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Friedensforschung — Anfänge und Tendenzen | APuZ 13/1970 | bpb.de

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APuZ 13/1970 Friedensforschung — Anfänge und Tendenzen

Friedensforschung — Anfänge und Tendenzen

Rainer Kabel

/ 96 Minuten zu lesen

Vorbemerkung

Organisation UN-Organisationen INGOs IGOs zusammen 22 100 952 1074 21 134 1254 1409 21 158 1701 1880 21 173 1940 2134 1951/52 1960/61 1964/65 1966/67

Die Friedensforschung ist in Gefahr, zur scheinwissenschaftlichen Mode zu werden, noch bevor ihre Vorhaben, ihre Methoden, ihre Möglichkeiten unter den Friedensforschern selbst geklärt sind. Die ersten Ergebnisse einzelner Institute und Wissenschaftler, die zur Absteckung der Ziele und Grenzen der Friedensforschung beitragen könnten, sind über den Kreis der Fachleute hinaus kaum bekannt geworden.

Die Friedensforschung kann weder dem Politiker noch dem einzelnen souveränen Staatsbürger die Verantwortung für Krieg und Frieden abnehmen. Sie kann keine Wunder voll-bringen. Friedensforschung ohne Friedenspolitik bleibt eine rein akademische Angelegenheit. Friedenspolitik ohne Friedensforschung andererseits ist unmöglich. In unserer von Wissenschaft und Technik bestimmten, komplexen Welt muß sich die Politik der wissenschaftlichen Beratung bedienen.

Diese knappe Übersicht über Möglichkeiten, Grenzen und erste Ergebnisse der Friedens-forschung soll anregen, die angegebene weiterführende Literatur zu einzelnen Gebieten zu benutzen, weiterzudenken und — vor allem — einige der ausgewählten Erkenntnisse und Einsichten der Friedensforschung in Politik und Pädagogik umzusetzen.

I. Friedensforschung

Der Streit über die Frage, ob die Friedensforschung eine alte oder eine neue Wissenschaft sei, ist müßig. Friedensvorschläge und Friedensprogramme, Schriften über Krieg und Frieden, gab es schon im Altertum. Die moderne Friedensforschung konnte erst entstehen, als die Wände zwischen den traditionellen Fakultäten fielen, als Forscherteams aus Vertretern verschiedener Fachrichtungen mit der gemeinsamen Arbeit begannen, als die Notwendigkeit multidisziplinärer Forschung erkannt und verwirklicht wurde. Die moderne Friedensforschung hat ihre Väter bei Völkerrechtlern und politisch engagierten Naturwissenschaftlern, ihre Vorväter bei Philosophen und Theologen.

Der Friede als Bedingung und Ziel jeder politischen Handlung ist heute eine Selbstverständlichkeit. Friede gilt als erstrebenswerter Normalzustand im Zusammenleben der Völker. Krieg ist die zu verhindernde Ausnahme. Das war nicht immer so. Lange Zeit sahen Philosophen den Krieg als ein unabwendbares Schicksal an. Der Friede war Geschenk oder Gnade Friedensstifter wurden als über-menschliche Herrscher gefeiert. Dann wurden Ordnung im Innern des Staates und Stärke nach außen als die Voraussetzungen des Friedens entdeckt. Der Friede, durch Ordnung und Stärke bewahrt, der bei Bedrohung oder durch Eroberungsgelüste des Herrschers jederzeit unterbrochen werden konnte, führte zur Zementierung der bestehenden Verhältnisse des Staates und zum Verzicht auf Veränderung durch Innovation Krieg war die Regel, Friede die Unterbrechung des immerwährenden Kriegszustandes, meist als Zwangs-oder Gewaltfrieden.

Neben Vorläufern moderner Friedensforscher unter den alten Philosophen (Plato, Aristoteles) gab es bedeutende Denker, die den ewigen Krieg nicht nur hinnahmen, sondern ihn sogar priesen. Der vorsokratische Philosoph Heraklit von Ephesus wird heute noch als Verherrlicher des Krieges zitiert. Sein Ausspruch „Kampf ist der Vater von allem, die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien" ist allerdings nicht auf den Krieg als gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Menschen-gruppen allein anzuwenden, sondern als allgemeinere Aussage zu betrachten. Für den englischen Staatsphilosophen des 17. Jahrhunderts, Thomas Hobbes, war der Krieg aller gegen alle der Naturzustand menschlichen Zusammenlebens. Aus Furcht und Klugheit schufen die Menschen den allmächtigen Leviathan, den Staat, der durch seine Gewalt den Frieden unter den Menschen garantieren sollte Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sieht im Frieden einen gefährlichen Zustand, der die besten Kräfte des Menschen erschlaffen läßt. Erst durch den Krieg wachsen Menschen und Völker seiner Meinung nach über sich selbst hinaus und dienen dem „Weltgeist" bei seiner Selbstverwirklichung Mit anderen Worten: Der Friede hemmt, der Krieg beschleunigt die höhere Entwicklung der Menschheit. Friedrich Nietzsche, der Philosoph des „Willens zur Macht", verherrlicht den Krieg und macht sich über den Frieden als „Zustand der decadence" lustig

Philosophen, die den Krieg verherrlichen, erscheinen heute — nach zwei Weltkriegen und angesichts der Möglichkeit, daß in einem künftigen Weltkrieg die ganze Erde durch Kernwaffen zerstört werden könnte — mit ihrer Meinung als überholt und seltsam abwegig. Doch leben viele ihrer Gedanken noch in den Vorurteilen unaufgeklärter Zeitgenossen weiter. Die Auffassung, daß es immer Kriege geben werde, weil Kriege für die Entwicklung der Menschheit nun einmal notwendig seien, ist noch weitverbreitet. Sogar die Meinung, Kriege seien nötig, um die scheinbar unaufhaltsame Bevölkerungsexplosion auf der Erde einzudämmen, wird gelegentlich am Biertisch geäußert. Auch wirtschaftliche Gründe für Kriege und Rüstung werden genannt, technischer Fortschritt durch Abfallprodukte der Waffenentwicklung wird beschworen. Von interessierten Gruppen wird die Möglichkeit einer waffen-und soldaten-losen Zukunft als absurd ausgeschlossen Vorurteilsforschung und Pädagogik haben eine große Aufgabe, die Erkenntnis, daß nur eine friedliche Zukunft die weitere Existenz der Menschheit garantieren kann, zu verbreiten.

Die ersten Hoffnungen auf die Umkehrung des Gesetzes vom ewigen Kriege zur Hoffnung auf den ewigen Frieden kamen auf durch die Interpretation des biblischen Mythos vom Paradies und durch die christliche Friedensbotschaft. Doch die Theologen in der Nachfolge des Heiligen Augustinus verhießen den Frieden erst für das Jenseits. Die Philosophen dagegen forderten den Frieden schon auf Erden. Erasmus von Rotterdam ruft in seinem Traktat „Klage des Friedens, der bei allen Völkern verworfen und niedergeschlagen wurde" (1517) den einzelnen Menschen zum Umdenken auf: „Gehe in dich: dann wirst du finden, daß dich Zorn, Ehrgeiz und Torheit, nicht Notwendigkeit (zum Kriege) verleiten!" Der spanische Theologe Francisco de Vitoria (1486— 1546) verkündet den Gedanken vom „gerechten Krieg", für den eine große Sorgfalt nötig sei, um die Berechtigung und die Kriegsgründe zu prüfen und auch die Gründe des Gegners anzuhören

Der Italiener Albericus Gentilis (1551— 1611), Professor in Oxford, war der erste bedeutende Philosoph, der den Krieg in untheologischer Weise erörterte. Verteidigungskriege, auch Präventivkriege, stufte er als gerechte Kriege ein. Bündnispflicht und subjektiver Irrtum des Kriegführenden erkannte er als Kriterien des gerechten Krieges an. Das Naturrecht verbündete sich mit der Machtpolitik. Rechtslehrer wie Gentilis lieferten die ideologische Rechtfertigung 9a). Moralische Friedensaufrufe mehrten sich bis zur Gegenwart, ausgelöst durch die immer härter werdenden Kriege und die Verweltlichung der Politik, die den Frieden nicht mehr als bloße Jenseitshoffnung begriff, sondern als irdische Aufgabe. Aber alle Friedens-aufrufe, von der Bibel über die Theologen, Philosophen und Völkerrechtler des ausgehenden Mittelalters, über den deutschen Philosophen Immanuel Kant, der in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden" (1784) einen Muster-Friedensvertrag veröffentlichte und den Frieden als „höchstes politisches Gut" und „Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" betrachtete bis zu Völkerbunds-und UN-Erklärungen, haben den Krieg nicht aus der Welt geschafft

Der krieglose Zustand im überwiegenden Teil der Erde beruht nicht auf der Befolgung von Friedensmahnungen, sondern auf der Balance von Kriegsdrohungen. Diese Kriegsdrohungen durch riesige Heere und Waffen unvorstellbarer Zerstörungskraft sind paradoxerweise nach den internationalen Verträgen der einander feindlich gegenüberstehenden Macht-blöcke allerdings keine Angriffsdrohungen, (sondern nur äußere Erscheinungen von Frie(densbemühungen.

In der Präambel zum Nordatlantikvertrag (NATO) vom 4. April 1949 heißt es: „Die Pari feien dieses Vertrages bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben. . . Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen."

In der Präambel des Warschauer Pakts vom 14. Mai 1955 steht: „Die vertragschließenden Staaten haben be Mai 1955 steht: „Die vertragschließenden Staaten haben beschlossen, unter erneuter Bekundung ihres Strebens nach Schaffung eines auf der Teilnahme aller europäischen Staaten, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, beruhenden Systems der kollektiven Sicherheit in Europa, das es ermöglichen würde, ihre Anstrengungen im Interesse der Sicherung des Friedens in Europa zu vereinigen . .. geleitet von den Zielen und Grundsätzen der Satzungen der Vereinten Nationen, im Interesse der weiteren Festigung und Entwicklung der Freundschaft, der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Beistandes . . . diesen Vertrag . . . abzuschließen."

In Artikel 1 des Vertrages verpflichten sich die Partner ausdrücklich, sich in den internationalen Beziehungen der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten und ihre internationalen Streitfragen mit friedlichen Mitteln so zu lösen, daß der Weltfriede und die Sicherheit nicht gefährdet werden 13). Weder zeitgeschichtliche Erklärungen noch ideologie-kritische Untersuchungen können am gegenwärtigen Zustand einer Anhäufung von Kriegsmaterial auf der Erde etwas ändern. Die Abschreckungsideologie hat zu einem System organisierter Friedlosigkeit geführt, das zwangsläufig immer weiter ausgebaut werden muß, um die Glaubwürdigkeit der Vergeltung aufrechtzuerhalten und dem Gegner keine Blöße zu bieten. Dieter Senghaas beschreibt die gegenwärtige internationale Ordnung durch Gewalt als einen Zwangs-mechanismus: „Während im herkömmlichen System, bedingt durch vergleichsweise harmlose Dimensionen von Gewalt und einer relativ maßvollen Gestalt von Politik, ein Friedenszustand . .. sich zeitweilig aufrechterhalten ließ, die Unterscheidung von zivilem und militärischem Bereich streckenweise sinnvoll und realistisch war, läßt sich heute nicht nur diese Unterscheidung nicht mehr treffen, Frieden und Krieg gehen über in den Zustand des Terrorfriedens. Terrormodelle sind der ihm adäquate Ausdruck." 14) Tatsächlich sind heute Rüstung und Wirtschaft, Abschreckung und wechselseitige Verteufelung der Gegner, Außenpolitik und Stärke so eng miteinander verbunden, daß die Bezeichnung „Terrorfrieden", die Senghaas für den gegenwärtigen Zustand benutzt, zutrifft.

Erklärungen in internationalen Verträgen und politische Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Trotz der Friedensmahnungen von Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen und der Friedensbemühungen der Vereinten Nationen 14a), trotz internationaler Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle, gibt es im Augenblick auf der Erde mehr Waffen mit größerer Zerstörungswirkung als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, betragen die Rüstungsausgaben mehr als 820 Milliarden DM pro Jahr, zum größten Teil von den hochindustrialisierten Ländern aufgebracht Angesichts dieser paradoxen Lage klingt der Ruf nach wissenschaftlicher Durchdringung der Problematik als der letzte Versuch, mit anderen als konventionell-politischen und konventionell-militärischen Mitteln den großen Krieg zu verhindern und eine sichere Friedensordnung auf der Erde zu errichten. Die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft führten zur Entwicklung immer wirkungsvollerer Waffen. Von der Wissenschaft wird jetzt Hilfe erwartet, diese Waffen wieder zu beseitigen. Moralische Appelle blieben wirkungslos; wissenschaftliche Lösungen sind nötig.

Friedensforschung und Einzelwissenschaften Die Friedensforschung, mit mehr oder minder exakten wissenschaftlichen Hilfsmitteln betrieben, nahm in den letzten Jahren, fast im selben Maße wie die Steigerung der Rüstungskosten, gewaltigen einen Aufschwung. In einer im Dezember 1967 abgeschlossenen Bibliographie der wichtigsten, überwiegend englisch-und deutschsprachigen Veröffentlichungen zur Friedensforschung spiegelt sich die Entwicklung der neuen Forschungsrichtung. Eva und Dieter Senghaas wählten nur die ihrer Meinung nach heute noch wichtigen Schriften aus. Für die Zeit bis zum Jahre 1945 werden nur fünf Veröffentlichungen genannt. Zwischen 1946 und 1950 erschienen 18, zwischen 1951 und 1955 29, zwischen 1956 und 1960 77 für die moderne Forschung relevante Bücher und Aufsätze. In den sechziger Jahren nahm die Friedensforschungsliteratur mit Ausnahme des Jahres 1964 rasch zu: von 45 Veröffentlichungen im Jahre 1961 auf 140 im Jahre 1966.

Für den letzten erfaßten Zeitabschnitt nennen die Autoren 150 Veröffentlichungen von Bedeutung. Inzwischen hat die Flut von Aufsätzen und Büchern weiter zugenommen 16a). Die Friedensforschung wird zur Mode. Der Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen der weite-* ren Zunahme der Weltrüstung und der sprunghaften Entwicklung der Friedensforschung liegt nahe. Zwei zunächst rein spekulative Gründe ließen sich anführen: Der Rüstungswettlauf der Militärmächte mit steigenden Kosten und immer größerer Zerstörungskapazität führt zur Einsicht, daß mit konventionellen politisch-militärischen Mitteln der bedrohlichen Entwicklung nicht mehr beizukommen ist und wissenschaftliche Unterstützung benötigt wird. Der andere Grund setzt bei der häufigen Alibi-Funktion der Wissenschaft bei der Politik-Beratung an. Wissenschaftliche Gutachten, die zwar an den politischen Realitäten nichts zu ändern vermögen, schaffen wenigstens das Alibi, mögliche Alternativen seien untersucht, aber wegen ihrer Praxisferne nicht akzeptiert worden. So könnte die Friedensforschung, als unverbindliche Politik-Beratung ausgenom -men, dazu dienen, den Verantwortlichen ein gutes Gewissen zu schaffen.

Für die Entwicklung der Friedensforschung ist die Beschreibung des inhaltlichen Trends ergiebiger als die bloße Feststellung ihrer Ausweitung, gemessen nach Instituten und Ver- Öffentlichungen. Die UNESCO hat eine Untersuchung gefördert, in der 70 Institute, die sich mit Problemen der Friedensforschung befassen, über ihren Aufbau und ihre Forschungsvorhaben befragt wurden. Die Institute nannten als wichtigste Einzeldisziplin für die Friedensforschung folgende Disziplinen (nach ihrer Bewertung): Politikwissenschaft, die Lehre von den Internationalen Beziehungen, Soziologie, die Wirtschaftswissenschaften, Sozial-psychologie, Geschichte, Völkerrecht, Psychologie, Militärwissenschaft, Biologie, Demographie und Geographie. Die Frage nach den Forschungsvorhaben ergab folgende Liste (in Klammern der Prozentsatz der Institute, die sich für die einzelnen Vorhaben engagieren): a) allgemeine Konflikttheorie (68 °/o) b) außenpolitischer Entscheidungsprozeß (63 °/o)

c) Rüstungskontrolle und Abrüstung (60 °/o) d) öffentliche Meinung und Außenpolitik (60 °/o)

e) Gleichgewicht der Kräfte (59 0/o) f) wirtschaftliche Folgen der Abrüstung (56 °/o)

g) Diplomatie (54 0/o)

h) Rolle der Eliten in außenpolitischen Entscheidungen (53 °/o) i) Quellen und Komponenten des Nationalismus (52 °/o)

k) Rolle der Massenmedien (51 °/o)

1) UN-Sicherheitsstreitmacht (50 °/o)

Mari Holmboe Ruge, die im Juli 1965 auf der ersten Generalkonferenz der „International Peace Research Association" in Groningen über die Trends der Friedensforschung berichtete, hob hervor, daß in den jüngeren Instituten der Mitarbeiterstab vielfältiger zusammengesetzt sei und daß die zu erwartende Entwicklung der Friedensforschung auf eine immer weitere Zerstreuung der Disziplinen zusteuere Aufschlußreich für die Entwicklung der Friedensforschung ist auch die thematische Gliederung des bibliographischen Materials, dessen quantitativer Trend bereits beschrieben wurde. Philosophische und völkerrechtliche Untersuchungen, die in den ersten Jahrzehnten noch einen gewichtigen Platz einnahmen, werden von Berichten aus den empirischen Wissenschaften verdrängt. Soziologen, Psychologen, Verhaltensforscher, Ökonomen, Statistiker, Historiker, Kybernetiker, Militär-wissenschaftler und Politologen nehmen sich in zunehmendem Maße der Probleme der Friedensforschung an.

Schwierigkeiten bereitet die wissenschaftssystematische Einordnung der Friedensforschung. Ist sie eine eigene Wissenschaft, unterstützt von zahlreichen Hilfswissenschaften? Gehört sie mit ihrem Schwerpunkt in den Zuständigkeitsbereich der Politikwissenschaft, Unterabteilung „Internationale Beziehungen", wie Ernst-Otto Czempiel meint Ist die Friedensforschung eine „angewandte Wissenschaft"? Hanna und Alan Newcombe vom „Canadian Peace Research Institute" erklären zu Anfang eines Überblicks über die wichtigsten Friedensforschungs-Institute der Welt:

„Friedensforschung ist zweckbestimmt, man forscht nicht um der Forschung willen, sondern um ein dringliches Problem zu lösen. . Friede'wird als ein Wert anerkannt, genau wie . Gesundheit'in der Medizin. Er wird gewöhnlich als dauernder Verzicht auf Gewaltanwendung zwischen den Staaten definiert."

Friedensforschung sollte als die Gesamtheit der wissenschaftlichen Bemühungen, die Bedingungen des „Friedens" zu erforschen, verstanden werden. Eine Einigung über den Friedens-Begriff ist bisher nicht möglich gewesen. Eine Wissenschaft, die nach ihrem Forschungsgegenstand fragt, stellt sich selbst in Frage. Der scheinbare Mangel stellt sich als Gewinn heraus. Die Friedensforschung tut gut daran, ihr Forschungsziel und ihre Methoden ständig in Frage zu stellen. Wegen der engen Bindung der Friedensforschung an den Friedens-Begriff, die fast alle Friedensforscher direkt oder indirekt spüren, wäre bei einem allgemein verbindlichen Friedens-Begriff die Gefahr der Ideologiebildung in der Friedensforschung gegeben. Die Offenheit des Friedens-Begriffs, über die im folgenden Abschnitt berichtet wird, bedeutet die Rettung der Friedensforschung vor der Gefahr, mit ideologischen Scheuklappen die Verwirklichung einer einzigen Friedensidee wissenschaftlich begründen und politisch fordern zu müssen.

Bisher liegen keine umfassenden Forschungsergebnisse vor, denen die Mitwirkung eines größeren Teams von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete anzumerken wäre. Die Wissenschafts-Organisation liegt auch hier im argen. Die Einzeluntersuchungen zum Problemkreis Krieg und Frieden, die jeweils ein überschaubares Tatsachenfeld erforschen oder abgegrenzte theoretische Fragen behandeln, bereichern in stärkerem Maße die Einzelwissenschaften als die komplexe Friedensforschung. In der Bescheidenheit der Forschungsvorhaben liegt im Augenblick jedoch auch ihr Nutzen. Dieter Senghaas schreibt: „Die Friedens-forschung ist keine Wissenschaft, die von heute auf morgen alle relevanten Fragen formulieren und jene praktischen Antworten entwickeln könnte, ohne die die Menschheit in ihrem Leben permanent gefährdet bliebe. Wer diese Forschung in den vergangenen Jahren in ihrer Entwicklung beobachtete, wird bestätigen, daß in ihr mit viel methodischem Skrupel und theoretischer Umsicht gearbeitet wurde."

Forschungen über Vorurteile und ihre Rolle bei der Entstehung des Feindbildes Ermittlungen von Korrelationen zwischen Wohndichte einzelner Länder und Häufigkeit kriegerischer Verwicklungen die vergleichende Untersuchung von Aggressionen bei Mensch und Tier das Durchspielen möglicher und tatsächlicher internationaler Konflikte im Simulationsmodell die Beschreibung der Tendenzen internationaler Zusammenarbeit in internationalen und supranationalen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen diese zufällig zusammengetragenen, nicht untypischen Beispiele einzelner wissenschaftlicher Bemühungen, die Bedingungen von Krieg und Frieden zu klären und Politik-Beratung vorzubereiten, deuten die Weite der Fragestellungen moderner Friedensforschung an. Friedens-forschung ist Teil der Politikwissenschaft. Sie bedient sich als politische Wissenschaft anderer Wissenschaften, formuliert die Fragen, koordiniert die Forschungsvorhaben und gibt die Antworten weiter an Publizistik und Politik.

Die Friedensforschung ist keine „wertneutrale Wissenschaft" im Sinne rein akademischer Beschäftigung. Für sie gilt, was Eugen Kogon auf der Tagung der Politologen im Jagdschloß Waldleiningen Mitte September 1949 zur Neu-begründung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik sagte: „Gegenstand der politischen Wissenschaft sind die Elemente, die Mittel und die Methoden des Ringens um die optimale Verwirklichung des Allgemeinwohls. .. Was das Erkenntnisziel unserer Wissenschaft anlangt, ist es der Gegenstand selbst." Was Kogon für die Politikwissenschaft sagte, gilt genauso für einen ihrer Teilbereiche, für die Friedensforschung. Sie ist mehr als nur „Erkenntniswissenschaft", wie Kogon feststellte: „Sie mündet meines Erachtens in eine Art politische Klugheitslehre, die zeigt, wohin eine bestimmte Maßnahme unter bestimmten sozialen Umständen, unter wechselnd gegebenen Verhältnissen führt." Kogon hatte es kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch leicht, vom „Allgemeinwohl" als Ziel der Politikwissenschaft zu sprechen. Trotz aller Vorbehalte gegenüber dem unscharfen Begriff „Allgemeinwohl" oder „Gemeinwohl", die vor allem Ernst Fraenkel vorgebracht hat dürfte eine Einigung auf den „Frieden", vorläufig ganz allgemein und unpräzise als Abwesenheit von Gewalt definiert, als Bestandteil des Gemeinwohls durchaus möglich sein, was auch immer unter Gemeinwohl verstanden werden sollte.

Denkbar und wünschenswert wäre eine allgemeine Theorie des Friedens und der Friedens-forschung als Voraussetzung ihrer Wissenschafts-Organisation. Eine Theorie des Friedens sollte die gesicherten Forschungsergebnisse aller beteiligten Einzelwissenschaften zusammenfassen, neue Fragestellungen erarbeiten und die ständige Information von Politikern, Pädagogen, Publizisten und der Öffentlichkeit gewährleisten. Bis heute ist eine Theorie des Friedens noch nicht in Sicht, trotz mehrerer Werke, die im Titel mit diesem Anspruch auftreten. Wenn einmal der Rahmen der Friedenswissenschaft, wahrscheinlich unter dem Dach eines großzügigen Friedensforschungs-Instituts als Clearing-Stelle aller Friedens-Informationen, gefunden sein wird, muß auch ein bisher vernachlässigter Zweig der Friedens-forschung weiterentwickelt sein: die systematische Untersuchung der Rückwirkungen der Friedensforschung auf die gesellschaftlichen Realitäten und ihre politischen Auswirkungen.

