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Parteien, Programme und „Entideologisierung" Zur Analyse von Parteiprogrammen | APuZ 8/1970 | bpb.de

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APuZ 8/1970 Parteien, Programme und „Entideologisierung" Zur Analyse von Parteiprogrammen Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat

Parteien, Programme und „Entideologisierung" Zur Analyse von Parteiprogrammen

Joachim Raschke

/ 51 Minuten zu lesen

I. Parteien in den westlichen Demokratien

Rudolf Morsey: Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat ............................... S. 25

Die Entstehung von Parteiorganisationen ist in den westeuropäischen Demokratien geknüpft an die Ausweitung des Stimmrechts auf die Arbeiterklasse. Einerseits kehren im Kampf für das allgemeine Stimmrecht die bürgerlichen Forderungen nach Freiheit und Gleichheit — gerichtet gegen Monarchie und Adel — wieder, andererseits ist die Erweiterung des Stimmrechts — wie immer die Gewährung politischer Rechte für aufbegehrende unterprivilegierte Gruppen — aus der Perspektive der Herrschenden ein Mittel der Pazifizierung und der Integrierung der Beherrschten. Die Unterprivilegierten dagegen hofften, mit dem Stimmzettel unblutig nach und nach die Macht zu gewinnen, um dann die Gesellschaft zu verändern.

Die Ausweitung des Wahlrechts und die Notwendigkeit, eine Massenwählerschaft zu gewinnen, brachten zwei sehr unterschiedliche Parteitypen hervor. 1. Die bürgerlichen Parteien waren weitgehend Honoratiorenparteien: geringe Mitgliedschaft, schwache Organisation, Herrschaft der Honoratioren, relativ geringe Bedeutung von Programmfragen. Sie waren Wählerparteien, das heißt, ihr wichtigster Zweck bestand darin, in Wahlkämpfen Wählerstimmen zu mobilisieren; zwischen den Wahlen lagen Initiative, kontinuierliche Aktivität und Macht bei den Parlamentsfraktionen. 2. Als politische Vertretung der unterprivilegierten Gesellschaftsklasse entstand der Typ der Massenpartei (auch Klassen-, Welt-anschauungsoder Integrationspartei genannt). Diese Partei spielte für die Arbeiterklasse eine viel umfassendere Rolle als die Honoratiorenpartei für die bürgerliche Klasse: Sie war —• neben den Gewerkschaften — Motor und Garant der Befreiung. Die sozialistische Arbeiterpartei griff tief auch in das private Leben der Arbeiter ein. Zu ihren Funktionen zählten:

Entwurf und Konkretisierung eines Gegenbildes zur bestehenden Gesellschaft; Festlegung von Strategie und Taktik; Initiative und Führung von Massenaktionen; Bewußtseinsbildung der Mitglieder und der arbeitenden Massen;

allgemeine Erziehungsaufgaben („Arbeiterbildung"); Integration in die Arbeiterbewegung z. B. durch Freizeitorganisationen.

Der Gegensatz der Parteien war nicht zu lösen von den gesellschaftlichen Bedingungen der Parteimitglieder und -Wähler, er war vielmehr die unmittelbare Übersetzung der sozialökonomischen Konflikte in die Politik. Die Ungleichheit an wirtschaftlicher und politischer Verfügungsgewalt (Macht) und die Ungleichheit an Vermögen, Einkommen, Bildung etc. fanden ihren Ausdruck im Typ und in den Programmen der Parteiorganisationen. Politische Auseinandersetzung stellte immer auch die gesellschaftlich Herrschenden und die gesellschaftlich herrschenden Werte in Frage: Das bestimmte die Totalität und die Intensität des politischen Konflikts.

Schwieriger sind in das konträre Muster bürgerlicher und sozialistischer Parteien die katholischen Parteien (in Deutschland das Zentrum) und Parteien der nationalen Minderheiten (in Deutschland z. B. Polen und Elsaß-Lothringer) einzuordnen. Bei ihnen ist der dominante sozialökonomische Konflikt gebrochen durch Konfession und Nationalität, was zur Verwischung der sozialökonomischen Konfliktgrenze führt. Nach der liberalen Konzeption setzt der Staat nur die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens: Er garantiert mittels einer Armee Sicherheit nach außen und mittels Polizei und Gerichten Ruhe und die Ordnung des Eigentums und des Wettbewerbs nach innen. Die freie Marktwirtschaft sollte allen Wirtschaftssubjekten den größten Nutzen bringen. Die katastrophale Lage der arbeitenden Klasse enthüllte dies als Ideologie. In einigen Staaten (z. B. Deutschland) begann der Staat gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Sozial-gesetzgebung. Aber erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich der Staat zum interventionistischen Staat der Daseinsvorsorge In dem Maße, wie der Staat auf die Gesellschaft übergreift, bemächtigt sich auch die Gesellschaft des Staates: Der „Verstaatlichung der Gesellschaft" entspricht die „Vergesellschaftung des Staates". Die Interessengruppen wenden sich mit ihren Forderungen direkt an den Staat, die Parteien besetzen die Schaltstellen des staatlichen Apparats.

Man könnte annehmen, daß die ständige Ausweitung staatlicher Tätigkeit und die Lenkung des Staates durch Parteivertreter die Chancen derjenigen Massenparteien erhöhte, die auf Gesellschaftsveränderung abzielten. Tatsächlich errangen auch die politischen Vertretungen der gesellschaftlichen Unterschichten vorübergehend die politische Macht: z. B. in Deutschland 1918/19, in Frankreich in der Volksfrontregierung 1936 bis 1938, in den skandinavischen Staaten sogar für mehrere Jahrzehnte, in England 1945 bis 1951. Was während solcher Regierungsphasen linker Parteien erreicht wird, ist die Durchsetzung partieller Reform: Reformen der Sozialpolitik und der Bildungspolitik; teilweise gelingen sogar Einbrüche in die Wirtschaftsstruktur (Verstaatlichung), jedoch bleibt die privatkapitalistische Produktionsweise — Hauptpunkt der Kritik — im Prinzip unangetastet. Im Gegenteil: Durch die staatliche Subventions-, Steuer-und Rüstungspolitik werden die Bedingungen für die Fortführung dieser Produktionsweise mitgeschaffen. Die Art der produzierten Güter und die Stellung der Menschen im Produktionsprozeß bleiben weitgehend den privaten Eigentümern bzw.den „Managern" überlassen. Die

Mittel für notwendige gesellschaftliche Aufgaben (Bildung, Gesundheitsdienste etc.) bleiben unzureichend.

Dieses Steckenbleiben einer radikalen Alternative hat viele Gründe (vgl. auch die „Ent-

ideologisierungs" -Diskussion, S. 18 ff.). Für die Parteien ist zunächst ihre Fixierung auf den staatlichen Machtapparat zu nennen. Besonders deutlich wurde das 1918/19 in Deutschland, wo die SPD als die stärkste Arbeiterpartei Initiativen der gesellschaftlichen Machtübernahme in einer revolutionären Situation bremste, um sich „zunächst" der Ingangsetzung des politischen Apparats zu widmen. Spätere Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien hatten dann eher Defensiv-charakter, als daß sie einer Umgestaltung der Gesellschaft dienen konnten.

Ein anderes Hindernis lag in der Tatsache relativ kurzer Zeitabstände zwischen den Wahlen. Gesellschaftsänderungen können kaum in kurzer Zeit — für viele erkennbar — erfolgreich sein. Nun wirkten die sozialistischen Parteien in Gesellschaften, deren Erziehungsinstanzen die herrschenden Werte vermittelten und deren öffentliche Meinung — abgesehen von der schwachen und isolierten Arbeiterpresse —-gegen sie Stellung nahm. Das führte — in Sorge um die Erneuerung der parlamentarischen Mehrheit — zur Zurückhaltung bei den Reformen. Auch kann die private Wirtschaft durch Kapitalflucht, Verringerung von Investitionen, Preiserhöhungen etc. die Konjunktur so beeinflussen, daß — bei dem starken Zusammenhang, der zwischen Konjunktur und Wählerverhalten besteht — eine linke Mehrheit rasch zerfällt.

Wo demokratische Werte historisch verwurzelt waren, konnten linke Parteien zwar zeitweise Regierungen bilden, sie wurden aber auch in das jeweilige politische System integriert, steckten ihre programmatischen Ziele zugunsten der bestehenden Herrschaftsverhältnisse zurück und waren allenfalls in Teil-reformen erfolgreich. Wo demokratische Werte nicht historisch verwurzelt waren, traditionelle Führungsgruppen sich in ihrer Herrschaft bedroht sahen und ein Sieg der Linken zumindest möglich schien, wurde — mit oder ohne Hilfe faschistischer Massenorganisationen — ein faschistischer Staat errichtet (Italien 1922, Deutschland 1933, Spanien 1936 bis 1939, Griechenland 1967).

In den westlichen Demokratien eroberten bisher die Parteien den Staatsapparat, ohne die Klassenstruktur der Gesellschaft und den Profitmechanismus der Wirtschaft erschüttern zu können. „Während aber der Staat zum Objekt der Parteien wird, werden diese zugleich zunehmend zu Objekten des Staates — zu Quasi-Staatsparteien." Ihre verfassungsrechtliche Anerkennung — besonders ausgeprägt in der Bundesrepublik — bestätigt einerseits ihre politische Machtposition in der modernen Demokratie, verschärft andererseits aber die Gefahr, daß sich die Parteien von gesellschaftlichen zu staatlichen Organisationen wandeln.

Die wirkliche politische Macht hat sich auf wenige Stellen konzentriert. Das Entscheidungszentrum liegt in der Regierung. Am Entscheidungsprozeß sind in hervorragender Weise beteiligt: die Ministerialbürokratie, einflußreiche Interessenverbände, Vertreter von Großunternehmen und die Führungsgruppe(n) der die Regierung tragenden Parlamentsfraktionfen). Fraktionsführung, Regierung und — auf dem Wege der Patronage — viele Stellen der Ministerialbürokratie sind von den Parteien besetzt. Diese „ Gewaltenvereinigung" kommt aber nicht „den Parteien", sondern dn Parteiführungen zugute, die staatliche und Parteiämter in Personalunion auf sich vereinen und die diese Positionen wechselseitig zur Sicherung der Macht benutzen können — vor allem bei weitgehender Abwesenheit einer kritischen parteiinternen Öffentlichkeit

Während die Tatsache der Besetzung der staatlichen Spitzenpositionen durch Parteivertreter unbestreitbar ist, bleibt fraglich, wie groß der Entscheidungsspielraum für die Parteiführungen tatsächlich ist. Hier fehlen noch empirische Untersuchungen. In einem globalen Urteil läßt sich aber sagen, daß zwar die Parteiführungen viel politische Macht besitzen, daß diese politische Macht aber kaum zu grundlegenden Eingriffen in das gesellschaftliche Leben benutzt wird. Die Staatsorgane scheinen vielmehr damit beschäftigt, ein labiles Gleichgewichtssystem nicht aus der Balance geraten zu lassen. Eingriffe haben u. a. die Funktion, das gegebene System vor allem effektiver zu machen (z. B. „Verwaltungsreform") oder grundsätzliche Verschiebungen des Status quo zu verhindern (z. B. die soziale Symmetrie im Rahmen der „Konzertierten Aktion") oder Vorkehrungen gegen eine grundlegende Veränderung zu schaffen (z. B. Be-Stimmungen für den inneren Notstand) oder andere Regulierungen des Gleichgewichtszustandes zu erreichen. Altmann hält für eine der wichtigsten Fähigkeiten, die heute ein Politiker besitzen muß, diejenige zur „Balancierung des Status quo" unter Inszenierung eines „Schauspiels des Status quo" und unter Verwendung vor allem des Mittels der Parität der Gruppen. Die Interessengruppen melden Forderungen gegenüber dem Staat an, die die Politiker so zu erfüllen versuchen, daß sich keine Gruppe für vernachlässigt hält.

Es gibt verschiedene wissenschaftliche bzw. politische Konzepte, die diesen gruppenmäßigen Gleichgewichtszustand rechtfertigen: Die Pluralismus-Theorie (z. B. Fraenkel das Konzept der „Formierten Gesellschaft" (Alt-mann Erhard und das der „Konzertierten Aktion“ (Schiller Diese Konzepte unterscheiden sich etwa darin, ob die Beherrschten mehr durch Druck oder durch Überzeugung zu steuern seien und wieweit die Gesellschaft „offen" sein solle. In Grundlegendem aber stimmen sie überein:

1. Alle wichtigen Interessen sind in Gruppen organisiert;

2. die Gruppen befinden sich in einem ungefähren Gleichgewicht;

3. die Möglichkeit der Organisierung von Gruppen und ihre Konkurrenz sind Garanten der Freiheit („freiheitlich-pluralistische Demokratie").

