukunft gestalten. Zur Ergründung solcher Probleme bedürfen wir einer Friedensforschung, die in interdisziplinärer Kooperation jenes Wissen zur Verfügung stellt, das uns ein Vorausdenken ermöglicht. Dieses futurologische Wissen kann nicht zuletzt die politische Pädagogik beflügeln, ein Mehr an breiter Aufklärungsarbeit zu leisten, als es heute den Disziplinen Völker-recht, Internationale Politik, Politologie und Soziologie, Sozialpsychologie und Psychotherapie gelingt. So nützlich und unverzichtbar alle diese Einzelbeiträge sind, sie müssen zu einem „Friedenswissen" komprimiert und als Basiswissen für eine „Friedenspädagogik" gebraucht werden, die sich weltweit zu etablieren hat, um eine nie gekannte politische Breitenwirkung zu erzielen.

Aber die politische Pädagogik hat noch nicht jene Reflexionsstufe erreicht, die für solche Zielsetzungen Grundlage wäre. Ein Rückblick auf die Geschichte der politischen Pädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg kann beweisen, daß wir hierzu erst in den Anfangsüberlegungen stehen. Die weltpolitische Konstellation spiegelt sich nicht zuletzt in der politischen Pädagogik. Diesen Tatbestand gilt es nun zu veranschaulichen und zu skizzieren.

III. Partnerschaft, Konflikt und Frieden als Grundkategorien politischer Pädagogik

Der schroffe Ost-West-Konflikt trug nach dem Sieg über den Faschismus dazu bei, daß die politische Pädagogik in der Bundesrepublik das Demokratie-Totalitarismus-Modell in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückte. Man wollte sich mit den einzelnen Formen des Totalitarismus, besonders mit dem Nationalsozialismus und dem Marxismus-Leninismus, auseinandersetzen. Durch eine komparative Analyse ließ sich der qualitative Wert der Demokratie erfassen, der in der Erziehung zur Mündigkeit und Freiheit führte. Im Rückblick auf die eigenen Erfahrungen mit der totalitären Vergangenheit hieß es bei einer Neubesinnung auf die demokratische Ordnungsform die Fehlentwicklungen zu vermeiden, welche die Deutschen in ihre selbstverschuldete Un-mündigkeit gestürzt hatten. Mit gutem Recht kritisierte man jede Form von „Unterwerfungspädagogik", welche sich der Aufklärung der Bürger widersetzte, weil sie ideologische Gläubigkeit als Tugend verkündete. Die prinzipielle Unterscheidung von demokratischer und totalitärer Erziehung diente dazu, unverlierbare Erfahrungen zu formulieren. Durch die Erkenntnis der Differenz eines freiheitlichen Lebensstiles und einer diktierten Einheitsideologie, welche mittels antizipierter Fixierungen rationale Argumentation unterdrückte, hoffte man, demokratisches Wertbewußtsein zu för41 dem, indem man Konsequenzen aus den Lehren des Totalitarismus zog

Der Wille zur Neuformung der Demokratie in der Bundesrepublik gab der Politikwissenschaft entscheidende Impulse, die sich als engagierte Demokratiewissenschaft verstand. Die Verwirklichung demokratischer Ordnungsprinzipien verlangte nach einer Beteiligung der politischen Pädagogik, die sich für kritische Offenheit, für ein Differenzierungsvermögen und ein Qualitätsbewußtsein unterschiedlicher Ordnungsformen einzusetzen hatte. Friedrich Oetinger erkannte demokratisches Leben als partnerschaftliche und kooperative Verhaltensweise. Freiheitliche Ordnung erforderte Mit-verantwortung und Mitbestimmung. Oetingers Partnerschaftspädagogik betonte Solidarität, Toleranz und Kompromißbereitschaft. Sie wandte sich kritisch gegen die Fehlansätze der Vergangenheit: gegen die idealistische Staats-pädagogik und gegen das nationalpolitische Erziehungsideal, wie es Krieck und Baeumler entwarfen

Oetinger wollte daher eine neue Grundkategorie des Politischen entwickeln. Mit gutem Recht hob er hervor: „Im Zeichen der staatsbürgerlichen Bildung sind wir in den Ersten, im Zeichen der nationalpolitischen Schulung in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen worden. Wir müssen offensichtlich aus dem Zirkel der Vorstellungen dieser beiden pädagogischen Systeme heraus, wenn wir von den deutschen Schulen und Universitäten überhaupt noch einen wirksamen Beitrag zur politischen Zukunft der Welt erwarten wollen." So kritisierte er einmal „das Hinstarren auf den Staat" und die „Volksidee", die in Wahrheit den „Staat nur mystifiziert". Der am Staat orientierte Begriff des Politischen, wie ihn auch Carl Schmitt dargestellt hatte beinhaltete einen polemischen Sinn, deren letzte Konsequenz die Gruppierung in Freund und Feind war. Handlungen erwiesen sich als politisch, wenn man die Menschen nach Freund oder Feind unterschied. Politik schien sich in Außenpolitik zu erschöpfen, wobei das Trennende mehr gesehen wurde als das Versöhnende. Demgegenüber hatte Oetinger den Mut zu erklären, daß die Menschen nicht dazu da seien, sich gegenseitig totzuschlagen, sondern sich zu vertragen Gegen die Vergöttlichung des Nationalstaates stellte er daher die „mitbürgerliche Kooperation", um den verstiegenen Fanatismus der „Staatsmetaphysik" zu entkräften und „die Ordnung der menschlichen Zusammenarbeit als die eigentliche Aufgabe der Politik" nachzuweisen

Oetinger baute sein Partnerschaftsideal auf dem Gedanken auf, daß mit elementarer Gewalt das Soziale in die Politik einbrach und die formale Staatsidee verdrängte. „Mit gleicher Urgewalt hat sich unter unseren Augen auch das Bild der . Menschlichkeit" durch die Idee des Sozialen erfüllt, bereichert, vertieft. Und so begegnen sich heute zum ersten Mal in der Geschichte des modernen deutschen Staats der Begriff des Politischen und der Begriff des Menschlichen auf der Ebene unseres sozialen Schicksals."

Mit der starken Betonung des Sozialen wollte Oetinger die praktische und nüchterne Aufgabenbewältigung beschreiben, die das Leben stellte. Der Mensch sollte durch Erfahrung wachsen und sich nicht an ein Glaubensdogma verlieren, denn auf seine praktische Betätigung kam es an. Die neue Grundkategorie für die politische Pädagogik hieß „Partnerschaft", die ihre Substanz aus der sozialen Bestimmung des Menschen zog. Der pragmatische Charakter guter Partnerschaft zeigte sich im Prozeß der Kooperation. So rückte der Begriff der Kooperation in den Mittelpunkt der Untersuchung Es bleibt ein Verdienst der Partnerschaftspädagogik, nach dem überspannten Staatsidealismus und der ideologisch überhö-ten Gemeinschaftstheorie einen pragmatischen Weg zu zweckrationaler und verantwortungsethischer Betrachtung gewiesen zu haben Das mitmenschliche Prinzip, das Foerster bereits erkannte, löste das phrasenhafte Prinzip der Dienst-und Hingabesittlichkeit ab. Oetingers bekanntes Buch von 1951 rief eine lebhafte Auseinandersetzung hervor, weil er den Versuch neuer politischer Bewußtseinsbildung unternahm. Er sprach sich sehr pointiert für Kooperation und Anpassung aus und sah im Menschen das „in der Welt handelnde soziale Wesen" Bewußt wollte er die beiden Irrwege der politischen Pädagogik vermeiden: entweder bei der „Innerlichkeit des Träumers" oder bei der „Brutalität des Tatmenschen" zu enden Er wehrte sich gegen die „Tyrannis der starren Dogmen", welche die Ursache für ein Leben in Unfreiheit war, denn „wirkliche Freiheit besteht in der Wahl zwischen echten Möglichkeiten" Insofern kämpfte er gegen das ideologische Bewußtsein, gegen die Hörigkeit der Ideologie, denn die Freiheit offenbart sich in der Lernbereitschaft, um das zu werden, wozu man fähig ist und um gemeinsam mit anderen die Aufgaben des Lebens zu meistern

Oetingers Ziel war, aus dem Feind den Partner, aus dem Untertan den Vollbürger zu machen. Deshalb verurteilte er — wie Foerster — alle Gewalt und Willkür, die ihre höchste Steigerungsform im Totalstaat erfuhren In der „Partnerschaft" sah er ein aktives Verhalten zum Mitmenschen, der nicht als Nummer oder Funktionär behandelt werden sollte. So forderte er Namentlichkeit, Toleranz, Kompromißbereitschaft und Distanz, um zu Vertrauen zu gelangen. Konfliktfälle in der menschlichen Kommunikation ließen sich im Dialog bereinigen. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich durch die Berührung mit dem Andersdenken-den „verändern zu lassen, ist der Kern aller Toleranz" Oetinger setzte sich, für den vernünftigen Dialog ein. Partnerschaftliches Verhalten kam besonders in der Diskussion zum Ausdruck, in der sich nicht die „rechthaberische, eigensinnige, geltungsbedürftige und demonstrative" Art, die majorisieren will, durchsetzte, sondern die Verständigung, wobei man fragte und revidierte, was sich als unhaltbar erwies, mit einem Wort: im Gespräch in einen Lernprozeß eintrat

Oetinger wandte sich gegen die Militarisierung des öffentlichen Lebensstiles und trat für die Beseitigung von Kollektivurteilen ein, die den Blick verengten. Er wehrte sich daher mit Recht gegen eine Machtvorstellung, die sich allein auf kriegerische Gewalt bezog. Er kritisierte das falsche Pathos der Männlichkeit, das dem militärischen Geist eigen war, und er stellte die provokatorische Frage: Wann werden wir statt des Kampfes die Zusammenarbeit, statt des „Stahlbades des Krieges" den „Mut im Frieden" preisen?

Oetinger gab eine Antwort auf diese Frage: Er wollte die Deutschen ganz unpathetisch in das demokratische Bewußtsein einführen. Zur Demokratie erziehen konnte nur derjenige, der selbst an sie glaubte. Freilich dürfe man für die Deutschen nicht eine „Extrademokratie''zurechtstutzen, in der das verboten war, was andere Demokratien hüteten: ein Bedürfnis nach Einheit und nach Frieden. Insofern trat er für eine Heroisierung des Friedens sein, ohne in einen doktrinären Pazifismus zu verfallen. In Deutschland hatte man nach dem Ersten Weltkrieg die wahren Friedenskräfte gelähmt. „Der Friede war bereits wenige Jahre nach dem Ende des Kriegs zu einer abstrakten Idee geworden, und die ganze Friedenserziehung der zwanziger Jahre blieb ohne eigentlichen Einfluß auf die Volksbildung."

Oetinger versuchte, die Selbsttäuschung und eine doppelte Moral zu vermeiden. Deshalb dachte er an keine „prinzipielle moralische Verfemung des Krieges", weil das Gegendemonstrationen hervorrief. Man gewann die Menschen für den Frieden, wenn sie die Erfahrung machten, „daß jede Störung des Friedens den Sinn unserer Arbeit vernichtet". In sozialen Handlungen sollte man aktiv werden, mitverantwortlich teilnehmen: das war der Weg zur Heroisierung des Friedens, der mit Hilfe der Zivilcourage, sich der Aufgabenerfüllung zu stellen, angetreten wurde

Die „Partnerschaft" als Grundkategorie politischer Pädagogik brachte das Miteinanderleben in den Blick, trat für das friedliche Zusammenleben ein, wobei die politische Gemeinschaft die Vervollkommnung des einzelnen ebenso betrieb, wie sie ein Leben „in der konkreten sozialen Fülle" ermöglichte und Störungen entgegenwirkte. Die Kraft und Fähigkeit des Vermittelns konnte man durch das Gespräch der Partner in Gang halten. Der Prozeß des gemeinsamen Handelns zielte auf Entwicklung, auf Aktivität in der Kooperation auf den Mut, Dinge zu verändern, die sich neu gestalten ließen.

Damit war ein neuer Weg beschritten, der nicht zu einer staatsidealistischen und totalitären Haltung führte, sondern zu einer partnerschaftlichen, die den demokratischen Geist verstärken sollte. Die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart trat deutlich in Erscheinung. Aber man fragte sich in den fünfziger Jahren, in denen sich der Ost-West-Konflikt verschärfte, ob ein solches liberaldemokratisches Harmoniemodell geeignet war, den nackten Realitäten der Politik gerecht zu werden. Erfaßte man das Politische durch die Grundkategorie der Partnerschaft?

Zweifellos räumte die Partnerschaftspädagogik mit antiquierten Vorstellungen auf: Sie wollte das Feinddenken ersetzen durch Zusammenarbeit und Mitmenschlichkeit, sie wandte sich gegen jedes überstiegene Pathos, trat für eine aktive soziale Haltung ein, die nüchtern und pragmatisch blieb und jedes herrschaftliche Denken, vor allem aber die Herrschaftsverhältnisse im öffentlichen Leben, anprangerte. Sie enthielt vor allem ein Prinzip der Mäßigung des Machtkampfes, das die Kritiker zu wenig würdigten, denn Partnerschaft eröffnete die Möglichkeit, die politischen Machtkämpfe zu zügeln. Gewiß jagte Oetinger nicht dem Phantom des ewigen Friedens nach! Aber er begriff — wie Foerster nach dem Ersten Weltkrieg —, daß man den Krieg, den Kampf, den Konflikt nicht verabsolutieren dürfe. Insofern blieb die Einsicht bis heute unübertroffen: „Die Partnerschaftserziehung beruht auf der Erfahrung, daß es zur Katastrophe führt, wenn man Macht sich selbst überläßt." Dieses Prinzip der Mäßigung plädierte für eine Entideologisierung des Kampfes, um die Idee des Friedens in den Blick zu bringen. In der Herausarbeitung des Friedensaspektes erwies sich Oetinger als ein wahrer Schüler Foersters. Auch er konnte der Zeit vorausdenken.

Oetingers Kritiker griffen seine Partnerschaftspädagogik scharf an, weil er der Illusion Vorschub leistete, als ließe sich der Kampf zugunsten eines ewigen Friedens elimieren. Der Ablauf der Geschichte aber zeigte ein anderes Bild. Die Reduktion des Politischen auf das Soziale verzerrte den Begriff des Politischen. Die Kritiker schienen auch im Recht zu sein, wenn sie auf die mannigfachen Konfliktsituationen, die ja Tag für Tag auftraten — in Gesellschaft und internationaler Politik —, hinwiesen. Es gab einfach kontroverse Konkurrenzprobleme, die man nicht adäquat mit „Partnerschaft" erklärte. All die Kämpfe des Alltages, Gegensätze und Widerstreit, Macht-, Interessen-und Wertkonflikte, entzündeten sich und führten zum Zusammenprall der Kontrahenten. Kampf und Streit gehörten zum Bild des Politischen ebenso wie Partnerschaft. Wenn man den Akzent allein auf „Partnerschaft" verlegte, so geriet man zweifellos in eine Position, die Kritik herausforderte. Man mußte dem Konfliktgeschehen im sozialen und politischen Bereich gerecht werden Politik spiegelte sich im Kampf um gerechte Ordnungsvorstellungen, wobei die Frage offen blieb, ob sich auch die besseren Ordnungsnormen durchsetzten und ob man zu besseren Lösungen im Kampf gelangte, denn alle Kämpfe und Konflikte zeigten einen Januskopf.

Besonders Litt, Weniger und Weinstock interpretierten das Politische als Kampf und Auseinandersetzung, als Kontroverse und Konflikt. Im Kampf sollte der Andersdenkende nicht durch Intoleranz denunziert werden. Konflikte verlangten nach Regelung und Schlichtung, weil sie sich sonst stabilisierten und die politische Ordnung gefährdeten. Diese Kritik an der Partnerschaft lenkte den Blick auf den „Konfliktbegriff", der in der politischen Bildungsarbeit sträflich vernachlässigt wurde, weil man dort das Harmoniemodell weiter praktizierte. Besonders Giesecke, Lingelbach und Engelhardt erwiesen sich als Kritiker eines Politikunterrichtes, der sich in traditionellen Bahnen bewegte. Insofern traf man einen wunden Punkt der Partnerschaftserziehung, die in ihrem Begriffssystem zwar Kooperation und Solidarität betonte, aber dem Konflikt und dem Kampf zu wenig Beachtung schenkte So folgte Giesecke in seinem Ansatz dem Begriff des Politischen, der von Litt und Weniger vertreten wurde, weil er die kritische Haltung besser förderte. Die politische Bildung entzog sich der Gefahr des Harmoniedenkens, wenn man vom aktuellen sozialen oder politischen Konflikt ausging. Macht-, Interessen-und Wertkonflikte durfte man nicht in der demokratischen Gesellschaft verschweigen. Die Konfliktanalyse sollte die unterschiedlichen Auffassungen, das „Umstrittene" in der Gesellschaft, klar aufdecken

Konflikte signalisierten antagonistische Ordnungsvorstellungen, die im Kampf lagen und die sich durchsetzen wollten Gefährlichen Zuspitzungen und Zerreißproben entging man, wenn man sie im rationalen Dialog ausglich, denn Dauerkonflikte bedrohten die Ordnung, so daß Destruktion und Anarchie als Folge in den Bereich der Möglichkeit traten. Die Konfliktpädagogik bemühte sich um eine lernende Auseinandersetzung mit konkreten Konflikten, weil die Problematik des Politischen aus ihnen abzulesen war. Analyse und Kritik eröffneten Einsichten, die zum Stimulanz politischen Handelns wurden, das die politischen Verhältnisse umgestaltete. Insofern konnte der Konflikt als Funktion verbesserter Ordnung dienen. Doch die Konfliktpädagogen unterließen es, den Ordnungsgedanken nachdrücklich zu betonen wie sie es ferner unterließen, darauf aufmerksam zu machen, daß das Konfliktdenken auch Perversionen hervorzurufen ver-mochte, die den Bestand vernünftiger Ordnung gefährdeten, denn soziale und internationale Konflikte erwiesen sich von Natur aus niemals als so harmlos, daß man sie von vornherein als „ordnungsfördernd" bestimmen konnte

Es gibt Ideologien in der Gesellschaft und in der internationalen Staatenwelt, die den Konflikt als Ausgangsbasis für ihre Umsturzversuche benutzen. Mit dem Konflikt soll eine radikale Negation bestehender Ordnung zum Ausdruck kommen. Hier geht es gewöhnlich uni Herrschaftskonflikte, die mit äußerster Vehemenz ausgetragen werden, weil ja niemand von sich behaupten kann, nur er besäße das richtige Ordnungsverständnis Solche Konflikte sind von großer Bedeutung für das Hervortreten von Ordnungsideologien, denn Ideologie ist Rechtfertigung der geglaubten Ordnungsvorstellungen und diese wiederum gehen aus den sozialen Bedingungen der Kontrahenten hervor, die man untersuchen muß

Unterschiedliche soziale Bedingungen sind die Ursache für die Ideologienbildung, die wiederum die Konfliktsituation heraufbeschwört. Manifeste Konflikte stützen sich geradezu auf soziale oder politische Ideologien, die ein Reflex sozialer oder politischer Strukturen sind Die Notwendigkeit, Konflikte auszutragen, gehört zu den Grunderkenntnissen des Menschen. Dabei kann der Konflikt mutwillig ausgelöst werden. Simmel spricht vom „apriorischen Kampfinstinkt", von einem „primären Feindseligkeitsbedürfnis" des Menschen Der Aggressionstrieb ist dem Menschen angeboren. Aber in diesem Zusammenhang geht es mehr um die Tatsache, daß die Umwelt den Anlaß für Konflikt und Aggression gibt: So entstanden die Klassenkonflikte in der frühen Industriegesellschaft, während Aufstiegskonflikte typisch für hierarchisch geordnete Gesellschaften sind, wo sich Schichtbarrieren vorfinden. Knappe soziale Werte lassen sich mit sozialen Konflikten identifizieren. Die Knappheit sozialer Güter motiviert Streit und Auseinandersetzung

Konflikte entstehen aus der Natur des Menschen oder aus seiner Umwelt heraus. Man kann ihnen unterschiedliche Funktionen beimessen. Bei den Konfliktpädagogen erwächst der Eindruck, daß sie eine besonders positive Funktion besitzen während andere in Konflikten pathologische Erscheinungen erblikken Es ist typisch für Totalstaaten, den Konflikt durch Zwang zu unterdrücken. Beide Auffassungen sind zu kritisieren, weil Konflikte positive und negative Funktionen ausüben. Sie wirken funktional und dysfunktional, oder wie ich bevorzuge zu sagen: es gibt konstruktive und destruktive Konflikte Schon bei Georg Simmel finden wir ähnliche Beobachtungen, und Lewis A. Coser hält an dieser Grundhaltung fest: Soziale Konflikte können funktional oder auch dysfunktional sein

Auch in dieser Auseinandersetzung zeigt sich ein Dilemma theoretischen Denkens, von einem Extrem zum anderen hin und her zu schwanken. Der weitverbreiteten Auffassung, Konflikte als pathologisch zu kennzeichnen, mußte kritisch begegnet werden. Und Dahrendorf hat sich als Vertreter der Gegenposition deutlich qualifiziert, wobei er den Konflikten eine „schöpferische Kraft" zuspricht, die allen sozialen Wandel erst in Gang bringt. Seine Kritik trifft besonders die strukturell-funktionale Gesellschaft, die sich als „perfekte Gesellschaft" empfindet, in der jeder einzelne seine Rolle und Funktion ausübt und die daher keiner Konfikte bedarf. Wir wissen aus Erfahrung, daß dies das Bild einer totalitären Gesellschaft ist, denn die pluralistische Industriegesellschaft kennt erhebliche Interessengegensätze Hier wird man die Konflikte nicht — wie im totalitären System — unterdrücken, aber man wird von ihrer Auswirkung nicht behaupten, daß sie sich stets als schöpferisch erweisen, denn es sind immer zwei Konfliktparteien vorhanden, die sich durchsetzen wollen, und nicht jede Konfliktpartei hat den sozialen Wandel im Auge. Es gibt auch rückschrittliche Tendenzen, die nicht mehr, sondern weniger Demokratie intendieren. Entscheidend bleibt der Konfliktausgang. Erst danach läßt sich feststellen, ob sich die stagnierenden und reaktionären oder die reformerischen und revolutionären Kräfte durchsetzten, wobei die revolutionären Gruppen nicht weniger gefährlich sind wie die reaktionären.

Bei aller Bejahung der Konflikte darf ihre unterschiedliche Wirkung nicht unbeachtet bleiben. Sie können progressive, aber auch regressive Tendenzen beinhalten, schöpferisch, aber auch sinnlos sein Insofern werden Konflikte stets einen Wandel der Verhältnisse hervorrufen, denn der alte Zustand wird sich selten wieder herstellen. Konflikte können der Motor, aber auch das Ergebnis eines Wandels sein, denn es gibt restaurative Entwicklungen, die Strukturen begünstigen, die zum Stachel des Anstoßes werden, weil sie den sozialen Wandel hemmen Der strukturelle Zustand einer Gesellschaft bildet den Anlaß der Radikalisierung des Konfliktes. Der Konflikt ideologisiert sich, weil unterschiedliche Ordnungsvorstellungen aufeinander stoßen, die sich nicht miteinander versöhnen. Jede Kompromißoder Friedensbereitschaft gilt als Schwäche. Der Gegensatz ist damit total. Er entwickelt sich zum stabilisierten Konflikt, der nur gewaltsam zu lösen ist, wenn der vermittelnde Dialog abgelehnt wird.

Die Ideologisierung des Konfliktes führt zu seiner Verschärfung. Wer den Konflikt bewußt intensiviert, nimmt ihm seine schöpferischen Möglichkeiten, weil er eine Konfliktregelung blockiert, die sich anderer Mittel als der Gewalt bedient. Diese Katastrophentheoretiker knüpfen an den Konflikt die fatale Hoffnung, daß sich nach der Katastrophe eine neue und bessere Ordnung aufbauen lasse. Daher vermeiden die die Revolution befürwortenden Theoretiker eine rationale Konfliktregelung, weil ein rationaler Ausgleich ohne Gewaltanwendung Toleranz, Kompromißund Friedensbereitschaft impliziert. Radikale Konfliktverfechter treten für den sozialen Befreiungskrieg ein, der die Probleme schlagartig lösen soll, ohne eine mühevolle Evolution zu durchlaufen. Sie verwerfen alle erprobten und anerkannten Spielregeln der Konfliktschlichtung und negieren gewaltlose Aktionen, weil diese keine ausreichende Effektivität in ihren Augen auslösen. Sie halten daher an der gewaltsamen Konfliktlösung fest.

Die Beschäftigung mit der Konfliktproblematik im Politikunterricht hat ihren guten Sinn, wenn man die Konfliktfälle analysiert, um damit ausdrücklich zur Beseitigung der Konflikte beizutragen. Bei den Konflikttheoretikern in der politischen Pädagogik, die sich auf Litt und Dahrendorf stützen, wird aus einem politisch-pädagogischen Engagement heraus der Konflikt für nützlich erachtet, wobei zunächst weniger die Konfliktbeseitigung im Mittelpunkt steht. Der Konflikt wird zum Grundbegriff politischer Bildung erhoben Er wolle ein anderes Bewußtsein und eine andere Grundeinstellung hervorrufen als es die Partnerschaftspädagogik vermochte. Nun bleibt unbestritten, daß der Heranwachsende in der komplizierten Industriegesellschaft auf sein Rollen-spiel vorzubereiten ist, das sich auch in Konflikten abspielt Die ideellen und materiellen Interessen von einzelnen und Gruppen stimmen häufig nicht überein. Das ruft Kontroversen hervor, die sich zum Problem für die Gesellschaft entwickeln. Konkurrenzsituationen sind geeignet, als konkreter Konfliktfall zum Gegenstand des Politikunterrichtes erhoben zu werden. In diesem Sinne messen Giesecke und Lingelbach dem Konflikt als didaktischem Grundbegriff erhebliche Bedeutung bei. Aktuelle soziale und politische Konflikte werden analysiert, um die Problematik herauszustellen und kritisch zu verarbeiten. Dabei lassen sich Kategorien gewinnen, die Giesecke in seinem bekannten Koordinatensystem darstellt; die Kategorien verwandelt man in kategoriale Leitfragen, die zu Grundeinsichten führen, die wiederum politisches Handeln motivieren Ein angemessenes Verständnis des Politischen wird dann gewonnen, wenn alle angeführten Kategorien im aktuellen Fall enthalten sind. Die Konfliktkategorie stellt dabei nur eine von Gieseckes elf Kategorien dar. Aber andererseits betont er, daß sich alle Sachverhalte der Politik auf unpolitische Fachzusammenhänge zurückführen lassen, nur die eine Tatsache nicht, daß es in der Politik immer um einen Konflikt-fall geht. Giesecke wie Lingelbach betrachten den Konflikt als wesentliches Kriterium für die Demokratie, denn im Totalstaat wird der Konflikt nach außen gewendet, aber im Inneren unterdrückt.

