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Die Bundeswehr in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 4/1970 | bpb.de

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APuZ 4/1970 Die Bundeswehr in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland

Die Bundeswehr in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland

Helmut Große

/ 63 Minuten zu lesen

Vorbemerkung

Die Bundeswehr und die Last der Integration der in die Gesellschaft Anfangs I. II. Aspekte ihres Streitkräfte Vorbemerkung INHALT Die Armee in der politischen Ordnung Die Armee des Bündnisses Der waffenlose Staat Nachwirkungen der. Diskriminierung der Soldaten Alte Soldaten in der neuen Armee Die neuen geistigen Grundlagen Rationaler Anspruch und emotionales Bedürfnis Biographie der alten Soldaten Probleme des neuen Verständnisses des Soldaten und seiner Wertwelt überkommene nationale und soldatische Trad誀ٴ

Dieser Aufsatz ist keine soziologische Untersuchung, sondern eine verstehende und zugleich fordernde Meditation über das Thema „Bundeswehr". Sie beruht auf Ergebnissen empirischer Sozialforschung ebenso wie auf historischen, politikwissenschaftlichen Erfahrungen. Ihr Sinn kann deshalb nur darin liegen, einen Beitrag zur Klärung des Standorts der Bundeswehr in der Gesellschaft unseres Staates zu leisten und, davon ausgehend, einige Forderungen an Gesellschaft und Bundeswehr für die künftige Entwicklung abzuleiten.

Der Begriff des hier angesprochenen Staats-und Gesellschaftsverständnisses ist durch die Normen des Grundgesetzes hinreichend umrissen. Gesellschaft begreift sich als freie Gruppierung des Staatsvolkes nach dem Prinzip der Pluralität auf den Ebenen der Interessen und der Wertverständnisse.

Die Bundeswehr erscheint unter den Aspekten des Staates als dessen Exekutivorgan zur Wahrung äußerer Sicherheit, unter den Aspekten der Gesellschaft als soziologisches Subsystem. Ihre Soldaten sind Staatsbürger und Mitglieder der pluralistischen Gesellschaft; zugleich gehören sie einer Machtorganisation von besonderem politischen Gewicht an.

I. Die Bundeswehr und die Last ihres Anfangs

Die Armee in der politischen Ordnung Die Bundeswehr ist normativ und politisch in der Ordnung unseres Staates eindeutig und unangefochten verankert. Um ihre Stellung in der modernen Industriegesellschaft wird dagegen noch gerungen. Die Bürde ihres Anfangs sowie die militärgeschichtliche Tradition lastet noch auf ihr.

Die Bundeswehr wurde mit dem Auftrag geschaffen, unseren demokratischen Staat durch ihr Dasein und durch ihre Kampfbereitschaft zu verteidigen; und zwar nicht allein, sondern gemeinsam mit den Armeen anderei Länder. Die feierliche Formel dieses Auftrags lautet: „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, die pragmatische: „die Freiheit und Unversehrtheit unseres Landes im Verein mit den verbündeten Mächten zu bewahren und einen an-gemessenen deutschen Beitrag hierzu zu leisten"

Diese Armee trat nicht mit der Gründung dieses demokratischen Staates ins Leben, sondern erst Jahre danach in ihn hinein. Dazu bedurfte es einer Änderung des Grundgesetzes gegen den Willen eines beträchtlichen Teiles der Wählerschaft.

Nach dem Gesetzesbeschluß standen auch die ehemaligen parlamentarischen Gegner zu dieser bewaffneten Macht. Das verlangte das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung und die gute demokratische Sitte. Sie wurde durch die Opposition nicht verletzt Der geschichtliche Moment äußerer Bedrohung, dem dieser Staat seine bewaffnete Macht ver-dankt, betraf nicht nur seine eigenen Interessen, sondern die Interessen aller westlichen Staaten, die sich gegen diese Bedrohung im Nordatlantischen Verteidigungsvertrag zusammengeschlossen haben In dieses Bündnis brachten die beteiligten Staaten nationale Streitkräfte schon im Frieden ein. Jedoch verblieben einige Kontingente auch außerhalb dieses Bündnisses unter alleiniger nationaler Verfügungsgewalt.

Ein Land entzog schließlich alle seine Truppen der Integration und gehört dem Bündnis nur noch politisch an.

Die Armee des Bündnisses Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland wurden nicht als eine nationale Armee aufgestellt, sondern von Anfang an als Armee des Bündnisses; sie wurde als ganze in das Bündnis integriert. Der Aufbau einer Territorialverteidigung unter alleiniger Befehls-gewalt des Staates trat erst später hinzu. Die zweifache Kompetenzverteilung wurde 1968 aufgehoben

Die Bundeswehr bleibt als ganze eine Bündnisarmee und erkennt darin ihre Eigenart. Die Bundesrepublik Deutschland bejaht den Verzicht auf volle Wehrsouveränität, weil sie die nationale Selbstachtung nicht mehr nur an die sogenannte klassische Staatssouveränität gebunden sieht. Im Zeitalter wirtschaftlicher und militärischer Interdependenz hält sie deren herkömmlichen Begriff grundsätzlich für modifizierungsbedürftig. Nationale Verteidigung im Alleingang widerspräche zudem jeglicher politischen und militärischen Vernunft. Die Atomstrategie schafft neue Maßstäbe für jede Verteidigung der Verbündeten. Sie wirkt zurück auf nationales Selbstverständnis.

Der waffenlose Staat und seine Bewaffnung Die Aufstellung der Bundeswehr war nicht unproblematisch und konnte es nicht sein. Das hat historische und psychologische Gründe:

Die Bundesrepublik Deutschland selbst wurde zwar durch demokratische Kräfte aus diesem Volk aufgebaut, aber doch unter Schutz ur Einfluß ehemaliger Siegermächte. Sie wurc als Teilstaat der Nation geschaffen, weil sidie östliche Siegermacht einer Einheit de deutschen Volkes nach demokratischem Ve ständnis widersetzte. Zudem wurde sie a. waffenloser Staat konzipiert. Der durch da NS-Regime verschuldete moralische Substanz verlust konnte nicht ohne weiteres wettge macht werden. Die Jahre des Besatzungsre gimes wirkten ebenfalls nach.

Die bewaffnete Macht des neuen Staates wurd von den Westalliierten in einer Notsituatioi gefordert. Die deutsche Führung bejahte dies« Forderung und kam ihr entgegen.

Das geschah wegen der damaligen totalitärer Bedrohung aus dem Osten, die als gegen die neu gewonnene Freiheit gerichtet empfunder. wurde. Darüber hinaus aber bedeutete die Bewaffnung dieses Staates notwendig einen Zuwachs an Souveränität und eigener außenpolitischer Bewegungsfreiheit innerhalb der westlichen Welt, um deren Vertrauen man warb und auf deren Vertrauen man angewiesen war. Der neue Staat war entstanden durch die Gewährung freiheitlicher Selbstbestimmung seiner Bevölkerung, während der andere Teil der Nation dem Regiment kommunistischer Kollaborateure anheimgegeben blieb, das heißt der Verlängerung totalitärer Zwangsherrschaft unter anderem Vorzeichen.

Nachwirkungen der Diskriminierung der Soldaten Die bewaffnete Macht der Bundesrepublik Deutschland wurde in einer Situation ins Dasein gerufen, als der moralische und staatliche Zusammenbruch der Nation sowie die politische Schuld des eigenen totalitären Regimes noch nachhaltig empfunden wurden. Selbstanklagen, pathetischer Pazifismus und inferiore Ressentiments mischten sich noch trüb mit hoffnungsvoller Selbstreinigung, nüchterner Friedenssehnsucht und kritischer Wertung der Weltsituation. Jedoch setzten sich demokratische Selbstbehauptung und politische Klugheit durch, die in der realen Machtkonstellation der sich spaltenden Welt den Platz des neuen Staates sichern wollten. Der parlamentarische Beschluß zur Bewaffnung im Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses und das loyale Verhalten der Gegner dieses Beschlusses zeugten für den demokratischen Realismus der politischen Kräfte in diesem Staat. Der tatsächliche Aufbau geschah vorerst mit der Förderung der Mehrheitsparteien und der politischen Führung unter dem Bundeskanzler Adenauer. Erst allmählich trug auch die damalige Opposition bewußt und konstruktiv zur Ausgestaltung der Streitkräfte bei. Die Intransigenz der östlichen Großmacht in der Deutsch-f landfrage 5a) zerstörte Hoffnungen, denen eine Armee der Bundesrepublik Deutschland hätte im Wege stehen können. In der Bundeswehr, die als Wehrpflichtarmee Wirklichkeit wurde, dienten nunmehr junge Männer aus allen Volksschichten mit allen demokratischen Parteirichtungen. Als Preis der Freiheit wurI den Wachsamkeit und Wehrbereitschaft gegenüber einer expansiven totalitären Großmacht vom Staatsvolk bejaht. Die Zustimmung zur Landesverteidigung verlor ihre Problematik — sie wurde selbstverständlich.

Dennoch blieben Zurückhaltung und Unbehahagen in weiten Kreisen der Bevölkerung gegenüber dem tatsächlichen Auf-und Ausbau der Armee wirksam, auch bei Anhängern der Regierungsparteien. Zu tief war der Bruch und das Mißtrauen hinsichtlich der eigenen militärischen Vergangenheit, als daß man so ohne weiteres den politischen Notwendigkeiten sich hätte anheimgeben können. Mußte doch der Aufbau militärischer Kader ganz mit solchen Personen geschehen, die auch schon in der Wehrmacht Hitlers die höhere und mittlere, ja sogar die breite untere Führung gestellt hatten. Waren diese Soldaten des Zweiten Weltkrieges alle fähig und bereit, die neue Armee der Demokratie mit dem Geist zu durchdringen, den der freiheitliche Rechtsstaat von seinen Soldaten verlangen muß? Mit anderen Worten: Gab es schon genügend bewußte Demokraten unter den alten Soldaten, die man nun aufforderte, sich der Demokratie zur Verfügung zu stellen?

Die neuen Streitkräfte wurden in den neuen Staat eingefügt. Der gewaltigen Machtkonzentration, die eine Armee zwangsläufig darstellt, entsprechen verfassungsmäßige Kontrollen und politische Sicherungen. Die Prärogativen der politischen Führung über die militärische wurden institutionalisiert, für normale Zeiten und für den Verteidigungsfall Die Verwaltungsausgaben wurden einer zivilen* Behörde übertragen. Der Soldat unterstand, wie jeder andere Bürger auch, der normalen Gerichtsbarkeit. Wegen der Besonderheit des militärischen Dienstes erhielt der Soldat das Recht, sich mit Beschwerden unmittelbar an einen für ihn eigens Beauftragten des Parlaments zu wenden. Der Soldat behielt grundsätzlich seine Rechte als Staatsbürger. Sicherung des Staates vor möglichem militärischen Kommandomißbrauch und Schutz des Soldaten vor möglicher Mißachtung seiner Bürgerrechte durch militärische Vorgesetzte waren die beiden Pole, zwischen denen sich Verfassungsänderung und Wehrgesetzgebung entfalteten.

Alte Soldaten in der neuen Armee Die Führungskader auf allen Ebenen traten ihren Dienst an. Mit der Einweisung der Offiziere und Unteroffiziere in die veränderten militärischen Aufgaben begann deren Frage nach ihrem geistigen und sozialen Standort in dem neuen Staate. Antwort darauf gaben das Soldatengesetz und das Prinzip der Inneren Führung das für alle Vorgesetzten der Armee verbindlich gemacht wurde. Gesetze und Prinzipien sind normative Größen, die ihren Wert und ihre Geltung in der Bewältigung der Tagesaufgaben erweisen müssen.

Diese Normen sind eindeutig:

1. Der Soldat ist vollgültiger Staatsbürger, weder privilegiert noch unterprivilegiert.

2. Er ist der Soldat dieser Demokratie, die:

tapfer zu verteidigen er durch Gesetz verpflichtet ist.

Die Wirklichkeit zeigt sich an dem mentalen Verhalten des Soldaten der Demokratie gegenüber und an dem sozialen Verhalten der Bürger ihren Soldaten gegenüber. Hier könnten die Normen problematisch werden.

Die Führungskader der neuen Armee wurden j mit Personen besetzt, von denen die älteren noch als Berufssoldaten in die Reichswehr der Weimarer Republik eingetreten waren. Ihre geistige Prägung erhielten sie aus dieser Zeit. Die mittleren Jahrgänge hatten den Aufstieg des Nationalsozialismus miterlebt, vielfach noch von der hündischen Jugend herkommend, waren sie in die Hitlerjugend übernommen worden und trugen vor dem Krieg den Aufbau der Wehrmacht. Die jüngeren waren im Dritten Reich groß geworden und wurden erst im Kriege militärische Führer. Auf sie wirkte der nationalsozialistische Einfluß am undifferenziertesten. Der Aufstand vom 20. Juli 1944 hatte das Selbstbewußtsein der Wehrmacht gespalten. Der Zusammenbruch des NS-Regimes und die Konfrontation mit dessen Unmenschlichkeit nach der Niederlage sowie die bittere Erfahrung der Kriegsgefangenschaft, oft über viele Jahre hin, hatten diese Generation gezeichnet.

Der demokratische Aufbau weckte neue geistige Kräfte in ihr. Im reifen Mannesalter stellten sich die ehemaligen Soldaten der neuen Herausforderung. Sie erreichten in der Regel Studienabschlüsse und qualifizierte Berufstätigkeiten. Der geistige Umbruch, der damit verbunden war, ließ sie die neue politische Wirklichkeit reflektieren.

Der Entschluß dieser ehemaligen militärischen Führer, sich dem Aufbau einer neuen Armee für die Demokratie zur Verfügung zu stellen, ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Die Motive dafür reichen vom Willen, bewußt für die Werte der Demokratie einzutreten, bis zur Wahrnehmung der Chancen, im alten Beruf und dessen geliebter Lebensform wieder zu existieren. Innere Wertentscheidung und äußeres Fortkommen gehen dabei womöglich die unterschiedlichsten Mischungen ein. überzeugter Eifer für die Freiheit und Mitläufertum unter den neuen Staatsprinzipien sind in vielfältiger Abstufung wirksam. In welchen Graden und Verhältnissen das geschah, wurde erst dann sichtbar, als eine gewisse Konsolidierung der neuen Armee als Teil der Exekutivmacht des Staates eingetreten war. Jede Großgruppe entwickelt ein eigenes Selbstbewußtsein und verlangt nach Selbstdarstellung in der Gesellschaft; so auch die Bundeswehr, als ihr Bestehen Tatsache, ihr Auftrag Gesetz und ihr Dasein unentbehrlich für den Staat geworden war.

Die neuen geistigen Grundlagen Die Besinnung auf die notwendigen geistigen Grundlagen der neuen Armee geschah schon in der Vorbereitungszeit. Die Frage, woran die bewaffnete Macht dieser Demokratie anknüpfen könne oder ob sie an einem Nullpunkt beginnen solle, wurde von Anfang an gestellt. Der historisch bedingte Zwiespalt hat zur Folge, daß die emotionale Basis dieser Armee abstrakter, . verdünnter" ist als die anderer. „Die Freiheit und das Recht des deutschen Volkes" in diesem Teilstaat der Nation haben weder den nationalen und traditionalen Gemütsgehalt, auf dem die Armeen anderer Länder geistig unangefochten gedeihen, noch ist der politische Gehalt dieser These eindeutig.