II. Aspekte des Friedens

„Frieden ist ein so durch und durch . gutes'Wort, daß man sich vor ihm in acht nehmen soll. Für die verschiedenen Menschen hat es seit jeher die allerverschiedensten Dinge bedeutet. Sonst könnten sich nicht alle so bereitwillig und allgemein auf den Frieden einigen", meint C. Wright Mills zur Fragwürdigkeit des Friedens-Begriffs. Johan Galtung äußert sich ganz ähnlich: „ . Frieden ist eines jener. großen Worte, die mehr für die politische Rhetorik als für begriffliche Analysen geschaffen scheinen." Für den Friedensforscher ist jedoch eine möglichst eingegrenzte Bedeutung des Forschungsgegenstandes „Frieden" nötig, wenn er mit einzelwissenschaftlicher Fragestellung einen Aspekt des Friedens untersuchen will. Für eine umfassende Friedens-Theorie wird ein weiter gefaßter Friedens-Begriff günstiger sein.

„Frieden" als „Seelenfrieden", als „Ruhe und Frieden", als privater Frieden also, mag für individualpsychologische Ansätze der Friedensforschung fruchtbar sein, etwa in der Fragestellung, ob eine friedliche Gesinnung Voraussetzung für den Friedens innerhalb und zwischen Gruppen sein kann, und in der weiteren Fragestellung der Konflikttheoretiker, ob in einer dynamischen Gesellschaft Konfliktvermeidung oder Konfliktaustragung wünschenswert sei Für die meisten Untersuchungen der Friedensforschung ist ein anderer Friedens-Begriff erforderlich. Weder die wort-geschichtliche Besinnung auf den Zusammenhang der Wörter „Frieden" und „Freiheit", die beide aus dem althochdeutschen Wortstamm „vri" herkommen, noch die in pädagogischem Zusammenhang vielleicht fruchtbare formale Erklärung des „Friedens" zu einer „Kategorie des Verstehens und Handelns" können der Friedensforschung weiterhelfen.

Der Völkerrechtler Hugo Grotius definierte in seinem Werk „De iure belli ac pacis" (1625) den Frieden als die Abwesenheit des Krieges. Diese sehr nüchterne, negative Definition galt lange Zeit als verbindlich. Heute genügt sie nicht mehr und bedarf der Erweiterung. „Angesichts von Guerilla-und Polizeiaktionen, von Grenzzusammenstößen und subversiven Unternehmungen mit den uns bekannten Über-läufer-, Kollaborations-und Flüchtlingserscheinungen (hat diese Definition) kaum noch Gültigkeit", meint Hans J. Haferkorn zu Recht Heute ist der Krieg mitten im vermeintlichen Frieden gegenwärtig. Nicht nur wegen der kriegsähnlichen Mikro-Situationen, auf die Haferkorn hinweist, sondern auch wegen der gesellschaftlichen Verflechtungen der Friedens-Rüstung, die potentiell Kriegsrüstung ist. Während zu Zeiten von Grotius stehende Heere nur einen Bruchteil der Friedenswirtschäft ausmachten, da die meisten Soldaten erst kurz vor oder während der bewaffneten Auseinandersetzung angeworben wurden, ist der Krieg heute in gewaltigen Heeren und riesigen Rüstkammern in der modernen Gesellschaft gegenwärtig. Die Ausrichtung eines großen Bereichs der Wirtschaft, der Naturwissenschaft und der Technologie läßt den Krieg in seiner ständigen, gegenwärtigen Möglichkeit zum Bestandteil der Gesellschaft werden. Die bloße Abwesenheit des Krieges als bewaffneter Auseinandersetzung reicht nicht aus, um im Zustande des Friedens zu leben, da diese Abwesenheit als momentan und vorläufig erscheint.

Eine weitere Einschränkung, und zwar die wichtigste, gegen den formalen Friedens-Begriff bringt Dieter Senghaas vor. Er bezeichnet den gegenwärtigen Zustand als „Terrorfrieden": „Die Menschheit durchlebt heute eine Epoche intensivierten kollektiven Unfriedens. Zwar gibt es verschwindend wenige Oasen des Friedens und immer noch Grade des Un-friedens, doch bestimmt sich der Gang der Geschichte in diesen Jahrzehnten und auf absehbare Zukunft durch Gesellschaften, deren gegenseitiges Verhalten sich zu einem System organisierter Friedlosigkeit zusammengeschlossen hat. Es ist eine Welt des Terrorfriedens, eine Welt, die sich in permanenter Angstspannung reproduziert: eine Welt, in der Gewalt und Angst eine Symbiose eingegangen sind."

In der modernen Friedensforschung wird die alte Grotius-Definition des Friedens als Abwesenheit von Krieg nur noch mit Einschränkungen benutzt. Johan Galtung schlägt vor, „Krieg" als „organisierte Aggression zwischen Gruppen" zu verstehen, wobei er unter Aggression „jede Verhaltensfolge" versteht, „deren Ziel die Verletzung der Person -ist, gegen die sie sich richtet". Was mit Verletzung der Person gemeint sei, kann nach Galtung verschieden gedeutet werden. Eine Verletzung kann durch physische Gewalt-einwirkung erfolgen, aber auch durch gesellschaftliche Mittel wie Wirtschaftsboykott, Rassentrennung oder Rufmord. Galtung zählt auch die „psychologische Kriegführung" zu den Mitteln der Verletzung der Person Eine Beschränkung des „Krieges" auf die Auseinandersetzung zwischen Staaten ist nicht möglich. Ein Bürgerkrieg, der sich innerhalb eines Staates abspielt, wie etwa die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Nigeria und seiner Region Biafra, wäre danach nämlich kein Krieg. Auch die Ergänzung des Friedens-Begriffs von Grotius durch präzise und zeitgemäße Definition des Krieges bleibt eine Negativ-Definition, weil der Friede durch den Krieg erklärt wird. Friede als Abwesenheit von Krieg ist „negativer Friede". Der „negative Friede" als Forschungsgegenstand der Friedensforschung bezeichnet nur die eine Möglichkeit. Zwar beschäftigen sich bis heute die meisten Friedensforscher mit Abschrekkungs-und Balance-Vorstellungen, doch gibt es auch schon die andere Möglichkeit, die weitergehende Untersuchung des „positiven Friedens".

Kriegsverhinderung genügt nicht; es kommt auf die Beschreibung und wissenschaftliche Erforschung eines gewünschten Friedenszustandes an, soweit das als Zukunfts-Entwurf möglich ist. Diese Frage ist schon ein Problem der Friedensforschung, nämlich als Suche nach dem „positiven Frieden". Eine Welt ohne Krieg und ohne Kriegsgefahr, der „positive Friede", ist ein Utopie im guten Sinne, eine Herausforderung, die Phantasie und Kreativität verlangt. Alexander Mitscherlich hat die These aufgestellt, daß der positive Friede unbewußt von den Menschen gefürchtet werde: „Das Gefühl, der Möglichkeit kollektiver aggressiver Äußerungen beraubt zu sein, wird unbewußt als ein äußerst bedrohlicher, schutzloser Zustand aufgefaßt; das reflektiert sich auch in der vagen Unlust, mehr als deklamatorisch sich mit dem Frieden zu befassen, und mag einer der Gründe sein, warum das Wort Weltfrieden in so manchem Munde hohl und unaufrichtig klingt." Mitscherlich, der in seinen Schriften immer wieder die Notwendigkeit des Konflikts für das menschliche Leben hervorgehoben hat, versucht mit seiner These von der Angst vor dem Frieden seine Aggressionslehre zu untermauern. Mitscherlich hält den Frieden nicht für unmöglich, aber für problematischer als etwa Carl Friedrich von Weizsäcker, der meinte, unter einer mächtigen Weltregierung sei es möglich, den positiven Frieden zu begründen Im Zustand des Friedens ist nach Ansicht von Mitscherlich die Befriedigung des Aggressionstriebes des Menschen auf unkriegerische Art nötig, nicht durch Zwang und Gewaltandrohung. Andere Autoren meinen, in einer von Verboten und Zwängen freien Gesellschaft verschwände die Aggression von selbst In einer Forderung stimmen die Psychologen, die sich mit der Gestaltung des positiven Friedens befassen, überein, nämlich in der Forderung nach einer repressionsfreien Gesellschaft, ganz gleich, wie sie die Aggression erklären.

Margaret Mead versucht, die „Psychologie des Menschen in einer Welt ohne Krieg" zu beschreiben. In einer friedlichen Welt sind durchaus nicht alle Probleme des menschlichen Zusammenlebens automatisch gelöst, sondern neue Probleme stellen sich ein: „In einer Welt ohne Krieg wird eine große Anzahl ungelöster Probleme plötzlich mit aller Deutlichkeit zutage treten. Ob sie nun alt sind oder neu, sie stellen eine Herausforderung dar und garantieren, daß die Menschen nicht in Häuslichkeit und stumpfsinniger Sicherheit versinken werden. Im Gegenteil: die Drohung der nuklearen Katastrophe und Vernichtung produziert heute Apathie und Resignation. . . Nur ein wiederhergestelltes Vertrauen in die Zukunft, ein erneuertes Verständnis für Kontinuität kann den Menschen die Kraft und den Willen zurückgeben, die harte Arbeit, eine lebensfähige Welt zu bauen, auf sich zu nehmen."

Die Friedensforschung muß beide Wege zugleich gehen, den der Untersuchung der Bedingungen des „negativen Friedens" als Abbau der Spannungen und Rüstungen und den des „positiven Friedens" zu Entwürfen einer künftigen Weltordnung neuer Qualität. Der Streit über den richtigen oder falschen Friedensbegriff bringt nichts ein. Der „negative Friede" als Abwesenheit von Gewalt mit allen zeitgemäßen Erweiterungen ist leichter zu beschreiben als der „positive Friede". Eine genauere Beschreibung des positiven Friedens, einer friedlichen Weltordnung, wird erst möglich sein auf einer höheren Stufe gesellschaftlicher Entwicklung zu diesem positiven Frieden hin. Aus einer friedlosen, von Abschreckung paralysierten Welt heraus lassen sich die gesellschaftlichen Realitäten eines künftigen Friedens nur ahnen.

Die Verkrampfungen des von Leistungsdruck und Angst gelähmten Bewußtseins müssen durch kühne Zukunftsentwürfe gelockert werden. Eine präzise Beschreibung des zu verwirk-liebenden positiven Friedenszustandes ist nicht möglich. Die Propagierung einer einzigen, verbindlichen und detailliert geplanten friedlichen Welt bedeutet nur eine neue Verkrampfung. Deshalb fordert Robert Jungk immer wieder den Entwurf mehrerer Zukunftsmodelle, das Be-schreiten vieler verschiedener Pfade in der sozialen Phantasie 41a). Er fordert „Werkstätten für Zukunftsmodelle", in denen friedliche, menschenfreundliche Neuerungen erdacht werden sollen 41b), die Voraussetzungen für den positiven Frieden.

III. Wege der Friedensforschung

Die Friedensforschung ist in ihrer Konzeption und in ihrer Institutionalisierung interdisziplinär Das bedeutet, daß sie die Methoden vieler Einzelwissenschaften anwendet, um ihrem Forschungsziel näherzukommen: der Beschreibung der Bedingungen des Friedens. Wie die ersten Ergebnisse der Friedensforschung, die noch überwiegend aus einzelnen Fachbereichen kommen, zeigen, unterliegen die Fach-vertreter der Versuchung, ihre jeweilige wissenschaftliche Methode und die Ergebnisse ihrer Forschungen als bedeutendste Möglichkeit der Kriegsanalyse und Friedensplanung zu betrachten. So schleichen sich Friedens-ideologien ein, die durch eine allgemeine Friedenstheorie zurückgedrängt werden müssen.

In einem kurzen Überblick sollen einige wichtige Zweige der Friedensforschung vorgestellt werden, von individualpsychologischen Ansätzen bis zum Postulat und der Kritik einer Weltregierung. Im ersten Abschnitt wird einiges Material über die Erforschung der Kriegsursachen vorgetragen, im zweiten erste Ergebnisse der umgekehrten Fragestellung nach den Bedingungen des Friedens. 1. Kriegsursachen Die Ursachen des Krieges sind bisher fast ausschließlich von Historikern und Politik-wissenschaftlern beschrieben worden. Macht-ansprüche, Interessenkollisionen von Staaten oder genauer: von Herrschenden, die sich in jüngster Zeit die „öffentliche Meinung" zunutze machten, ehrgeizige Pläne elitärer Gruppen oder von Einzelpersonen führten zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Clausewitzsche Formel vom „Kriege als einer Fort-Setzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel" reichte aus, um Kriege zu erklären. Gab es ausreichende Motive, so war ein Krieg durchaus verständlich. Vorbedingungen des Krieges sind Vorhandensein von Waffen und kriegsbereiten Menschen, die mit den Waffen umzugehen wissen. Die allgemeine Kriegsbereitschaft stellt sich im allgemeinen rasch ein, weil die spiegelbildliche Bedrohung durch den ebenfalls kriegsbereit werdenden Feind die Aggressivität auf beiden Seiten anwachsen läßt. Während die machtpolitischen Kriegsmotive durchaus einleuchten und für die letzten großen Kriege auch hinlänglich beschrieben worden sind und auch die gegenwärtigen Spannungen auf der Erde zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, zwischen hochindustrialisierten und unterenwickelten Staaten durchaus analysiert werden, stehen Untersuchungen über andere mögliche Kriegsursachen erst am Anfang. a) Aggressivität und Krieg Menschliches Zusammenleben führt zu Konflikten. Ob die Aggressionen, die zwischen Menschen —-von Neid-und Haßgefühlen bis zum Vernichtungswillen und der Anwendung von Gewalt — zum Ausbruch kommen, im jeweils einzelnen Menschen als Urtrieb angelegt sind, wie Sigmund Freud und seine Schüler sowie Konrad Lorenz und seine Anhänger meinen, oder ob die Aggressionen erst in der Gesellschaft mit ihren Verboten und Zwängen entstehen, wie andere Forscher annehmen, ist für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Aggressivität und Krieg zunächst nicht wichtig. Denn es steht nun einmal fest, daß Aggressionen vorhanden sind, daß sie in Kriegszeiten und kurz davor auf den Gegner gelenkt werden und daß sie sich in Krisenzeiten verstärken. Weder die Anhänger der Lehre vom Aggressionstrieb noch die Gegner dieser Lehre meinen, die Aggressionen müßten notwendigerweise in feindseligen Handlungen zum Ausbruch kommen. Freud nennt mehrere Möglichkeiten, der Aggression Herr zu werden: die Bindung an die Libido, die Sublimation (Umfunktionierung der Zerstörungslust) und die „Diktatur der Vernunft" durch eine Elite. Für Sigmund Freud ist daher die Einsetzung einer Zentralgewalt, der sich die Menschen zu unterwerfen haben oder von der sie unterworfen werden, die einzig sichere Voraussetzung zur Verhütung von Kriegen So fragwürdig die Freudsche Empfehlung sowohl in politisch-ethischer wie auch in psychologischer Hinsicht ist, die Forderung nach einem totalitären Zwangsfrieden unter einer zentralen Gewalt wird heute noch erhoben

Konrad Lorenz schlägt gesellschaftliche Betätigungsmöglichkeiten in Spiel und Wettbewerb vor, um die seiner Meinung nach zum Menschen wie zum Tier gehörende Aggressivität unter Kontrolle zu bringen. Alexander Mitscherlich fordert die Schaffung neuer Lebensbedingungen für den Menschen

Talcott Parsons baut seine — von Dahrendorf angegriffene — Konflikttheorie auf der Hypothese auf, daß Aggressivität eher aus Schwäche und Benachteiligung erwächst als aus biologischer Stärke. Er schreibt: „Wie immer das Erbpotential auch beschaffen sein mag und welche Bedeutung ihm auch zukommen mag, so ist doch jedenfalls unendlich viel Material dafür daß sich aggressive Muster erbracht worden, in der Kindheit dann entwickeln, wenn die Sicherheit des Kindes in irgendeiner Form, meist in den Beziehungen zu den Mitmenschen, bedroht ist und realistische Befürchtungen in neurotische Angst übergehen." 49a) Die Mobilisierung der latent vorhandenen Aggressivität, die Stärkung des „Kampfeswillens" 49b), wird offenbar durch sozialpsychologische Mechanismen begünstigt.

Ganz gleich, ob die Aggressivität im Menschen angelegt ist oder ob sie erst durch das Zusammenleben der Menschen unter bestimmten gesellschaftlichen Einflüssen entsteht, gefährlich ist der Glaube an die Unabänderlichkeit der gewaltsamen Äußerung menschlicher Aggression. Denn der Glaube an die Unabänderlichkeit der offen ausgetragenen Aggression führt zwangsläufig zu der Meinung, Krieg zwischen Gruppen von Menschen sei ein Naturgesetz. Krieg wird als Ventil des Triebüberdrucks angesehen.

Krieg ohne den Willen der beteiligten Individuen, den Gegner und seine Mittel zu zerstören, Krieg ohne offene Aggressivität! ist nicht denkbar. Nur zur Aggression neigende Menschen sind bereit, ihnen als Feinde erscheinende Mitmenschen zu töten. Offenbar können fast alle Menschen — wie die totalen Kriege der jüngsten Vergangenheit zeigten — zu aggressiven Handlungen mobilisiert werden. Die Aggressionsbereitschaft in der hochindustrialisierten Gesellschaft ist groß, wie Alexander Mitscherlich in seinen Untersuchungen festgestellt hat.

Im einzelnen hat Friedrich Hacker im 33. Bergedorfer Gespräch im Juli 1969 die aggressionsverstärkenden Faktoren unserer Gesellschaft aufgezählt: In der Erziehung wird der Verzicht auf Gewaltausübung durch Gewalt erzwungen. Das verhärtete Vorurteil von der notwendigen Gewalt verhärtet den Status quo der Machtverteilung auf der Erde und in der einzelnen Gesellschaft und schafft damit die Voraussetzungen neuer Gewaltanwendung. Gewalt, die als Verbrechen verboten ist, wird als Strafe angewendet. In nationalen Feiern werden Gewalttaten verherrlicht. In Feindbilder wird Gewalt projiziert. Der Fetischismus der Faktizität führt-zur Gewalt-Eskalation. Massenmedien stimulieren und reflektieren in Krimis und Western Gewalt; die empfohlenen gesellschaftlichen Gewaltsublimationen — etwa im Sport — sind häufig nur stellvertretender Ausdruck latenter Gewalt und stärken das Aggressionspotential Der Fußballkrieg in Südamerika zwischen Hondu-ras und El Salvador, der im Juli 1969 nach einem Fußballspiel ausbrach und bisher 2500 Tote forderte, bestätigt Hackers letztgenannte These.

Alexander Mitscherlich analysiert die sozialpsychologischen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Organisation der modernen Industriegesellschaft und der zu Kriegszwecken mobilisierten Aggressivität: „Da ist die Frustration der aggressiven Bedürfnisse auf fast allen Schauplätzen der modernen Industriegesellschaft; da ist die in ihrem Aktionsraum eng abgezirkelte, Aggression wie in einem Brennspiegel sammelnde . isolierte Kernfamilie’, und da sind die Frustrationen, die aus der Unmöglichkeit zur aktiven Beteiligung in den mechanisierten und rigiden Arbeits-und Organisationsstrukturen des Großbetriebes resultieren. Diese Häufung entmutigender Erfahrungen stimuliert die Regression zu infantilen Allmachtsphantasien. Das Individuum wird nun erst recht schutzlos und sieht sich vielleicht, ohne es zu überblicken, in kollektive aggressive Prozesse verwickelt, die seinen individuellen Todestrieb provozieren, denen gegenüber es aber ausgeliefert bleibt, weil eben diese verlockenden aggressiven Parolen die Sprache infantilen Omnipotenz der sprechen und hinter sich das Risiko verstecken." Das so disponierte Individuum kann durch eine entsprechende staatliche'Führung leicht zu kriegerischem Verhalten provoziert werden.

Im zwischengesellschaftlichen Verkehr führt eine Verstärkung von gegenseitigen Verdächtigungen und Fehleinschätzungen zur Verschärfung der internationalen Spannungen und zur wachsenden Kriegsbereitschaft der Bürger. Nicht nur die unaufgeklärten Massen sind diesem Mechanismus unterworfen, sondern auch die herrschenden Eliten Die Friedensforschung hat sich in den letzten Jahren der Fragen nach diesen sozialpsychologischen Tatsachen immer mehr angenommen. Die Einstellung und Einstellungsänderung der Bevölkerung zu internationalen Angelegenheiten, Vorurteile und Einschätzung anderer Staaten und ihrer Angehörigen 52a), Identifikation mit dem eigenen Staat, Übernahme von Wertvorstellungen der Eliten durch die Bürger wurden untersucht. Für die Aggressivität gegenüber Angehörigen eines „Feindstaates" ist die Übernahme der Anschauungen, die jeweils von der herrschenden Schicht propagiert werden von besonderer Bedeutung.

Die Aufzählung der aggressionsverstärkenden Einflüsse innerhalb und zwischen Gesellschaften ließe sich leicht fortsetzen. Es soll nur noch auf Leistungsdruck und Wettbewerbszwang, Stärkung staatlicher Institutionen als Folge von Liberalisierungsforderungen mangelnde Gesprächsbereitschaft des sogenannten „Establishments" mit der kritischen Jugend, Abqualifizierung unkonventionell auftretender Minderheiten als weltweite Erscheinungen hingewiesen werden. Auch die Anheizung von Aggressionen gegen gesellschaftliche Gruppen durch die Massenpresse, die wegen der latent vorhandenen Aggressionen unter den potentiellen Lesern gute Geschäfte macht, gehört in diesen Zusammenhang.