Demokratische Gesellschaften sind bereit, Konflikte als existent anzuerkennen. Die Konflikt-theoretiker in der politischen Pädagogik teilen die optimistische Meinung, daß Konflikte der freien Entfaltung des Menschen nützlich sind. Ihr Optimismus beruht auf der Dahrendorf-sehen Einstellung, daß Konflikte über eine schöpferische Komponente verfügen. So wird der Konflikt zu einem „Schlüsselbegriff" des politischen Geschehens Wir bezweifeln nicht, daß der Konflikt ein wesentliches Kriterium des Politischen darstellt. Aber mit gleichem Recht lassen sich auch andere Kriterien des Politischen herausarbeiten. Es gibt noch andere Schlüsselbegriffe des Politischen.

Damit deuten wir die Tendenz an, die sich bei Giesecke und Lingelbach feststellen läßt, daß ein theoretischer Monismus zu Schwierigkeiten führt, weil man nur den einen Aspekt in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, der als universales Erklärungsprinzip dient Dieser Vorwurf ist sowohl der Partnerschafts-als auch der Konfliktpädagogik nicht zu ersparen, weil sie beide aus einseitiger Aspektbetrachtung nicht herausfinden, obwohl sie wichtige Kriterien des Politischen analysieren, die erst in einer Zusammenschau zu befriedigenden Resultaten führen, weil neben den konfligie-renden auch kooperative Tendenzen auftreten. Diese Doppelgesichtigkeit der politischen Struktur ist seit langer Zeit erkannt. Dahrendorf gehörte zu den Anhängern eines theoretischen Pluralismus Er entschied sich aber schließlich für das dichotomische Bild der Gesellschaft, die nach seiner Meinung durch Zwang zusammengehalten wird. Damit schuf Dahrendorf ein Gegenbild zu der strukturell-funktionalen Theorie von Talcott Parsons, der zur Integrationstheorie neigte und damit eine harmonische Gesellschaftsvorstellung entwik-kelte. Der theoretische Gegensatz von Parsons und Dahrendorf begegnet uns in der politischen Pädagogik in ähnlicher Weise zwischen Oetinger und seinen Kritikern, wobei es um das Problem der Kooperation und des Konfliktes geht. Vereinseitigt man diese Aspekte in der Betrachtung, so entsteht die Gefahr einer Ideologisierung

Dahrendorf verschob den Akzent auf die Konflikttheorie, weil man die Gleichgewichtstheorie so stark überbetont hatte. Damit erhielt die Konflikttheorie außerordentliche Bedeutung. Daß sich Giesecke auf Dahrendorf beruft, ist für den ganzen Sachverhalt symptomatisch. So begrüßenswert das Verständnis für Konflikte ist, eben weil man sie verschwieg oder nur als pathologisch betrachtete, so einseitig ist es, im Konflikt einen Grundbegriff oder Schlüsselbegriff politischer Pädagogik zu sehen und diesem Begriff einen schöpferischen Wertakzent zu verleihen, weil dann nur der funktionale Aspekt im streng demokratischen Sinne zum Ausdruck kommt. Konflikte sind aber ein Symptom dafür, daß sich ein innen-oder außenpolitisches Gleichgewicht zu verschieben droht. Sie signalisieren daher Antagonismen, die man um der Ordnung willen regeln oder schlichten muß, damit nicht Dysfunktionalität entsteht. Hier fällt der Blick auf das Ordnungsproblem, weil es verschiedene Ordnungstypen gibt, die sich in der Weltpolitik realisieren.

Wir wissen, daß sich besonders ideologische Konflikte als sehr gefährlich für die Ordnungsverhältnisse in der Welt erweisen, weil in einer instabilen Lage eine schnelle Eskalation des Konfliktes denkbar ist. Revolutionäre Konflikttheorien bilden Gefahrenherde für die Weltsicherheit und damit für den Weltfrieden. Weil im Konflikt — man denke nicht zuletzt an ihre große Variationsbreite vom Streitgespräch bis zum Nuklearkonflikt — sich unterschiedliche Tendenzen bemerkbar machen, funktionale und dysfunktionale, konstruktive und destruktive, ist es wichtig, Konflikte auf der Grundlage eines Minimumkonsenus zu regeln und auch zu schlichten. Der Konflikt

Schlichtung kommt eine große Bedeutung zu, denn durch Verhandlungen und Vermittlungen, durch freiwillige und verbindliche Schlichtung lassen sich Konflikte im rationalen Dialog eindämmen, die zwar auch dann noch nicht immer verschwinden werden aber nun nicht mehr gewaltsame Aktionen und Perversionen hervorrufen. Insofern könnte der Konfliktregelung eine Konfliktkritik sehr förder-lieh sein, die den Konflikt nach der Analyse kritisch zu beurteilen hat

Durch den Konflikt kommen Antagonismen zum Ausdruck, die sich auf großer Bandbreite realisieren: von der parlamentarischen Debatte bis zu den Protesten und Streiks, den Bürgerkriegen und möglichen Nuklearkonflikten. Der Antagonismus kann verschiedene Gründe haben. Stets bilden sich zwei Konflikt-seiten heraus, die einen bestimmten Bewußtseinsgrad entwickeln. Es gibt mannigfache Konfliktarten, die man vom psychologischen Konflikt bis zu den internationalen Konflikten unterscheiden könnte, wobei die sozialen Konflikte gewöhnlich im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Unsere gegenwärtige politische Lage zwingt uns, auch den internationalen Konflikten mehr Bedeutung in der politischen Pädagogik beizumessen, als es geschieht. Eingedenk des technologischen Novums erhält das Konfliktproblem eine neue Akzentuierung, denn die Politik bewährt sich in Zukunft in ihrer friedlichen Ordnungsaufgabe, der es gelingt, alle Aggressionsabsichten zu sublimieren, das heißt in nicht gewaltsame Formen umzulenken, damit Destruktion und Dysfunktionalität vermieden werden

Konflikte gehören zu einer freiheitlichen Ordnung, weil sich auf Grund der Pluralität unterschiedliche Ideen und Wertvorstellungen ausbilden. Die entscheidende Erkenntnis, die wir heute auf Grund unserer weltpolitischen Lage in der politischen Pädagogik zu vertreten haben, besteht in der Tatsache, daß wir uns die gewaltsame Lösung von Konflikten nicht mehr leisten können, ja mehr noch, daß das Starren auf den Konflikt uns nicht weiter bringt. Besonders die ideologischen Konflikte erweisen sich als starre Barrieren für den Fortschritt der Menschheit, gefährden wegen der Heftigkeit und Intensität ihres Austrags Stabilität und Sicherheit. Frieden und Freiheit, menschenwürdige Ordnung und Verantwortung hängen heute davon ab, ob es gelingt, starre Konflikt-fronten aufzulösen, indem man zu kooperativen Aktionen ermutigt, die zu vernünftigen Arrangements führen, damit Konflikte nicht verhärtet werden und eskalieren. Die Konfliktträger müssen davon überzeugt werden, daß sie nicht nur ihre Sonderinteressen zu vertreten haben, sondern daß der Prozeß der globalen Interdependenz die Berücksichtigung eines Weltgemeinwohls erforderlich macht.

Unter diesem Aspekt entstehen für die politische Pädagogik neue Überlegungen, die sich im Rahmen der Partnerschaftsund Konfliktpädagogik nur bedingt erörtern lassen. Sie kann sich in Zukunft nicht mehr zur Apologetin einer bestimmten Ideologie machen, denn von ihr wird eine Ausgleichsfunktion erwartet. Sie soll heterogene Standpunkte, die aufeinanderstoßen, auf einer höheren Bewußtseinsform und Bewußtseinsebene, welche Kooperation und Kompromiß ermöglichen, zu einem Arrangement führen, das die Konflikt-fronten auflöst oder wenigstens von unbedachten Schritten abhält. Besonders konfligierende Ideologien dürfen nicht destruktive Aktionen auslösen, nur weil unterschiedliche Bewußtseinsformen systematisch herangezüchtet werden, welche die Mißverständnisse stabilisieren wollen. Die politische Pädagogik hat daher für ein geistiges Niveau zu sorgen, das in der Lage ist, die Gründe und Motive für Konflikte sichtbar zu machen. Konfliktanalyse, Konflikt-kritik und Konfliktregelung werden zu beherrschenden Aufgaben einer auf den Frieden hin orientierten politischen Pädagogik, weil der Friede die conditio sine qua non ist. Der Friedensbegriff gehört in der politischen Pädagogik von nun an ins Zentrum oder sollte dorthin gerückt werden Dabei geht es nicht um einen statischen Friedensbegriff, der Ruhe, Einheit, Harmonie und ein friktionsloses Funktionieren in einem Gleichgewichtszustand will, sondern um einen dynamischen Friedens-begriff, der den allgemeinen Weltzustand analysiert, Probleme des Konfliktes ergründet, ihre Ursachen kritisch durchleuchtet und erörtert und sie in das allgemeine Bewußtsein hebt, damit aufklärende Wirkungen entstehen, die zur Beseitigung solcher Ursachen anregen, weil eben Gewaltanwendung als Mittel der Konfliktregelung im technologischen Novum immer problematischer wird

Es gehört zur analytischen Aufgabe einer Friedenspädagogik, die Starrheit des Konfliktdenkens zu überwinden und das Bewußtsein so zu fördern, daß die Konfliktgründe — Machtbewußtsein, ökonomische Interessen, Wertkonflikte — deutlich zutage treten, damit man den hemmenden Tendenzen entgegenwirkt, weil Konflikte oft aus verkehrter Bewußtseinseinstellung heraus entstehen. Solche Verkrampfungen müssen durch entspannende Bemühungen gelockert werden, damit kooperative Prozesse in Gang kommen. Die Konfliktregelung dient dem Frieden. Sie verlangt vor allem Vernunft von allen Beteiligten. Nicht der brutale Machteinsatz, sondern die entwickelte Vernunft ist die Garantie für ein besseres Weiterleben. Eine Friedenspädagogik hat das Umschlagen der Konflikte in offene Aggressionen zu verhindern, damit die Menschheit nicht in unlösbare Krisen hineintaumelt.

Von diesem Aspekt her gesehen haben sowohl die Partnerschafts-wie die Konfliktpädagogik ihre Verdienste, weil sie partnerschaftliches und kontroverses Denken vermittelten. Konflikt und Kooperation sind Tatbestände des Politischen, die sich jederzeit verifizieren lassen. Daher ist es nötig, daß man diese Aspekte mit gleichem Nachdruck betont. Das Verschweigen konkreter Konfliktlagen ist ebenso töricht wie eine maßlose Kritik an Partnerschaft. Unter dem Friedensaspekt sind heute alternative Strategien zu entwickeln, die der Mannigfaltigkeit der verschiedenen und heterogenen Konfliktarten gerecht werden. Es gibt Konfliktarten, die geringfügig sind und die sich im Dialog lösen lassen, wenn die nötige Einsicht auf beiden Seiten vorherrscht; wir leiden andererseits an ideologischen Konflikten und an Machtkonflikten, die unsere Überle-benschance bedrohen. Hier können rationale Verhandlungen scheitern und die Konfliktlage verschärfen.

Die Friedenspädagogik hat daher die Aufgabe, den Blick auf die supranationalen Schlichtungsinstitutionen zu werfen und die Probleme zu erörtern, warum es nicht gelungen ist, solche Institutionen so wirksam auszugestalten, daß sie internationale Konflikte zu regeln verstehen. Die Praxis der Vereinten Nationen leidet daran, daß nicht alle Staaten an ihr verantwortlich beteiligt werden und daß nicht zuletzt der Konflikt der Supermächte die Entscheidungen der Weltorganisation mit beeinflußt. Die Unzulänglichkeiten dieses Systems dürfen eine Friedenspädagogik nicht davon abbringen, in der Assoziation und in der weltweiten Partnerschaft eine Quelle der Integration und damit eine Friedenschance zu entdecken Wir stehen unter dem technologischen Zwang, kooperative Formen auch über ideologische Barrieren hinweg zu entwickeln, um die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren. In dieser Zwangslage müssen wir bewußtseinsverändernde Prozesse auszulösen, die mit Hilfe pädagogischer Aufklärung sozio-politische Konflikte eindämmen. Weil Konflikte aus bestimmten Bewußtseinshaltungen heraus entstehen, müssen sie vom Geistigen her bekämpft werden

Die Heranwachsenden sind politisch so zu erziehen, daß sie gewaltsame Aktionen als Mittel der Politik ablehnen. Das verlangt von der politischen Pädagogik, daß sie junge Menschen auf eine höhere Bewußtseinsebene hebt, damit sie die elementaren Konfliktursachen durchschauen. Erst die Klarheit über Gründe und Motive, die internationale Streitfagen in Revolutionen und Kriege einmünden läßt, wird die Haltung schaffen, die menschlichen Aggressionsneigungen zu enthüllen. Die radikale Aufhellung solcher Ursachen läßt auf ein neues Aufklärungszeitalter hoffen, das mit der Friedenspädagogik ein wichtiges Instrument erhält. Der Friede wird zu einer grundlegenden Kategorie politischer Erziehungsarbeit, wobei die konfligierenden und kooperativen Kräfte sorgfältig zu analysieren sind, weil sie neue Ordnungsbedingungen schaffen, die auf Kompromiß, Partnerschaft, Kooperation und in einer vernünftigen Ausgleichspolitik zu sehen sind. Die freiheitliche Friedensordnung für die Weltgemeinschaft, die das Weltgemeinwohl beachtet, ist die große Zielvorstellung der Friedenspädagogik.

Wir wissen, daß die heranwachsende Generation noch nicht über die skizzierte Bewußtseinsstufe verfügt und daß es noch keine Theorie einer Friedenspädagogik gibt, die aktiv und systematisch mit ihrer Arbeit beginnen könnte. Aber um die Einsicht, daß wir auf Grund des Wandels der Weltpolitik eine solche Theorie zu erarbeiten haben, kommen wir nicht mehr herum, und die ersten Schritte auf diesem Wege sind von uns zu leisten Die Kritik an der Drohpolitik unserer Tage, die Kritik an der Rüstungspolitik, die Overkill-Fähigkeiten produziert, die Kritik an mangelhaften Friedenskonzeptionen, die die internationalen Spannungen nicht vermindern, diese Kritik kann beginnen, weil sie ein Konflikt-denken trifft, das sich nicht auflösen, sondern mit Zähigkeit erhalten will.

IV. Weltpolitik von der Konfrontation zur Kooperation

Als sich die Niederlage Hitlers im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, richtete sich Roosevelts Sorge auf die künftige Friedenssicherung und auf die Aufgabe einer neuen Friedensgestaltung. Er faßte diesen Gedanken in der One-World-Idee zusammen. Als Schüler Wilsons wußte er, daß solche Pläne auch scheitern konnten. Dennoch bedurfte es einer Organisation, welche die Gewähr bot, daß die Verhältnisse im alten Staatensystem überwunden wurden. Roosevelts Verhandlungen mit Stalin in Jalta bestärkten ihn in der Hoffnung, daß die Sowjetunion weiterhin ein Partner bei der Friedensorganisation bleiben würde. Die Vereinten Nationen boten die Möglichkeit, den erreichten Status quo zu garantieren, wenn die beiden Hauptmächte USA und Sowjetunion eng zusammenarbeiteten und ein Kondominium bildeten. Die Handlungsfähigkeit der Großmächte wollte man durch das Veto im Weltsicherheitsrat erhalten, denn offensichtlich zögerte man, die Souveränität einer Einschränkung zu unterwerfen. Wenn der Sicherheitsrat auch aus fünf Mächten bestand, die für das Weltregiment verantwortlich waren, so äußerte man doch keinen Zweifel darin, daß die Gipfeldiplomatie, das heißt der amerikanisch-sowjetische Bilateralismus, die Chance bot, die zukünftige Weltpolitik zu steuern

Gewiß konnte dieses kollektive Sicherheitssystem funktionieren, wenn die beiden Haupt-partner sich loyal verhielten und alle Konflikte vermieden. Dann erschien in der Tat jede Gleichgewichtspolitik überflüssig zu sein. Das „Konzert der Mächte" ließ sich durch den „Bilateralismus" ersetzen, der die Weltfriedensordnung garantierte und die One-World-Idee realisierte Aber die beiden Partner konnten sich nicht auf gemeinsame Vorstellungen einigen, weil sich ein Konsensus über den Status der Weltverhältnisse nicht bildete und der Sowjetunion die Konsolidierung ihres Machtzuwachses mehr am Herzen lag als die One-World-Idee. Der Traum von Roosevelt, die Machtpolitik zu dispensieren und das Zeitalter der Kriege zu liquidieren, mußte verschoben werden

In der Reaktion auf die fehlgeschlagene Friedenspolitik nahmen die Amerikaner die neue Konfrontation an, die sie nun zum Widersacher des Kriegsverbündeten machte. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ein neues politisches Bewußtsein aufzubauen, weil die Realität sie dazu zwang. So entwickelten sie die berühmte Containment-Politik die für sie Richtschnur des Handelns unter Truman wurde. Die Sowjets hatten anfangs an ein weltpolitisches Engagement der USA nicht geglaubt. Sie hofften, daß sich bald das isolationistische Denken wieder durchsetzen würde. Um so überraschter waren sie, als sie nun auf den entschlossenen Widerstand einer desillusionierten Nation, stießen. Die Weltpolitik begann sich zu polarisieren und führte zu dem Lager-und Blockdenken, das Shdanow als prominenter Vertreter der sowjetischen Führungsspitze verkündete. Damit wurde der „Kalte Krieg" geboren oder die „gegnerische Bipolarität'1, die eine neue Variation des Freund-Feind-Verhältnisses darstellte.

Ideologische und ökonomische Solidarität schweißte den Block zusammen, weil die gleiche Interessenlage die Idee der Partnerschaft förderte, zumal das Bewußtsein gegenseitiger Abhängigkeit sich stark ausprägte. So entwikkelte sich eine zu beachtende Interdependenz in den Blöcken, für die es keine geschichtliche Parallelität gab. Kooperationsund Integrationsprozesse vollzogen sich rasch, weil die Konfrontation der Hauptmächte sich zunehmend verschärfte Der ideologische Konflikt zwischen Demokratie und Sowjetideologie vertiefte die Solidaritätsgefühle in den Blöcken in dem Maße, wie sich der Antagonismus von Block zu Block steigerte. Mit der Simplifizierung der weltpolitischen Struktur ging eine Verflachung der politischen Bildung Hand in Hand, weil das Demokratie-Totalitarismus-Modell beherrschend wurde. Auch die Aspekte in der politischen Theoriebildung verschoben sich mit dem „Kalten Kriege" — ein Zeichen dafür, wie sehr die Theoriebildung von der jeweiligen politischen Realität abhängig ist.

Die in Amerika einflußreiche „realistische Schule", die von Hans J. Morgenthau geführt wurde, kritisierte den „pazifistischen Idealismus" und machte deutlich, daß man mit solchem Denken nicht dem aktionsbereiten Totalitarismus widerstehen konnte Auch die von Shdanow verfochtene Zwei-Lager-Theorie signalisierte, wie man die Dinge auf der Gegenseite beurteilte. Die Brandmarkung des Westens als „imperialistisches Lager" zeigte mit aller Schroffheit, daß die Tage der Anti-Hitler-Koalition ausgeträumt waren. Die neue Freund-Feind-Version verhinderte ein Kondominium. Starres dogmatisches Denken setzte sich in der Weltpolitik durch; Dulles und Stalin galten als die Symbolfiguren für diesen Denktyp.

Das Blockdenken festigte die Ideologien, die den Ost-West-Konflikt stabilisierten. Für länger als ein Jahrzehnt überschattete der Konflikt der Supermächte die gesamte Weltpolitik. Die Blöcke wetteiferten miteinander, ihre Friedens-und Ordnungsvorstellungen zu proklamieren, aber gerade das Blockdenken verhinderte jede Friedenserörterung Der Prozeß der „Verzweiheitlichung" der Welt führte zur Machtkonzentration und zum starken Selbstbehauptungswillen der führenden Supermächte. Andererseits ließ sich die paradoxe, aber doch reale Tatsache beobachten, daß die staatliche Differenzierung der Welt ständig zu-nahm, die den Souveränitätsbegriff berührte

Die neutrale Staatenwelt weigerte sich auf den Dualismus der Supermächte einzuschwenken, weil sie den starren Konflikt nicht noch weiter potenzieren wollte. So entstand eine neue Politik: die der Bündnislosigkeit, welche einen neuen Block neben die fixierten Blöcke zu setzen gedachte. Diese Non-Alignment-Front offenbarte ein Selbständigkeitsstreben, das sich im prinzipiellen Neutralismus ausdrückte mit dem weltpolitischen Ziel, die Starrheit der Bipolarität zugunsten einer gelockerten Haltung aufzulösen. Nehru, Nasser und Tito begegneten sich in dieser Vorstellung und handelten kooperativ. Der Block der Blockfreien rückte die Aufweichungstendenz in den Bereich der Möglichkeit.

Die rasante Entwicklung der Kriegsindustrie, der Rüstungswettlauf mit den Nuklear-und Raketenwaffen schuf eine nukleare Parität, die zur gegenseitigen Neutralisierung, zum atomaren Patt führte und damit den Spielraum der Politik beträchtlich einengte. Eine Revitalisierung des politischen Handelns schien dringend erforderlich. Die Sowjets hatten sich mit ihrer „Koexistenz-Formel“, die von Chruschtschow vertreten wurde, schon früher als die Amerikaner um eine Position bemüht, die anzeigen sollte, daß man den „Kalten Krieg"

und die harte Konfrontation aufzugeben gedachte. Dulles vermied es, die Koexistenzpolitik der Sowjets eingehend zu testen, wie er auch die Blockfreiheit für amoralisch und kurzsichtig hielt

Erst in der Kennedy-Ära trug man dem atomaren Patt Rechnung und war gewillt, alte Grundsätze zu revidieren. Kennedys Ziel war, mit den Sowjets zu einem Arrangement zu kommen, zumal die USA nicht mehr unverwundbar blieb, wenn es zur Konfrontation kam. Er verdoppelte seine Anstrengungen, um eine politische und militärische Strategie zu entwerfen, welche lokale und globale Kriege verhinderte. Sein Ziel richtete sich auf eine glaubhafte Abschreckung der Sowjets, die es ihm ermöglichte, von einer Position der Stärke aus zu verhandeln. Das verhinderte zunächst nicht neue Spannungen, aber der Wille zur Entspannung nahm glaubhafte Formen an, der zu Belastungsproben mit den eigenen Partnern führte. Besonders nach dem Kuba-Debakel kündigte sich der Wille an, kooperative Schritte in Teilfragen zu unternehmen und es mit der Koexistenz-Politik zu versuchen.

Frankreich und China nutzten diese Möglichkeiten, um sich von der jeweiligen Führungsmacht zu distanzieren. Das Aufbegehren in den Blöcken stellte die Supermächte vor das Problem, wie sie mit ihren Partnern in den Blökken verkehren sollten, weil diese Mitsprache-und Mitbestimmungsrechte forderten. So zeichnete sich im Osten wie im Westen ein ähnliches Dilemma ab. Man war auf Grund des atomaren Patts dazu verurteilt, Kooperationsmöglichkeiten zu suchen. Zugleich mußte man sich mit dem wachsenden Eigenwillen der Partner auseinandersetzen. Diese doppelgleisige Politik rief jene multipolaren und polyzentristi-sehen Tendenzen hervor, welche die Starrheit der Blöcke aufweichten. Das hegemoniale Denken blockierte echtes partnerschaftliches Denken, denn wirklich unabhängige Aktionen der Blockpartner schädigten das Prestige als Führungsmacht

Mit dem Wachsen des Willens zum Arrangement vollzog sich ein neuer Prozeß, der den Supermächten den Vorwurf atomarer Komplicenschaft eintrug. Besonders China richtete heftige Angriffe an die Adresse der UdSSR und verdächtigte die Hegemonialmacht eines „imperialistischen Komplotts". Das Mißtrauen ging noch weiter: Man sprach von den Anfängen eines Weltkondominiums, das die brüderliche Aufteilung der Welt bezwecke, wobei man sich die Region zuteile, in der jede Supermacht für Frieden und Ordnung zu sorgen habe Die friedliche Koexistenz nahm die Form einer „hegemonialen Koexistenz" an, weil die Supermächte beide gezwungen waren, Abschied von ihrer Machtpolitik zu nehmen; man konnte dem anderen Widersacher weder durch eine Roll-back-Politik noch durch eine „Raketenpolitik" das Gesetz des Handelns aufzwingen Beide Seiten verfolgten daher eine elastischere Politik, die besonders auf Absprachen über Atomwaffenversuche hinzielte. Der Vertrag vom August 1963 über ihre Einstellung in der Atmosphäre und unter Wasser war zweifellos ein erster Schritt in dieser Richtung Vor allem die Verbündeten der Supermächte befürchteten ein Fortschreiten zur dualistischen Hegemonie.

Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen Moskau und Peking nötigte die Sowjetunion zu einer Politik des Abwartens, die mal freundlichere und mal härtere Züge offenbarte, je nachdem, wie es die Staatsräson und die Ideologie erforderten. Diese typische Ambivalenz war seit Lenin und Stalin, aber auch unter und nach Chruschtschow erhalten geblieben. Gewiß hatte die Koexistenzpolitik nicht zuletzt die Aufgabe, den Westen zu beschwichtigen Aber diese sowjetische Appeasement-Politik konnte schnell umschlagen, wofür die Vorgänge in der Tschechoslowakei ein beredtes Beispiel gaben. Wie zwölf Jahre zuvor in Ungarn und Polen widersetzte man sich dem Polyzentrismus und jeder Auflösungstendenz. Frankreich im Westen unter de Gaulle, Rumänien im Ostblock und Tito in den Drittländern hatten einen solchen Weg mit Erfolg praktiziert. So glaubte man bereits in der vollen Entfaltungsphase der Multipolarität zu stehen, als der große Rückschlag erfolgte Die Sowjets wehrten sich, ihre Sicherheitsinteressen in Frage stellen zu lassen und griffen ganz offen zur Intervention und zum politischen Druck. Die Breschnew-Doktrin postulierte das Recht zum Eingreifen in einem sozialistischen Land, wenn in der Sicht Moskaus das sozialistische System bedroht ist.

Weil in der Tschechoslowakei der Grundsatz vom „Sozialismus in einer Region" bedroht schien und antisozialistische Kräfte den Marxismus-Leninismus angriffen, war es nach sowjetischer Auffassung die Pflicht der UdSSR, die gemeinsamen Interessen zu schützen, das heißt die osteuropäische Region in ihrer Substanz zu erhalten. Die osteuropäischen Verbündeten hatten die Minderung ihrer Souveränität hinzunehmen und sich zur verbindlichen Ideologie zu bekennen. Das hegemoniale Denken siegte über die Idee eines humanen Sozialismus, Sicherheitsinteressen und die Ideologie erwiesen sich als stärker als die Freiheit Dagegen konnte Moskau nicht verhindern, daß das große sozialistische Lager durch die Chinesen gespalten wurde, daß sich Mao um die Führungsrolle auf der südlichen Hälfte des Globus bemühte und daß damit ein neues weltpolitisches Dreieck im Entstehen war: USA—UdSSR—China. Von nun an zeichnete sich die Nord-Süd-Spannung als neues Problem für die Supermächte ab, denn beide gehörten zu den reichen Industrieländern, die sich einem internationalen Klassenkampf gegenübergestellt sahen.

Diese heterogenen Tendenzen in der gegenwärtigen Weltpolitik gestalten die Verhältnisse schwierig, denn wir beobachten weitere kooperative Schritte: die Unterzeichnung des Atomsperrvertrages und die sogenannten SALT-Gespräche andererseits bemühen sich die Sowjets um Ausgleichsgespräche mit Peking, während die USA ebenso ihr Verhältnis zu Rotchina zu verbessern wünschen. Eine exakte Analyse der weltpolitischen Handlungsweisen ergibt das zwiespältige Bild, daß Konfrontation und Kooperation einander ablösen, so daß sich gegnerische und kooperative Bipolarität abwechseln. Die Hauptmächte sind an gegenseitiger Entspannung interessiert und fördern deshalb auch solche Bemühungen in ihren Subsystemen, obwohl der Spielraum dafür eng begrenzt bleibt, weil sie die Blöcke zusammenhalten wollen

So verfolgen sie gemeinsame und sich widersprechende Ziele; sie streiten für den Atomsperrvertrag, um die nukleare Streuung zu verhindern und den Atomklub nicht auszuweiten, denn in ihren Blöcken bleibt die nukleare Exklusivität erhalten Die „friedensstiftende" Wirkung dieses Vertrages beruht noch offensichtlich auf einem „Element negativer Kooperation" Sie hüten damit auch ihre Hegemonie, die keine gemeinsame Hegemonie ist, weil sich ihre Interessen nicht decken.

Die Tatsache aber, daß die starre Konfrontation des Kalten Krieges einer „negativen Kooperation" gewichen ist, läßt die Vermutung aussprechen, daß eine Interessenkonvergenz eher zunehmen als abnehmen dürfte, was unter bestimmten Aspekten eine „globale Kohegemonie" möglich macht, die freilich auch viele Staaten fürchten Zweifellos soll mit der Friedensabsicht auch die eigene Herrschaft abgesichert werden. Der Machtwille und die ideologische Konkurrenz sind noch so groß, daß die Erörterung einer rationalen Friedensordnung nicht gelungen ist, obwohl den Beteiligten klar ist, daß sie in einem historischen Novum leben und in nuklearen Dimensionen zu denken haben. Das Konzert der Mächte mit dem alten Gleichgewichtsdenken läßt sich heute nicht mehr realisieren, weil der freie Wechsel der Koalitionen und entscheidende Gewichtsverlagerungen nicht hingenommen werden. Das „Gleichgewicht des Schreckens" zementiert den Status quo, der sich nicht durch geschickte Kombinationen verändert. In dieser „Rationalität" müssen wir uns vorerst noch bewegen, bis weitere Bewußtseinsprozesse das Friedensdenken mit politischen Konsequenzen zu fördern vermögen.

Wir dürfen auf dem bisher erreichten Stand nicht stehen bleiben. Die politische Vernunft, die sich in vielen Handlungsweisen trotz der. zahlreichen Konfliktherde . auf dieser Welt immer wieder durchzusetzen vermochte, kann noch größere Triumphe feiern, um die Dialektik von Konfrontation und Kooperation im Sinne positiver Kooperation zu überwinden. Dazu ist die Einsicht nötig, daß der Frieden nicht nur ein institutionelles und ökonomisches Problem ist, sondern auch die Frage nach unserer geistigen Haltung mit einschließt. Wenn wir in der politischen Pädagogik mit Hilfe der Ergebnisse der Friedensforschung Motive und Ursachen für alle politischen und sozialen Konflikte freilegen, damit sie kritisierbar werden, wird das politische Bewußtsein weiter wachsen.

Die Paradoxie und Heterogonie der gegenwärtigen Weltpolitik, ihre „organisierte Friedlosigkeit" verhärtet noch zu stark die bestehenden Fronten, was natürlich Rückwirkungen auf die politische Bildung in Ost und West auslöst, weil Auswege aus der Situation nur zögernd und abwartend vollzogen werden. Es ist an sich widersprüchlich, den Weltkommunismus und die Sowjetunion zu bekämpfen, gegen sie gerichtete Verteidigungsbündnisse in Funktion zu halten und doch mit ihr zu kooperieren und Verträge abzuschließen. Mißtrauen und Vertrauen mischen sich noch. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Sowjetunion, die stets behauptet, den Kampf für Frieden zu führen, für die Unabhängigkeit der Völker zu wir-ken, und de facto ihren sozialistischen Partner-staaten die volle . Gleichberechtigung versagt und mit Interventionen droht, wenn sie auf mangelndes Wohlverhalten stößt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker — ein „Aushängeschild der kommunistischen Ideologie" — hat wie auch andere ideologische Zielsetzungen die Aufgabe, die eigene Machtpolitik zu verhüllen. Ihre Machtpolitik steht vor der Ideologie. Dafür gibt es genügend Beweise

Wir stoßen damit auf ein Problem, das sich nicht zuletzt einer politischen Pädagogik stellt: die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ins Bewußtsein zu heben. Die nüchterne Analyse der Ideologie und der ihr folgenden politischen Praxis offenbart die angesprochene Diskrepanz, die sich nur durch eine erweiterte Bewußtseinsform beheben läßt. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Politik der Teilungen, die in unserem Jahrhundert unter ideologischen Gesichtspunkten typisch geworden ist und in der sich die antagonistische Bipolarität spiegelt. Diese Politik hat in Korea, in Deutschland und in Vietnam einen Status quo hergestellt, der für die beteiligten Völker als untragbar empfunden wird. Diese und andere Teilungsprobleme sind die Folge — mittelbar und unmittelbar — des atomaren Gleichgewichts Trotz zahlreicher Verhandlungen hat man in diesen Spannungsgebieten noch keine tragbare und faire Kompromißformel gefunden, die eine friedliche Lösung der Probleme erlaubte. Die Politik war bisher nicht in der Lage, die Konflikte in den Teilungsgebieten zu beseitigen. So enthüllt sich — nach wie vor — manch düsterer Aspekt bei der Analyse der Weltpolitik und mancher wird Franz Ronneberger zustimmen, wenn er die Situation so beurteilte: „Wir werden eine nicht abreißende Kette von Staatsstreichen, Militärdiktaturen, Einparteiregimes, autoritären Herrschaftsformen, aber auch von Aggressionen gegen Nachbarstaaten im Kampf um nationale Ziele mit wirtschaftlichem Hintergrund erleben."

Revolutionäre und reaktionäre Tendenzen stoßen hart aufeinander, weil rückständige Herrschaftshierarchien und ungerechte Sozialordnungen den Fortschritt blockieren. Zweifellos gefährden diese als Krisenherd die Erhaltung des Friedens, weil sich die soziale Ungerechtigkeit ein Ventil im revolutionären Aufbegehren schafft, der Weltarmut den Kampf anzusagen. Die heute noch bestehenden Demarkationslinien, die weder eine historische noch eine geographische Berechtigung haben, und die Probleme der Weltarmut sind eine Herausforderung für die Supermächte und ihre Bündnispartner, Maßnahmen für eine Konfliktregelung zu ergreifen und eine gemeinsame Friedensstrategie zu entwerfen.

Nur wenn diese gemeinsam zu lösende Aufgabe im Osten und Westen erkannt wird, können die Zwiespälte dieser Welt überwunden werden. Es besteht kein Zweifel darüber, daß drastische Abrüstungsprogramme und die Umstellung der Rüstungsindustrie auf eine Friedensindustrie jene Mittel freisetzen würden, um wirksame Hilfsprogramme zu entwerfen. Voraussetzung für gemeinsames Handeln der nördlichen Industrienationen auf diesem Globus ist der Wandel des bisherigen Bewußtseins. Das verlangt zunächst eine erhöhte Anstrengung im politischen Bildungssystem, die Weichen vom antagonistischen Denken auf eine notwendige, durch die historische Epoche bedingte partnerschaftliche Kooperation zu stellen. Diese Aufgabe ließe sich von einer Friedenspädagogik bewältigen, die von den einsichtigen und die Probleme durchschauenden Eliten aus Verantwortung für die Zukunft zu konzipieren wäre.

In dem Augenblick, in dem die Supermächte den paradoxen Frieden nicht mehr stützen, weil andere Bewußtseinsvorgänge ihr politisches Handeln bestimmen, lassen sich auch Regelungen für den heute unbefriedigenden Zustand der Welt schaffen. So lange taktisch-ideologisches Denken die Politik beherrscht, die Sowjets zum Beispiel nicht willens sind, ihre These von den „gerechten Befreiungskriegen der unterdrückten Völker" aufzuheben, das heißt einer Friedensstrategie wegen den ideologischen Kampf abzubauen, damit unfruchtbare Haßfronten eingeebnet werden, solange läßt sich eine kooperative Humanität nicht realisieren, weil der revolutionäre Zündstoff erhalten bleibt und sich alle politischen Energien weiterhin gegen den Feind richten. Das Feind-und absolute Konfliktdenken, das dichotomische Denken, ist der wahre Grund dafür, daß sich Weltteilungslinien als Folge des atomaren Patts erhalten und daß bisherige Friedensstrategien zum Scheitern verdammt werden. Politische Dogmen und ideologische Strategie verhindern die neue Bewußtseinsformung, die bewußt auf den Frieden und die kooperative Humanität abzielt. Die Friedens-pädagogik ist die Chance, diesen Sachverhalt weltweit aufzuklären, damit die Ideologen nicht mehr zu den Verführern der Menschheit zählen. Revolution und Aggression gefährden die Welt, sie verwandeln sie nicht mehr im positiven Sinne. Die Welthungerkatastrophe erfordert heute jährlich mehr Opfer als die Revolutionskriege. Sie ist die Herausforderung an die heute lebende Menschheit, ihr politisches Verhalten zu verändern. Das verlangt nicht zuletzt nach einer geistigen Besinnung, die sich der Erkenntnis nicht verschließt, daß der Friede zur wahren Grundlage unseres politischen Denkens werden muß. Die Zeit, in der Ideologen sich des Friedensbegriffes als einer Phrase bedienten, ist vorbei. Die Grundkategorie der politischen Pädagogik heißt Frieden. Sie wird jene Tendenzen stützen, die auf dem gesamten Erdball einheitliche soziale Bedingungen in stets wachsendem Ausmaß schaffen. Die globale Interdependenz erhält durch die technologische Revolution einen starken Impuls. Sie bedarf auch eines geistigen Momentes. Für die Friedenspädagogik ist die One-World-Idee eine reale Utopie.

V. Abschreckungspolitik und Friedenspädagogik

Der Weg von der Konfrontation zur Kooperation ist dornenreich. Es mag deshalb Zweifler geben, die sich starke Umformungsprozesse vom Geistigen her nicht vorstellen können, weil Rationalität und Technologie eine „negative" Seite enthüllen, die die Abschreckung wirksam beeinflußt. Viele meinen, daß dieser Prozeß irreversibel sei, weil allein das „Gleichgewicht des Schreckens" die reale Friedensgarantie darstelle. Der hohe Stand der Technologie erlaube den Aufbau eines lückenlosen Gewaltspektrums, das infolge vielfacher Abstufung ein Droh-und Gewaltsystem ermögliche, mit dem man vielschichtig reagieren könne. Diese Zweifler befürworten ihrerseits eine differenzierte Abschreckungstheorie mit dem Hinweis, daß eine totale Auslöschung und Vernichtung des Gegners nicht eintrete, da die Konfliktseiten den totalen Nuklearkrieg vermeiden möchten Man entwickelt daher eine Eskalationstheorie, die den graduierten Einsatz von Gewalt vorsieht; so entstehen mannigfache Konfliktstufen von der ideologischen Propaganda bis zum totalen Einsatz der Atomwaffen. Mit der breiten Auffächerung unterschiedlicher Gewaltformen erhalten die Politiker ein brauchbares Instrument, das ihnen differenzierte Entscheidungsmöglichkeiten gibt

Die Wahlmöglichkeiten eröffnen ein Verhalten, das auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht, weil trotz der Härte des Konfliktes ein gegenseitiges Interesse eintritt, das die Kooperation auch unter Feinden herstellt, weil man dem Gegner klarmachen kann, daß er aus eigenem Interesse bestimmte Schritte zu unterlassen habe. So zeige sich auf allen möglichen Konfliktstufen auch immer noch ein kooperatives Verhältnis — „die eigenartige Verklammerung von Konflikt und Kooperation ..., die das Wesen der Eskalation bestimmen soll" Die negative Seite der Rationalität erhält in der Tat, wenn wir dieser Ansicht folgen, ein bestimmtes Maß an Flexibilität aufrecht und bricht mit der Ansicht, daß der Atomkrieg die gesamte Weltzivilisation zerstören könne. Der Nuklearkrieg selbst läßt sich differenzieren, wenn ein bestimmtes Maß rationalen Verhaltens gewahrt bleibt Es liegt im Interesse der Konfliktseiten, die Schäden und Opfer „so weit wie militärisch möglich und politisch sinnvoll zu begrenzen"

Das von Dieter Senghaas hervorragend beschriebene Abschreckungsdenken, das auf einer negativen Rationalität basiert und sich des Kooperationsbegriffes unter Feinden bedient, kann in der Tat nur Unbehagen auslösen, weil das ausgefeilte Drohsystem — von Hermann Kahn systematisch analysiert — einen Bewußtseinszustand offenbart, der von der Macht-und Interessenpolitik nicht abweicht. Macht und Interesse bleiben hier die Grundkategorien des Politischen. Aber „ein Lager von Bomben, Raketen und Kanonen ergibt keine größere Sicherheit als ein Pulverfaß", wie Amitai Etzioni treffend bemerkt Kahn brilliert mit seiner virtuosen strategischen Phantasie, die sich nicht einem Konfliktmodell entzieht, dessen Grundlage die Gewalt ist. Das Schlimme an dieser Konzeption bleibt, daß man den Antagonismus als ein unentrinnbares Schicksal für die Völker und Nationen erklärt und nur noch an „verfeindete und kooperierende Antagonisten" glaubt. Die Droh-und Gewalt-politik schafft sich die ihr adäquate Mentalität und auch ein entsprechendes Milieu, das die Struktur der „gegnerischen Bipolarität" aufrechterhält

Riesensummen investiert man in ein System, das bestenfalls den Ernstfall verhindert, während man andere wichtige Weltprobleme, zum Beispiel die Lösung der Welthungerkatastrophe, als zweitrangig ansieht. Das entscheidende Motiv für die radikale Kritik dieses Systemes liegt in der „negativen Rationalität", die ins Irrationale überspringt, weil sie keine Überlegungen anstellt, wie man die ganze Drohpolitik vermeiden könnte. Dagegen wird „internationales Brinkmanship mit Atombomben und Bomben gespielt", wie Etzioni feststellt Auch das „kooperative Feindmotiv" ist bezeichnend für dieses Abschreckungsdenken, das ein „Duell am Abgrund" führen möchte. Das Pathologische in der Politik offenbart sich nicht zuletzt in diesen Motiven, weil davon Mentalität und Milieu bestimmt werden. Rüstungsplanung und Rüstungsindustrie, die den Drohmechanismus mit den Streitkräften in Gang halten, stabilisieren auf diese Weise den organisierten Unfrieden, der den Lebensstandard vieler Millionen von Menschen aufrechterhält. Darum bemerkt Eberhard Menzel: „Noch nie haben die Staaten soviel für die militärische Rüstung ausgegeben wie heute."

Weil die Abschreckungssysteme hohe Kosten verursachen, reichen die Finanzmittel nicht aus, um die dringlichsten Probleme der Kultur-und Sozialpolitik zu erfüllen. Die notwendigen Friedenskosten werden von den Abschreckungskosten bei weitem überschritten. Mit anderen Worten: Der Frieden wäre nicht nur moralischer und vernünftiger, sondern auch viel billiger. Es ist daher an der Zeit, die ganze Schizophrenie des menschlichen Geistes sichtbar und bewußt zu machen, damit der Strom der Kritik anwächst und die „organisierte Friedlosigkeit" als System in ihrem Kern getroffen wird Es ist eine Frage an den Faktor „Zeit", ob wir uns solche Fehlspekulationen im Anblick so wichtiger Probleme in der Welt, wie sie Hunger, Krankheit, soziale Ungerechtigkeit, Analphabetentum darstellen, überhaupt noch leisten können

Nüchterne Zahlen demonstrieren den Faktor Zeit. Von den rund drei Milliarden Erdbewohnern verhungern schätzungsweise 25 Millionen Menschen jährlich, 500 Millionen leben am Rande des Hungertodes, 1, 5 Milliarden leiden an Unterernährung. Die Bevölkerungsexplosion verschärft diesen Zustand noch. Dieser „unterprivilegierte Status" ist auf die Dauer nicht tragbar. Daher schmiedet man Revolutionstheorien, welche die „Städte der Welt" einkreisen sollen, um die „Entfremdung der Ökonomie", die sich in den Rüstungsausgaben* spiegelt, aufzuheben Zweifellos verhindert die Abschreckungstheorie den positiven Frieden. Daher richten sich die Blicke auf die Bemühungen der Abrüstungsschritte. Wir können hier die Versuche nicht im einzelnen würdigen, weil sie noch nicht zu den Ergebnissen geführt haben, die wir für nötig erachten

So leicht sind ideologische Haßfronten in unserer Gegenwart nicht zu überwinden. Kapitalisten und Sozialisten, Imperialisten und Friedenskämpfer beschuldigen sich in gegenseitigen Propagandafeldzügen. Dabei geht es immer um den gleichen Tatbestand: Man möchte Affekte und Emotionen entfachen, indem man die eine Seite als „kapitalistisch" und „imperialistisch" brandmarkt und ihr die Allein-schuld für den mangelhaften Zustand in der Welt in die Schuhe schiebt. Durch mangelnde Information und durch bewußte Fremdtäuschung soll Existenzangst und Furcht erzeugt werden, die eine aggressive Haltung hervorrufen. Der Mangel an politischer Vernunft und gegenseitiges Mißtrauen sind unüberwindbare Hindernisse für Humanität und Frieden.

Diese Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen der Abschreckungsanalytiker unserer Tage. So hat Dieter Senghaas die Abschreckungspolitik als „technokratische Psychostrategie" bezeichnet, die zwar hilft, die Kräfteverhältnisse in der Welt zu stabilisieren, die aber damit einen Bewußtseinszustand fördert, der eben durch Furcht und Angst, Mißtrauen und Feindschaft, Haß und Aggressivität gekennzeichnet wird. Darum ergibt sich für eine Friedenspädagogik genau an diesem Punkt ein analytischer Ansatz Die Friedlosigkeit ist zu einem sozialen und politischen Phänomen geworden, das die schwierige Frage aufrollt, wie sich eine Friedenspädagogik in einer friedlosen Welt den nötigen Resonanz-boden verschaffen soll. Sie hat in einer solchen Lage „nur eine Chance, kritisches Bewußtseinspotential heranzubilden, wenn sie die Kritik der Bedingungen des Unfriedens und des aktuellen Drohsystems zum zentralen Inhalt ihres Selbstverständnisses und ihrer Lehre erhebt"

----------------N /Soziale und ökonomische, nationale und ideologische Konflikte halten die Völker und Nationen in Atem, indem sie heterogene Macht-, j Interessen-und Wertvorstellungen entwik-keln, die sich deshalb nicht friedlich schlichten lassen, weil man eine Kompromiß-und vernünftige Ausgleichspolitik weit von sich weist und als nicht akzeptabel erklärt. Gewaltakte sollen als Mittel der Konfliktlösung um jeden Preis erhalten bleiben. Diese antiquierte Denkweise der Abschreckungspolitik, die ja stets mit dem Versagen der Abschreckung rechnen muß, ist von den Theoretikern auch hinreichend gerügt worden, denn die Politik erfüllt nur noch ihren Sinn, wenn sie den Frieden zu erhalten und zu sichern vermag. Politik ist deshalb nur noch als Friedenspolitik zu rechtfertigen. Darum wird ja auch von der Wissenschaft gefordert, daß sie sich als Friedenswissenschaft zu betätigen hat und sich nicht von den Machthabern mißbrauchen lassen darf Dabei müssen auch manche altgewohnten Vokabeln über Bord geworfen werden: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge" oder „si vis pacem para bellum". Man sollte auch die Taktik durchschauen, die das vielzitierte Wort umwandelt: si vis bellum para pacem, daß heißt, „willst du den Krieg, so tue so, als ob du für den Frieden arbeitest". Es gibt auch Friedens-ideologien, welche die Gemüter vernebeln sollen, und „Friedenskämpfer", die das Wort „Frieden" benützen, um sich ungestört auf ihre Gewaltpolitik vorzubereiten. Gegen erstarrte Blockfronten, die den Konflikt nur auf eine höhere Ebene projizieren, gegen Bewußtseinsdefekte sind Abwehrkräfte zu mobilisieren, indem neue Möglichkeiten und neues Denken erprobt werden

Trotz mancher Abrüstungsschritte und auch bestimmter Abrüstungskonzeptionen konnten nur punktuelle Teilerfolge erzielt werden. Weder die Vorschläge der Unilaterialisten noch die der Gradualisten haben sich wirksam durchgesetzt, obwohl hier der ernsthafte Versuch unternommen wird, dem circulus vitio-sus zu entrinnen. Jedenfalls erkennen diese Theoretiker, daß die Droh-und Abschreckungspolitik der Ursprung des Übels ist. Nur wenn man die Rüstungsmentalität als den psycholo-141 gischen Grundtatbestand verändert, kann man erfolgreich sich dem Frieden nähern.

