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Das Gewicht Deutschlands in der sowjetischen Außenpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges | APuZ 2/1970 | bpb.de

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APuZ 2/1970 Das Gewicht Deutschlands in der sowjetischen Außenpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland und die Deutschen in polnischen Geschichtslehrbüchern Die Exil-Ideologie vom „anderen Deutschland" und die Vansittartisten Eine Untersuchung über die Einstellung der deutschen Emigranten nach 1933 zu Deutschland

Das Gewicht Deutschlands in der sowjetischen Außenpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

Karl-Heinz Ruffmann

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Die Hoffnung auf eine deutsche Revolution

Enno Meyer: Deutschland und die Deutschen Geschichtslehrbüchern........................... Joachim Radkau: Die Exil-Ideologie und die vom „anderen . Deutschland" . 31 in polnischen S. 19 Vansittartisten . S.

Daß dem Geschehen, das ab 1917/18 in und von dem sowjetkommunistisch gewordenen Rußland seinen Ausgang nahm, innerhalb der Gesamtgeschichte des 20. Jahrhunderts ein hoher Stellenwert zukommt, ist heute kaum mehr als eine Binsenwahrheit. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß sich die Situation im Bildungsbewußtsein und Geschichtsverständnis Europas und der Welt im allgemeinen und Deutschlands im besonderen vor wenigen Jahrzehnten noch ganz anders darstellte. Trotz der Slawenbegeisterung eines Herder und ihrer vielfältigen Nachwirkungen und trotz des von Hegel entworfenen „Kolossalgebäudes Ruß-land" herrschte jedenfalls im deutschen Bereich bis weit nach 1917 ein Geschichtsbild vor, in dem bei unbedingter Dominanz der romanisch-germanischen Welt Osteuropa mehr oder weniger an den Rand der Betrachtung und des Interesses verwiesen wurde. Ein Wandel bahnte sich erst an, als der russische Osten unter sowjetischer Führung die ihm so lange verweigerte Aufmerksamkeit in ungeahnter und bestürzender Weise zu erzwingen begann. Unter dem Druck der politischen Entwicklung seit 1945 erklang immer vernehmlicher und verbreiteter die Forderung nach genauerer Unterrichtung über eine Macht, in deren Schatten wir Heutigen alle leben.

Vor diesem politischen und bildungsmäßigen Hintergrund erfolgt unsere Analyse und Würdigung der sowjetrussischen Haltung gegenüber Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Brest-Litowsk 1918, die deutsche Novemberrevolution im gleichen Jahr und ihre Wirkungen, Rapallo 1922, der Hitler-Stalin-Pakt 1939 und seine Folgen — das sind Hauptereignisse und -probleme, anhand deren sich Gewicht und Stellenwert Deutschlands in der sowjetischen Außenpolitik von 1917 bis 1945 recht genau bestimmen lassen.

Deutschland stand von Anfang an im Zentrum der weltrevolutionären Perspektiven, Aspirationen und Hoffnungen, die nach der Überzeugung Lenins, Trotzkijs und der meisten anderen maßgebenden Persönlichkeiten des frühen Bolschewismus der sowjetrussischen Außenpolitik Inhalt und Richtung geben sollten. Bereits bei seiner Rückkehr nach Rußland im Frühjahr 1917 hatte Lenin öffentlich erklärt, daß die Revolution in seinem Lande nur die Initialzündung zu der vor allem vom deutschen Proletariat weiterzuführenden und zu tragenden Weltrevolution sein werde. In der Folgezeit betonte er immer wieder nachdrücklich, der Kommunismus könne sich in Rußland nur behaupten, falls er auch in anderen Ländern siegreich sein werde, wobei er und seine Gefolgsleute in Deutschland den für eine solche Entwicklung besonders wichtigen und auch am ehesten reifen Staat erblickten Die realen Machtverhältnisse wiesen freilich — jedenfalls zunächst — in die genau ent-

gegengesetzte Richtung; lautete doch unmittelbar nach der Oktoberrevolution und zu Beginn des Jahres 1918 die Existenzfrage für das revolutionäre Sowjetregime: Wie können die Mittelmächte, insbesondere die Deutschen, mit denen man nach einem Mitte Dezember 1917 vereinbarten Waffenstillstand Friedensverhandlungen ausgenommen hatte, von einem weiteren militärischen Vorrücken, vor allem von der unmittelbar drohenden Besetzung Petrograds, abgehalten werden? Angesichts des erdrückenden militärischen Übergewichts des Gegners sowie der restlos demoralisierten und in Auflösung begriffenen eigenen Streitkräfte (wozu man selbst entscheidend beigetragen hatte) blieb den Bolschewik! letztlich nichts anderes übrig als die umgehende Verwirklichung der eigenen demagogischen Losung um -„Frieden jeden Preis". Das bedeu tete die Annahme der außerordentlich weitgehenden und harten deutschen Friedens-bedingungen, die auf die Abtretung des gesamten von Truppen der Mittelmächte besetzten Gebietes, einschließlich der Anerkennung einer selbständigen nationalen Republik Ukraine, hinausliefen. Daß es tatsächlich am März 1918 auf dieser Basis zur Unterzeichnung des Verzichtfriedens von Brest-Li-towsk 3) kam, war das Verdienst Lenins, der sich in klarer Erkenntnis der Unausweichlichkeit einer solchen Entscheidung mit seiner kategorischen Forderung nach Annahme der deutschen Bedingungen im ZK, dem höchsten politischen Führungsgremium der bolschewistischen Partei, in einer Kampfabstimmung durchzusetzen vermochte. Zwar mußte er für Erreichung und für die dieses Zieles die folgende kurze Atempause, die er zur Vorbereitung des entscheidenden Kampfes um die Sicherung der Macht nach innen wie nach außen benötigte, einen sehr hohen Preis bezahlen. Immerhin verlor Rußland durch und nach Brest-Litowsk mit Finnland, den alten Ostseeprovinzen, Polen, Litauen und der Ukraine 26 °/0 der Bevölkerung, 27 °/o des kultivierten Landes, 26% des Eisenbahnnetzes, 23% der Textilindustrie und etwa 75% der Eisen-und Stahlindustrie sowie der Kohlen-bergwerke. Und das war keineswegs alles, vielmehr schritt — nicht zuletzt als Folge des von den Mittelmächten erzwungenen Friedensschlusses — der innere und äußere Auflösungsprozeß unaufhaltsam fort. Die bald darauf sich anbahnende militärische Niederlage des kaiserlichen Deutschland im Westen und erste Erfolge der Roten Armee im Bürgerkrieg ließen jedoch eine völlig veränderte Situation entstehen.