Psychologische Kriegsfaktoren, zu denen unter dem Sammelbegriff „Aggressivität" auch Feindseligkeit, Rivalität, Voreingenommenheit und Vorurteil, Haß, Sadismus, Übertragung eigener Unzulänglichkeiten auf den Feind gehören, außerdem Frustrationserscheinungen in der hochtechnisierten Überfluß-und Ordnungsgesellschaft, könnten um eine Liste von Haltungen und Einstellungen erweitert werden, die in anderen Situationen positiv bewertet werden: Opfersinn, Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn und Missionierungswille Alle psychologischen Kriegsfaktoren sind von Bedeutung für Kriegsausbruch und Kriegsgeschehen. Sie dürfen aber nicht leichtfertig als Kriegsursachen angesehen werden. Psychologische Erscheinungen begleiten andere Kriegs-ursachen und Kriegsmotive, verstärken sie, werden durch sie verstärkt und tragen zur Kriegsbereitschaft bei. Ohne die von der Psychologie entdeckten Faktoren wären Kriege als „Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel" unmöglich, doch darf die Friedenspädagogik nicht einseitig bei den psychologischen Ursachen der Kriege ansetzen, und die Gesellschaftstheorie darf nicht allein in der Umorganisation der modernen Gesellschaft die Möglichkeit zur Kriegsverhinderung sehen. b) Krieg und Gesellschaft Eine erste umfassende Theorie der Zusammenhänge von gesamtgesellschaftlichen Bedingungen und Krieg verdanken wir dem Marxismus: Bis zur Errichtung der kommunistischen Gesellschaft, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen abgeschafft sein wird, werden Kriege die Klassenkämpfe begleiten. Karl Marx und Friedrich Engels beschrieben den erhofften Kommunismus als die friedlichste politische Organisation, die unter Menschen möglich sei. Jede sichtbare Staatsgewalt fehlt; es gibt keine herrschenden Klassen, die die Beherrschten in den Krieg schicken, keine Nationalstaaten, die angegriffen oder verteidigt werden müßten. Nach Meinung von Marx wird der Krieg schon vor Verwirklichung der kommunistischen Weltgesellschaft seine Bedeutung verlieren; denn unter dem Kapitalismus als der Vorstufe des Kommunismus herrsche Freihandel innerhalb einer allgemeinen bürgerlichen Kultur, die sich über die ganze Erde ausbreitet. Die Unterschiede unter den Staaten schwinden, ihre Verflechtung wird enger. Kriege zwischen den hochentwickelten Nationalstaaten werden seltener. Da aber das kapitalistische Wirtschaftssystem mehr Güter erzeugt, als verbraucht werden können, treten Krisen auf. Die Lösung des Problems des Güterüberschusses sieht der profitgierige Kapitalismus in der Eroberung neuer Märkte durch Kriege. Lenin erklärte im Jahre 1919, daß die fortdauernde Profitgier der hochentwickelten kapitalistischen Staaten nur durch die Unterwerfung anderer Länder zu befriedigen sei. Er sagte — im Gegensatz zu Marx und Engels — voraus, daß bei fortschreitendem Kapitalismus die imperialistischen Kriege auf der Erde zunehmen würden 55a). Im gegenwärtigen Marxismus sind diese Thesen im Zusammenhang mit den imperialistischen Aktionen der kapitalistischen Staaten gegenüber den Ländern der Dritten Welt durchaus noch aktuell. Wegen ihrer globalen Aussagen sind sie jedoch für die Friedensforschung von nur geringem Wert, es sei denn im Zusammenhang mit der Ideologie-Forschung

Große theoretische Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und Krieg gibt es in der westliehen Literatur nicht. Westliche Analysen gehen streng empirisch vor. Erst nach Auswertung von Erfahrungstatsachen erfolgen vorsichtige Ansätze einer Theoriebildung. Michael Haas hat Einzeluntersuchungen über die innere Stabilität von Staaten, über politische Systeme, Wirtschaftsentwicklung, Wirtschaftsdruck, innerkulturelle Spannungen, soziale Konflikte, Tätlichkeiten und Wirklichkeitsflucht (Selbstmord und Alkoholismus) zusammengetragen und sie in Beziehung zu den kriegerischen Verwicklungen gesetzt, in die die untersuchten Staaten gerieten Die wissenschaftliche Methode ist die der Statistik, die Korrelationen durch mathematische Verknüpfung ermittelt. Seine Schlußfolgerungen müssen mit äußerster Vorsicht ausgenommen werden; denn bei der schmalen Basis seines Materials sind Verallgemeinerungen unzulässig.

Haas fand heraus, daß Demokratien zum Frieden neigen, wirtschaftlich schwächere Länder weniger konfliktanfällig sind als reiche Länder. Wirtschaftlicher Druck steht in Beziehung zu internationalen Konflikten, allerdings nur bei städtischen Kulturen. In Agrarkulturen erzeugt Druck Tätlichkeiten im Inneren, ohne sich auf äußere Konflikte auszuwirken. Bei Druck auf politisch mobilisierte Bevölkerungsschichten werden innere soziale Konflikte erzeugt, die sich nach außen nicht auswirken. Michael Haas fordert gründliche Untersuchungen der sozialen Lage der Führungsgruppen und des Einflusses gesamtgesellschaftlicher Phänomene auf ihr Verhalten, um zu aktuelleren Aussagen über die Kriegsanfälligkeit von Staaten zu gelangen. Das Ergebnis seiner Untersuchung, mit der gebotenen Vorsicht ausgenommen, überrascht nicht: „Ein internationales System, das nur aus Demokratien besteht, zeigt sicher größeren Willen zum Frieden als ein System von Autokratien oder armen isolationistischen Staaten mit geringem Konsensus im Lande selbst. Länder auf dem Wege zur Verstädterung stiften Unruhe, insbesondere wenn ihre Entwicklung so schnell vor sich geht, daß die ungesetzlichen Reaktionen darauf — Wirklichkeitsflucht oder Selbstzerstörung —• zunehmen."

Nicht nur die Untersuchung der Eliten, die Haas gefordert hat, könnte zu neuen Erkenntnissen des Zusammenhangs von Gesellschaft und Krieg führen, sondern auch die Erforschung einzelner gesellschaftlicher Gruppen. Als Beispiel soll auf eine Untersuchung des kanadischen Friedensforschungsinstituts aus dem Jahre 1963 hingewiesen werden, in dem die Ansichten der kanadischen Bevölkerung zu Kernwaffen, Vereinten Nationen, Kommunismus, Abrüstung erfragt wurden. Bildungsstand, Intelligenz, Verantwortungsgefühl, Einstellung zum Wohlfahrtsstaat und religiöse Überzeugung wurden in Relation zur Meinung über Krieg und Frieden in der gesamten differenzierten Fragestellung gebracht. Das Ergebnis, stark vereinfacht, ist erstaunlich: Christen sind kriegsbereiter als Nichtchristen. Je dogmatischer die Christen sind, desto größer ist ihre Kriegsbereitschaft. Katholiken wünschen Kernwaffen mehr als Protestanten, Protestanten mehr als Glaubenslose. Von allen untersuchten Gruppen zeigten die Kirchgänger eine stärkere Tendenz, an die militärische Macht als Mittel der Konfliktlösung als an Verhandlungen und Kompromisse zu glauben Eine vorläufige Deutung der kanadischen Untersuchungsergebnisse aus soziologischer Sicht: Die Mitglieder ideologisch gefestigter Gruppen sind über ihre Gruppe hinaus nach außen aggressiver und intoleranter in ihrer allgemeinen Einstellung als ungebundene Menschen. Die kanadischen Ergebnisse bestätigen die Theorie Johan Galtungs, daß die Voraussetzung friedlichen Zusammenlebens der Abbau von scharfen Gegensätzen einzelner gesellschaftlicher Organisationen sei

Die Untersuchungen über die Zusammenhänge inner-und zwischengesellschaftlicher Erscheinungen und Kriegsanfälligkeit stehen erst am Anfang. Umfangreiche Datensammlungen stehen zur Verfügung: die Statistiken der Regierungen. Sie müssen — ergänzt durch demoskopische Untersuchungen und differenziertere Fragestellungen — mit Hilfe von Computern sinnvoll ausgewertet werden. Die kontinuierliche Beobachtung von gesellschaftlichen Trends einzelner ausgewählter Staaten und ihres wechselnden Verhältnisses zueinander wäre wünschenswert. c) Ideologie und Krieg Ideologische Unterschiede und Gegensätze, wie sie in radikaler Form zwischen den politischen Eliten in Ost und West bestehen, in gradueller Form, dabei nicht weniger hart vorgetragen, zwischen den Moskau-Kommunisten und den China-Kommunisten, in jüngster Zeit auch zwischen den Moskau-Kommunisten und den Reform-Kommunisten in einzelnen Ostblockstaaten, werden als mögliche Kriegsursachen immer wieder angeführt, jedoch nicht eingehend genug untersucht. Das ist erstaunlich, denn der gegenwärtige Stand des hoch-gerüsteten Abschreckungs-Systems beruht letztlich auf unüberbrückbaren ideologischen Gegensätzen, auf den ideologisch begründeten Expansionsansprüchen des Kapitalismus und des Kommunismus. Christian Graf von Krokkow hat darauf aufmerksam gemacht, daß die beiden großen Ideologien sich nicht gegeneinander abschirmen können, sondern einen expansiven, prinzipiell universalen Ausgleichsanspruch gegeneinander erheben müssen. Der Kapitalismus kann keine Begrenzung anerkennen, da er sich nach dem Gesetz des Wettbewerbs immer weiter ausdehnen muß. Zugleich hat der Kapitalismus ein starkes politisches Sicherheitsbedürfnis, das nur durch die universale Ausdehnung oder zumindest durch das Vorherrschen seiner gesellschaftlichen Organisationsform befriedigt werden kann

Zwar meint Otto Heinrich von der Gablentz, daß der Westen keine Ideologie habe und auch keine Ideologie haben dürfte doch zeigt gerade die vom Kalten Krieg bestimmte zwanzigjährige Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß es zu vielen ideologischen Verhärtungen kam, als aus bloßen Strukturen einer Gesellschaft absolute Werte mit verbindlichem Bekenntniszwang gemacht wurden, etwa „Freiheit", „Demokratie", „Privateigentum", „Antitotalitarismus". Es gibt eine ausgeprägte westliche Ideologie als Gegenposition zur östlichen Ideologie, trotz der Warnungen kritischer Politologen wie von der Gablentz.

Selbst John F. Kennedy war erfüllt von dem amerikanischen Missionierungsgedanken, der ganzen Welt die Freiheit amerikanischer Prägung bringen zu müssen Erst in den letzten Jahren scheint sich eine Wende in der amerikanischen Einstellung zur Welt anzubahnen. Während Präsident Nixon in seinen Wahlreden noch auf den in der Öffentlichkeit der USA latent vorhandenen Amerika-Optimismus Rücksicht nehmen mußte, erklärte sein außenpolitischer Berater Henry A. Kissinger: „Wenn die Vereinigten Staaten weiterhin Treuhänder sämtlicher nicht kommunistischer Gebiete bleiben, werden sie ihre seelischen Kraftquellen bald erschöpfen ... So schmerzhaft es auch sein mag, den Vereinigten Staaten könnte ein Gegengewicht nur gut tun, das ihr Ungestüm bändigt und ihre Neigung zu abstrakten, endgültigen Lösungen'zügelt." Als mögliches Gegengewicht sieht Kissinger die europäische Einheit. Einen weiteren Schritt der ideologischen Abrüstung der USA machte Präsident Nixon in seiner ersten „Botschaft zur Lage der Nation" vor beiden Häusern des Kongresses am 22. Januar 1970, als er erklärte, daß die USA zwar ihre Bündnisverpflichtungen erfüllen würden, aber ihre Beteiligung an den Angelegenheiten anderer Nationen wesentlich verringern würden

Der Absolutheitsanspruch des Kommunismus ist mit der Lehre von der Weltrevolution verkündet worden. Friedrich Engels erklärte 1847 in den „Grundsätzen des Kommunismus", daß die kommunistische Revolution in allen zivilisierten Ländern gleichzeitig vor sich gehen und auf die übrigen Länder in der Welt eine bedeutende Rückwirkung ausüben werde:

„Sie ist eine universelle Revolution und wird daher auch ein universelles Terrain haben." In der Ideologie, die einzige wissenschaftliche Lehre von der gesellschaftlichen Organisation zu sein, in der Abwertung aller anderen Gesellschaftsformen, im ständigen Hinweis auf die Notwendigkeit der Befreiung aller unterdrückten Völker, wird der universale Anspruch des Kommunismus deutlich. In der tatsächlichen Außenpolitik dagegen zeigt die UdSSR als mächtigster kommunistischer Staat eine, wiederum ideologisch abgesicherte, differenziertere Haltung: die sogenannte „Koexistenz", die Nikita Chruschtschow in seinem „Rechenschaftsbericht an die Partei und das Volk"

auf dem 22. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion am 17. Oktober 1961 in Moskau ausführlich rechtfertigte Chruschtschow erklärte: „Frieden und friedliche Koexistenz sind nicht ganz ein und dasselbe. Friedliche Koexistenz bedeutet nicht einfach, daß kein Krieg ist, nicht einen vorübergehenden Waffenstillstand zwischen Kriegen; sie bedeutet die Koexistenz zweier entgegengesetzter sozialer Systeme, fußend auf dem beider-seifigen Verzicht auf einen Krieg als Mittel zur Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten."

Von drei verschiedenen ideologischen Positionen wurde die These von der friedlichen Koexistenz heftig kritisiert. Der ideologische Konkurrent tat die Verkündung der „friedlichen Koexistenz" als reine Propaganda ab. Paul Henri Spaak, damals NATO-Generalsekretär, schrieb: „Die .friedliche Koexistenz“, so wie Moskau sie versteht, hat die Atlantischen Verbündeten vor eine gebieterische Forderung gestellt. Weil Moskau das Streitfeld zwischen Ost und West auf alle Gebiete ausdehnt, zwingt es die NATO, ihre Zusammenarbeit entsprechend zu vergrößern. Der globalen Herausforderung der sowjetischen Welt muß die Allianz eine globale Antwort entgegensetzen .. . Die Propagandaformel der Sowjets von der friedlichen Koexistenz“ erfordert eine Intensivierung der Zusammenarbeit innerhalb der NATO, machte diese aber auch schwieriger." Spaak glaubte, wie viele West-Ideologen, die sowjetischen Führer hätten die Formel von der .friedlichen Koexistenz“ nur erfunden, um ihre Gegner in ihrer Kampfbereitschaft zu schwächen. Der ideologische Gegensatz, der offenbar lernpatholcgisches Verhalten bewirkt, ließ eine andere Deutung, etwa die Notwendigkeit der Hebung des Lebensstandards in der UdSSR und die Einsicht in die selbstzerstörische Kraft moderner Kriege auch in der Sowjetunion, nicht zu.

Die chinesischen Genossen reagierten ebenfalls kritisch auf die Koexistenz-Formel. Als Antwort auf die These von der Vermeidbar-keit von Kriegen, die Chruschtschow aufgestellt hatte, erklärte LuTing-yi in seiner Lenin-Gedenkrede am 22. April 1960: „Die modernen Revisionisten sind infolge der imperialistischen Politik der Erpressung mit Atomkrieg von Panik ergriffen. Aus Angst vor dem Krieg entsteht bei ihnen Angst vor der Revolution, aus fehlender Bereitschaft zur eigenen Revolution der Widerstand dagegen, daß andere Völker Revolutionen ausführen." In Peking wurde die Lehre verbreitet, daß es vor Kriegen grundsätzlich keine Furcht gäbe, auch nicht vor dem Atomkrieg, wenn es darum ginge, die Weltrevolution zu verwirklichen

Die Kritik aus der dritten Position gegenüber der Koexistenz-Formel ist die der enttäuschten Kommunisten, die ähnlich wie, wenn auch differenzierter, als die Chinesen argumentieren. So schreibt Ursula Schmiederer in ihrer sehr gründlichen Untersuchung der sowjetischen Theorie der friedlichen Koexistenz: „Die Notwendigkeit, den Krieg zu vermeiden, wird nicht motiviert mit einer neuen Struktur der Klassenkonflikte, sondern mit der militärisch-technischen Entwicklung von Wasserstoffbomben und Trägersystemen. Die Frage von Krieg und Frieden wird aus dem Zusammenhang des internationalen Klassenkampfes gelöst und unter der machtpolitischen Abschreckungsperspektive gesehen."

Kapitalismus und Kommunismus stehen einander nach wie vor als antagonistische Ideologien gegenüber. Ihr Gegensatz ist die Ursache der weltweiten Aufrüstung. Unter dem Bann der gegenseitigen Abschreckung wurde zwar bisher die bewaffnete Auseinandersetzung verhindert, doch wurden im „Kalten Krieg" neue Formen der Austragung von Konflikten eingesetzt: ultimative Drohungen, Wirtschaftsdruck, Blockaden und Boykotts, massive Einmischung in die Angelegenheiten von Ländern der Dritten Welt durch Verknüpfung von Wirtschaftshilfe und politischem Wohlverhalten, Versuche zur Sprengung der Allianzen durch Herausbrechen einzelner Mitglieder, Militärhilfe, militärische Beratung bis zur Unterstützung begrenzter Kriege.

Alastair Buchan sieht im überhandnehmen des Nationalismus überall in der Welt (afrikanischer, asiatischer, karibischer, arabischer Nationalismus) wachsende Kriegsgefahren für die siebziger Jahre. Nicht nur die Ideologien des Marxismus und des Maoismus, sondern auch die des Rassismus (Schwarz gegen Weiß, Süd gegen Nord) werden seiner Meinung nach das Konfliktpotential auf der Erde anwachsen lassen 72a).

Die Ideologieforschung, die nur in Ansätzen entwickelt ist, sollte die Zusammenhänge von Ideologie und Konflikten, von Ideologie und Kriegsbereitschaft, von Ideologie und sozialen, weltpolitischen und sozialpsychologischen Tatbeständen untersuchen, die Veränderung der Ideologien unter dem Einfluß von Wissenschaft und Technik und im Banne der weltweiten Abschreckung erforschen. Die Frage, ob nicht Ideologien häufig nur zur Tarnung und Rationalisierung machtpolitischer Interessen benutzt oder sogar erzeugt werden, bedarf dringend eingehender Analysen. Auch sollte die im Westen immer wieder geäußerte Vermutung eines notwendigen ideologischen Ausgleichs als Folge der technisch-ökonomischen Revolution, die sogenannte Konvergenz-Theorie, eingehend untersucht werden. Die mögliche Konvergenz wird im Machtbereich der UdSSR genauso nachdrücklich bestritten wie im Fernen Osten. d) Krieg und Konkurrenz Das Streben eines Staates nach mehr Macht wird im allgemeinen als normal angesehen.

„Internationale Politik ist, wie alle Politik, ein Kampf um die Macht", schreibt Hans J.

Morgenthau: „Wo immer die letzten Ziele der internationalen Politik liegen mögen, das unmittelbare Ziel ist stets die Macht." 73a) Während die Macht eines Staates früher Ansehen und Einfluß des Herrschers vermehrte und sich kaum auf die Lebensbedingungen der einzelnen Bürger auswirkte, bedeutet Macht heute als militärische Macht und als wirtschaftliche Macht direkte und indirekte Auswirkung auf das Leben jedes Staatsbürgers. Die militärische Macht schreckt den vermeintlichen Gegner ab. Die wirtschaftliche Macht gibt Vorsprung im internationalen Wettbewerb und ist die Voraussetzung eines hohen Lebensstandards. Militärische und wirtschaftliche Macht hängen zusammen; denn nur bei ausreichendem Wirtschaftspotential ist eine Rüstung möglich. Die Rüstung belastet die wirtschaftliche Macht und verringert den Lebensstandard. Die Ausweitung der Macht eines Staates auf wirtschaftlichem und auf militärischem Gebiet wird als Teilnahme am weltweiten Wettlauf gesehen, das soll bedeuten: was der eine Staat an relativer Macht hinzugewinnt, verliert der andere Staat. Der Wettlauf um die Macht ist das ständige Streben nach Veränderung der „Machtrangliste" auf der Erde. So entsteht die scheinbar unabänderliche Konkurrenz-Situation, verstärkt durch die ideologischen Gegensätze zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die im Machtzuwachs eine Bestätigung ihrer gesellschaftlichen Organisationsform sehen.

Raymond Aron gibt zu bedenken, daß die Beziehungen zwischen rivalisierenden Staaten „in normalen Zeiten" nicht einfach Ausdruck des Kräfteverhältnisses sind: „Solange man . spricht'anstatt sich zu . schlagen', sind die Gründe der Tat und des Rechts nicht ohne Einfluß auf den Unterhändler. Die Diplomatie als Ersatz des Krieges beschränkt sich nicht darauf, jeden Augenblick das beabsichtigte Ergebnis des Krieges gutzuheißen. 73b) Nach dem Gesetz des Terrorfriedens, unter dem die heutige Weltpolitik steht, spielen die Kräfteverhältnisse auf der Erde meiner Meinung nach eine Rolle, deren Gewicht die Möglichkeiten einer Diplomatie als unerheblich erscheinen läßt. Leistungsstreben unter internationalem Konkurrenzdruck und Rüstung unter dem Zwang des „Gleichgewichts des Schreckens" lassen der Diplomatie nur sehr geringen Spielraum. Auch Erfolge diplomatischer Initiativen, wie sie sich in der Ostpolitik der Regierung Brandt-Scheel abzuzeichnen beginnen, müssen im Zusammenhang der allgemeinen Macht-und Konkurrenzsituation gesehen werden, und zwar als Aktionen aus den noch immer bestehenden Machtblöcken Ost und West heraus. Eine Änderung der Machtsituation steht gar nicht zur Debatte.

Wirtschaftliche Macht beruht auf einer hoch-entwickelten Industrie, einer gut ausgebauten Infrastruktur, Verfügungsgewalt über Energie-und Rohstoffquellen. Militärische Macht besteht aus der Verfügbarkeit über Kriegs-material und Menschen, für einige Staaten (bisher: USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und VR China) auch im Besitz von Nuklearwaffen und den dazugehörenden Trägerwaffen. Die internationale Konkurrenz war bisher die Hauptursache für Konflikte, die als Kriege ausgetragen wurden. Werner Levi stellt fest, daß das Streben nach Macht mit den daraus resultierenden Konflikten ein Kennzeichen des Nationalstaatensystems der modernen Welt sei. Er hält die Annahme für irrig, daß nur deshalb zwischen verschiedenen Staaten gewaltsam ausgetragene Konflikte auftreten, weil ihre Bürger aggressiv, militaristisch oder nationalistisch eingestellt seien.

Das Gegenteil ist seiner Meinung nach der Fall, nämlich die Ausbildung der genannten kriegsfördernden Haltungen und Einstellungen als Reaktion auf die Konkurrenz-Situation der Staaten: „Bürger nehmen diese Merkmale an oder werden auf die Kriegsführung vorbereitet, da reale Konflikte zwischen Staaten bestehen, die mit Gewalt gelöst werden könnten."

Läßt man die zwar einleuchtende, aber einseitige These bestehen, daß alle Konflikte zwisehen Staaten Machtkämpfe in einer Konkurrenz-Situation seien, so wäre eine Vorhersage möglicher Konflikt-Lagen nicht schwer. Wilhelm Fucks hat mit seiner Untersuchung der Macht-Konstellationen auf der Erde nach einer von ihm entwickelten mathematischen Formel, die die Macht ausdrücken soll, „Gefahrenpunkte" in der weiteren Entwicklung der Industriestaaten ermittelt. 1965 sagte er voraus, daß sich im Jahre 1970 die Macht-Kurve der Sowjetunion und der Volksrepublik China schneiden würden. Für 1974 sah er ein Gleichziehen der VR China mit den USA voraus Nach den Berechnungen der weiteren Macht-entwicklung der Erde ergibt sich nach Meinung von Fucks die Notwendigkeit von Bündnissen. An den Berechnungen von Fucks ist von vielen Seiten Kritik geübt worden. Seine Über-schätzung der VR China, seine höchst zweifelhafte Macht-Formel, die sich aus Stahlproduktion, Energieproduktion und Bevölkerungszahl zusammensetzt, die Mißachtung ideologischer Faktoren, die allerdings kaum quantifizierbar sein dürften, vermindern den Wert der Untersuchung, die aber erste Ansätze einer rationalen Erforschung der Macht-Konstellationen auf der Erde bietet.

Unter dem Eindruck der weltpolitisch lähmenden Bedrohung durch Nuklear-und konventionelle Waffen mußten weitaus kompliziertere Berechnungen angestellt werden, um Konflikte vorhersagen zu können. Bescheidener im Gebrauch des Wortes „Macht" und zugleich umfassender in der Betrachtung der wirtschaftlichen Zukunftsentwicklung mit ihren Konflikt-möglichkeiten bei wachsender Konkurrenz sind Herman Kahn und Anthony Wiener. Aus ihren Untersuchungen des zu erwartenden künftigen Pro-Kopf-Einkommens in den einzelnen Staaten und Regionen der Erde ergibt sich die Einsicht, daß es in Zukunft zu einer weiteren Verschärfung der Konkurrenz-Situationen auf der Erde kommen wird. Global ausgedrückt, sagen Kahn und Wiener eine Vergrößerung der Lücke zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern voraus:

Pro-Kopf-Brutto-Nationalprodukt in US-Dollar 1965 2000 Unterentwickelte Welt 135 325 Entwickelte Welt 1675 5775 Durchschnitt Gesamtwelt 631 1696 Die Konkurrenz-Situation zwischen Nord und Süd dürfte in zunehmendem Maße die ideologische Konkurrenz zwischen West und Ost an Intensität übertreffen. Sie wird wahrscheinlich zu einem neuen ideologischen Gegensatz führen, der mit wachsendem Selbstbewußtsein der Entwicklungsländer schärfer werden könnte. Nationale Bewegungen in den Entwicklungsländern, die zunächst noch wie eine Kopie der nationalen Ideologiebildungen der höher entwickelten Länder im 19. Jahrhundert aussehen, sind erste Anzeichen, ebenso regionale Zusammenschlüsse und Konferenzen und der wachsende Block der Dritten Welt in der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Rainer Waterkamp sieht in dieser Entwicklung die Chance, die Polarisierung der Welt in die bisherigen beiden Machtblöcke West und Ost zu erschweren Er übersieht die Gefahr einer neuen Polarisierung von Nord und Süd. Sollte die Entwicklung in der von Kahn und Wiener und anderen Forschern vorhergesagten Weise weitergehen, zeichnen sich gewaltige Konfliktvoraussetzungen zwischen den reichen Ländern des Nordens und den armen — im Verhältnis zu den reichen Ländern immer ärmer werdenden — Ländern der Südhalbkugel ab.