Solche Pluralismus-Konzepte sind kritisch beleuchtet worden Punkte der Kritik sind u. a.:

— Ungleichgewicht der Organisationen einerseits nach dem tatsächlich ausgeübten Einfluß (der z. B. auch bestimmt wird durch die Größe der Apparate und den Umfang der zur Verfügung stehenden Geldmittel), andererseits nach dem demokratischen Maßstab der Größe der Gruppe, gemessen in Mitgliederzahl und Größe der vertretenen sozialen Gruppe (Unternehmerverbände — Gewerkschaften);

— Erschwerung des Zugangs von neuen Gruppen zu den Macht-und Verteilungszentren;

Nichtorganisierung oder unzureichende Organisierung von Interessen bestimmter sozialer Gruppen (z. B. Interessen von Kindern, Konsumenten); — Unmöglichkeit, gerade die allgemeinsten Interessen (Bildung, Verkehr, Wohnung etc.) wirksam zu organisieren;

— Mangel an „Konfliktfähigkeit" für bestimmte Gruppen, das heißt der Fähigkeit, „kollektiv die Leistung zu verweigern bzw. eine systemrelevante Leistungsverweigerung glaubhaft anzudrohen" (Beispiele: Hausfrauen, Schüler, Studenten, Arbeitslose);

— Pluralismus geht in der Regel einher mit einem Defizit an innerparteilicher und innerverbandlicher Demokratie;

— Verhinderung durchgreifender Änderungen, weil bei allen Strukturänderungen auch irgendwelche Gruppen in grundlegenden Interessen verletzt werden müßten;

— Ersetzung eines qualitativen Maßstabs (z. B.: Wieweit wird durch eine Organisation die Selbstbestimmung der Menschen gefördert?) durch einen quantitativen Maßstab (Parität). Bevor wir auf den Wandel der Parteien in dieser „pluralistischen" Gesellschaft zu sprechen kommen, ist noch auf Tendenzen der Formalisierung im politischen Denken hinzuweisen. Zum einen gibt es eine Tendenz zur Formalisierung des Demokratiebegriffs, die darin besteht, daß man Demokratie durch Institutionen bestimmt, z. B. als Konkurrenz von Gruppen um politische Macht in allgemeinen Wahlen und nicht durch das inhaltliche Ziel der Emanzipation und der Selbstbestimmung der Menschen. Zum anderen besteht eine Tendenz zur Formalisierung des politischen Prozesses. Sternberger forderte 1956 noch eine „Formalisierung des Oppositionsverhältnisses: daß nämlich Opposition nicht mehr soziologisch, sondern nur noch verfassungspolitisch definiert werden kann" Diese Formalisierung werde, so Sternberger, dadurch aufgehalten, daß man den Kampf der SPD-Opposition gegen die Regierungsmehrheit identifiziere mit dem Kampf der beherrschten Klasse gegen die Klasse der wirtschaftlich und gesellschaftlich Herrschenden Gefordert wird also die Loslösung des politischen Konflikts von seinen gesellschaftlichen Bedingungen. Der Wandel von der Klassen-zur „Volkspartei" und die Bereitschaft zu allseitigen Koalitionen haben die Politik zu einem „Spiel" prinzipiell gleicher Gruppen gemacht, was die sozialen Un-terschiede, die sie trotz dieser Formalisierung repräsentieren, verwischt.

Die Parteien wandelten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Struktur und ihre Funktionen; der neue Parteityp erhielt auch neue Bezeichnungen, z. B. „Allerweltspartei" (engl. catch-all-party) oder „Volkspartei " oder „Mehrzweckpartei" In den europäischen Staaten änderten vor allem die größeren Parteien ihren Charakter, ob es nun bürgerliche Parteien der liberalen Repräsentation oder Klassenparteien oder ob es die nach dem Krieg sehr erfolgreichen christlichen Parteien waren. Kirchheimer hat die Merkmale des neuen Parteityps beschrieben: ,, a) Radikales Beiseiteschieben der ideologischen Komponenten einer Partei . . .; b) weitere Stärkung der Politiker an der Parteispitze; was sie tun oder unterlassen, wird jetzt mehr vom Standpunkt ihres Beitrages zur Wirksamkeit des ganzen gesellschaftlichen Systems angesehen und nicht danach, ob sie mit den Zielen der jeweiligen Parteiorganisation übereinstimmen; c) Entwertung der Rolle des einzelnen Parteimitglieds; diese Rolle wird als historisches Überbleibsel angesehen, das das Bild der neu aufgebauten Allerweltspartei in ein falsches Licht setzen kann; d) Abkehr von der . chasse gardee', einer Wählerschaft auf Klassen-oder Konfessionsbasis, statt dessen Wahlpropaganda mit dem Ziel, die ganze Bevölkerung zu erfassen; e) das Streben nach Verbindungen zu den verschiedensten Interessenverbänden."

Damit haben die sozialistischen Parteien die existentielle Bedeutung verloren (am stärksten: Bundesrepublik, relativ am wenigsten: Italien), die sie einst für ihre Mitglieder und Wähler hatten. Die Parteien sind nicht mehr „geistige Heimat" und bestimmen kaum mehr die private Existenz von Mitgliedern; Informationen sind auf anderen Wegen oft besser zu erhalten; politischer Einfluß wird angesichts der Verselbständigung von Führungsgruppen kaum geboten. Wichtiger werden die funktionale Vertretung von Interessen innerhalb der Parteien und die Stellenvermittlung (Patronage) für Mitglieder der Parteien. Die Partei-vertreter konzentrieren sich mehr als zuvor auf die parlamentarische Arbeit und auf das Regieren; Massenaktionen gibt es praktisch nur noch gegen die Politik von Parteien, kaum mehr auf ihre Initiative und unter ihrer Anleitung. Die Parteiprogramme bieten nicht mehr den Entwurf für eine neue, bessere Welt. Sie werden vielmehr zu Plattformen, auf denen möglichst viele soziale Gruppen mit ihren Interessen Platz nehmen sollen. Die Wahlkämpfe haben in vielem die Züge der Werbung der Konsumgüterindustrie für ihre Markenartikel (sie werden von den gleichen Agenturen gemacht). Statt die Bürger von dem Konzept einer besseren Gesellschaft zu überzeugen, passen sich die Parteien den irrationalen Wünschen und Stimmungen der Wählerschaft an.

Viele der europäischen ehemaligen Massen-parteien haben so sehr ihren Charakter verändert, daß die Frage entsteht, ob sie überleben werden. Konnte man noch vor Jahren — aus europäischer Perspektive — die allgemeine Ausbreitung des Typs der Mitglieder-partei erwarten 18), so wurde 1967 — aus nordamerikanischer Perspektive — die Diagnose gestellt, die Mitgliederpartei sei im Verfall begriffen, und sie sei auch gar nicht funktional für ein politisches System, wie es sich in Europa in Angleichung an die amerikanischen Verhältnisse zunehmend herausbilde Programme wären besser von der Führung allein unter Ausbalancierung der verschiedenen Interessen zu formulieren, Wahlkämpfe könnten durch Agenturen betrieben werden; auch zur Kandidatenaufstellung seien Führungsgruppen besser geeignet als die Masse der Mitglieder.

Die Tendenz zur Oligarchiebildung in den Parteien hat sich verstärkt. Zwar kann die Wissenschaft einige Mittel zur Abhilfe gegenüber solchen Tendenzen nennen ob sie jedoch ergriffen werden, hängt m. E. davon ab, daß in die Politik wieder solche politischen Entwürfe hineingetragen werden, die die Menschen in ihren grundlegenden Interessen und in ihrer sozialen Phantasie bewegen.

II. Funktionen von Parteiprogrammen

I. II. III. IV. V. VI. VII. ?. INHALT Parteien in den westlichen Demokratien Funktionen von Parteiprogrammen Zur Analyse von Parteiprogrammen 1. Werte — Realanalyse — Forderungen

Forderungen an Parteiprogramme a. Vermeidung von Leerformeln b. Aktionsprogramme sollen auf Grundsatzprogramme bezogen sein c. Realistik der Ziele Kontrolle der Das Verhältnis Programm — Praxis Programmdurchführung: Die Forderung nach dem kritischen und informierten Bürger Rechts und links als politische Die „Entideologisierung菉‚

Die Funktionen von Parteiprogrammen wechseln je nach Parteityp, der — wie wir sahen — sehr stark von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängt. Unter den Bedingungen intensiver gesellschaftlicher Konflikte (Glaubens-oder Klassenkonflikte) tendieren weltanschaulich orientierte Parteien dazu, ihre Programme als Ausfluß ihrer Auffassung des gesellschaftlich Richtigen zu verstehen. Davon untrennbar, aber dem Anspruch auf gesellschaftliche Wahrheit untergeordnet, bleibt die Absicht, mit Hilfe der Programme — durch Beteiligung an Wahlen oder durch andere politische Aktivitäten — an die politische Macht zu kommen. Unter der Bedingung geringer Intensität gesellschaftlicher Konflikte tendieren „Volksparteien" dazu, Programme nur noch als leicht zu verändernde und aktuellen Stimmungen der Wähler anzupassende Mittel im Streben nach Machtpositionen durch Wahl-gewinne zu verstehen. In den USA ist das so weit entwickelt, daß die Aufstellung von Parteiprogrammen zu den Wahlen nur noch als Pflichtübung und Konvention gelten kann. Diese Programme nimmt niemand wirklich ernst, kaum ein Wähler orientiert sich daran, keine Regierung fühlt sich an sie gebunden Ob gewollt oder nicht — Parteiprogramme geben grundsätzlich dem Wähler zumindest die Chance, regierende Parteien an dem zu messen, was sie zu verwirklichen versprochen haben. Sie können also eine Grundlage für Kritik und Kontrolle des Wählers sein.

Programme können auch Ausdruck sein der bereits gelungenen oder beabsichtigten Integration von Interessen und dadurch ein Mittel, Wähler zu halten oder weitere Wähler zu gewinnen. Diese Funktion der Programme hat vor allem für die „Volksparteien", die sich in der „pluralistischen" Gesellschaft eingerichtet haben, große Bedeutung und ist direkt bezogen auf das Ziel der Machtgewinnung. Programme haben auch die Funktionen der Selbst-verständigung der eigenen Mitgliederschaft und der Integration der Parteimitglieder in die Partei.

III. Zur Analyse von Parteiprogrammen

1. Werte — Realanalyse — Forderungen Die Frage von Inhaltsanalysen heißt verkürzt: Wer sagt was wie zu wem Parteien — genauer Führungsund Delegiertengremien der Parteien — verfassen Programme, die sich an die Wählerschaft richten. Programme stellen nur einen Extrakt des in den Parteien Gedachten dar, in der Regel sind sie sogar Kompromisse zwischen bestimmten innerparteilichen Richtungen (Flügeln) oder'Gruppierungen (Fraktionen) mit voneinander abweichenden politischen Ansichten. Ein methodischer Weg ist es also, neben den Programmen die Breite des politischen Den-kens in einer Partei darzustellen etwa durch die Hinzuziehung folgender Faktoren: interne Parteistruktur, soziale Zusammensetzung der Parteimitglied-und der Wählerschaft, der Parteigeschichte und der Stellung der Partei im Parteiensystem. Schließlich könnte durch eine Analyse des politischen und gesellschaftlichen Gesamtsystems in seiner Auswirkung auf die Programmgebung geklärt werden, warum es zu einem bestimmten Programm gekommen ist. Ein mühsamer und aufwendiger Weg, auch nur bei der systematischen Analyse eines einzigen Programms! Meines Wissens ist eine solche umfassende Untersuchung für die Entstehung eines Programms noch nicht vorgelegt worden. Hierfür könnte man vor allem Programme wählen, die die Richtung der Partei in relevanter Weise veränderten, denen umfangreiche parteiinterne Diskussionen vorausgingen und die innerparteilich umstritten waren. Beispiele: Godesberger Programm der SPD von 1959 und Hannoversches Programm der FDP von 1967 (vor allem Deutschlandpolitik).

Solche Untersuchungen würden meines Erachtens z. B. unter dem innerorganisatorischen Aspekt einerseits die starke Kontrolle der zentralen Parteiführungsgruppe über die innerparteiliche Willensbildung zeigen, andererseits aber auch die Respektierung eines allerdings sehr weit gefaßten innerparteilichen Konsens (der zudem maßgebend von ihr definiert wird) durch die Führungsgruppe Diese Methode hat den positiven Wert zu zeigen, daß einerseits Programme nicht im Rahmen einer abstrakten Ideengeschichte, sondern in ihrer Abhängigkeit von sozialen und politischen Real-faktoren untersucht werden müssen und daß sie andererseits nur ein Element neben anderen im System einer Partei sind.