Als sich die Anzeichen des deutschen Zusammenbruchs in den ersten Herbsttagen 1918 zu mehren begannen, verfolgten die Kommunisten Rußlands das politische Geschehen in Deutschland mit leidenschaftlichem Interesse. Am 3. Oktober 1918, an jenem Tag, an dem in einer im Grunde schon aussichtslos gewordenen Lage Prinz Max von Baden Reichskanzler wurde, erklärte in einem Brief „an Lenin einige Moskauer Organisationen der Partei" „Die Krise in Deutschland hat gerade begonnen. Sie wird unausweichlich durch den Über-gang der politischen Macht in die Hände des deutschen Proletariates beendet werden. Das russische Proletariat verfolgt die Ereignisse mit größter Aufmerksamkeit und Begeisterung." Zur Förderung des innerdeutschen Gärungsprozesses kündigte er im Namen des „proletarischen Internationalismus" und der „bolschewistischen Arbeiterklasse Rußlands" die Bereitstellung von russischem Getreide für das deutsche Proletariat und die möglichst rasche Verstärkung der Roten Armee auf drei Millionen Mann an. Lenin schloß seine Ausführungen vom 3. Oktober mit den pathetisch-beschwörenden Sätzen: „Die Weltgeschichte hat in den letzten Tagen ihren Lauf hinsichtlich der Weltarbeiterrevolution ungewöhnlich beschleunigt. Die schnellsten Änderungen sind möglich, Versuche eines Bündnisses zwischen dem deutschen und englisch-französischen Imperialismus gegen die Sowjetmacht sind möglich. Auch wir müssen die Arbeit der Vorbereitung beschleunigen, verzehnfachen wir unsere Anstrengungen. Möge dies die Losung zum Jahrestag der Großen Oktoberrevolution des Proletariats werden! Möge dies das Unter-pfand für die anbrechenden Siege der proletarischen Weltrevolution werden!" Entsprechend diesen Vorstellungen und Zielsetzungen Lenins war der in Berlin seit dem Sommer 1918 als Geschäftsträger akkreditierte diplomatische Vertreter der Sowjetregierung, Adolf Joffe, weniger als Diplomat denn als Berufsrevolutionär tätig der seine diplomatische Immunität dazu benutzte, um in großen Mengen revolutionäres Schrifttum nach Deutschland einzuschleusen und auf den Sturz des Kaiserreiches hinzuarbeiten. Die Folge war, daß die deutsche Reichsregierung am 5. November 1918 die Beziehungen zu Sowjetrußland abbrach und Joffe auswies. Dieser kehrte zwar auf ausdrückliche Weisung Moskaus gleich nach der Revolution nach Berlin zurück, aber Friedrich Ebert, der neue und zugleich erste sozialdemokratische Reichskanzler Deutschlands, lehnte es ab, ihn zu empfangen und nahm auch das inzwischen offiziell unterbreitete Angebot sowjetischer Getreidelieferungen nicht an. „Schlagartig wurde es den Russen klar, woran sie waren. Von nun an waren ihre Bemühungen unbeirrbar darauf gerichtet, die Macht der deutschen Mehrheitssozialisten zu beseitigen und in Deutschland eine radikale Partei aufzubauen, die unter ihrem eigenen Einfluß stehen und eine zweite Revolution nach echter bolschewistischer Tradition in Deutschland herbeiführen sollte." Abgesehen von der bereits am 13. November 1918 ausgesprochenen Annullierung des Brest-Litowsker Vertrages bedeutete das konkret und im einzelnen, daß man die Elemente der extremen Linken, die Spartakisten und die Arbeiter-und Soldatenräte, zu fördern versuchte, daß sich der Spartakusbund Ende 1918 endgültig von den unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) trennte und als eigene Partei, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), konstituierte und daß man nach den Straßen-kämpfen in der deutschen Hauptstadt und der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Lieb-knechts im Januar 1919 immer stärkeren Einfluß in dieser Partei erlangte. An deren Gründung und revolutionärer Aktivität war maßgeblich Karl Radek beteiligt, den Lenin zum Leiter der bolschewistischen Propaganda in Deutschland bestimmt hatte. Und Radek schrieb Anfang 1919 „Der Ring der Völker ist schon nahezu geschlossen, es fehlt nur noch das wichtigste Glied, Deutschland." Die daran geknüpften weltrevolutionären Erwartungen der Sowjetkommunisten erschienen zu diesem Zeitpunkt keineswegs unbegründet. Während in Nord-und Mitteldeutschland, im Ruhrgebiet und in Bayern von russischen Agenten mitentfesselte kommunistische Umsturzversuche mit zum Teil blutigen Straßenkämpfen stattfanden und verschiedentlich „Arbeiterund Soldatenrepubliken" ausgerufen wurden, stieß die Rote Armee in die von deutschen Truppen geräumten baltischen Länder und über Wilna an die ostpreußische Grenze vor. „Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wogen der Roten Revolution in Berlin und in den baltischen Ländern zu einer großen Flut zusammenschlagen würden."

Angesichts einer solchen Entwicklung, die schon im November bzw. Dezember 1918 in Estland und Lettland sowie im März bzw. Anfang April 1919 in Ungarn und Bayern zur Bildung von Räterepubliken führte, verstieg man sich in der sowjetischen Hauptstadt sogar zu der kühnen Prognose „In tollem Tempo saust das alte Europa der proletarischen Revolution entgegen . . . nach Jahresfrist werden wir bereits zu vergessen beginnen, daß es in Europa einen Kampf für den Kommunismus gegeben hat, denn nach einem Jahr wird ganz Europa kommunistisch sein."

Die Gefahr außenpolitischer Isolierung

Die hochgespannten Erwartungen der Bolschewisten und der soeben (im März 1919) in Moskau ins Leben gerufenen Dritten (Kommunistischen) Internationale (Komintern) erfüllten sich nicht. Noch bevor im Baltikum die bolschewistische Herrschaft und in Ungarn die Räterepublik Bela Khuns zusammenbrachen, bannte in Deutschland, wo Radek bereits am 12. Februar 1919 inhaftiert worden war, die sozialdemokratische Regierung mit Hilfe regulärer Truppen und sogenannter Freikorps die akute Gefahr einer Bolschewisierung und schaltete das Rätesystem aus, bei dem einiges dafür sprach, daß es „sehr wahrscheinlich letzten Endes in ein der bolschewistischen Ordnung mehr oder weniger angeglichenes System einmünden würde"

Daß es wenig später zu einer neuen Flutwelle weltrevolutionärer Ambitionen und Aktionen Moskaus in bezug auf Deutschland kommen konnte, hing mit der erfolgreichen Gegenoffensive der im Juli 1920 bis nach Warschau vordringenden Truppen der Roten Armee als Antwort auf den von Pilsudski Anfang 1920 zur Wiederherstellung der polnischen Grenzen von 1772 entfesselten Krieg gegen Sowjetrußland zusammen. Nach Lenins ausdrücklichem Willen sollte nunmehr auf dem Wege über Polen die Fackel der Weltrevolution gen Westen und dabei zunächst nach Deutschland getragen und sodann „Europa mit den Bajonetten der Roten Armee auf die Probe gestellt" werden. Bereits Anfang 1920 war die Komintern als neues Instrument der Politik der Sowjetregierung in Deutschland höchst massiv in Erscheinung getreten, als — ausgelöst durch den reaktionären Kapp-Putsch — im März ein roter Aufstand im Ruhrgebiet ausbrach, bei dem eine „Rote Armee" von nahezu 50 000 Mann aufgestellt wurde, und als gleichzeitig die Kommunisten in Thüringen und Sachsen losschlugen und im Vogtland eine Räterepublik ausgerufen wurde. Nachdem diese Aufstandsversuche, die den Eindruck erwecken sollten, als ob Deutschland nun wirklich reif für eine Bolschewisierung sei, im Mai endgültig fehlgeschlagen waren, schaltete Moskau zunächst einmal um und versuchte, auf andere Weise zum Ziel zu gelangen. Denn auf dem Höhepunkt des russisch-polnischen Krieges suchte Lenins Deutschland-experte, Karl Radek, die deutsche Heeresleitung mit lockenden Territorialzusagen für ein militärisches Zusammengehen gegen Polen zu gewinnen