Die Frage nach verbindlichen Traditionen war und ist schwer zu beantworten. Sie ist vielleicht gar nicht zu beantworten. Die Hypothek der jüngsten Vergangenheit lastete und lastet auf einem unbefangen naiven oder auch bewußten, reflektierten nationalen Selbstverständnis. Es war nicht nur die Frage dieser neuen Armee, sondern auch des neuen Staates selbst, dessen Symbole nicht mit großer Gemütsfülle gesättigt waren, dessen Ursprung und Sinn nicht aus einem nationalen Aufbruch erfolgte, sondern einer Rettungsaktion aus dem nationalen Niederbruch, aber doch unter den Vorzeichen von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde. Hier allein lag die Chance zu einer geistigen Verankerung der dieses neuen Armee Staates, die auch in der Geschichte der Nation einen Grund zu finden versprach

Das Konzept der Inneren Führung wurde entwickelt und sein Inhalt interpretiert. Es bezog sich auf die Werte des Grundgesetzes. Das Leitbild des . Staatsbürgers in Uniform wurde umschrieben. Sein Wertgehalt erschien in dieser Wortprägung zwar nicht immer deutlich, aber sie trug dennoch.

Rationaler Anspruch und emotionales Bedürfnis Das Verständnis des Soldaten in diesem Staat wurde von der politischen Führung des Staates interpretiert, der absolute Neubeginn, die absolute Einzigartigkeit dieser Armee betont. Das bedeutete konsequenterweise den Ver-zieht auf unkritische militärische Traditionslinien in dynastische oder nationalstaatliche Vergangenheiten hinein. Die Armee war aber auch nicht aus einem revolutionären Freiheitskampf oder einer nationalen Erhebung erwachsen. Ihr fehlte jedes Pathos eines heroischen Anfangs.

Die Armee wurde aus einer Notwendigkeit der Politik des neuen Staates aufgestellt. Ihr rationaler Anspruch war stärker als ihr emotionaler Impetus.

Dennoch konnte sie mit moralischem Anspruch beginnen, mit einem humanitären, weltbürgerlichen sogar, der an beste Traditionen vor-nationalistischer, vorimperialistischer und gerade deshalb würdiger nationaler Geisteshaltungen anknüpfen durfte. Die Einheit von nationalem und humanitärem Streben kennzeichnete die große geschichtliche Epoche um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Ihre militärischen Symbole waren in Deutschland die preußischen Heeresreformer Scharnhorst und Gneisenau. An ihre Gedanken konnte angeknüpft werden.

Diese neue Armee richtete sich nach neuen Zielen aus, die nach der Katastrophe zweier Weltkriege zukunftweisend schienen. Sie war die Armee eines Verteidigungsbündnisses im Frieden und überwand damit eine alleinige nationale Qualität zugunsten einer umfassenderen Einheit. Sie war die Armee zur. Sicherung und Verteidigung von Freiheit und Recht einer neuen Völkergemeinschaft, die ihre Werte und ihre Existenz von einer totalitären Macht bedroht sah. Sie war die Armee, die zur Verhinderung des Krieges geschaffen wurde und ihre nationale Verfügungsgewalt auf eine höhere Einheit übertrug.

Dieser Verzicht auf nationale Verfügungsgewalt hatte nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern war die aus der geschichtlichen Situation erwachsene Bejahung eines neuen geistigen Anfangs, auf den man große Hoffnungen für die politische Entwicklung freier Völker überhaupt setzte. Der militanten totalitären Ideologie des Sowjetkommunismus und deren machtstaatlichen Trägern setzte man keine Anti-Ideologie entgegen, sondern vertraute auf die formenden Kräfte politischer Freiheit, wie sie als geschichtliche Energie seit dem 18. Jahrhundert sich geistig und politisch entfaltet hatte und sich weiter zu entfalten versprach. Der Verzicht auf den alten Glanz des bunten Rocks, des Zeremoniells der Fahnen und Paraden sollte das neue Bewußtsein sichtbar werden lassen.

Biographie der alten Soldaten Und doch wurde diese Armee von Deutschen gebildet, die in dem neuen Staat nicht nur in den Kategorien der gegenwärtigen internationalen Politik und der übergreifenden Freiheitswerte dachten. Auch diese Armee war natürlich zum Schutz des eigenen Landes geschaffen, jenes Teils des alten Vaterlands, dem die Gunst der politischen Selbstbestimmung nach der nationalen Katastrophe gegeben war. Die Soldaten, die nun die. Führungskader der neuen bewaffneten Macht füllten, hatten ihre Biographie, die nicht zu trennen war von der jüngsten Geschichte ihres Volkes.

Die neue Armee suchte alsbald nach einem Ort in dieser nationalen Geschichte. Das bedeutete angesichts der insgesamt inhumanen Fehlentwicklung der letzten Epoche eine gewaltige seelische Belastung der Beteiligten.

Es wurde notwendig, das eigene Soldatentum, das man in der Reichswehr und in der Wehrmacht verwirklicht hatte, kritisch zu prüfen, zu analysieren, seinen Wert und Unwert abzuwägen, es mit den Maßstäben der politischen Ethik zu messen, Irrtümer und Fehlentwicklungen zu bekennen, seinen Grund zu läutern — und das nach einigen Jahren, unkritischer und emotioneller Diskriminierung jeden eigenen Soldatentums durch eine internationale und auch nationale Umwelt.

Was war das Ergebnis dieser Prüfung? — Das Eingeständnis politischer Gleichgültigkeit, politischer Unreife und politischer Unfähigkeit von denen, die einer unkritischen Staatsmetaphysik oder einem frevlerischen nationalistischen Führerkult gehuldigt hatten.

Es war aber auch der nüchterne Hinweis darauf, daß auch die Soldaten Produkte einer Erziehung und einer politischen Umwelt waren, die ja selbst wenig dazu angetan war, Erkenntnisse über die eigene Existenz und die historische und politische Situation zu fördern. Soldaten existieren eben auch im Kontext mit ihrem engeren und weltweiten Milieu. In diesem waren sie nicht zu politischem Denken erzogen, ja es war ihnen sogar weitgehend verwehrt worden. Sie waren zuerst parteilose, vom Wahlvolk abgetrennte Staats-diener, sie waren dann Diener der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, die selbst nicht mehr politisch denken oder handeln konnte, weil das sich nur die totalitäre Führung vorbehielt, die durch Propaganda und Terror effektive Zustimmung erzwang. Durfte man den Soldaten dieser Zeit nachträglich mehr Vorwürfe machen als allen anderen Bürgern? War der Appell, am Aufbau der neuenfreiheitlichen Staatlichkeit mitzuwirken, nicht ^gleichermaßen an sie wie an alle anderen CBürger guten Willens gerichtet?

Dennoch traten mit ihrem Eintritt in die neue Armee besondere Probleme an die alten Soldaten heran, die eben aus ihrer vorigen und (jetzigen soldatischen Existenz herrührten.

Probleme des neuen Verständnisses vom Soldaten und seiner Wertwelt Die alten Soldaten wurden wieder exponierte Diener eines Staates. Wie hatten sie ihren Staatsdienst ehemals verstanden? Welches 'Verständnis wurde ihnen nun abverlangt? 1 Die alten Soldaten hatten militärische Leistungen im Frieden und im Krieg aufzuweisen. 'Welche Würdigung sollten diese Leistungen c in den neuen Verhältnissen erfahren? 1 Offiziere hatten wesentlich den Widerstand > gegen Hitler mitgetragen. Am 20. Juli 1944 wurde das der Welt und dem eigenen Volke offenbar. Welche Würdigung hatte jene von der neuen Armee zu erwarten, und wie sollte die Masse derjenigen Offiziere gewertet werden, die aus gutem Glauben oder auch mit innerem Zweifel weiter — gemäß ihrem soldatischen Treueeid auf Hitler als dem Staatsoberhaupt — ihre militärische Pflicht erfüllt hatten?

Wie verhielt sich die Gesellschaft gegenüber der neuen Armee nach einer Periode der Perhorreszierung alles Militärischen in den Jahren der Diskriminierung der ehemaligen Soldaten und der Umerziehung durch Besatzungsmächte sowie der eigenen Entnazifizierungsmethoden? Überkommene nationale und soldatische Traditionen Das soldatische Selbstverständnis der Jahrgänge, die sich der neuen Armee zur Verfügung stellten, war bisher im wesentlichen geprägt vom nationalkonservativen Traditionsverständnis, wie es sich im Deutschen Reich nach 1871 herausgeformt hatte und das die republikanische Reichswehr bewahrte. Hinzugekommen waren eklektische ideologische Zusätze des Nationalsozialismus, die in sehr unterschiedlicher Quantität und Qualität die verschiedenen Kreise des militärischen Führer-korps durchdrangen. Die Skala reichte von vornehm — distanzierter Abwehr allzu inniger nationalsozialistischer Umarmung bis zum pseudoreligiösen Hingabeeifer an den Führer. Die Wehrmacht vermochte sogar Hort der inneren Emigration zu werden, und das Offizierkorps galt zuweilen als der einzige Kreis, in dem noch ungefährdet freie Meinungen geäußert werden konnten. Dennoch blieb der soldatische Grundwert des Gehorsams dem Staatsoberhaupt gegenüber unangefochten. Der Staat manifestierte sich in diesem, und der Eid auf die Person Hitlers wurde kaum als fragwürdig angesehen. Erst den Widerstandskreisen wurde er im Laufe des Krieges zum Problem. Ihnen gehörten aber nur wenige Offiziere im Verhältnis zur Gesamtzahl an.

Mit dieser militärischen Tradition eng verbunden war das Staatsverständnis der Soldaten der Reichswehr und der Wehrmacht. Geistig wirkte Hegels Staatsmetaphysik in das 20. Jahrhundert hinein. Sie hatte das Gottesgnadentum der Monarchie zur Voraussetzung. Nachdem die Monarchie der Republik gewichen war, verstand sich die Reichswehr als Hort des alten Staatsverständnisses. In der be-waffneten Macht des nun republikanischen Deutschen Reiches lebte auf fast mystische Weise die traditionelle Idee des Staates verborgen weiter. Die staatliche Wirklichkeit der Republik, die nun von der Parteiendemokratie geformt wurde, blieb nach Meinung der Reichs-wehr außerhalb dieser Idee des eigentlichen Staates. Die Reichswehr empfand sich gewissermaßen als sein Gralshüter. Der Nationalsozialismus wurde von der Reichswehrführung nicht geliebt. Aber an der Schwelle der Macht schien er den Staat reiner zu verkörpern und zu verwirklichen als die Republik Die Reichswehr öffnete sich ihm schließlich und wandelte sich stufenweise, nicht immer krisen-los, in die Wehrmacht hinein. Preußische, deutsche und schließlich großdeutsche Traditionen behaupteten sich auch weiterhin. Die alte Staatsidee schien in neuer Wirklichkeit zu sich selbst gekommen. Erst Niederlage und Zusammenbruch der Nation offenbarten den geschichtlichen Bankrott dieses Staatsverständnisses. Die zynische Manipulation seiner ethischen Komponenten durch die nationalsozialistischen Machthaber diskreditierte es -schließ lich vor aller Welt. Das bisher gültige Selbst-bild vom deutschen Soldaten brach damit entzwei. Der Sinn des Kampfes und der Opfer des Zweiten Weltkrieges konnte nicht gefunden werden. Das war das bittere existentielle Fazit jener Soldatengeneration, die sich nun der neuen Armee des neuen demokratischen Staates zur Verfügung stellte.

Die Formung eines neuen Staatsverständnisses Der neue demokratische Staat suchte und fand seine Prinzipien in anderen geistigen Traditionen. Er knüpfte an die politischen Ideen an, die seit dem 18. Jahrhundert in verschiedenen geschichtlichen Schüben die parlamentarische Demokratie herausgeformt hatten. Dieser Staat erkannte sich als nationale, pluralistisch gegliederte Gesellschaft, die sich eine soziale, rechtliche, freiheitliche Verfassung gegeben hatte. Deren Prinzipien und Postulate waren im demokratischen Prozeß der Meinungs-und Willensbildung bis hin zu den Organen der Gesetzgebung, der Regierungsverantwortung und der Rechtssicherung unter ständiger Anteilnahme der Bürger zu verwirklichen. Das nationale Interesse mußte im politischen Kon text mit anderen Staaten den eigenen Schutz organisieren und um eine Friedensordnung weltweiten Ausmaßes bemüht sein. Diese Aufgabe forderte eine Armee, deren Träger dieses Staatsbild begreifen, bejahen und als verantwortungsbewußte Mithandelnde im demokratischen Prozeß tätig sind. Dieses Verständnis wurde den Soldaten der neuen Armee wie allen Bürgern abverlangt. Deshalb'blieben sie als Soldaten vollrechtliche Staatsbürger in Uniform.

Eine fundamentale staatsbürgerliche und allgemeine politische Bildungsarbeit war dazu nötig und ist es auch heute noch. Die Frage, ob überhaupt oder in welchem Maße Traditionsbestände aus der Vergangenheit noch gültig sein können, wurde bedeutsam. Mit einer raschen, emotionalen, unerleuchteten Antwort darauf hätte der Sinn des demokratischen Staates schier umgekehrt und die Armee darin etwas völlig anderes werden können, als es die Verfassung gebietet. Die Frage der Tradition bekam denn auch ein enormes Gewicht mit der zunehmenden Stärke der Bundeswehr. Sie ist bis heute nur vorläufig beantwortet Sie wird zum Ausgangspunkt folgenschwerer Entwicklungen für den gesamten Staat, denn, als militärische Vorgesetzte und Untergebene dienen in dieser Armee gleichberechtigte Bürger der Demokratie. Die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges mußten erkennen, daß ihr Einsatz für das Vaterland unentwirrbar mit dem Dienst für eine verbrecherische Volks-führung verschlungen war. Damit war ihre untadelige Tapferkeit und menschliche Integrität vor den Augen der Welt und vor der eigenen Einschätzung ins moralische Zwielicht geraten. Sie hatten militärische Tüchtigkeit bewiesen, und ihre Tapferkeit war wie in allen Armeen ausgezeichnet worden. Diese Kriegsorden trugen das Emblem des nationalsozialistischen Staates, das Hakenkreuz Dieses war für ealle Welt zum Sinnbild der Unmenschlichkeit geworden. Die alten Soldaten, die sich nun der Armee des neuen demokratischen Staates 5zur Verfügung stellten, verzichteten auf die ^sichtbaren Ehrenzeichen ihrer Tapferkeit im MKriege. Waren die Orden doch von einer Fühmrung verliehen worden, die keinerlei moralischen Respekts würdig war und deshalb auch keine Ehre mit ihrem Symbol vergeben konnte.