Im Sinne einer Stabilität durch Abschreckung, die nur bei gleicher Kräfteverteilung funktioniert, ist dabei die Verteilung der Nuklearwaffen ein weiterer Faktor der Instabilität. Die Nuklearwaffen befinden sich — bis auf die Ausnahme der Volksrepublik China — ausschließlich im Besitz der hochentwickelten Länder der Nordhalbkugel. Nach dem Gesetz der Abschreckung wäre ein Atomschlag in einer möglichen Nord-Süd-Auseinandersetzung nicht vom vernichtenden „second strike" (Gegen-schlag) gefolgt, der durch seine bloße Möglichkeit den „first strike" verhindert. Wir müssen annehmen, daß wegen der unübersteigbaren moralischen Barriere der hochentwickelten Industrienationen die Anwendung der Nuklearwaffen in einem Nord-Süd-Konflikt unmöglich wäre. Nach den Regeln des Abschreckungsfriedens, die innerhalb des Staatensystems der Nordhalbkugel entwickelt wurden, ist jedoch der einseitige Besitz von Massenvernichtungswaffen eine Gefahr für den Frieden. Unter diesem Aspekt wird die Reaktion der Volksrepublik China gegenüber dem Atomsperrvertrag und schon gegenüber dem Teststopp-Abkommen von 1963 verständlicher. In einem offiziellen chinesischen Kommentar zum Test-stopp-Abkommen vom 31. 7. 1963 heißt es: „Die Völker der Welt verlangen eine allgemeine Abrüstung und ein vollständiges Verbot von Nuklearwaffen; der Vertrag trennt die Einstellung der Nuklearversuche vollständig vom totalen Verbot der Nuklearwaffen und legalisiert die fortdauernde Herstellung, Lagerung und den Gebrauch von Nuklearwaffen durch die drei Nuklearmächte, was einer Abrüstung widerspricht. . . Die Völker der Welt verlangen die Verteidigung des Weltfriedens und die Beseitigung der Gefahr eines Nuklearkrieges; der Vertrag stärkt geradezu die Position der Nuklearmächte in bezug auf nukleare Erpressung und vermehrt die Gefahr, daß die Imperialisten einen Nuklearkrieg und einen Weltkrieg auslösen. . 2.

Friedensmöglichkeiten Neben der Analyse der Kriegsursachen ist die Suche nach Möglichkeiten der Sicherung und Herstellung des Friedens ein Zweig der Friedensforschung. Die Freilegung der Kriegs-ursachen führt zu Vorschlägen ihrer Beseitigung. Die Aggressivität, ganz gleich, ob angeboren oder erworben, führt ungebändigt zur gewaltsamen Aktion. Sozial-und Bildungsreformen können helfen, Aggressionsstauungen abzubauen, gewaltlos Austragungsformen für Konflikte innerhalb der Gesellschaften und zwischen den Gesellschaften zu entwickeln. Da Kriege nicht zwischen jeweils einzelnen Menschen geführt werden, sondern zwischen organisierten Gruppen, ist der individualpsychologische Ansatz nicht ausreichend, menschliche Kriegsursacben und Friedensmöglichkeiten zu erforschen.

Machtkämpfe, ideologische Gegensätze, vor allem zwischen den Vertretern der herrschenden Schichten, die besondere Situation der Meinungsführer, scheinen im Augenblick noch wirksamere Faktoren zu sein als die Einstellung des Individuums. Erst bei zunehmender Beteiligung des einzelnen Bürgers an der Politik wird sich der Abbau des allgemeinen Aggressionspotentials durch Sozial-und Bildungsformen auf eine Friedenspolitik auswirken. Der Kreis schließt sich: Beteiligung des Bürgers an der Politik wird erst verwirklicht werden können, wenn durch Sozial-und Bildungsreformen die Voraussetzungen geschaffen worden sind. Ein Weg zur Sicherung des Friedens führt also über die Aktivierung des Bürgers, innerhalb der demokratischen Institutionen — Parteien, Verbände, Parlamente, Bei-rate — mitzuarbeiten. Von diesem Weg muß im Zusammenhang mit „Friedenspädagogik" und „Friedenspolitik" die Rede sein. Die Friedensforschung, wie sie bisher betrieben wurde, beschränkt sich fast ausschließlich auf die Kurierung der Symptome des potentiellen Krieges.

Die Friedensmöglichkeiten hängen ab von den ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, gespiegelt in den politischen Überzeugungen der Mächtigen. Die Möglichkeiten der Friedenssicherung sind ausschließlich Übereinkünfte und Überlegungen der Mächtigen und Eingeweihten. Sie reichen vom Abschreckungsfrieden, wie wir ihn gegenwärtig erleben, mit strategischen Rechnungen und simulierten Kriegen in Sandkasten und Computer, über Abrüstungsverhandlungen bis zu völkerrechtlichen Verträgen, regionalen Allianzen und dem Vorschlag einer Weltregierung als Garant des Weltfriedens. a) Frieden durch Abschreckung Die Gewalt ist die Grundlage zwischenstaatlicher Beziehungen. Max Weber prägte das heute in der Bundesrepublik wieder gebräuchliche Wort, daß der Staat das Monopol legitimer Gewaltanwendung besitze. Dieses Monopol auf Gewaltanwendung ist auch durch Gewaltaktionen von Guerillas nicht in Frage gestellt; denn im Falle ihres Sieges über die legitimen Vertreter der staatlichen Gewalt wird aus der illegitimen Gewalt legitime Gewalt Das Gewaltmonopol wirkt nach innen befriedend, nach außen, in der Konkurrenz ebenfalls Gewalt ausübender oder androhender Staaten, zunächst als Voraussetzung von Kriegen. Die Charta der Vereinten Nationen sieht zwar einen Verzicht auf Gewaltanwendung zwischen den Staaten der Erde vor, doch sind nicht alle Staaten Mitglieder der UN und die Sanktionen, die der Sicherheitsrat beschließen könnte, sind durch das Veto einer der fünf ständigen Ratsmitglieder UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich und Nationalchina unwahrscheinlich. Tatsächlich zustande gekommene Befriediqungsaktionen der Vereinten Nationen hatten nur in Ausnahmefällen die gewünschte Wirkung Da die höhere Instanz fehlt und das Gewaltmonopol bei den jeweils einzelnen Staaten oder Staatenverbindungen lieqt, kann der Friede nur durch einen allgemeinen Gewaltausgleich aufrechterhalten werden. Gleich schwache oder gleich starke Gegner werden von einem Krieg absehen, von dem sich keiner der Kontrahenten einen Sieg versprechen kann. Das Gleichgewicht des Schreckens, das sich im Zusammenleben der hochentwickelten Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, eingependelt hat, ist die eine Möglichkeit eines Gewaltausgleichs. Die andere ist ein Gleichgewicht des waffenlosen Vertrauens — bisher eine bloße Utopie.

Unter der Drohung der Nuklearwaffen, deren Zahl und Intensität ausreichen würde, die Erde mehrfach zu zerstören, ist die überlieferte Anarchie des Ungleichgewichts eingeschränkt worden. Herbert von Borch nennt den gegenwärtigen Zustand einen „Frieden trotz Krieg". Unterhalb der Anwendung nuklearer Waffen dauert die Gewaltausübung an, vermehrt sich sogar noch; aber größere Formen des Krieges mit Massenvernichtungswaffen und weiterer territorialer Ausbreitung sind unmöglich geworden. „Das System der Angst, auf dem die Abschreckung beruht, arbeitet nicht schlecht, obwohl man sich nicht für immer darauf verlassen kann", meint von Borch

Als bisher wirksamstes Mittel der Friedenssicherung hat die Aufrüstung auf der Erde einen größeren Krieg verhindert. Die Weltpolitik der letzten Jahrzehnte scheint die Frieden-durch-Kriegsandrohungs-These zu stützen, denn die Hochrüstung der Erde hat nukleare Kriege verhindert, die nach dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im Sommer 1945 technisch möglich gewesen wären. Konventionelle Kriege wurden unter dem Eindruck der nuklearen Bedrohung zur Deeskalation und zum Waffenstillstand geführt, wie der Korea-Krieg zeigt und die weitere Entwicklung des Vietnam-Krieges erweisen dürfte Guerilla-Kriege im Inneren von Staaten werden durch die weltweite Gewaltlähmung begünstigt; denn das Eingreifen der Großmächte bedeutete eine gefährliche Störung des Gleichgewichts, das die Bedingung des Weltfriedens ausmacht. Die Guerilla-Tätigkeit der arabischen Untergrundkämpfer in Israel und in von den Israelis besetzten Gebieten, die Gegenschläge der Israelis auf arabischem Territorium sind nur unter dem Drohsystem der Großmächte lokal beschränkte Konflikte geblieben.

Das System der Abschreckung bringt aber Gefahren mit sich, die auf lange Sicht den Weltfrieden nicht sichern, sondern unmöglich machen müssen. Abschreckung bedeutet ständige Ausweitung und Modernisierung der Rüstung, Einbeziehung jedes Gebietes auf der Erde in das Drohsystem und — um die Drohung wirksam zu erhalten — ständige Propagierung von Feindbildern und Gefahr.

Der Rüstungswettlauf geht unabhängig von ideologischen Auseinandersetzungen oder Annäherungen nach eigenen Gesetzen weiter. Ideologische Gegensätze werden wahrscheinlich durch diese Gesetzmäßigkeiten verstärkt. Die Nuklear-Abschreckung als alleiniges Drohsystem, in dem jedem Gegner mit massiver Vergeltung gedroht wurde, erwies sich Ende der fünfziger Jahre als zu unsicher, denn nicht in jedem Falle schien die Androhung und Anwendung massiver Vergeltung mit der Gefahr der Selbstvernichtung die angemessene Antwort. Die Strategen der massiven Vergeltung sahen Schwierigkeiten für das Funktionieren des Drohsystems in dem Nachweis der Glaubwürdigkeit massiver Vergeltung So wurde der „begrenzte Krieg" (limited war, nach Liddell Hart) zu einer Möglichkeit gewaltsamer internationaler Konflikte. Ein kompliziertes und aufwendiges System stufenweiser Abschreckung, von Herman Kahn mit seiner 44-Stufen-Eskalation theoretisch unterstützt mußte in die Rüstungswirklichkeit umgesetzt werden.

Technologische Entwicklungen, vor allem auf dem Gebiet der Trägerwaffen und der Raketenabwehr, führten zu einer Steigerung der Rüstungsausgaben auf der Erde. Im Augenblick kann der jährliche Rüstungsaufwand auf mehr als 820 Milliarden DM geschätzt werden. 1968 gab die US-Rüstungskontrollbehörde schon 720 Milliarden DM an Die Sowjetunion gibt für Rüstung mehr Geld aus als alle anderen west-und osteuropäischen Staaten zusammen. Die Rüstungsausgaben der USA allein sind beinahe genauso hoch wie die aller anderen Staaten der Erde Eine weitere sprunghafte Zunahme der Rüstungsausgaben steht unmittelbar bevor, obwohl die Wehretats der UdSSR und der USA um einige Milliarden Dollar gekürzt worden sind. Die beiden Supermächte sind dabei, gigantische Raketenabwehreinrichtungen zu installieren. Fritz Vilmar sieht einen Grund der ständig fortschreitenden Rüstung im Druck der Großindustrie auf die Militärs in den USA und den anderen kapitalistischen Staaten und im Druck konservativer Militärkreise in der UdSSR auf die Politiker

Der vielfältige Zusammenhang von Militär, Wirtschaft, Politik, Großindustrie und Rüstung bedarf genauer Untersuchungen. Im Herbst 1965 fand in Oslo ein internationaler Kongreß über die ökonomischen Aspekte weltweiter Abrüstung und weltweiter Abhängigkeiten statt, veranstaltet vom „International Peace Research Institute, Oslo“ (PRIO). Auf diesem Kongreß wurden nicht nur die Möglichkeiten der Abrüstung behandelt, sondern auch die Zusammenhänge von Rüstung und Wirtschaft. In einer eingehenden Untersuchung über die Last der nationalen Verteidigung von Emile Benoit und Harold Lubell, die dem Kongreß vorgelegt wurde, wird nicht nur deutlich, welche ungeheuren Kosten die Rüstung für einzelne Länder verursacht, sondern auch, welche Bedeutung die Rüstungsindustrie innerhalb der Volkswirtschaften hat Durch die weitere Entwicklung technologischer Vernichtungseinrichtungen, die durch großzügige Förderung der Rüstungsforschung beschleunigt wird, ergibt sich zwangsläufig eine ständige Erneuerung der Waffenarsenale. Unmengen lohn-und materialintensiver, nutzlos gewordener Industrieprodukte werden — soweit man sie nicht zum Teil an Entwicklungsländer verkauft oder verschenkt — vernichtet. Nicht das Produkt, das ja nur einen zeitlich begrenzten Wert hat, erscheint wichtig, sondern der Entwicklungs-und Herstellungsprozeß. Der Einfluß der Rüstung auf die Gesamtwirtschaft und damit auf das Leben des einzelnen Menschen als Arbeitnehmer und Konsument ist erheblich. Die Kosten für die Rüstungsforschung und Rüstungstechnologie können nur auf das Konto Rüstung gebucht werden; denn die zivilen Nebenprodukte stehen in keinem angemessenen Verhältnis zum Gesamtaufwand.

In der Studie „Hindsight", die im Auftrage des US-Verteidigungsministeriums von der RAND-Corporation erstellt wurde, wird festgestellt, daß 95 Prozent der Erfindungen und Entwicklungen der Rüstungsforschung ausschließlich der Rüstung zugute kommen Ohne den Umweg über die gewaltigen Rüstungsaufwendungen, durch direkten Einsatz der Milliardenbeträge für zivile Forschungsziele, wäre mit Sicherheit ein höherer Stand ziviler Technologie erreicht worden. Unter der wechselseitigen Drohung ist der Druck der Militärs auf die Politik jedoch so gewichtig, daß die Bewilligung von Rüstungsausgaben kaum Schwierigkeiten macht, während zivilen Vorhaben gegenüber erst viele Vorbehalte abgebaut werden müssen. Senator Gaylord Nelson erklärte im US-Senat im Februar 1964: „Die Tradition schreibt vor, daß ein Gesetz zur Bewilligung von vielen Milliarden Dollar für die Kriegsmaschinerie innerhalb weniger Stunden im Abgeordnetenhaus und im Senat durchgepeitscht werden muß, während man einen Vertrag zur Erhaltung des Friedens oder ein Programm zur Unterstützung unterentwickelter Völker, eine Garantie gleicher Rechte für alle unsere Bürger oder soziale Fortschritte für die Armen wochenlang, manchmal monatelang debattiert, modifiziert und leeres Stroh drischt." John Kenneth Galbraith kennzeichnet die paradoxe Einstellung der Politiker unter dem Einfluß der Abschreckung mit einem hypothetischen Beispiel: „Es wäre für einen Präsidenten der Vereinigten Staaten weitaus schwieriger, die militärischen Ausgaben um zwanzig Prozent zu verringern, als sie um denselben Betrag zu erhöhen."

Nur in einer im Überfluß erstickenden Welt wäre die Produktion von Gütern für abstrakte Zwecke, wie es die Abschreckung, die den Einsatz der Waffen verhindern soll, ist, in wirtschaftlicher Hinsicht zu rechtfertigen. Wenn auch weiterhin Ausweitung der Produktion, technischer Fortschritt, Expansion der Gesamtwirtschaft die Ziele des Wirtschaftens sein sollten, könnte eines Tages die Herstellung nutzloser Gegenstände wie Waffen eine willkommene Beschäftigung sein. Voraussetzung ist allerdings, daß die Abschreckung wirksam bleibt, damit der Produzent weiterhin einen Sinn für sein Tun sieht. John Kenneth Galbraith und andere Theoretiker des westlichen Industriesystems sprechen jedoch von neuen Zielen der Gesellschaft, die sie nachindustriell nennen. Die wirtschaftliche Rechtfertigung der Waffenproduktion, die ja auch durch Produktion von Weltraumfahrzeugen und Weltraumstationen abgelöst werden könnte, entfiele. Die Abschreckung versperrt im Augenblick noch den Weg zu neuen gesellschaftlichen Zielen. Denn noch ist kein Ende des Rüstungswettlaufs abzusehen.

Die durch die weltweite Hochrüstung steigende Gefahr eines großen Vernichtungskrieges ist kein ausreichendes Argument gegen die Abschreckung. Denn es ist durchaus denkbar, daß bei steigender Rationalität auf der Erde ein lückenloses Abschreckungssystem den krieglosen Zustand befestigen könnte. Die Abschreckung hat aber wirtschaftliche, politische und soziale Folgen: Die Bindungen der Gesellschaft an immer leistungsfähigere und damit immer größere und notwendigerweise konzentrierte Rüstungsindustrien schaffen Abhängigkeiten der Arbeitnehmer und hemmen neue gesellschaftliche Zielsetzungen.

Wenn wir den Blick weiten und die Lage der Weltwirtschaft betrachten, müssen wir feststellen, daß die Weltgesellschaft sich keineswegs auf dem Wege in die nachindustrielle Überflußgesellschaft befindet, sondern daß — weltweit gesehen — Hunger und Elend zunehmen. Die Bevölkerungszahl in den Entwicklungsländern wächst schneller als das Bruttosozialprodukt. Unter diesem Aspekt erweisen sich die Rüstungsausgaben von über 820 Milliarden DM pro Jahr, die fast ausschließlich von den hochindustrialisierten Staaten aufgebracht werden, nur sehr vordergründig als Beitrag zur Sicherung des Friedens. Die Rüstungsausgaben unter der Abschreckungsdrohung der hochindustrialisierten Länder sind nur eine zeitlich begrenzte, regionale Friedenssicherung auf der Nordhalbkugel der Erde. Die Konfliktmöglichkeiten aber zwischen Nord und Süd, die durch großzügige Entwicklungshilfe eingeschränkt werden könnten, wachsen ständig. Die Ausgaben für Entwicklungshilfe betragen nicht einmal 10 Prozent der Rüstungskosten.

Die sozialpsychologischen Auswirkungen der Abschreckungspolitik hat Dieter Senghaas ausführlich erörtert. Er stellt fest, daß die Abschreckung zu einer Mobilisierung der Aggressivität führt, da die Rüstung notwendigerweise auf einen Gegner gerichtet sein muß. Senghaas meint: „Hier arbeiten Abschreckungspolitik, die ja Kriege verhindern soll, und die Krisen-und Kriegsaktivitäten der Großmächte rund um die Welt Hand in Hand. Während die Großmächte einerseits Stabilität, Koexistenz und Frieden anzustreben propagieren und Abschreckung als eine geeignete Grundlage und ein adäquates Mittel einer solchen Politik verstehen, stiften die gleichen Großmächte doch laufend zum Unfrieden an und verunsichern durch ihre offenen und subversiven Tätigkeiten die weltpolitische Szenerie." Die Abschreckung ist nach Meinung von Abschrekkungstheoretikern — auch in strategischer Hinsicht — nur ein vordergründiges und zeit-weilig wirkendes Mittel, den Frieden zu sichern. Jerome B Wiesner und Herbert F. York, die Zugang zu geheimem amerikanischem Material hatten, erklären, daß beide Partner des Rüstungswettlaufs mit dem Dilemma ständig wachsender militärischer Macht und ständig schwindender nationaler Sicherheit konfrontiert werden: „Es ist unser wohlerwogenes, auf unsere berufliche Erfahrung gestütztes Urteil, daß es für dieses Dilemma keine technologische Lösung gibt."

Diese Einsicht mag die bisher erfolglosen Abrüstungsbemühungen der Supermächte in ein neues Stadium eintreten lassen. Die „Strategie Arms Limitation Talks" (SALT), die Ende vergangenen Jahres vorbereitet wurden, sind eine Hoffnung für ein Übereinkommen zwischen der UdSSR und den USA Offenbar zählen aber nur Quantitäten bei internationalen Verhandlungen, denn für die offizielle Politik sind bis heute die Erkenntnisse über lernpathologische Wirkungen der Abschreckung in den hochgerüsteten Gesellschaften ohne Bedeutung. b) Kriegsspiele für den Frieden Die Abschreckungs-Situation, in der die Staaten der Welt im Augenblick stehen, ist selbst ein strategisches Spiel vor dem Hintergrund konkreter Gewalt. Die Überlegungen, die zum komplizierten Abschreckungs-System mit seinen abgestuften Möglichkeiten kriegerischer Konflikte führten, sind Kriegsspiele für den Frieden, simulierte Kriege mit allen Konseguenzen, durchgeführt von Forscher-Teams und Militärs, Politikern und Ideologen. Ein spektakuläres Ereignis wie der Kuba-Konflikt von 1962, der nur durch sorgfältig ausgewogene Alternativen beim Durchspielen aller möglichen Reaktionen der Gegner unterhalb der offenen Gewaltanwendung gehalten werden konnte ist nur ein Exempel, wie mit ständig verfeinerten Methoden eine Art „Ersatzkrieg" gespielt wird, um den wirklichen Krieg zu verhindern.

Die Spieltheorie, eine mathematische Disziplin, wurde auf internationale Konflikte und ihre Lösungsmöglichkeiten angesetzt Eine ganze Reihe von Konflikt-Modellen wurde erarbeitet, um Gesetzmäßigkeiten im internationalen Verhalten der Staaten herauszufinden und aktuelle Krisen mit Rezepten des „crisis management" zu lösen. Der anfängliche Optimismus, der vor allem in den Vereinigten Staaten weitverbreitet war, mit Hilfe der Spieltheorie zu einem wirksamen Krisenrezept zu gelangen, ist jedoch einer allgemeinen Skepsis gewichen. In den USA werden die Kriegsspiele für den Frieden nicht nur im Verteidigungsministerium betrieben, sondern in zahlreichen Instituten (z. B. HUDSON-Institute, RAND-Corporation) und Universitäten. Anatol Rapoport, einer der Entdecker der zunächst für wirtschaftliche Problemstellungen entwickelten Spiele von Oskar Morgenstern und John von Neumann für die internationalen Beziehungen, äußert sich in letzter Zeit zurückhaltend und warnend: „Das Paradigma des Spiels wirkt anziehend auf Leute, die schöpferisches Denken mit kaufmännischem Verstand und technischem Wissen gleichsetzen ... Weitverbreitet ist die Vorstellung, praktische strategische Probleme ließen sich ebenso wie die von der Spieltheorie gestellten Probleme lösen ... In Wirklichkeit stimmt das nicht. Die Spieltheorie ist eine rein formale mathematische Disziplin. Spieltheoretische Probleme werden auf einer sehr hohen Abstraktionsebene gestellt. Die sogenannten . Lösungen'sind für den Mathematiker viel bedeutungsvoller als für den decision maker."