Charles Osgood, einer der wichtigen Theoretiker des Gradualismus, entwickelte einige Thesen, über die auch eine Friedenspädagogik reflektieren sollte. Immer weniger Menschen kümmern sich noch um das moderne Waffenpotential, das stets gefährlicher wird. Es entschwindet ihrem Gesichtskreis, obwohl immer größere Summen dafür investiert werden, die ernsthafte Friedensprogramme blockieren. Die Supermächte beteuern ihren Friedenswillen, ohne daß eine wirksame Begrenzung der Waffensysteme eintritt. Doch je größer diese werden, um so mehr verliert die Politik an Flexibilität. Eine Neuorientierung politischen Denkens kann auf dieser Grundlage schwerlich gefunden werden. Eine Entschärfung der internationalen Konflikte ist bei dieser „Neandertaler-Mentalität” nicht möglich

Deshalb haben die Unilateralisten einseitige Abrüstungsmaßnahmen vorgeschlagen, um eine „Durchbrechung der Mißtrauensbarriere" zu erzielen, und zwar durch Opfer und nicht nur durch Gesten. Hier wird die Ablehnung der Gewalt nach ihrem Motto „Krieg ist eine veraltete soziale Institution" als Instrument der Politik benutzt. Solange sich Drohung und Gegendrohung begegnen, sind weder Fortschritte im Geistigen noch im Praktischen zu vollziehen. Erich Fromm, der prominente Unilateralist, will die geistige Elite wachrütteln, etwas gegen die Irrationalität des Wettrüstens zu tun. Darum sein Vorschlag, daß eine der beiden Supermächte einseitig mit der Abrüstung beginnen solle

Dagegen möchte Amitai Etzioni das Risiko einseitiger Abrüstung vermeiden. Er hofft darauf, daß sich Schritt für Schritt eine Atmosphäre des Vertrauens aufbauen lasse, wobei man die Einzelschritte von der Gegenseite honorieren könnte, so daß auf diese wechselseitige Aktion und Reaktion der Durchbruch erzielt werde. Die Gradualisten operieren in ihrer Theorie wesentlich vorsichtiger als die Unilateralisten. Beide wollen die Abschreckungsmentalität, die Stagnation bedeutet, eliminieren, weshalb sie eine Initiative der Supermächte empfehlen. Mit einseitigen oder graduellen Schritten soll eine Eindämmung und schließlich ein wer-Rüstungsstopp erzielt den

Die Friedenspädagogik kann aus diesen Theorien die Erkenntnis ableiten, daß die Abschrek-kungsmentalität durchbrochen werden muß, weil sonst Friedensschritte illusorisch sind. Das Drohsystem leistet Widerstand gegen alle qualitativen Veränderungen; es verewigt den Status quo und nimmt damit die Form der Stagnation und Unmündigkeit an. Ein solches Beharrungsvermögen vereitelt jeden Neuordnungswillen und blockiert mündiges Denken. Die Abschreckungsmentalität begünstigt eine Unterwerfungspädagogik, die in den Kategorien Atomkrieg, Macht, Interesse denkt und damit unserer historischen Entwicklungsstufe nicht mehr gerecht wird. Die schöpferische Ordnungsaufgabe der Politik verliert unter diesem Gesichtspunkt ihren Sinn. Das spüren nicht zuletzt die Supermächte selbst, die in einen Zwiespalt geraten: in eine Dialektik von Konfrontation und Kooperation. Deshalb werden auch Anstrengungen zur Konfliktregelung auf bestimmten Teilgebieten unternommen, die zu gewissen Teilerfolgen führten. Man sollte über die Teilerfolge nicht mit Geringschätzung hinweggehen, weil sich der Wille der Supermächte dokumentiert, die Verkrampfung des Abschreckungsdenkens zu lockern. Dabei handelt es sich zunächst um mehr punktuelle kooperative Schritte als um systematische Abrüstungsplanung. Doch wenn sich diese Tendenz verstärken ließe, würde der Weg aus der Konfrontation heraus zur zunehmenden Kooperation führen Der Austausch von Gewalt-verzichtserklärungen und positive Ergebnisse bei den SALT-Gesprächen könnten die Friedenspolitik fördern. Das sind Hoffnungsschimmer am Horizont der Weltpolitik. Aus dieser Tatsachenlage leiten sich die konkreten Aufgaben der Friedenspädagogik ab. Hier sind zunächst zwei davon mit aller Klarheit zu formulieren: Erstens die kritische Einstellung zum Abschreckungsdenken, das als pathologisch zu brandmarken ist, weil es blind macht, intelligenzhemmend wirkt und die Ignoranz fördert Zweitens, die materielle und gei-stige Existenzsicherung muß sich auf alle Staaten der Welt erstrecken. Der krasse Gegensatz von reichen Industrienationen und armen Entwicklungsländern ist mit allen Konsequenzen ins Bewußtsein zu heben.

Die radikale Kritik an der Abschreckungstheorie wird ein politisches Bewußtsein erziehen, das erkennt, daß die bisherigen Einstellungen und Loyalitäten eine Erziehung zum nationalen Hochmut und zur ideologischen Überheblichkeit begünstigten und daß es zur weltweiten Verständigung und Versöhnung nur kommen kann, wenn man die nationalen und ideologischen Grenzen überschreitet, um den Weg für neue Loyalitäten zu ebnen. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind rapide gewachsen. Sie können als Hilfe zu verstärkter Solidarität benutzt werden. Die wesentlich komplexer gewordene Weltgemeinschaft — die Mitgliederzahl der UNO stieg 1968 auf 126 Staaten — erfordert es, daß ein angemessenes Verständnis für diese Völker und Nationen entfaltet wird. Die immer größer werdende staatliche Differenzierung scheint einer politischen Vereinheitlichung im Wege zu stehen. „Jedenfalls gehen zwei Prozesse", wie Theodor Schieder hervorhebt, „in der Formung der modernen Welt dauernd nebeneinander her: die Konzentration politischer Macht und zugleich eine immer größere staatliche Differenzierung."

Der Staatenpluralismus, der ein Problem in unserer Zeit darstellt, darf nicht zur Zersplitterung beitragen. Gewöhnlich beruht der Pluralismus auf den Prinzipien von Gleichgewicht und Unabhängigkeit; es hat aber den Anschein, als ob mit diesen Prinzipien eher eine politische Ordnung aufgelöst wird als erhalten bleibt. Das Gleichheitsprinzip der Staaten erwächst aus dem Souveränitätsprinzip. Aber es wird doch andererseits eingeengt durch den faktischen Tatbestand, daß sich der Unterschied der Mächte nach ihrer qualitativen Seite hin nicht aufheben läßt und insbesondere die Großmächte von ihrem Ordnungsrecht Gebrauch machen: durch „ideologische Interventionsdoktrinen" oder einfach durch „expansive Großmachtpolitik" Der Staatenpluralismus einerseits und der Dualismus zweier Supermächte mit ihren Ideologien andererseits, die sich gegenseitig matt setzen, sind das Bild, das von der Weltpolitik heute entsteht.

Es wird ergänzt durch die Blockbildungen mit gleicher sozialer Struktur, die als Mittel der Selbstbehauptung und zur Sicherheit der Globalmächte eingesetzt werden, wobei den jeweiligen Partnerstaaten, die sich bedroht fühlen, Sicherheit und innere Autonomie gewährt wird. Das Blockdenken ruft verengte und einseitige Loyalitäten hervor, es verstärkt das Abschreckungsdenken.

Eine Friedenspädagögik tut gut daran, wenn sie auf die Frage eingeht, welche konkreten Schritte nötig sind, um aus dieser Situation hinauszuführen, das heißt mit anderen Worten, sie hat dafür Sorge zu tragen, daß vielfältigere Loyalitäten entstehen als nur nationale und ideologische. Sie muß sich darüber bewußt werden, daß eben Ideologien und Mythen, Traditionen und Symbole der Nationen von Generation zu Generation reproduziert werden und somit den Zustand allgemeiner Aufklärung verhindern. Information und freier Gedankenaustausch erweitern und öffnen den Horizont des einzelnen und geben ihm Orientierungshilfen für eine sich verändernde Welt. Zur Gewinnung solcher vielfältigen Loyalitäten sind daher auch organisatorische Schritte nötig, um parteiliche Gesichtspunkte zu überwinden. Weil wir wissen, welche Konfliktrollen nationale, ideologische, aber auch Klassendifferenzen im politischen Leben der Völker bisher gespielt haben und welche Kontroversen auf Grund unterschiedlicher Interessenlagen daraus entstanden, deshalb muß es für eine Friedenspädagogik förderlich sein, wenn sie bewußt ihren Blick auf internationale Zusammenschlüsse und Organisationen richtet. Hier bieten sich Lernmöglichkeiten an, die man bisher nicht in dem Maße nutzte, wie es für die Sache des Friedens erforderlich gewesen wäre.

Viele Theoretiker sind für Kooperation und die Beseitigung von Trenngräben eingetreten und haben die Bildung supranationaler Gemeinschaften als einer ersten Phase globaler Integration empfohlen In supranationalen Organisationen werden die Unterschiede verwischt, die im Staatenpluralismus und in der Hegemonie der Supermächte so überdeutlich zum Ausdruck kommen, weil eben jede Nation ihr Mitbestimmungsrecht in einem kooperativen System ausüben kann. Wenn irgendwo sich der Geist der Partnerschaft und der Kooperation erheblich verstärken läßt, dann in solchen supranationalen Körperschaf-ten, weil Menschen aller Nationen hier die Chance zur Mitarbeit erhalten und im gemeinsamen Teamwork Vorurteile, Ressentiments, rassische Diskriminierung, daß heißt die feindlichen Antagonismus verursachenden Motive ablegen können. Nirgendwo in der Welt vollziehen sich heute Umlernprozesse leichter als in den internationalen Gemeinschaften, die man noch stärker ausbauen und fördern müßte. Gerade in internationalen Bildungsinstituten würde die Friedenspädagogik jene Heimstatt finden, die sie benötigt, um wirkungsvolle Arbeit zu leisten.

Besonders der Nutzen wirtschaftlicher und kultureller Integration —-weltweiter Handel ohne Beschränkung und ohne politische Auflagen, weltweiter Kulturaustausch, wissenschaftliche Arbeitsteilung — bietet Möglichkeiten, um den neuen Feinden der Menschheit gemeinsam zu widerstehen. Die Überwindung des Feinddenkens, die manche als verhängnisvoll ansehen, weil dann der Wille zur Solidarisierung gegen eine Bedrohung geschwächt würde könnte eben jene Kräfte mobilisieren, die wir heute brauchen, um zwei Feinde zu vernichten: die Gefahr der Atombomben und des Welthungers. In diesem Sinne gesehen, braucht die Feindvorstellung nicht aufgegeben zu werden.

Sie richtet sich nur nicht mehr gegen den „Mitmenschen", sondern gegen die großen Herausforderungen der Zeit.

Dieser Umformungsprozeß gibt der Friedens-pädagogik einen wirklichen politischen Auftrag. Das Feinddenken läßt sich sublimieren, indem man das Denken auf die großen politischen Aufgaben lenkt und dafür alle Kräfte aktiviert und konzentriert. Dabei können alle ihren Anteil an der Friedensstrategie übernehmen, denn der positive Frieden, den vernünftige Menschen heute fordern, fällt uns nicht in den Schoß, wenn wir in der sich anbahnenden Weltzivilisation ein „befriedetes Dasein" schaffen wollen.

Weltverantwortung für den globalen Frieden im wissenschaftlich-technischen Zeitalter und ein „befriedetes Dasein" als Ziel künftiger Entwicklung erfordern Bewußtseinsprozesse auf der individuellen, gesellschaftlichen und internationalen Ebene, die bis heute nur schwer in Gang zu setzen sind, um lähmende und pathologische Erscheinungen wirksam zu eliminieren. Die Eskalationsgefahren verlangen gebieterisch, daß wir zunächst eine Verbesserung friedlicher Konfliktregelung herbeiführen. Keine Friedenspädagogik darf dieses Thema übersehen. Die Ursachen für das Entstehen gewaltsamer Konflikte und die Hintergründe für das Aufrechterhalten von Rüstungsgesellschaften sind Probleme, die zu lösen sind. Hier darf es nicht an politischer Phantasie fehlen, Methoden der Konfliktregelung zu ersinnen, die allgemeine Anerkennung finden, weil sie gewaltlose Formen entwik-keln Dieser Wandel ist vom Geistigen her zu unterstützen. Das Bewußtsein vermag alle Verlegenheitsformeln anzuprangern und zu enthüllen.

Ein System, das uns nur die Abwesenheit von Krieg beschert, das an eine Auffächerung von Gewaltformen glaubt, bleibt im Terrorfrieden stecken, der sich auf Macht und Interesse stützt. Man will die ideologische und soziale Ungleichheit erhalten, damit die Konfliktfronten nicht eingeebnet werden. Konfliktgruppen verhindern zuallererst die Reform ihrer Erziehungsinstitutionen. Hier liegt aber ein ganz entscheidender Punkt, auf den Hartmut von Heutig hinwies, als er forderte, die Denkgewohnheiten unserer Erziehungssysteme zu reformieren, damit die Haßfronten beseitigt und Kriege als „geistiges Unvermögen", ja mehr noch als „Bewußtseinsdefekt" erkannt werden Für die Friedenspädagogik eröffnet sich die Chance, durch Deskription und Analyse solche Bewußtseinsdefekte zu erkennen und zu heilen.

Das verlangt nach einem Typ von Erziehern in allen Nationen, die in der Lage sind, Affekte und soziale Vorurteile zu überwinden und nationale und rassische sowie ideologische und klassenspezifische Gebundenheiten als geistiges Unvermögen Schritt für Schritt abzubauen, um Klischees und negative Einstellungen, die sonst von Generation zu Generation vererbt werden, zu beseitigen. Wir stimmen Hartmut von Hentig zu, der bemerkte: „Viele Krisen, die die Welt in Atem gehalten haben, sind einst und jetzt auf dem Feuer einer tiefen irrationalen Irritierung gekocht worden — der Haß zwischen Deutschen und Franzosen, zwischen Pakistanis und Indern, zwischen Türken und Griechen, Tirolern und Italienern.". Diese Aufzählung läßt sich erweitern und ergänzen, weil bis in die Gegenwart hinein immer wieder neue Haßfronten entstanden, die den Abbau des gegenseitigen Mißtrauens verhinderten und somit Existenzangst, Furcht und Neid sowie Unsicherheit erzeugten, obwohl die Menschen persönliche Entfaltung und den Fortschritt wünschen.

Die Aggressivität durchzieht nicht nur die internationale Staatenwelt, sie findet auch im nationalen Bereich ihren Ausdruck in den sozialen Gegensätzen und ist auch ein höchst individuelles Problem. Wir könnten auch von einer politischen, sozialen und psychologischen Aufgabe sprechen, die sich der Friedenspädagogik damit stellt, denn die große Masse der Menschen folgt ihren Trieben und wird von der angeborenen oder erworbenen Aggressivität gesteuert. Zu gern berufen sich deshalb die Politiker auf das wenig stichhaltige Argument: „Weil die Menschen ohnedies dumm, brutal und egoistisch sind, muß ich für Gewalt sorgen." Es gibt Ausleseprozesse, in denen sich immer die aggressiven Naturen durchsetzen, so daß man die Aggressivität als normale psychische Ausstattung des Menschen ansieht. An eine Überwindung der Aggressivität will man daher nicht glauben. Diesem Problem müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit widmen.

VI. Menschliche Aggression und Friedenspädagogik

Es gibt Forscher, die Aggressivität als die psychische Normalausstattung des Menschen bezeichnen. So äußert Konrad Lorenz in seinem Buch „Das sogenannte Böse" den Zweifel, daß man friedliebende Menschen , züchten'könne. Die meisten Menschen folgen ihren Trieben mehr, als daß sie sich von rationalen Erwägungen leiten ließen. Für Lorenz gibt es nur die Möglichkeit, „die Aggression in ihrer ursprünglichen Form an Ersatzobjekten abzureagieren" und durch Sublimierung zur „Entspannung des gestauten Aggressionstriebes" beizutragen. Lorenz hält es aber für aussichtslos, daß man erstens „auslösende Reizsituationen vom Menschen fernhält" und daß man zweitens „ein moralisch motiviertes Verbot über sie (die Aggression) verhängt". Mit anderen Worten: Wir müssen mit unserem Aggressionstrieb leben. In vielen Verhaltensweisen ist die Aggression als motivierender Faktor mit enthalten. Für die Lösung großer Aufgaben und Probleme, für die Erreichung bestimmter Ziele scheint Aggression, die zwar gefährlich bleibt, doch vonnöten zu sein

Aber hier geraten wir bereits in gewisse Schwierigkeiten, weil viele die Aggression von Anbeginn auf die zerstörerischen Handlungen begrenzen und die Bedingungen für unser aktives und produktives Verhalten nicht genügend untersuchen Auch Lorenz glaubt, daß Aggression wahrscheinlich ein „unentbehrlicher Bestandteil der persönlichen Freundschaft ist" Böse Auswirkungen der Aggression müssen nicht notwendigerweise eintreten. Der zur Selbstbeobachtung fähige Mensch sei imstande, „aufquellende Aggression gegen ein geeignetes Ersatzobjekt umzuorientieren" Schon die Antike kannte den Begriff der Katharsis, das reinigende Abreagieren, und Psychoanalytiker berichten von positiven Handlungen, die ihren Antrieb aus sublimierter Aggression erhalten. Da Lorenz die . Züchtung'friedliebender Menschen nicht für sinnvoll hält — theoretisch sei es möglich durch „gezielte Eugenik" den Aggressionstrieb wegzuzüchten —, bleibt für ihn nur die Sublimierung und die Ablenkung auf bereitgestellte Ersatzobjekte übrig, die in gleicher Weise auf harmlose Art zur Triebbefriedigung führen. So erwartet er vom Sport, der „ritualisierten Sonderform des Kampfes", reinigende Wirkungen, ein Ventil zur Entspannung des gestauten Aggressionstriebes. Zugleich wird die wichtige Aufgabe erfüllt, zur „bewußten und verantwortlichen Beherrschung seiner instinktmäßigen Kampfreaktion zu erziehen. Die , Fairness'oder Ritterlichkeit des Sports ... ist eine wichtige kulturelle Errungenschaft der Menschheit" Nationale Wettkämpfe können eine Abreaktion und Um-lenkung nationaler Begeisterung herbeiführen. Sie rufen auch zwei Wirkungen hervor, welche die Kriegsgefahr einzuschränken vermögen: persönliche Bekanntschaft zwischen den Nationen und die Wirkung der Begeisterung, die Menschen für dieselben Ideale empfinden.

Freundschaft, in welchem Rahmen sie auch stattfindet, nimmt dem Aggressionstrieb die Spitze und persönliche Bekanntschaft wirkt aggressionshemmend, während Anonymität aggressives Verhalten auslöst. Dieser Einsicht kann man einen-politischen Aspekt abgewinnen, der für eine Friedenspädagogik nutzbar ist, weil gestörte Kommunikation, das Abbrechen von Kontakten zwischen den Nationen und Gesellschaftssystemen gewöhnlich feindselige Haltungen hervorruft. Demagogen und Kriegshetzer versuchen Gräben aufzureißen, um die aggressive Stimmung anzuheizen. Wir kennen diese Taktik, welche Aggressionsgelüste mit Hilfe falscher Begeisterung schürt. Auch hier vermag die Friedenspädagogik einen analytischen Dienst zu erfüllen, indem sie die begeisterungsauslösende Reizsituation beschreibt, um sichtbar zu machen, welche Gegebenheiten vorhanden sein müssen, damit Aggressionen entstehen. Lorenz hebt drei voneinander unabhängige Merkmale hervor: „Erstens etwas zu Verteidigendes, in dem man einen Wert sieht, zweitens ein Feind, der diesen Wert bedroht, und drittens soziale Kumpane, mit denen man sich eins fühlt. . ." Dazu kann noch ein Führer kommen, der zum „heiligen" Kampfe aufruft

Besonders totalitäre Systeme benutzen die Feindattrappe. Wer diese Zusammenhänge kritisch durchschaut, wird auf Personifizierungen des Bösen verzichten und seine durch die Kritik gelenkte Begeisterung auf humane Werte richten und dazu beitragen, daß der Völkerhaß vermindert wird. Aber auch ohne solche Personifizierungen kann Feindschaft durch Begeisterung für ein eng begrenztes Ideal entstehen. Wir erinnern an die nationale Identifizierung, die nach Lorenz deshalb so gefährlich ist, weil sie so scharfe Grenzen zieht. „Es gilt also die Zahl der Identifizierungen zu vermehren, und das kann nur durch eine Hebung der allgemeinen Bildung der Jugend bewirkt werden. Liebevolle Beziehung zu Menschheitswerten hat Lernen und Erziehung in Schule und Elternhaus zur Voraussetzung." In den großen kollektiven Unternehmungen wie Kunst, Wissenschaft und Weltraumfahrt ist die gemeinsame Begeisterung für die gleichen Werte möglich. Die Abwehr von allen Scheinidealen und von allen Formen möglicher Feindattrappen darf auch als eine Aufgabe der Friedenspädagogik formuliert werden.

Aggression wird bei Lorenz zu einem Schlüsselbegriff, der mehr bedeutet als bloße Kampfeslust oder rücksichtsloser Kampf des Stärkeren; Lorenz stößt entgegen jeder vulgär-darwinistischen Lehre, die ja nur den rücksichtslosen, blindwütigen Streit sieht, immer wieder auf die gestaltende und auch erhaltende Kraft der Aggression. Daher ist es sinnlos, die Vernunft gegen die Instinkte zu mobilisieren. Die Vernunft hat sie in die richtige Bahn zu lenken: Abreaktion an Ersatzobjekten, Um-lenkung in Formen der Mitmenschlichkeit und Kommunikation. Mit anderen Worten: Die Vernunft hat etwas „Positives" daraus zu entwickeln und darf vor der Zerstörungskraft der Aggression nicht kapitulieren. Der Optimismus von Lorenz beruht auf der rationalen Einsicht des Menschen, auf der Fähigkeit zur Besserung, zum Ausgleich von Vernunft und Instinkt, auf der Erkenntnis und Beseitigung von Instinkt-Ungleichgewichten, die unkontrollierbare und destruktive Energien freisetzen. „Die Einsicht in die Ursachenketten unseres eigenen Verhaltens kann unserer Vernunft und Moral tatsächlich die Macht verleihen, dort lenkend einzugreifen, wo der kategorische Imperativ, auf sich allein gestellt, hoffnungslos scheitert." Es geht Lorenz um eine kausale Erklärung des menschlichen Verhaltens und Fehlverhaltens, um das bewußte Erkennen der menschlichen Lebensäußerungen bis zu den extremen Polen von Freundschaft und Feindschaft, von Liebe und Haß, wobei man das Problem der Vermischung solcher elementarer Triebe nicht unberücksichtigt lassen darf, weil sich dadurch neue Verhaltensmuster einstellen. Wir alle wissen, wie leicht Liebe in Haß und auch Haß in Liebe umzuschlagen vermag, wenn Verschiebungen in den Triebkomponenten eintreten. Aggression kann aus Affekten, Reizungen und Ängsten entstehen und sich gegen den Artgenossen wenden. Oft ist es schwierig, Triebhem-* mungen auszulösen, vor allem dann, wenn der „Feind" unsichtbar bleibt und sich moderner Kriegswaffen bedient

Sobald das triebliche Gleichgewicht einseitig gestört wird und keine Aggressionshemmungen mehr eintreten, zeigt sich die „intraspezifische Aggression" mit ihrer destruktiven Gewalt. Der Mensch hört dann auf, ein vernünftig handelndes Wesen zu sein; er wird wirklich böse und zum Vernichter seiner Mitmenschen. Das Böse zeigt sich als irrationale Gewalt, die sich elementar auf den sogenannten Feind stürzt. Lorenz hofft, daß mit zunehmendem Wissen um die Natur und ihre Gesetze die verderbliche Seite des Aggressionstriebes und seine Hypertrophie zu überwinden ist

Auch Sigmund Freud geht von Grundtrieben im Menschen aus die in mannigfachen Kombinationen auftreten. Er erkennt die unaufhebbare Aggressivität an, die er aber nicht aus der Stammesgeschichte, sondern aus den Triebschicksalen des Menschen in der Gesellschaft ableitet, wobei er sich auf die These beruft, daß alle Fortschritte in der Kultur mit der Disziplinierung der Individuen erkauft werden Freud arbeitet in seiner theoretischen Bemühung ein gegensätzliches Triebpaar heraus: Eros, den Lebenstrieb, und Thanatos, den Destruktionstrieb Er zeigt dabei, daß der wachsende Triebverzicht und der Aufschub von Bedürfnisbefriedigung die Voraussetzungen für allen Fortschritt sind. Die produktive Arbeit, die sich gegen die Lebensnot richtet, erzwingt den Triebverzicht. Die „Libido" wird dadurch geschwächt, was eine Zunahme der „Aggression" bedeutet. Die unverminderte Leistungssteigerung und der Leistungsdruck sind die Ursachen dafür, daß sich auch die destruktiven Energien erhöhen.

Leben bedeutet nach Freud Schmerzen, Enttäuschungen und unlösbare Aufgaben. Damit wir es ertragen, benötigen wir Linderungsmittel: Ablenkungen, Ersatzbefriedigungen, auch Rauschstoffe, die uns für das Leiden unempfindlich machen. Die Menschen aber fordern vom Leben Glück, denn sie wollen glücklich sein. Dieses Glücksstreben hat zwei Seiten: das Erlebnis starker Lustgefühle und die Abwesenheit von Schmerz und Leid, denn sie bedeuten Unglück. Das Leiden hat drei Quellen: den Körper, die Außenwelt und die Beziehungen zu anderen Menschen. Durch den Druck des Leidens bildet sich das Lustprinzip in das bescheidenere Realitätsprinzip um, weil man sich schon glücklich preist, wenn man das Leid überwindet. Leidvermeidung drängt das Lust-prinzip in den Hintergrund Der einzelne würde sich ganz vom Lustprinzip leiten lassen, aber um der Existenzerhaltung wegen sieht er sich genötigt, sich dem Realitätsprinzip zu unterwerfen. Diese Lustversagung mindert die Energie des Eros, weil man auf Triebbefriedigung verzichtet. Damit verändert sich das Gleichgewicht in der Triebstruktur. Sublimierung bedeutet Desexualisierung. Herbert Marcuse hat diesen von Freud behandelten Zusammenhang als „Dialektik der Kultur" bezeichnet was bedeutet, daß Kultur die fortgesetzte Sublimierung verlangt, aber dadurch zum anderen den Eros als den „Errichter der Kultur" schwächt und somit destruktive Energien verstärkt. Marcuse sagt dazu: „So ist die Kultur von einer Trieb-Entmischung bedroht, in der der Todestrieb danach strebt, die Oberhand über den Lebenstrieb zu gewinnen. Dem Triebverzicht entsprungen und unter fortschreitenden Triebverzicht sich entwickelnd, neigt die Kultur zur Selbstzerstörung."