□Dennoch kam die Frage nach der soldatischen IH Ehrenhaftigkeit im Kriege nicht zur Ruhe

IMan konnte wohl einen neuen Staat und eine ineue Armee schaffen, die auf neuen Normen d beruhten. Man konnte diese neue Wertgrundlage schaffen, indem man sich auf ethische Prinzipien, rechtliche Übereinkünfte und historische Erkenntnisse besann. Die Menschen, die b diese Grundlagen nun bejahten und sich an den Aufbau der Institutionen machten, fingen aber nicht ohne weiteres vom Nullpunkt aus an.

Anzunehmen, daß alle nach einem quasi-religiösen Bekehrungserlebnis allein von ihm aus iihre persönliche Existenz begreifen könnten, wäre illusionär. Die Unruhe über das Problem der kollektiven Schuld für die Taten der totalitären Führung, die im Namen des deutschen Volkes geschehen waren, und das Problem der persönlichen Unschuld in diesem düsteren Abschnitt nationaler Geschichte traf den inner... ----------------sten Lebensnerv der nationalen Existenz. Nach langem Ringen erst konnten die Gedanken von der Kollektivhaftung und der Kollektivscham des deutschen Volkes mit der persönlichen Integrität so vieler Deutscher zur moralischen Vereinbarkeit gelangen und Anerkennung finden. Das entscheidende aber war, daß diese Formel nicht nur im deutschen Volk, sondern vor allem auch draußen für annehmbar gehalten wurde.

Die Frage nach der Ehre der alten Soldaten in der neuen Armee Die Frage nach der soldatischen Ehre im Kriege suchte nicht nur eine innere, sondern auch eine sichtbare Lösung. Man entschloß sich, die Tapferkeitsauszeichnungen vom Stifter oder Verleiher zu trennen. Man reinigte die Orden vom diskriminierenden Emblem und ließ sie als Zeichen persönlicher soldatischer Bewährung gelten; ein gewiß erstaunlicher Vorgang ohne Beispiel, dessen Problematik dadurch nicht ausgelöscht wurde. Er zeigt die unvergleichbare innere Situation der Soldaten, die dem Staat in der neuen Armee zu dienen bereit waren.

Die Misere des nationalen Ansehens wurde auch an der Regelung der Ordensfrage sichtbar. Dennoch war ihre psychologische Wirkung erlösend für die Selbstachtung der alten Soldaten in der neuen Armee. Sie stellte die Soldaten des Zweiten Weltkrieges auf die gleiche Ehrenstufe mit den Soldaten der einstigen Kriegsgegner und neuen Verbündeten. Der internationale Kodex militärischer Tugenden galt nun uneingeschränkt auch für die Soldaten der ehemaligen Wehrmacht. Man mag zu diesem Ordensentscheid stehen, wie man will, und innere Vorbehalte dagegen bewahren. Doch förderte diese Symbolhandlung die Grundlegung soldatischen Selbstbewußtseins im neuen Staat und in der neuen internationalen Gemeinschaft des Bündnisses, in der kein Soldat mit schlechtem Gewissen existieren darf. Der neue Staat und das neue Bündnis setzten damit einen neuen Anfang gleicher soldatischer Solidarität.

Die Soldaten der neuen Armee standen wieder auf der moralischen Basis, wie sie allen Armeen zivilisierter Staaten selbstverständlich ist. Sie war nach dem Zweiten Weltkrieg in Zweifel gezogen, sie wurde nun wiederhergestellt. Dieser Akt machte erst die ressentimentfreie Zusammenarbeit im Bündnis möglich. Was die Armeen praktisch vollzogen hat-B ten, fand allerdings nicht immer das gleiche Verständnis in der öffentlichen Meinung der beteiligten Länder. Das bedeutete für deutsche Soldaten zuweilen neue psychologische Belastungen.

Die allergrößte Schwierigkeit im Selbstverständnis der alten Soldaten in der neuen Armee bereitete die innere Verarbeitung der Revolte gegen Hitler vom 20. Juli 1944. Der neue Staat sah in der Tatsache des Widerstandes gegen die Unrechtsherrschaft ein Symbol des besseren Deutschland. Es war ein wichtiges Argument gegen die von außen behauptete Kollektivschuld aller Deutschen. Die Widerstandsbewegung war das Werk heterogener Eliten, die erst spät zur Aktion gelangten, und zwar zu einer Zeit, in der der totalitäre Herrschaftsapparat den ganzen Volkskörper derart intensiv durchdrang, daß kaum ein Gruppenbereich mehr unkontrolliert war. Der Widerstand war keine Bewegung mit breiter Basis im Volk, er war die Verschwörung einer Anzahl von Menschen und Gruppen mit hohen politischen, geistigen oder ethischen Anschauungen. Unter ihnen spielte der militärische Zirkel eine wichtige Rolle, denn nur mit militärischer Macht hätte der Sturz Hitlers und seiner Anhänger gelingen können. Die sittliche Entscheidung jener führenden Personen des Widerstandes war belastet von der Drohung der nationalen Unterwerfung durch die Alliierten.

Der alte und der neue Eid

Die Gründe für ihre Entscheidung standen jenseits dessen, was man von den normalen Gliedern einer Armee füglich erwarten darf, einer Armee, deren Ethos immer und überall der Gehorsam ist. Im Eid hat er seine letzte Bindung. Auch die neue Armee kennt ja einen solchen Eid.

In der Tat waren die Probleme des Eides und des Gehorsams zum Angelpunkt des Selbstverständnisses des Soldaten in der neuen Armee geworden. Die deutsche militärische Tradition hatte diese Fragen niemals zu Ende gedacht. Hatten doch die Männer des 20. Juli selbst damit die ernstesten inneren Schwierigkeiten.

Die philosophische Ablehnung des Widerstandsrechts von Kant bis Radbruch war durch die deutsche Tradition des Staatsverständnisses hindurch wirksam. Der Unterschied zwischen dem Soldatenneid auf eine Person und dem auf die höchsten Werte von Staat oder Nation, die im obersten Kriegsherrn ihre Personifikation erhielten, war nur von wenigen während des NS-Staates erkannt worden. Die ethischen Dimensionen des Eides mußten nun erst gedeutet und rezipiert werden. Das war ein schmerzlicher Akt und überstieg nicht selten die intellektuelle und moralische Reife mancher Soldaten. Zudem blieb die Begründung eines Widerstandsrechtes oder gar einer Widerstandspflicht in höchst abstrakten, moralischen und intellektuellen Sphären angesiedelt, so daß sie kaum ein zu realisierendes Gemeingut aller Staatsbürger zu werden vermochte.

Dennoch trat nun an den Soldaten der neuen Armee die Forderung, die ethischen Grenzen des eigenen Gehorsams zu erkennen, sogar in juristischer Formel heran. Erst in der geistigen Bewältigung dieser Aufgabe konnte er innerlich die Würdigung der Männer des 20. Juli nachvollziehen, die die Gründer dieses Staates und der neuen Armee diesen zu teil werden ließ. Der Prozeß dieser Rezeption war langwierig und vollzog sich nicht ohne Widerstreben. Er scheint nun entschieden. An seinem Ende stehen die Anerkennung des verpflichtenden Vermächtnisses der Opfer des 20. Juli, das in der Forderung nach ethischer Durchdringung des Eides der Soldaten gipfelt, und die Verehrung jener aufständischen Offiziere, die für alle das tiefste Ethos des Soldaten bewußt gemacht haben, das erst der Tugend des Gehorsams ihren Wert verleiht. An seinem Ende steht aber auch die Bestätigung der moralischen Integrität jener, von denen solche Erkenntnis und Handlungsmacht billig nicht erwartet werden konnte, oder die ihren Einsatz im Kriege als notwendige Pflichterfüllung im inneren Zwiespalt empfunden haben.

In der neuen Armee durfte es unter den Soldaten nicht zweierlei Ehre geben. Wer am Widerstand gegen Hitler beteiligt war, durfte nicht mehr gelten als der, der seinen Eid auf Adolf Hitler irrtümlich absolut genommen hatte.

Narben der Vergangenheit Dennoch blieben Narben zurück, die das innere Gefüge der neuen Armee zeichneten: Das Bewußtsein davon bestimmte die besondere Verfassung der Bundeswehr den Armeen des Bündnisses gegenüber, die unversehrt ihre nationalen und korporativen Traditionen fortsetzen konnten, die nicht die Last einer totalitären Staatsvergangenheit zu tragen brauchen. IDie Normen der Armee waren durch Gesetz und Auseinandersetzung mit der Vergangen-I heit geprägt. Ihre Verwirklichung im Alltag I hing nicht zuletzt ab vom Verhalten der Gesellschaft und ihrer Gruppen der neuen militärischen Organisation mit ihren Trägern gegenüber, die zwangsläufig ein entscheidendes Gewicht innerhalb der staatlichen Exekutive erlangen mußte und als Wehrpflichtarmee mit allen Bevölkerungsschichten in engste Verbindung trat.

Inzwischen ist eine neue Generation der unteren und mittleren Führung herangewachsen. Die höhere Führung wird aber noch ausschließlich von alten Soldaten gestellt. An der Last ihres Anfangs hat die Bundeswehr deshalb noch immer zu tragen.

II. Aspekte der Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft

Die Frage des nationalen Selbstverständnisses Wir haben als Deutsche drei große Fragen, die unser Selbstverständnis betreffen:

1. Was bedeutet für uns heute Nation angesichts der deutschen Spaltung und des weltweiten Ost-West-Konfliktes?

2. Was bedeutet für uns Staat angesichts unserer nationalstaatlichen Geschichte und der Option des deutschen Volkes in der Bundesrepublik Deutschland für die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie?

3. Was bedeutet für uns die moderne, von Industrie und Großorganisationen geprägte pluralistische Gesellschaft angesichts ihrer staatlichen Verfaßtheit und ihrer Verflechtung mit der Weltgesellschaft?

Eine unzweideutige Antwort auf diese drei Fragen hat es bisher nicht gegeben. Vielleicht darf man sie auch nicht erwarten, weil die Fragen gar nicht mehr so gestellt werden können.

Vielleicht gibt es in der gegenwärtigen Weltlage überhaupt nur noch dialektische Bewegungen, in denen solche Fragen und Antworten aufgehoben werden. Das hätte zur Folge, daß wir um eine ständig zu überprüfende Standortbestimmung bemüht sein müßten, für die es keinen dauerhaften Status quo mehr gibt, sondern nur noch die punktuelle Analyse in Hinsicht auf den fortschreitenden Wandel in die Zukunft.

Aber auch dieser gegenwärtige, vielleicht flüchtige Zustand wie die künftigen Entwicklungen haben ihre Bedingungen. Es sind historische Gegebenheiten, soziale, psychologische, die wiederum von ökonomischen und technologischen modifiziert werden. Darauf fußen die politischen Wertentscheidungen für staatliches und gesellschaftliches Handeln, das in die Zukunft gerichtet sein muß.

Eine solche politische Wertentscheidung war seinerzeit die Aufstellung der Bundeswehr in unserem Staat. Mit ihrer Existenz wurden die oben genannten nationalen Fragen besonders virulent. Die versuchten Antworten, die eng mit dem Konzept der Inneren Führung verbunden sind, zeugen vom prozeßhaften Charakter jeden Antwortens, das heute möglich ist, aber auch davon, wie schwer es ist, diesen Prozeß im Bewußtsein zu verarbeiten.

Soziales Eigengewicht der Streitkräfte Streitkräfte bedeuten für jedes Gemeinwesen einen organisatorischen Körper von besonderem sozialen, ökonomischen und politischen Gewicht, auch im Sinne von Last. Die Probleme steigern sich, wenn sie sich — wie die Bundeswehr — nicht aus nationaler, staatlicher und gesellschaftlicher Kontinuität entwickelt haben, sondern ihr Dasein einem umstrittenen politischen Willensakt nach einem katastrophalen Bruch verdanken.

Dieser Bruch war objektiv zwar radikal genug, um eine rein zweckhafte Gründung ohne traditionelle Rückbindung zu ermöglichen, aber die menschlichen Träger der neuen Wehr-organisation blieben ja im Fluß der Generationen, das heißt, der geschichtliche Nullpunkt bleibt insofern eine theoretische Fiktion, als die Menschen an diesem Nullpunkt ihre Biographie nicht verlieren oder vergessen können und wollen. Im politischen Alltag der Deutschen unter den Besatzungsregimen und in den sich daraus polarisierenden staatlichen Gebilden auf deutschem Boden gewannen nach deren Konsolidierung ökonomische und soziale Gesichtspunkte verständlicherweise eine stärkere Relevanz als nationale und politische. Nach der Überwindung des Massenelends entfaltete sich in der Bundesrepublik Deutschland eine pluralistische Gesellschaft in enger Verbindung mit den technologischen, ökonomischen und sozialen Strukturen der übrigen westlichen Welt..

Aber eben diese westliche Welt hatte primär politische Probleme und sie zwang uns, diese wahrzunehmen, unser Eigeninteresse daran zu messen und politisch darauf zu reagieren.

Eine dieser politischen Entscheidungen fiel zugunsten der Bewaffnung unseres neuen Staates. Mit der neuen Armee wurde aber notwendigerweise das Fragen nach dem Sinn von Nation, Staat und Gesellschaft aus vielfältiger Verdrängung gelöst Die Antworten darauf blieben, wie wir erwähnten, unbefriedigend, befangen oder kontrovers.

Integration der Streitkräfte In einem Punkt herrschte aber Übereinstimmung: eine Armee, die vom politischen Willensträger des neuen Gemeinwesens begründet und von der Gesellschaft aus politischer Einsicht akzeptiert werden soll, dürfe nicht in einem Verhältnis zur Gesellschaft und ihrem demokratischen Staate stehen, das in irgendeiner Weise an schlechte Erfahrungen mit Armeen der jüngeren nationalstaatlichen Geschichte erinnert, weder in ihrer verfassungsmäßigen Gebundenheit noch in ihrem inneren Gefüge, noch im Bewußtsein ihres Führerkorps.

Die Forderungen, die daraus für ein neues Armeeverständnis entstanden, kristallisierten sich an dem Begriff der Integration Er hat zwei Aspekte, den staatlichen und den gesellschaftlichen.

Mit dem Akzent auf dem zweiten stellen sich die Fragen etwa so:

1. Wie steht die Bundeswehr in der staatlichen Verfaßtheit dieser Gesellschaft, 2. wo steht die Bundeswehr in der von Industrie und Großorganisationen geprägten pluralistischen Gesellschaft?

Beide Fragen gehören zusammen und beziehen sich auf das Verfassungsleben und auf das Sozialleben zugleich, auf Rechtsnormen und auf das Verhalten der Soldaten als soziologisch erfaßbarer Gruppe und als Individuen.

Beide Teilfragen fordern ständig analytische Antworten, die ihren Sinn vor dem politischen Postulat nach Integration bewähren müssen. Die Integration einer Armee in eine moderne pluralistische Gesellschaft wirft wohl in allen Staaten mit freier Sozialordnung Probleme auf. Sie sind allerdings recht verschieden je mach Herkommen und Selbstverständnis der Streitkräfte in den jeweiligen Ländern.

Wo eine Armee aus einem Akt staatlicher Selbstbehauptung oder durch einen nationalen Freiheitskampf entstanden ist, dürfte die Integration kaum problematisch sein; sie stellt sich vielmehr als Homogenisierung dar, allerdings mit der latenten Gefahr einer Militarisierung des ganzen Gemeinwesens.