Das berühmte „Wunder an der Weichsel", das heißt der am 14. August 1920 unter Anleitung französischer Militärberater errungene Sieg der Polen über die erschöpften Truppen Tuchatschewskijs und deren nachfolgender Rückzug, machte nicht nur diese hochfliegenden Pläne der Bolschewisten erneut zunichte. Vielmehr wurde gleichzeitig der ersten, eindeutig unter weltrevolutionären Vorzeichen stehenden Gesamtphase der sowjetischen Außenpolitik ein Ende gesetzt, in der Deutschland wiederholt die Rolle eines künftigen Hauptträgers, wenn nicht gar Vollenders der kommunistischen Weltrevolution zugedacht war. Da gleichzeitig die durch die Pariser Verträge herbeigeführte Neuordnung im östlichen Europa ohne Mitwirkung Sowjetrußlands, das auch dem Völkerbund fernblieb, erfolgte und da zunächst weder die gerade souverän gewordenen Staaten Ostmitteleuropas noch die ehemaligen Kriegsverbündeten und Kriegsgegner Rußlands zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Moskau bereit waren, stand Lenin am Ende dieser durch Bürgerkrieg, Kriegskommunismus und weltrevolutionäre Hoffnungen gekennzeichneten ersten Epoche der sowjetrussischen Gesamtgeschichte außenpolitisch völlig isoliert da. Diese Isolierung zu überwinden, wurde nunmehr zu einer der vordringlichsten Aufgaben des jungen Sowjet-staates. Damit begann eine neue Periode der sowjetischen Außenpolitik, die Periode der sogenannten Anpassung, die sich über einen Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahrzehnten erstrecken sollte. Auch in ihr nahm Deutschland eine Schlüsselstellung ein. *

Rapallo: Die Phase der ersten diplomatischen Beziehungen

Die sowjetische Deutschlandpolitik ab 1921 offenbart unmißverständlich, was das neue Konzept der „Atempause", der „Anpassung" und der „Übergangszeit" außenpolitisch bedeutete. Nicht von ungefähr hatte die Komintern in ihrer Grußbotschaft an das russische Volk zu Beginn des Jahres 1920 verkündet

„Wir werden auch in Berlin und Warschau, in Paris und London Arbeiter-und Soldatenräte einsetzen, und die Macht der Sowjets wird sich einst über die ganze Welt erstrecken" — gehörte doch zu diesem Zeitpunkt die Bolschewisierung Deutschlands zu den Nahzielen der Politik Lenins. Indessen scheiterten — wie bereits dargelegt wurde — alle diesbezüglichen Unternehmungen. Wohl gelang es Sinowjew auf dem im Oktober 1920 in Halle veranstalteten Parteitag der USPD, diese neben und nach der SPD inzwischen mit fast 5 Millionen Wählerstimmen zweitstärkste politische Partei in Deutschland, zu einer Beitrittserklärung zur Komintern zu bewegen mit dem Erfolg, daß die USPD sich spaltete und sich ihr linker Flügel der KPD anschloß. Als jedoch daraufhin ein im Frühjahr 1921 inszenierter Generalstreik, der die Kommunisten in Deutschland endlich an die Macht bringen sollte, ebenfalls völlig erfolglos blieb, hielt es die Sowjetregierung für angebracht, sich zunächst einmal um eine Normalisierung des russisch-deutschen Verhältnisses auf zwischenstaatlicher Ebene zu bemühen und weitere subversive Aktionen auf etwas längere Sicht zu planen. Man folgte damit einem von Karl Radek schon seit geraumer Zeit vertretenen Standpunkt. Der bolschewistische Deutschland-spezialist war jetzt sogar grundsätzlich und ganz allgemein der Ansicht, daß mit einem nur allmählichen Zerfall der bürgerlich-kapitalistischen Weltordnung gerechnet werden müsse und daß deshalb „Sowjetrußland das Problem, mit den Staaten, die noch kapitalistisch sind, einen modus vivendi zu suchen und zu finden, nicht erspart bleiben" werde

Die erste offizielle Vereinbarung des Sowjet-staates mit der Weimarer Republik war ein

Abkommen vom 19. April 1920 über die Rückführung der beiderseitigen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten. Es wurde am 6. Mai 1921 zu einem Handelsabkommen erweitert, das überdies nicht allein die deutsche De-facto-sondern eigentlich auch schon die De-jure-Anerkennung Sowjetrußlands enthielt. Denn es hieß in ihm wörtlich, daß „die Vertretung der RSFSR in Deutschland als die einzige Vertretung des russischen Staates in Deutschland zu betrachten ist" Diese Anerkennung erfuhr ihre neuerliche Bestätigung und wurde nunmehr verbunden mit der Abmachung über die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen in einem weiteren Vertrag, den der sowjetische Außenminister Tschitscherin und sein deutscher Kollege Walter Rathenau knapp ein Jahr danach, am 16. April 1922, in Rapallo unterzeichneten In seinen übrigen vier Artikeln wurde der gegenseitige Verzicht auf jede Kriegsentschädigung, der Verzicht Deutschlands auf Entschädigungsleistungen für den in Rußland enteigneten Privatbesitz deutscher Staatsangehöriger, die Meistbegünstigung beim gegenseitigen Handelsverkehr und die vorherige wechselseitige Konsultation bei einer grundsätzlichen Regelung wirtschaftlicher Probleme auf internationaler Basis vereinbart.

Daß der Vertrag, dessen Text kaum mehr als eine Schreibmaschinenseite füllte, trotz dieses keineswegs sensationellen Inhalts dennoch großes Aufsehen erregte, lag einmal an den Umständen, unter denen er zustande kam, und zum anderen an den sich unmittelbar daraus ergebenden psychologischen Wirkungen. Er wurde nämlich in dem Augenblick unterzeichnet, als sich eine von den Westmächten im April 1922 nach Genua einberufene, von Sowjetrußland erstmalig und auch von Deutschland besuchte internationale Wirtschaftskonferenz zur Regelung der Vorkriegs-und Kriegsschulden völlig festgefahren hatte. Wenn Lenin vor ihrer Eröffnung dem XL Parteikongreß der KPR (B) am 27. März 1922 erklärte, „wir gehen nach Genua nicht als Kommunisten, sondern als Kaufleute" dann interpretierte er gewissermaßen im voraus den von Tschitscherin am 12. April den Konferenzteilnehmern offiziell unterbreiteten Antrag seiner Regierung, die kapitalistischen Mächte sollten durch die Bewilligung entsprechend hoher Anleihen und Kredite an Sowjetrußland „eine wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Industrie mit der Landwirtschaft und Industrie Rußlands und Sibiriens" ermöglichen, „welche die Rohstoffbasis der europäischen Industrie ganz erheblich erweitern würde" Nur unter der Voraussetzung derartig günstiger wirtschaftlicher Leistungen an Sowjetrußland auf der Basis einer „Parallelexistenz der alten und der im Werden begriffenen neuen sozialen Ordnung" und unter der Bedingung der vollen Wiederaufnahme geregelter diplomatischer Beziehungen, das heißt der De-jure-Anerkennung der russischen Sowjetrepublik, wollte man, wie man jedenfalls andeutete, über die Frage der russischen Kriegs-und Vorkriegsschulden und des Ersatzes für ausländische Vermögensverluste in Rußland mit sich reden lassen. Vor allem aber ging die Sowjetregierung nach Genua, um die von ihr befürchtete Bildung einer gegen sie gerichteten wirtschaftlichen und politischen Einheitsfront des Westens zu verhindern. Die deutsche Reichsregierung wiederum glaubte, eine Übereinkunft der Mächte der Entente mit Sowjetrußland auf Kosten der Weimarer Republik und dessen Eintritt in die Reihe der Reparationsforderer befürchten zu müssen.

Tatsächlich waren die westlichen Alliierten — England ausgenommen — weder den Russen noch den Deutschen gegenüber zu irgendwelchen Konzessionen bereit. Wenn sie von dem daraufhin hinter ihrem Rücken abgeschlossenen Rapalloabkommen mehr vermuteten, als es tatsächlich enthielt, so müssen ihre Befürchtungen nachträglich immerhin insofern nicht ganz unbegründet erscheinen, als es unabhängig von diesem Abkommen die in ihm mit keinem Wort erwähnten geheimen Kontakte zwischen Roter Armee und Reichswehr gab, die bereits im Winter 1920/21 angeknüpft wurden Umfang und Gewicht der daraus erwachsenen Zusammenarbeit sollten freilich nicht zu hoch veranschlagt werden, auch wenn Tuchatschewskij im Jahre 1933 die Reichswehr als Lehrer der Roten Armee bezeichnet hat. Während diese von den modernen Organisationsmethoden des deutschen Generalstabs und den technischen Errungenschaften der deutschen Rüstungsindustrie profitierte, erhielt jene die Gelegenheit, in insgesamt drei eigenen Schulen für die Flieger-, Panzer-und Gaskampftruppe und mit Hilfe entsprechender Zweigfabriken der deutschen Rüstungswirtschaft auf russischem Boden ihre Offiziere im Gebrauch solcher Waffen zu unterweisen, deren Herstellung und Besitz Deutschland durch den Versailler Vertrag untersagt war.