Ein anderer methodischer Weg ist, ein Programm als das ernst zu nehmen, was eine Partei dem Wähler zu realisieren verspricht für den Fall, daß sie durch dessen Votum die Macht dazu erhält. Dabei wird weitgehend abstrahiert von den Bedingungen des Zustandekommens und von der Pluralität innerparteilicher Denkund Willensrichtungen. Nicht verzichtet werden könnte auf eine Konfrontation der Programme mit einer eigenen kritischen Werte-und Realanalyse.

Offensichtlich wäre eine kombinierte Methode das Ideale. Angesichts der Aufwendigkeit der ersten Methode und um der kritisch prüfenden Rolle des Wählers gerecht zu werden, empfiehlt es sich für den politisch Interessierten und für die politische Bildung, das Schwergewicht auf die zweite Methode zu legen, für die im folgenden einige Vorschläge gemacht werden sollen. Im letzten Abschnitt, der über die „Entideologisierung" handelt, wird versucht, mit Hilfe der ersten Methode zwar nicht ein einzelnes Programm, wohl aber den Verlust bedeutungsvoller Programmatik überhaupt durch Zurückführung auf gesellschaftliche und politische Faktoren zu erklären.

Die analytisch nicht ganz einfache Frage heißt: Was sagen die Parteien in Programmen und wie sagen sie es? Parteiprogramme zeigen

Unterschiede in Länge, Aufbau, Präzision etc. Man kann sie vergleichbar machen, wenn man drei Kategorien verwendet: Werte — Real-analyse — Forderungen.

Werte Die Sozialwissenschaft verwendet das Konzept der Werte zur Erklärung sozialen Handelns Danach gibt es einen Entscheidungsspielraum des Menschen, der gezwungen ist, Handlungspräferenzen festzulegen. Werte sind z. B. Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Wohlstand, Frieden. Die Bevorzugung bestimmter Werte vor anderen ist allerdings keineswegs willkürliche und sozial beliebige Entscheidung. Vielmehr ist es ein Hauptinteresse der Sozialwissenschaft zu ermitteln, unter welchen sozialen Bedingungen Menschen und Gruppen eher zu bestimmten Ideen und Handlungen tendieren.

Die von einer Partei angestrebten wichtigsten Werte müssen in einem Parteiprogramm nicht explizit genannt sein, oft sind sie es aber (im Godesberger Programm der SPD z. B. in einem besonderen Kapitel). Oft sind die Werte impliziert, das heißt, ohne abstrakte Nennung in die Realanalyse (marxistischer Parteien) oder in die Forderungen hineingenommen. Die schwierige Aufgabe der Analyse besteht dann darin, sie dort herauszupräparieren. Sind sie im meist sehr umfangreichen Katalog von Forderungen impliziert, so muß man sich die wichtigsten Abschnitte vornehmen: Staat, Wirtschafts-und Sozialpolitik, Kulturpolitik, Außenpolitik 27a). Eine solche Werteanalyse ist auch dort berechtigt, wo eine Partei meint, das Gesetz der Geschichte zu realisieren (z. B. Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft). Hier muß die Analyse dann eben berücksichtigen, daß im Selbstverständnis der Partei die Werte nicht autonom gesetzt sind, sondern Inhalt historischer Gesetzlichkeit darstellen.

Schwierig ist es, die Hierarchie der Werte zu ermitteln. Manchmal lassen die Parteien selbst den Unterschied von Grundwerten und anderen Werten erkennen, oft muß man sie aus dem Zusammenhang interpretieren. Z. B. wird im Godesberger Programm Demokratie als ein Wert verstanden, mit dem man Freiheit und Gleichheit (Grundwerte) verwirklichen kann. Ebenso schwierig ist es, die gegenseitige Abhängigkeit von Werten genau festzustellen: z. B. die Einschränkungen der Freiheit durch die Gleichheit.

Nun ist es verständlich, daß man leicht versucht ist, einen allgemeinen „Wertehimmel" aufzuspannen. Dabei wird die Frage vernachlässigt, inwieweit Werte sozial bedingt sind. Außerdem werden allgemeine Werteforderungen zu Leerformeln (s. unten), mit denen jeder jedes verbinden kann. Wenn Freiheit und Gleichheit z. B. programmatisch durch die klassenlose Gesellschaft bestimmt werden und die klassenlose Gesellschaft durch die Abschaffung des Privateigentums, so sind — unabhängig von der Richtigkeit dieser Aussage — eine ganze Reihe anderer Bestimmungen dieser Grundwerte ausgeschlossen, diese also relativ präzise. In den meisten westdeutschen Programmen seit 1945 findet man keine solche Präzisierung. Man ist dann gezwungen, die abstrakten Werte durch das Mosaik einzelner Forderungen genau zu bestimmen. Das wird oft keine sehr klaren Bilder ergeben und schwer auf Formeln zu bringen sein.

Werte haben auch Forderungscharakter, sie sind aber Forderungen auf einem hohen Abstraktionsniveau. Deshalb werden sie hier analytisch getrennt von einzelnen konkreten „Forderungen" (wie sie weiter unten behandelt werden). Eine einzelne konkrete Forderung berührt oft mehrere Werte.

Realanalyse Realanalysen spielen in den westdeutschen Parteiprogrammen nach 1945 eine völlig untergeordnete Rolle. Historisch gesehen sind sie die Domäne der sozialistischen Parteien. Heute könnte die Forderung nach Realanalyse mit dem Anspruch auf Rationalität und mit den Möglichkeiten der Sozialwissenschaften begründet werden. Von den allgemeinen Werten kann man nur dann zu konkreten Forderungen gelangen, wenn man vorher geprüft hat, wieweit die allgemeinen Werte in der Realität verwirklicht sind. Macht man überhaupt keine Realanalyse, dann ist die Formulierung der einzelnen Forderungen irrational. In der Regel stellt man aber eine Realanalyse an (wie primitiv und wie wenig analytisch sie auch immer sein mag), nur: man schreibt sie nicht ins Programm. Heute kann man von keiner Partei in der Bundesrepublik (außer sozialistischen Gruppierungen links von der SPD) eine zusammenhängende, im Programm niedergelegte Realanalyse erwarten. Das Godesberger Programm der SPD (1959) brach — gegen den Widerstand innerparteilicher Opponenten — erstmals mit der Tradition dieser Partei, im Grundsatzprogramm ihre Gesellschaftsanalyse niederzulegen.

Heute finden sich in den programmatischen Äußerungen der Parteien sehr verstreut Sätze, die Aussagen über die Wirklichkeit treffen (Ist-Sätze). Nimmt man sie zusammen, hat man allerdings noch keine zusammenhängende Realanalyse der Partei.

Eine Realanalyse in einem Parteiprogramm ist natürlich kein Handbuch der Sozialwissenschaften. Es muß eine konzentrierte Analyse sein, die sich auf wenige Strukturen und Prozesse bezieht, die nach Ansicht der Partei grundlegend sind und die im Lichte der von der Partei vertretenen Werte analysiert werden. Diese Analyse muß also kritisch (mit genannten Werten messend) und nicht bloß die Wirklichkeit abbildend sein. Ihre Ist-Aussagen lassen sich einer empirischen Überprüfung unterwerfen.

Man wird nicht fordern können, daß jedes Programm den Abriß einer Gesellschaftsanalyse zu liefern hat (Aktions-oder Wahlprogramme werden es nur sehr fragmentarisch tun können), Grundsatzprogramme sollten es aber immer. Es genügt auch nicht, daß Partei-vertreter bei dieser oder jener Gelegenheit Ansätze zu einer Realanalyse entwickeln (z. B. in Parteitagsreferaten und -diskussionen), der Wähler muß die authentische, geraffte Real-analyse der Partei, die sie als ganze verantwortet, im Programm auffinden können. Warum gab es eine zusammenhängende Real-analyse der beschriebenen Art in den bürgerlichen Parteien nie und warum ist sie auch bei einigen ehemals sozialistischen Parteien (z. B.der SPD) aufgegeben worden? Dafür gibt es c’nige Erklärungen: 1. Die Grundstrukturen der Gesellschaft und die darin verwirklichten Werte werden für gut gehalten. Die allgemeinen Werte, die eine Partei anstrebt, hält sie für realisiert mit Vorbehalt der Forderungen, die sie in ihrem Programm nennt (und möglicherweise noch einiger anderer, die sie aus taktischen Gründen nicht nennt).

2. Ein Merkmal von „Allerweltsparteien" ist, daß sie ihren sozialen Standort nicht festlegen, sondern „für alle"'offen sein wollen: Bei einer Gesellschaftsanalyse laufen sie Gefahr, einige Interessen zu verletzen.

3. Das Abgehen von geschlossenen Ideen-systemen macht eine zusammenhängende Real-analyse, die auf einige Grundstrukturen abstellt, schwieriger (wenngleich keineswegs unmöglich). 4. Ehemals sozialistische Parteien vermeiden — bewußt oder unbewußt — wohl auch deshalb Gesellschaftsanalysen, weil sie wahrscheinlich kritischer ausfallen, als es dann in den Forderungen zum Ausdruck gebracht würde.

5. In einigen ehemals sozialistischen Parteien ist kritische Gesellschaftsanalyse „verlernt" worden.

Das Fehlen der Realanalyse nimmt aus den Parteiprogrammen ein notwendiges logisches Zwischenstück zwischen den Werten und den Forderungen heraus. Auch der Hinweis, daß die Parteien die Wirklichkeit, soweit sie keine Forderungen an sie richten, für gut halten, kann für den rationalen Wähler nicht den Versuch der Parteien ersetzen zu demonstrieren, wie die angestrebten Werte (minus die Forderungen) in der Wirklichkeit realisiert sind. Es bleibt stets der Verdacht einer Ideologisierung einer noch sehr unzulänglichen Welt mit „hohen", allseits geschätzten Werten.

Forderungen Die Forderungen sollen sich — logisch betrachtet — aus einem Vergleich von Werten und der Realität ergeben. Radikalere Parteien stellen eine größere Diskrepanz zwischen Werten und Realität fest und stellen weitgehendere Forderungen; konservativere Parteien ermitteln eine geringere Diskrepanz zwischen Sein und Sollen und erheben Forderungen geringerer Reichweite.

Wenn es im Programm präzisiert wurde, kann man einen Unterschied zwischen lang-, mittel-und kurzfristigen Forderungen machen. In der Regel wird man solche Unterschiede erst im Vergleich zwischen Grundsatz-und Aktionsprogramm feststellen.

Ob expliziert oder nicht, diskutiert oder nicht, begründet oder nicht, wird die gedankliche Arbeit bei der Formulierung eines Programms diese drei Teile umfassen: Werte — Real-analyse — Forderungen. Dabei ist natürlich die Reihenfolge umkehrbar, z. B. kann die Betonung bestimmter Werte aus der Analyse der Wirklichkeit entstehen.

Was bisher als Methode beschrieben wurde, war positivistische Analyse, die zunächst einmal notwendig scheint, um sich über den Gegenstand zu vergewissern. Solche Analyse würde oberflächlich bleiben, wenn Programme nicht — auf dieser Grundlage — einer Kritik unterworfen würden — einer Kritik, die fragt, ob die angestrebten Werte die Selbstbestimmung des Menschen, seine Vernunft und die humane Gesellschaft wirklich anstreben, vor allem, ob die jeweils gegebene Konkretisierung der Werte dies tut. Die Kritik wird weiter fragen müssen, wie die Gesellschaft, in der wir leben, aussieht und wieweit sie vom Ideal entfernt ist, sie wird fragen, ob die Forderungen wirklich geeignet sind, die Kluft zwischen Werten und der Realität zu schließen.

Für diese kritischen Untersuchungen kann hier kein einheitlicher Bezugsrahmen vorgegeben werden. Dies ist ohne Frage der schwierigste und wichtigste Teil der Auseinandersetzung mit Parteiprogrammen. 2. Forderungen an Parteiprogramme Damit der Bürger sich an Parteiprogrammen orientieren und auf ihrer Grundlage entscheiden und kontrollieren kann, müssen Partei-programme einige Grundbedingungen erfüllen. a) Vermeidung von Leerformeln Individuen und soziale Gruppen, vor allem aber auch Parteien, drücken häufig das, was sie anstreben, in sehr inhaltsarmen oder überhaupt inhaltslosen Formeln aus. Ebenso bedienen sie sich bei der Beschreibung von Wirklichkeit „leerer" Formeln, denen jeder Informationsgehalt fehlt und die wegen ihrer Inhaltsarmut an der Realität nicht zu überprüfen sind.