Wo eine Armee durch eine Sozialrevolution geschaffen wurde, wirkt das Pathos des Anfangs auch dann noch integrativ nach, wenn reale Entwicklungen den Prinzipien des Anfangs wenig mehr entsprechen.

Armeen in gewachsenen nationalstaatlichen Demokratien haben es da am leichtesten. Sie waren seit langem oder stets schon Bestandteil der Gesellschaft, die in sich die Sonderheiten einer militärischen Großgruppe integriert hat. Denn die Armee als Instrument der äußeren Sicherheit ist dort fraglos der Garant der eigenen inneren Freiheits-und Rechtsordnung. Civil control ist selbstverständlich. Die Armee bleibt dem gemeinsamen politischen Ethos verpflichtet, paßt sich den evolutionären Veränderungen der demokratischen Gesellschaft an, so daß keine schwerwiegende Diskrepanz zwischen der Eigengesetzlichkeit der militärischen Organisation, des militärischen Verhaltens und den Organisationsformen und Verhaltensmustern der pluralistischen Gesellschaft empfunden wird.

• Ganz anders ist der Sachverhalt in einem Staate, der aus einer militärischen Niederlage der Nation entstanden ist, wie der unsere; zumal dann, wenn diese Niederlage auch die Niederlage eines ganzen vorhergegangenen Wertekanons bedeutete und alle nationalen Traditionen vorerst für die Zukunft in Frage stellte.

Die politische Zustimmung zur Wehrpflicht-armee als Bestandteil der Staatsexekutive wurde zwar allgemein. Sie war aber nicht identisch mit dem, was wir unter gesellschaftlicher Integration verstehen. Denn das Verhalten der gesellschaftlichen Gruppen erwies sich nicht als kongruent mit der Entscheidung ihrer politischen Willensträger. (Das ist insofern nicht anomal, als der politisch handlungsfähige Entscheidungswille im parlamentarischen System nicht gleich einem einheitlichen Gemeinwillen ist, sondern seine Macht auf eine Mehrheit gründet, der sich freiwillig mehr oder weniger große Minoritäten unterwerfen, und das innerhalb des staatlichen Entscheidungsorgans Parlament. Die Anerkennung des Gesetzes durch die Gesellschaft ist dann politisch gewährleistet, aber dessen Auswirkung im sozialen Feld trifft auf verschiedene Haltungen).

Individuen und Gruppen der pluralistischen Gesellschaft bemühten und bemühen sich mit recht unterschiedlicher Intensität um Integration der Bundeswehr. Es handelt sich hierbei nicht um juristische, sondern um psychologische Probleme der Einstellung aller loyalen Staatsbürger in ihrem gesellschaftlichen Verhältnis gegenüber dem Gemeinwesen. Und hier ist ein psychologischer Zwiespalt zu beobachten: rationale Bejahung der Bundeswehr im Interesse der Sicherheit dieses demokratischen Staates und emotionaler Vorbehalt der militärischen Organisation, ihrer Selbstdarstellung und ihren Trägern gegenüber

Wir fassen zusammen und stellen fest:

Die normativ-rechtliche Prämisse der Bundeswehr ist ihre Integration in den Staat. Sie ist durch Gesetzesbeschluß geleistet und stellt sich institutionell dadurch dar, daß die Streitkräfte Teil der staatlichen Exekutive sind und als solcher parlamentarischer Kontrolle unterliegen.

Die normativ-rechtlich nicht definierbare, aber praktische Forderung der demokratischen Gesellschaft an die Bundeswehr ist ebenfalls Integration. Sie kann sich weder staatsrechtlich noch institutionell darstellen, sondern ist auf gesellschaftliche Verwirklichung angewiesen. Sie kann sich nur dadurch manifestieren, daß das Leben der Armee nicht in grundsätzlichen Widerspruch zum Leben der pluralen Gesellschaft gerät. Das ist vorerst eine Erwartung, deren Erfüllung sich nur an konkreten Situationen und Verhaltensweisen ablesen läßt, die insgesamt ein integratives Klima erzeugen oder nicht.

Die normativ-staatsrechtliche Prämisse und das soziale Postulat sind beide theoretisch. Praktisch wirken sich beide erst im politischen und sozialen Vollzug des Verfassungslebens aus.

Forderungen der Gesellschaft an die Bundeswehr Der Staat hat der Bundeswehr seine Verfassungsnorm ausgeprägt und ihr den politischen und militärischen Auftrag gegeben. Die Gesellschaft tritt der Bundeswehr mit Erwartungen und Forderungen gegenüber, die sich auf ihren psychologischen und soziologischen Habitus und ihr gesellschaftsadäquates Verhalten bezieht. In jedem Fall sieht sich die Bundeswehr primär als gefordert; kein Wunder, daß ihre Vertreter leicht — zu Recht oder Unrecht — empfindlich werden, wenn sie sich als Menschen überfordert fühlen und zur emotionalen Verteidigung und Rechtfertigung ihres Eigen-seins neigen. Doch liegt dieses Gefordertsein in der Natur der Sache. Warum aber wird hier das Problem der Integration so stark empfunden? Warum ist das Verhältnis der Bundeswehr als staatliches Exekutivorgan nicht auch als Subsystem der Gesellschaft gleich selbstverständlich?

Anscheinend genügt es nicht, einer Armee normativ und sozial den gleichen Stellenwert zuzuweisen wie anderen Gruppen von Staats-dienern, um Integration von vornherein zu gewährleisten.

Die Bedeutung des Vertrauens der Gesellschaft zu den Streitkräften Unabhängig von den Gründen dafür, die in unserer Situation sicher sehr komplex sind, ist die Bundeswehr für die Erfüllung ihrer vom politischen Willen aufgetragenen Aufgabe auch auf das Vertrauen der Gesellschaft angewiesen.

Mit anderen Worten: Die Armee braucht psychologischen Rückhalt in der Gesellschaft. Das ist an sich eine Binsenwahrheit für jedes demokratische Gemeinwesen. Denn nur da, wo die Armee ein Herrschaftsinstrument in der Hand eines gesellschaftsfernen Staates ist, dürfte sie logischerweise als Entfremdungsmaschinerie zwischen Herrschaftsträgern und Herrschaftsunterworfenen empfunden werden. Wo aber die Gesellschaft sich selbst nach den Regeln einer modernen parlamentarischen Demokratie ihre notwendigen Herrschaftsorgane schafft, müßte das Verhältnis zwischen Gesellschaft und ihren staatlichen Organen, zu denen die Armee gehört, frei von Entfremdungsgefühlen sein. Da die Bundeswehr vom demokratischen Staat gewollt wird und der demokratische Konsens das Ob der Armee überhaupt nicht in Frage stellt, kann nur das Wie problematisch werden, das heißt nicht die Existenz, sondern die Struktur der Bundeswehr und ihr Sosein kann alleiniges Objekt legitimer Auseinandersetzung sein. In der Tat ist das bei uns auch die politische Wirklichkeit. Denn alle Wahlbürger, die den im Bundestag vertretenen Parteien ihre Stimme gegeben haben, bejahen damit die Bundeswehr als Instrument für unsere Sicherheit im Rahmen der NATO und nur eine kleine anarchistische Minderheit lehnt sie grundsätzlich ab, wie vieles andere auch in diesem Staat.

Der psychologische Vorbehalt der Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr Wo die rationale normative Einsicht auch vom Gefühl verarbeitet worden ist, wird theoretisch das Verhältnis von Gesellschaft und Armee problemlos oder doch problemarm sein. Doch in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wirklichkeit ist das nicht zu erwarten. Besondere individual-und sozial-psychologische Erfahrungen in einem Volk, dem die Fragwürdigkeit militärischen Eigengewichts überhaupt — unabhängig von Normen und Erfahrungen eines neuen Staatsverständnisses — noch von seiner größten geschichtlichen Katastrophe her in Erinnerung ist, verhindern immer noch oder immer wieder die Verschmelzung von Einsicht und Gefühl. Diese psychologische und auch existentielle Unsicherheit des politischen Gemütslebens des Volkes besteht weiter und kristallisiert sich in gewissen unbewußten Vorbehalten oder bewußten Vorurteilen von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen.

Ungeachtet der politischen Zustimmung der Wählerschaft erzeugt die Armee in der Gesellschaft keinen Stolz auf sie. Die Zeit, in der Armeen Herzensangelegenheit des Volkes sein konnten, ist auch anderswo vorbei. Die Bundeswehr fordert den Dienst von Wehrpflichtigen, und das in ärgerlich ungleicher Weise, sie verlangt einen sehr großen Anteil am Staatshaushalt, der von einer primär in Kategorien der Produktivität — sei es in wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Hinsicht — denkenden Wirtschaftsgesellschaft als unproduktiv und deshalb als nicht gesellschaftskonform, eher als absurd empfunden werden muß. Die Armee, die so viel menschliche und wirtschaftliche Produktivkraft bindet und verbraucht, gerät dabei leicht in den Zwiespalt politischer Zielprojektionen. Gesellschaftlich wirkt sich das aus als (1) Unbehagen am tatsächlichen physischen und innenpolitischen Gewicht der Armee, besonders dann, wenn von der Gesellschaft keine unmittelbare Bedrohung des Gemeinwesens von außen empfunden wird; ferner (2) als Unlust, den naturgemäß hohen Forderungen der militärischen Führung nach technischer Perfektion des Verteidigungsinstruments politisch nachzukommen, und schließlich (3) als Argwohn gegen Verselbständigungstendenzen eines so qualifizierten Machtapparates innerhalb der staatlichen Exekutive, dessen Strukturprinzipien notwendigerweise anders geartet sind als die ziviler Organe. Äußerungen dieses sozialpsychologischen Un-gleichgewichts wirken leicht auf die menschlichen Träger der Armee frustrierend. Sie, die sich mit der militärischen Organisation identifizieren und sie als gesellschaftliche Größe sichtbar machen, stehen in einem traditional begründeten Dilemma des Selbstverständnisses. Sie leiden dadurch noch immer häufig an einer Statusunsicherheit in dieser Gesellschaft und haben es schwerer als andere Staatsdiener, ihren sozialen Ort einzuschätzen und ihn angemessen darzustellen. Abwehrgefühle richten sich dann leicht auf die Öffentlichkeit schlechthin, deren politische und gesellschaftliche Aspekte nicht genügend differenziert werden. In der Diskussion um die Integration von Armee und Gesellschaft tritt dann die Klage der Soldaten auf, diese demokratische Öffentlichkeit hege ein so starkes Mißtrauen gegenüber der Bundeswehr, daß diese bei allem guten Willen zur Integration in eine Haltung der Abwehr gedrängt werde.

Exkurs Wie stark solche psychologischen Sperren selbst bei politisch Gebildeten wirken, ist erstaunlich und betrüblich. Sie sind auch kaum durch rationale Argumente abzubauen, sondern nur durch lebendige Erfahrungen im Umgang mit Soldaten selbst. Im Aufgabenbereich des Verfassers lag kürzlich die Organisation einer mehrwöchigen Bildungsveranstaltung für Offiziere mit Kräften aus Wirtschaft und Wissenschaft. Es bedurfte z. T. werbender Überredung und des Appells an das staatsbürgerliche Gewissen, um genügend Mitwirkende aus diesen Kreisen zu gewinnen. Nach der Veranstaltung bestätigten gerade diejenigen, die die stärksten Vorbehalte hatten, ihre unumschränkte Bereitschaft, an anderen Vorhaben dieser Art wieder mitzuwirken. Die geistige Arbeit mit den Offizieren hatte ihre psychologische Sperre völlig überwunden. Die Bundeswehr sahen sie nun unbefangen wie jede andere staatliche Institution in ihrer politischen Funktion, die eben nicht ohne gesellschaftliche Gegebenheiten und Folgen denkbar ist.

Neue Nahrung bekommen solche gesellschaftlichen Vorbehalte auch durch die immer erneuten Bemühungen bestimmter Kreise, soldatische Traditionen möglichst lückenlos auch in der jüngsten Geschichte ausfindig zu machen und durch äußere Zeichen Korpsgeist und Waffenstolz zu fördern. Das Verlangen nach Tradition hat in der Truppe nicht selten oberflächliche Erscheinungen gefördert, die eher Fragen des militärischen Komments berühren als eigentliche Wertentscheidungen zugunsten menschlicher Leitbilder. Sie werden manchmal so wichtig genommen, daß sie das Wesentliche der Traditionsfrage überhaupt verdecken. Konservierung und Neubelebung eines Kultes der Teilstreitkräfte und der Waffengattungen, von Waffen und militärischen Emblemen, von Uniformzubehör, Paradegepflogenheiten und Militärmusik, von exklusiven Umgangsformen und Feierriten wirken kaum auf die gesellschaftliche Umwelt in integrierendem Sinne. Sie können ohne Bedenken als militärische Folklore angesprochen werden, die so lange nicht schadet, als sie nicht tierisch ernst für ein heiliges Gut soldatischen Wesens erklärt wird oder als solches wirkt (Folklore kann harmlos als Ausdruck des Homo ludens erscheinen oder gefährlich als fanatische Bewahrung historisch überlebter Zustände im Selbstverständnis geschlossener Gesellschaftsgruppen). Die Erinnerung an die Hypertrophien des militärischen Zeichen-und Formenkultes während der NS-Zeit und seine Ausdehnung auf das ganze Volk schafft auch heute noch Unbehagen. Wenn ohne funktionale Notwendigkeit solche militärischen Zeichen und Formen in der Bundeswehr zur Geltung gebracht und als unzeitgemäß empfunden werden müßten, könnten sie nur Abneigung stimulieren. Der Argwohn, daß mit dieser Art von Selbstdarstellung militärische Führungskreise in der Öffentlichkeit auftrumpfen und ihrem Bedürfnis nach mehr Statusprofil und Prestige Ausdruck geben möchten, würde unweigerlich, vielleicht zu Recht, aufbrechen. Das urmenschliche Massen-bedürfnis nach Spiel, Schau und Parade, dem die Armeen der Vergangenheit und der modernen Diktaturen grundsätzlich Rechnung getragen haben und noch tragen, wird in der modernen Gesellschaft von anderen Kräften mehr als ausreichend befriedigt. Wenn sich heute Soldaten daran beteiligen, kann es nur noch unbehaglich wirken; zu sehr steht es im Widerspruch mit der Wirklichkeit des militärischen Einsatzes, dessen blutigen Ernst man kennt.

Dennoch braucht nicht gleich die Gefahr des Staates im Staate beschworen werden, wenn man gewissen militärischen Gruppeneigentümlichkeiten begegnet. In allen demokratischen Staaten mit pluralistischer Gesellschaft gibt es sie, ohne daß sie als desintegrierend empfunden werden. Die absolute Askese von äußeren Zeichen und Formen zu Anfang der Bundeswehr besteht zwar nicht mehr, aber sie wirkt noch dämpfend nach. An ihrem Farbigerwerden ist in nicht unerheblichem Maße der Einfluß der NATO-Partner beteiligt

Psychologische Vorbehalte der Soldaten gegenüber der Gesellschaft Solche Abwehrhaltungen richten sich dann ohne Unterscheidung gleichermaßen gegen politische Institutionen und gesellschaftliche Gruppen und deren Verhaltensweisen.