Bei aller Skepsis gegenüber strategischen Spielen muß festgestellt werden, daß die Entwicklung von Konflikt-Modellen und Kriegs-Szenarios auf der Grundlage der Spieltheorie, wie sie vor allem Herman Kahn betrieben hat einen großen Einfluß auf die Rüstung der Abschreckungsgesellschaft gehabt hat. Mit der Fragwürdigkeit der strategischen Spiele ergibt sich die Fragwürdigkeit des Abschrekkungs-Systems. Karl W. Deutsch meint, daß entscheidende Verbesserungen in den Grund-modellen der Spieltheorie nötig seien, um uns eine bessere Orientierungshilfe zu geben: „Doch selbst mit solchen Verbesserungen (und sie können noch lange auf sich warten lassen) bleiben spieltheoretische Modelle recht einseitig. Ihre Stärke liegt darin, daß sie sich auf Situationen konzentrieren, deren Ausgang von Entscheidungen abhängig ist, aber sie g. ehen notwendigerweise von der Voraussetzung aus, daß die Zielvorstellungen aller Spieler unkompliziert sind und die innere Struktur eines jeden Spielers von vornherein gegeben sein muß. Spielmodelle sind visuell oder als fließender Ablauf von Vorgängen schwer vorstellbar. Sie sind deshalb eher geeignet, andere Modelle zu ergänzen, nicht aber sie zu ersetzen."

Deutsch kritisiert vor allem den Spieltheoretiker Thomas C. Schelling, der mit seinen Arbeiten über „Konfliktstrategie" die Voraussetzungen der Einführung der Spieltheorie in die Lehre von den internationalen Beziehungen schuf. Der Hauptmangel dieser Arbeiten ist die unzureichende Einbeziehung moderner psychologischer Erkenntnisse. Bis heute ist es nicht gelungen, zwischen der abstrakten, rein rationalen Ebene des Spiels und der immer mit einem hohen Anteil an Irrationalität geladenen, sehr komplexen Wirklichkeit eine Brücke zu schlagen. Das psychologische „Kalkül der Abschreckung", das im internationalen Poker-System eine entscheidende Rolle spielt, ist nicht mathematisch beschreibbar, meint Wilhelm Cornides Eine Weiterentwicklung der Spieltheorie ist die Simulation, in der Menschen und Computer gemeinsam Konfliktsituationen durchspielen, um dem Faktor , Mensch'Rechnung zu tragen

Die Spieltheorie ist nicht in der Lage, die Wirklichkeit im Laboratorium zu reproduzieren und stellvertretend für sie Konflikte in ihrem Entstehen zu verfolgen, Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, die weitere Entwicklung von Konflikten vorherzusagen und Rezepte für die politisch Handelnden zu erstellen. Ihr Wert ist dennoch unbestritten. Die politische Wissenschaft wird durch Anwendung mathematischer Methoden rationaler; exakte Kriterien und Begriffe sind nötig, um Konflikte zu simulieren. Ein Nebenprodukt von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Entwicklung von didaktischen Spielen, die zum Entscheidungstraining oder auch als Übung zum besseren Verständnis politischer Abläufe dienen können. Hartmut von Hentig beschreibt ein großangelegtes Spiel im Rahmen eines Kurses in „international relations", an dem etwa 50 Studenten teilnahmen, die innerhalb verschiedener Nationen verschiedene Rollen übernahmen Dieses Spiel, das im Mai 1965 von der Newark State College Union in New Jersey/USA veranstaltet worden war, wurde nach den Regeln der tatsächlichen internationalen Politik gespielt; es wurde gepokert und gelogen, Propaganda betrieben, durch Anstöße des Leiters ständig in den Fluß des Geschehens eingegriffen. Die Realitätskontrolle übernahm ein Computer. Er war die schwächste Stelle des Spiels; denn die Wirklichkeit, die er darstellte, war die in ihn eingegebene Wirklichkeit einer bestimmten sozialen Theorie. c) Abrüstung, Arms Control und Frieden Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Abschreckung durch Aufrüstung — neben den Gefahren für das gesellschaftliche Zusammenleben — nur eine zeitweise und regionale Sicherheit vor größeren kriegerischen Konflikten bringen kann. Rüstungskontrolle und Abrüstung als einzig sicherer Weg zum Frieden bieten sich an. Während Abrüstung als Verminderung des Waffenbestandes nicht mißzuverstehen ist, kann Rüstungskontrolle mehrere Bedeutungen haben: Einfrieren des gegenwärtigen Rüstungsstandes, Verzicht auf bestimmte Waffengattungen, regionale Verminderung des Rüstungsniveaus oder auch Weiter-rüsten in begrenztem Maße, über das Einverständnis hergestellt wird. Zur Überwachung der Arms-Control-Maßnahmen ist ein guter Kommunikationsfluß nötig. Das wirksamste Mittel der Überwachung sind Inspektionen.

Abrüstungsvorschläge wurden nach dem letzten Weltkrieg wiederholt vorgelegt; Abrüstungskonferenzen befaßten sich mit den Plänen, führten jedoch nur zu einigen Deklarationen und zu sehr begrenzten Arms-Control-Vereinbarungen, z. B.dem Denuklearisie-rungsvertrag über die Antarktis vom 1. Dezember 1959, der das Gebiet der Antarktis ausschließlich friedlichen Zwecken freihalten soll; das Atomteststoppabkommen vom 5. August 1963, das ein Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser vorsieht; das Verbot vom 27. Januar 1970, Massenvernichtungswaffen in Erdumlaufbahnen oder auf Himmelskörpern zu bringen, oder den Vertrag der lateinamerikanischen Staaten über ein Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika, der am 14. Februar 1967 beschlossen wurde, dem aber bisher nur 11 Staaten beitraten. Die genannten Verträge leiden unter dem Mangel, daß nicht alle diejenigen Staaten ihnen beigetreten sind, die für die Wirksamkeit der Verträge von Bedeutung sind; so sind dem Atomteststoppabkommen die Nuklearmächte Frankreich und die Volksrepublik China nicht beigetreten. Alle genannten Verträge gehören in den Bereich der Arms Control, nicht in den Bereich Abrüstung.

Amitai Etzioni nennt für die bisher erfolglos gebliebenen Abrüstungsbemühungen politische und ideologische Gründe: „Während die totale Abrüstung vom kommunistischen Block und erst in jüngster Zeit von weiten Kreisen im Westen befürwortet wird, ist die Rüstungskontrolle ein Plan, der vom Pentagon und seinen zivilen Beratern ausgedacht ist. ... Die Vereinigten Staaten sehen sich als Beschützer der unterentwickelten Länder vor dem sich ausbreitenden Kommunismus, eine Aufgabe, die oft die Anwendung von Waffen verlangt, auch wenn der Kommunismus sich hauptsächlich auf seine ideologische Stärke verläßt. Folglich sind die Vereinigten Staaten, zumindest gegenwärtig, stärker an Überwachung (die Rußland dem Westen öffnen würde) als an Abrüstung interessiert (die die unterentwickelten Länder der kommunistischen Expansion aussetzen würde). Aus den gleichen Gründen ist Rußland an Abrüstung interessiert, aber nicht an einer Überwachung." Diese Analyse der Situation des Jahres 1962 trifft heute offenbar nicht mehr zu. Sie war schon für die sechziger Jahre zu pauschal. Strategische Überlegungen spielen bei den Abrüstungsverhandlungen eine größere Rolle als politisch-ideologische Überlegungen. Am 15. Juni 1946 legten die Vereinigten Staaten den sogenannten Baruch-Plan (nach seinem Verfasser, dem Regierungsberater Bernard Mannes Baruch) vor, in dem angeboten wurde, alle Atombomben zu zerstören und die Kenntnisse der Atomforschung zur friedlichen Verwendüng der Atomenergie zu veröffentlichen, die technischen Einrichtungen in internationales Eigentum zu überführen und einer internationalen Leitung zu unterstellen. Die Vereinten Nationen sollten ein absolutes Atom-Monopol erhalten Wahrscheinlich um erst eine eigene Atombombe zu entwickeln, lehnte Stalin den Baruch-Plan ab. Im Juni 1947 gab die Sowjetunion einen Kontrollplan bekannt, der gegenseitige nationale Inspektionen vorsah, die erst in Kraft treten sollten, nachdem die USA ihre Atombomben zerstört hätten.

Es folgte ein Hin und Her der Argumentationen, das von propagandistischen und strategischen Überlegungen bestimmt war, wobei weder über die Atom-Abrüstung (Denuklearisation) noch über die konventionelle Abrüstung, weder über den Modus der Kontrollen und Inspektionen noch über die Reihenfolge der Abrüstungsschritte Einigkeit erzielt werden konnte. Helmut Schmidt beschrieb die Entwicklung bis zum Jahre 1961, dem Erscheinungsjahr seiner ersten strategischen Untersuchung „Verteidigung oder Vergeltung", als kurzsichtiges Taktieren: „Rüstungspolitik wie Abrüstungspolitik streben nach demselben Ziel: nach Sicherheit vor Überraschung, Sicherheit vor qualitativer Unterlegenheit durch militärtechnische Durchbrüche eines möglichen Gegners und Sicherheit vor quantitativer Unterlegenheit. In dem Streben nach diesem Ziel haben die Regierungen trotz ungeheurer Risiken bisher mehr Vertrauen in das heute gegebene System von Abschreckungen und Gegen-abschreckungen als in die Möglichkeit, neue Systeme auf dem Wege gegenseitiger Verabredung zu schaffen, deren Risiken insgesamt bisher noch nicht ausreichend durchkalkuliert sind. Sie handeln nach dem Prinzip: was wir haben, wissen wir — was wir bekommen könnten, ist ungewiß und undurchsichtig. Diese Einstellung hat dazu geführt, daß alle am Abrüstungsgespräch beteiligten Regierungen zu stark von kurzfristig orientierten sogenannten . militärischen Notwendigkeiten'geleitet waren und zu wenig von langfristig orientierten politischen Notwendigkeiten."

Auf die notwendige Verknüpfung von Abrüstung und politischer Einigung weist Arnold Wolfers hin: „Man kommt ... zu der Schlußfolgerung, daß stillschweigende oder ausdrückliche Abkommen über die proportionale Verminderung der Militärmacht — sofern sie getreulich ausgeführt werden — den Frieden durch die Verminderung der einem Wettrüsten innewohnenden Gefahren zu festigen geeignet wären, obgleich solche Abkommen dadurch, daß sie den zugrundeliegenden Konflikt ungelöst bestehen lassen, für sich allein die Unbeständigkeit des Friedens nicht beseitigen könnten und die Bemühungen um eine über das Gebiet der Rüstung hinausgreifende Schlichtung nicht überflüssig machen würden." 109a) Zu den von Helmut Schmidt genannten langfristig orientierten politischen Notwendigkeiten gehört vor allem die politische Einigung, als deren Folge die allgemeine Abrüstung erst eine Chance und Auf bekäme. Politische Spannung -rüstung sind andererseits voneinander abhängig. so daß Entspannung und Abrüstung zugleich betrieben werden müssen, um eine erfolgreiche Friedenspolitik zu begründen. Willy Brandt nennt in „Friedenspolitik seinem Buch in Europa" ausdrücklich politische Aktionen, die mit Rüstungsbeschränkungen, dem Rückzug fremder Truppen und der Ablösung der Bündnisse durch vertragliche Sicherheitsregeln parallel laufen sollten: Austausch von Gewaltverzichts-Erklärungen, Schaffung einer gerechten europäischen Friedensordnung, Verstärkung der Zusammenarbeit 109b).

Der erste nennenswerte Fortschritt weltweiter Abrüstungsverhandlungen ist der Atomteststopvertrag von 1963, der allerdings keine Kontrolle in den Unterzeichnerstaaten vorsieht, sondern nur eine Überwachung von außen.

Dieser Vertrag gehört, wie schon erwähnt, in den Bereich der Arms Control, nicht den der Abrüstung. Ähnlich verhält es sich mit dem Atomsperrvertrag, dessen erste Fassungen aus dem Jahre 1965 dem 18-Mächte-Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen in Genf vorgelegt wurden. In der Präambel des jetzt schon von über 100 Staaten unterzeichneten und von einer für das Inkrafttreten ausreichenden Zahl von Staaten ratifizierten Vertrages wird immerhin die Absicht der Vertragschließenden zum Ausdruck gebracht, „zum frühest möglichen Zeitpunkt die Beendigung des nuklearen Wettrüstens herbeizuführen und auf die nukleare Abrüstung gerichtete wirksame Maßnahmen zu ergreifen". Im Artikel VI verpflichtet sich jeder Unterzeichnerstaat, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer Kontrolle" Der Vertrag und die Absichtserklärungen der Vertragschließenden werden in ihrer Bedeutung empfindlich beeinträchtigt durch den Nichtbeitritt der beiden Atommächte Frankreich und Volksrepublik China. Der Vertrag, der vor allem die Nichtatomwaffenstaaten betrifft, deren Atomrüstung verhindert werden soll, ist vor allem wichtig als ein erster Versuch weltweiter Arms Control.

Die Sowjetunion hat durch ihre Teilnahme an den Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffen „Strategie Arms Limitation Talks" (SALT) am 17. November 1969 in Helsinki ihr grundsätzliches Interesse an einer Rüstungsbegrenzung zu erkennen gegeben. Der schon beschlossene Ausbau des amerikanischen Anti-Raketen-Systems (ABM = antiballistic missiles) und die zu erwartende Reaktion der UdSSR könnten zu einem technologischen Rüstungswettlauf führen, der — vor allem für die UdSSR — wirtschaftlich kaum mehr tragbar sein dürfte Eine Welle von Entspannungsbemühungen könnte die Folge der Einsicht in den ruinösen Waffenwettlauf sein. Auch die wachsenden Konfliktmöglichkeiten zwischen der UdSSR und der VR China mit Truppenaufmärschen und bedrohlichen Erklärungen der führenden Politiker könnten die Bereitschaft der UdSSR zu Arms-Control-Gesprächen mit dem Westen erhöhen. Präsident Nixon, der sich in der Innenpolitik der USA vor zunehmenden Problemen sieht, kündigte ein weltweites Disengagement an. In seiner „Erklärung zur Lage der Nation" am 22. Januar 1970 sprach er die Absicht aus, die Beteiligung der USA an den Angelegenheiten anderer Nationen wesentlich zu verringern Die „Vietnamisierung" des Vietnam-Krieges ist bereits eingeleitet worden.

Wenngleich die politischen Voraussetzungen für Arms Control und Abrüstung der Supermächte USA und UdSSR günstig zu sein scheinen, so bleibt zunächst doch noch die Tatsache, daß der Rüstungswettlauf durch den Ausbau das ABM-System vorläufig noch stark beschleunigt wird. Neben den politischen Faktoren spielen — wie sich bei allen Abrüstungsbemühungen zeigte — die strategischen Überlegungen eine dominierende Rolle. Die Sicherheit durch Abschreckung erfordert Maßnahmen, die von den Politikern nicht mehr kontrolliert werden können. So stellt Helmut Schmidt in seinem neuesten Buch fest: „All dies mutet an wie Wahnsinn. Vielleicht ist es das auch. Aber der Wahnsinn hat Methode, und die beiden mächtigsten Nationen der Welt stehen mit ihrer Wirtschaftskraft und mit ihren wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten hinter diesen Anstrengungen. Wer in Beziehung zu den USA und zur Sowjetunion seine Politik zu erwägen hat, der muß die Bedingungen kennen, unter denen diese beiden Weltmächte ihre Politik und ihre Strategie entfalten, und die Instrumente, die sie sich dazu schaffen."

Die bisherigen Vorschläge zur Abrüstung leiden alle unter dem Mangel, ausschließlich politisch oder ausschließlich strategisch zu argumentieren. Rein politisch sind die Vorschläge der sogenannten Gradualisten, die eine stufenweise wechselseitige Rüstungsverminderung vorsehen wie auch die Empfehlungen der sogenannten Unilateralisten, die einseitige Abrüstung als Vorleistung für richtig halten Rein strategische Überlegungen stehen unter dem lähmenden Eindruck der wechselseitigen Drohung. Sie vermögen gegen die Feindvorstellungen, die in den Drohgesellschaften als Folge des Hochrüstens entstanden sind, wenig auszurichten. So bleiben sie unverbindliche Denkspiele von Strategen, denen die von der öffentlichen Meinung abhängigen Politiker nicht zu folgen vermögen.

Arms Control, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, werden angesichts der längst vorhandenen „overkill" -Kapazität der Waffen, die eine mehrfache Vernichtung des Gegners ermöglichen, populärer. Abrüstung stößt noch auf psychische Barrieren, die im Rahmen einer breit angelegten „Friedensstrategie" abgebaut werden müssen. Auch wirtschaftliche Gründe werden häufig in den westlichen Staaten gegen die Abrüstung angeführt. Fritz Vilmar zitiert das makabre Wort „defense-prosperity" (Verteidigungs-Wohlstand) aus den USA in diesem Zusammenhang, das nichts anderes bedeutet, als daß durch die großen Rüstungsanstrengungen der USA die Industrie und mit ihr die Arbeitnehmer wirtschaftliche Vorteile haben, die Arbeitslosigkeit gebannt wird und hohe Löhne möglich sind. Für die Industrie bedeutet Hochrüstung mit ständigem technologischen Wandel hohe Profite und einen gesicherten Auftragsbestand.

Für die UdSSR, die vor allem auf dem Gebiete der Konsumgüterindustrie einen gewaltigen Nachholbedarf gegenüber den hochindustrialisierten westlichen Ländern hat, wäre die Umrüstung auf friedliche Industrieprodukte dringend nötig. Die Widerstände gegen eine Abrüstung kommen vor allem aus militärischen Kreisen, die in einer starken Rüstung die Voraussetzung der Herrschaft der Kommunistischen Partei sehen Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes unter Führung der UdSSR am 21. August 1968 in die SSR deutet auf die nicht zu unterschätzende Macht der Militärs hin.

Die Friedensforschung wird sich im Zusammenhang mit der Abrüstungsproblematik mit psychologischen, wirtschaftlichen, ideologischen, politischen und strategischen Problemen befassen müssen. Um Abrüstungsideen zu entwikkeln, die durchsetzbar sind, bedarf es einer umfassenden Friedens-Strategie, eines breit angelegten Plans. Abrüstungskonferenzen allein, die fast ausschließlich von politischen Weisungen unterworfenen Beamten besucht werden, sind kein Hebel, das starre Abschreckungs-System, in dem wir leben, zu sprengen. Konferenzen können aber dazu beitragen, daß der Informationsfluß zwischen den beteiligten Staaten besser wird, daß Ziele klarer hervortreten und gemeinsame Interessen entdeckt werden. Friedensstrategien, die Abrüstung zum Ziel haben, müssen an vielen Stellen und auf vielen Ebenen ansetzen. Peter Menke-Glückert fordert zur Koordination aller Friedensbemühungen eigene „Ministerien für Friedensplanung" d) Völkerrecht und Frieden Die Epoche des klassischen Völkerrechts, die nach dem Westfälischen Frieden von 1648 begann, stand unter dem Begriff „Souveränität" und dem aus ihm abgeleiteten Recht zum Kriege. Die souveränen Staaten, die über eine schlagkräftige Militärmacht verfügten, übten ihr „ius ad bellum" schrankenlos und ohne Skrupel aus. Ein willkommener Nebeneffekt der Militarisierung der einzelnen Staaten war die integrierende Wirkung der Armee, die Untertanen verschiedener Gegenden und annektierter Gebiete zu einer Einheit verschmolz. Das internationale System zur Zeit des klassischen Völkerrechts wurde gekennzeichnet durch souveräne Herrscher, häufige Kriege und zügellosen internationalen Wettbewerb. Die aufkommende Diplomatie, die Bündnisse aushandelte, um die Macht schwächerer Staaten gegenüber stärkeren zu vermehren, Beistandspakte schloß und Verträge vereinbarte, wirkte stabilisierend. Das Völkerrecht jener Epoche war, insgesamt gesehen durchaus keine Friedenskraft, stellt Otto Kimminich fest

Die Schriften der ersten Völkerrechtler bestätigen das „ius ad bellum", das Recht auf Krieg, als Bestandteil der Souveränität. Sie enthielten auch schon Ansätze des „ius in bello" des Kriegsrechts, das die kriegerischen Handlungen bestimmten Regeln unterwarf. Regeln des Waffenstillstandes und die Kunst des Friedensschlusses sind — wie das Kriegsrecht, das erst im 19. Jahrhundert zur vollen Bedeutung gelangte — Vorboten der Wende des Völkerrechts im 20. Jahrhundert mit der Achtung von Gewalt und Krieg. In diesem Zusammenhang muß noch die Lehre vom „gerechten Krieg", die ihre Ursprünge in der Antike hatte, genannt werden. Francisco de Vitoria (1486— 1546) begründete die Lehre in seiner Schrift „Uber den gerechten Krieg", in dem er zu dem Schluß kam, daß Untertanen, die von der Ungerechtigkeit des Krieges überzeugt sind, nicht in den Krieg ziehen dürften Die Lehre vom „gerechten Krieg" als Offensivhandlung — Verteidigungskriege werden allgemein als gerechte Kriege verstanden, wobei die Schwierigkeit der Einordnung eines Präventivschlages nicht geklärt werden kann — gibt es heute überwiegend nur noch in der marxistischen Dogmatik

Nach den Kriegen gegen Napoleon und dem ersten großen internationalen Kongreß in Wien, auf dem eine neue Ordnung des Zusammenlebens der Staaten gefunden wurde, begann die „Epoche des europäischen Konzerts" (Kimminich). Industrialismus und Massenproduktion, Massenkonsum und Emanzipation der niederen Schichten brachten Demokratie und Sozialismus hervor. Die europäischen Staaten fielen jedoch in ihrem zwischenstaatlichen Verkehr auf Formen zurück, die vor dem Wiener Kongreß bestimmend waren. Nationalismus und Expansionsdrang, rapide Weiterentwicklung der Kriegstechnik und der wachsende Einfluß der Rüstungsindustrie auf die Staatsführung ließen eine allgemeine positive Haltung zum Kriege als „ultima ratio" des zwischenstaatlichen Verkehrs aufkommen. Einige völkerrechtliche Regelungen wurden durch die Bemühungen von Henri Dunant erreicht, vor allem das Los der Verwundeten und Gefangenen, später auch der Zivilpersonen im Kriege betreffend. Eine internationale Konferenz beschloß am 22. September 1864 die Genfer Konvention, die Grundlage des Roten Kreuzes, die in weiteren Abkommen 1906, 1929 und 1949 ergänzt wurde. In der Pariser Erklärung von 1856 wurde die maritime Kriegsführung eingeschränkt; die Petersburger Erklärung verbot den Gebrauch von leichten Geschossen, die mit Explosivstoffen oder entflammbaren Substanzen geladen waren. Die Haager Erklärung von 1899 anläßlich der 1. Haager Friedenskonferenz untersagte die Anwendung von Dum-Dum-Geschossen. Spätere Verträge sprachen sich gegen den Einsatz von Gas, chemischen und bakteriologischen Kampfstoffen aus

Höhepunkt der neueren völkerrechtlichen Bemühungen um eine stabile Friedensordnung war die 1. Haager Friedenskonferenz, auf Initiative des russischen Zaren im Jahre 1899 einberufen, die dem Wettrüsten ein Ende machen sollte. Ein völkerrechtlicher Vertrag sollte die internationale Schiedsgerichtsbarkeit einführen, um den Krieg als Mittel, Recht zu begründen, auszuschalten. Im Schatten der allgemeinen Weltlage brachte die Konferenz für das „ius ad bellum" und seine Einschränkung im t zwischenstaatlichen Verkehr keine Einigung. Eine internationale Schiedsbarkeit könne nur in Bagatellfragen wirksam werden, erkannten die Vertreter der Nationalstaaten, die auf ihrer Souveränität bestanden..

Nur auf dem Gebiet des „ius in bello", des Kriegsrechts, führten die erste Konferenz von 1899 und die zweite von 1907 zu Vereinbarungen, als „Haager Landkriegsordnung" bis heute gültig Die Bedeutung der Haager Konferenzen für die Friedenssicherung wird meist überbewertet Die durch die Entwicklung der Waffentechnik möglich gewordenen „totalen" Kriege mit Einsatz aller verbotenen Kampfstoffe, Zerstörung ziviler Einrichtungen und Tötung von Zivilisten folgten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der moralische Wert der Vereinbarungen auf völkerrechtlicher Grundlage, die zur Gegenwart hin an Zahl und Umfang zunahmen, ist aber unbestritten.