„Wie empirische Aussagen bestimmte denkbare Sachlagen ausschließen müssen, um über die Realität zu informieren, so müssen normative Aussagen den Spielraum des menschlichen Verhaltens durch das Verbot oder Gebot bestimmter Verhaltensweisen einschränken. . Normative Sätze, die mit jeder beliebigen menschlichen Verhaltensweise vereinbar sind, können ebenso nur als Leerformeln angesehen werden wie deskriptive Sätze, die mit jedem beliebigen Sachverhalt übereinstimmen'(Topitsch). Auch politische Ziele können so vage formuliert sein, daß man ihnen keinen oder nur sehr geringen (präskriptiven) Gehalt zuerkennen kann. Schließen aber Zielaussagen keine oder nur unwesentliche Sachlagen oder Verhaltensweisen aus, dann sind keine oder zu wenige , konträre Fälle'in Form von Mißerfolgen oder abweichendem Verhalten ausgeschlossen. Das bedeutet jedoch, daß diese Ziele jeglicher Kontrolle ihrer Realisierung entzogen sind."

Politische Leerformeln sind keine Erfindungen moderner Parteien, es scheint aber deutlich, daß sie für die „Volksparteien" eine verstärkte Bedeutung erhalten haben und von ihnen auch häufiger verwendet werden. Beispiele für Leerformeln sind nicht näher erläuterte Forderungen z. B. nach Freiheit, Frieden, Fortschritt, nach Berücksichtigung des Interesses der Gesamtheit, des Wohls des Ganzen oder des nationalen Interesses, nach gesunder Ordnung, Sicherheit in Freiheit oder Schutz und Förderung der Familie. Nicht jede abstrakt gehaltene, grundsätzliche Erklärung ist eine Leerformel, sondern nur die allgemeine Erklärung, näheren die Erläuterungen durch präzisere Beschreibungen oder Handlungsanweisungen erhält. Einige Beispiele lassen sich in aktuellen Parteiprogrammen leicht finden:

Sozialdemokratische Perspektiven (1968) S. 8: „Bevölkerungsexplosion und Wissenschaftsexplosion haben alles, aber auch alles in Bewegung gesetzt." Hier bleibt völlig im dunkeln, in welcher Richtung sich die Dinge so dramatisch verändert haben. Es folgt nur ein Beispiel zur speziellen Problematik der Kirchen (selbst die Kirchen . . .). Da sich alles, aber auch alles unter irgendeinem Aspekt ständig verändert, bleibt die Aussage inhaltsleer. „Wollen wir nicht Frieden, Wohlstand und Fortschritt auch für uns selbst gefährden, müssen die Industrienationen in West und Ost alle verfügbaren menschlichen und wirtschaftlichen Kräfte für die Lösung dieser Aufgaben (z. B. Abwendung der Hungersnot in den Entwicklungsländern — d. Vers.) zur Verfügung stellen." (S. 20 f.) Die entscheidende Frage, welche menschlichen und wirtschaftlichen Kräfte verfügbar sind oder gemacht werden sollen, bleibt unbeantwortet.

Berliner Programm der CDU (1968), Punkt 24: „.. .der Staat muß dem Mißbrauch gesellschaftlicher und politischer Macht wirksam entgegentreten und das gemeinsame Wohl fördern und schützen." Welches sind die Träger gesellschaftlicher und politischer Macht, worin liegt ein Mißbrauch ihrer Macht, wie soll „der Staat" z. B.dem Mißbrauch politischer Macht entgegentreten, da der Staat doch selbst das wichtigste Instrument der politischen Machthaber ist; was schließlich ist das „gemeinsame Wohl"? „Pressekonzentration darf nicht dazu führen, daß die Mannigfaltigkeit der politischen Auffassungen sich nicht mehr wirksam ausdrücken kann." (Punkt 32) Was heißt „Mannigfaltigkeit", was „wirksam"? Ist der beschriebene Zustand schon erreicht? Was geschieht, wenn er erreicht wird? — Das Programm gibt keine Antwort.

Ziele des Fortschritts — Aktionsprogramm der FDP (1967): „Die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik muß freiheitlich, fortschrittlich, also liberal sein." (S. 5) Was heißt „freiheitlich", was „fortschrittlich", was „also" und was „liberal"? „Darum kämpft die FDP gegen die ungerechtfertigte Einschränkung der Grundrechte im Rahmen der Notstandsgesetzgebung ..." (S. 5) Welches aber sind die gerechtfertigten, welches die ungerechtfertigten Einschränkungen?

Solche Leerformeln erfüllen bestimmte Funktionen für die Parteien :

Rechtfertigung (Legitimation) von Herrschaft Je inhaltsloser die Formeln, desto eher ist es für die Herrschenden möglich, Kontinuität des Handelns zu behaupten und desto schwieriger sind sie von den Beherrschten zu kontrollieren. Der Spielraum, den die Herrschenden logisch auf Grund der Leerformeln haben könnten, ist allerdings wesentlich größer als ihr tatsächlicher politischer Spielraum. Dieser wird durch Traditionen, Verhaltenserwartungen, Erklärungen und Festlegungen eingeengt, die in den Leerformeln nicht genannt sind.

Symbolwert für Gruppe, Klasse, Gesellschaft usw. Für solche sozialen Einheiten sind Leerformeln Mittel der Integration gegenüber den Mitgliedern, sie schaffen Gruppenbewußtsein, Klassenbewußtsein etc. Sie dienen als Formeln eines ritualisierten Konsums, als Kampfparolen, als Erkennungszeichen für Gleichgesinnte und zur Abgrenzung von Andersgesinnten. In einer „pluralistischen" Gruppengesellschaft werden die gesamtgesellschaftlich relevanten Leerformeln notwendigerweise sehr inhalts-arm sein, weil alle gesellschaftlichen Interessen einigen Werten untergeordnet werden sollen. In den „Volksparteien", als den Trägern des gesellschaftlichen Konsens, spielen denn auch Leerformeln eine große Rolle.

Verschleierung von Zuständen, von bestehenden Konflikten und Meinungsgegensätzen Wegen ihrer Unbestimmtheit sind Leerformeln geeignet, einerseits Mißstände, Konflikte etc. zuzudecken, andererseits — wenn ein Gruppendruck zu stark wird — sich durch Berufung auf leerformelhafte positive Werte zum Vorkämpfer dieser Gruppe zu machen. Gerade die Partei, die in ihrem Programm keine Real-analyse vornimmt, kann mit Leerformeln die Wirklichkeit als gut ausgeben, bis eben auf die kleineren Änderungen, die man angeblich nur durch diese Partei zu erwarten hat. Schlechte Wirklichkeit kann in Leerformeln verschönt, Gegensätze können verbal überwunden werden. b) Aktionsprogramme sollen auf Grundsatzprogramme bezogen sein Wo eine Partei über ein Grundsatzprogramm verfügt, müssen ihre Aktionsprogramme daran gemessen werden. Konkretisieren sie tatsächlich die leitenden Ideen des Grundsatzprogramms? Tauchen wichtige Teile des Grundsatzprogramms gar nicht auf — und warum nicht (Aufgabe von Forderungen, Opportunismus, keine Verwirklichungschance etc.)? Werden Ziele des Grundsatzprogramms durch das Aktionsprogramm verletzt? Welche Schwerpunkte werden gesetzt?

Je weniger präzis und in sich zusammenhängend das Grundsatzprogramm, desto größer die Möglichkeit, Aktionsprogramme nach dem Muster von Versandhauskatalogen aufzustellen: für jeden etwas und nur am Profit, hier an der Stimmen-Maximierung, orientiert. c) Realistik der Ziele Die Forderung, die programmatischen Ziele sollten grundsätzlich realisierbar sein, ist leicht aufgestellt. Welches sind aber die Maßstäbe für diese Realistik? Kein Kriterium ist die Größe der Partei: Es ist völlig legitim auch für die kleinste Partei, weitreichende Ziele zu entwerfen, da sie ja hofft, so viele Wähler zu gewinnen, wie sie zu ihrer Realisierung braucht.

Für Ziele, soweit sie sich im Rahmen eines politischen Systems halten und — was meist der Fall ist — mit staatlichen finanziellen Leistungen verbunden sind, läßt sich ein detaillierter Finanzplan fordern, der sagt, wo die Mittel zur Erreichung der Ziele hergenommen werden sollen. Dabei braucht eine Partei sich keineswegs auf den Zuwachs des Staatshaushaltes zu beschränken, sondern kann z. B. eine andere als die bisherige Verteilung des Steueraufkommens, kann Steuererhöhungen, Verschuldung etc. fordern. Eine in Zahlen ausgedrückte Prioritätenliste kann eine größere Verbindlichkeit haben als verbale Erklärungen. Der Streit, ob bestimmte Forderungen „realistisch" sind, wird auch auf der Grundlage solcher Finanzierungspläne weitergeführt.

Eine nicht nur propagandistisch gemeinte Beurteilung der Realistik von Zielen setzt ein Wissen über die Wirklichkeit voraus, das in notwendigem Umfang und Präzision gerade für die gesellschaftlichen und politischen Aspekte nicht vorhanden und nicht zu erwarten ist. Mit einer Einschränkung: Die empirisch-analytische Sozialwissenschaft kann an einer ausreichenden Zähl von Fällen Regelmäßigkeiten eines bestimmten sozialen Verhaltens feststellen und erklären und damit ermöglichen, daß solche Bedingungen auch dort geschaffen werden, wo sie noch nicht bestanden haben und wo ein bestimmtes soziales Verhalten erwünscht wird. Selbst dies ist nur eine Möglichkeit und ein Fernziel empirisch-analytischer Wissenschaft. Stumpf werden ihre Mittel, wenn es darum geht, ein angestrebtes soziales Verhalten oder soziale Strukturen zu beurteilen, die noch nicht oder noch nicht in einer ausreichend großen Zahl von Fällen unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen realisiert waren. Dann wird ihren Bemühungen, an dem zu messen, was „empirisch" bisher vorhanden war, immer eine konservative Tendenz innewohnen.

Wie soll die empirisch-analytische Wissenschaft z. B. die Forderung nach einem Räte-system beurteilen, da ein Rätesystem bisher unter der Bedingung einer hochindustrialisierten Gesellschaft und auf Dauer nicht verwirklicht wurde. Sie mißt den Entwurf an den heutigen Bedingungen mangelnder Politisierung, fortschreitender Arbeitsteilung etc., — Bedingungen aber, wie sie in der heutigen Industriegesellschaft mit einem ganz anderen gesellschaftlichen und politischen System bestehen. —

Jeder, der sich mit Parteiprogrammen befaßt, fällt nicht nur Urteile über „wünschbar" und „nicht wünschbar", sondern auch über „realisierbar" und „nicht realisierbar", wobei das Urteil über die Realistik der Ziele stark geprägt wird vom konservativen oder progressiven Bewußtsein des einzelnen — um so stärker, je mehr sich die Entwürfe vom bisher Realisierten entfernen. Wo es darum geht, die Realistik von Programmen zu überprüfen, kann die empirisch-analytische Sozialwissenschaft nur bei vergleichsweise konservativen Zielen eine Hilfe sein. Werden „wissenschaftliche Autoritäten" in die politische Diskussion eingeführt (was häufig geschieht), so sind sie kritisch auf ihre Werthaltungen und auf die Sicherheit ihrer Prognosen zu befragen — besonders kritisch deshalb, weil Wissenschaftler vielfach naiv als Vertreter „objektiver Wissenschaft" gesehen werden.

IV. Kontrolle der Programmdurchführung: Das Verhältnis Programm — Praxis

Um die Parteien nicht in die Unverbindlichkeit des Versprechens zu entlassen, muß zumindest die Chance bestehen, ihr Handeln an den Zielen zu messen. Diese Kontrolle muß — wie jede Kontrolle — in zeitlich begrenztem Rahmen durchgeführt werden. Es liegt nahe, den Zeitraum einer Legislaturperiode zu wählen. Hat eine regierende oder mitregierende Partei ihre Forderungen durchgesetzt? Wenn nein — warum nicht (z. B. Widerstand der Koalitionsparteien, eigenes Verschulden, die Politik anderer Staaten etc.)? Wichtig ist, daß die Frage überhaupt gestellt wird (zumeist wissen die Wähler nicht mehr, was vor vier Jahren versprochen wurde) und daß die „Entschuldigungen" für die Nichterfüllung von Programmpunkten geprüft und beurteilt werden.

Für eine radikal-gesellschaftsverändernde Partei umfaßt ein Aktionsprogramm zwar nur Teil-und Etappenziele; es tritt also zurück hinter der Bedeutung des Grundsatzprogramms, dennoch muß auch sie sich grundsätzlich dem Anspruch zeitlich begrenzter Erfolgs-kontrolle stellen.

Nicht nur für die Wähler ist die Wechselwirkung von Programm und Praxis ein zentrales Beurteilungskriterium, auch die Parteien müßte 11 — im Interesse einer rationalen Politik — diese Beziehung ständig reflektieren. Historisch läßt sich sagen, daß es vor allem die Parteien der Linken waren, die die wechselseitige Kontrolle von Programm und Praxis wenig-stens als Aufgabe gesehen haben Die Bedeutung des Programms als Gegenentwurf zu einer schlechten Wirklichkeit ist für die linken Parteien ungleich größer gewesen als für die konservativen Parteien. Auch der Anteil programmatischer Diskussion ist bei ihnen größer, sie nehmen Programme ernster, sie müssen das Handeln rechtfertigen durch Bezug auf programmatische Forderungen, ihre Programme sind nicht Reflexe des Handelns, sondern gehen ihm voraus.