Die parlamentarische Institution des Wehrbeauftragten oder die Rangfrage des höchsten Generals gegenüber der zivilen Spitze des Verteidigungsministeriums z. B. erregten bisher immer wieder die Gemüter. Soldaten sind geneigt, diese politischen Kontrollorgane und -verfahren als Ausdruck eines desintegrierenden Mißtrauens zu werten, das nicht nur die objektive militärische Organisation betrifft, sondern die Soldaten persönlich. Wenn auch der Primat der Politik als fundamentale politische Entscheidung für die Streitkräfte außer Frage steht, was politische Kontrolle natürlich einschließt, werden Kontrollorgane und -verfahren, die auf die Sonderstellung der bewaffneten Macht innerhalb der staatlichen Exekutive und ihre besonderen Probleme zugeschnitten sind, als Ausdruck herabsetzenden Mißtrauens gegen die Soldaten selbst in ihrem korporativen Verständnis interpretiert.

Daß politisch begründete und demokratisch legitimierte Kontrollinstanzen und -regelungen von Angehörigen der Streitkräfte als diskriminierend empfunden werden können, weist auf das Problem demokratischer Kontrolle überhaupt hin.

Mißtrauen als komplementäre demokratische Tugend Es ist unbestritten, daß eine freiheitliche politische nur funktionieren kann, wenn staatlichen Organen von den Regierten ein gehöriges Maß an Vertrauen entgegengebracht wird. Aber ebenso gilt Montesquieus Satz, wonach jeder Mensch, der Macht hat, dazu neigt, sie zu mißbrauchen oder so weit zu gehen, bis er Schranken vorfindet. „Um den Mißbrauch der Macht zu verhindern, muß, vermöge einer Ordnung der Dinge, die Macht der Macht Schranken setzen." Demokratische Kontrollinstanzen werden als derartige Schranken gesetzt. Sie dürfen durchaus als versachlichtes institutionalisiertes Mißtrauen gedeutet werden. Sie funktionieren ohne die Problematik emotionaler Wallungen. *

Mißtrauen als dialektisches Korrelat zum Vertrauen ist im Hinblick auf alle Machtkörper im Gefüge von Staat und Gesellschaft eine höchst schätzenswerte demokratische Tugend. Neben diesem parlamentarisch und damit staatlich eingesetzten Mißtrauen ist aber auch das freie gesellschaftliche Mißtrauen eine demokratische Tugend. Die demokratische Öffentlichkeit ist über die staatlichen Organe hinaus aufgefordert, Machtgebilde in Staat und Gesellschaft und ihre Wirkung im politischen Prozeß kritisch zu beobachten und zu kommentieren. Dadurch wirkt sie kontrollierend im Rahmen des Gesamtsystems. Von pluralistischen Interessen, veröffentlichter Meinung und nur atmosphärisch sich bekundenden Verhalten der zivilen Bevölkerung gegenüber ihrer Armee als Ganzes und ihren Mitbürgern in Uniform als Einzelnen gehen solche Kontrollen vielfältig aus. Wenn es auch menschlich ist, daß jede Kontrolle als nicht angenehm empfunden wird, so muß auch der mit Machtbefugnissen ausgestattete Demokrat die Kontrolle seiner Macht grundsätzlich wollen, ja fordern. Er muß sich selbst kritisch gegenüberstehen und die Kontrolle von außen als Kriterium für sein Handeln mit einbeziehen. Deshalb steht es unter dem Prinzip der Öffentlichkeit.

Der Soldat im Machtkörper der Streitkräfte Leider ist ein ausgewogenes Verhältnis vom demokratischem Vertrauen und Mißtrauen bei uns Deutschen noch kaum gefunden. Im allgemeinen wird ein Vertrauensüberschuß höher gewertet als das nüchterne, demokratische Mißtrauen oder gar ein Mehr an solchem. Es ist deshalb kein Wunder, daß das Verständnis dafür bei den Soldaten nicht weiter entwickelt ist als anderswo, zumal sie von der deutschen Tradition her fragloses Vertrauen gewöhnt waren.

Der Gesamtkörper einer Armee als stärkster Träger physischer Staatsgewalt entwickelt von sich aus zwangsläufig ein besonderes Eigengewicht an Macht. Sie darf in den Händen einer funktionierenden Befehlshierarchie nicht ohne besondere Kontrolle durch den Staat (und das heißt hier auch durch das Parlament), durch die Gesellschaft und die gesamte Öffentlichkeit sein. Der einzelne Bürger als Soldat innerhalb der militärischen Organisation ist ferner in bestimmten Situationen weniger frei als der Bürger in anderen Sozial-und Arbeitsverhältnissen. Er bedarf deshalb auch einer besonderen Sicherung seines Rechtsschutzes, der ja nicht nur den Wehrpflichtigen, sondern den Soldaten aller Dienstgrade zusteht.

Da der Soldat Staatsbürger ist, muß auch er am guten Funktionieren demokratischer Kontrolle aller staatlichen Hoheitsbereiche, zu denen auch seine Armee gehört, ein Interesse haben. Er muß zwar erwarten, daß sein Dienst an der Sicherheit des Gemeinwesens durch soziales Vertrauen honoriert wird. Er darf jedoch nicht erwarten, daß ihm dieses ohne den kritischen Vorbehalt entgegengebracht wird, der in allen demokratischen Verhältnissen kontrollierend und korrigierend wirkt. Von traditionalen Unterströmungen des beruflichen Selbstverständnisses her machen sich gegenüber dieser Einsicht allerdings leicht psychologische Verhaltenssperren geltend, die sich vor allem als Empfindlichkeiten gegenüber den Massenmedien aber auch anderen Komponenten der politischen und gesellschaftlichen Umwelt äußern. Wo sie sich festsetzen oder gepflegt werden, können Ressentiments entstehen, die vergiftend wirken und zur Verdrossenheit an diesem von der Ratio unzulänglich begriffenen pluralistischen System führen. Als kollektive Frustration können sie sich in Aversionen gegen eine Gesellschaft bekunden, die das erwartete Vertrauen in der erwarteten Form nicht darbringt. Diese Frustrationen fördern eine halbherzige Loyalität gegenüber einer politischen Ordnung, die solche kritischen Äußerungen duldet oder schützt. Sie können schließlich in das beleidigte, aber vornehme Sichzurückziehen aus diesem System in den inneren Bereich des militärischen Lebenskreises münden, — wofür sich Traditionen finden lassen. Es ist durchaus die Haltung eines sich scheinbar verfolgt Fühlenden denkbar und als Konsequenz die Pflege eines latenten oder bekundeten Elitebewußtseins gegenüber einer als . schlecht'empfundenen sozialen Umwelt.

Machtmechanismen durch kollektive Frustration Daß aus solchen emotionalen Reaktionen unter extremen Umständen aktivistische Aggressionen entstehen können, ist auch in einer offenen Gesellschaft theoretisch nicht ausgeschlossen. Organisationen militärischer Macht können auch unter demokratischen Verfassungen durchaus ein Eigenbewußtsein entwickeln, das sich als Garant des , reinen 1 Staates zu fühlen vermag, sei es, daß sie sich der sozialen und politischen Umwelt, zu deren Dienst sie bestimmt sind, entfremden, sei es, daß sie sich von ihr lösen und selbst die politische Macht im Staat ergreifen.

Da dieser Machtmechanismus viele, geschichtliche Beispiele hat, ist es nur natürlich, daß eine demokratische Gesellschaft Habitus und Verhalten ihrer militärischen Großgruppe besonders kritisch beobachtet. Integrativ wirken nur zwei Einstellungen: Die Armee muß demokratisches Mißtrauen als systemkonform, normal und als absolut nicht ehrenrührig in sich aufheben; die Mitglieder der Streitkräfte müssen neben ihren natürlichen Bedürfnissen nach Gemütsbindungen ein hohes Maß an rationaler Einsicht in das Gefüge eines demokratischen Staatswesens entwickeln und die Aktionsgesetze der es tragenden pluralistischen Gesellschaft nicht nur begreifend anerkennen, sondern aus ihnen auch die Kategorien zu eigenem gesellschaftsadäquaten Verhalten entwickeln; die Gesellschaft dagegen muß ihr sachbezogenes Vertrauen in die Armee ebenso offen bekunden, wie sie sich kritisch äußert. Sie muß ihrerseits ohne Geringschätzung die Sonderheiten der militärischen Organisation und ihrer Mitglieder in sich aufnehmen und ihr Vertrauen in das Instrument der äußeren Sicherheit durch ihr Verhalten glaubwürdig machen. Die Lösungsmöglichkeiten auftretender Konflikte können nur in der gesicherten Übereinstimmung über die staats-und gesellschaftspolitischen Grundwerte gefunden werden. Pragmatischer Vollzug kommt in beiden Bereichen nicht ohne Fundamentalreflexion aus. Das ist eine Wahrheit, die im Alltag oft vergessen oder verdrängt wird, aber als Forderung unabdingbar ist. Nachhinken des Bewußtseins hinter gesellschaftlichen Entwicklungen In der Wirklichkeit unseres gesellschaftlichen Lebens haben wir immer noch mit einem Nach-hinken des pragmatischen Verhaltens gegenüber dem normativen Konsensus zu rechnen. Diese Art des „cultural lag" bedeutet, daß immer noch die Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft als Problem erscheint. Der Nachholbedarf an Bewußtseinsklärung findet sich sowohl in der Gesellschaft ihrer Armee gegenüber als auch in der Armee der Gesellschaft gegenüber.

Die Gesellschaft hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen rapiden Wandel erfahren und steht noch mitten darin. Sie paßte sich den Veränderungen im allgemeinen kontinuierlich und ohne gefährliche Sprünge an. Die militärische Organisation scheint dagegen als erratischer Block in dieser Gesellschaft zu stehen. Sie wirkt unheimlich, sie weckt unklare Erinnerungen an vergangene Kriege, sie mahnt an die Gefahren neuer Kriege. Gesellschaftliches Verhalten gegenüber der Armee ist im wesentlichen irrational bestimmt.

Daß aber die Armee deA gleichen Prinzipien und Faktoren gesellschaftlichen Wandels ausgesetzt ist wie ihre soziale Umwelt, wird kaum bewußt. Daß sie deshalb notwendigerweise in einen durchaus untraditionellen Integrationsprozeß eingefügt und sich angemessen darauf einzustellen gewillt ist, wird kaum als wahrscheinlich angenommen. Die Gesellschaft produziert eine ganze Menge mentaler Sperren, die in der Befangenheit traditioneller Einschätzung von Streitkräften gründen und je nach Standpunkt unscharfen Wertungen unterliegen.

Allerdings hemmen auf Seiten der Armee ebenfalls gewisse traditional bestimmte Sperren den Integrationsprozeß und das zuweilen bei grundsätzlicher positiver Einstellung dazu. Sie pflegen spektakulär ins öffentliche Bewußtsein zu treten, wenn sich sachliche oder personelle Krisen in der Militärorganisation zeigen *

Der Bewußtseinswandel, der die Integration von Armee und Gesellschaft vorbereiten und begleiten muß, vollzieht sich in unterschiedlichem Tempo und unterschiedlicher Intensität sowohl bei den einzelnen Individuen wie bei soziologisch bestimmbaren Gruppen. Andererseits besitzt eine Armee in allen Gesellschaftsordnungen den Ruf, nicht eben die anpassungsfähigste Gruppe in diesem Sinne zu sein Diese Projektion bezieht sich auf das Ganze des Personalbestandes der Streitkräfte. Exemplarisch richtet sie sich aber auf das Führer-korps als den bestimmendsten und dauerhaftesten Träger der Wehrorganisation.

Offizierskorps als Gradmesser soldatischen Selbstverständnisses

Wie sieht es mit dem Selbstverständnis des Offizierskorps der Bundeswehr in dieser Hinsicht aus?

Die historischen Schichten im Selbstverständnis des deutschen Offiziers nach der Reichs-gründung lassen sich wie folgt beschreiben:

I 1. Im Kaiserreich empfand er sich als privilegierter Angehöriger eines elitären Standes, der durch unmittelbare Bindung an den obersten Kriegsherrn Anteil am mystischen Kern des Staates hatte. 2. In der Weimarer Republik verstand er sich inmitten einer zwar republikanischen, aber antagonistischen Gesellschaft als unparteiischer Diener des Nationalstaates und Bewahrer seiner Idee.

3. Die nationalsozialistische Ära gab ihm das Bewußtsein von einem mit besonderen Ehren ausgestatteten Diener an der als eine Einheit verstandenen Volksgemeinschaft mit persönlicher eidlicher Bindung an deren Führer, welcher für sich in Anspruch nahm, Staat und Nation zu verkörpern.

4. Die Bundesrepublik Deutschland fordert von ihm das Selbstverständnis eines politischen Staatsbürgers, der im Dienste der Verteidigung dieses demokratischen Staates mit seiner freiheitlichen Rechts-und pluralistischen Gesellschaftsordnung steht.

Diese historischen Schichten wecken assoziative Bilder vom Offizier mit bestimmten Verhaltensformen, Autoritätsvorstellungen, Denkund Fühlweisen. Es ist die Frage, mit welcher Nachhaltigkeit historische Bewußtseinskategorien ihre Prägekraft auf die Gegenwart übertragen.

Gewiß sind die Generationen, die verschiedene Staatsformen mit ihren Wertansprüchen erlebt haben, dieser Prägung mehr ausgesetzt als solche, die in einer einzigen aufwachsen. Da aber die Generationen sich ineinanderschieben und die Lebensläufe ihrer Mitglieder sich überschichten, sind auch Wirkungen vergangener Zeiten auf die Nachgeborenen nicht auszuschließen.

Für unseren Gegenstand ist zu fragen, 1. ob ein elitäres Standesbewußtsein auch im Offizierkorps der Bundeswehr nachwirkt, 2. ob eine Neigung zur politischen Enthaltsamkeit zugunsten eines die Realität überhöhenden Staatsverständnisses in ihm besteht, 3. ob eine unausgesprochene sentimentale Nachtrauer um die in Erfolg und Katastrophe für überhöhte Gefühle gleich ergiebige Epoche des Führer-staates Spuren in ihm hinterläßt, 4. ob schließlich ein nüchternes demokratisches Staatsbürgerbewußtsein den Kern soldatischen Selbstverständnisses im Offizierkorps ausmacht.

Man darf annehmen, daß die Wert-und Verhaltenskomplexe aller vier Schichten in der Gegenwart des Offizierkorps der Bundeswehr ihre partielle Wirkung tun, im Kontext unserer gesellschaftlichen und staatlichen Gesamtheit treten sie ja auch in Erscheinung Sie sind vielfältige Mischungen eingegangen und wandeln sich mit fortschreitender generativer Veränderung. Deshalb ist die Frage nach der Stellung des Offizierkorps in der Gesellschaft unseres Staates nicht eindeutig und normativ zu beantworten, sondern immer nur punktuell in kritischer Situation abschätzbar.