Was nochmals den Rapallo-Vertrag selbst angeht, so verschafften sich beide Mächte durch ihn in der damals bestehenden politischen Gesamtkonstellation zweifellos eine gewisse außenpolitische Bewegungsfreiheit und wohl auch gegenseitige Rückendeckung. Im übrigen ist seine Bedeutung im Zeitpunkt des Zustandekommens von beiden Vertragspartnern recht nüchtern beurteilt, jedenfalls nicht überschätzt oder gar glorifiziert worden. Während die deutsche Reichsregierung nicht daran dachte, ihre grundsätzliche und weiterhin eindeutige Westorientierung aufzugeben, ist bei der Sowjetregierung, deren Haltung hier in erster Linie interessiert, zwar eine verständliche Genugtuung — verbunden mit einer spürbaren Hebung des außenpolitischen Selbstbewußtseins — darüber festzustellen, den bisherigen diplomatischen und moralischen Boykott durch das kapitalistische Ausland an einer wichtigen Stelle überwunden zu haben. Indessen würdigte das Zentrale Exekutivkomitee, die damalige oberste Behörde des bolschewistischen Regimes, im Mai 1922 den errungenen Erfolg nur mit der knappen Feststellung, „Verträge dieser Art" seien „der einzig richtige Ausweg aus Schwierigkeiten, Chaos und Kriegsgefahr" und „normal für die Beziehungen der RSFSR zu kapitalistischen Staaten" Nur einen Augenblick lang schien die „Kameradschaft im Mißgeschick", wie Winston Churchill das Verhältnis der beiden großen Verlierer des Ersten Weltkriegs in der Rapallo-Ära einmal genannt hat, „Flitterwochen einer revolutionären Kampfgemeinschaft" hervorzubringen, als nämlich bei der französischen Ruhrbesetzung im Januar 1923 Sinowjew die deutschen Kommunisten anwies, sich am nationalen Widerstand zu beteiligen, als Moskau Leo Schlageter feierte und Berlin über Radek wohlwollende Neutralität im Falle eines deutsch-französischen Krieges zusicherte. Andererseits hinderte weder diese absolut situations-und zeitgebundene Übereinstimmung, die schon durch Stresemanns Einlenken Frankreich gegenüber bald nicht mehr gegeben war, noch der Vertrag vom April 1922 die sowjetische Politik daran, über die Komintern einen erneuten kommunistischen Umsturzversuch, der diesmal im Oktober 1923 in Sachsen und Thüringen stattfand, nach Kräften zu unterstützen und zu diesem Zweck sogar Offiziere der Roten Armee nach Deutschland einschleusen zu lassen. Daran sei sowohl in Abwehr und zur Zerstörung des mancherorts bis heute lebendigen unseligen Rapallo-Mythos und -Komplexes als auch zur Verdeutlichung der grundsätzlichen Zweigleisigkeit und Doppelbödigkeit sowjetischer Außenpolitik jener Zeit erinnert.

Die Rapallo-Politik machte sich indessen bald bezahlt für Sowjetrußland. Nachdem sie im Berliner Vertrag vom 24. April 1926, der die gegenseitige Neutralitätsverpflichtung bei einem Angriff von dritter Seite auf eine der beiden Partner enthielt, ihre erste Fortsetzung fand, veranlaßte sie nach Abschluß des Briand-Kellogg-Paktes vom 27. August 1928 die deutsche Reichsregierung, als Fürsprecherin sowjetischer Interessen in einem internationalen Gremium aufzutreten und sich für die nachträgliche Mitunterzeichnung dieses Vertrages zur Ächtung des Krieges durch die Sowjetunion einzusetzen, den der Kreml als Grundlage und Ausgangspunkt für sein neues außenpolitisches Konzept der kollektiven Sicherheit benutzte.

Stalin hob seinerseits immer wieder das besonders freundschaftliche Verhältnis Sowjetrußlands zur Weimarer Republik hervor. Vor allem lag ihm daran, Deutschland bezüglich seiner Polenpolitik zu beruhigen. Von deutscher Seite geäußerte Befürchtungen, „die Sowjetunion könnte in ihren Verhandlungen oder in irgendeinem Vertrag mit Polen einen Schritt tun, der bedeuten würde, daß die Sowjetunion die Besitzungen und die Grenzen Polens sanktioniert und garantiert", suchte er im Dezember 1931 nicht allein mit dem völlig zutreffenden Hinweis darauf zu entkräften, daß der —-damals noch nicht unterzeichnete — Nichtangriffspakt mit Warschau von 1932 keine solche Garantieerklärung enthalte. Er fügte vielmehr ausdrücklich hinzu: „Wir waren nie die Garanten Polens und werden es nie werden, ebenso wie Polen nicht der Garant unserer Grenze war und es auch nicht sein wird. Unsere freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland bleiben dieselben wie bisher. Das ist meine feste Überzeugung."

Abgesehen von dem von Stalin immer wieder sehr bewußt unterstrichenen sowjetisch-deutschen Interessengleichklang in bezug auf Polen, das heißt im Streben beider nach Revision der durch die Pariser Verträge festgelegten Grenzen Polens, gab es — außer den bereits erwähnten Kontakten zwischen Roter Armee und Reichswehr — eine wirkliche Zusammenarbeit in Gestalt engerer Beziehungen beider Mächte nur auf kommerziellem Gebiet Die Basis bildete ein neuer Handelsvertrag vom 12. Oktober 1925; als entscheidende Antriebs-kräfte erwiesen sich ab 1928 die Weltwirtschaftskrise und Stalins forcierte Industrialisierungspolitik. Während das von der Reichs-regierung durch Kredite geförderte und vom Ostausschuß der deutschen Wirtschaft betreute Rußlandgeschäft dem deutschen Partner einen gewissen Ausweg aus den Absatzschwierigkeiten in der Welt eröffnete, bestand ab 1928/1929 auf sowjetischer Seite ein nahezu unbegrenzter Bedarf an industriellen Ausrüstungen für alle Bereiche des Wirtschaftslebens. Eine umittelbare Folge war, daß der sowjetische Anteil am deutschen Werkzeugmaschinenexport sprunghaft von 10% auf 75% anstieg. Ganz allgemein erreichte der deutsch-russischeHandel 1932 seinen bis dahin höchsten Stand

Insgesamt ist festzuhalten: Das sowjetische Verhältnis zur Weimarer Republik war höchst ambivalent. Während die KPD als zweitstärkste Sektion der Komintern hinter den Erwartungen Moskaus zurückblieb, wurde das „bürgerliche" Deutschland durch und seit Rapallo zum sichersten Eckpfeiler der sowjetischen Außenpolitik.