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die „kopernikanische Revolution im System der internationalen Beziehungen" (Kimminich) durch das Völkerrecht. Die Satzung des Völkerbundes von 1919, dem die Siegerstaaten des Ersten Weltkrieges außer den USA, die wichtigsten neutralen Mächte und später auch Deutschland beitraten, enthält die Bestimmung, daß jeder Krieg Sache des Bundes sei, nicht mehr Angelegenheit des einzelnen Mitgliedstaates. Die Souveränität der Staaten, zu der das Recht auf Krieg ohne Rechenschaftspflicht gegenüber anderen Staaten gehört, wurde eingeschränkt. Ein weiterer Schritt war der Briand-Kellog-Pakt von 1928, der auf gemeinsame Initiative des französischen Außenministers und zeitweiligen Regierungschefs Briand und des US-Präsidenten Kellog zustande kam. Die Vertragsstaaten verzichteten auf den Krieg als Instrument der internationalen Politik. 15 Staaten, unter ihnen Deutschland, unterzeichneten den Vertrag, dem sich später zahlreiche weitere Staaten anschlossen. Der Briand-Kellog-Pakt vom 27. August 1928 und der nach dem damaligen argentinischen Außenminister benannte Saavedra-Lamas-Pakt vom 10. Oktober 1933 mit ähnlichen Bestimmungen gelten noch heute.

Die jüngste Geschichte registrierte jedoch zahlreiche Vertragsbrüche, vom Überfall sowjetischer Streitkräfte jenseits der mandschurischen Grenze auf chinesisches Gebiet im Jahre 1929 über die Eroberung Abessiniens durch Italien bis zum Zweiten Weltkrieg. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen führte der britische Anklagevertreter aus, daß die völkerrechtlichen Bestimmungen nicht deshalb ihre Verbindlichkeit verlören, weil sie vorübergehend keine tatsächliche Wirksamkeit zu entfalten vermöchten Die Charta der Vereinten Nationen von 1945 enthält den ausdrücklichen Verzicht der Vertragsstaaten auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt im internationalen Verkehr

Die Wirkungslosigkeit der völkerrechtlich begründeten Abrüstungs-und Friedensbemühungen der Vereinten Nationen 130a) rührt nach Meinung von Wilfried Daim von der scheinbaren oder tatsächlichen West-Orientierung, speziell der Orientierung nach den USA, her. Er schlägt eine Verlegung des Sitzes der UNO von New York nach Berlin oder Wien vor 130b). Daims Vorschlag von 1962 stand offenbar unter dem Eindruck des Ost-West-Gegensatzes. Heute empfiehlt sich eher ein Standort zwischen der Nord-und Südhalbkugel, und zwar wegen der Mehrheitsverhältnisse in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die sich zugunsten der Länder der Dritten Welt entwickelt haben, und wegen des berechtigten Mißtrauens der nichtwestlichen Länder gegenüber dem VölkerrechtsVerständnis der UNO, das eindeutig aus der westlichen Rechtstradition stammt. Ein neutraler Standort der UNO könnte ein erster Schritt zur Stärkung der Vereinten Nationen sein, dem eine allmähliche Neukonzeption des Weltrechts folgen müßte.

Kritiker des Völkerrechts als friedensstiftender Kraft weisen darauf hin, daß schon die Satzung des Völkerbundes und der Briand-Kellog-Pakt sowie zahlreiche internationale Verträge sich als unwirksam erwiesen hätten, weil die Politik der Staaten sich über das Völkerrecht hinwegsetzen könnte. Auch die Satzung der Vereinten Nationen, die nicht nur die Anwendung, sondern sogar die Drohung mit Gewalt ächtet und die die Abrüstung als Ziel der Vereinten Nationen nennt sowie zahlreiche Resolutionen — als wichtigste die Entschließung über die Wesenszüge des Friedens („Essentials of Peace") vom 1. Dezember 1949 — konnten das Wettrüsten auf der Erde, das ohne Zweifel eine „Androhung von Gewalt" und damit eine Störung des Friedens bedeutet, bis zum heutigen Tage nicht verhindern.

Zwei wichtige Faktoren, durch den technischen Fortschritt erst in letzter Zeit entstanden, unterstützen die Tendenz des modernen Völker-rechts, den Krieg als Mittel der Politik zu bannen: die Existenz von Atomwaffen, die den Weltfrieden zum Postulat der Politik macht und die durch neue Verkehrs-und Nachrichten-mittel fast totale Interdependenz aller Nationen. Kurt Sontheimer charakterisiert die neue Phase der Weltpolitik als Politik auf einem weltweiten Schauplatz: „Die Welt stellt heute eine fast perfekte Einheit von Ort und Zeit dar, einen gemeinsamen Schauplatz, der alle Ereignisse, in welchen Erdteilen sie immer geschehen, in einem System der Wechselwirkung miteinander verbindet." Bisher viel zuwenig beachtet wurde das Entstehen einer öffentlichen Weltmeinung als Folge des internationalen und weltweiten Kommunikationssystems. Die Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen wird in zunehmendem Maße von der Weltmeinung kontrolliert werden. Regionalpakte, die sich nicht ausdrücklich auf die Friedenssicherung als Ziel berufen, sind heute nicht mehr denkbar.

Völkerrechtliche Lösungen des Friedensproblems — losgelöst von den politischen Interessen und Bedingungen der betroffenen Staaten — sind solange nicht möglich, solange es noch mehr oder minder souveräne Staaten auf der Erde gibt, die über eigene Rüstungen verfügen und auf der Durchsetzung ihrer vermeintlichen Rechte pochen. Die Errichtung einer Weltregierung, der die Souveränitätsrechte der bisherigen Staaten übertragen werden müßten, wäre ein völkerrechtlicher Akt, mit dem das Völkerrecht in ein neues Stadium treten würde. Völkerrecht wäre nicht mehr ein Geflecht zwischenstaatlicher Vereinbarungen, sondern einheitliches Weltrecht mit einer Weltgerichtsbarkeit, die die bisherigen Schiedsgerichte auf freiwilliger Basis ablösen müßte, und einer Exekutive, die für die Einhaltung des Rechts verantwortlich wäre. Aber auch im Falle der Aufgabe des Gedankens der Weltregierung, die in den letzten Jahren immer häufiger gefordert wird, wird das Völkerrecht noch eine wichtige Rolle spielen. Die Konstruktion neuer Pakte, die Formulierung allgemein akzeptabler Verträge und der Entwurf eines allgemein verbindlichen Weltrechts in Fortführung der Charta der Vereinten Nationen und der Europäischen Menschenrechtskonvention sind Aufgaben des zukünftigen Völker-rechts. e) Frieden durch eine Weitregierung?

In den vierziger und fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts wurden Pläne für eine Weltregierung lebhaft diskutiert. Während des Zweiten Weltkrieges erschienen die ersten modernen Entwürfe einer neuen Weltordnung als Alternative zum System kriegerischer Nationalstaaten, die sich gerade im bisher heftigsten Krieg menschlicher Geschichte befanden. Die Grundlage der Idee der Weltregierung, die schnelle Verbreitung fand, legten Oscar Newfang, Mortimer Adler und Emery Reves.

„The Anatomy of Peace" von Reves wurde in über 15 Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt Nach Annahme der UN-Charta im Jahre 1945 wurden mehrere, auf der Organisation der Vereinten Nationen aufbauende, weiterführende Weltregierungs-Vorschläge und Gegenvorschläge diskutiert Die Diskussion über das Postulat einer Weltregierung von Carl Friedrich von Weizsäcker aus den sechziger Jahren erscheint verspätet.

Die verschiedenen Weltregierungs-Pläne unterscheiden sich nicht nur dadurch, daß die Autoren verschiedene Wege zur „einen Welt" propagieren, sondern auch in der Konzeption der Weltregierung, ihrer Organisation, ihrer Rechte, ihrer Machtmittel, ihrer Zuordnung zur Welt-Legislative und zur Welt-Judikative. Sollte die Weltregierung nur Mittel zur Befriedung der Welt sein oder mehr?

Es gibt grei große Lager der Weltregierungs-Anhänger. Die Föderalisten meinen, durch Weiterentwicklung des internationalen Rechts, Revision der UN-Charta und weltweite Verfassungsänderungen zur „one world" zu kom-men. Die radikale Weltregierungs-Bewegung lehnt den föderativen Weg über die nationalen Regierungen ab. Sie appelliert an die Bevölkerung der Welt und fordert eine vom Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung zur Verabschiedung einer Weltverfassung. Die dritte Gruppe ist heterogen. Eva Senghaas-Knobloch zählt zu ihr die Kampagnen zur Ausdehnung internationalen Rechts, zur Erarbeitung immer neuer Weltverfassungsentwürfe Weltbürgeraktionen und Weltsprachenaktionen

Das am häufigsten genannte und diskutierte Weltregierungs-Konzept entwickelten Grenville Clark und Louis B. Sohn mit ihrer Schrift „World Peace through World Law", die in erster Auflage 1958 erschien Dieser Vorschlag vereinigt die wichtigsten Gedanken, die bei der Diskussion der gegenwärtigen Organisation der Vereinten Nationen aufkamen. Clark und Sohn gehen von dem Grundsatz aus, vorhandene Einrichtungen nicht durch neue abzulösen, sondern auf ihnen aufzubauen. Wichtigste und erste Aufgabe sei die Schaffung eines wirksamen Systems zur Erhaltung und Festigung des Weltfriedens. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind konventionell: der Zwang durch ein zentralistisches Rechtssystem zur Verhinderung von Gewalt, internationale Gerichtsbarkeit und eine mächtige Weltpolizei zur Durchsetzung des Rechts. Eine vollständige, kontrollierte Abrüstung, durch eine Überwachungs-Kommission garantiert, die Bildung einer Atomenergiebehörde, die sämtliches auf der Erde vorhandene Spalt-und Fusionsmaterial verwaltet und die Einsetzung einer Weltraumkommission, die darüber zu wachen hat, daß die Weltraumforschung nur zu friedlichen Zwecken betrieben wird, laufen mit der Konstituierung der anderen Organe parallel.

Gesetzgebendes Organ ist die Generalversammlung, die aus der UN-Vollversammlung hervorgehen soll, in der jedoch alle Nationen der Erde Mitglieder sein sollen. Die Stimmen-zahl in der Generalversammlung ist — anders als bei der UN — nach Einwohnerzahl abgestuft. Aus dem jetzigen Sicherheitsrat der Vereinten Nationen soll der Exekutivrat werden, der der Generalversammlung unterstellt wird. Der Exekutivrat ist das Weltkabinett, die eigentliche Regierung. Das Veto-Recht der Großmächte, das die Aktionen des jetzigen UN-Sicherheitsrats hemmt, wird für den Exekutivrat nicht übernommen. Die schon genannten Kommissionen für die Abrüstungskontrolle, die Nuklearenergieverwaltung und die Weltraumkontrolle sind an den Exekutivrat angeschlossen.

In den späteren Auflagen des Clark-Sohn-Buches wird die Gründung einer Welt-Entwicklungsbehörde vorgeschlagen, die die konfliktfördernden sozialen Unterschiede auf der Erde beseitigen soll. Der Einfluß der funktionalen Friedenstheorie von David Mitrany macht sich hier bemerkbar, ebenfalls die allgemeine Entwicklung der Friedens-Diskussion, in der in zunehmendem Maße in den ausgehenden fünfziger und beginnenden sechziger Jahren der Nord-Süd-Gegensatz zwischen der hochentwickelten Welt der Industriestaaten und der unterentwickelten Welt der Agrarstaaten behandelt wurde. Mitrany meint, daß ausschließlich die Zusammenarbeit aller Staaten auf die Verwirklichung sozialer Ziele hin friedensfördernd sei. Er kritisiert den Traum von einer Weltregierung als eine formale Lösung.

Die Weltregierungs-Pläne, von denen als Beispiel der sorgfältig in alle Details entwickelte und maßvolle Clark-Sohn-Plan vorgestellt wurde, sind nicht nur begrüßt, sondern auch heftig kritisiert worden. Die Kritik kommt aus verschiedenen ideologischen Lagern, von Realisten (zu denen vielleicht Mitrany zu zählen wäre), Kommunisten und Utopisten.

Den Standpunkt der ideologischen Führung der Sowjetunion legte Mitte der fünfziger Jahre O. Bogdanov dar: „Die Schaffung irgendeines Typs von , Weltstaat'oder , Weltrecht'wäre unter den gegenwärtigen Bedingungen utopisch und inkompatibel mit dem Gang der sozialen Entwicklungen unserer Zeit. . .. Die objektiven Gesetze der Entwicklung schließen . . . prizipiell die Möglichkeit aus, das Konzept . supranationaler'Autorität und ein System . universalen'Rechts anzuwenden, das auf der Negation nationaler Souveränität beruht. Dies ist der Grund, warum die Idee einer , supranationalen'Methode, Beziehungen zwischen abgerüsteten Ländern zu arrangieren, wie sie durch die imperialistische Doktrin des internationalen Rechts propagiert wird, in der Tat ganz unakzeptabel ist". Eine Weltregierung im kommunistischen Sinne wäre nur möglich nach der weltweiten Revolution als die „eine kommunistische Welt". Unter diesem Gesichtspunkt wird aber auch deutlich, daß die Weltregierungs-Pläne der westlichen Theoretiker nichts anderes, wenn auch unter anderem Vorzeichen, propagieren, nämlich „die eine westlich-demokratische Welt", eine Art westlicher Uber-Demokratie nach den Spielregeln des Westens. Die Skepsis der Entwicklungsländer, die sich immer mehr vom Einfluß der westlich-demokratischen Verfassungsorganisation lösen und eine Mittelstellung zwischen den beiden „ways of democracy" einnehmen, gegenüber den Weltregierungs-Plänen aus West und Ost wird verständlich. Im Augenblick und auf absehbare Zeit schließen unüberwindbare ideologische Schranken eine Einigung aus. Selbst die Beschränkung der Weltregierungs-Pläne auf Mindestvorstellungen, die Suche nach einem Konsensus auf abgegrenztem Gebiete, kann die ideologischen Hemmnisse nicht überspielen. Die unbedingt wichtige Aufgabe von Souveränitätsrechten, um Rüstung und Militär in eine zentrale Instanz einzubringen, ist im Augenblick nicht erreichbar.

An der autoritären zentralen Gewalt der Weltregierung mit ihren politischen und sozialen Folgen entzündet sich die heftigste Kritik. Inis Claude sieht in der Einschätzung des gegenwärtigen Weltzustandes als eines anarchischen, Zustandes mit der Notwendigkeit eines weltweiten gesellschaftlichen Vertrages, wie ihn schon John Locke im „Leviathan" forderte, die bittere Konsequenz, als einzig angemessene Lösung den Leviathan, den mächtigen Herrscher, zu akzeptieren

Karl Jaspers wandte sich schon im Jahre 1958 sehr heftig gegen die Idee eines Weltstaates: „Denkt man aber die abstrakte Illusion eines Weltstaates, der durch Vertrag errichtet würde, mit einer zentralen Polizei zur Aufrechterhaltung des Friedens, so würde unfehlbar irgendwann die Despotie derer entstehen, die diese Gewalt in Händen hätten." 142a) Jaspers forderte eine Konföderation. Hans Ekkehard Bahr wirft den deutschen Friedenstheoretikern Georg Picht und Carl Friedrich von Weizsäkker, die sich für eine Weltregierung einsetzen, vor, sie gelangten — ungewollt, aber zwangsläufig — zum Konzept eines technokratischen Zwangsfriedens

Im Vergleich'zur internationalen Friedens-theorie verspätet (nämlich erst Mitte der sechziger Jahre), entwickelte Carl Friedrich von Weizsäcker sein Friedensmodell, das eine philosophische Ableitung der Notwendigkeit des Friedens, keine Beschreibung der Organisation des Friedens und seiner Institutionen ist. Weizsäckers Vorstellungen lassen sich auf die vielzitierten Feststellungen reduzieren, der Weltfriede sei im Atomzeitalter notwendig, die bisherige Außenpolitik der Nationen müsse sich allmählich in Welt-Innenpolitik verwandeln, außerordentliche moralische Anstrengungen seien erforderlich Er verkennt nicht die Schwierigkeiten auf dem Wege zum Weltstaat und schlägt einen Übergang von der Bipolarität der Supermächte zu einer Kombination von kooperativer Bipolarität und Polyzentrismus vor In seiner Rede auf dem 13. Evangelischen Kirchentag in Hannover im Jahre 1967 nähert sich Weizsäcker der funktionalistischen Friedenstheorie. Eines der wichtigsten Elemente einer dynamischen Welt-innenpolitik, eines Ausschmelzens der Erstarrungen, sind seiner Meinung nach gemeinsame Aufgaben: „Unter diesen die wichtigste ist wohl die Ernährung derer, die schon hungern oder bald hungern werden . . . Hier besteht die Möglichkeit, das Gegeneinanderprallen der Ideologien in einen produktiven Wettstreit und eine sachliche Zusammenarbeit zu verwandeln."

Hans Ekkehard Bahr forderte als Alternative zu Weizsäckers Idee von der Weltregierung die Suche nach einer gerechten Ordnung für die ganze Menschheit als Politik, nicht als technokratische Setzung. Bahr versucht, an die großen Revolutionen anzuknüpfen, die zur Emanzipation des Menschen beitrugen. Im Zwangsfrieden durch ein Machtmonopol sieht Bahr die Opferung der revolutionären Errungenschaften. Er fordert den „Beginn einer wechselseitigen Vermittlung eben dieser revolutionären Gesellschaften, nicht ihre Aufhebung in eine Superinstanz mit absolutem Waffenmonopol" Der Friede in produktiver Konkurrenz und Kooperation soll nach Bahr dynamisch sein, nicht statisch wie das „angstgeborene Machtgleichgewicht" der Gegenwart. Eine Weltregierung, die ihre Existenzberechtigung allein von der Notwendigkeit der Friedenssicherung durch ein Macht-monopol bezieht, sei eine armselige politische Konstruktion des negativen Friedens. Eine Weltregierung, die Abschaffung oder Vereinheitlichung der Ideologien zu ihrer Voraussetzung hat, wäre das Ende der vielen unterschiedlichen Ansätze auf der Erde, eine menschenwürdige Gesellschaft zu errichten, das Ende der Vielfalt der Ideen, Kulturen und Konflikte.

Die Kritik an der rein funktionalen Weltregierung erscheint berechtigt. Auch Carl Friedrich von Weizsäcker scheint von der Idee der notwendigen Weltregierung immer mehr abzurücken. In einem Vortrag auf der Jahrestagung des „Instituts für Strategie Studies" in London im September 1968 führte er aus: „Ich möchte den Gedanken des Weltstaats nicht im Sinne eines Ziels, sondern eines Kriteriums vortragen: den Weltfrieden zu stabilisieren ist ein wenigstens so schwieriges und wenigstens so anspruchsvolles Unternehmen wie es die Schaffung eines Weltstaates wäre. Es ist eine Herausforderung an unsere politische Erfindungsgabe, daß wir uns eine bessere Lösung des Problems einfallen lassen, als es der Weltstaat wäre."

In einem Interview in der ZEIT, Nr. 52/1 1969/70, erklärte von Weizsäcker auf die Frage, ob eine zukünftige Weltordnung das Waffen-monopol besitzen müßte: „Mir scheint ... eine supranationale Ordnung mit Waffenmonopol die konservativste der möglichen Lösungen. Alle anderen Lösungen setzen radikalere Änderungen in der menschlichen Gesellschaft voraus. Wenn man sich nämlich vorstellt, daß man die Gesellschaften so umstrukturieren kann, daß es dann überhaupt keine kriegführenden Staaten mehr gibt, dann brauchte man auch kein Waffenmonopol anzustreben." Auf die Frage, ob eine supranationale Weltordnung nötig sei, sagte von Weizsäcker: „Ich halte eine Institutionalisierung übernationaler Ordnungen — also irgendeine Art der Weltregierung — für die konservativste Methode." Indirekt spricht sich Carl Friedrich von Weizsäcker heute offenbar für eine radikale Änderung der gesellschaftlichen Bedingungen aus, ohne allerdings schon konkrete Vorstellungen zu entwickeln. f) Frieden, durch Integration Nüchterner als die Vertreter der Idee einer Weltregierung gehen die Integrationsforscher vor. Nicht von der Notwendigkeit einer bestimmten Organisation des internationalen Systems her, sondern von den Tatsachen und Tendenzen ausgehend beurteilen sie die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens der Völker. Die Integrationsforscher untersuchen die vielfältigen Verflechtungen von Staaten und Gruppen auf der Erde durch Pakte, Verträge, staatliche und nichtstaatliche Vereinigungen, das Kommunikationsnetz, Handelsbeziehungen, Tourismus, Austauschprogramme, wissenschaftliche, sportliche und kulturelle Zusammenarbeit. Die Integrationstheorie, wie sie vor allem Johan Galtung vertritt geht von der Vorstellung aus, daß nur durch eine Änderung des gegenwärtigen, auf die beiden Supermächte fixierten, von politischen und sozialen Differenzen gekennzeichneten internationalen Systems eine friedliche Weltordnung möglich wird. Nach Meinung Galtungs ist die gegenwärtige Struktur der Welt schuld an der Möglichkeit und Wirklichkeit von Kriegen.

Die Integration mehrerer Staaten zu Blöcken mit supranationalen Befugnissen gegenüber den Mitgliedstaaten haben tatsächlich im Innern der Blöcke zur Befriedung geführt, nach außen bedeutet aber die Organisation der Welt in große Blöcke eine Übersteigerung der Souveränität, die nicht mehr vom einzelnen Staat wahrgenommen wird, sondern vom Staatenblock. Die weltweite Kriegsgefahr ist durch die Bildung der großen Blöcke nicht gesunken, sondern gestiegen. Georg Picht folgert etwas zu schnell aus der Abschaffung von Staaten die Abschaffung des Krieges: „Kriege werden immer von Staaten geführt. Wenn es keine Staaten mehr gibt, so gibt es zwar immer noch mannigfaltige und zum Teil höchst bösartige Formen der Gewaltausübung, aber es gibt keinen Krieg." Johan Galtung tritt weder für die Errichtung einer Weltregierung ein noch für den Zusammenschluß von Einzelstaaten zu großen Blöcken. Er hält die Beziehungen der einzelnen Staaten über die möglicherweise entstehenden und im Augenblick vorhandenen Blöcke hinaus für wichtiger: „Wenn eine Konföderation dazu tendiert, sich in einen Superstaat zu entwickeln, versucht man dies durch intensive kooperative Beziehungen aufzufangen, die eine Bindung an die restliche Welt und eine Abschwächung des Grenzen-Effektes bewirken."