Die interne Diskussion um Berufsbild und Selbstverständnis des Offiziers der Bundeswehr ist deshalb in den letzten Jahren nie zur Ruhe gekommen Sie hat ihr publizistisches Forum vor allem in den Zeitschriften für Wehrwesen und erreicht deshalb nur selten eine größere Öffentlichkeit. Man findet darin Beiträge von aktiven und Reserveoffizieren recht unterschiedlicher Geisteshaltungen. Sie pendeln zwischen den Polen eines wertbetonten ständisch-homogenen Elitebewußtseins und dem Bekenntnis zur zweckrationalen, funktionsgerechten Haltung nach den Maßstäben der industriellen Leistungsgesellschaft.

Im Jahre 1969 ist diese Diskussion allerdings stärker ins öffentliche Bewußtsein gedrungen, besonders nach der Grashey-Affäre in de-ren Folge u. a. programmatische Forderungen des Inspekteurs der Luftwaffe in der überregionalen Presse bekannt wurden.

In einem Interview heißt es: „Heute kann sich der Offizier nicht mehr als Repräsentant einer starren hierarchischen Ordnung und patriarchalischer Wertkriterien der aristokratisch obrigkeitlichen Gesellschaft geben. Hier liegt sein eigentliches Problem, und hier liegt für viele Offiziere das psychologische Problem der Inneren Führung und des Verhältnisses zur Gesellschaft."

Daß eine solche autorisierte Feststellung fünfzig Jahre nach dem Untergang jener angesprochenen Gesellschaftsordnung gemacht werden kann oder muß, ist in der Tat höchst erstaunlich. Es gibt andere Stimmen, die der ewigen Verdächtigung, das Offizierkorps der Bundeswehr ermögliche das Weiterleben reaktionärer Strömungen, energisch entgegentreten Aber das Wort eines Inspekteurs wiegt schwer. Das Leitbild des modernen, an den Werten der industriellen Leistungsgesellschaft orientierten Offiziers sieht er in zunehmendem Maße in der Luftwaffe verwirklicht. Seine Kennzeichen sind vorurteilsfreie Betrachtung der Wirklichkeit und entkrampfte Haltung gegenüber unbewältigter oder gar nicht zu bewältigender Lasten der nationalen Vergangenheit, ferner Wille und Fähigkeit, die Gegenwart zu erfassen und in ihr zu leben. In einer Zeit, in der überall auf der Welt und in allen Institutionen traditionelle Autorität angefochten wird, muß der Offizier sich auf seine Leistungsautorität verlassen, als Waffenspezialist, als Organisator, als Erzieher von Soldaten und als Führer eines militärischen Verbandes. Die Gesellschaft müßte einem solchen Offizierstyp vorbehaltlos begegnen, denn er ist ihr konform.

Offiziere solchen mentalen Zuschnitts werden auch einen Führungsstil gegenüber ihren Untergebenen pflegen, der mit dem Stichwort „kooperativ" den Anforderungen der Technik und der dadurch vorangetriebenen sozialen Bewußtseinslage gerecht wird. Mit dem Verzicht auf elitäre Ansprüche, auf hierarchische Prärogative, mit der Anpassung an berufsbezogene Bildungsnormen, mit der Beschränkung auf ein unterkühltes Minimum an schmückender Emblematik und ritueller Gravität wäre dieser Offizier ein Vertreter der modernen Gesellschaft ohne Harm. Seine politische Existenz als Staatsbürger würde dadurch sozial komplementiert. Der Offiziersberuf wäre ein Beruf wie jeder andere. Die Streitfrage, ob er das sein könne und in der Erwartung der Gesellschaft sein solle, wäre damit aus der Welt.

Der Soldat zwischen Technik und Ethos Die Feststellung, daß der Trend diesem Leitbild folge, bedeutet jedoch noch nicht, daß die volle Wirklichkeit damit erfaßt wird. Sie macht das Problem bewußt, löst es aber noch nicht. Die Frage bleibt dabei unerörtert, ob sie nämlich bestimmte humane Gemütsbedürfnisse realistisch mit in die Überlegungen einbezieht, die auch andere Gruppen der Gesellschaft durchaus äußern 33a).

Der Offizier moderner Streitkräfte mit ihrem hohen Maß an technischem Aufwand ist dennoch nicht nur Ingenieur oder Technokrat. Als Führer von Soldaten, die Staatsbürger wie er sind, steht er unter dem existentiellen Druck, sie zum Kämpfen bereitzumachen und selbst zu kämpfen, wenn es das politische Gemeinwesen fordert. Und kämpfen heißt hier, in letzter Konsequenz den Willen zur Gewaltanwendung haben, und das heißt zum Töten unter den Gesetzen des Krieges.

Darin unterscheiden sich alle Soldaten gründlich von anderen Staatsbürgern in anderen gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Selbstverständnis des Offiziers als Problem eines Berufes im Frieden erweist sich vor diesem Endzweck nur als profiliertes Beispiel soldatischen Selbstverständnisses schlechthin. Es übersteigt die Ebene der gesellschaftlichen Integration und fordert letzte Antworten. Sie müssen von der ethischen Berechtigung des Verteidigungskrieges her beantwortet werden; Antworten, die schließlich die ganze Gesellschaft angehen.

Die Sinnfrage der soldatischen Existenz In dieser Lage kann sich der Soldat nicht mit der Erfüllung militärischer Funktionen begnügen, sondern er bedarf der existenziellen Deutung seines Berufes, allerdings ohne bewußtseinstrübende Ideologie. Diese Deutung kann er sich aber nicht selbst geben, sondern muß sie vom politischen Bewußtsein der Gesellschaft seines Staates empfangen.

Angesichts der offenen weltpolitischen Probleme, der kontroversen strategischen Perspek-tiven, der Verflochtenheit der militärischen Organisation im westlichen Bündnis, der nationalen Existenzfragen und der Notwendigkeit der Friedenssicherung gegenüber den weltweiten Aggressions-und Zerstörungspotentialen gerät nicht die „Armee in die Sackgasse", sondern die Gesellschaft befindet sich darin. Nicht das Soldatenlos ist „fatal“, sondern das der Gesellschaft Denn die Gesellschaft dieses Staates produziert den politischen Willen, der Streitkräfte unterhält und ihr die raison d'etre zuweist. Das Eigengewicht der gesellschaftlichen Gruppe Bundeswehr ist letztlich so groß, wie dieser Wille es ermöglicht, wünscht oder zuläßt.

Für das Gelingen der Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft ist die mentale Aufarbeitung von soziologischen Tatbeständen und Tendenzen ebenso wichtig wie die Erkenntnis von der veränderten Qualität des Krieges im Angesicht der weltpolitischen Machtkonstellation. Diese geistige Leistung muß aber vom Soldaten und der übrigen Gesellschaft in gleicher Weise erbracht werden. Polarisierte und unversöhnliche Positionen reaktionär-nationalistischer oder radikal-sozialistischer Herkunft helfen da nicht weiter.

Die Beurteilung des Wertes von Streitkräften für die nationale und übernationale Politik und die Erkenntnis vom Funktionsverlust des Krieges als politischer Ultima ratio verursa-chen allerdings paradoxe Spannungen, die für die Bundeswehr besonders quälend sind Sie ist vom politischen Willen geschaffen und wird aufrechterhalten, um den Krieg durch Abschreckung zu verhindern, und muß deshalb als Verteidigungsmaschinerie funktionsfähig sein. Das schließt ein die waffentechnische und die kämpferische Bereitschaft der Soldaten und den Abwehrwillen der Gesamtgesellschaft.

Integrative Bewegung von beiden Seiten Die Gesellschaft darf ihre Großgruppe Bundeswehr nicht allein lassen, wenn sie die Integration der Streitkräfte will. Die Bundeswehr als Sozialgebilde muß sich allerdings ihrer dienenden Funktion bewußt sein und durch die demokratische staatsbürgerliche Haltung ihrer Soldaten diesen Dienst vor der Gesellschaft glaubwürdig machen. Militärische Funktionstüchtigkeit muß mit dem politischen Bewußtsein übereinstimmen. Integration ist nur als Bewegung von beiden Seiten her denkbar. Sie bleibt eine ständige Aufgabe im Sinne der Anpassung an jeweilige Herausforderungen durch den gesellschaftlichen und politischen Wandel. Nicht nur die Bundeswehr muß sich angesichts dieser Erkenntnis in Frage stellen lassen, sondern mit ihr die ganze Gesellschaft, zu deren Schutz sie da ist. Denn für das ganze Gemeinwesen gilt das Prinzip der Austragung von Konflikten nach demokratischen Regeln, wenn der politische Wille auf den Fortschritt der freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft dieses Staates im Hinblick auf eine Entwicklung zu einer Weltgesellschaft ohne Krieg gerichtet ist.

Es ist für die öffentliche Diskussion unabdingbar, daß das Verhältnis von Staat und Gesellschaft im Hinblick auf die Armee und umgekehrt ständig analysiert und bewußt gemacht wird.

Konstituierende Erkenntnisse über den gesellschaftlichen Wandel scheinen von Gliedern der Bundeswehr noch nicht in einer als genügend empfundenen Breite und Tiefe verstanden zu sein. Das liegt sicher nicht zuletzt an der Beschaffenheit dieses Wandels selbst, der eben rapide Phasen durchläuft. Es ist nicht zu erwarten, daß ein überall in der Gesellschaft feststellbares Nachhinken hinter deren Erfordernissen gerade bei einer Armee mit ihrer notwendig hierarchischen Grundstruktur geringer als anderswo in Erscheinung treten soll. Seine Überwindung aber wird hier um so dringlicher empfunden, als das Verhältnis einer bewaffneten Macht zur bürgerlichen Gesellschaft stets heikle Fragen aufwirft.

Welche soziologischen Einsichten könnten dem beschleunigten Fortschritt der gesellschaftlichen Integration der Streitkräfte dienlich sein?

Der Stellenwert der Bundeswehr ist vom Staat her eindeutiger bestimmt als von der Gesellschaft her. Denn als Organ der Exekutive ist sie rechtlichen Normen unterworfen, die von vornherein klar waren und sind.. Die Bundeswehr bleibt vor allem einer traditionellen Aufgabe des Staates verbunden, der Sicherung nach außen.

Was sie aber vom Gesellschaftlichen her bestimmt, unterliegt problematischen Einflüssen. Berufssoldaten und Wehrpflichtige, d. h. im wesentlichen gleichzeitig Führerkorps und Mannschaften, kommen aus dieser so gearteten Gesamtgesellschaft mit ihrer Pluralität und Differenziertheit, ihrer Mobilität und Dynamik, ihrer charakteristischen Lebenshaltung, die wir mit Konsumstreben, Freizeitorientierung und Weltoffenheit kennzeichnen. Die Mitglieder des Führerkorps und die Mannschaften unterliegen gleichermaßen den kritischen Anfälligkeiten der Überforderung, des cutural lag und der Statusunsicherheit, die überall zu beobachten sind.

Die militärische Organisation fordert aber Verhaltensweisen und Tugenden, die von der Funktion her in manchen Punkten in Widerstreit mit den geläufigen gesellschaftlichen Verhaltensweisen und Tugenden liegen. Die Strukturprinzipien von Befehl und Gehorsam, von Disziplin und Kameradschaft haben den Vorrang und müssen ihn haben. Dem stehen die tatsächlichen sozialen Freiheiten und staatsbürgerlich geforderten kritischen und individuellen Initiativen oft entgegen. Die Armee hat — soziologisch gesprochen — die Struktur eines autoritären Herrschaftssystems inmitten einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Aber sie hat diese Struktur nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zu dem Zwecke, diese freiheitliche Ordnung nach außen hin funktionsgerecht zu verteidigen. Da das so ist, muß vom Staatsbürger, der Soldat ist, eine funktionsgerechte Haltung erwartet oder gar erzwungen werden; aber wiederum nicht als Selbstzweck, sondern zur Erfüllung des Gemeinwohlzweckes „Sicherung nach außen 1', die das Gesetz vom Soldaten fordert. Die Erlangung des Gehorsams, der Disziplin, der Kameradschaft ist aber primär nicht mehr mit autonom autoritären Erziehungsmitteln zu erreichen, sondern mit solchen, die dem gesellschaftlichen Habitus außerhalb der Kaserne adäquat sind. Das schließt nicht aus, daß die militärischen Erfordernisse gerade solche Verhaltensweisen verlangen, die dem gesellschaftlichen Habitus kraß entgegengesetzt sind, wie z. B. Konsumverzicht, Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte und asketische Härte in der Ausbildung. Aber diese anderen Haltungen sind situations-und funktionsgebunden und nicht wesensmäßig andersartig, sie sind auftragsgebunden und nicht formale Selbstzwecke. Der soziologische Begriff der Rolle findet hier sein Gewicht. Der Staatsbürger in Uniform muß seine Rolle als Soldat ernsthaft ausfüllen. Um diese Einsicht bei ihm zu erlangen, bedarf es sicher mehr erzieherischen Bemühens als in früheren Gesellschaften, in denen wenig Raum zum „Räsonieren" war. Der erzieherische Appell steht heute in jedem Fall vor dem frage-und antwortlosen Druck während des Ausbildungs-und Bereitschaftsdienstes, den die Normen der Bündnisse fordern.

Besonders bei dem heutigen Grad kritischer Bewußtheit der Jugend könnte es scheinen, als befinde sich die Bundeswehr in einer hoffnungslosen Lage, was ihre Einordnung in die Gesellschaft angeht. Aber die Erfahrung der meisten Führer der Bundeswehr zeigt, daß im allgemeinen die jungen Soldaten dann eine bedeutende Bereitschaft zeigen, sich in die organisierte und kameradschaftliche Ordnung einzufügen, wenn sie zu Leistungen gefordert werden, deren Sinn im militärischen System als plausibel erscheint

Und hier liegt der gemeinsame Nenner von ziviler Gesellschaft und moderner technisierter Armee: er heißt funktionsgerechte Leistungsforderung Die Technik gestattet den indi-viduellen Eigenschaften und Begabungen ein breites Feld leistungsbestimmter Betätigung. Die moderne Armee darf sich keineswegs mehr als eine auf Kommando marschierende und funktionierende Truppe verstehen. Sie ist vielmehr, wie die Gesellschaft . draußen', gekennzeichnet durch die Arbeitsteilung eines Teams mit weitgehender delegierter Verantwortung des einzelnen. „Der moderne Soldat ist kein von oben reguliertes Rädchen und sollte auch keinen Grund dazu haben, sich als solches zu fühlen". Diese militärische Struktur der Kooperation, die stark der modernen Arbeitswelt gleicht, ist dem individuellen Leistungsstreben der Jugend angemessen. Innere Führung muß die einzelne Leistung vom Sinn des System-zusammenhangs in der militärischen Ausbildung und Bereitschaft rechtfertigen und den Sinn des Wehrdienstes überhaupt im gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenhang einsichtig machen.