In der Bundesrepublik ist solches Verhältnis zum Programm bei keiner Partei vorhanden. Forderungen danach, das Handeln der Parteien an Programmen zu orientieren, stoßen vielfach auf die Verdächtigung, „weltfremd", „dogmatisch", „ideologisch" oder „theoretisch" zu sein. Politiker rühmen sich und werden gerühmt, „Pragmatiker" zu sein und „undogmatisch" von Fall zü Fall zu entscheiden. Diesen „Pragmatikern" ist zu sagen: auch sie haben Wertvorstellungen (jedes Handeln ist wertgeleitet), nur sie denken weniger darüber nach, bringen sie weniger in systematischen Zusammenhang mit anderen Entscheidungen (handeln also weniger rational) und geben weniger Gelegenheit zu einer Kritik ihres Handelns vor der Aktion (handeln also weniger demokratisch). Programme sind nie endgültig (das wäre Dogmatismus), sie müssen verändert werden, z. B. auf Grund einer neuen Realanalyse oder von politischen Erfahrungen, die eine Partei gemacht hat. Das schließt aber keineswegs aus, daß programmatische Ziele oder auch Mittel zur Erreichung dieser Ziele über hundert oder zweihundert Jahre „richtig" bleiben können, wie z. B. die Forderung nach einer Demokratisierung in Wirtschaft und Gesellschaft.

Zwischenbemerkung Die Forderung nach rational aufgebauten und kontrollierbaren Programmen, wie sie in diesem Kapitel entwickelt wurde, erscheint — zumindest in der politischen Landschaft der Bundesrepublik — noch als Desiderat. Es ist offensichtlich, daß die Parteien auf Grund unterschiedlicher sozialer Basis und historischer Entwicklung und — soweit sie „Volksparteien" sind — auf Grund wichtiger Merkmale dieses Parteityps, sehr ungleiche Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Normen mitbringen (viele werden sagen, die Forderungen seien „unrealistisch"). Auch hierin läßt sich das Verhältnis von „Programm" und „Praxis" grundsätzlich auf zwei Wegen gestalten: Entweder man verändert die Wirklichkeit nach den als richtig erkannten und für realisierbar gehaltenen Forderungen oder man gibt die Wirklichkeit als gut aus oder hält ihr jedenfalls keine Norm mehr vor, auf die hin sie sich entwickeln soll. Ich halte den ersten Weg für richtig.

V. Die Forderung nach dem kritischen und informierten Bürger

Die Forderung nach gesellschaftsanalytisch ergiebigen, in Werten und Forderungen präzisen und in sich zusammenhängenden Partei-programmen muß ergänzt werden durch das Postulat informierter und kritischer Bürger, die die inhaltlichen Aussagen der Parteien zum wesentlichen Teil ihrer politischen Entscheidungen machen.

Bezogen auf Wahlen ist allerdings zu fragen: Gibt es die programmorientierten, informierten Wähler? Von Zeit zu Zeit werden Meinungsbefragungen veröffentlicht, in denen ein repräsentativer Querschnitt von Bürgern nach den simpelsten Informationen gefragt wird (z. B.: Welche Parteien bilden die Regierung?, was bedeutet die Abkürzung „NATO"? etc.). Große Teile der Befragten geben häufig falsche Antworten. Ganz hoffnungslos wird es, wenn nach Inhalten von Parteiprogrammen gefragt wird: Die meisten Befragten sind außerstande, auch nur einige Stichworte aus Partei-programmen zu zitieren Tatsächlich werden Parteien nicht auf Grund ihrer Partei-programme unterschieden, sondern auf Grund von „Images" und von politischen Führern, die diesen Images entsprechen sollen. Images sind Leitbilder, in die zwar auch Programmatisches einfließt (z. B. „mehr konservative Par-tei" oder „hilft den Armen"), aber in einer sehr diffusen Art. Sie werden vor allem aus Schlagworten, gefühlsmäßigen Einstellungen, sozialen Vorurteilen und Programmfetzen (z. B. „Wiedervereinigung" oder — für die frühere SPD — „Sozialisierung") gebildet. Solche Leitbilder sind schwer rational zu überprüfen. Zwar wandeln sie sich, aber kaum durch einen rationalen Vergleich mit den Programmen oder dem tatsächlichen politischen Verhalten der Parteien.

Die oft festgestellte Tatsache des „überfragten Wählers" kann zu sehr verschiedenen Konsequenzen führen. Die autoritäre Konsequenz will dem Wähler, der sich als dumm erwiesen hat, Kompetenzen nehmen, um sie Führungsgruppen zu übertragen. Der autoritäre Staat z. B. Portugals erscheint als der diesem Wähler einzig angemessene Staat Eine andere Konsequenz möchte Demokratie nicht aufgeben, versucht aber, den Sinn der Wahl umzudeuten. Diese ist dann nicht nur wenig inhaltlich bestimmt — sie soll es auch gar nicht sein. Das Gewähren oder Entziehen von Vertrauen, die „Anvertrauung" von Ämtern tritt an die Stelle von sachlich-politischer Entscheidung Als Realitätsbeschreibung in der Tendenz richtig, unterhöhlt solche Aussage die Demokratie, wenn damit dieser Zustand als richtig legitimiert werden soll. Eine dritte Position hält geringe Information für eine gesellschaftlich bedingte und daher veränderbare Erscheinung (bedingt durch Klassenstruktur des Bildungswesens, Qualität und Reichweite der Massenmedien, Entpolitisierung durch Expertentum u. dgl.). Diese Position fragt nach den Voraussetzungen für die Überwindung mangelhafter Information, die — sobald man sich Klarheit verschafft hat — zu realisieren wären. Dabei ist selbstverständlich, daß der bloße Appell, sich zu informieren, überhaupt nichts bewirkt.

Wir haben einige Maßstäbe für rational gestaltete Programme und für die Kontrolle von Parteien auf der Grundlage von Programmen entwickelt. Es bleibt die Frage, ob es negative Sanktionsmittel gegenüber abweichendem Verhalten der Parteien gibt. Unmittelbar wirksame Sanktionsmöglichkeiten existieren nur an zwei Stellen. Zunächst in den Parteien selbst, wo die Parteiführungsgruppen von den Mitgliedern bzw.deren Delegierten gewählt und inhaltlich festgelegt werden könnten. Die Realanalyse zeigt allerdings, daß der Einfluß in den Parteien ganz überwiegend von oben nach unten führt Der andere Sanktionsträger ist die Wählerschaft. Wähler könnten bei abweichen-dem Verhalten die Parteien mit Stimmenentzug bestrafen. Tatsächlich wird die Wahlentscheidung aber überwiegend von ganz anderen Gesichtspunkten als den hier entwickelten, mehr formalen Kriterien geleitet. Wenige Wähler werden sich mit einer logischen und inhaltlichen Analyse von Parteiprogrammen befaßt haben. Zum anderen ergab eine Meinungsbefragung von 1966, daß 70 0/0 der Bevölkerung der Bundesrepublik davon überzeugt sind, daß Wahl-versprechungen nicht eingehalten werden ; wenige werden sich finden, die daraus Konsequenzen ziehen. So bliebe allenfalls eine indirekte Kontrolle durch konkurrierende Parteien, Massenmedien und politische Bildung. Aber auch diese möglichen Kontrollen sind vielfach behindert: Sie machen die gleichen Fehler (konkurrierende Parteien), sind von Parteien kontrolliert (z. B. Rundfunkanstalten) oder sind noch zu wenig kritisch-aktualitäts-bezogen (politische Bildung). Im ganzen haben sie die hier behandelten Gesichtspunkte wohl noch wenig beachtet. Daß diese mehr formalen Gesichtspunkte nur ein Teil der komplexen Wahlentscheidung sein können, die primär inhaltlich bestimmt sein sollte, versteht sich von selbst.

VI. Rechts und links als politische Richtungsbegriffe

Gibt es eine Möglichkeit, die verschiedenartigsten Programmforderungen in ein Spektrum politischer Richtungen einzuordnen? Traditionell geschieht dies durch ein Spektrum, das mindestens die Begriffe rechts -mitte -links umfaßt. Es ist — vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg — häufig in Frage gestellt worden, ob denn die Begriffe links und rechts noch politische Tendenzen erfassen oder ob sie nicht überholt seien — bezeichnenderweise eine Frage, die von rechts kommt Dagegen ist nachgewiesen worden, daß die Begriffe links und rechts als politische Grundkategorien nach wie vor brauchbar sind Dazu ist es allerdings notwendig, daß man diese Begriffe nicht formal bestimmt (wie sie es z. B. zu Beginn waren, als man damit die Sitzordnung im französischen Parlament bezeichnete), sondern daß man sich der Inhalte erinnert, die sie im Laufe der Geschichte angenommen haben. Vereinfacht gesagt, gelten als rechts die politischen Kräfte, „die für autoritär-hierarchische Strukturen in Staat und Gesellschaft eintreten, als links jene, die für demokratische Strukturen", vor allem für Gleichheit, kämpfen Falsch wäre die Annahme, rechts und links ständen nur für abstrakte Ideen. Die allgemeinen Ideen haben jeweils bestimmte, wenn auch historisch-unterschiedliche soziale Träger, und sie erhalten je verschiedene konkrete Ausgestaltung. So steht das Bürgertum in seinem Kampf gegen die Feudalaristokratie im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso links wie die Arbeiterschaft in ihrem Kampf gegen das Bürgertum und die Reste der Feudalaristokratie im 19. und 20. Jahrhundert. Es handelt sich also bei den Linken immer um unterprivilegierte Schichten oder Klassen, die um Befreiung aus unwürdigen und irrationalen Abhängigkeiten und für das Ziel größerer Gleichheit kämpfen, und um Intellektuelle, die sich mit diesem Kampf identifizieren.

Als extreme Pole in einem Kontinuum werden in der folgenden Übersicht einige typische rechte bzw. linke Positionen eingetragen. Zwischen diesen Polen gibt es eine Reihe von Tendenzangaben (mitte, mitte-links etc.), die vor allem zur Beschreibung realer programmatischer Richtungen wichtig sind. rechts iinks Hierarchie, Gleichheit, Schichtung Solidarität Autorität, Führung reale Selbst-und Mitbestimmung der einzelnen in allen Bereichen Gesellschaft ist nach Gesellschaft der Ungleichen rationalen als gott-

oder naturgegeben Entwurf planvoll oder als — wegen veränderbar in Richtung auf eine Gesellschaft — der Gleichen notwendig

Der Mensch ist von Der Mensch ist von Natur aus „böse" Natur aus „gut" und „sündig" (pessimistisches Menschenbild zur zur Rechtfertigung von von Freiheit)

Zwang)

Konflikt zur Gemeinsamkeit, Aufdeckung und Gemeinschaft etc.

zur Verschleierung Veränderung einer Gesellschaft der einer Gesellschaft Ungleichen der Ungleichen Gewalt ist notwendig; der Differenzen Gleichen soll und über ihr Ausmaß: kann prinzipiell gewaltfrei der Behauptung, sein;

daß Gewalt „emanzipatorische zur Aufrechterhaltung zur Herstellung von Ordnung einer Gesellschaft sei, bis der Gleichen Verherrlichung findet unterschiedliche Gewalt im Bewertung Mit den Begriffen rechts und links können die Tendenzen politischer Parteien ebenso charakterisiert werden wie die herrschenden Strukturen und Ideen gesamter politischer Systeme. In ganzen politischen Systemen, aber auch in Parteien gibt es häufig Mischungsverhältnisse von linken und rechten Strukturen und Ideen, obwohl gerade in politischen Gruppen die Konsistenz politischer Ideen im allgemeinen relativ groß sein wird. Schwierig wird die Einordnung auch dort, wo zwar Gleiches gewollt wird, aber mit unterschiedlichen Motiven und Perspektiven. Entwicklungshilfe zur Stabilisierung innerer Verhältnisse und zum Schutz vor Sozialismus oder Kommunismus ist rechts, Entwicklungshilfe aus internationaler Solidarität und als Hilfe zur Selbstbefreiung der Menschen in den unterentwickelten Staaten ist links.

Kommunistische Systeme werden im Westen häufig als reaktionär bezeichnet — dies soll u. a. die Untauglichkeit der Links-Rechts-Begriffe demonstrieren. Mit Begriffen, wie wir sie bestimmt haben, kommt man zum Ergebnis, daß kommunistische Systeme in Teilen links, in anderen Teilen rechts sind. Links ist z. B. die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Chancen wirtschaftlicher Gleichheit eröffnet, wie sie in kapitalistischen Staaten nicht bestehen. Rechts wäre das System bürokratischer, autoritärer Herrschaft zu nennen, das von links kritisiert wird, wenn man z. B. die Selbstverwaltung aller Wirtschaftsproduzenten fordert.