Diese Argumentation bezeichnet Marcuse als zu „glatt" und erhebt eine Reihe von Einwänden. Nicht jede Arbeit bedeutet Desexualisierung und Triebverzicht, denn in ihr und im Kampf gegen die Lebensnot werden aggres-sive und libidinöse Impulse auf dem Wege der Sublimierung befriedigt. Die Kulturarbeit nutzt aggressive Impulse und stellt Arbeit in den Dienst des Eros. Aber die Arbeit, die eine Basis für die Kultur erst schuf, war stets entfremdete Arbeit, mühselig, schmerzlich, elend und durch die Not auferlegt. Entfremdete Arbeit löst kaum libidinöse Impulse aus; dagegen aber künstlerische und wissenschaftliche Arbeit, weil man diese als „erfreulich" bezeichnet. Wichtig bleibt allein die Vorstellung: „Die Triebsublimierung ist ein besonders hervorstechender Zug der Kulturentwicklung . . .". Sie ist ein von der Kultur erzwungenes Triebschicksal, weil sie den Triebverzicht, die Nichtbefriedigung mächtiger Triebe, zur Voraussetzung hat

Die Kultur verlangt nicht nur das Opfer an Sexualbefriedigung, sie will auch starke Identifizierungen unter den Mitgliedern der Gemeinschaft herstellen, sie libidinös miteinander verbinden, das heißt, sie stellt die Forderung, den Menschen als Helfer und als Mitgenossen zu erblicken. Aber dabei zeigt sich, daß der Mensch nicht nur eine Triebbegabung, sondern auch eine Aggressionsneigung besitzt, denn er möchte seine Aggression am anderen befriedigen, dessen Arbeitskraft ausnützen, ihn enteignen und demütigen. „Homo homini lupus; wer hat nach all den Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?"

Die Aggressionsneigung stört das Verhältnis zum Nächsten, weil dadurch Feindseligkeit entsteht, welche die Kultur in Frage stellt. „Die Kultur muß alles aufbieten, um den Aggressionstrieben der Menschen Schranken zu setzen, ihre Äußerungen durch psychische Reaktionsbildungen niederzuhalten", sagt Freud. Also nicht nur der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung legt die Kultur Opfer auf, so daß es dem Menschen schwer fällt, sich in ihr beglückt zu fühlen Wie gelingt es der Kultur, die Aggression zu hemmen und auszuschalten? Sie wird verinnerlicht, von einem „Anteil des Ichs" übernommen, das sich als „Über-Ich dem übrigen entgegenstellt, und nun als , Gewissen'gegen das Ich dieselbe strenge Aggressionsbereitschaft ausübt, die das Ich gerne an anderen, fremden Individuen befriedigt hätte. Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewußtsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis."

Freud erläutert dazu, daß es zwei Ursprünge des Schuldgefühles gibt: die Angst vor der Autorität, die den Triebverzicht durchsetzt, und die Angst vor dem Über-Ich, welche ein Schuldgefühl hervorruft. Angst vor der Autorität und Gewissensangst bewirken Triebverzicht und jeder Triebverzicht steigert die Intoleranz des Gewissens, so daß sich Freud zu dem paradoxen Satz bekennt: „Das Gewissen ist die Folge des Triebverzichts; oder: Der (uns von außen auferlegte) Triebverzicht schafft das Gewissen, das dann weiteren Triebverzicht fordert." Das Gewissen entsteht durch die Unterdrückung der Aggression und verstärkt sich durch neue Unterdrückungen. Das Schuld-gefühl ist der Ausdruck eines Konfliktes zwischen Eros und Destruktionstrieb. Er wird entfacht, sobald sich die Menschen die Aufgabe des Zusammenlebens stellen. Der Preis für den kulturellen Fortschritt liegt in der Einbuße des Glücks, die durch die Erhöhung des Schuldgefühles bezahlt wird

Andererseits kommen wir nach Freud nicht über die Annahme hinweg, daß das Schuldgefühl der Menschheit aus dem Ödipuskomplex stammt und bei der Tötung des Vaters erworben wurde, denn dort wurde die Aggression nicht unterdrückt, sondern ausgeführt. Hier gewann das Triebbedürfnis eine solche Stärke, daß es sich gegen das Gewissen durchsetzte. Das Schuldgefühl ist damit einmal als die Folge unterlassener Aggression und zum anderen einer ausgeführten Aggression zu erklären. Im letzteren Fall sprach Freud von einem Schuldgefühl aus Reue; denn nachdem die Aggression befriedigt war, kam in der Reue über die Tat die Liebe zum Durchbruch. Die Identifikation mit dem Vater richtete das Über-Ich auf, das die Wiederholung der Tat verhüten sollte. Das Schuldgefühl erscheint als der „Ausdruck des Ambivalenzkonfliktes", als der ewige Kampf zwischen den antagonistischen Grundtrieben. Dieser Konflikt entsteht, sobald sich die Aufgabe des Zusammenlebens stellt Herbert Marcuse spricht von einer revolutionären Einsicht Freuds und beschreibt die fatale „Dialektik der Kultur", die nach Freud ausweglos ist; Repression schwächt die Kraft des Eros, der die destruktiven Energien* nicht mehr zu binden vermag, und diese befreien die Aggression, die intensiver Kontrolle und Manipulation zu unterwerfen ist

Die individuelle Entwicklung tendiert nach zwei Bestrebungen hin: nach dem Glück, das egoistische Ziele verfolgt, und nach Vereinigung mit anderen Menschen, nach Gemeinschaft. Anders verläuft der Kulturprozeß, der die Einheit herstellen möchte, wobei das Ziel der Beglückung in den Hintergrund tritt. Beide Prozesse ähneln sich insofern, als Freud behauptet, daß auch die Gemeinschaft ein überleb ausbildet, unter dessen Einfluß sich die Kulturentwicklung vollzieht, denn das Kultur-Über-Ich stellt Idealforderungen auf, deren Nichtbefolgung durch Gewissensangst bestraft wird Diese ethischen Forderungen als strenge Gebote und Verbote nehmen auf das Glücksstreben des einzelnen wenig Rücksicht, und so entsteht die gleiche Kalamität wie mit dem Über-Ich. Freud sagt dazu: „Wir sind daher in therapeutischer Absicht sehr oft genötigt, das Über-Ich zu bekämpfen und bemühen uns, seine Ansprüche zu erniedrigen. Ganz ähnliche Einwendungen können wir gegen die ethischen Forderungen des Kultur-Über-Ich erheben."

Wir stehen damit vor dem Problem, daß Gebote erlassen werden, welche die Menschen nicht zu erfüllen vermögen. Man verkennt einfach die menschliche Natur. Solange sich Tugenden nicht schon auf Erden lohnen, wird die Ethik sie vergeblich predigen. Der Idealismus jedoch übersieht diesen Zusammenhang. Jedenfalls bleibt es die Aufgabe der Kulturentwicklung, des menschlichen Aggressions-und Selbstvernichtungstriebes Herr zu werden. Und das gilt besonders für eine Zeit, wie wir im einzelnen darstellten, die sich selbst auszurotten vermag

Eine Überwindung des Aggressionstriebes scheint Freud sehr problematisch zu sein. Der Gegensatz von Lieben und Hassen bleibt erhalten; er sieht jedenfalls keine Möglichkeit, die aggressive Neigung im Menschen abzuschaffen. Zwang und Aggression, Streit und Krieg sind verhütbar, wenn den Menschen die Einsetzung einer Zentralgewalt gelingt, die einen Richtspruch über alle Interessenkonflikte fällen dürfte. Eine übergeordnete Instanz, ausgestattet mit der nötigen Macht, könnte einen zwingenden Einfluß ausüben. Eine politische Gemeinschaft wird nach Freud vom Zwang und von Gefühlsbindungen der Mitglieder zusammengehalten. Fällt der Zwang weg, dann müßte eine Idee, ein Gemeingefühl, eine Identifizierung eine solche Autorität einsetzen. Aber jeder Versuch, Macht durch die Macht der Ideen auszuüben, ist bisher in der Geschichte fehlgeschlagen

Selbst die Bolschewisten, welche die menschliche Aggression auf dem Wege der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse abschaffen wollten und die Gleichheit aller verkündeten, haben dieses Ziel nicht erreicht. „Vorläufig sind sie auf das sorgfältigste bewaffnet und halten ihre Anhänger nicht zum mindesten durch den Haß gegen alle Außenstehenden zusammen", bemerkte Freud in seinem Brief an Einstein Man kann die menschliche Aggressionsneigung nicht völlig beseitigen, sondern nur ablenken, daß sie ihren Ausdruck nicht im Kriege findet. Freud empfiehlt Gefühlsbindungen zu entfalten: zu einem Liebes-objekt, auch ohne sexuelle Ziele, oder durch Identifizierungen, die bedeutsame Gemeinsamkeiten herstellen. Hier wiederum erhält die Friedenserziehung eine Chance, weil sie zu zeigen vermag, warum wir uns gegen den Krieg empören: Er zerstört hoffnungsvolle Menschenleben, entwürdigt sie, zwingt sie zu morden, zerstört die Ergebnisse der Kulturarbeit, ohne daß er noch Gelegenheit bietet, das alte heldische Ideal zu erfüllen. Freud antizipiert eine Situation, die genau unserer Lage entspricht: die berechtigte Angst vor der Wirkung des Zukunftskrieges

Herbert Marcuse ist als Kritiker des Realitätsprinzipes aufgetreten. Freuds Nachweis, daß Glück und Freiheit nicht ein Werk der Kultur seien, weil eben der Zivilisationsprozeß Beschränkungen und Unterdrückung auferlegt, Triebwünsche verdrängt und zu Repressionen führt, erklärt das Hervortreten des Realitätsprinzipes zuungunsten des Lustprinzipes. Das Realitätsprinzip wird identisch mit dem Prinzip des Fortschritts. Mit seinem Leistungswillen erscheint es als repressiv, denn die Opfer, die den Individuen auferlegt werden, nehmen zu. Das steht aber im Widerspruch zur Liberalitätsthese der modernen Gesellschaft Zwei beherrschende Einheiten sind für diese cha-rakteristisch: der Produktions-und Verteidigungsapparat und die Masse, die diesen Apparat bedient. Wer über Schlüsselstellungen in der Kontrolle über den Apparat verfügt, besitzt zugleich Herrschaftsrechte, denn er bestimmt auch über die arbeitende Masse. „Herrschaft erscheint so als technisch-administrative Qualität, und diese Qualität verbindet die verschiedenen, die Schlüsselstellungen des Apparats haltenden Gruppen — wirtschaftliche, politisch, militärische — zu einem das Ganze vertretenden technisch-administrativen Kollektiv."

Dieses Kollektiv wird weniger der politischen Gewalt als der Rationalität des Apparates unterworfen, der die öffentliche und private Existenz der einzelnen gestaltet. Die technologische Rationalität beeinflußt auch das Innere des Menschen, die Triebe und die Intelligenz. Von einer brutalen Gewaltanwendung ist nicht mehr die Rede, denn das Kollektiv, das beherrscht wird, widerspricht nicht, weil laufend Verbesserungen im Apparat als „manipulierbares Kollektiv" vorgenommen werden, so daß die antagonistischen Interessen als ein Kollektivinteresse erscheinen. „Herrschaft tendiert dazu, neutral, auswechselbar zu werden, ohne daß durch solchen Wechsel sich das Ganze selbst verändert; Herrschaft ist nur noch bedingt durch die Fähigkeit und das Interesse, den Apparat als Ganzes zu erhalten und zu erweitern", sagt Marcuse Damit arbeitet Marcuse eine Tendenz heraus, die man überall in der Welt beobachtet: die zunehmende Angleichung, die wachsende Vereinheitlichung und die sich trotz aller Konflikte und Widerstände vollziehende supranationale und suprakontinentale Integration, die selbst vor den unterschiedlichen politischen Systemen nicht halt macht. Und er stellt die Frage, ob die Neutralisierung der Gegensätze sich auch auf die beiden Supermächte auswirken wird.

Marcuse bemüht sich, jene wachsende globale Interdependenz mit der Gleichschaltung der psychischen Struktur zu vergleichen: die Vereinheitlichung von Ich und Über-Ich herauszustellen. Die technologische Rationalität entspricht in der Gesellschaft einer Automatisierung und Verdinglichung des Ich in der psychischen Struktur. Und dieser Parallelvorgang findet seine Kritik, denn die wachsende Produktion verlangt nach immer strengeren Trieb-verboten, weil das Ich an das Uber-Ich ausgeliefert wird und diese Repression die Kraft des Eros schwächt, um den Destruktionstrieb zu binden. Produktion und Destruktion gehören zusammen. Triebverbote befestigen die soziale Herrschaft und diese offenbart sich in der Organisation der Arbeit, die entfremdete Arbeit bleibt. Diese wird für eine repressive und destruktive Produktion eingesetzt. Es ist die These von Marcuse, daß steigende Produktivität an steigende Repression gebunden ist. Das Realitätsprinzip erscheint als das „Prinzip produktiver Entsagung", weil es den Menschen als Träger des Lustprinzips in ein Arbeitsinstrument verwandelt

Das Realitätsprinzip als Leistungsprinzip fordert hohe Opfer, weil Triebenergie in nützliche Arbeitsenergie zu transportieren ist. Für Marcuse erhebt sich jedoch die Frage, ob man der an sich pessimistischen Theorie von Freud weiter folgen müsse. Nachdem die Triebunterdrückung ihre Funktion erfüllte und der Zustand der Lebensnot durch Überproduktion bewältigt wurde — zumindest in den Überflußgesellschaften —, seien jetzt die Bedingungen für den Aufbau einer freien Gesellschaft gegeben. Er will daher die Freudsche These einer entscheidenden Korrektur unterziehen, weil die Automation uns in die Lage versetzt, große Teile von Triebenergie freizusetzen, die für die entfremdete Arbeit benötigt wurden. Diese Energie ließe sich für die Lebensenergie nutzbar machen. Mit anderen Worten: Das Leistungsprinzip schuf reale Voraussetzungen für ein „qualitativ anderes, nicht unterdrückendes Realitätsprinzip" Die von Freud einst beschriebene fatale Diälektik -der Zivilisationsbewegung, die den Glücks-und Freiheitsdrang in Frage stellte, könnte nun überwunden werden, weil sich die antagonistische Grundstruktur von Eros und Thanatos durch eine kooperative ersetzen lasse

Die fortschreitende Automation ist die Chance, die auf unlustvolle Tätigkeit verwendete Triebernergie in erotische Energie zurückzuverwandeln und damit neue Verhaltensweisen zu ermöglichen, die von dem repressiven Realitatsprinzip blockiert werden. „Hiervon wäre die Konsequenz . . ., daß die Sublimierung nicht etwa aufhörte, sondern als erotische Energie zu neuen kulturschaffenden Kräften* sich steigerte", wie Marcuse erläuternd bemerkt Das repressive Leistungsprinzip, das die Triebunterdrückung verursacht, Beschränkung und Ablenkung auslöst, kann heute überwunden werden, weil wir über neue Möglichkeiten verfügen. Die schweren Opfer, die einst in biologischer und sozialer Hinsicht gebracht werden mußten, sind nicht mehr notwendig, wenn man nicht die Menschen — aus Herrschaftsgründen — zu Instrumenten einer repressiven Politik macht.

Die von Freud aufgestellten Voraussetzungen werden bei Marcuse der Kritik unterzogen: Die Lebensnot, der Kampf ums Dasein, der Zwang und die Herrschaft sind nicht unabänderliche Tatsachen. Der Zivilisationsprozeß und die Triebentwicklung können sich von Hemmungen befreien, äußere und störende Kräfte eliminieren. Der Ansicht, daß viele der Triebe von sich aus „asozial" seien, daß sie unabhängig von Mangel und Überfluß Beschränkungen auferlegen, begegnet Marcuse mit dem Hinweis, daß die Triebe „historisch erworben" sind Mit dem Leistungsprinzip wird die Kontrolle der Triebdynamik vollzogen, mit seiner Umwandlung ließe sich auch eine entscheidende Veränderung der Triebe herbeiführen um eine Zivilisation ohne Unterdrückung und Verdrängung aufzubauen. Marcuse wehrt sich gegen die Notwendigkeit aller Antagonismen. Er sagt mit aller Klarheit:

„Innerhalb dieses antagonistischen Systems ist der seelische Konflikt zwischen Ich und überleb, zwischen Es und Ich gleichzeitig auch ein Konflikt zwischen dem Individuum und seiner Gesellschaft." Sein Ziel ist auf eine „repressionsfreie Ordnung" gerichtet, und diese realisiert sich nur, wenn unter veränderten Sozialbedingungen die Sexualtriebe dauerhafte erotische Beziehungen unter reifen Menschen stiften und wenn sie eine „libidinöse Vernünftigkeit" entwickeln, die dem Fortschritt und dem Glück der Menschen dient

Marcuse entwirft die Hypothese einer „repressionslosen Ordnung", in der sich die Arbeit in das freie Spiel menschlicher Fähigkeiten, in eine würdige Menschenexistenz verändert Er behauptet, daß die moderne fortgeschrittene Industriegesellschaft sehr bald einen Zustand erreichen könnte, in dem das Prinzip der Repression sich als veraltet erweisen würde. Dieser Gedanke ist uns wichtig, weil eine dauerhafte Zivilisation nicht mit brutaler Gewalt aufrechtzuerhalten ist, sondern eine libidinöse Beziehung erfordert, die wechselseitige Identifikationen schafft Als Kritiker des Realitätsprinzips leitet er das Anwachsen „triebbestimmter Aggression und zerstörerischer Energie" von der Schwächung des Lebenstriebes ab, sieht die aggressive Energie in den „koexistierenden technologischen Gesellschaften vorherrschen" und findet diese „aktivierte Angriffsenergie" konkretisiert im Feind außerhalb der eigenen politischen Gemeinschaft

Hier schließt sich nun der Kreis unserer Betrachtung. Die wachsende Steigerung des Realitätsprinzipes hat sich auf die Aggressionskräfte ausgewirkt, so daß der äußere Feind als die Bedrohung erscheint, die von einer Gesellschaft eine permanente Mobilisierung verlangt. Diese verdichtet sich in einer weltweiten Abschreckung des Feindes. Diese Abschreckungsmentalität erweist sich als eine „Agentur des herrschenden Realitätsprinzips" dem eine mehrfache Funktion zukommt: erstens als Prinzip, das den Kampf gegen den äußeren Feind bewirkt, und zweitens als Prinzip der Repression, das den einzelnen zu einem gefügigen Werkzeug und zu einem unterdrückten Subjekt macht. Die Feindattrappe und der Produktionsapparat mit seiner technologischen Rationalität sind die Gründe für das Übergewicht von aggressiver über libidi-nöser Energie. Technischer Fortschritt und gesteigerte Produktionskraft stehen im Dienste der Reproduktion einer Gesellschaft, die sich im Zustand einer permanenten Abschreckungsmentalität erhält Wir erkennen das Dilemma, in dem sich der Mensch befindet. Einerseits möchte er Glück und Lustbefriedigung erzielen, aber er wird durch die Ansprüche, welche die Realität stellt, zur Triebversagung gezwungen, was seine Aggressivität gegen jene hervorruft, die ihm dieses Opfer auferlegen. Frustrationen treten ein, die sein Ich schwächen und destruktive Instinkte wecken, die nach ungehemmter Triebbefriedigung drängen. Das frustrierte Individuum gerät in einen labilen Reizzustand, in dem es seine Ich-Schwäche durch Identifikation kompensieren möchte. Das ist ein gefährlicher Zustand, weil es nun geneigt ist, sich unter Verzicht auf die eigene Autonomie von außen steuern zu lassen So kommt es zur Massenbildung und zur Abhängigkeit von einem Führer, der nun die Funktion des Ich und Uber-Ich übernimmt, um mit einer Politik der Stärke individuelle Frustration und Angst zu binden. Eine Droh-und Gewaltpolitik soll als funktionaler Ersatz von Ich-Stärke erscheinen und dazu dienen, eine Integration von Gruppen und Schichten innerhalb der Gesellschaft vorzunehmen. Die Identifikation mit übersteigerten nationalen oder ideologischen Parolen, der Mangel an Unterscheidungsvermögen, dichotomisches Denken, eine intolerante Haltung können solche Prozesse stark fördern. Auf einem solchen Boden wächst autoritäres Denken heran, das Pseudo-Integrationen fördert, die nicht dem Frieden dienen, sondern nur mit Hilfe äußerer Feindfixierung aufrechtzuerhalten sind

Eine Friedenspädagogik müßte diesen Zusammenhang von Frustration und Aggression deutlich machen und zeigen, was zur Schwächung und Hemmung des Ich führt. Ich-geschwächte Individuen, die sich in der Masse vereinigen, entwickeln brutale und grausame Tendenzen, in denen sich die aufgestauten Unlustgefühle abreagieren, die sich angesammelt haben und die sich auf den äußeren Feind als Inkarnation des Bösen ergießen. Die Homoge-nisierung der Öffentlichkeit erfolgt mit erstarrten ideologischen Formeln. Das heißt aber nichts anderes, als daß die nach außen gerichtete Aggression zugleich den Herrschaftsinteressen des bestehenden politischen Systemes dient. Zu leicht wird der einzelne zum Spielball und Objekt von jenen Mächten, die seine Aggressivität ausnutzen, weil er nicht das Bewußtsein entwickelt, das zu einer Ichleistung führt, die ihn vor der Gefahr der Unterwürfigkeit bewahrt. Nur ein an Ichleistungen gewöhntes Individuum kann den Frustrations-Aggressionsmechanismus durchbrechen und damit die irrationalen Handlungsweisen eindämmen und kontrollieren.

Die Friedenspädagogik hätte daher einen Erziehungsstil zu entwickeln, der den „Ichbedürfnissen" mehr entgegenkommt als es unsere Kulturentwicklung bisher erlaubte, die ja weitgehend von der väterlichen Autorität gestaltet wurde. Man gewinnt keinen sicheren Standort im Leben, wenn Verbote die Kraft der Einfühlung in den einzelnen verhindern und die harte Strenge des Vaters eine Trotzhaltung des Kindes hervorruft Nach Freud war es der Vater, der die Unterordnung des Lustprinzips unter das Realitätsprinzip durchsetzte. Der Verfall der Vaterrolle durch die Fortentwicklung der modernen Gesellschaft hat neue Probleme hervorgerufen und sogar die Vorstellung einer „vaterlosen Gesellschaft" erweckt. Marcuse hat darauf verwiesen, daß es in ihr zur Freisetzung zerstörerischer Energie kommen müßte. „Befreit von den Gefühlsbindungen an den Vater als Autorität und Gewissen, würde Aggressivität um sich greifen und zum Zusammenbruch der Gruppe führen." Nun haben wir eine solche Gesellschaftsstufe noch nicht erreicht, wenn auch die Vaterrolle als Autorität und Gewissen immer mehr verblaßt. An ihrer Stelle hat sich die Autorität des herrschenden Produktionsapparates durchgesetzt

Marcuse sprach von einer „eindimensionalen Gesellschaft", deren Hauptmerkmal er in der Integration der beherrschten Klasse beschrieb. Infolge einer gesteuerten Bedürfnisbefriedigung werde der Mensch zum unbewußten Verwaltungsobjekt. Diese Konstellation hebt die vielseitige Dynamik auf, welche das Individuum befähigt, ein Gleichgewicht zwischen Autonomie und Heteronomie, zwischen Lust und Schmerz zu halten. Die „Eindimensionali-tät" hat nach Auffassung von Marcuse zum „verwalteten Realitätsprinzip" geführt, das nur noch „statische Identifikation" des einzelnen mit seinesgleichen erlaubt. Wir wollen diesen Gedanken mit all seinen Implikationen nicht weiter verfolgen. Er macht jedenfalls deutlich, welche Konsequenzen für einen neuen Erziehungsstil zu ziehen sind. Wir haben mit der Triebstärke des Menschen zu rechnen und wissen, daß sich diese bis zur hypertrophen Lust des Machtrausches steigern kann. Die Notwendigkeit sozialen Zwangs ist unbestreitbar, wenn man ein Leben in politischer Gemeinschaft führen will. Aber starre Autoritätsformen, die allen Triebwünschen verständnislos begegnen, sind ebenso zu verwerfen, wie jene völlig enthemmten Formen einer „vaterlosen Gesellschaft", welche die Destruktion und Anarchie begünstigen müßte. Alexander Mitscherlich hat diesen Gedanken so formuliert: „Worum es geht, ist, welche Art von Sozialzwängen den Triebzwängen entgegengestellt wird. Dabei stehen weniger Ausmaß und Inhalt dieser Sozialzwänge zur Debatte als vielmehr das Maß von Einsicht, an das sie geknüpft sind und dessen Entwicklung sie trotz Zwang zulassen."

Es geht hier einfach um den Zwang zur Einsicht in die soziale Wirklichkeit, um sinngebende Entscheidung durch eine Leistung des Ich, die sich dadurch auszeichnet, daß sich das Ich nicht an ideologische Bilder verliert, sondern jene Ich-Stärke gewinnt, um sich von der Angst und Entfremdung, von aller Frustration und Ohnmacht zu befreien, ohne einen funktionalen Ersatz in einer Gewaltpolitik zu finden, die dem Chaos, niemals aber einer friedlichen Ordnung dienen würde.

Mit der fatalen Dialektik, wie sie Freud beschrieb, wird sich eine Friedenspädagogik insoweit beschäftigen, als sie zeigen kann, daß durch Stärkung der Ichleistungen sich Alternativen anbieten. Das Reich des befriedeten Daseins, das Marcuse mit Hilfe der hohen Arbeitsproduktivität kraft der Automation erreichen möchte, weil er impliziert, daß dann auch die menschlichen Triebschicksale sich verändern ließen, wird sich in absehbarer Zeit nicht realisieren, weil die Hindernisse im Zeichen der Ost-West-Spaltung noch sehr groß sind und weil nur ein kleiner Teil der Welt das hohe Produktionsniveau besitzt, das eine Freizeitgestaltung im Sinne individueller Entfaltung ermöglicht. Marcuses Zukunftsbild wird jedenfalls noch für geraume Zeit Utopie bleiben. Aber entscheidende Anregungen lassen sich für eine Friedenspädagogik aufnehmen, um die Formen der Gewaltherrschaft abzubauen und auf erträgliche Maße zu reduzieren. Das verlangt von einer Friedenspädagogik, daß sie sich für Kooperation und für eine Bewußtseinsform einsetzt, die dem einzelnen jene Stärke verleiht, welche es ihm ermöglicht, mit der Angst vor dem Atomtod fertig zu werden.