Die sowjetische Deutschlandpolitik nach 1933: die Phase des wohlwollenden Abwartens

Die sowjetische Deutschlandpolitik hat sich auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung vom 30. Januar 1933 keineswegs schlagartig gewandelt Abgesehen von einem gewissen Vertrauen in den Fortbestand der recht intensiven Handelsbeziehungen und nicht zu leugnender russophiler Neigungen bestimmter Reichswehrkreise war man in Moskau zunächst fest davon überzeugt, Hitler sei ganz einfach ein Schrittmacher auf dem Weg zu einem Sowjetdeutschland und der dortige Hauptfeind des Kommunismus nach wie vor die Sozialdemokratie. Nicht allein für Stalin waren Faschismus und Sozialdemokratie Zwillingsgeschöpfe des Monopolkapitalismus, zwei Seiten und Instrumente von dessen Diktatur. Der Haß auf die deutschen „Sozialfaschisten", wie man die nichtkommunistischen Sozialisten seit 1928 zu titulieren beliebte, war während der ganzen Zeit der Weimarer Republik im Kreml so tief verankert und bitter, daß, wie Botschaftsrat Gustav Hilger, eine der Schlüsselfiguren in der damaligen diplomatischen Vertretung Deutschlands in Sowjetrußland, in seinen höchst aufschlußreichen Erinnerungen rückblickend berichtet, „Tschitscherin und Litwinow offen mit deutschen Diplomaten diskutierten, es sei wünschenswert, die SPD nicht an die Regierung kommen zu lassen" Im übrigen erschien es aus sowjetischer Sicht durchaus denk-und realisierbar, auf zwischenstaatlicher Ebene eine Politik nach Art des taktischen Zusammenspiels von KPD und NSDAP beim Berliner Verkehrsstreik im November 1932 auf Zeit fortzusetzen.

Tatsächlich wurde der Berliner Vertrag von 1926 im Mai 1933 von beiden Seiten anstandslos verlängert. Während Hitler, der sich bekanntlich vor der Machtübernahme bereits als Bolschewistenfresser gebärdet hatte, auch in seiner sonstigen Haltung der Sowjetunion gegenüber noch vorsichtig abwartend, ja unentschieden blieb, wollte Stalin mit der Zustimmung zur Vertragserneuerung ebenso wie mit dem Nichtangriffsund Freundschaftspakt, den die Sowjetregierung am 2. September 1932 mit dem Italien Mussolinis vereinbart hatte, deutlich seine Auffassung bekunden, daß ideologische Gegensätze politische Abmachungen mit ihr nicht auszuschließen brauchten. Wohl wurde die militärische Zusammenarbeit, die für beide Seiten recht lohnend gewesen war, nach über zehnjähriger Dauer auf sowjetische Veranlassung im September 1933 end-gültig eingestellt; aber Molotow versicherte noch Ende 1933, es gäbe keinen Grund für eine Änderung der sowjetischen Deutschland-politik. Erst das deutsch-polnische Nichtangriffsabkommen vom Januar 1934, das Moskau nicht ohne Grund als gegen sich gerichtet ansehen mußte, da es der Rapallo-Politik eine ihrer wichtigsten Grundlagen, nämlich die antipolnische Interessengemeinschaft, entzog, leitete tatsächlich einen Wandel in der sowjetischen Haltung ein, der allmählich sichtbarere Formen annahm. Die in den Begriffen der Anpassung und der kollektiven Sicherheit zum Ausdruck kommende Grundorientierung zielte nunmehr in eine andere, durch den englandfreundlichen Außenminister Litwinow bereits angebahnte Richtung und wurde dabei von dem erst jetzt klar zutage tretenden Leitmotiv der Sicherung gegenüber dem aggressiven und expansiven Faschismus — diesem Sammelbegriff ordnet die kommunistische Terminologie den Nationalsozialismus unter — und der engeren Annäherung an die Westmächte bestimmt.

Unter dem Eindruck der „deutsch-faschistischen Gefahr" verlängerte die Sowjetunion im Laufe des Jahres 1934 ihre zweiseitigen Nichtangriffsverträge mit Polen, Estland, Lettland und Finnland aus dem Jahre 1932 auf zehn Jahre. Darüber hinaus schloß sie am 2. bzw. 16. Mai 1935 militärische Beistandsabkommen mit Frankreich und der Tschechoslowakei. Andererseits gab sie gleichzeitig, wiederum in einem Rechenschaftsbericht des Regierungschefs Molotow, ihrem unveränderten Wunsch Ausdruck, „auch weiter gute Beziehungen zu Deutschland aufrechtzuerhalten" und „die Beziehungen zu allen Staaten auszubauen, die Staaten mit faschistischem Regime nicht ausgenommen" 26). Das war kaum nur eine politische Floskel ohne realen Gehalt. Der ebenso kaltberechnende wie vorsichtig-mißtrauische Stalin scheint damals, wie Radek einem deutschen Diplomaten anvertraute, in bezug auf Deutschland schwankend und unsicher gewesen zu sein. Und diese Unsicherheit war nicht ganz unbegründet, jedenfalls nicht unverständlich. Während Litwinow bei den Feiern zur Oktoberrevolution am 7. November 1935 mit dem deutschen Botschafter Schulenburg „auf die Wiedergeburt unserer Freundschaft an-stieß war die antibolschewistische Kampagne des NS-Regimes gerade voll angelaufen. Sie erreichte 1936/37 unter dem Motto „Deutschland, das Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus" ihren Höhepunkt, ohne daß Hitler zu diesem Zeitpunkt an eine direkte Auseinandersetzung mit Sowjetrußland denken konnte oder dachte. Stalin und seine Gehilfen aber mochten sich fragen: Was bezweckte dann Hitler mit seiner scharf antisowjetischen Politik? Welchen realen Wert und Nutzen sollte sie für Deutschland haben? Wie immer diese Frage zu beantworten ist, auf alle Fälle mußte es den Männern im Kreml immer klarer werden, daß Hitler — entgegen ihrer ursprünglichen Annahme — mehr als eine nur kurzlebige Übergangserscheinung auf der deutschen und der weltpolitischen Bühne war.

Daß Stalin, wie wiederholt behauptet worden ist, bereits „um das Jahr 1937" ernsthaft an ein (zeitweises) Zusammenspiel mit dem erstarkenden Hitlerdeutschland dachte, läßt sich anhand des bis jetzt zugänglichen Quellen-materials nicht belegen. Schon angesichts dessen, was 1939 Wirklichkeit wurde, darf man eine solche Vermutung natürlich nicht einfach als irreal abtun; schlüssige Beweise für deren Richtigkeit gibt es allerdings, wie gesagt, nicht. Fest steht nur, daß Stalin selbst 1936/37, als die Spannungen zwischen beiden Ländern einen Höchststand erreichten, nicht aufgehört hat, in Berlin wegen einer Verbesserung der offiziellen Beziehungen sondieren zu lassen

Die völlige Funktionsunfähigkeit des sowjetischen Systems der kollektiven Sicherheit zwischen Ost und West erwies sich im Laufe des Jahres 1938, als Hitler nach dem „Anschluß" Österreichs die Sudetenkrise auf den Höhepunkt trieb und die Westmächte am 30. September in das Münchener Abkommen einwilligten. Die sowjetische Regierung hatte zwar Anfang September in Beantwortung einer französischen Anfrage eine englisch-französisch-sowjetische Erklärung, einen Appell an den Völkerbund und die Ausarbeitung eines gemeinsamen Kriegsplanes mit dem tschechischen Generalstab vorgeschlagen. Ihre Prag gegenüber bekundete Bereitschaft zur Einhaltung und Erfüllung des Beistandspaktes von 1935 war jedoch mit dem schwerwiegenden Vorbehalt versehen, daß zunächst Frankreich seinen entsprechenden Verpflichtungen nachkommen müsse; eine weitere Entwertung dieses Hilfsversprechens ergab sich aus der in Moskau natürlich sehr wohl bekannten und in Rechnung gestellten Abneigung Polens und Rumäniens, sowjetische Truppen durch ihre Territorien marschieren zu lassen. Im Grunde wollte auch Stalin 1938 keinen militärischen Konflikt mit Hitler, zumal gerade ausgebrochene Feindseligkeiten mit Japan in Korea und in der Mandschurei die unmittelbare Gefahr einer gleichzeitigen kriegerischen Verwicklung der Sowjetunion mit den beiden stärksten AntiKomintern-Mächten heraufbeschworen. Die Sowjetregierung beschränkte sich daher schließlich auf die Forderung nach Einberufung einer internationalen Konferenz — in der selbstverständlichen Annahme, dazu selbst auch eingeladen zu werden. Gerade das geschah jedoch nicht, weil zu diesem Zeitpunkt weder England noch Frankreich ein stärkeres Mitspracherecht Sowjetrußlands in den mitteleuropäischen Angelegenheiten wünschten. Damit war Litwinows Politik der Anpassung endgültig gescheitert; die Konsequenz, die Stalin daraus zog, erscheint bereits vorweggenommen in dem Ausruf eines sowjetischen Diplomaten beim Einmarsch der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei: „Nun gibt es für uns keine andere Lösung als eine vierte Teilung Polens."