Hinter Johan Galtungs Äußerungen über die Integration steht bereits eine Theorie. Diese Theorie bestimmt die Fragestellung und die Auswahl der Untersuchungsobjekte. In seinem Aufsatz „Uber die Zukunft des internationalen Systems" nennt Galtung mehrere Voraussetzungen für die Bedingungen, unter denen der Friede im internationalen System am ehesten erreicht werden kann. Während früher noch die Möglichkeit bestand, Staaten nach den Grundsätzen des Kräfteausgleichs oder der Trennung zu befrieden, gilt heute genau das Gegenteil: Friede ist nicht mehr zwischen gleich starken Partnern wahrscheinlich, sondern eher zwischen Partnern, die voneinander abhängig sind. Nicht mehr Trennung, sondern Zusammenarbeit ist die Voraussetzung für friedliches Zusammenleben. Die stark auf Interdependenz zielende Entwicklung zwischen den Gruppen auf der Erde wirkt jeder auf Trennung ausgerichteten Politik entgegen. Die Werte einzelner Gruppen können in ihrer Mehrzahl besser in einer Vereinigung als in einer Trennung verwirklicht werden. Als Werte nennt Galtung: Freiheit von Furcht, Freiheit von Not, Wachstum und Entwicklung, Freiheit von Ausbeutung, Gleichheit und Gerechtigkeit, Freiheit des Handelns, Pluralismus, Dynamismus

Die Friedensbedingungen des Zusammenschlusses (assoziative Friedensbedingungen) vertritt Johan Galtung in drei Thesen: Er fordert entweder symbiotische oder symmetrische Kooperation, eine hohe Entropie zwischen den Akteuren und im Interaktionssystem und ein Netz von Supraorganisationen zwischen den Gruppen. Die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen innerhalb und außerhalb der Staaten, auch der Staaten selbst als Gruppen, muß auf dem Gleichheitsgrundsatz beruhen, wobei die Zusammenarbeit zwischen Produktionssystemen, zwischen staatlichen Organisationen (IGOs = International Governmental Organizations) oder nichtstaatlichen Organisationen (INGOs = International Non-Governmental Organizations) erfolgt. Die Zahl der IGOs und INGOs hat in den letzten Jahren außerordentlich stark zugenommen:

Zunahme internationaler Organisationen

Unter Entropie versteht Galtung — wie in der Physik — einen niedrigen Ordnungsgräd, bzw. ein hochgradiges „Durcheinander", eine hohe Mischung. Auf das Zusammenleben von Gruppen und Staaten angewandt: keine klaren Fronten der einzelnen Handelnden und Gruppen, kein starkes ideologisches oder soziales Gefälle. Supraorganisationen, die Galtung in der dritten These nennt, sind einfache Zusammenschlüsse zwischen Gruppen und Super-Zusammenschlüsse auf höherer Ebene, auf der die Zusammenschlüsse zusammenarbeiten. Gleichheitsgrundsatz und häufiger Austausch, in diesem Zusammenhang etwa die paritätische Vertretung der Mitgliedsorganisationen in den Entscheidungsgremien aller Ebenen, sollten auch für die Supraorganisationen gelten.

Um Mißverständnissen zu begegnen, möchte ich betonen, daß Johan Galtung unter Integration nicht Einschmelzung in starre Blöcke meint, nicht Nivellierung von Meinungen und die Vereinheitlichung von Werten und Ideologien. Galtung strebt ein Netz der Kommunikation an zwischen Gruppen unterschiedlicher Wertsysteme, einen internationalen Pluralismus. Er übersieht dabei die Gefahr der Ansteckung von Ideologien, der Übermacht von Ideologien gegenüber seinen INGOs und IGOs, die ja nicht nur funktional, sondern auch als ideologische Gebilde denkbar sind.

Weniger stark theoriebelastet wie die Galtungschen Untersuchungen, die eine Mischung von Theorie und Empirie darstellen, sind beispielsweise rein empirische Studien über sozialpsychologische Prozesse, in denen sich der Stand der Integration spiegelt und gemessen werden kann Eva Senghaas-Knobloch hält die Untersuchung von Loyalitätsstrukturen für die Integrationsforschung für besonders wichtig. Loyalität als Einstellung, die erkenntnis-mäßige und emotionale Bestandteile hat, gilt nicht nur gegenüber Einzelpersonen und Gemeinschaften, sondern auch gegenüber der Nation. Durch die starke Loyalität zum eigenen Staat entsteht eine chauvinistische Haltung, die alle anderen Staaten als minderwertig ablehnt. Die Fixierung auf den eigenen Staat oder den Staatenblock, dem ein feindlicher Staat oder ein Feindstaatenblock gegenübersteht, schafft das für die gegenwärtige Drohsituation notwendige Feindbild.

Wodurch kann die auf die eigene Nation fixierte Loyalität abgebaut werden? Wie kann sie auf andere Staaten oder supranationale Einrichtungen übertragen werden? Die Vermittlung von Loyalität ist auf verschiedenen Wegen möglich. Harold Guetzkow hält den Einfluß der Massenmedien für wirkungsvoller als persönliche Kontakte Robert Agnell berichtet von unterschiedlichen Erfahrungen mit persönlichen Kontakten zu anderen Nationen. Er fand heraus, daß die Kontakte über die Grenzen hinweg quantitativ außerordentlich stark zunehmen. Die Auswirkungen der Kontakte sind stark abhängig von der Persönlichkeitsstruktur des Reisenden, dem Zweck und der Dauer seiner Reise Besonders wirkungsvoll ist die Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Nationen bei gemeinsamen Projekten, doch kann wegen der geringen Zahl der Kontaktpersonen kein allzu großer Einfluß auf die allgemeine Einstellungsänderung der Bevölkerung erwartet werden. Die Auswirkungen von wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen zwischen den Nationen ist abhängig davon, wie stark und wie viele Einzelpersonen von den Kontakten unmittelbar betroffen werden.

Die nationale und übernationale Loyaltiät ist nur eine Dimension der Integration, obwohl sich an ihr wahrscheinlich der Grad der Integration am besten messen läßt. Klaus Törnudd unterscheidet fünf Bereiche mit jeweils einer eigenen Skala der Integrationsstufen, die zusammen ein Bild der Integration ergeben: der ökonomische, militärische, funktionale, kommunikative und transaktionale, sowie den ideologischen Bereich. Josef Nye verwendet acht Unterkategorien für drei wichtige Bereiche, den politischen, den ökonomischen und den gesellschaftlichen Bereich. Beschreibende, mathematische, positivistische und strukturelle Kennzeichen der Integration werden diskutiert

Eine allgemein verbindliche Messung des Grades der Integration ist noch nicht möglich. Sie bedarf der Erhebung umfassenden empirischen Materials und der Auswertung mit Hilfe der Computertechnik. Die bisherigen Ergebnisse, auch die Folgerungen aus einer be-schreibenden Untersuchung der wichtigsten internationalen Organisationen von Eva Seng-haas-Knobloch stecken erst den Rahmen der Integrationsforschung ab, nennen Probleme, deuten Untersuchungsvorhaben an. Eva Senghaas-Knobloch kommt in ihrer Arbeit zu dem Schluß, daß außer den Militärpakten, denen nicht einmal eine interregionale Friedenssicherung gelingt, die internationalen Organisationen als integrative Assoziationen und Institutionen eine globale Friedensförderung bewirken.

Die Integrationsforschung steht erst am Anfang; sie erscheint als der fruchtbarste Ansatz der Friedensforschung. Sie geht vom vorhandenen Integrationsnetz aus und zieht aus den bisherigen Erfahrungen Folgerungen für den weiteren Ausbau weltweiter Zusammenarbeit. Ob am Ende der Integration der Weltstaat als höchste Stufe jeder Integration stehen sollte, wie Amitai Etzioni hofft, oder ob eine andere Struktur im internationalen System den Frieden garantieren wird, ist für die Integrationsforschung zunächst noch gleichgültig. Sie ist die Friedensforschung und die Friedenspolitik der kleinen Schritte, die von den Realitäten ausgeht.

IV. Friedensforschungs-Institutionen

Die wissenschaftlichen Bemühungen um den Frieden gehen auf das moralisch-politische Engagement führender Naturwissenschaftler zurück, die sich nach dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki in Vereinigungen zusammenschlossen, erste wissenschaftliche Untersuchungen über die Folgen der Atomexplosionen anstellten und Proteste und Warnungen an die Regierungen richteten. Die meisten Friedensforschungs-Institute und Friedensforschungsgesellschaften, die es heute gibt, beruhen auf der Initiative einzelner Wissenschaftler. Die nichtstaatlichen Anfänge der Friedensforschung ließen nur wenige gut ausgestattete Institute entstehen. Die meisten Friedensforschungs-Institute werden aus privaten Spenden unterhalten und leben vom Idealismus ihrer Mitarbeiter. Die Ergebnisse der privaten Institute sind zwar am geringen Aufwand gemessen bedeutend, verglichen mit den wissenschaftlichen Erträgen der Rüstungsforschung, in die Milliardenbeträge investiert werden 160a), eher rührend. 1. Initiativen Schon vor Abwurf der ersten Atombomben legten sieben bedeutende Kernforscher dem US-Präsidenten den „Franck-Report" vor, in dem vor den politischen Folgen der Atombombe gewarnt wurde. Nach der Zerstörung Hiroshimas gründeten Atomwissenschaftler die Monatsschrift „The Bulletin of the Atomic Scientists", die bis heute eine wertvolle Dokumentation über Probleme der Atomrüstung ist. Bertrand Russell, Initiator zahlreicher Untersuchungen und Proteste, hielt am 28. November 1945 im britischen Oberhaus eine Rede, in der er die Zusammenarbeit aller Atomwissenschaftler der Erde forderte, um die Atom-kraft ausschließlich friedlicher Nutzung zuzuführen und in der er vorschlug, die Atombombe den Vereinten Nationen anzuvertrauen Der sogenannte „Baruch-Plan" der Vereinigten Staaten, der vorsah, einer internationalen Atomkraftbehörde das ausschließliche Recht der Nutzung der Kernenergie zu übertragen, scheiterte 1946 am Desinteresse der UdSSR.

Nach der Erprobung der Wasserstoff-Bombe am 1. März 1954, die eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen der mögliehen Folgen eines Wasserstoff-Bomben-Kriegs auslöste, wurde die von Wissenschaftlern angeführte Protest-Bewegung stärker. Auf Einladung des Grafen Bernadotte trafen sich Nobel-Preisträger auf der Insel Mainau im Bodensee (1955) und forderten den Verzicht auf Gewalt als Instrument der Außenpolitik. Linus Pauling entwarf eine Bittschrift an die Vereinten Nationen, in der er als ersten Schritt zur Abschaffung der Kernwaffen einen Vertrag über die Einstellung der Atombombenversuche forderte. 9235 Wissenschaftler schlossen sich dieser Forderung an, die im Januar 1958 dem UN-Generalsekretär überreicht wurde. Die Denkschrift wurde von zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Gefahren der überirdischen Atomversuche unterstützt. Die indische Regierung veröffentlichte 1956 eine wissenschaftliche Untersuchung über „Nuclear Explosions and their Effects". 1955 war bereits die heute noch tätige Pugwash-Konferenz gegründet worden, die im kanadischen Ort Pugwash als internationale Wissenschaftler-Runde zum ersten Mal zusammentrat, um über Rüstungskontrolle, Probleme im Zusammenhang mit internationalen Konflikten, Fragen der Entwicklungshilfe zu diskutieren. In den fünfziger Jahren nahm die Zahl der Veröffentlichungen über Friedensprobleme sprunghaft zu. Ein deutlicher Trend von moralisch-appellierenden Schriften zu soliden Dokumentationen machte sich bemerkbar. Erst im Dezember 1964 wurde in London die „International Peace Research Association" (IPRA) gegründet, auf der als bundesrepublikanisches Mitglied die „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V." vertreten war 73 Wissenschaftler aus 24 Ländern nahmen an der ersten Tagung der Vereinigung vom 3. — 5. Juli 1965 teil.

Neben der schon erwähnten „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V." mit Sitz in Hamburg gibt es in der Bundesrepublik außer zahlreichen Gesellschaften, die sich am Rande auch mit Friedensproblemen befassen, zwei wichtige und verdienstvolle Vereinigungen: die „Gesellschaft zur Förderung von Zukunftsund Friedensforschung e. V." in Hannover, deren Arbeit sich bisher auf die Veranstaltung von Tagungen und die Herausgabe der „Informationen" beschränken mußte, und die „Studiengesellschaft für Friedensforschung e. V." in München, die ihre Aufgabe darin sieht, Forschungsvorhaben der Friedenserziehung anzu-* regen und zu veröffentlichen, Dokumentationsmaterial zu sammeln und für die Publizistik und Pädagogik auszuwerten. Am 28. September 1968 wurde in Bonn eine „Arbeitsgemeinschaft für Friedens-und Konfliktforschung" gegründet, in der Einzelpersonen und alle Vereinigungen und Insitute zusammenarbeiten sollen, um den interdisziplinären Erfahrungsaustausch auszuweiten, Forschungsvorhaben anzuregen, Fachkonferenzen zu veranstalten, Dokumentationen zu erstellen und die Öffentlichkeit zu informieren. 2. Institute Johan Galtung hat mit Unterstützung der UNESCO eine Liste der im Jahre 1965 existierenden Friedensforschungs-Institute zusammengestellt. Sie enthält 58 Institute in 15 Ländern mit einem Gesamtpersonal von 1200 Personen In einer neueren Dokumentation nennt Galtung 70 Institutionen, die sich ganz oder teilweise mit der Friedensforschung befassen Eine Liste mit den Anschriften und Vorhaben von über 100 Instituten in aller Welt, die sich wissenschaftlich mit der Friedensproblematik und der Zukunftsforschung beschäftigen und Friedensforschung oder friedensrelevante Forschung betreiben, haben Karl Kaiser und Reinhard Meyers in der Friedensforschungs-Denkschrift im Auftrage der Stiftung Volkswagenwerk veröffentlicht 164a).

Die meisten Institute entstanden in den USA, auf Privatinitiative gegründet und zum Teil an Universitäten angeschlossen. Ich nenne als Beispiele bedeutender Institute in den USA „The Hoover Institution on War, Revolution and Peace, Stanford University/California", „Center for Research on Conflict Resolution, University of Michigan", „Institute of War and Peace Studies, Columbia University", weiterhin die Zukunftsforschungsinstitute, die friedensrelevante Forschung betreiben: „Hudson Institute, New York" und „RAND Corporation, Santa Monica/California“. Diese beiden Institute arbeiten kommerziell für private Auftraggeber und für die Regierung. Wichtige Institute sind das „Canadian Peace Research Institute" (CPRI) in Oakville/Ontario, in Europa das „Polemologisch Instituut" der Universität Groningen, das „Peace Research Institute" in Oslo (PRIO) und das Stockholmer Friedensforschungs-Institut SIPRI. Für die Dokumentation der Friedensforschung, die „Peace Research Abstacts" ist das kanadische Institut verantwortlich, das durch Spenden von kanadischen Firmen finanziert wurde. Das Osloer Institut unter Johan Galtung beschäftigt neben einem ständigen Stab von dreißig Wissenschaftlern auch zahlreiche Studenten. PRIO befaßt sich vor allem mit Problemen der Politikwissenschaft und der Soziologie im Zusammenhang mit der Friedensforschung. Der Themenkatalog der Forschungsvorhaben umfaßt Allgemeine Konflikttheorien, Soziale Aspekte der technischen Hilfe, Persönlicher Kontakt in Konfliktsituationen, der friedliche Gebrauch der militärischen Hilfsquellen, kultureller Konflikt und sozialer Wandel, Ursachen und Folgen von Rassenkonflikten, Rüstung, Abrüstung und Machtgleichgewicht, Intergesellschaftliche Folgen von Krieg und Frieden, Internationale Friedensstreitkräfte, nichtmilitärische Macht.

Claus Koch, von dem diese Informationen stammen, bemängelt die nicht ausreichend konkrete Themenstellung des Osloer Instituts, etwa im Vergleich zum Stockholmer Institut Das schwedische Institut wurde vor vier Jahren auf Anregung des damaligen Ministerpräsidenten Erlander gegründet. Es wird vom Staat finanziert, ist aber in seinen wissenschaftlichen und personellen Entscheidungen vollkommen frei. Der Vorstand besteht aus internationalen Wissenschaftlern. Zum Forschungsstab, der etwa 30 Wissenschaftler aller einschlägigen Bereiche umfaßt, gehören auch Amerikaner und Sowjetbürger. Das Institut befaßt sich im Augenblick mit folgenden Projekten: Atomenergie und Abrüstung, Jahrbuch über Rüstung und Abrüstung, Waffen-handel mit den Entwicklungsländern, Nachrichtensatelliten, Chemische und biologische Waffen, Inspektionen zur Verhinderung der Herstellung biologischer Waffen, Massenmedien, rechtliche, wirtschaftliche und militär-technische Implikationen der Nutzung des Meeres-grundes, seismische Methoden zur Überwachung unterirdischer Atomexplosionen 165a). Claus Koch hält SIPRA geeignet für das Modell eines Friedensforschungsinstituts in der Bundesrepublik.

Für strategische Probleme leistet „The Institute of Strategie Studies" in London in Ost und West geschätzte Arbeit. Die Veröffentlichungen des Instituts, vor allem die Jahresschrift „The Military Balance" sind Grundlagen für Friedensforschung und Politik. In der Bundesrepublik befassen sich verschiedene Institute mit Problemen der Friedensforschung. Ein spezielles Friedensforschungsinstitut gibt es noch nicht. Neben den erwähnten drei Gesellschaften sind zu nennen: „Forschungsinstitut für auswärtige Politik" in Bonn, „Stiftung Wissenschaft und Politik. Forschungsinstitut für internationale Politik und Sicherheit" in Ebenhausen/Isar, „Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft" in Heidelberg, „Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer" in Bonn und verschiedene Universitätsinstitute, die sich innerhalb der Fachrichtungen Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Völkerrecht mit Problemen der Friedensforschung beschäftigen

Nachdem Bundeskanzler Brandt, der sich in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28. Oktober 1969 ausdrücklich für die Förderung der Friedensforschung ausgesprochen hatte den Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker zu seinem Berater für Fragen der Friedensforschung berufen hat und im Rahmen der Max-Planck-Gesellschaft ein „Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt" errichtet wurde, zu dessen Leiter von Weizsäcker bestellt wurde, darf erwartet werden, daß die Friedensforschung in der Bundesrepublik aus der Kümmerexistenz privater Bemühungen zu einer öffentlich geförderten Einrichtung wird.

In einer Studie, die im Auftrag der Stiftung Volkswagenwerk entstand, stellt Karl Kaiser fest, daß trotz Erwähnung der Friedens-und Konfliktforschung im Forschungsbericht III (1969) des Bundesministeriums für Wissenschaftliche Forschung spezielle Förderungsmaßnahmen der Friedensforschung in der Bundesrepublik unterblieben. Kaiser setzt sich für ein Ubergangsprogramm ein, das aus der Errichtung kleinerer Institute für friedensrelevante Forschung, der Unterstützung von Einzelvorhaben sowie der Förderung eines bewußt als Ausbildungsstätte verstandenen Großforschungsinstituts bestehen könnte. Nach Kaiser sollte eine „Deutsche Stiftung für Friedensforschung" die Unabhängigkeit der Friedensforschung garantieren, ohne eine Monopolstellung zu begründen. Kaiser regt an, nach Erfüllung der Voraussetzungen in der BRD zwei Groß-Institute zu gründen mit nicht weniger als 50 hauptamtlich tätigen Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen. An einem der Institute sollte eine Datenbank eingerichtet werden, die alle Dokumente der Friedensforschung sammeln und allen interessierten Wisschenschaftlern zur Verfügung stellen sollte. Neben den Großforschungsinstituten sollten nach Kaisers Vorstellung zwei bis drei kleinere Institute entstehen. Für Berlin sieht er eine Hochschule für Friedensforschung vor, die nach einer Anregung des Geschäftsführers der „Arbeitsgemeinschaft für Friedens-und Konfliktforschung" Helmut Rosenfeld im ungenutzten ehemaligen Reichstagsgebäude untergebracht werden könnte.

Inzwischen ist bekanntgeworden, daß in West-Berlin bereits ein „Institut für Konflikt-und Friedensforschung", das von der Bundesregierung finanziert werden soll, in Zusammenarbeit mit den Universitäten entsteht. Im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft wird sich ein eigenes Referat mit der Förderung der Friedensforschung befassen. Eine Stiftung, wie sie Karl Kaiser anregte, wird noch im Jahre 1970 ins Leben gerufen.

Ich halte die Bedenken von Karl Kaiser gegen die sofortige Errichtung eines großen Friedensforschungsinstituts wegen unzulänglicher personeller Möglichkeiten in der Bundesrepublik und wegen der Anfangsschwierigkeiten der neuen Wissenschaft „Friedensforschung", die noch nicht überwunden sind, für durchaus berechtigt. Doch sollte meiner Meinung nach das in Gründung befindliche Berliner Institut durch ein großzügiges Gästeprogramm und durch die Vergabe von Forschungsstipendien an junge Wissenschaftler aus aller Welt sofort mit einer breit angelegten Forschungs-und Lehrtätigkeit beginnen.

Nach den internationalen Erfahrungen und ersten Forschungsergebnissen der Friedensforschung wäre ein deutsches Friedensforschungs-Institut mit drei Abteilungen wünschenswert: Dokumentation, Forschung und Pädagogik. Eine zentrale Dokumentation aller Forschungsergebnisse und Forschungsvorhaben ist für die Forschung unerläßlich. Die Dokumentationsstelle könnte den Anschluß der deutschen Friedensforschung an die internationalen Bemühungen herstellen und sollte auch der Politik und der der Publizistik als Informationszentrum zur Verfügung stehen. Die Forschungsvorhaben sollten sich mit möglichst bescheidenen, konkreten Themenstellungen befassen, etwa der Integrationsforschung, der Methoden und Wirkungen des „gewaltlosen Widerstandes" als Möglichkeit des Austra-gens von Konflikten (Demonstrationen, Proteste, Streiks etc.) Einstellungsänderungen durch Tourismus, Massenmedien und Schule.

Die Abteilung Pädagogik sollte in Theorie und Praxis neue Formen der Friedenspädagogik suchen. Dieter Senghaas hat in einem kritischen Aufsatz über die bisherigen Bemühungen einer Friedenspädagogik das Dilemma der Erziehung zum Frieden in einer friedlosen Welt dargestellt Bei enger Zusammenarbeit mit den Abteilungen Dokumentation und Forschung müßte es gelingen, über den bisher angebotenen individualpädagogischen Ansatz der Friedenspädagogik hinauszugelangen. Ein deutsches Friedensforschungs-Institut, das den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Abteilung Pädagogik legte, hätte die Chance, einen wichtigen, zukunftsträchtigen Beitrag zur inter-nationalen Forschung zu leisten. Denn weder in der Bundesrepublik noch in der Welt gibt es bisher überzeugende Anfänge einer Friedenspädagogik.

Die Schule, die von Milliarden von Menschen besucht wird, ist in ihrer Wirkung als meinungs-und einstellungsbildendes Massen-medium bisher viel zu wenig beachtet worden. Da die Friedensforschung nur sinnvoll ist, wenn sie — entweder direkt als Politikberatung oder besser noch indirekt über die Information der zu aktivierenden Staatsbürger — zur Politik wird, bietet sich die Schule im weitesten Sinne, vom Vorschulkindergarten bis zur Weiterbildung, als Anwendungsfeld an.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wilhelm Nestle, Der Friedensgedanke in der antiken Welt, Leipzig 1938.

  2. Hans P. Schmidt, Schalom. Die hebräisch-christliche Provokation, in: Weltfrieden und Revolution, hrsg. v. Hans Eckehard Bahr, Hamburg 1968, S. 185.

  3. In: Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, Stuttgart o. J., S. 135.

  4. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff. Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, hrsg. v. Iring Fetscher, Neuwied und Berlin 1966, S. 134 f.

  5. Siehe Wilhelm Weischedel, Der Friede als philosophisches Postulat, in: Der Friede als Gegenstand der Forschung, Loccumer Protokolle, Loccum 1967, S. 17— 19.

  6. Siehe Weischedel, a. a. O., S. 21.

  7. Albert Schnez, Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres, in: Der Spiegel, 24. Jg., Heft 1/2, Hamburg 1970, S. 23.

  8. Siehe Weischedel, a. a. O., S. 23.

  9. Siehe Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, Donauwörth 1967, S. 86.

  10. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in: Kant-Paperbackausgabe,

  11. Siehe Kurt von Raumer, Ewiger Friede, Freiburg-München 1953.

  12. In: Europa-Gesetze II, München o. J., S. 104.

  13. Dieter Senghaas, Zur Pathologie organisierter Friedlosigkeit, in: Friedensforschung, hrsg. v. Ekkehart Krippendorff, Köln-Berlin 1968, S. 245.

  14. Vgl. Peter Menke-Glückert, Friedensstrategien, Hamburg 1959, S. 159: „Nach einer Aufstellung des amerikanischen Abrüstungsamtes ist die 1968 in der Welt für Rüstung aufgebrachte Summe mit 820 Miliarden DM größer als der Jahresdurchschnitt der Verteidigungsausgaben während des Ersten Weltkrieges und übertrifft die Beträge, die im Durchschnitt in den ersten drei Jahren des Zweiten Weltkrieges aufgewandt wurden."