Jede militärische Kräfteanspannung dient der Sicherung des Friedens und beeinflußt die Wertstruktur unseres Staates. Die Gesellschaft hat das Recht, in dieser Hinsicht ihre Forderungen an die Armee zu stellen, sie muß sich aber auch die Eigentümlichkeiten der menschlichen Lage des Soldaten und der funktionalen Organisation in den Streitkräften vergegenwärtigen. über den soziologischen Kategorien stehen Fragen des Ethos einer Armee, die in einer wertpluralen Gesellschaft wenig eindeutig zu beantworten sind. Vielleicht liegt darin die Schwierigkeit der Integration überhaupt. Darüber Klarheit zu gewinnen, darf aber in der Armee unseres demokratischen Staates nicht der internen Ausformung einer isolierenden Großgruppenideologie überlassen werden, sondern ist ständige Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Sie darf darin die Bundeswehr nicht allein lassen

Voraussetzung dafür ist, daß die Gesellschaft die sich aus dem militärischen Auftrag ergebende Eigenständigkeit der Streitkräfte ohne argwöhnische und hämische Seitenblicke rational erfaßt und anerkennt. Integration der Armee kann ja nicht bedeuten, um einer oberflächlichen Angepaßtheit an zivile Ausdrucksformen willen Verteidigungsbereitschaft und Schlagkraft der Truppe zu mindern. Ein menschlich und materiell so aufwendiger Apparat, der eine Armee nun einmal ist, sollte im Gegenteil die Gesellschaft veranlassen, der Besonderheit des militärischen Dienstes Rechnung zu tragen und den Streitkräften innerhalb der Charakteristika des modernen Daseins ihren gehörigen Stellenwert zu definieren und einzuräumen. Dabei ist klar, daß diese Besonderheit in der pluralistischen Ordnung nur funktional vom Auftrag her zugestanden werden darf und nicht auf Grund ständischer Leitbilder, die zur Absonderung führen müßten. Die traditionelle Spannung zwischen ziviler und militärischer Seinsweise, aus der man förmliche Inkompatibilität abgeleitet hat, ist angesichts der modernen Gesellschaft Relikt falschen Bewußtseins. Sie sollte durch geistige Konzeptionen überflüssig gemacht werden, die auch die Möglichkeit schaffen, bestehende Strukturen der Kommandogewalt, der Bürokratie und des Verhaltens zu ändern, das heißt, sie politischer Entscheidung zu öffnen.

Wenn Mißtrauen eine komplementäre demokratische Tugend ist, so muß allerdings auch den Soldaten gestattet werden, die sie betreffenden gesellschaftlichen Entwicklungen unter die Lupe zu nehmen und sie in ihrer Wirkung auf den politischen und militärischen Auftrag der Armee hin zu untersuchen. Nur müssen diese Urteile offen und mit adäquaten Mitteln kundgetan, als Faktoren der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung in den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden. Armeeinterne Diskussionen bleiben gesellschaftlich unfruchtbar, wenn sie nicht die große demokratische Öffentlichkeit erreichen. Angesichts der bei uns immer noch feststellbaren Gereiztheit öffentlicher Diskussion auf beiden Seiten fragen sich Soldaten, ob die Gesellschaft in den zurückliegenden dreizehn Jahren der Bundeswehr (und d. h. ihren Soldaten) hinreichenden psychologischen und moralischen Rückhalt geboten haben; wie sich andererseits die Gesellschaft fragt, ob die Soldaten genügend offen und bereit gewesen sind, sich den Folgerungen des gesellschaftlichen Wandels ohne unreflektiertes Beharren auf überkommenen Bewußtseinsinhalten zu stellen. Das Dilemma vieler öffentlicher Auseinandersetzungen lag bisher vor allem darin, daß sie nicht auf der gleichen gesellschaftlichen Ebene stattfanden, sondern im Niemandsland zwischen öffentlich frei und ungeschützt geäußerter Meinung und amtlich autorisierter und amtlich geschützter Verlautbarung mit Verbindlichkeitscharakter für die Soldaten der Bundeswehr. Die Grundrechte der Meinungs-und Koalitionsfreiheit geben auch den Soldaten den Spielraum und die Mittel an die Hand, in dem und mit denen sie ihre gesellschaftlichen Belange als Individuen und als Gruppen artikulieren können. Der Eindruck, daß diese Artikulation ihres Selbstverständnisses vorrangig von seifen der höheren militärischen Führung und zuweilen auf Umwegen oder Indiskretionen in die Öffentlichkeit gelangt, hinterläßt in der Gesellschaft Spuren von Unbehagen

Der Sinn der soldatischen Existenz angesichts der Massenvernichtungsmittel ist nicht allein die Frage der Armee, sondern vor allem die des ganzen Gemeinwesens und seines Verteidigungswillens Dieser ist zwar politisch definiert, aber er wird unglaubhaft, wenn er im gesellschaftlichen Raum ohne Leben bleibt. Die staatliche Repräsentanz kann letztlich nur darauf aufbauen, um den Streitkräften und ihren Soldaten nicht nur ihren militärischen und politischen Ort zu sichern, sondern auch ihren sozialen und existentiellen. Das zu tun ist aber ein Gebot der Vernunft und der Menschlichkeit. Auf beiden Prinzipien beruht der Wert-anspruch unseres Gemeinwesens.

Der Beitrag der politischen Bildung Für die Bewältigung dieser Integrationsaufgabe gibt es keine einspurigen Wege, weder nur politische noch nur soziologische oder psychologische. Wenn aber unsere Demokratie der Möglichkeit rationaler Einsicht in politische Zusammenhänge zustimmt und die pädagogische Dimension mit in ihr staatliches und gesellschaftliches Kalkül einbezieht, so gewinnt die Kategorie Politische Bildung auch für die Frage der Wehrbereitschaft eine eminente Bedeutung.

Ihr gegenüber ist aber eine große Unsicherheit zu beobachten. Außer schüchternen Ansätzen, meist von Seiten der politischen Parteien und der Kirchen initiiert, ist in dieser Hinsicht wenig geschehen. Weder in der politischen Bildungarbeit der Schulen und Hochschulen noch der freien Bildungsstätten gesellschaftlicher Gruppen hat bisher die nüchterne Auseinandersetzung mit der politischen Notwendigkeit militärischer Verteidigungsanstrengung unseres Staates angesichts der Paradoxie des modernen Kriegsbildes und seiner psychologischen Wirkung auf Soldaten und Gesellschaftsbürger in gehöriger Breite stattgefunden. Die Angst der Träger politischer Bildungsarbeit sowohl vor der eigenen intellektuellen Unzulänglichkeit als auch vor emotionaler Militarisierung überhaupt haben den Gegenstand allenfalls auf formale NATO-Probleme verkürzt. Das aber ist nur der institionelle Aspekt, der hier vor dem existentiellen als zweitrangig erscheint.

Da die Bundeswehr politisch als Armee gegen den Krieg, als Armee für den Frieden konzipiert wurde, sollte es den Mitgliedern unseres Gemeinwesens endlich gelingen, ihre Schizophrenie im Verhalten als Wahlbürger, die in überwältigender Mehrheit dem Staat die Vollmacht geben, die militärische Verteidigung zu organisieren, und im Verhalten als Gesellschaftsbürger, die damit möglichst nichts zu tun haben wollen, zu überwinden. Die Friedens-forschung, die heute bei uns immer mehr entwickelt wird, mag dafür wertvolle Beiträge liefern. Allerdings sollte man sie nicht als gesellschaftliches Alibi für eine längst überfällige Bewußtseinsklärung nehmen. Ihre Fetischisierung wäre andererseits auch möglich, wenn die Forschungsansätze übergewichtig von marcusescher Systemkritik oder sozialpsychologischer Analyse her bestimmt und die Komplexe der Machtpotentiale und der Strategie für eine Sicherheits-und Friedenspolitik vernachlässigt würden. Da aber Friedensforschung eher die Chance hat, populärer Gegenstand politischer Bildung zu werden als bisher die komplizierte Problematik unseres Wehrbeitrages, sollte durch sie auch pädagogisch dahin gewirkt werden, die Bundeswehr von der Last ihres Anfangs zu befreien. Es geht darum, sie nicht nur normativ in unseren Staat, sondern auch faktisch in unsere Gesellschaft zu integrieren und den überholten Gedanken der Inkompatibilität von bürgerlicher und soldatischer Existenz aus dem öffentlichen Bewußtsein zu tilgen, ohne irgendeiner Militarisierung der Gemüter das Wort zu reden. Denn der Dienst in der Bundeswehr ist letztlich Friedensdienst.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Soldatengesetz vom 19. 3. 1956, § 7

  2. Weißbuch 1969 zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung, S. 11.

  3. Fritz Erler, Opposition und Wehrbeitrag, in: Armee gegen den Krieg — Wert und Wirkung der Bundeswehr, hrsg. von Wolfram von Raven, Stuttgart-Degerloch 1966, S. 72 ff.

  4. NATO-Vertrag 4. 4. 1949; Beitritt der Bundesrepublik Deutschland 5. 5. 1955; Das NATO-Handbuch, zwölfte Ausgabe, Paris 1965, S. 19.

  5. Fusion der Territorialverteidigung, BMVtdg, Fü S. IV 3, 107-69 vom 3. 7. 1969.

  6. Emil Obermann (Hrsg.), Verteidigung der Freiheit, Stuttgart 1966, S. 488 u. 557.

  7. „Innere Führung" heißt das geistige Gesamtkonzept der Bundeswehr, das vom Werthorizont des Grundgesetzes aus Grundsätze für die Führung aller Soldaten im Hinblick auf den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte entfaltet. Es ist kein formalisiertes Gesetz, sondern ein dynamisches Prinzip, das auf Herausforderungen des politischen und gesellschaftlichen Wandels jeweils neue Antworten für das militärische Führungshandeln geben muß. Das Handbuch für Innere Führung, hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, 1. Ausl. 1956, 3. Ausl. 1964, hat heute wesentlich dokumentarischen Wert. Es wurde von der geistigen Lage der fünfziger Jahre geprägt. Das Konzept der Inneren Führung wurde seither in vielfältiger Weise weiterentwickelt, fand allerdings noch keine heutige gültige Zusammenfassung in einem neuen Buch. Zur Zeit wird an einem Sammelwerk für Innere Führung gearbeitet. Eine aktuelle Übersicht über Aufgaben und Grundsätze gibt der Jahresbericht 1968 des Wehrbeauftragten vom 19. Febr. 1969 (Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode Drucksache V/3912).

  8. Maßgebliche Äußerungen dazu aus dieser Zeit von Wolf Graf von Baudissin sind jetzt in einem Sammelband, hrsg. von Peter v. Schubert, unter dem Titel „Soldat für den Frieden — Entwürfe. fur eine zeitgemäße Bundeswehr", München 1969, S. 133 ff., zusammengestellt.

  9. A. a. O„ S. 77 ff.

  10. A. a. O., S. 189 ff. — Das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform" hat man in militärischen und zivilen Kreisen seit seiner Formulierung bis heute immer wieder mißverstanden, teils aus Ignoranz, teils aus Böswilligkeit. Die sachliche Fehldeutung der Wortprägung enthüllt nach Meinung des Verfassers, wie unreflektiert und unsicher der normative Demokratiebegriff noch immer von vielen aufgefaßt wird. Folgende Assoziationsreihe spult sich dabei ab: Staatsbürger = Bürger — Zivilist = Nichtsoldat. Wenn man den Letzteren dann in Uniform steckt, kann er nur als schlapp, unordentlich, weich, disziplinlos, also unsoldatisch vorgestellt werden. Das hatte dann zur Folge, daß man die Innere Führung, die sich nach diesem Leitbild richtet, als . weiche Welle'denunzierte, die eine Armee unbrauchbar machen müsse. Daraus folgte wieder die Forderung nach Soldaten, die exklusiven, anti-bürgerlichen esprit de corps entwickeln müßten, um militärisch tauglich zu sein.

  11. Der Soldat der Bundeswehr als Staatsdiener ist Diener der Demokratie. Es wird ihm nicht mehr die : Möglichkeit zugestanden, seinen Dienst in einem demokratischen Vakuum zu verstehen, das den reinen Kern des Staates schützend umgeben könnte.

  12. Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, Armee und nationalsozialistisches Regime 1933 bis 1940, Stuttgart 1969, S. 41 (Beiträge zur Militär-und Kriegsgeschichte, Bd. 10).

  13. Der vorläufige Abschluß der Diskussion fand seinen Ausdruck im Erlaß Bundeswehr und Tradition des Bundesministers der Verteidigung, Fü B I 4 — Az 35-08-07 vom 1. Juli 1965, Nr. 9; vgl. Hans Herzfeld, Die Bundeswehr und das Problem der Tradition, in: Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr, hrsg. von Georg Picht, Witten und Berlin 1965, erste Folge, S. 32 ff.

  14. Jürgen Schreiber, Das neue Ordensgesetz, in: Wehrkunde 1957, 6. Jg., S. 510 ff.; ders. Ordens-recht, Frankfurt/M. 1958, S. 70. Das Gutachten des Sachverständigenausschusses zur Regelung der Frage der Kriegsauszeichnungen wurde am 5. Oktober 1953 vorgelegt. Den Vorsitz führte der ehemalige Reichswehrminister Dr. Otto Geßler. Das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen wurde am 26. Juli 1957 beschlossen, über die parlamentarische Beratung gibt das Protokoll der 217. Sitzung des Zweiten Deutschen Bundestages Auskunft.

  15. „Ehre" wird in diesem Zusammenhang nicht mit den spezifischen Belastungen einer besonderen Standesehre des Soldaten oder gar nur des Offiziers verstanden, sondern auf die Grundbedeutung von individueller Selbstachtung sowie der Achtung der menschlichen Umwelt für den einzelnen zurückgeführt. Sie ist also in diesem Verständnis eine allgemeine, humane Qualität, die für den deutschen Kriegssoldaten, der sich der Bundeswehr zur Verfügung stellte, nach einer Zeit internationaler Diskriminierung besonderes Gewicht bekam. Es sollte also mit der Kriegsordensregelung ein Zeichen dafür gesetzt werden, daß die Soldaten des Nordatlantischen Bündnisses die deutschen Soldaten, die im Dienste eines verbrecherischen Regimes gegen ihre Armeen gekämpft hatten, nicht mit dem Regime identifizierten und sie als Individuen in ihren Kreis ehrenvoll aufnahmen. Freilich war das nur dadurch möglich, daß man eine durchaus traditionelle Basis eigener Soldaten-oder Kriegerehre anerkannte, die vielen Armeen der westlichen Welt gemeinsam ist. Sie fußt auf dem soldatischen Gehorsam und auf einem Kämpferethos, das vor allem in den Genfer und Haager Konventinonen Rechts-gestalt angenommen hatte. Die gesetzliche Regelung der Kriegsordensfrage war damit auch eine Manifestation des politischen Willens der Bundesrepublik Deutschland, die Kriegssoldaten, die nun in der Bundeswehr dienten, ihrer persönlichen Ehrenhaftigkeit zu versichern.

  16. In die historische und gegenwärtige Problematik des Eides führt die zweiteilige Sammlung „Ich schwöre" ein; hrsg. von Gottfried Niemeier, München 1968, darin besonders: Hartmut Heinrici, Eid und feierliches Gelöbnis in der Bundeswehr und in der evangelischen Militärseelsorge, Teil II, S. 53 ff.