Die Phase der expansiven Außenpolitik

Ab 1939 datiert eine neue Periode sowjetischer Außenpolitik. Ihr bestimmendes Merkmal war die von Stalin eingeleitete, durchgeführte und vollendete imperialistische Expansion der Sowjetmacht. An ihrem Anfang stand eine fast zweijährige Partnerschaft mit dem nationalsozialistischen Deutschland an ihrem Ende die Zertrümmerung des deutschen Reiches und die deutsche Teilung.

Die veränderte außenpolitische Orientierung der Sowjetregierung zeichnete sich erstmals deutlich ab in der sogenannten „Kastanienrede" Stalins vom 10. März 1939 vor dem XVIII. Parteikongreß der KPdSU. Darin hieß es, die Sowjetunion werde sich nicht von Kriegsprovokateuren in einen Konflikt hineinziehen lassen, „die es gewohnt sind, sich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen" Knapp zwei Monate später, am 3. Mai, wurde Litwinow, der die bisherige Politik der kollektiven Sicherheit verkörperte, als Außenkommissar von Molotow abgelöst. Zwar hatten Anfang April, nach Hitlers Vertragsbrüchigem Vorgehen gegen die Rest-Tschechoslowakei, England und Frankreich in Moskau Verhandlungen mit dem Ziel ausgenommen, eine militärpolitische Konvention zur Abwendung der drohenden Gefahr einer weiteren deutschen Aggression abzuschließen. Es erscheint jedoch zumindest zweifelhaft, wie ernst und tief Stalins Verständigungswille, das heißt seine Bereitschaft zur Bindung an ein solches Abwehr-und gegenseitiges Beistandsbündnis, tatsächlich war. Jedenfalls erklärte Molotow in seiner Rede vor dem Obersten Sowjet wohl kaum zufällig am 31. Mai, nachdem er gerade Kenntnis von Hitlers persönlichem Interesse an deutsch-russischen Gesprächen erhalten und deshalb an diesem Tage den westlichen Verhandlungspartnern neue Forderungen der Sowjetregierung unterbreitet hatte: „Wenn wir Verhandlungen mit England und Frankreich führen, so halten wir es doch gar nicht für notwendig, auf Geschäftsbeziehungen zu solchen Ländern wie Deutschland und Italien zu verzichten." Ganz unmißverständlich brachte dann die „Prawda" am 29. Juni 1939 die sowjetische Absicht zum Ausdruck, sich die volle Bewegungs-und Optionsfreiheit in beiden Richtungen zu erhalten. Der mit scharfen Ausfällen gegen die Westmächte versehene Artikel stammte überdies von Shdanow, der damals als einer der engsten — nicht nur außenpolitischen — Mitarbeiter Stalins immer stärker in den Vordergrund trat.

Gewiß hatten derartige offizielle und offiziöse Stellungnahmen auch den Zweck, die englischen und französischen Verhandlungspartner unter Druck zu setzen und sie womöglich zu weitergehenden Zugeständnissen zu bewegen. Als dann, hervorgerufen durch die bedrohliche Verschärfung der deutsch-polnischen Spannungen und die von Hitler bewußt heraufbeschworene allgemeine Kriegsgefahr, die westliche Bereitschaft zu Zugeständnissen an die Sowjetunion im Laufe des Sommers tatsächlich wuchs, als vom 12. August 1939 an alliierte Militärverhandlungen in Moskau stattfanden und als schließlich am 22. August der französische Missionschef den Russen die Einwilligung seiner Regierung in das von ihnen geforderte Durchmarschrecht durch Polen und Rumänien mitteilte, machte Verteidigungsminister Woroschilow als Leiter der sowjetischen Delegation sofort die ausdrückliche Zustimmung dieser beiden Staaten zur unabdingbaren Voraussetzung für das endgültige Zustande-kommen der geplanten Militärallianz, die dann, wie er vieldeutig hinzufügte, wohl unterzeichnet werden könne, sofern „sich die politischen Umstände nicht inzwischen geändert hätten"

Genau dafür aber hatte Hitler inzwischen gesorgt. Einen ersten konkreten Ansatz zur deutsch-sowjetischen Annäherung boten seit der Jahreswende 1938/39 laufende Verhandlungen über eine Ausweitung des beiderseitigen Handelsverkehrs, der seit 1936 mit Hilfe kurzfristiger Verrechnungsabkommen abgewickelt und in Gang gehalten wurde. Nachdem Hitler am 28. April 1939 die vier Wochen zuvor ausgesprochene englische Garantie der polnischen Grenzen mit der einseitigen Auf-kündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrages vom Januar 1934 beantwortet hatte, dessen Spitze eindeutig gegen Sowjetrußland gerichtet gewesen war, wurde am 20. Mai in einer Unterredung Molotows mit dem deutschen Botschafter Schulenburg die Frage einer Verbesserung nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin aufgeworfen. Weil Hitler zunächst in London wegen einer politischen Übereinkunft im Sinne eines erneuten britischen Appeasement sondieren ließ, dauerte es freilich noch zwei weitere Monate, ehe in einem inoffiziellen, aber hochbedeutsamen Gespräch, das deutsche und sowjetische Diplomaten am 26. Juli in einem Berliner Restaurant führten, der Plan einet Aufteilung Ostmitteleuropas Gestalt gewann.

Alles weitere ging dann sehr rasch und reibungslos vonstatten. Am 3. August deutete Schulenburg Molotow gegenüber die deutsche Bereitschaft zur Berücksichtigung des sowjetischen Interesses in Lettland und Estland an. Die Sowjetregierung gab ihrerseits am 11. August die offizielle Zusage, entsprechend dem Wunsch der deutschen Regierung Reichsaußenminister von Ribbentrop in Moskau zu direkten politischen Verhandlungen zu empfangen. Deren Beginn — von sowjetischer Seite war kein Termin genannt worden — wurde auf Drängen Hitlers, der sich mit einem Telegramm an Stalin persönlich einschaltete, mehrfach vorverlegt. Dazwischen fand am 19. August in Moskau die Unterzeichnung eines umfangreichen Handels-und Kreditabkommens statt, demzufolge Sowjetrußland eine Anleihe von 180 Millionen Reichsmark zum Bezug deutscher Maschinen und Industrieeinrichtungen erhielt. Als Ribbentrop am 23. August auf dem Luftwege in der sowjetischen Hauptstadt eintraf, waren die Würfel bereits gefallen. Stalin entschied sich gegen die Westmächte und für ein Zusammengehen mit Deutschland, weil Hitler im entscheidenden Augenblick bedenkenlos und ohne Zögern der Einbeziehung Finnlands, Estlands und Lettlands sowie Bess13 arabiens und vor allem der einen Hälfte Polens bis zur „Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San" in die sowjetische Einflußund Macht-sphäre zustimmte. Die entsprechenden vertraglichen Bestimmungen enthielt der noch am 23. August von Molotow und Ribbentrop unterzeichnete deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt nebst dem dazugehörigen geheimen Zusatzprotokoll. Damit war das Schicksal Polens besiegelt.