  15. Eva Knobloch und Dieter Senghaas, Ausgewählte Bibliographie zur Friedensforschung, in: Friedensforschung, a. a. O. r S. 559— 589; zur Ergänzung sei hingewiesen auf eine Spezialbibliographie „Erziehung für den Frieden", hrsg. von der Studiengesellschaft für Friedensforschung e. V., München 1968, bearbeitet von Mr. R. Löbner, hektografiert.

  16. Vgl. Doris Dreitzel, Die Bundesregierung und ihre Wissenschaftler, in: Atomzeitalter, Heft 10, Franktfurt 1966, S. 296.

  17. Mari Holmboe Ruge, Present Trends in Peace Research, in: Proceedings, First General Conference, International Peace Research Association, Groningen 1965; referiert von Johan Galtung, Frindensforschung, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 520 f.

  18. Ernst-Otto Czempiel (Herausgeber), Die Lehre von den internationalen Beziehungen, Darmstadt 1969, S. VIII: „Wissenschaftstheoretisch wie wissenschaftshistorisch ist die Wissenschaft von den internationalen Beziehungen mit Friedensforschung identisch.“

  19. Hanna und Alan Newcombe, Friedensforschung in aller Welt, in: Zukunfts-und Friedensforschung, Information 1/1965, Hannover 1965, S. 5.

  20. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Frankfurt 1969, S. 230.

  21. Anita Karsten, Methoden zur Erforschung von Gruppenbeziehungen, in: Internationale Beziehungen, hrsg. v. Dieter Danckwortt, Frankfurt/Main 1966, S. 43— 50.

  22. Michael Haas, Krieg und gesamtgesellschaftliche Bedingungen, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 56.

  23. Quincy Wright, Die Geschichte des Krieges, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 32.

  24. William D. Coplin, Inter-Nation Simulation and Contemporary Theories of International Relations, in: Die Lehre von den internationalen Beziehungen, a. a. O., S. 301— 337.

  25. S. Eva Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, Studien zur Friedensforschung 2, Stuttgart 1969.

  26. Eugen Kogon, in: Die politischen Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen. Gesamtprotokoll der Konferenz von Waldleiningen v. 10. und 11. Sept. 1949, Wiesbaden o. J. (1949), S. 96.

  27. S. o.

  28. „Die Politikwissenschaft hörte auf, eine Wissenschaft zu sein, wenn sie das Wort . Gemeinwohl'unkritisch verwenden wollte." Ernst Fraenkel, Die Wissenschaft von der Politik und die Gesellschaft, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 8. Jg. 1963, S. 274.

  29. C. Wright Mills, Die Konsequenz, München 1959, S. 157 f.; zitiert nach Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität, Frankfurt/M. 1969, S. 107.

  30. Johan Galtung, Frieden und Friedensforschung, in: Internationale Beziehungen, a. a. O., S. 16.

  31. S. S. 11 dieser Arbeit; vgl. Ralf Dahrendorf, Die Funktion sozialer Konflikte, in: Ralf Dahrendorf, Pfade aus Utopia, München 1967, S. 263— 277.

  32. Hans J. Haferkorn, Der Friede. Eine Kategorie politischen Verstehens und Handelns, I, in: Volkshochschule im Westen, Heft 4, Marl 1966, S. 207.

  33. Hans J. Haferkorn, Der Friede. Eine Kategorie politischen Verstehens u. Handelns, III, in: Volkshochschule im Westen, Heft 6, Marl 1966, S. 315.

  34. S. das Kapitel „Das Industriesystem und der Kalte Krieg", in: John Kenneth Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, München — Zürich 1968, S. 363— 381.

  35. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, a. a. O„ S. 228.

  36. Johan Galtung, Frieden und Friedensforschung, in: Internationale Beziehungen, a. a. O., S. 16.

  37. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität, a. a. O., S. 108.

  38. Vgl. Carl Friedrich von Weizsäcker, Bedingungen des Friedens, Göttingen 1964, S. 13.

  39. Vgl. Arno Plack, Die Gesellschaft und das Böse. Eine Kritik der herrschenden Moral, München 19694, vor allem S. 328— 334.

  40. Margaret Mead, Die Psychologie des Menschen in einer Welt ohne Krieg, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 154 f.

  41. Johan Galtung, Frieden und Friedensforschung, a. a. O., S. 29: „Friedensforschung... ist in ihrer Konzeption und in ihrer Institutionalisierung interdisziplinär — dies schließt ein, daß keine Disziplin oder Methodenlehre auf Kosten der anderen bevorzugt und daß allen möglichen Ansätzen eine Chance gegeben wird."

  42. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bonn 196617, S. 888.

  43. Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, in: Sigmund Freud, Das Unbewußte. Schriften zur Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1963, S. 384: „Die Existenz dieser Aggressionsneigung, die wir bei uns selbst verspüren können, beim anderen mit Recht voraussetzen, ist das Moment, das unser Verhältnis zum Nächsten stört und die Kultur zu ihrem Aufwand nötigt. Infolge dieser primären Feindseligkeit der Menschen gegeneinander ist die Kulturgesellschaft ständig vom Zerfall bedroht."

  44. Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, Wien 1963, S. 68 u. S. 134. Hier ist die Aggressivität „Motor" aller anderen Triebe.

  45. Vgl. Anm. 40.

  46. Sigmund Freud, Brief an Albert Einstein v. September 1932, in: Sigmund Freud, Das Unbewußte, a. a. O., S. 423 f.

  47. S. Georg Picht, Prognose, Utopie, Planung, Stuttgart 1967, S. 44: „Auf absehbare Zeit wiid in der technischen Welt der Friede nur durch Terror und durch die Übermacht privilegierter Nationen zu erhalten sein."

  48. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 132.

  49. Verstärken oder verringern sich die Bedingungen für Aggressivität? Die Rolle der Gewalt in der modernen Gesellschaft, 33. Tagung der „Bergedorfer Gespräche" am 21. Juli 1969, Hamburg 1969, S. 14 f.

  50. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 120.

  51. Arthur Gladstone, The Conception of the Enemy, in: Conflict Resolution III/1959, S. 132— 137.

  52. Die Bedeutung der Propaganda für die Erzeugung von Kriegsbereitschaft und Aggressivität gegenüber anderen Staaten und einzelnen Gruppen (Juden, Freimaurer, Adelige etc.) ist bisher nicht überzeugend dargestellt worden. Alfred Sturminger, 3000 Jahre politische Propaganda, Wien — München 1960, bringt wenig überzeugende historische Beispiele für Propaganda und Nadirichtenmanipulation. Ein Beispiel künftiger Forschungen ist das Gutachten von Peter Brückner über den Einfluß der Berliner Zeitungen auf die Einstellung der Berliner Bevölkerung zu den Studenten, vorgelegt im Prozeß gegen den Rechtsanwalt Horst Mahler, in: Berliner Extradienst, Nr. 11, 12, 13, 14, Berlin 1970.

  53. Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, Frankfurt/M. 1968, S. 10.

  54. Vgl. Werner Levi, über die Ursachen des Krieges und die Voraussetzungen des Friedens, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 185.

  55. S. d. folgenden Abschnitt dieser Arbeit.

  56. Michael Haas, Krieg und gesamtgesellschaftliche Bedingungen, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 47 bis 49.

  57. Michael Haas, a. a. O., S. 65.

  58. In Your Opinion — Leaders and Voters Attitudes on Defense and Disarmament, Canadian Peace Research Institute, Clarkson/Ontario 1968, nach: Peter Menke-Glückert, Friedensstrategien, Hamburg 1969, S. 116.

  59. S. Abschnitt III, 2 f dieser Arbeit.

  60. Christian Graf von Krockow, Zur Soziologie des Friedens, Braunschweig 1966, S. 14 f.

  61. Otto Heinrich von der Gablentz, Warum gibt es keine westliche Ideologie?, in: Otto Heinrich von der Gablentz, Der Kampf um die rechte Ordnung. Beiträge zur politischen Wissenschaft, Köln und Opladen 1964, S. 282.

  62. Vgl. Sven G. Papcke, Weltrevolution als Friede, in: Weltfrieden und Revolution, a. a. O., vor allem S. 32— 41.

  63. Zitiert in: Rolf Breitenstein, Amerika auf neuem Kurs?, Düsseldorf — Wien 1969, S. 208.

  64. Die Welt, Hamburg, Nr. 19 v. 23. Januar 1970, S. 1.

  65. Friedrich Engels, Grundsätze des Kommunismus, Marx-Engels-Ausgabe, Werke Bd. IV, S. 375.

  66. Nikita Chruschtschow, Rechenschaftsbericht an die Partei und das Volk, Moskau 1961, S. 37.

  67. S. o.

  68. Paul-Henri Spaak, Warum NATO?, Berlin 1959, S. 38.

  69. Zitiert nach Klaus Mehnert, Peking und Moskau, München 1964, S. 447.

  70. Vgl. Klaus Mehnert, a. a. O., S. 445- 448.

  71. Ursula Schmiederer, Die sowjetische Theorie der friedlichen Koexistenz, Frankfurt 1968, S. 10.

  72. Vgl. J. P. Franzew, Kommunismus — heute und morgen, Wien — Frankfurt — Zürich 1965.

  73. Werner Levi, Uber die Ursachen des Krieges und die Voraussetzungen des Friedens, in: Friedens-forschung, a. a. O., S. 182.

  74. Wilhelm Fucks, Formeln zur Macht, Stuttgart 1965, S. 182 ff.

  75. Herman Kahn und Anthony Wiener, Ihr werdet es erleben. Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000, Wien — München — Zürich 1968, S. 161.

  76. Rainer Waterkamp, Die Entwicklungsländer und die Friedenssicherung, Hannover 1967, S. 34.

  77. Vgl. Fritz Baade, Der Wettlauf zum Jahre 2000, Oldenburg 1960.

  78. In: Franz R. Franke und Heinz Grosche, Wege zum Weltfrieden, Völkerbund, UNO, Abrüstung, Frankfurt/M. 1967, S. 97 f.

  79. Vgl. Herbert von Borch, Friede trotz Krieg, München 1966, S. 11.

  80. Vgl. Guido Brunner, Die Friedenssicherungsaktionen der Vereinten Nationen in Korea, Suez, im Kongo, in Zypern und im Gaza-Streifen, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 439— 476.

  81. S. Anm. 80.

  82. Vgl. Helmut Schmidt, Verteidigung oder Vergeltung, Stuttgart 1961, S. 28.

  83. Vgl. Herman Kahn, Eskalation, Berlin 1966.

  84. Peter Menke-Glückert, Friedensstrategien, a. a. O„ S. 159.

  85. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts, Stuttgart 1969, S. 79.

  86. Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 19644, S. 219.

  87. Emile Benoit and Harold Lubell, The World Burden of National Defense, in: Disarmament and World Economic Interdependence, Oslo 1957, S. 29— 59.

  88. Vgl. Peter Menke-Glückert, Friedensstrategien, a. a. O., S. 193.

  89. In: Julius Duscha, Arms, Money and Politics, New York 1965, S. 2.

  90. John Kenneth Galbraith, Das Industriesystem und der Kalte Krieg, in: John Kenneth Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, München-Zürich 1968, S. 366.

  91. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Frankfurt/M. 1969, S. 84.

  92. Jerome B. Wiesner und Herbert F. York, Keine Verteidigung möglich, in: Atomzeitalter Frankfurt, Heft 12/1964, S. 336.

  93. The Military Balance 1968/69, hrsg. v. Institute for Strategie Studies, London 1968.

  94. Vgl. Walter Nielsen, Was ist SALT — strategisch und politisch?, in: Außenpolitik, Freiburg Heft 9/1969, S. 537 ff.

  95. Vgl. Ole R. Holsti, Richard A. Brody, Robert C. North, Das Messen von „Affekt" und „Aktion" in internationalen Reaktionsmodellen. Empirische Materialien über die Kuba-Krise von 1962, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 413— 438.

  96. Vgl. William D. Coplin, Inter-Nation Simulation and Contemporary Theories of International Relations, in: Die Lehre von den internationalen Beziehungen, a. a. O., S. 301— 337.

  97. Oskar Morgenstern, Spieltheorie und Wirtschaftswissenschaft, Wien-München 1963; ders., Strategie heute, Hamburg 1959.

  98. Anatol Rapoport, Tolstoi und Clausewitz, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 99.

  99. Hermann Kahn, On Thermonuclear War, Princeton 1960; ders., Eskalation. Die Politik der Vernichtungsspirale, Berlin 1966; ders.: Thinking about the Unthinkable, New York 1962.

  100. Karl W. Deutsch, Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven, Freiburg 1969, S. 120 f.

  101. Thomas C. Schelling, The Strategy of Conflict, Cambridge 1960.

  102. Wilhelm Cornides, Das amerikanische Sicherheitsdenken und die Friedenspolitik der freien Welt, in: Strategie der Abrüstung, Gütersloh 1962, S. 470.

  103. S. Sidney Verba, Simulation, Reality, and Theory in International Relations, in: World Politics, Bd. 16 Nr. 3, Princeton (N. J.) 1964, S. 490 ff.

  104. Hartmut von Hentig, Frieden durch Politik. Ein Modell für einen neuen politischen Unterricht aus den USA, in: Zukunfts-und Friedensforschung, Information 4/1966, Hannover, S. 76— 83.

  105. Eberhard Menzel, Abrüstung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Die amerikanischen und sowjetischen Vorschläge für eine allgemeine und vollständige Abrüstung und die Atomsperrverträge bis 1967, Göttingen 1967, S. 9— 70.

  106. Amitai Etzioni, Der harte Weg zum Frieden. Eine neue Strategie, Göttingen 1965, S. 125.

  107. Vgl. Otto Kimminich, Völkerrecht im Atomzeitalter. Der Atomsperrvertrag und seine Folgen, Freiburg i. Br. 1969, S. 124 f.

  108. Helmut Schmidt, Verteidigung oder Vergeltung, a. a. O., S. 151.

  109. Atomwaffensperrvertrag. Textausgabe englisch und deutsch, hrsg. v. Hans Fischerhof, Baden-Baden 1969, S. 59.

  110. Helmut Schmidt gibt Hinweise für die weitere technische Entwicklung der Waffen, die auf ABM folgen müssen, um das Gleichgewicht zu erhalten; vgl. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts, a. a. O., S. 56— 61.

  111. Vgl. Roter Stern, in: Der Spiegel, 24. Jg. Nr. 6, Hamburg 1970, S. 94—HO.

  112. Die Welt, Hamburg, Nr. 19 v. 23. Januar 1970, S. 1.

  113. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts, a. a. O., S. 61.

  114. Z. B. Amitai Etzioni, Der harte Weg zum Frieden, a. a. O.

  115. Z. B. Erich Fromm, Argumente zur einseitigen Abrüstung, in: Strategie der Abrüstung, a. a. O., S. 209. Fromm begründet seinen als Denkanstoß gemeinten Vorschlag einseitiger Abrüstung mit der Behauptung, das Risiko des einseitigen Waffenverzichts sei geringer als weiterer Rüstungswettlauf. Der Zirkel von Drohung und Gegendrohung zur Bewahrung des Friedens ist nach Meinung Fromms nur durch eine radikale einseitige Abrüstung zu durchbrechen.

  116. Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, a. a. O., S. 219.

  117. Ossip K. Flechtheim, Die radikale Alternative, in: Ossip K. Flechtheim, Eine Welt oder keine, Frankfurt 1964, S. 247.

  118. Peter Menke-Glückert, Friedensstrategien, a. a. O., S. 141,

  119. Otto Kimminich, Völkerrecht im Atomzeitalter, a. a. O., S. 16.

  120. G. Scelle, Ins ad bellum et ius in bello, in: Varia iuris gentium, Leiden 1959.

  121. Hans von Hentig, Der Friedensschluß, München 1965.

  122. Genfer Konvention von 1864, 1. Haager Friedenskonferenz 1899.

  123. Vgl. Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, a. a. O., S. 86.

  124. Vgl. auch die Lehre Gentilis, S. 4 dieser Arbeit. Lenin erklärte im September 1916: „In solchen Fällen (Streben der Bourgeoisie anderer Länder, den Sozialismus zu zerschmettern) wäre ein Krieg unsererseits legitim und gerecht, es wäre ein Krieg für den Sozialismus, für die Befreiung anderer Länder von der Bourgeoisie ...". W. Lenin, Das Militärprogramm der Proletarischen Revolution, in: Sämtliche Werke, 4. (deutsche) Ausgabe, Bd. 13, Berlin, S. 74.

  125. F. R. Francke und H. Grosche, Wege zum Weltfrieden, a. a. O., S. 8 f.

  126. Vgl. Hans Jürgen Schlochauer, Das Problem der Friedenssicherung in seiner ideengeschichtlichen und völkerrechtlichen Entwicklung, 1946, und Karl Erich Bonn, Von der Reichsgründung bis Zum ersten Weltkrieg, in: Bruno Gebhardt (Hrsg.), Handbuch der deutschen Geschichte, Stuttgart 19608, S. 284.

  127. Kurt Rabl, Die Völkerrechtsgrundlagen der modernen Friedensordnung, Hannover 1967, S. 25.

  128. Vgl. Kurt Rabl, a. a. O., S. 59— 67.

  129. „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Anwendung von Gewalt." Art. II. 4 der Charta der Vereinten Nationen, in: Zusammenschlüsse und Pakte der Welt, zusammengestellt von Heinrich Siegler und Hans-wilhelm Haefs, Bonn-Wien-Zürich 1969, S. 109.

  130. Art. XI. 26, a. a. O.

  131. Carl Friedrich von Weizsäcker, Bedingungen des Friedens, Göttingen 1964, S. 7: „Der Weltfriede ist notwendig . . . Wir werden in einem Zustand leben, der den Namen Weltfrieden verdient, oder wir werden nicht leben."

  132. Kurt Sontheimer, Erfordert das Atomzeitalter eine neue politische Wissenschaft?, in: Aufgabe und Selbstverständnis der politischen Wissenschaft, hrsg. v. Heinrich Schneider, Darmstadt 1967, S. 251.

  133. Vgl. Eva Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, Stuttgart 1969, S. 26 f.; Oscar Newfang, World Government, New York 1942; Mortimer Adler, How to Think about War and Peace, New York 1944; Emery Reves, The Anatomy of Peace, New York 1945, dt.: Die Anatomie des Friedens, Zürich 1947.

  134. Vgl. Hanna Newcombe, Alternative Approaches to World Government, Peace Research Reviews, Band 1, Nr. 1, Clarkson/Ontario 1967.

  135. Ist eine Weltregierung möglich?, Frankfurt 1951.

  136. Vgl. Eva Seenghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, a. a. O., S. 29 f.

  137. Grenville Clark and Louis B. Sohn, World Peace through World Law, Cambridge 1958.

  138. Cambridge 1967. Die 2. Auflage erschien deutsch: Frieden durch ein neues Weltrecht, Frankfurt/M. 1961.

  139. David Mitrany, The Functional Approach to World Government, in: A Working Peace System, Chicago 1966, S. 149 ff.

  140. O. Bogdanov, in: World Föderalist 1969, S. 14— 16, zitiert nach: Eva Senghaas-Knobloch, a. a. O., S. 36.

  141. Inis Claude, Swords into Plowshares, New York, 1964, S. 388.

  142. Hans Ekkehard Bahr, Frieden ohne Revolution?, in: Weltfrieden und Revolution, a. a. O., S. 8. Im Bergedorfer Gespräch Nr. 24 im November 1966 erklärte Carl Friedrich von Weizsäcker: „Mit meiner Formulierung der Bedingungen für eine stabile Ordnung. . . meine ich eine Ordnung, in der es nur noch Innenpolitik gibt und anstelle der Außenpolitik nur Polizei." Bergedorfer Protokolle, Nr. 24, Hamburg 1966, S. 19. Georg Picht schreibt in seinem Buch „Prognose, Utopie, Planung", Stuttgart 1967, S. 44: „Auf absehbare Zeit wird in der technischen Welt der Friede nur durch Terror und durch die Übermacht privilegierter Nationen zu erhalten sein'"

  143. Carl Friedrich von Weizsäcker, Bedingungen des Friedens, a. a. O., S. 7,

  144. Carl Friedrich von Weizsäcker, Bergedorfer Gesprächskreis, Protokoll Nr. 24, a. a. O., S. 13.

  145. Carl Friedrich von Weizsäcker, Friede und Wahrheit, in: Frieden, hrsg. v. Friedebert Lorenz, Stuttgart 19682, S. 77.

  146. Hans Ekkehard Bahr, Frieden ohne Revolution, a. a. O., S. 10.

  147. Carl Friedrich von Weizsäcker, Das ethische Problem der modernen Strategie, in: Carl Friedrich von Weizsäcker, Der ungesicherte Friede, Göttingen 1969, S. 107.

  148. Johan Galtung, über die Zukunft der internationalen Systems, in: Futurum, Zeitschrift für Zukunftsforschung, Band 1, Heft 1, Meisenheim am Glan 1968, S. 73 ff.

  149. Georg Picht, Mut zur Utopie. Die großen Zukunftsaufgaben, München 1969, S. 38.

  150. Johan Galtung, a. a. O., S. 115.

  151. Siehe Anm. 149.

  152. Johan Galtung, a. a. O., S. 76.

  153. Nach Eva Senghaas-Knobloch, a. a. O., S. 62.

  154. Z. B. Quantitative International Politics, New York 1968.

  155. Harold Guetzkow, Multiple Loyalties, Princeton 1055, zit. nach Eva Senghaas-Knobloch, a. a. O., S. 167.

  156. Vgl. Robert C. Agnell, Auf dem Weg zum Frieden, in: Friedensforschung, a. a. O., S. 537— 557.

  157. Vgl. das Kapitel „Dimensionen und Variablen von Integration", in: Eva Senghaas-Knobloch, a. a. O., S. 178— 186, dort Literaturangaben.

  158. Eva Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, a. a. O.

  159. Amitai Etzioni, Der harte Weg zum Frieden, a. a. O., S. 191.

  160. Bertrand Russell, Hat der Mensch noch eine Zukunft? Bestandsaufnahme und Mahnung, München 1961, S. 25.

  161. Klaus Gottstein, Die International Peace Research Association, in: Zukunfts-und Friedens-forschung, Information 2/1965, Hannover, S. 21 f.

  162. Hanna Newcombe und Alan Newcombe, Friedensforschung in aller Welt, in: Zukunfts-und Friedensforschung, Information 1/1965, Hannover, S. 5.

  163. Johan Galtung, Friedensforschung, in: Friedens-forschung, a. a. O., S. 520.

  164. Claus Koch, Wege der Friedensforschung. Ein kritischer Vergleich der verschiedenen Forschungsrichtungen, Sendung im Deutschlandfunk, Köln am 26. 12. 1969, Manuskript S. 20.

  165. Dieter Senghaas, Friedensforschung in der Bundesrepublik, in: Atomzeitalter, Heft 6/7 1968, Frankfurt, S. 380 f.

  166. Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28. Oktober 1969. Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn 1969, S. 26.

  167. Vgl. Weizsäcker als Berater für Friedens-forschung, in: Frankfurt Allgemeine Zeitung für Deutschland v. 1. November 1969.

  168. Theodor Ebert, Gewaltfreier Aufstand, Freiburg i. Br. 1968.

  169. Dieter Senghaas, Die Erziehung zum Frieden in einer friedlosen Welt, in: Die pädagogische Provinz, Frankfurt 1968, S. 440 ff.

  170. Zu nennen wären drei Werke, die über den individualpädagogischen Ansatz nicht hinausgelangen, aber wertvolle Vorarbeit für eine Friedens-pädagogik leisten: Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, a. a. O.; Hans-Joachim Gamm, Aggression und Friedensfähigkeit in Deutschland, München 1968; Dieter Danckwortt, Erziehung zur internationalen Verständigung, München 1965.

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Rainer Ka, bel, Dr. phil., geb. 27. November 1936, Städt. Volkshochschuldirektor in Gelsenkirchen und Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft (Internationale Beziehungen) an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Abteilung Dortmund. Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk zu Themen aus den Bereichen Futurologie, Politische Kybernetik, Theorie der Demokratie.