VII. Aufgaben und Inhalte einer Friedenspädagogik

Der Krieg hat sich bis in unsere Gegenwart hinein als ein unvermeidbares Phänomen erwiesen, das nur als irrationaler Voluntarismus, als unzureichende Einsicht und gescheiterte Versöhnungsfähigkeit zu kennzeichnen ist. Das Wort „Frieden" ist zwar in vieler Munde, aber das ist noch kein Beweis dafür, daß man den Willen besitzt, es im vernünftigen Sinn zu gebrauchen und alle aggressive Lust, die sich gegen andere richtet, einzudämmen. Das Problem der Friedlosigkeit und die unverbesserliche Menschennatur haben viele Denker und Theoretiker auf den Plan gerufen und zu unterschiedlichen Beurteilungen geführt. Viele machen die Gesellschaftsstruktur für alle Opfer und Leiden verantwortlich und entwerfen neue Sozialutopien, um der Menschheit bessere Wege zu weisen. So wichtig es* ist, vernünftige Sozialstrukturen aufzubauen und Bedingungen für ein „befriedetes Dasein"

zu schaffen, so problematisch erscheint es, einen aggressionsfreien Menschen, der auf egiostische Interessen und Maßlosigkeiten verzichtet, von heute auf morgen erziehen zu können.

Unser Leben ist von Kampf und Konflikten angefüllt und oft entsteht in ihnen eine aggressive Haltung, die nichts anderes bezweckt, als die Vernichtung des Kontrahenten. Eine solche extrem destruktive Verhaltensweise des Menschen wird zum Problem der Friedens-pädagogik, die sich darum bemüht, daß politische und soziale Lernprozesse eingeleitet werden, die den Menschen zur Einsicht in seine Unlustgefühle und destruktiven Aggressionsneigungen führen. Man kann den einzelnen durch provokatorisches Verhalten so frustrieren — und es geschieht auch in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft infolge der Arbeits-und Organisationsformen —, daß jede Form einer möglichen aktiven Betätigung abgeschnitten wird. Alexander Mitscherlich beschreibt uns diesen Vorgang: „Diese Häufung entmutigender Erfahrungen stimuliert die Regression zu infantilen Allmachtsphantasien. Das Individuum wird nun erst recht schutzlos und sieht sich vielleicht, ohne es zu überblik-ken, in kollektive aggressive Prozesse verwickelt, die seinen individuellen Todestrieb provozieren, denen es gegenüber aber ausgeliefert bleibt, weil eben diese verlockenden aggressiven Parolen die Sprache der infantilen Omnipotenz sprechen und hinter sich das Risiko verstecken."

Wir kennen aus der geschichtlichen und soziopolitischen Erfahrung, daß es aggressive Provokationen gibt, die keine Rückkehr mehr gestatten und so die tödliche Destruktion auslösen Wenn die Schwelle zur kriegerischen Auseinandersetzung einmal überschritten wird, greift der Mensch zu allen ihm verfügbaren Mitteln. Die Erregung der aggressiven Kräfte bis in die „orgastischen Stufen" hinein erzeugt eine psychische Abnormität. Es gibt Zustände und Verhaltensweisen im Staat, in der Gesellschaft und im Einzelwesen, bei denen alle Friedenshoffnungen Utopie bleiben, das heißt unerfüllbarer Wunsch. Diese besondere prekäre Lage hat eine Friedenspädagogik ins Auge zu fassen, weil sich aus ihr die Problemlage und damit ihre Aufgabenstellung erschließt. Die Friedenspädagogik geht davon aus, daß die aggressive Triebausstattung des Menschen eine Tatsache darstellt; Triebe lassen sich so steuern, daß Krieg und Zerstörung, Selbstmord und Vernichtung möglich werden. Da der Mensch ein Gesellschaftswesen ist, richtet er seine Ansprüche und Erwartungen auf die politischen Gemeinschaften. Die harte soziale Realität verlangt Triebverzichte, so daß tiefe Spannungen zwischen dem Es und dem Ich, dem Ich und dem Uber-Ich eintreten. Triebansprüche und Realität erweisen sich häufig als schroffe Gegensätze. Frustration und Trieb-verzichte kennzeichnen das Unbehagen, das man an der Gesellschaft empfindet. Von hier ist der Weg in eine aktivistische Solidarität des Unbehagens nicht mehr weit, so daß sich Frustration in Aggression umsetzt.

Hinzu kommt eine weitere Erkenntnis, die sich die Friedenspädagogik bei ihrer Ausgangslage klarmachen sollte. Ein „befriedetes Dasein", wie es Herbert Marcuse beschreibt läßt sich nur dann realisieren, wenn man mit den gestiegenen Produktivkräften den „unfriedlichen Menschen" auch wirklich befriedigen könnte. Die Annahme, daß die produktiven Errungenschaften ausreichend seien, den Menschen als aggressives Wesen zu verändern, erscheint bedenklich, weil ja mit der Zunahme kultureller Potenzen Herrschaftsformen entstanden, die erst die „organisierte Friedlosigkeit" hervorbrachten Eine breite Diskussion in der Gegenwart dreht sich um die Frage, ob die durch die technologische Rationalität hervorgebrachten materiellen Ressourcen zur wirklichen Befriedigung der Menschen dienen können und ob die damit in funktionellem Zusammenhang stehenden Apparaturen den Menschen Freiheit, Fortschritt und Glück bescheren. Anders ausgedrückt: Läßt sich in Zukunft eine Weltstaatenund Sozialstruktur aufbauen, die weitgehend auf Repression verzichten könnte? Wir wissen aus den Analysen des paradoxen, negativen Friedens, in dem wir uns befinden, daß zur Zeit noch Herrschaftskonstellationen aufrechterhalten werden, die den interessierten Macht-und Elitegruppen entgegenkommen, die sich gegen jede friedliche Planung stemmen, weil das ihren ureigensten Interessen zuwiderläuft, obwohl auch sie begreifen, daß der Weltfriede allein „Lebensbedingung des technischen Zeitalters" ist und daß nicht nur produktive und institutioneile Veränderungen allein diesen Weltfrieden schaffen. Mit anderen Worten: Es bedarf auch geistiger und moralischer Anstrengungen, die unsere Trieb-natur bändigen und zum vernünftigen Ausgleich führen. In jeder Gesellschaft laufen Konflikte ab, die Haß-, Neid-und Aggressionsgefühle auslösen und die nicht so gestei-gert werden dürfen, daß sie sich in Destruktion verwandeln, weshalb man Ventile zu öffnen hat, die Entspannung und Erleichterung schaffen. Nun pflegte man in der Vergangenheit sich ein Haß-und Feindobjekt als Ersatzbefriedigung aufzubauen, wobei der Nachbar oder die Nachbarnation den Sündenbock spielte. Solche Projektionen auf eine bestimmte Rasse, Klasse oder Nation erwiesen sich bis in die Gegenwart als unvermeidbar und stellten vielfach das „kleinere" Übel dar.

Wir haben aber eine geschichtliche Zäsur überschritten, die den Frieden von uns kategorisch fordert. Wie soll die Idee eines Weltfriedens im Zeitalter der Abschreckung und einer menschlichen Triebstruktur, die sich als aggressiv darstellt, realisiert werden? Ist ein dauerhafter Frieden durch permanenten Verzicht auf Aggression durchführbar? Das sind entscheidende Fragen an eine Friedenspädagogik, die sich nicht davor herumdrücken darf, zunächst einmal die Fatalitäten zu beschreiben und zu analysieren, in denen sich die Menschheit bewegt. Darum steht die erhellende Aufklärungsarbeit an ihrer Spitze. Es wird zuerst eine Deskription und Analyse des internationalen Staatensystems, der jeweiligen Sozial-systeme und der Triebstruktur des Menschen gefordert. Die Tatsachen, daß bei diesen Analysen Antagonismen und Dualismen auftreten, die sich im Krieg, im Sozialkonflikt und in der Aggression äußern und konkretisieren, wirft die Frage auf, ob solche absoluten Gegensätze naturnotwendig bestehen oder ob sie sich durch Aufklärung und kritische Haltung mittels kooperativer Formen überwinden lassen In-ternationale Konflikte, Sozialkonflikte, aber auch innerseelische Konflikte sind heilbar. Es geht in der Friedenspädagogik darum, die Bedingungen zu erkennen, unter denen sie pazifizierbar sind. Dazu bedarf es aktiver Veränderungen, die man sichtbar zu machen hat, um den Störungen, die sich im internationalen, sozialen oder seelischen Leben ergeben, wirksam entgegenzutieten. Gleichwertige Abrüstungsschritte, der Wille zur Wandlung der Gesellschaftsverhältnisse, das Verständnis für natürliche Bedürfnisbefriedigungen sind Wege, die sich erfolgreich beschreiten lassen. Um die Förderung solcher Bewußtseinsprozesse bemüht sich die Friedenspädagogik

Wir dürfen bei unserer Betrachtung nicht außer acht lassen, daß eine systematische Konzeption einer Friedenspädagogik noch nicht erarbeitet wurde, obwohl sie vielen Betrachtern unseres Weltzustandes als bittere Notwendigkeit erscheint. Ebensowenig verfügen wir über eine ausgearbeitete Friedensforschung, für die es beachtliche Ansatzpunkte gibt. Dennoch haben Politik, Wissenschaft und öffentliche Weltmeinung noch nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen, die zu einer produktiven Veränderung führen könnten, zumal nicht wenige der Ansicht huldigen, daß man der Gewaltpolitik ebensowenig entflieht wie der menschlichen Aggressivität. Aber dagegen spricht einfach der Umstand, daß wir uns in einem geschichtlichen „Novum" befinden, welches von uns neue Verhaltensweisen verlangt, weil wir nur auf diesem Wege dem circulus vitiosus als Teufelskreis entgehen

Niemand gibt sich der Illusion hin, als ließe sich eine sprunghafte Verwandlung vollziehen. Der Übergang von der Abschreckung in einen tragbaren Friedenszustand muß durch eine Übergangsperiode, in der entscheidende Lernprozesse ablaufen, erkauft werden. In der Übergangszeit erhält die Friedenspädagogik ihren hohen Stellenwert, um weltweit für die politische Vernunft zu wirken. Dazu brauchen wir Friedenserzieher in allen Nationen, die sich auf ein einheitliches und verbindliches Erziehungsprogramm zu einigen hätten. Trotz der großen nationalen, rassischen und ideologischen Unterschiede, welche unsere Welt trennen, erscheint ein Konsensus über wesentliche Punkte möglich. Hartmut von Hentig erörterte in seiner sehr lesenswerten Studie zehn Punkte zur Friedenserziehung, die als Diskussionsgrundlage geeignet wären

Ich fasse sie in verkürzter und etwas modifizierter Form zusammen, um zu zeigen, daß sich auf solcher Grundlage ein breiter Konsensus im Sinne praktischer Friedenserziehung schaffen ließe. Erstens: Erziehung zum Leiden am Unrecht und gegen eine Mißachtung von Schmerz und Angst. Zweitens: Erziehung zur Gewaltlosigkeit und zu Formen der Gewaltlosigkeit. Drittens: Erziehung zur Erkenntnis der Schrecken des Krieges, insbesondere des nuklearen Krieges. Viertens: Erziehung zur Erkenntnis, daß der Frieden keine totale Harmonie bedeutet, denn das hieße einer Friedens-ideologie huldigen. Fünftens: Erziehung zu kritischer und skeptischer Haltung, insbesondere zum Mißtrauen gegen ideologische Dogmen. Sechstens: Erziehung zum Ungehorsam und Widerstand, zum Streit und Konflikt, wo repressive Ordnungen Opfer und Triebverzichte auferlegen, die den Menschen in seiner Triebnatur bewußt vergewaltigen. Siebtens: Erziehung zum Konflikt, weil starre Anpassung und Konformität den Freiheitsspielraum des einzelnen ungebührlich einengen. Daß die konfliktlose Welt nicht mit einer friedlichen Welt identisch ist, dürfte verstehbar sein. Achtens: Erziehung zu politischer Vernunft im Sinne kritischer Realitätsprüfung. Neuntens: Erziehung zum Veränderungswillen internationaler, nationaler, sozialer und seelischer Verhaltensweisen. Neue Bewußtseinsformen sollen antiquierte Begriffssysteme überwinden. Zehntens: Erziehung zum sozialen Weltfrieden, zur Entwicklungshilfe als weltweitem Lastenausgleich. solches Weltfriedenserziehungsprogramm vermittelt uns eine Vorstellung, was eine Friedenspädagogik im Unterschied zur traditionellen politischen Pädagogik zu leisten hätte. Sie dürfte sich nicht zur Sprecherin einer bestimmten Ideologie machen. An diesem Punkt erwachsen konkrete Schwierigkeiten, weil die politische Pädagogik in der Vergangenheit sehr oft als Apologetin bestimmter Herrschafts-und Sozialsysteme auftrat. Die Friedenspädagogik hat nicht als Magd der Politik zu funktionieren, sondern sich unabhängig von der Parteien Gunst und Ungunst zu halten. Das scheint utopisch zu klingen, aber es läßt sich an einem Beispiel verdeutlichen, das uns auf den Nägeln brennt.

Die Welthungerkatastrophe versetzt uns in einen starken Zeitdruck, den sozialen Weltfrieden zu organisieren, den Gedanken des weltweiten Lastenausgleiches für jedermann verständlich zu machen Die Mittel, welche hierfür erforderlich sind, können nur in einer gemeinsamen Kooperationsaufgabe von West und Ost aufgebracht werden, wenn die Gefahr der Nord-Süd-Spannung gebannt bleiben soll. Wer wollte unter diesem Aspekt noch als kalter Krieger im Sinne einer Anheizung des West-Ost-Konfliktes auftreten? Die Solidarität mit den Notständen in der Dritten Welt verlangt von uns neue politische Vorstellungsformen, auch ein neues kooperatives Bewußtsein, das sich mit aller verfügbaren Aktivität in den Dienst eines Weltgemeinwohles stellt. Ideologische Konflikte von einst verblassen unter diesen neuen Aufgabenstellungen. Der politische Irrationalismus, der besonders im Totalitarismus sein Unwesen trieb, hat nur noch wenig Chancen, die Gemüter zu verwirren, wenn der Weg zu einer praktischen Friedenserziehung beschritten wird.

Die Politik und die öffentliche Weltmeinung, insbesondere die Vereinten Nationen, aber auch alle internationalen Organisationen, nicht zuletzt die UNESCO, könnten sich als große Fürsprecher einer weltweiten Friedenspädago-gik machen und ihre eigenen Institutionen schaffen, zum Beispiel in der Form von internationalen pädagogischen Instituten. Aber auch internationale Schulen und Universitäten wären geeignete Stätten, um ihr die Wirkungsmöglichkeiten zu geben, die sie benötigt und um ihr Hauptproblem zu lösen: antiquierte Haßund Gewaltfronten abzubauen, die einer Kooperation und Versöhnung entgegenstehen. Man könnte internationale Spielregeln entwickeln, die Konflikte in vernünftiger Weise zum Austrag und zur Lösung bringen.

Ich zweifle nicht daran, daß solche Wege in der Zukunft zu beschreiten sind. Die Beschreibung der konkreten Aufgabe der Friedens-pädagogik kann nach diesen Erörterungen versucht werden Wir formulieren zehn Punkte, die sowohl theoretische als auch praktische Bedeutung besitzen und die in diesem Zusammenhang einen Denkanstoß für weitere und differenziertere Gedanken über dieses Stoffgebiet darstellen. Künftige Beiträge wer-den auf diesen Spuren zu ihrer Systematisierung mehr leisten. 1. Die Friedenspädagogik hat durch Deskription und Analyse zu zeigen, daß wir internationale Probleme in der Geschichte unserer Staatenwelt mit falschen Mitteln gelöst haben: nämlich mit Krieg. Sie hat daher eine „Anatomie des Krieges" zu entfalten mit den Fragen: Warum finden überhaupt Kriege statt? Wer sind ihre verantwortlichen Träger? Mit welchen Mitteln werden Völker und Nationen zur Kriegsbereitschaft angestiftet? 2. Die Friedenspädagogik hat zu analysieren, wie Haßund Gewaltfronten entstehen. Sie beruhen meistens auf nationaler oder ideologischer Verblendung. Vorurteile und Klischees, hyperpatriotische, nationale, rassische und ideologische Ressentiments lösen die Fremd-und Selbsttäuschung aus, die nach kritischer, skeptischer und ideologiekritischer Haltung verlangen. Ideologie-und Konfliktkritik sind wirksame Mittel, um ein vertieftes und geschärftes Bewußtsein aufzubauen.

3. Die Friedenspädagogik hat jede Form von politischem Irrationalismus, der sich auf die pure und bloße Macht-und Gewaltpolitik verläßt, zu entlarven und zu zeigen, daß Macht im Atomzeitalter nur noch als „gelähmte Macht" zu verstehen ist, weil selbst die Supermächte nicht mehr in der Lage sind, ihre vollen Machtpotentiale in die Waagschale zu werfen, wenn sie nicht in eine auch für sie destruktive Irrationalität zurückfallen wollen. 4. Die Friedenspädagogik hat zur konsequenten Gewaltlosigkeit zu erziehen, weil sich Konflikte nur noch in „gewaltlosen" Formen austragen lassen, wenn eine Eskalation politischer Unvernunft unterbleiben soll. Wir produzieren aber negative Einstellungen, um künstlich Feindschaft, Provokation und aggressive Aktion aufrechtzuerhalten. Diese „gemachten" Haltungen nehmen wir zum Anlaß des Konfliktes, um geistige Absperrung und Isolierung zu begründen, anstatt sie durch verstärkte Kommunikation zu überwinden. 5. Die Friedenspädagogik hat den sozialen Weltfrieden durch Einsicht in die Existenzlage der unterentwickelten Völker zu einem besonderen Anliegen zu machen. Die positive Einstellung zu einem „weltweiten Lastenausgleich" wird viele Vorurteile der Länder der Dritten Welt gegenüber den reichen Industrienationen abbauen helfen. Konkrete soziale Friedensprogramme und der persönliche Einsatz im Entwicklungsdienst werden dazu beitragen, dichotomisches Denken im Sinne eines internationalen Klassenkampfes zwischen Nord-und Südstaaten der Erdkugel zu eliminieren. 6. Die Friedenspädagogik hat zu zeigen, daß politische Ordnungsformen keinen Ewigkeitswert besitzen. Veränderungen in den Struktur-formen müssen mit dem technologischen und bewußtseinsmäßigen Fortschritt Pfand in Hand gehen. Daher ist zu einem Veränderungswillen aus Einsicht zu erziehen, der weder die welt-und gesellschaftspolitischen Strukturen noch die eigene Denk Struktur unberührt läßt und sich gegen jede Verblendung durch Feind-attrappen ebenso wendet wie gegen bloßes Anpassungsund Konformitätsdenken. 7. Die Friedenspädagogik hat sich dafür zu verwenden, daß'unsere geistigen und materiellen Ressourcen dafür eingesetzt werden, daß Hunger und Unwissenheit, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit überall in der Welt, auch in den Industrienationen, beseitigt werden. Repression und Manipulation sind bewußte Herrschaftsmittel, die besonders in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften einen Leistungsdruck erzeugen, der zu einem Konsumzwang und zu einer Konsumhaltung führt, die nur noch im Verkauf und im Genuß von Gütern den Lebenssinn erblickt. Die Beseitigung „profitabler Verschwendung" könnte zur Deckung von Bedürfnissen dienen, wo einseitige Versagungen von Befriedigungen, die aggressive Haltungen hervorrufen, auferlegt werden. Die Probleme der Überflußgesellschaften sind ebenso eingehend zu erörtern wie die der Mangelgesellschaften, weil sich in beiden Fällen akute Freiheitsbeschränkungen durch harte Arbeit oder durch Frustrationen einstellen können. 8. Die Friedenspädagogik hat zum Verständnis der Triebstruktur des Menschen ihren Beitrag zu leisten, zumal die Einsicht, daß der Mensch ein aggressives, unfriedliches Wesen von Natur aus ist, sträflich vernachlässigt wurde. Die Bekanntschaft mit dem eigenen Triebhaushalt ist insofern wichtig, weil philosophische Systeme und auch Ideologien eine Achtung der Triebwelt vornahmen und die Möglichkeiten vernünftiger Ersatzhandlungen und bestimmter Spielformen nicht erörterten, um Abreaktionen und Sublimierungen für den menschlichen Aggressionstrieb zu finden. Wir müssen wissen, welchem Mißbrauch unsere Triebe ausgesetzt sein können und in welcher Weise man Feindattrappen und Sündenböcke aufbauen kann, um darauf unsere Aggressionen zu richten. 9. Die Friedenspädagogik hat sich dem Problem einer vernunftgemäßen Organisation der Staatenwelt zu stellen, hierfür Möglichkeiten zu erörtern und auch Modelle zu diskutieren, die eine gewaltfreie Welt realisieren. Eine weltweite Gewaltverzichtspolitik, die Verbesserung und der weitere Ausbau des Völkerrechtes könnten erste Schritte auf einem Weg sein, der zu immer größeren Kooperations-und Integrationsprozessen führt. Die geistige Bereitschaft dafür in einer gefährdeten Welt zu wecken, stellt kein geringes Verdienst pädagogischen Bemühens dar. 10. Die Friedenspädagogik hat sich der Aufgabe einer Ethisierung des politischen Gewissens zu widmen. Die vorherrschende Kluft zwischen technologischer Entwicklung und politischer Ethik stellt eine politische Mangelerscheinung dar, die der technologischen Revolution nicht mehr adäguat ist. Wissenschaftliche Konflikte sind durch Wahrheitserkenntnis zu lösen, politische Konflikte dagegen verlangen zu ihrer Regelung einen hohen Grad an Verantwortungsethik, die von allen Einsichtigen zu praktizieren ist, weil wir vor der Alternative stehen, ein befriedetes Dasein für jedermann zu schaffen oder unterzugehen. Friedenspädagogik bedeutet in der Tat eine große Chance in unserer Zeit, den Abschrek-kungssystemen, welche die feindliche Haltung permanent aufrechterhalten, den Kampf anzusagen. Sie hat neue Bewußtseinsprozesse in Gang zu setzen, die den heute bestehenden Zwang, von der Konfrontation zur Kooperation zu gelangen, aus Einsicht nachvollziehen. Die bestehende starke politische und soziale Differenzierung muß durch vernünftigen Ausgleich so erträglich gestaltet werden, daß sich Friedensbrücken nicht nur in Gedanken, sondern auch in der Tat errichten lassen. Besseres und gegenseitiges Verstehen in einer unteilbaren Welt mit unteilbarer Verantwortung ist das Anliegen politischer Pädagogik unserer Zeit, die im Frieden ihre Grundkategorie zu betrachten hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ekkehart Krippendorf, Friedensforschung, Köln, Berlin 1968, S. 13, der bemerkt, daß erst im 20. Jahrhundert jene Kriege stattfinden, die das bisher bekannte Ausmaß übersteigen. „Der Krieg scheint nach wie vor die Ultima ratio eines Staatensystems zu sein, das seinerseits strukturell als ein Drohsystem beschrieben werden kann."

  2. Vgl. Hans Rothfels, Zeitgeschichtliche Betrachtungen, Göttingen 19632, S. 11.

  3. Vgl. Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 13, der von der „Scheinruhe eines Patts der höchst gerüsteten Kontrahenten" spricht und kritisch hervorhebt, daß „unter der Schutzglocke eines solchen mehrseitigen Stillhalteabkommens . . . die kriegerische Konfliktlösung als Mittel der Politik nahezu ungehindert fortwuchert".

  4. Vgl. Margaret Mead, Die Psychologie des Menschen in einer Welt ohne Krieg, in: Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 147.

  5. Der Ausbruch eines Nuklearkrieges würde verheerende Wirkungen für die Gesellschaftssysteme haben. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Frankfurt 1969, S. 168 f., zitiert den Psychologen Erich Fromm, der von einem „primitiven Barbarismus" spricht, der nur noch „erbarmungslose Diktaturen für die überlebenden in einer „halb zerstörten Welt" erlauben würde.

  6. Vgl. Margaret Mead, a. a. O., S. 150, die bemerkt: „Eines können wir nicht, den alten Zustand wieder herstellen." Den Menschen dieser Welt bleibt nichts anderes übrig, als sich mit den „unheimlichen Verantwortlichkeiten" der neuen Lage auseinanderzusetzen.

  7. Vgl. Dieter Mahnke, Was ist Friedensforschung?, in: Europa Archiv, Nr. 22, 1969, S. 797, der bemerkt: „Die Eindämmung und Regelung von Gewalt, das . management of force'sei zwar wichtig, aber unzureichend und könne nur als vorübergehende Aufgabe gelten."

  8. Vgl. Hans Köhler, Christliche Existenz in säkularer und totalitärer Welt, München 1963, S. 7, der bemerkt: „Die heutige Welt lebt im und vom Gleichgewicht des Schreckens'. Aber dies ist keine dauerhafte Weise des Lebens; sie könnte alles wirkliche Leben bald ersticken . . . Gerade deshalb ist es nötig, sich bewußt zu machen, wo noch echte Möglichkeiten liegen. Sie liegen im Geistigen."

  9. Vgl. dazu Kurt von Raumer, Ewiger Friede, Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg, München 1953.

  10. Uber die Bedeutung Kants als Friedenstheoretiker vgl. neuerdings Günter Freudenberg, Kants Lehre vom ewigen Frieden und ihre Bedeutung für die Friedensforschung, und Hermann Timm, Wer garantiert den Frieden?, in: Studien zur Friedensforschung, Bd. 1, hrsg. von Georg Picht und Eduard Todt, Stuttgart 1969, S. 178 ff., S. 209 ff.