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939

Für die Zeitgenossen, welcher Nation sie auch angehören mochten, war die plötzliche, noch dazu so weitgehende vertragliche Übereinkunft zwischen zwei (angeblichen) politischen Todfeinden zweifellos ein sensationelles Ereignis und für viele zugleich ein Schock, zumal es beide Partner meisterhaft verstanden hatten, die Verhandlungen bis zum letzten Augenblick völlig geheimzuhalten.

Im historischen Rückblick fällt es gewiß leichter, das Zustandekommen des Paktes zu erklären, die Motive und Sachverhalte, die ihm zugrunde lagen, zu verstehen. Wir wollen und müssen, uns hier freilich darauf beschränken, den Vorgang in den Gesamtzusammenhang der sowjetischen Außenpolitik unter Stalin einzu-ordnen.

Um das Ergebnis thesenhaft vorwegzunehmen: Das Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland stellt keinen Bruch in dem Gesamtgefüge der sowjetischen Deutschland-und Außenpolitik dar. Abgesehen davon, daß im Grunde zu keiner Zeit eine ernsthafte ideologische Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus stattgefunden hat, war (und ist) selbst schärfste ideologische Gegnerschaft nie ein Hindernis für das außen-politische Zusammengehen Sowjetrußlands mit Staaten, die bei sich selbst die kommunistische Partei und ihre Anhänger rücksichtslos bekämpf(t) en und verfolg(t) en. Bezogen aut die sowjetische Deutschlandpolitik nach 1933 heißt das: „. . . nicht die Unmenschlichkeit des Faschismus, sondern Hitlers sowjetfeindliche Außenpolitik bestimmte die Einschätzung" Sie erlaubte es Stalin, eine Schaukelpolitik zu betreiben und sich — wie wir gesehen haben — die Möglichkeit für ein Arrangement mit Hitler offenzuhalten. So nimmt es nicht wunder, daß nach dem durch das Münchener Abkommen besiegelten Mißerfolg der antifaschistischen Konzeption der kollektiven Sicherheit vom roten Diktator die Initiative zur Annähe-rung ausging, die der braune Diktator erst recht spät aufnahm, um sie dann allerdings seinerseits zur beschleunigten Konzipierung eines außerordentlich weitgehenden Über-einkommens einzusetzen. Für einen aufmerksamen Beobachter der deutsch-sowjetischen Beziehungen kann es auch kaum überraschend sein, daß hierbei vor allem das antipolnische Interesse beide Mächte zusammenführte. Als Polen dann tatsächlich zerschlagen war, sprachen Stalin und Molotow öffentlich (!) von einer Allianz, die nun „mit Blut zementiert" worden sei Eine ebenso bezeichnende wie makabre Feststellung!

Jeglichen innerkommunistischen Widerstand gegen das Paktieren mit den Faschisten aber hatte Stalin mit Hilfe der gerade abgeschlossenen großen Säuberungen beseitigt, die sich auf dem Wege über den gefügigen Handlanger Komintern auch auf die anderen kommunistischen Parteien der Welt erstreckten. Nicht zufällig wurden dabei die polnischen und die deutschen Kommunisten besonders schwer betroffen; die KP Polens mußte es 1938 sogar hinnehmen, als verräterische Agenten-partei deklariert und aufgelöst zu werden. Und das war keineswegs alles. Nach dem Abschluß des Molotow-Ribbentrop-Paktes erhielten die kommunistischen Parteien in Europa die Anweisung, nach der Parole „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!" den Kampf der Westmächte gegen Deutschland zu verurteilen und deren Abwehrbereitschaft gegen die nationalsozialistische Aggression zu schwächen. Zwar verlor man daraufhin zahlreiche Anhänger, aber die Masse der Funktionäre in den einzelnen kommunistischen Par-teien und erst recht in der Komintern blieb absolut linientreu und machte selbst diesen Kurs mit, weil ihn Moskau befohlen hatte. Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Was jetzt noch allein im internationalen Kommunismus zählte, was das Denken und das Handeln aller kommunistischen Parteien diktatorisch bestimmte, war der skrupellose Machtegoismus des Sowjetstaates, verkörpert im Willen und in der Person Stalins.

Zugleich ist dies wohl der wichtigste Faktor bei der Beantwortung der Frage nach dem Stellenwert des Vertrages vom 23. August 1939 im Gesamtgebäude der Außenpolitik Stalins. Denn: Veranlaßte nicht letztlich dieser spezifische Machtegoismus, diese imperialistische Staatsräson, die Sowjetregierung dazu, die vielleicht einmalige Gunst der Stunde zur Verwirklichung eines Zieles zu nutzen, das die volle Wiederherstellung der Grenzen des Zarenreiches beinhaltete, das man unter Lenin in der Phase des Kriegskommunismus vergeblich zu erreichen sich bemüht hatte und dessen Realisierung noch vor Jahrefrist in weiter Ferne zu liegen schien? Gerade unter diesem Gesichtspunkt erscheint es angebracht, sich nochmals den Kurs der sowjetischen Politik gegenüber dem NS-Regime bis 1939 zu vergegenwärtigen. Er läßt sich — nach den bisherigen Darlegungen — abschließend so umreißen: Nicht die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933, sondern erst der deutsch-polnische Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1934 bewirkte jene Wendung der sowjetischen Außenpolitik, deren offizielles und erklärtes Ziel nunmehr — jedenfalls zeitweise — in der Eindämmung der faschistischen Gefahr bestand. Stalins Fehleinschätzung des deutschen Faschismus blieb indessen erhalten. Die Alleinschuld des Dritten Reiches an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges steht außer Frage; aber es war Stalin, der durch den Pakt vom 23. August 1939 diese Kriegsentfesselung überhaupt bzw. endgültig ermöglichte.

Vieles spricht dafür, daß Hitler von vornherein nur an temporäre Konzessionen gegenüber der Sowjetunion gedacht hat. Es mag auch zutreffen, daß Stalin gelegentlich, so bereits bei den Verhandlungen mit Ribbentrop im August 1939, derartige Befürchtungen in bezug auf Hitlers Rußlandpolitik hegte. Irreführend ist jedoch jene bekannte Erklärung, die er am 3. Juli 1941, kurze Zeit nach dem deutschen Überfall, in einer Rundfunkansprache vor der Bevölkerung der UdSSR und der Weltöffentlichkeit abgab: „Wir sicherten unserem Lande für eineinhalb Jahre den Frieden und erhielten auf diese Weise die Möglichkeit, unsere Kräfte zur Abwehr vorzubereiten." Unterschlagen wurde hier nicht nur der außerordentliche territoriale und machtmäßige Gewinn, den die Sowjetunion aus der Verbindung mit dem nationalsozialistischen Deutschland inzwischen gezogen und der sie zum Abschluß der Allianz vom 23. August bewogen hatte. Die nachträgliche Rechtfertigung verschwieg vielmehr auch, daß Stalin seit dem Spätsommer 1939 offensichtlich mit einer sehr viel längeren Dauer des Zusammenspiels mit Hitler rechnete. Dabei ging er — in voller Übereinstimmung mit der außenpolitischen Theorie des Marxismus-Leninismus — von einem ebenso blutigen wie langwierigen militärischen Ringen innerhalb des kapitalistischen Lagers aus, das Sowjetrußland gewissermaßen Gewehr bei Fuß mitmachen wollte, um in den entscheidenden Phasen der Auseinandersetzung weitere Gewinne einzustecken und bei der Schlußabrechnung in jedem Falle auf der Seite des Siegers sein zu können. Die sowjetische Politik vom September 1939 bis zum Juni 1941 liefert den besten Anschauungsunterricht und Beleg dafür, daß Stalin von solchen Prämissen her dachte und handelte.