In der politischen Sprache der Bundesrepublik sind heute die Begriffe „radikal" und „gemäßigt" stärker verbreitet als die von „links" und „rechts" (radikal und gemäßigt als eigenständige Begriffe, nicht in Zusammenhang mit rechts und links, z. B. als gemäßigt links oder radikal rechts, wo sie sinnvoll sind). Das ist ein Teil der oben bereits angesprochenen Formalisierung von Politik. Als „radikal" werden linke und rechte Kräfte bezeichnet; Merkmale sind nicht der Inhalt ihrer Ideen, sondern die Entfernung zu den „staatstragenden" Parteien, die sich als gemäßigt verstehen. Gemäßigt wird positiv, radikal negativ bewertet. Dabei werden Kommunismus und Faschismus gleichgesetzt (was in der gängigen Totalitarismustheorie vertieft wird).

Einige Ähnlichkeiten in den Methoden rechtfertigen in dieser Sicht die Gleichsetzung von Systemen, die in ihren Ideen absolut entgegengesetzt sind. In einer Gesellschaft, die charakterisiert ist durch das Zurücktreten linken Gedankengutes, durch Antikommunismus und Versuche zur Bewältigung der faschistischen Vergangenheit, sollen die formalen Be-griffe „radikal" und „gemäßigt" verdrängen oder bewußt die Meinung erzeugen, daß es in dieser Gesellschaft nicht mehr um links oder rechts gehe -

VII. Die „Entideologisierung": Begriff und Problematik

Die Diskussion und Gegenüberstellung einzelner Parteiprogramme ist in einigen westlichen Staaten häufig verdrängt durch die Diskussion der Frage, warum die Parteiprogramme keine relevanten Unterschiede mehr aufweisen. Unter den Schlagworten „Entideologisierung" oder „Ende des Zeitalters der Ideologien" wird einerseits die Verbreiterung des Konsenses (Bereichs der Übereinstimmung), andererseits — und dies ist die Beschreibung des gleichen Vorgangs, nur mit einem wesentlich unscharfe-ren Begriff — das Verschwinden oder die Chancenlosigkeit von Ideologien verstanden. Der hier verwendete Begriff der Ideologie ist der positivistische, unter dem ein mehr oder weniger geschlossenes System von Weltdeutungen und Handlungsanweisungen verstanden wird. In der wissenschaftlichen Entideologisierungsdiskussion wurde überwiegend an systematisierte, geschlossene Ideologien gedacht. Noch genauer gesagt, ging es fast immer um die Beschreibung eines Verfalls marxistisch-sozialistischer Programmatik in westlichen Staaten.

Eine Unbestimmtheit des Ideologiebegriffs ist charakteristisch für die Diskussion über das Ende der Ideologien: Die Ungenauigkeit in der wissenschaftlichen Diskussion bewirkte politisch, daß unter dem Schlagwort der „Entideologisierung" eine Denunziation aller weitreichenden, auf wesentliche Veränderungen zielenden politischen Ideen möglich wurde; am Ende sogar der Pragmatismus von Politikern und Wählern als die den gesellschaftlichen Bedingungen einzig angemessene Haltung ausgegeben wurde. In der Bundesrepublik begrüßten Verfechter der „Entideologisierung" wie z. B. Gaus, daß die Parteien Mitte der sechziger Jahre schon auf dem pragmatischen Kurs kritisierten waren und Wähdie ler, die noch ungeübt seien im Erkennen der Unterschiede „in Nuancen und in der Qualität der zur Wahl stehenden Personen" und die Intellektuellen, die noch immer größere politische Entwürfe forderten und deshalb „politische Barbaren" (ebenda) unterstützten (das sind solche, die sich um große politische Alternativen bemühen).

Die unkritische Übernahme der globalen Entideologisierungsthese in die öffentliche Diskussion und die übereilten praktischen Schlußfolgerungen wurden nicht nur durch die Ungenauigkeit der Begriffe, sondern auch durch eine mangelhafte empirische Überprüfung dieser These erleichtert. Durch das Reden von den westlichen Demokratien blieben die erheblichen Unterschiede in der programmatischen Entwicklung der Parteien einzelner Länder unberücksichtigt: Italien, Frankreich, Griechenland, Finnland beispielsweise hatten am Entideologisierungstrend wenig oder gar keinen Anteil Darüber hinaus wurde versäumt zu betonen, daß der kurze Zeitraum, für den der Trend festgestellt wurde, eine langfristige Prognose („Ende der Ideologien") problematisch machte — wenn man nicht der Wirklichkeit durch eine sich selbst erfüllende Prophetie nachhelfen wollte. Schließlich dürfte bei der Wirkungsgeschichte der globalen Entideologisierungsthese eine Rolle gespielt haben, daß ein größerer Teil der Wissenschaftler (und vor allem die, die in den ersten Jahren nach 1955 die Diskussion bestimmten) die „Entideologisierung" positiv bewertet haben. Es ließe sich eine Übereinstimmung auch mit denen, die das Phänomen negativ bewerten und mit denen, die empirische Relativierungen einführen darin herstellen, daß seit den fünfziger Jahren in einer größeren Zahl westlicher Demokratien radikale politische Programme an Einfluß verloren haben oder überhaupt verschwunden sind. Stellt man eine Skala auf, so wären am Ende der weitestgehenden „Entideologisierung" die USA und die Bundesrepublik Deutschland, am anderen Ende Frankreich und Italien zu finden.

In der wissenschaftlichen Erklärung des Vorgangs der „Entideologisierung" lassen sich zeit-und länderspezifische Faktoren von solchen langfristiger sozialer Entwicklung unterscheiden. Zu den ersteren wären zu rechnen: Enttäuschung über, Furcht vor oder Haß auf Ideologien nach dem Stalinschen Kommunismus und dem Hitlerschen Faschismus. Des weiteren der Antikommunismus westlicher Staaten im Kalten Krieg, der allerdings nicht eindeutig gegen geschlossene Ideologien an sich gerichtet war, wie z. B. die Einbeziehung von Portugal und Spanien in die — mit der freiheitlich-demokratischen Idee begründete — westliche Verteidigungskonzeption oder die Etablierung eines faschistischen Regimes in Griechenland 1967 zeigen. Als ein weiterer Faktor für die „Entideologisierung" wäre die „ideologische Erschöpfung" der Menschen in den posttotalitären Jahrzehnten nach 1945 zu nennen. Hinsichtlich der landesspezifischen Erklärung einer „Entideologisierung" sei für die Bundesrepublik nur folgendes aufgeführt: Die Überschneidung der sozialen Trennungslinie (Arbeiter — andere Gesellschaftsklassen) mit der konfessionellen Trennungslinie (katholisch—evangelisch bzw. „praktizierend" — „nicht praktizierend"), die eine antiklerikale SPD bei praktizierenden katholischen Arbeitern kaum wählbar machte.

Soziales Bewußtsein, das heißt die Anschauung sozialer Verhältnisse und ihre Bewertung, ist stark, aber nicht absolut bestimmt durch die gesellschaftlichen Bedingungen. Das soziale Bewußtsein wirkt auch auf die Verhältnisse zurück und verändert sie. Politisches Bewußtsein ist abhängig vom sozialen Bewußtsein und den sozialen Faktoren, aber es verändert auch beide. Fragt man also nach Erklärungen für die Veränderung von Partei-programmen, muß man . auf die Veränderungen im sozialen Bewußtsein und in der Sozialstruktur zurückgehen.

Klasse ist eine analytische Kategorie, mit der Soziologen seit Marx die Sozialstruktur erfassen „. Klassen sind aus bestimmten Strukturbedingungen hervorgehende Interessen-gruppierungen, die als solche in soziale Konflikte eingreifen und zum Wandel sozialer Strukturen beitragen." Bei Marx bestimmt das Eigentum an Produktionsmitteln bzw. das Ausgeschlossensein vom Eigentum an diesen Produktionsmitteln die Entstehung der Klassen der Bourgeoisie und des Proletariats. Dieser Klassenkonflikt sollte sich polarisieren, die Mittelschicht zwischen den beiden Haupt-klassen aufgerieben werden, die Ungleichheit der Lebensbedingungen wachsen, am Ende der revolutionäre Sieg des Proletariats die Gesellschaft der Gleichen herbeiführen. Organisationen der Arbeiterklasse und sozialistische Programme waren Mittel zur Bildung des Klassenbewußtseins und Instrumente des Kampfes gegen die Bourgeoisie.

Die westlichen Gesellschaften haben sich nicht in Richtung dieser Polarisierung entwickelt, das Klassenbewußtsein ist in vielen westlichen Gesellschaften nach 1945 schwächer geworden, die sozialistische Programmatik hat an Boden verloren. Welche Gründe gibt es dafür?

Die Mittelschicht, die in der Marxschen Analyse aus Handwerkern, kleinen Produzenten, Kleinbauern und freiberuflich Tätigen bestand, hat sich — ohne ganz aufgerieben zu werden — tatsächlich verringert. Es ist aber eine neue Gesellschaftsschicht entstanden, die in der zweigeteilten Gesellschaftsstruktur nicht vorgesehen war: Die neue Mittelschicht, zusammengesetzt aus Industrie-und Ver-bandsmanagern, Büroangestellten, Beamten, Technikern, Wissenschaftlern und vielen anderen im Dienstleistungssektor Beschäftigten. Diese Schicht ist nicht so absolut von Herrschaftsgewalt, höherem Einkommen und vor allem Prestige ausgeschlossen, wie es die Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert war und heute noch ist. Diese Schicht bestimmt ihren Platz in der Gesellschaft zwischen einem „oben" und einem „unten", wobei sie dazu tendiert, den Herrschaftscharakter der Gesellschaft zu verdrängen. Ihr wichtigster Maßstab ist das Sozialprestige, das durch Berufszugehörigkeit, Einkommen, Konsumverhalten, Lebensstil und Bildung bestimmt wird.

„Eine Schichtung nach gesellschaftlichem Ansehen verändert das Klassensystem im Sinne von Marx in zweifacher Hinsicht ganz entscheidend: Erstens schiebt sich eine Reihe von Statusgruppen zwischen die beiden großen Klassen, wodurch die Kluft zwischen den extremen Polen der Klassenstruktur überbrückt wird. Zweitens wird damit eine völlig anders geartete Auffassung von gesellschaftlicher Schichtung nahegelegt, derzufolge sie als ein Kontinuum mehr oder weniger klar definierter Status-Positionen erscheint, die nicht einfach nur durch Besitz, sondern durch die verschiedensten Faktoren bestimmt sind. Die Herausbildung großer gesellschaftlicher Klassen und grundsätzlicher Klassenkonflikte sind damit unvereinbar. Die Beziehungen zwischen den Statusgruppen auf verschiedenen Ebenen sind durch Wettbewerb und Nacheifern gekennzeichnet, nicht durch Konflikt. Seit die Mittelklassen sowohl der Zahl als auch dem Anteil an der Gesamtbevölkerung nach zugenommen haben, hat das Verständnis der Gesellschaftsstruktur als Kontinuum von Prestigegruppen (bzw. Statusgruppen) erheblichen Einfluß auf das gesellschaftliche Denken genommen. Nach dieser Ansicht gibt es keinen scharfen Bruch und somit keine eindeutigen Konfliktsituationen zwischen den Hauptgruppen der Gesellschaft. Die Ausbreitung solcher Ideen hat dazu beigetragen, dem Anwachsen des Klassenbewußtseins Einhalt zu gebieten." Zumal, wäre hieranzuschließen, wenn man berücksichtigt, daß diese neue Mittel-schicht im sogenannten sekundären Sozialisationsbereich (Schulen, Hochschulen) und im Meinungsbildungsbereich (Massenmedien, Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen) dominiert. Diese Schicht vertritt nicht die Gleichheitsziele der Arbeiterschaft, im Gegenteil: Die Interessenorganisationen dieser Schicht bemühen sich, die Einkommensunterschiede zwischen Angestellten und Arbeitern zu halten oder noch auszudehnen. Diese Schicht ist so groß, daß rechte und linke Parteien um sie werben und sich dabei zumindest teilweise ihrer Ideologie anpassen.