  11. Vgl. über die Details solcher Friedensmodelle und Friedensbestrebungen: Iring Fetscher, Modelle internationaler Ordnung. Ein Beitrag zum Problem der Friedenssicherung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 1. Heft 1967; ferner: Hans-Günther Assel, Weltpolitik und Politikwissenschaft. Zum Problem der Friedenssicherung, in: Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 77, Bonn 1968, S. 45 ff.

  12. Vgl. Hans-Günther Assel, a. a. O., S. 53 ff.

  13. Vgl. Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 17 ff., der auf die Inkompatibilität von internationalem Frieden und antagonistischen Gesellschaftsordnungen verweist, die den positiven Frieden verhindert. In dieser Unvereinbarkeitsthese steckt der Kern des Problems, weil sich Systemangleichungen nicht durchsetzen.

  14. Vgl. Carl Friedrich von Weizsäcker, Gedanken über unserer Zukunft, Göttingen 19672, S. 37, der bemerkt: „Der Weltfriede ist die Lebensbedingung des technischen Zeitalters, das heißt, er ist notwendig, ja unvermeidlich. Wir werden im Weltfrieden leben oder wir werden nicht leben."

  15. Vgl. Nicolaus Sombart, Planung des Friedens, in: Der Zwang zum Frieden, Stuttgart 1967, S. 37.

  16. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 6/7.

  17. Der Vorwurf der Kritiker gegen die „fortgeschrittenen Industriegesellschaften" richtet sich gegen die steigende Produktivität, die nicht für ein befriedetes Dasein eingesetzt wird. So wird die „technologische Rationalität" zur Befestigung bestehender Herrschaftsverhältnisse verwendet, die ihre Unfreiheit reproduzieren, in dem sie einen hohen Lebensstandard gewähren. Die durch Atomwaffen erzwungene Koexistenz erhält Strukturen aufrecht, die sich dem Sozialwandel sperren. Die von Marcuse begrifflich definierte „Eindimensionalität" beschreibt, warum sich solche Systeme nicht verändern und Manipulation und repressive Toleranz vorherrschen. Vgl. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied und Berlin 19683.

  18. Vgl. Raymond Aron, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt 1963, S. 192, der den Begriff definiert: „Der Terrorfrieden ist ein Frieden, der zwischen politischen Einheiten herrscht .. ., deren jede die Fähigkeit besitzt . .., die andere tödlich zu treffen."

  19. Vgl. Wolfgang Fischer, Der junge Mensch. Ein Beitrag zur pädagogischen Theorie der Reifezeit, Freiburg 19662, S. 16, der bemerkt, daß es bei allen Lernprozessen der Führung des Pädagogen bedarf, der im „überschauenden dialogischen Argumentieren sich für das . Durchsetzen'des allgemein Vernünftigen einsetzt, damit an die Stelle privater Meinungen, purer Vermutungen richtige Erkenntnisse, an die Stelle subjektiver Willkür gutes Wollen tritt". Diese pädagogische Fähigkeit muß auch für die Friedenspädagogik nutzbar gemacht werden.

  20. Friedensstiftende Kategorien sind Kooperation, Solidarität und Partnerschaft, die eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit ausdrücken.

  21. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 258 ff., 261/262.

  22. Vgl. Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 23.

  23. Vgl. Hans-Günther Assel, Sprangers Weg von der Staatspädagogik zur politischen Ethik, in: Welt der Schule, 4. Heft 1969, S. 145 ff. Spranger definierte Staat als „Sittlichkeit in der Form der kollektiven Machtentfaltung". Er verkündete: „Wer für den Staat erzieht, erzieht zur Unterordnung unter eine Machtorganisation und zum Macht-willen."

  24. Vgl. Hans-Günther Assel: Friedrich Wilhelm Foerster als politischer Pädagoge und Gesinnungsethiker, in: Welt der Schule, 1. Heft 1969, S. 11 ff.

  25. Vgl. Friedrich Wilhelm Foerster, Politische Ethik und politische Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der kommenden deutschen Aufgaben, 3. stark vermehrte Auslage, München 1918, S. 470.

  26. Vgl. Franz Pöggeler, Die Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters. Eine systematische Darstellung, Freiburg 1957, S. 284: „Das Fundament für den Frieden liegt im Einzelmenschen. Friedenserziehung ist eine Angelegenheit der Geistherrschaft im Menschen" (vgl. S. 297 ff.).

  27. Vgl. Franz Pöggeler, a. a. O., S. 266 ff., der bemerkt, daß schon Foerster den „Staatsfetischismus" bekämpfte und sich vor Oetinger für Partnerschaft und Kooperation einsetzte. Vgl. Friedrich Oetinger, Partnerschaft, die Aufgabe der politischen Bildung, Stuttgart 19563, S. 159.

  28. Vgl. Wilhelm Stapel, Volksbürgerliche Erziehung. Beiträge der Fichte-Hochschule, Heft 4, Hamburg 19202; vgl. Hans-Günther Assel, Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus, München 1969, S. 45 ff.; siehe auch Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1962, der sich ebenfalls mit Stapel beschäftigt.

  29. Vgl. Hans-Günther Assel, Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus, a. a. O„ S. 47.

  30. Vgl. Wilhelm Stapel, a. a. O., S. 65, der bemerkt: „Somit besteht wahre Demokratie ihrem Wesen nach darin: das Genie im Volke zur Geltung zu bringen." Demokratie beruhte nach dieser Auffassung auf einer Genielehre.

  31. Vgl. Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, Donauwörth 1967, S. 19, der an die Frage Foersters erinnert: „Befinden wir uns in der Tat nicht schon in einem Zustand, in dem der Mensch in den entscheidenden Grundfragen seines Daseins von der Hand in den Mund lebt ...?"

  32. Vgl. Hans-Günther Assel, Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 126.

  33. Vgl. Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich, Wien, New York 1940, S. 219 f., 221, 223 1. Hier findet sich der aufschlußreiche Hinweis: „Für Hitler ist der Jude das schlechthin Böse. Er hat ihn zu dem Herrn seiner Gegenwelt empor gesteigert. Er sieht ihn mit dem mythischen Auge und er braucht ihn, um sich selbst an ihm zu steigern." Ein primitives Haß-und Rachegefühl liegt hier zugrunde. Vgl. auch Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Tübingen 1969, S. 75. Mit der Bekämpfung des Juden als Völkerparasiten verfolgt Hitler eine „Weltmission".

  34. Vgl. Hans-Günther Assel, Die Perversion, S. 65 ff., Heroismus, Titanismus, Fanatismus schreckten vor keinem Krieg zurück. Nicht Völkerverständigung und Kooperation, sondern „heroische Kampfleidenschaft" galt als erstrebenswertes Ideal (vgl. S. 76 ff.).

  35. Vgl. Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 14.

  36. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität, Suhrkamp Nr. 223 1969, S. 9, der bemerkt: „Feinde müssen gefunden, gar erfunden werden, damit sie (die Aggressivität) zur Befriedigung kommt." Mit Recht wird gefragt: „Ist Heldenmut... im Zeitalter der Nuklearwaffen . . . noch eine adäquate, der Selbsterhaltung dienliche Reaktion?"

  37. Vgl. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 17, der bemerkt: „Blut und Boden, Herrenrasse, nationale Ehre sind nicht eigentlich die zu verteidigenden Elemente, als die sie ausgegeben werden, sondern aggressionserweckende Symbole."

  38. Vgl. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, S. 261, der betont, daß die Aggressivität im Abschreckungszeitalter von höchster Stelle induziert wird, weil die Menschen ständig mit Freund-Feindbildern konfrontiert werden.

  39. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 5.

  40. Vgl. Pierre M. Gallois, Der paradoxe Frieden, Stuttgart 1968, S. 213 ff., der auf vier Paradoxien des Atomzeitalters im Anschluß an Hans J. Morgenthau aufmerksam macht.

  41. Im Brennpunkt der Futurologie steht die Friedensforschung, die einer interdisziplinären Kooperation bedarf, wenn Prognosen über unsere Zukunftsentwicklung erstellt werden sollen. Voraus-wissen ist heute Macht. Das Vorausdenken beeinflußt die Politik. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik ..., S. 36 f„ 38 f.

  42. Vgl. Oskar Anweiler, Totalitäre Erziehung?, in: Wege der Totalitarismus-Forschung, hrsg. von Bruno Seidel und Siegfried Jenkner, Darmstadt 1968, S. 514, der bemerkt: „Als Gegenbild zur freiheitlich-demokratischen Ordnung soll er zur Aktivierung der demokratischen Gesinnung im Rahmen der politischen Jugendbildung beitragen."

  43. Vgl. Friedrich Oetinger, Partnerschaft, die Aufgabe der politischen Erziehung, Stuttgart 19563, S. 10 ff., 29 f., 61 f.; vgl. Hans-Günther Assel, Die Perversion, S. 53 ff., 67 ff.

  44. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 74 f.

  45. Carl Schmitt, Begriff des Politischen, Berlin 1963 (Text nach 1932), S. 26 ff., 28 ff., 30 f„ 35 f., 37.

  46. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 78.

  47. Vgl. Friedrich Oetinger, a a. O., S. 81.

  48. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 83.

  49. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 107 ff.

  50. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 129, wo er bemerkt, daß der Mitmensch für alle Folgen seines Handelns haftbar sei. Hier bezieht er sich ausdrücklich auf Max Webers Verantwortungsethik.

  51. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 125.

  52. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 133/134.

  53. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 137.

  54. In seinem Pragmatismus stützte er sich auf John Dewey, den er als seinen Gewährsmann häufig zitiert; vgl.ders. S. 140.

  55. Vgl. Hans-Günther Assel, Kritische Gedanken zu den Denkansätzen der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 31/69, S. 10/11.

  56. Vgl. Friedrich Oetinger, a. a. O., S. 153/154, 157.

  57. Ders., a. a. O., S. 174 ff. Für die Entwicklung der Dialogfähigkeit stellte er zehn Gebote für die Behandlung des Gegners auf (vgl. S. 180), wobei er das Verbindende mehr betonte als das Trennende und die Möglichkeit des eigenen Irrtums einschloß, denn: „Weise Männer ändern ihre Meinung, Narren niemals." Durch den Dialog sollte Neues entstehen; dazu gehörte aber die Bereitschaft zur Revision der eigenen Meinung.

  58. Ders., a. a. O., S. 250, aber auch schon von S. 239 ff.

  59. Ders., a. a. O., S. 252.

  60. Ders., a. a. O., S. 253 f.

  61. Ders., a. a. O., S. 260 ff.

  62. Ders., a. a. O„ S. 274.

  63. Vgl. Jürgen Habermas u. a., Student und Politik, Neuwied 1961, S. 242 ff., wo die Einwände gegen die Partnerschaftspädagogik knapp formuliert werden.

  64. Trotz der Wichtigkeit des Sozialen für das Politische darf man das Politische nicht auf das Soziale reduzieren. Jede monistische Deutungsweise des Politischen birgt die Gefahr in sich, daß sich sofort neue Kritikmöglichkeiten ergeben. Solche Einseitigkeiten hat schon Theodor Litt kritisiert (vgl. Hans-Günther Assel, Denkansätze, S. 11), aber doch selbst nicht vermieden, weil er der Kampfkomponente ein zu starkes Gewicht verlieh. Das Politische besteht nicht nur aus Kampf und Konflikt.

  65. Vgl. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, a. a. O., S. 102, wo er bemerkt, daß aktuelle politische Kontroversen den eigentlichen Gegenstand des politischen Engagements und Erkennens darstellen. Giesecke beruft sich auch auf Dahrendorfs Konflikttheorie.

  66. Vgl. Hans-Günther Assel, Denkansätze, a. a. O., S. 11.

  67. Vgl. Erwin Schaaf, Ordnung und Konflikt als Grundprobleme der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochen-zeitung Das Parlament, B 1/1970, S. 14 f., der dies ausdrücklich einräumt.

  68. Der Konfliktbegriff läßt sich nicht einseitig interpretieren. Wir wissen, daß totalitäre Gesellschaften den Konflikt unterdrücken, weil Konflikte die Machtstellung der herrschenden Elite bedrohen. Konfliktlose Gesellschaften sind Zwangsgesellschaften und insofern abnormal. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 109. Konflikte treten als universale soziale Tatsache auf (vgl. S. 114). Aber es ist eben fraglich, ob man ihnen, wie Dahrendorf es tut, immer „eine hervorragende schöpferische Kraft" beimessen kann (vgl. S. 125).

  69. Konfliktverschärfungen ergeben sich dort, wo um Macht, um gegensätzliche Interessen und um unterschiedliche Ordnungsnormen gerungen wird. Selbst wenn man die Konflikte nur in den Grenzen demokratischer Ordnung betrachtet, ist es höchst problematisch, ihnen nur einen Ordnung intendierenden Sinn zuzuschreiben. Vgl. Erwin Schaaf, a. a. O., S. 5, der diese Auffassung vertritt.

  70. Wir halten fest, daß es Konflikte gibt, die sich als ausgesprochen ordnungsfeindlich erweisen, zum Beispiel Konflikte, die den Bestand demokratischer Ordnung in Frage stellen, oder stabilisierte internationale Konflikte, die wegen ihrer Heftigkeit den Weltfrieden bedrohen. Die meisten Konflikte erweisen sich als kostspielig, gefährlich und tödlich. Vgl. dazu Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, a. a. O., S. 234.

  71. Vgl. Ralf Dahrendorf, a. a. O., S. 202, der folgende Definition gibt: „Sozial soll ein Konflikt dann heißen, wenn er sich aus der Struktur sozialer Einheiten ableiten läßt, also überindividuell ist." Diese weite Definition macht eine Klassifizierung der Konflikte unumgänglich.

  72. Vgl. Georg Simmel, Soziologie — Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 1958, S. 196 f.

  73. Vgl. Ernst Wolfgang Buchholz, Ideologie und latenter sozialer Konflikt, Stuttgart 1968, S. 51 f.

  74. Vgl. Erwin Schaaf, a a. O., S. 5, der von der Gefahr spricht, den Konflikt als „Alternative zur Ordnung" zu sehen, ihn als „notwendiges Übel" zu bewerten und in seiner „ordnungsbedingenden Funktion" zu verkennen. „Jedes dialektische Denken sollte in bezug auf Ordnung und Konflikt vermieden werden, weil es eine Entstellung des demokratischen Ordnungsbegriffes darstellt." Die positive Bewertung des Konfliktes ist aber nur die eine Seite des Tatbestandes.

  75. Das gilt für alle Theoretiker, die den normalen Zustand der Gesellschaft in der Integration erblicken; aber auch sie erkennen, daß Gesellschaften nicht friktionslos funktionieren, weil sich Antagonismen bilden, die von ihnen aber als gefährlich und disruptiv, als dysfunktional und damit als pathologisch bezeichnet werden. Vgl. Ralf Dahrendorf, a. a. O., S. 115 ff., 118 ff.; Lewis A. Coser, Theorie sozialer Konflikte, Neuwied, Berlin 1965, S. 22 f.; Elton Mayo, Talcott Parsons usw. haben im Konflikt nur ein negatives und auflösendes Phänomen gesehen. Hier handelt es sich um eine andere Seite des Konfliktes, die man nicht verabsolutieren, aber sehen sollte

  76. Vgl. Hans-Günther Assel, Denkansätze, a. a. O., S. 19.

  77. Coser, S. 35,a. O., sich Lewis A. a.der auf Simmels Studie über den „Streit" bezieht und feststellt: „Gruppen verlangen Disharmonie, Auflösung wie Vereinigung; Konflikte in einer Gruppe sind nicht einfach zeistörende Faktoren." Diese Aussage kritisiert Dahrendorf, a. a. O., S. 122 ff. Entscheidend bleibt bei Lewis A. Coser, daß er dem Konflikt wie der Kooperation soziale Funktion beimißt.

  78. Vgl. Ralf Dahrendorf, a. a. O., S. 125 ff., S. 128/129. Die Entwicklung der Gesellschaft wird durch den Austrag der Konflikte vorangetrieben. Mit Recht wandte E. W. Buchholz dagegen ein, daß man die Wirkung von Konflikten nicht immer so positiv bewerten kann, wie es offensichtlich bei Dahrendorf geschieht. „Hiergegen ist einzuwenden, daß Konflikte auch ausgesprochen zerstörerisch wirken können und dann keineswegs einen solchen begrüßenswerten Wandel mit sich bringen." Vgl. E. W. Buchholz, a. a. O., S. 59.

  79. Vgl. Ernst Wolfgang Buchholz, a. a. O., S. 59, der dazu bemerkt: „Das Konflikte auch sinnlos sein können, aus reinem Zerstörungstrieb, aus Freude am Streit oder an der Zerstörung entfesselt werden, erscheint selbstverständlich."

  80. Gegen solche Tendenzen wendet sich die radikale Linke, die gerade die Involutionstendenz, das heißt die Rückbildung demokratischer Prozesse in vor-oder antidemokratische Formen, scharf kritisiert. Vgl. Johannes Agnoli, Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, Frankfurt 1968, S. 11.

  81. Vgl. Karl Christioph Lingelbach, Der Konflikt als Grundbegriff politischer Bildung, in: Pädagogische Rundschau, 21. Jahrgang 1967, S. 48— 55, 125— 138.

  82. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 53, der apodiktischer formuliert: „Es geht in der politischen Bildung... um die Vorbereitung des jungen Menschen auf seine Rolle im politischen Geschehen, das sich in gesellschaftlichen Konflikten abspielt." Schon hier liegt eine Vereinseitigung vor, weil das politische Geschehen auch kooperative Vorgänge kennt, die man in gleicher Weise betonen sollte. Konflikte und Kooperation durchdringen sich im politischen Geschehen. Das hätte man von Oetinger lernen können.

  83. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 99 ff., wo er diesen Sachverhalt darstellt und seine elf Kategorien analysiert, die sich als wertbezogene Kategorien erweisen und die nur in der demokratischen Ordnungsvorstellung Berücksichtigung finden. In diesem Sinne ist auch der Artikel von Erwin Schaaf, a. a. O., zu bewerten. Außenpolitische und internationale Konflikte fallen aus diesem Rahmen heraus.

  84. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 52.

  85. Ich verweise noch einmal auf meine Schrift: Denkansätze, a. a. O., und auf die Arbeit von Erwin Schaaf, die sich kritisch mit meiner Auffassung im Sinne eines Plädoyers für Giesecke und Lingelbach auseinandersetzt.

  86. Vgl. Ralf Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart 1957, S. 159 ff., wo er zwischen Integrationstheorie und Herrschaftstheorie der Sozialstruktur unterscheidet und damit Ordnung und Zwang einander gegenüberstellt. Vgl. dazu Max G. Lange, Politische Soziologie, Berlin, Frankfurt 19683, S. 12/13. Während er anfangs die Gleich-rangigkeit beider Theorien betont, glaubt er später sich für die (vgl. Gesellschaft und Freiheit, a. a. O., S. 208 ff.) Zwangstheorie entscheiden zu müssen.

  87. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 100, wo er sich gegen den utopischen Charakter der soziologischen Theorie ausspricht und damit gegen Parsons Gleichgewichtsmodell, das er dem Konfliktmodell schroff entgegenstellt, obwohl er auf S. 111 wiederum beide Modelle zur Erklärung soziologischer Probleme vonnöten hält.

  88. Vgl. Ernst Wolfgang Buchholz, a. a. O., S. 68, der sich gegen eine einseitige Definition des Herrschaftskonfiiktes wehrt, weil selbst in den prekären Formen des Konfliktes kooperative Tendenzen auf-treten. Das gilt auch für internationale Konflikte, wie wir noch zeigen werden.

  89. Vgl. Ralf Dahrendorf, a. a. O., S. 227.

  90. Eine Konfliktkritik hat eine korrespondierende Aufgabe wie die Ideologiekritik zu leisten, denn sie stärken beide das Reformbewußtsein, weil sie die Fehlauffassungen und damit „falsches Bewußtsein" enthüllen und die Versäumnisse, die sich in Strukturen verdichten, die wiederum der Anlaß für Konfliktbildung werden, sichtbar machen.

  91. Vgl. Dolf Sternberger, Der Begriff des Politischen, Frankfurt 1961, S. 16 ff., der die Friedens-kategorie aufstellt, um die Differenzen in der politischen Gesellschaft friedlich zu regeln, indem sie einen praktischen Konsensus herstellt. Der Friede wird zum Grund und zur Aufgabe der Politik, die den Konflikt mit alln Mitteln zurückweist, indem sie den Konflikt zivilisiert und seinen Austrag institutionalisiert. „In der Schlichtung soll Gerechtigkeit walten, im zivilisierten Streit die Lebenslust der Freiheit sich erhalten, im lebenden Zusammenhang der Ämter und Institutionen aber der Friede täglich neu gewonnen und eben auf diese Weise bewahrt werden“ (vgl. S. 24/25).

  92. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 63/64, wo ich darauf verweise, daß der Friedens-und Ordnungsgedanke den Macht-und Interessengedanken überflügeln muß. Der Friedensgedanke ist in enger Beziehung mit dem Gerechtigkeitsbegriff zu sehen. Ein Leben in Gerechtigkeit wird friedens-stiftend wirken. Ungerechtigkeit ist die Quelle der Konflikte.

  93. Vgl. Dolf Sternberger, a. a. O., S. 23, der bemerkt, daß der Friede nicht den Streit ausschließt oder abschafft, sondern ihn regelt und, wo es gelingt, auch schlichtet. Schlichtung ist der Sonderfall der Regelung, der Zivilsisierung des Streites, der weder ausgetilgt noch niedergehalten wird.

  94. Vgl. dazu Eva Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation. Studien zur Friedensforschung, Bd. 2, Stuttgart 1969, die den bemerkenswerten Gedanken vertritt, daß trotz aller Konflikte, welche unsere Welt durchziehen, bereits Prozesse in Gang gesetzt wurden, die den „kriegerischen Nerv" treffen, so daß sich auch reale Chancen für eine Friedenspädagogik ergeben.

  95. Vgl. Hartmut von Hentig, Erziehung zum Frieden (Das Gespräch, Heft 78), Wuppertal 1968, der von der These ausgeht, daß Kriege im Innern der Menschen geboren und daher im Innern der Menschen zu bekämpfen sind.

  96. So lassen sich die Friedensaufgaben für alle Völker formulieren, auch die Fliedensaufgaben für die Deutschen. Vgl. dazu die Studie, die von der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für öffentliche Verantwortung unter dem Titel „Friedensaufgaben der Deutschen", Gütersloh 1968, vorgelegt wurde.

  97. Vgl. Georg von Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, Frankfurt, Hamburg 1963, S. 373 ff.

  98. Vgl. Waldemar Besson, Von Roosevelt bis Kennedy. Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik 1933— 1963, Frankfurt 1964, S. 93, der bemerkt: „So wie eine pluralistische Gesellschaft nur noch durch konsequenten Einsatz der staatlichen Macht integriert werden könne, so bedürfe jetzt auch das Weltstaatensystem einer Institutionalisierung und politischen Ordnung durch die Groß-mächte."

  99. Vgl. Waldemar Besson, a. a. O., S. 97, der hervorhebt, daß die Amerikaner nicht mehr mit der Möglichkeit eines west-östlichen Konfliktes rechneten. Das war eine „grandiose Illusion".

  100. Die Expansions-und Konsolidierungspolitik von Stalin, die Hoffnung der Weltrevolution jetzt ein Stück näher zu kommen, war der tiefere Grund für das Scheitern dieser Friedensutopie. Vgl. Georg von Rauch, a. a. O., S. 383 ff.

  101. Vgl. Jürgen Reiß, George Kennans Politik der Eindämmung, Berlin 1957.

  102. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 15 ff.; Waldemar Besson, a. a. O., S. 121 ff.

  103. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 17.

  104. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 17, Anmerkung 33.

  105. Vgl. Theodor Schieder, Zum Problem des Staatenpluralismus in der modernen Welt, Köln, Opladen 1969, S. 55 ff., der in einem Exkurs den Block-und Lagerbegriff näher definiert.

  106. Vgl. Theodor Schieder, a. a. O., S. 10 ff., S. 25 ff.

  107. Vgl. dazu Roscoe Drummond, Gaston Coblentz, Duell am Abgrund. John Foster Dulles und die amerikanische Außenpolitik, Köln, Berlin 1961, S. 176 ff.; Waldemar Besson, a. a. O., S. 195 ff.

  108. Vgl. Karl Heinz Ruffmann, Sowjetrußland, München 1967, S. 238 ff.; Waldemar Besson, Die großen Mächte. Strukturfragen der gegenwärtigen Weltpolitik, Freiburg 1966, S. 56 ff.

  109. Vgl. Theodor Schieder, a. a. O., S. 28 ff. Die Blöcke verfügten über eine integrierte Kommandostruktur und über Stützpunkte auf dem Gesamt-territorium. Dabei wachte Moskau noch mehr als der Westen auf die ideologische und ökonomische Homogenität.

  110. Vgl. Dieter Schröder: Großmächte, Interessen-sphären, kleine Staaten, in: Moderne Welt, 1. Heft 1969, S. 57 ff., 61 ff.; vgl. Knud Krakau, Der Regionalismus im Spannungsfeld hegemonialer Interessen, in: Moderne Welt, 1. Heft 1969, S. 22.

  111. Vgl. Dieter Schröder, a. a. O., S. 55 ff.

  112. Vgl. Karl Heinz Ruffmann, a. a. O., S. 251, der davor warnt, darin einen grundsätzlichen und dauerhaften Wandel der sowjetischen Außenpolitik zu erblicken.

  113. Vgl. Karl Heinz Ruffmann, a. a. O., S. 240 ff., besonders S. 242, wo die sowjetische Definition von Koexistenz nach dem Parteiprogramm der KPdSU vom November 1961 mitgeteilt wird. Demnach bedeutet Koexistenz eine „spezifische Form des Klassenkampfes", wobei dem Adjektiv „friedlich" eher eine verhüllende als glaubwürdige Tendenz zukommt.