  17. A. a. O„ S. 68 ff.

  18. Die Diskussion um Nation und Vaterland erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1965/1966 und dauert mit wechselnder Intensität an. Aus Politik und Zeitgeschichte beteiligte sich mit wichtisci. Beiträgen daran, z. B. mit E. Lemberg, Nationalismus als Problem der politischen Erziehung, B 10/65; ders., Der westeuropäische Nationsbegriff, B 35/66; ders., Nation und Nationalismus, B 31/67 und B 32/67; F. Minssen und W. Hofer, Zur Frage nach dem Vaterland, B 50/65, (auch in: Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung, 1965); F. Messerschmid, Die Nation in der politischen Bildung, B 46/66; K. Fackiner, Nationalismus als pädagogisches Problem in Deutschland und H. Eichmann, Junge Generation und nationales Erbe, B 37/67; E. Gerstenmaier, Die Deutschen und ihr Vaterland und Graf Baudissin, Nationalbewußtsein in der Welt von heute, B 28/67.

  19. Integration wird im Sinne von A. Schäffle (Bau und Leben des sozialen Körpers, 1896) als die Verbindung einer Vielheit von Gruppen zu einer gesellschaftlichen Einheit verstanden. Es liegt im Begriff das ständige Bewußtwerden der inneren Angleichung der die Gesamtheit ausmachenden Teile. Im Sprachgebrauch von der Integration der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft liegt insofern eine begriffliche Unschärfe, als sich dabei nicht gleichberechtigte Teile gegenüberstehen, sondern die Gesamtheit Staat einem ihrer Organe bzw. die Gesamtheit Gesellschaft einer ihrer Großgruppen. Dadurch entsteht der Eindruck, daß die übergreifenden Gebilde die Unterwerfung des speziellen forderten. Vom Staat aus gesehen, trifft diese Forderung zu; von der Gesellschaft her aber nicht. Im ersten Fall muß die Staatshoheit sich ihres bewaffneten Organs versichern. Im zweiten Fall würde es sich um die , Verzivilisierung‘ der Armee handeln, die dann ihren militärischen Auftrag sicher nicht erfüllen könnte. Hier wird nun in dem Sinne von Integration gesprochen, als das Bewußtsein von mindestens zwei einheitlichen Größen da ist, die in spezifischer Weise ihre Eigentümlichkeiten haben. Neben den Verschiedenheiten müssen sie aber ihr Gemeinsames bewußtmachen, das als Kristallisationspotential in dem Integrationsprozeß wirken kann. In Bezug auf das gesellschaftliche Problem ist dann zu analysieren, wie die militärische Groß-gruppe ihre Sonderheit gegenüber dem besonderen Gemeinsamen anderer, eben ziviler Gruppen darstellt, die ihr gegenüber als die Gesellschait erscheinen und deren Teil sie dennoch bleibt. Nur so darf unbefangen von Integration der Armee in die Gesellschaft gesprochen werden. Das Ganze der Gesellschaft sieht sich dann einem Besonderen ihrer Teile gegenüber, das problematisch wird, ohne aus dem Ganzen entlassen zu sein. Vgl. Ludwig Schulte, Verteidigung im Frieden, Frankfurt/Main 1968, S. 170 ff. und 182 ff.

  20. Wie erstaunlich distanziert auch große gesellschaftliche Gruppen der Bundeswehr gegenüberstanden, manifestiert sich z. B. am Verhalten der Gewerkschaft OTV. Obwohl von Anfang an das Koalitionsrecht der Berufssoldaten gesichert war, überließ sie lange Zeit deren Interessenvertretung einer berufsständischen Vereinigung, dem Bundeswehrverband. Als sie dann schließlich bei den Soldaten um deren gewerkschaftliche Organisation warb, empfanden das nicht alle mehr als normal. Die durch den „Gewerkschaftserlaß" vom 3. August 1966 verursachte Generalskrise mit dem Rücktritt des Generalinspekteurs Trettner hatte allerdings einen formalen Grund. Denn der Erlaß wurde auf dem Verordnungsweg der Bundeswehrverwaltung am zuständigen militärischen Hauptabteilungsleiter vorbei in die Truppe gegeben. Vgl. Dietmar Schössler, Militär und Gewerkschaften, in: Beiträge zur Militärsoziologie, Sonderheft 12 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln und Opladen 1968, S. 136 ff. und S. 154; ders., Der organisierte Soldat, Bonn 1968.

  21. Berühmt ist die Geschichte eines Kapitäns der Bundesmarine, der, weil er keinen Degen besitzt, nicht zum offiziellen Ball der niederländischen Marine zugelassen wurde. Erst der geliehene Degen eines niederländischen Admirals konnte die Saalwächter bewegen, ihm den Zutritt freizugeben. Man mag erhaben sein über die Frage, ob Offiziersdegen oder Fangschnüre wichtig sind, und sie lächelnd als Residuen atavistischen Imponiergehabens abtun. Die Enthaltsamkeit der Bundeswehr auf diesem Gebiet hat bei verbündeten Armeen kaum Nachahmung gefunden. Eine zu starke Unangepaßtheit an internationale Gepflogenheiten kann aber schädlich sein. Der Asket wird leicht des Hochmuts geziehen. Bemerkenswert scheint aber, daß nach dem Ergebnis der Allensbacher Studie (Institut für Demoskopie Allensbach, Reservisten beschreiben die Bundeswehr, Repräsentativumfrage über die Dienstzeit und ihre Auswirkungen, durchgeführt im Auftrag Presse-und Informationsdienstes der Bundesregierung, Allensbach am Bodensee, 29. Nov. 1965) vermutet werden kann, daß die meisten Soldaten die Bundeswehr vornehmlich als Ausdruck eines Neu-beginns und der Gegenwart ansehen und Traditionen lieber heute neu begründen, als sie aus der Geschichte heraussuchen. Die Beobachtung bestätigt Peter Balke in seiner Kieler Dissertation „Der politische Unterricht in der Bundeswehr — Auswertung einer Fallstudie", 1969, S. 190 ff.

  22. Vgl. Eckart Busch, Das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, in der Reihe Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1969.

  23. Zur Rolle des Vertrauens vgl. Wilhelm Hennis, Politik als praktische Wissenschaft, München 1968, S. 50 f.

  24. Vgl. Ernst Fraenkel, Strukturanalyse der modernen Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/69, S. 13 und 41.

  25. Es ist allerdings die Frage, ob ein Großteil unserer Medien durch ihren Stil der Kommentierung von Ereignissen in der Bundeswehr diese Sperren nicht festigt.

  26. Solche Herausforderungen und Krisen lassen sich in etwa an folgenden Phänomenen aufweisen: a) an der Auseinandersetzung um die Wertung des 20. Juli 1944 für das Traditionsverständnis der Bundeswehr; b) an der Nagold-Affäre 1964, bei der es vor allem um das Selbstverständnis junger Offiziere ging; c) der Fall des Wehrbeauftragten Heye 1964, der Zweifel in das demokratische Bewußtsein des Offizierkorps setzte; d) am Rücktritt des Generalinspekteurs Trettner in Verbindung mit dem Gewerkschaftserlaß 1966, sogenannte Führungskrise; e) am Fall Grashey 1969, der das Konzept der Inneren Führung im Gegensatz zum politischen Willen desavouierte; f) an den Unruhen um Kriegsdienstverweigerung und Wehrgerechtigkeit.

  27. Selbst alte republikanische Armeen sind geneigt, durchaus vordemokratische, irrationale Traditionsbestände zu kultivieren. Morris Janowitz, Militär und Gesellschaft, Boppard a. Rh. 1965, S. 158, schreibt z. B.: „Die militärischen Streitkräfte der Vereinigten Staaten sind aus einer revolutionären politischen Bewegung hervorgegangen — aus einer antikolonialen Auseinandersetzung, und dennoch leitet sich ihr Berufskodex von aristokratischen Formen ab, gegen die sie zu Feld zogen."

  28. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1966, S. 225 ff.; aus neomarxistischer Sicht Oskar Negt, Gesellschaftsbild und Geschichtsbewußtsein der wirtschaftlichen und militärischen Führungsschichten. Zur Ideologie der autoritären Leistungsgesellschaft, in: Der CDU-Staat, edition suhrkamp 1969, S. 359 ff.

  29. Vgl. K. von Beunigen, Überlegungen zum Berufsbild des Offiziers, in: Wehrkunde, 13. Jg. 1964, S. 183 ff.; W. Grimm, über die Eigenständigkeit des Soldatenberufes, in: Wehrkunde, 16. Jg. 1967, S. 70 ff.; F. Forstmeier, Vom Leitbild des deutschen Offiziers der Gegenwart, in: Wehrkunde, 16. Jg. 1967, S. 563 ff.; W. Heidrich, Der Offizierberuf — ein Beruf wie jeder andere?, in: Leutnante und Unteroffiziere heute — 1966, Boppard 1967, S. 43 ff.; H. Karst, Das Bild des Soldaten, Boppard 1964, 3. Ausl. 1969.

  30. Die Äußerungen des Generalmajors Grashey als stellvertretender Inspekteur des Heeres vom Frühjahr 1969 über die Innere Führung als Maske und Zugeständnis in eine mißtrauische politische Öffentlichkeit bei Gründung der Bundeswehr zeigen, wie sehr hohe militärische Fachintelligenz und Füh-

  31. Interview mit Generalleutnant Steinhoff in der WELT vom 2. September 1969.

  32. Vgl. William Grimm, über die Eigenständigkeit des Soldatenberufes, in: Wehrkunde, 16. Jg. 1967, S. 71: „Nur übelwollende können leugnen, daß letzte Elemente des korporativen und auch extravertierten Standesbewußtseins unseres Heeres früherer Epochen spätestens auf den Schlacht-feldern des Zweiten Weltkrieges der Vergangenheit angehörten."

  33. Wido Mosen, Eine Militärsoziologie, München 1967, S. 32 ff. Er beurteilt die Einwirkung der Technik auf die militärische Führungsstruktur vom neomarxistischen Standpunkt aus.

  34. Vgl. Jürgen Schilling, Armee in der Sackgasse, und Rolf Schroers, Fatales Soldatenlos, in: Merkur, Nr. 259, Heft 11/69, S. 1000— 1025. Aus den ungelösten nationalen Problemen, den strategischen Projektionen des Bündnisses und deren fragwürdiger Geltung für einen Ernstfall folgern die Autoren Zweifel an der raison d'etre der Bundeswehr. Sie bedauern die psychologische Lage ihrer Soldaten, ohne allerdings die politische Notwendigkeit der Streitkräfte in Frage zu stellen. Dieser Zwiespalt ist jedoch prinzipiell gar nicht auf die Bundeswehr beschränkt. Deshalb ist das Selbstverständnis des Soldaten ja nicht mehr ausschließlich von seiner traditionalen Dienst-und Kampf-moral her zu bestimmen, sondern primär in seiner politischen Funktion zu suchen. Diese veränderte Lage seiner Existenz zu begreifen, fällt ihm selbst und der gesellschaftlichen Umwelt deshalb so schwer, weil die traditionalen Komponenten in die neue Dimension des Verstehens überführt werden müssen.

  35. Vgl. Georg Picht, in: Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr, Witten und Berlin 1965, S. 21.

  36. Der Drang jüngerer Offiziere nach fundierten sozialwissenschaftlichen Kenntnissen wird immer spürbarer. Lange war die politische Bildungsarbeit der Offiziere recht unsystematisch. Wo sie erfolgte, lag ihr Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und mit dem politischen Wertverständnis. Das hatte seinen Grund vor allem in dem existentiellen Bedürfnis nach normativer Standortbestimmung des Soldatenberufes in der neuen staatlichen Wirklichkeit unter dem Vorzeichen der Tradition. Reale Tatbestände und Entwicklungstendenzen des politischen und sozialen Lebens wurden weniger intensiv beobachtet. Das hat sich mit dem Heranwachsen einer Nachkriegs-generation von Offizieren geändert. An den Bildungseinrichtungen der Bundeswehr wird dem zunehmend Rechnung getragen. Für eine mehrwöchige Lehrveranstaltung an der Führungsakademie z. B. forderten die Teilnehmer sogar eine ausschließlich sozialwissenschaftliche Orientierung. Die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit sind sicher nicht zuletzt durch die spektakuläre Kritik der Neuen Linken auch in der Bundeswehr bewußt geworden und verlangen nach fundierten entideologisierten Antworten. Es wird hier ein Nachholbedürfnis empfunden.

  37. Vgl. Klaus Roghmann, Soziologische Analyse von Militär und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriftenreihe Innere Führung, Reihe: Führungshilfen Heft 2, Hrsg. Bundesminister der Verteidigung, Bonn 1967, S. 43 (Tabelle Schichtenzugehörigkeit).

  38. Vgl. Ralf Dahrendorf, Homo sociologicus, Köln und Opladen 1965, 5. Ausl., S. 26 ff.

  39. Zu diesen Ergebnissen kamen die Teilnehmer einer Tagung des Hauses Rissen im Mai 1969 über Jugend und Radikalismus. Vgl. Rissner Rundbrief Juli und August 1969.

  40. Dieses Leistungsverlangen und einen beachtlichen Leistungsstolz der Wehrpflichtigen bekundet auch die Allensbacher Reservistenumfrage. Die Studie eröffnet viele ermutigende Aspekte für die Bundeswehr und ihr Wirken für die gesellschaftliche Integration. Um so verwunderlicher ist es, daß sie mit der Bezeichnung „vertraulich“ nur im innerdienstlichen Bereich zur Kenntnis genommen und nur ausgewählte Einzelergebnisse veröffentlicht wurden. Allerdings wird die Einstellung der Jugend in den letzten Jahren einige Modifikationen gegenüber der Erhebung von 1965 erwarten lassen.

  41. Vgl. Georg Picht, in: Studien, a. a. O., erste Folge, S. 16.

  42. Das Mißvergnügen an unvollständiger Öffentlichkeit wurde beispielhaft deutlich an dem Fall einer Geheimstudie des Führungsstabes des Heeres von 1969 mit dem Titel „Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres". Das Arbeitspapier blieb nicht geheim, aber es wurde auch nicht ganz öffentlich. Die Medien kommentierten z. T. mit großer Schärfe einige Punkte daraus, deren Inhalt aber eben nur im Zusammenhang mit dem Kommentar bekannt wurde. Die WELT (S. 8-Nr. 298 vom 23. 12. 1969) veröffentlichte zwar eine schematische Übersicht über die Gliederung des Arbeitspapiers und zitierte einige Stellen, gab aber eine gewisse Einseitigkeit zu, die sie um der raschen Unterrichtung willen entschuldigt wissen wollte. Die dann anschwellende öffentliche Diskussion steigerte sich bei weiterer, nur ungefährer Kenntnis des Ganzen in eine Richtung hinein, die kaum geeignet ist, der Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft förderlich zu sein.

  43. Vgl. Ludwig Schulte, a. a. O., S. 89 ff.

  44. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität. Frankfurt 1969; und Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik der organisierten Friedlosigkeit. Frankfurt 1969.

Weitere Inhalte

Helmut Große, Dr. phil., geb. 1917 in Kassel. 1953 bis 1963 im hessischen und europäischen Schuldienst. 1963 bis 1966 in der Bundeszentrale für politische Bildung. Seit 1967 im Dienste der Bundeswehr. Veröffentlichungen: Beiträge zur politischen Bildung und Pädagogik.