Als ein wichtiger Faktor zur Mäßigung des Klassenbewußtseins wird die soziale Mobilität, vor allem die Chance zu sozialen Aufstiegsbewegungen, gesehen. Die zunehmenden Bildungsmöglichkeiten schafften Chancen, von unteren in höhere Klassen zu wechseln; damit wurde die strikte Trennung und Gegensätzlichkeit der Klassen aufgehoben. Abgesehen davon, daß die westeuropäischen Gesellschaften heute noch weit entfernt sind von einer faktischen Gleichheit der Bildungschancen, ist auch das Ausmaß der individuellen Aufstiege höchst zweifelhaft. Selbst wenn man die Aufstiege in neu geschaffene Mittelschichtenberufe berücksichtigt, finden Aufstiegsbewegungen innerhalb einer Generation ganz selten von ganz unten bis ganz oben statt; häufiger sind die Wechsel von einer unteren zu einer nächsthöheren Schicht (z. B. obere Unter-schicht zur unteren Mittelschicht) und umgekehrt. Die wirklichen Führungspositionen sind nicht sehr zahlreich und von unten sehr schwer zu erreichen. Die meisten Menschen verlassen die Schicht, in die sie durch die Eltern gestellt sind, weder nach unten noch nach oben. Wichtiger als die tatsächliche Mobilität ist aber das Bild, das eine Gesellschaft von der möglichen Mobilität hat. Wird eine Gesellschaft in einem Parteiprogramm als offen dargestellt, wird die Position nur als durch Leistung vermittelt gesehen, werden Klassenschranken als zwar historisch überliefert, aber von jedem einzelnen — bei entsprechender Willensanstrengung — als überwindbar angesehen, dann spielt die tatsächliche Mobilität nur eine untergeordnete Rolle.

Kritisch ist gegen die These von der Aufweichung des Klassenbewußtseins durch soziale Mobilität folgender Einwand vorzubringen: „. . . die Arbeiterklasse würde bei einer hohen Mobilität zu einem Sammelbecken für diejenigen werden, welche trotz der ihnen gebotenen Chancen den Aufstieg nicht geschafft haben, und für jene, die infolge persönlichen Mißgeschicks aus höheren sozialen Schichten abgestiegen sind. Von einer solchen Klasse, die aus teils erbitterten und teils frustrierten Individuen bestände, könnte man erwarten, daß sie sich sehr stark von dem übrigen Teil der Gesellschaft unterschiede und mit ihm in dauerndem Konflikt lebte."

Die Propagierung der sozialen Mobilität und die Konzentration auf dieses Mittel zur sozialen Besserstellung schwächen die Unterstützung für eine egalitäre Gesellschaftsauffassung und tragen dazu bei, Angehörige der unteren Klasse von kollektiven Aktionen abzubringen: Denn Mobilität ist vor allem Aufgabe und Leistung des vereinzelten, mit anderen in Konkurrenz stehenden Individuums. Die politischen Konsequenzen liegen auf der Hand: Reprivatisierung, Entpolitisierung, Distanz zu kollektiven und egalitären Programmen. Hinzufügen muß man, daß das Konzept der individuellen Mobilität in der Arbeiterklasse noch nicht so weit verbreitet ist wie in der Mittel-schicht, ihre „Entideologisierung" hat überwiegend andere Gründe.

Mit am wichtigsten ist der allgemeine Anstieg des Lebensstandards, an dem auch die Arbeiterklasse partizipierte. Die Realeinkommen sind gestiegen; ein Sozialleistungssystem milderte die materiellen Folgen von Krankheit, Unfall und Alter; Arbeitszeitverkürzungen erweiterten die Freizeit, Vollbeschäftigungspolitik reduzierte die Arbeitslosigkeit. Man muß allerdings auch die Bedingungen sehen, unter denen viele der höheren Arbeitereinkommen zustande kommen. Dazu gehört z. B. auch die Mitarbeit der Frau und während einiger Zeit auch der Kinder (wobei die Arbeit der Frau kaum emanzipatorische Bedeutung hat: Wegen der Primitivität der Arbeiten aufgrund einer zumeist fehlenden oder mangelhaften Berufsausbildung und wegen der Belastung durch die größere Familie und die schlechtere Ausstattung des Haushalts)

Von politischer Bedeutung ist die Orientierung der Arbeiter an Konsum und Freizeit. Hier läßt sich, da vielfach gleiche Waren wie von den Mitgliedern anderer Schichten gekauft, werden, die Illusion der Gleichheit entwickeln und propagandistisch unterstützen. Das Fortbestehen einer radikalen Ungleichheit der Vermögen und die Existenz von Armut auch in den modernen Industriegesellschaften (Rentner, Menschen in Gebieten, die von der Industrialisierung kaum oder gar nicht erfaßt werden, Neger in den USA etc.) haben die Dominanz dieser individualisierten, entpolitisierten und durch Werbung beeinflußten Konsumwelt nicht berühren können.

Untersuchungen des Arbeiterbewußtseins zeigen, daß die Arbeiter trotz Konsum, Freizeit und individueller Aufstiegsorientierung ihr Klassenbewußtsein nicht verloren haben, d. h. die Gesellschaft in ein oben und unten eingeteilt sehen, und auch politisch in weitem Umfang nach wie vor die Parteien der Arbeiterbewegung wählen. Lipset weist darauf hin, daß in Westeuropa nach 1945 außer der KPD keine Massenpartei der Linken in wesentlichem Umfang Stimmen an rechte Parteien verloren habe oder gar verschwunden sei Was sich geändert hat, ist der Grad an Politisierung, das Maß revolutionären Engagements, das kämpferische Eintreten für eine neue, bessere Gesellschaft; Resignation und Rückzug ins Private scheinen die vorherrschenden Einstellungen zu sein. Diejenigen, die der „Entideologisierung" positiv gegenüberstehen, sehen im Rückgang revolutionären Bewußtseins einen Beitrag zum Funktionieren westlicher Demokratien. Jene, die eine sozialistische Gesellschaft anstreben, sehen die Notwendigkeit, gegen die moderne Werbungsindustrie und gegen die politischen Verschleierungstechniken in den Menschen neue Bedürfnisse zu wecken (z. B. das auf größtmögliche Selbst-und Mitbestimmung), da Hunger und schiere Armut als im 19. Jahrhundert ausreichende Gründe, sich für die Schaffung einer neuen Gesellschaft einzusetzen, heute keine dominierenden gesellschaftlichen Phänomene mehr sind

Ein weiterer Faktor, der zur Milderung des Klassenbewußtseins und zur Entschärfung der Klassenkämpfe beigetragen hat, wird in der Institutionalisierung der Arbeitskämpfe gesehen. Tarifverhandlungen, Schlichtungswesen, gemeinsame Verhandlungen mit Regierungsvertretern über gesamtwirtschaftliche Fragen hätten die gegenseitige Akzeptierung und die Ausbildung von Regeln der Auseinandersetzung gefördert. Damit sei der Konflikt stabili-siert und gleichzeitig gemäßigt worden. Ob die Institutionalisierung an sich diese mäßigende Wirkung hat, dürfte davon abhängen, wie weitgehend die Ziele der Arbeiterorganisationen sind. Sind sie weniger weitgehend, so dürfte in der Institutionalisierung selbst schon ein Erfolg gesehen werden, sonst ist sie nur ein Mittel zur Erreichung weitreichender Ziele. Einige weitere Faktoren aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Bereich, die zu einer „Entideologisierung" beigetragen haben, sollen nur noch stichwortartig aufgegriffen werden: Ausbau des Staates zu einem Apparat der „Daseinsvorsorge", Bemühung um eine Politik wirtschaftlichen Wachstums unter Wahrung der Vollbeschäftigung, Ausbau des Bildungssystems, Herausbildung von „Volksparteien" unter der Bedingung parlamentarischer Demokratie bei allgemeinem Wahlrecht. Schließlich wird auch die Entwicklung einiger Wissenschaftsbereiche als eine Ursache für den Abbau umfassender Gesellschaftsentwürfe gesehen der Sozialtechniker ersetze den Ideologen. Dabei wird die Richtungsfrage (links—rechts) heruntergespielt und der Konsens der Status-quo-Gesellschaft nicht kritisch in Frage gestellt.

Neomarxisten nennen z. T. gleiche Faktoren für die „Entideologisierung". In ihrer Perspektive wird die „Entideologisierung" aber nicht als ein selbsttätiger Prozeß oder als ein Prozeß verstanden, der auf dem gemeinsamen Willen aller beruht und dem gemeinsamen Nutzen aller dient; vielmehr wird auf die herrschenden Kräfte, die Steuerungsund Manipulationsvorgänge sowie auf die Anpassungsbestrebungen hingewiesen.

In neomarxistischer Sicht wird die „Entideologisierung" negativ bewertet. Die fortbestehende, allerdings in der Form teilweise gewandelte Ungerechtigkeit, Irrationalität und Unterdrückung in den westlichen Gesellschaftssystemen werden analysiert und Konzeptionen zu ihrer Überwindung entwickelt.

Auch diejenigen Wissenschaftler, die die „Entideologisierung" positiv beurteilen und die nach ihrer politischen Orientierung zumeist Liberale sind, sehen die „Entideologisierung" im Lichte ihrer Werte, die sich nach ihrer Meinung in den westlichen Industriegesellschaften zwar noch nicht vollkommen, aber doch weitgehend verwirklichen lassen. „Dieser Wandel im westlichen politischen Leben spiegelt die Tatsache wider, daß die fundamentalen politischen Probleme der industriellen Revolution gelöst worden sind: die Arbeiter haben industrielle und politische Bürgerrechte errungen; die Konservativen haben den Wohlfahrtsstaat akzeptiert; und die demokratische Linke hat erkannt, daß eine Vermehrung staatlicher Macht mehr Gefahren für die Freiheit als Lösungen für wirtschaftliche Probleme mit sich bringt." Zwar wird z. B. die Fortdauer von Ungleichheiten in den westlichen Gesellschaften teilweise gesehen, aber der Kampf zwischen Kräften der Gleichheit und der Ungleichheit wird als diesen Gesellschaften immanent und die partielle Verstärkung sowohl der einen wie der anderen als möglich erachtet Hier wird dann noch einmal der Konflikt zwischen verschiedenen Demokratiekonzepten sichtbar. Im einen Falle (Lipset u. a.) eine Reduktionstheorie von Demokratie, die Demokratie auf eine Konkurrenz von Eliten im staatlichen Bereich beschränkt, zwar abgestützt durch ein Minimum an Gleichheit im gesellschaftlichen Bereich, aber prinzipiell als realisiert definierbar, wenn ein breiter Konsens besteht (Stabilitätsbedingung), sowie Konkurrenz von Parteien und Wahlentscheidungen der Bürger möglich sind.

Auf der anderen Seite steht eine Demokratie-konzeption mit einem gesamtgesellschaftlichen Verwirklichungsanspruch. „Die fast während des ganzen 19. Jahrhunderts vorherrschende Auffassung von der Demokratie als Herrschaft durch das Volk sah in der Demokratie einen fortschreitenden Prozeß, in dessen Verlauf politische Rechte, die Macht, sozialpolitische Entscheidungen zu beeinflussen, nach und nach auf Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden, denen sie früher vorenthalten worden waren. Das bedeutet zweierlei: erstens, daß die Demokratie ursprünglich als Doktrin und politische Bewegung der unteren Gesellschaftsklassen gegen die Herrschaft der aristokratischen und reichen Klassen auftrat . . .; und zweitens, daß man in ihr eine Entwicklung zu einem idealen Gesellschaftszustand sah, in dem sich die Menschen völlig selbst regieren würden — ein Zustand, der sich zwar nie gänzlich erreichen läßt, den die Demokraten jedoch erstreben sollten. Den meisten demo-kratischen politischen Denkern des 19. Jahrhunderts wäre es nicht eingefallen, das allgemeine Wahlrecht, den Wettbewerb zwischen verschiedenen politischen Parteien und die Repräsentativverfassung, so brauchbar sie im Gegensatz zu den Einrichtungen anderer politischer Regierungsformen auch sein mögen, als letztes Ziel des demokratischen Fortschritts zu betrachten, über das man Sich keinesfalls hinauswagen könne."

Da in den westlichen Staaten historisch gesehen größere Beteiligungs-und Gleichheitsrechte nur durch den Druck unterprivilegierter Gruppen zu erzielen waren, würde das Fehlen solchen Druckes in stabilisierten Gesellschaften eine weitere Demokratisierung verhindern. Es stellt sich die Frage, wo in den westlichen Demokratien Konflikte angelegt sind, die Gesellschaftsprogramme provozieren könnten, durch die erneut Demokratisierungsschübe möglich werden. Es seien nur einige angedeutet.

Im politischen Bereich besteht ein Konflikt zwischen der Rolle des einzelnen, die er nach der demokratischen Theorie spielen sollte, und der, die er tatsächlich spielt. Das Maß an politischen Zielvorstellungen, Informationen, an wirklichen Beteiligungschancen, das ihm im System der in begrenzter Konkurrenz befindlichen Parteien und Verbände geblieben ist, entmutigt den einzelnen oder führt ihn zur Schaffung eines neuen politischen Bereichs außerhalb des Systems offizieller Institutionen. Das Ansteigen des Bildungsstandes, das Ernstnehmen demokratischer Forderungen und der Entfaltungsmöglichkeiten, die die Freizeit bieten, verschärfen den Konflikt zwischen den Rollen des mündigen Bürgers außerhalb des Betriebes und des „Untertans" im Betrieb. Antriebe zur Forderung nach wirtschaftlicher Demokratie (Entscheidung der Produzenten über Art, Inhalt und Umfang der Produktion) sind in dieser Gesellschaft angelegt.