  114. Carl Friedrich von Weizsäcker entwickelte seine Zyklentheorie, die ein Fortschreiten von der gegnerischen Bipolarität zum Polyzentrismus und zur kooperativen Bipolarität beschrieb. Sein theoretisches Schema schien der tatsächlichen Entwicklung zu entsprechen. Vgl. dazu seine Schrift: Gedanken über die Zukunft, Göttingen 1 9673, S. 41 ff.; ferner Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 32 ff., besonders S. 33, Anmerkung 73.

  115. Vgl. Jens Hacker, Die SED und die Breschnew-Doktrin, in: Deutschland-Archiv, 2. Heft 1970, S. 198 ff.

  116. Vgl. Theodor Schieder, a. a. O., S. 29/30; ferner Knud Krakau, a. a. O., S. 29 ff., der bemerkt, daß die Supermächte ihre hegemoniale Tendenz in ihren Sphären verstärken.

  117. Die Strategie arms limitation talks in Finnland bezwecken eine Begrenzung des nuklearen Wettrüstens, denn die Overkill-Fähigkeit und die second strike capacity lassen es als vernünftig erscheinen, sich beim Rüstungswettlauf eine Limitierung aufzuerlegen, wenn auch mehr aus finanziellen als aus völkerrechtlichen und moralischen Gründen.

  118. Ein neuer Versuch, der das Konfrontationsdenken weiter abbauen könnte, stellt die Gewaltverzichtspolitik dar, die freilich ihre entscheidenden Tests noch nicht überstanden hat, Sie ist aber ein Symptom für den sich wandelnden Bewußtseinsprozeß, der von der Konfrontation zur Kooperation verläuft.

  119. Vgl. Knud Krakau, a. a. O., S. 23/24.

  120. Vgl. Marcel Hepp, Der Atomsperrvertrag. Die Supermächte verteilen die Welt, Stuttgart 1968, S. 39 ff., S. 49 ff., wo solche Befürchtungen formuliert werden.

  121. Die Friedensforschung, die natürlich den Friedensbegriff zum Mittelpunkt hat, unterscheidet sich von der Politikwissenschaft, die gewöhnlich den Macht-oder Ordnungsbegriff als Grundbegriff benützt, die Rolle der Eliten und ihre Entscheidungen analysiert, vergleichende Regimelehre und öffentliche Meinungsforschung betreibt. Friedensforschung will die Ursachen von Gewalt und Aggression freilegen, also Kontliktforschung und auch Konfliktkritik betreiben, damit die Möglichkeiten des rationalen Konsensus für die innerstaatliche und internationale Ordnung zutage treten. Vgl. dazu Dieter Mahnke, Was ist Friedens-forschung?, in: Europa Archiv, Zeitschrift für internationale Politik, 22. Heft 1969, S. 798 f.

  122. Vgl. Günther Nollau, Ideologie — dominieren-der Faktor?, in: Deutschland Archiv, 8. Heft 1969, S. 828, der einige eklatante Beispiele für die Politik der ideologisch nicht erklärbare Sowjets anführt. Vgl. auch Karl Heinz Ruffmann, a. a. O., S. 252/253. Mit der Ideologie läßt sich der Eroberungsgeist maskieren.

  123. Vgl. Franz Ronneberger, Teilungen von Staaten, in: Moderne Welt, 3. Heft 1968, S. 303 ff.

  124. Vgl. Franz Ronneberger, a. a. O., S. 307.

  125. Vgl. Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 23 ff., wo dieses Phänomen beschrieben wird; auch Theodor Schieder, a. a. O., S. 52 ff.

  126. Sollte der Nuklearkrieg trotz der Abschrekkung eintreten, so sind Theoretiker wie Hermann Kahn der Meinung, daß ein solcher Krieg nicht automatisch zum gegenseitigen Völkermord führe. Er hält die Vorstellung von einer totalen Welt-vernichtung für falsch. Vgl. dazu Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, S. 162, der sich mit dieser Ansicht von Kahn kritisch auseinander-setzt. Die regressiven Tendenzen, barbarisierende Rückwirkungen würden schon — nach der Meinung des Psychologen Erich Fromm — bei teilweisen Zerstörungen einsetzen (vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 168 ff.).

  127. Vgl. Hermann Kahn, Eskalation — die Politik mit der Vernichtungsspirale, Berlin 1966, S. 72 ff., der zweifellos eine ausgefeilte Analyse über denkbare Gewaltformen entworfen hat, die nur in seinen Details als übertrieben erscheinen, weil eine solche Rationalität den moralischen Impuls der Menschheit schwächt. Vgl. dazu Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 61/62. Auch Amitai Etzioni, Der harte Weg zum Frieden, Göttingen 1965, S. 39 ff., der von einer „überspannten Rationalität" spricht (S. 40) und seine berechtigten Zweifel hegt, ob eine solche Militärmaschine Sicherheit bietet, denn das Risiko des Krieges muß stets einkalkuliert werden.

  128. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 104.

  129. Die Theoretiker haben verschiedene Kriegs-bilder entworfen. Die „counterforce" -Strategen wollen nur die Streitkräfte des Gegners vernichten, nicht aber den Gegner selbst. Man kann unterschiedliche Aggressionsziele anvisieren, das heißt die „Zivilbevölkerung" ließe sich unter Umständen schonen; erst die „counter-city" -Strategie würde eine erhebliche Verschärfung der Konfliktsituation

  130. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 59.

  131. Vgl Amitai Etzioni, a. a. O., S. 42, der mit gutem Recht von einem „systematischen Wahnsinn" spricht.

  132. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 113 ff.

  133. Vgl. Amitai Etzioni, a. a. O., S. 46.

  134. Vgl. Eberhard Menzel, Die Bemühungen um die Abrüstung seit 1945: Mißerfolge und Teilerfolge, in: Studien zur Friedensforschung Bd. 1, S. 73. Die Rüstungsausgaben betrugen nach einer Statistik der US-Rüstungskontrollbehörde 1968 720 Milliarden DM in der Welt.

  135. Vgl. Dieter Senghaas, Aggressivität und Gewalt, a. a. O., S. 142, der die Abschreckung als Globalstrategie als „grandiose Fehlinvestition" bezeichnet.

  136. Vgl. Eike Hennig, Die Rüstungsgesellschaft und ihre Kosten. Anmerkungen zur Politik der Verschwendung und Zukunftsgefährdung, in: Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 275 ff., besonders S. 284 ff., der den Zirkel von Überproduktion und Rüstungsausgaben im Westen und Konsumverzicht und Rüstungsausgaben im Osten untersucht, spricht von einer „Dimension der historischen Unvernunft unserer Gegenwart", weil diese Dialektik über die Macht-und Sozialverhältnisse hinausgreift und die gegenwärtige Struktur der Weltpolitik fixiert und weil beide Systeme sich herausfordern, ohne stark genug zu sein, das andere zu ersetzen. Diese relative Schwäche erklärt die Bipolarität als langfristigen Faktor (vgl. S. 279 ff.).

  137. Vgl. Eike Hennig, a. a. O., S. 285 ff., S. 291 ff., der die Zahlen nach der Studie „World Defense Expenditures" von Emile Benoit und Harold Lubell mitteilt, die auf dem Stande von 1964 beruhen und die Eskalation des Vietnamkrieges nicht widerspiegeln.

  138. Vgl. Eberhard Menzel, a. a. O. r S. 73 ff., der sich mit diesem Problem auseinandersetzt.

  139. Vgl. Dieter Senghaas, Aggressivität und Gewalt, S. 138 f.

  140. Vgl. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, S. 258 ff., 262.

  141. Vgl. Walter Gerlach, Der Zwang zum Frieden, in: Der Zwang zum Frieden (Aufsatzsammlung), Stuttgart 1967, S. 13. Eine von allen Nationen unterstützte Friedenswissenschaft könnte ein Einheitsband für alle Staaten bedeuten. Ähnliches ließe sich von der Friedenspädagogik behaupten.

  142. Vgl. Walter Gerlach, a. a. O., S. 16, der wie viele andere den Frieden als „unumgängliche Voraussetzung für eine Zukunft" bezeichnet und verlangt, daß sich der Mensch „der Gewalt seiner Vernunft" unterwirft.

  143. Vgl. Dieter Senghaas, Zur Pathologie organisierter Friedlosigkeit, in: Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 247, der die polemische Überspitzung von Charles Osgood in den Einzelheiten behandelt.

  144. Vgl. Amitai Etzioni, a. a. O., S 72 ff.

  145. Vgl. Amitai Etzioni, a. a. O., S. 89 ff., der die gradualistische Politik im einzelnen beschreibt.

  146. Vgl. Eberhard Menzel, a. a. O., S. 89— 93, der die wesentlichen Teilerfolge aufzählt: Entnukleari-sierung der Antarktis (1. 12. 1959), Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre und in der Luft (5. 8. 1963), Vertrag über die Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes (27. 1. 1967), Verbot von Kernwaffen in Südamerika (14. 2. 1967), Atomwaffensperrvertrag, der die nukleare Streuung verhindern soll, wobei man das Problem nuklearer Erpressung nicht übersehen darf. Vgl. dazu Hans-Günther Assel, Weltpolitik, S. 12 ff.

  147. Vgl. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, S. 228 ff., und Aggressivität und Gewalt, S. 142 ff.; ferner Eike Hennig, a. a. O., S. 309, der die Kosten der Rüstungsgesellschaft über das positivistisch Meßbare hinaus so zum Ausdruck bringt,

  148. Vgl. Theodor Schieder, a. a. O., S. 10.

  149. Vgl. Theodor Schieder, a. a. O., S. 22/23.

  150. Vgl. Amitai Etzioni, a. a. O., S. 199, der für Organisationen eintritt, die über den Blöcken und Lagern bestehen und multinationale Unionen bilden, die für das Gefüge einer künftigen Weltregierung vonnöten sind.

  151. Vgl. Amitai Etzioni, a. a. O., S. 189, der zu-gibt, daß Militärbündnisse von der Vorstellung des gemeinsamen Gegners leben. Aber auch er tritt der Theorie, daß zur Einigung die von außen kommende Bedrohung nötig wäre, entgegen.

  152. Es gibt genügend Beweise dafür, daß sich auch gewaltlose Aktionen als Mittel der Konflikt-regelung einsetzen lassen. Die gewaltlose Strategie ist ein neues Phänomen, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vgl. dazu im einzelnen Theodor Ebert, Gewaltfreier Aufstand, Alternative zum Bürgerkrieg, Freiburg 1968.

  153. Vgl. Hartmut von Hentig, Erziehung zum Frieden. Das Gespräch, Heft 78, Wuppertal 1968, S. 6. Das volle Zitat lautet: „Kriege sind ein geistiges Unvermögen, sind zugleich das Unvermögen, dieses Unvermögen einzugestehen, sind ein Bewußtseinsdefekt."

  154. Vgl. Hartmut von Hentig, a. a. O., S. 7.

  155. Vgl. Hartmut von Hentig, a. a. O., S. 15, der die Erhaltung des Friedens deshalb zu einer Domäne der Pädagogik machen möchte, weil er die optimistische Ansicht vertritt, daß bewußte Erziehungsarbeit diesen Tatbestand verändern kann.

  156. Vgl. Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression, Wien 1966 (17. — 20. Ausl.), S. 370 ff.

  157. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität, S. 9.

  158. Vgl. Konrad Lorenz, a. a. O., S. 371/372.

  159. Ders., a. a. O., S. 372.

  160. Ders., a. a. O., S. 374; vgl. dazu Iring Fetscher, Modelle internationaler Ordnung, in: Heft 9 der Schriftenreihe Zwischen Gestern und Morgen 1967, S. 25, der fragt, ob der Optimismus in bezug auf

  161. Ders., a. a. O., S. 377. Lorenz gibt zu, daß es schwer ist, Begeisterung für friedliche Ideale ohne Benützung der Feind-attrappe zu aktivieren. Die Feindattrappe ist ein wirksames Mittel des Demagogen, um Begeisterung und Zusammengehörigkeitsgefühle wachzurufen (vgl. S. 378).

  162. Ders., a. a. O„ S. 379/380.

  163. Ders., a. a. O., S. 373. Lorenz erweist sich als Gegner der Kantischen Pflichtethik und als Kritiker der idealistischen Philosophie; vgl. a. a. O., S. 327 ff.

  164. Vgl. Konrad Lorenz, a. a. O., S. 387, der dazu bemerkt: „Die heute neu auftretende Lebenslage der Menschheit macht unbestreitbar einen Hemmungsmechanismus nötig, der tätliche Aggression nicht nur gegen unsere persönlichen Freunde, sondern gegen alle Menschen verhindert." Besondere Mechanismen sind in der Lage, die schädliche Wirkung der Triebe zu verhindern.

  165. Ders., a. a. O., S. 386.

  166. Vgl. Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur, Fischer Bd. 47, Frankfurt, Hamburg 1965, S. 11 ff.

  167. Vgl. Iring Fetscher, a. a. O., S. 25. Die Kultur verlangt von beiden Trieben eine gewisse Einschränkung. Der Eros wird von seinen Triebzielen im Interesse der Leistungssteigerung abgehalten. Die Aggressivität wird von Zielen — der Vater-autorität und ihren politischen Nachfolgern — abgezogen und dem Über-Ich zugeführt, das als Gewissen die Forderung der Gesellschaft vertritt.

  168. Das Begriffpaar „Eros" und „Destruktionstrieb"

  169. Vgl. Sigmund Freud, a. a. O., S. 73 ff.

  170. Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt 1967, S. 80 ff.

  171. Vgl. Herbert Marcuse, a. a. O., S. 85.

  172. Vgl. Sigmund Freud, a. a. O., S. 92 ff. Das Zusammenleben der Menschheit begründe sich auf dem „Zwang zur Arbeit", den die äußere Not schuf, und auf die „Macht der Liebe" (vgl. S. 94).

  173. Ders., a. a. O„ S. 102.

  174. Ders., a. a. O., S. 105.

  175. Ders., a. a. O., S. 111.

  176. Ders., a. a. O., S. 115.

  177. Ders., a. a. O., S. 119. Freud fordert, daß die Erziehung die Rolle der Sexualität im Leben des Menschen ebensowenig verheimlichen darf wie die Aggression, deren Opfer er zu werden bestimmt ist.

  178. Ders., a. a. O., S. 118.

  179. Vgl. Herbert Marcuse, Psychoanalyse und Politik, Frankfurt 1968, S. 24/25.

  180. Vgl. Sigmund Freud, a. a. O., S. 125 ff.

  181. Ders., a. a. O., S. 126.

  182. Ders., a. a. O., S. 128; vgl. dazu Herbert Marcuse, Psychoanalyse und Politik, S. 33/34.

  183. Vgl. Sigmund Freuds Brief an Albert Einstein vom September 1932, abgedruckt in Ekkehart Krippendorf, a. a. O., S. 118/119.

  184. Vgl. Sigmund Freud bei Krippendorff, a. a. O., S. 121.

  185. Vgl. Sigmund Freud bei Krippendorff, a. a. O., S. 122/123.

  186. Vgl. Herbert Marcuse, Psychoanalyse und Politik, S. 19 ff.

  187. Ders., a. a. O„ S. 22.

  188. Ders., a. a. O., S. 23.

  189. Ders., a. a. O., S. 42.

  190. Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, S. 129.

  191. Vgl. Herbert Marcuse, Psychoanalyse und Politik, S. 48, wo er bemerkt, daß die repressive Trieb-verwandlung, „weder naturnotwendig noch geschichtlich unabänderlich“ sei. Vgl. auch: Trieb-struktur und Gesellschaft S. 129. wo er den Verdacht ausspricht, daß die fortgesetzte „unterdrük-kende Organisation der Triebe weniger durch . Kampf ums Dasein'erzwungen als durch ein Interesse an der Verlängerung dieses Kampfes - ein Interesse der Herrschaft" sei.

  192. Ders., a. a. O., S. 49. Die Folge wäre nicht ein Pansexualismus, denn dieser ist nur vorstellbar als Explosion repressiver Triebenergie. Die erotische Energie würde aufhören, bloße Sexualität zu sein. Sie würde vielmehr zu einer alle Verhaltensweisen bestimmenden Kraft, zu einem Prinzip, das Befriedigung in einer glücklichen Welt verheißt.

  193. Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, S. 137.

  194. Ders., a. a. O„ S. 156/157.

  195. Ders., a. a. O., S. 195.

  196. Ders., a. a. O., S. 197.

  197. Ders., a. a. O., S. 219 ff. Der Existenzkampf formt sich um. „In dem Maße, in dem der Kampf ums Dasein der freien Entwicklung und Erfüllung individueller Bedürfnisse zu dienen beginnt, weicht die repressive Vernunft einer neuen Vernünftigkeit der Befriedigung, in der Vernunft und Glück Zusammentreffen."

  198. Vgl. Herbert Marcuse, Psychoanalyse und Politik S. 52/53; ferner: Das Veralten der Psychoanalyse, in: Kultur und Gesellschaft, Bd. 2, Frankfurt 1965, S. 98 ff.

  199. Ders., a. a. O., S. 99; vgl. auch Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, S. 156 ff.

  200. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 157 ff.

  201. Vgl. Herbert Marcuse, Das Veralten der Psychoanalyse, S. 99/100. Marcuse hebt hervor, daß der technische Fortschritt dann lebenserweiternd wirkt, wenn die zerstörerische Energie „eingedämmt" und von libidinöser Energie gelenkt wird.

  202. Vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 154, der bemerkt: „So tritt Außensteuerung an die Stelle von Autonomie, Passivität an die individueller Spontaneität, und da die libidinösen Bindungen, die der Massenbildung zugrunde liegen, auf gehemmte erotische Energie zurückzuführen sind, erzeugen sie destruktive Energie, die sich an Minderheiten oder am Feind austobt."

  203. Vgl. Herbert Marcuse, Das Veralten der Psychoanalyse, S. 99, der bemerkt: „Das Übergewicht aggressiver über libidinöser Energie erscheint als ein wesentlicher Faktor bei dieser Form gesellschaftlichen und politischen Zusammenhalts . ..der Feind als personifizierte Zielscheibe wird zum Objekt von Triebbesetzung: . negativer'aggressiver Besetzung. Denn in der täglich vereinnahmten Information und Propaganda werden die Bilder des Feindes konkret, unmittelbar gemacht — menschlich oder vielmehr unmenschlich."

  204. Vgl. Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, S. 47; vgl. Alexander Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie, München 1963 (1969), S. 191 ff.; Herbert Marcuse, Das Veralten der Psychoanalyse, S. 87 ff.

  205. Vgl. Herbert Marcuse, Das Veralten der Psychoanalyse, S. 96.

  206. Vgl. Herbert Marcuse, a. a. O., S. 97; vgl. Dieter Senghaas, a. a. O., S. 154/155.

  207. Vgl. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 169.

  208. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressiviät, S. 120.

  209. Vgl. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 121, der dazu bemerkt: „Die Parallelität dieses unlinearen, nicht umkehrbaren Geschehens mit dem sexuellen Orgasmus ist deutlich genug. In beiden Fällen handelt es sich um triebhafte, nicht mehr willentlich bremsbare Handlungsketten, die bis zur Erschöpfung ablaufen.'1

  210. Vgl. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Neuwied, Berlin 1 9683, S. 253 ff., S. 261 ff., auch S. 232. Marcuse bemerkt auf S. 253: „.. . das Beseitigen profitabler Verschwendung würde den zur Verurteilung verfügbaren gesellschaftlichen Reichtum vermehren, und das Ende der fortwährenden Mobilisieruung würde das gesellschaftliche Bedürfnis verringern, Befriedigungen zu verweigern, die solche des Individuums selbst sind — Versagungen, die jetzt durch den Kult der Gesundheit, Stärke und Ordnung kompensiert werden."

  211. Vgl. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 125 ff., der hervorhebt, daß die entscheidenden Übel wohl „nur sekundär" von der Gesellschaft herrühren, primär vom Menschen, der nur so unperfekte Gesellschaften zu errichten in der Lage war ..." Marcuses Hoffnung mit einer neuen Generation und mit neuen Eliten gleichsam wie im „Märchen" das Schlüsselwort für die plötzliche Verwandlung des Menschen in ein „friedlich-tolerantes Wesen" zu finden, bezweifelt Mitscherlich.

  212. Hier ist gewiß die Frage zu stellen, ob eine politische Gesellschaft'überhaupt den kritischen Bürger will. Jürgen Habermas hat auf die Folgen-losigkeit politischer Meinungen hingewiesen. Vgl. Jürgen Habermas, Friedeburg, Oehler, Weitz: Student und Politik, Frankfurt 19672, S. 29— 34. Theodor Adorno beklagte die Auslieferung des Menschen an objektive Konstellationen, über die sie nichts vermögen. „Nach der Phrase, es käme allein auf den Menschen an, schreiben sie alles dem Menschen zu, was an den Verhältnissen liegt, wodurch dann wieder die Verhältnisse unbehelligt bleiben" (zitiert nach Hermann Giesecke. Didaktik der politischen Bildung, S. 54). Adorno bezieht diese Kritik auf die Herrschaftsstruktur der Gesellschaft, die in Wirklichkeit kritisches Denken nicht honoriert und eine tatsächliche Ungleichheit in der Verteilung der politischen Mitbestimmungsfunktion aufrechterhält. Wer die Antagonismen tendenziell nivelliert, nimmt ihnen ihren Stachel. Vgl. Th. W. Adorno, Prismen, Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt 1969, S. 32 ff. Aber alle möglichen Formen von Konflikten und Antagonismen müssen sich aufklären und rational bewältigen lassen, vor allem in einer Welt, für die der Klassenkampf tödliche Folgen haben kann. Die Erziehung hat hier eine politische Bildungsaufgabe zu meistern, die Bewußtseinserhellung mit sich bringt, um die Herr

  213. Sie widerspricht damit nicht der Aufgabenstellung einer kritischen Theorie, eine Lehre von den Beziehungen der Menschen aufzustellen, die sich auch häufig mit ihren unmenschlichen Beziehungen zu beschäftigen hat. Gegen diese Dialektik der In-humanität wird sie ja mobilisiert, um Bewegungstendenzen zu entfachen, die sich mit dem Status quo nicht zufrieden geben.

  214. Vgl. Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, S. 108 ff., der mit Recht darauf verweist, daß das Atomzeitalter ein Denken erfordert, das nicht auf der „Zementierung von Gegensätzen, sondern auf der Offenheit gegenüber dem Gegner und der Bereitschaft, sich mit ihm im friedlichen Kampf zu messen und auseinanderzusetzen (besser , zusammen’zusetzen) beruht". Der Wandel durch neues Denken ist eine kategorische Forderung! Vgl. dazu auch Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, Frankfurt 19694, S. 14 ff., der dazu bemerkt, daß der alleingültigen „Kraft der Ge-

  215. Vgl. Hartmut von Hentig, Erziehung zum Frie-Ein

  216. Vgl. dazu: Friedensaufgaben der Deutschen. Eine Studie, vorgelegt von der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland, für öffentliche Verantwortung, Gütersloh 1968, S. 10. Hier findet sich die bemerkenswerte Feststellung: „Ein weltweiter Lastenausgleich ist nur möglich, wenn die vorhandenen Quellen nicht versiegen, sondern stärker fließen. Die erforderlichen Mittel werden den Industrienationen nur zur Verfügung stehen, wenn sie in ihrer eigenen Gütererzeugung immer leistungsfähiger werden. Dies ändert aber nichts daran, daß die Mittel für wirksame Hilfe vornehmlich aus dem Aufwand freigesetzt werden müssen, der gegenwärtig der Erhaltung und Steigerung der militärischen Schlagkraft der feindlichen Lager innerhalb der Industrienationen dient."

  217. Vgl. Karl Friedrich Roth, a. a. O., S. 105 ff., der sich auf Walter Gerlach beruft, der das Ost-West-

  218. Vgl. Ossip K. Flechtheim in seinem Vorwort zu Fritz Vilmars zitiertem Buch, S. 7. „Rüsten wir ab, so maximieren wir die Chancen des Friedens — damit — und nur dann — können — und müssen! — wir die so frei werdenden Mittel auch für die Minimierung von Hunger und Elend überall in der Welt einsetzen. Das sind Wahrheiten, die im Prinzip heute kaum noch bestritten werden." Vgl. dazu auch Georg Picht, Prognose, Utopie, Planung, Stuttgart 19682, S. 42 ff. „Die gigantischen technischen Leistungen, die erforderlich sind, um die Welt vor planetarischen Katastrophen zu bewahren, setzen voraus, daß jene monopolistische Konzentration der Produktionsmittel, des Kapitals und des Wissens, die heute den hochentwickelten Ländern in einer mehr und mehr verelenden Welt ihre höchst fragwürdige Sonderstellung gibt, nicht abgebaut, sondern vielmehr gesteigert werden muß." Die Hoffnung auf Überwindung der Hungerkatastrophe stützt sich auf die technischen und wirtschaftlichen Ressourcen der Industrieländer. Werden sie zerschlagen — in einem möglichen Atomkrieg —, so bedeutet das den sicheren Untergang der Unterentwickelten.

  219. Vgl. Georg Picht, a. a. O., S. 46/47, der bemerkt:

Weitere Inhalte

Hans-Günther Assel, Dr. oec., Dr. phil., Studiendirektor, Dozent für Politische Wissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Nürnberg der Universität Erlangen-Nürnberg, Mitherausgeber der „Welt der Schule", Zeitschrift für Lehrer, geb. am 24. 6. 1918 in Breslau. Veröffentlichungen u. a.: Weltpolitik und Politikwissenschaft. Zum Problem der Friedenssicherung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 77, Bonn 1968; Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus, München 1969; zahlreiche Zeitschriftenaufsätze, In Kürze erscheint: Ideologie und Ordnung als Probleme politischer Bildung, München 1970.