Ein Fundamentalkonflikt in den westlichen Gesellschaften liegt in dem, was G. K. Galbraith den Gegensatz von privatem Reichtum und öffentlicher Armut genannt hat. Der Mangel an öffentlichen Aufwendungen für grundlegende Bedürfnisse wie Kindererziehung, Bildung, Wohnungen, Verkehrsmittel, Stadt-und Raumplanung etc. stellt die Frage, ob es ausreicht, nur einige Posten im Haushalt zu verschieben, oder ob die zu geringen öffentlichen Mittel für diese grundlegenden Aufgaben ein struktureller Fehler privatkapitalistisch orientierter Gesellschaftssysteme sind.

Das sind nur — schlagwortartig — einige wichtige potentielle Konfliktstoffe in den westlichen Demokratien. In den Programmen der großen Parteien, wie sie heute angeboten werden, ist davon wenig die Rede. Aber die Programme werden sich ändern, wenn sich die sozialen Realitäten ändern, zu denen auch das Bewußtsein von den sozialen Gegebenheiten gehört.

Emnid hat in einer Repräsentativbefragung von 2500 Oberschülern, Abiturienten und Studenten im Alter von 17 bis 26 Jahren (abgeschlossen am 10. August 1968) bei der Frage, ob sie mit den derzeit bestehenden Parteien zufrieden seien oder sich weitere dazu wünschten, einen Anteil von lO°/o ermittelt, die wünschten, weitere Parteien wählen zu können. Wie müßten die neuen Parteien aussehen? Nach den vorgegebenen Antwortalternativen (über deren Angemessenheit und Eindeutigkeit man gewiß streiten kann), entschieden sich fast die Hälfte der mit den bestehenden Parteien Unzufriedenen für eine Partei, die links von der SPD anzusiedeln wäre: 13 % für eine radikale demokratische Partei, 22 0/0 für eine links von der SPD stehende Partei, 12 % für eine kommunistische Partei

Vieles spricht dafür, daß neue radikaldemokratische und sozialistische Lösungsvorschläge nicht zuerst in Parteien diskutiert und in Parteiprogrammen auftauchen werden, sondern daß die Erörterung und teilweise Erprobung radikaler emanzipatorischer Gesellschaftsentwürfe aus dem institutionalisierten politischen Bereich der großen und auch der kleineren Parteien auf andere gesellschaftliche Organisationen und auf einzelne gesellschaftliche Bereiche (z. B. die Hochschulen) abgewandert ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu Jürgen Habermas, Reflexionen über den Begriff der politischen Beteiligung, in: Habermas, von Friedeburg, Oehler, Weitz, Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten, Neuwied und Berlin 1961.

  2. Vgl. z. B. Werner Kaltefleiter, Wirtschaft und Politik in Deutschland. Konjunktur als Bestimmungsfaktor des Parteiensystems, Köln und Opladen 1966.

  3. Ossip K. Flechtheim, Die Institutionalisierung der Parteien in der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Politik, Jg. 9 NF, Heft 2, 1962, S. 101.

  4. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied und Berlin 19652.

  5. Rüdiger Altmann, Das Erbe Adenauers. Eine Bilanz, München 1963.

  6. Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 19683.

  7. Rüdiger Altmann, Die formierte Gesellschaft, in: Gesellschaftspolitische Kommentare, Bd. 13 (1966) S. 173— 178.

  8. Die Formierte Gesellschaft. Ludwig Erhards Gedanken zur politischen Ordnung Deutschlands, hrsg. vom Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn o. J. (1966).

  9. Vgl. z. B. Karl Schiller, Stabilität und Wachstum als wirtschaftspolitische Aufgabe. Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 15 vom 14. 2. 1967.

  10. Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, in: Agnoli, Brückner, Die Transformation der Demokratie, Berlin 1967, S. 4 ff.; Joachim Bergmann, Konsensus und Konflikt. Zum Verhältnis von Demokratie und industrieller Gesellschaft, in: Das Argument, 9. Jg., Februar 1967, Heft 1, S. 41 ff.; Otto Kirchheimer, Zur Frage der Souveränität, in: Kirchheimer, Politik und Verfassung, Frankfurt 1964, S. 57 ff.; Klaus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen — Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaften, 2. erw. Ausl., hrsg. von: WISO-ad-hoc-Gruppe /ad-hoc-Gruppe OSI, Berlin 1968; Robert Paul Wolff, Jenseits der Toleranz, in: Wolff, Moore, Marcuse, Kritik der reinen Toleranz, Frankfurt 1966, S. 57 ff.

  11. Claus Offe, a. a. O., S. 13.

  12. Vgl. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. erw. Ausl., Bern 1950.

  13. Dolf Sternberger, Lebende Verfassung. Studien über Koalition und Opposition, Meisenheim am Glan 1956, S. 133.

  14. Ebenda, S. 142 ff.

  15. Otto Kirchheimer, Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg., Heft 1, März 1965, S. 20 ff.

  16. Bodo Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, Berlin 1969.

  17. Otto Kirchheimer, a. a. O., S. 32.

  18. Maurice Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959.

  19. Leon D. Epstein, Political Parties in Western Democracies, New York, Washington, London 1967.

  20. Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppen-lebens, Neudruck der 2. Ausl, von 1925, Stuttgart 1955.

  21. Seymour Martin Lipset, Martin Trow, James Coleman, Union Democracy. The International Politics of the International Typographical Union, Garden City, New York 1962; vgl. auch Bodo Zeuner, a. a. O.

  22. Für Kritik und Reformvorschläge, die allerdings die gesellschaftlichen Bedingungen für diese „Pro-grammlosigkeit" nicht berücksichtigen, vgl.: Toward a More Responsible Two-Party System. A Report of the Committee on Political Parties, American Political Science Association, New York, Toronto 1950.

  23. Zu verschiedenen Methoden der wissenschaftlichen Inhaltsanalyse vgl. Alfons Silbermann, Systematische Inhaltsanalyse, in: Rene König (Hrsg.), Handbuch der Empirischen Sozialforschung, I. Bd., Stuttgart 19672, S. 570 ff.

  24. Vgl. Wolf-Dieter Narr, CDU — SPD. Programm und Praxis seit 1945, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966.

  25. In dieser Richtung argumentiert auch am Beispiel des Godesberger Programms Günter Edler, Der Godesberger Parteitag der SPD von 1959. Ein Beitrag zum Problem der innerparteilichen Willensbildung, in: Gegenwartskunde, Jg. 16, 1967/3, S. 208 ff. ,u

  26. Nach Abschluß des Manuskripts entdeckte ich die nach meiner Kenntnis bisher einzige wissenschaftliche Inhaltsanalyse von Parteiprogrammen; sie stammt von Olavi Borg: Basic Dimensions of

  27. Robin M. Williams, The Concept of Values, in: International Encyclopedia of the Social Sciences 1968, Artikel „Values"; Ethel M. Albert, Value Systems, ebenda.

  28. Heiner Flohr, Parteiprogramme in der Demokratie. Ein Beitrag zur Theorie der rationalen Politik, Göttingen 1968, S. 71 f.

  29. Gert Degenkolbe, über logische Struktur und gesellschaftliche Funktionen von Leerformeln, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 17. Jg„ 1965, Heft 2, S. 327 ff.

  30. Ein Beispiel gibt Heiner Flohr, a. a. O., S. 88 f.

  31. Für das Verhältnis von Programm und Praxis in der Geschichte der SPD vgl. Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur politischen Soziologie, Neuwied und Berlin 1967, S. 364 ff.

  32. Teilweise in Anlehung an Heiner Flohr, a. a. O., und Wolf-Dieter Narr, a.. a. O.

  33. Blecha, Gmoser, Kienzl, Der durchleuchtete Wähler. Beiträge zur politischen Soziologie in Österreich, Wien 1964; Viggo Graf Blücher, Der Prozeß der Meinungsbildung — dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1961, Bielefeld 1962.

  34. So etwa bei Winfried Martini, Das Ende aller Sicherheit, Stuttgart 1954.

  35. Vgl. Dolf Stemberger, Grund und Abgrund der Macht. Kritik der Rechtmäßigkeit heutiger Regierungen, Frankfurt 1962.

  36. Vgl. dazu Bodo Zeuner, a. a O.

  37. Heiner Flohr, a. a. O., S. 167.

  38. Vgl. auch Horst Krüger (Hrsg.), Was ist heute links? Thesen und Theorien zu einer politischen Position, München 1963, S. 7. Dies steht in Übereinstimmung mit der Betonung von Gemeinsamkeiten in einer Gesellschaft der Ungleichen durch die Rechte: vgl. Position 5 in der Übersicht.

  39. Horst Krüger, ä. a. O.; Reinhard Kühnl, Rechts und links als politische Grundkategorien, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, XII. Jg., Nov. 1967, Heft 11, S. 1166 ff.; Olavi Borg, a. a. O.

  40. Reinhard Kühnl, a. a. O., S. 1167.

  41. In seiner jüngsten Veröffentlichung wendet Kühnt die Richtungsbegriffe auf das deutsche politische System vor allem seit 1945 an. Dabei kommt er zu dem Urteil, daß es in der Bundesrepublik „im Grunde nur Rechtsparteien" gibt (S. 23). Reinhard Kühnl, Deutschland zwischen Demokratie und Faschismus. Zur Problematik der bürgerlichen Gesellschaft seit 1918, München 1969.

  42. Günter Gaus, Bonn ohne Regierung? Kanzler-regiment und Opposition, München 1965, S. 20.

  43. Für Italien ausführlich nachgewiesen bei Joseph LaPalombara, Decline of Ideology: A Dissent and an Interpretation, in: The American Political Science Review, Vol. LX, March 1966, No. 1, S. 5 ff.

  44. Raymond Aron, Opium für Intellektuelle oder: Die Sucht nach Weltanschauung, Köln, Berlin 1957; ders., Societe industrielle, ideologies, Philosophie, in: Preuves 1965; Edward Shils, The End of Ideology? In: Encounter, 5. Jg., Nov. 1955, S. 52 ff.; Seymour Martin Lipset, The Changing Class Structure and Contemporary European Politics, in:

  45. Z. B. Otto Kirchheimer, Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, a. a. O.,; Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, a. a. O.; Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied und Berlin 19682; Wolfram Burisch, Ideologie und Sachzwang. Die Entideologierungsthese in neueren Gesellschaftstheorien, Tübingen 19682.

  46. Vgl. Joseph LaPalombara, a. a. O.

  47. Zur Diskussion der Begriffe Klasse und Schicht vgl. Ralf Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart 1957, und Bruno Seidel, Siegfried Jenkner (Hrsg.), Klassenbildung und Sozialschichtung, Darmstadt 1968.

  48. Ralf Dahrendorf, a. a. O., S. IX.

  49. T. B. Bottomore, Die sozialen Klassen in der modernen Gesellschaft, München 1967, S. 29 f.

  50. T. B. Bottomore, a. a. O., S. 51 f.

  51. Richard F. Hamilton, Einkommen und Klassenstruktur. Der Fall der Bundesrepublik, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 20. Jg, Juni 1968, Heft 2, S. 250 ff.

  52. Vgl. dazu Wolfgang Müller, Armut in der Wohlstandsgesellschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, XIV. Jg., Februar 1969, Heft 2, S. 164 ff. (mit vielen Literaturhinweisen).

  53. Zitiert und ausgewertet bei T. B. Bottomore, a. a. O.

  54. Seymour Martin Lipset, The Changing Class Structure, a. a. O., S. 346.

  55. Vgl. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt 1967.

  56. Robert E. Lane, The Decline of Politics and Ideology in a Knowledgeable Society, in: American Sociological Review, Vol. 31, Oct. 1966 S. 649 ff.

  57. Seymour Martin Lipset, The End of Ideology?, a. a. O., S. 406.

  58. Seymour Martin Lipset, The Changing Class Structure, a. a. O., S. 359 f.

  59. T. B. Bottomore, Elite und Gesellschaft. Eine Übersicht über die Entwicklung des Eliteproblems, München 1966, S. 119f.

  60. Wolfgang Berkefeld, Unterwegs nach links. Die intellektuelle Jugend, die Parteien und der Staat, in: Sonntagsblatt vom 10. November 1968, S. 2.

Weitere Inhalte

Joachim Raschke, Dipl. -Pol., geb. 1938, Redakteur der Schriftenreihe Zur Politik und Zeitgeschichte am Otto-Suhr-Institut Berlin. Veröffentlichungen zu verschiedenen Demokratieproblemen.