Nach dem sofortigen Inkrafttreten des Paktes vom 23. August, der, entgegen Hitlers, aber keineswegs entgegen Stalins Erwartung, England und Frankreich nicht von der Erfüllung ihres Beistandsversprechens gegenüber dem von Deutschland angegriffenen Polen abzuhalten vermochte, ging Stalin rasch und energisch an die Verwirklichung und Vermehrung der ihm vom nationalsozialistischen Deutschland gebotenen, ja sogar garantierten neuen Möglichkeiten zur Expansion der sowjetischen Macht.

Dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen (am 17. September 1939) bis zur sogenannten Curzon-Linie von 1919 folgte im deutsch-sowjetischen Grenzund Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939, der bei einem zweiten Moskaubesuch Ribbentrops zustande kam, die deutsche Zustimmung zur Einbeziehung auch Litauens in die sowjetische Einflußzone. Die unter stärksten Druck gesetzten drei baltischen Staaten büßten, da niemand sie mehr wirksam zu schützen vermochte, schnell immer mehr an Selbständigkeit ein und wurden schließlich im Juli 1940 als Sowjetrepubliken der UdSSR einverleibt, während Rumänien in Erfüllung eines Ultimatums des Kreml vom 26. Juni 1940 nicht nur Bessarabien, sondern auch die Nordbukowina an die Sowjetunion abtreten mußte

Darüber hinaus versuchte man vom deutschen Partner, der als Gegenleistung für die zeitweise Überlassung seines Kreutzers „Lützow" und für technische Hilfe beim Bau bzw. Umbau sowjetischer Kriegsschiffe bis zum September 1940 in der Nähe von Murmansk einen eigenen Marinestützpunkt unterhalten durfte, nach dessen erster Niederlage im Luftkrieg über England (August 1940) weitere Zugeständnisse bezüglich einer Ausdehnung der sowjetischen Machtsphäre auf dem Balkan und im Ostsee-bereich zu gewinnen. Auch als Hitler dies in direkten Gesprächen, die er am 12. und 13. November 1940 mit dem nach Berlin eingeladenen Molotow führte, kategorisch ablehnte, nachdem bereits zuvor eine deutsche Militärmission ostentativ nach Rumänien entsandt worden war, blieb Stalin um die Aufrechterhaltung korrekter, ja möglichst guter Beziehungen zu Deutschland bemüht, die sich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet anfänglich sehr vielversprechend entwickelt hatten.

In zwei weiteren Wirtschaftsabkommen vom Februar 1940 und Januar 1941 war eine erneute starke Ausweitung des beiderseitigen Warenverkehrs auf einen Gesamtumfang von 800 Millionen Reichsmark festgelegt worden, wovon vor allem der deutsche Partner durch den Bezug von Getreide (in einem Jahr fast 1 Million Tonnen!), Erdöl, Baumwolle, Phosphaten, Eisenerz, Roheisen, Platin u. a. m. profitierte. Obwohl die deutschen Gegenlieferungen an Industrieerzeugnissen von Anfang an alles andere als pünktlich erfolgten, bald immer mehr abnahmen und zuletzt praktisch ganz aufhörten, sorgte Stalin im. Frühjahr 1941 dafür, daß die Sowjetregierung, die im Spätsommer 1940 wegen des deutschen Verzugs ihrerseits mit einem Lieferungsstopp gedroht hatte, ihre Verpflichtungen aus den Handelsverträgen wieder genau erfüllte. Ende April ließ er Berlin durch den nach dort reisenden Botschafter Schulenburg sogar noch das Ange-bot unterbreiten, im kommenden Jahr 5 Millionen Tonnen Getreide nach Deutschland zu exportieren.

Das im Frühjahr und Frühsommer J 941 ganz offenkundige sowjetische Bemühen, „alles (zu) vermeiden, was Deutschland hätte verärgern können" erstreckte sich indessen keineswegs nur auf den Bereich der kommerziellen Beziehungen. So nahm man — wenn auch unter Protest — nicht nur im März 1941 den Einmarsch deutscher Truppen in Bulgarien hin, dessen Zugehörigkeit zur eigenen Sicherheitszone Molotow zuvor wiederholt und ausdrücklich unterstrichen hatte, sondern man ließ wenige Wochen später unter dem Eindruck des raschen Fortschreitens des deutschen Balkan-feldzuges sogar die gerade erst an die Macht gelangte antideutsche Militärregierung in Jugoslawien wieder fallen, mit der man noch am 5. April ostentativ einen Freundschaftspakt abgeschlossen hatte. Und schließlich brandmarkte die offizielle Telegraphenagentur TASS am 14. Juni alle Gerüchte „über einen bevorstehenden deutsch-russischen Krieg" als eine „erlogene und widersinnige Provokation", für die der Moskauer Botschafter Großbritanniens verantwortlich gemacht wurde

Stalin tat dies alles, weil er einen militärischen Konflikt mit Hitler unter allen Umständen vermeiden und statt dessen die weitere kriegerische Selbstzerfleischung der kapitalistischen Mächte (natürlich einschließlich des nationalsozialistischen Deutschland) in aller Ruhe abwarten wollte. Auch die Massierung starker und schneller Verbände der Roten Armee an der Westgrenze der UdSSR diente — darüber sind sich heute wohl alle Sachverständigen einig — nicht aggressiven, sondern defensiven Zwecken Deutschland gegenüber. Die Aktion sollte dazu beitragen, die deutsche Führung von einem eventuell geplanten Angriff auf die Sowjetunion abzuhalten. Darüber hinaus — das war vielleicht entscheidend — scheint Stalin, nicht zuletzt nach Unterzeichnung des sowjetisch-japanischen Nichtangriffsvertrages vom 13. April 1941, der ihn selbst von einer möglichen Zweifrontenbedrohung befreite, fest davon überzeugt gewesen zu sein, daß Hitler von sich aus keinen Zweifrontenkrieg beginnen werde.

Das Verhältnis Deutschland—Sowjetunion seit dem 22. Juni 1941

Als der zu einem Zweifrontenkrieg wohl schon seit dem schnellen Ende des Frankreichfeldzuges entschlossene großdeutsche Führer dieses Risiko dennoch einging und am 22. Juni 1941 den Befehl zum überfallartigen Angriff auf den bisherigen Bundesgenossen gab, geriet das zuvor zwar gewarnte, aber nur unvollkommen vorbereitete sowjetische Regime unter den vernichtenden Offensivschlägen der deutschen Wehrmacht im Sommer und Herbst 1941 an den Rand der militärischen Katastrophe. Den rettenden Umschwung führten herbei: Der von Stalin geschickt entfachte und ausgenutzte, durch Hitlers brutale Besatzungspolitik geförderte nationale bzw. sowjetpatriotische Widerstandswille der Bevölkerung gegen die deutschen Eindringlinge, der sehr frühe Beginn und die außerordentliche Strenge des ersten Kriegswinters, der Fehler einer deutschen Winteroffensive gegen Moskau, die am 6. Dezember 1941 den ersten großen sowjetischen Gegenangriff auslöste, sowie nicht zuletzt die allmählich einsetzenden und rasch zunehmenden Materiallieferungen der USA, die aufgrund des amerikanischen Leih-Pacht-Programms zur Unterstützung der Kriegsgegner Deutschlands erfolgten. Der militärische Umschwung zugunsten der Sowjetunion schien zwar durch die deutsche Sommeroffensive von 1942 noch einmal in Frage gestellt zu sein, war jedoch seit Anfang 1943 mit dem für die Deutschen vernichtenden Ausgang der Schlacht von Stalingrad endgültig gesichert. Fortan galt Stalins erfolgreiches Bemühen nicht nur der — im Verein mit den Westmächten tatsächlich vollzogenen — Niederringung Deutschlands, die mit dessen bedingungsloser Kapitulation am 8. Mai 1945 endete, sondern zugleich auch der Sicherung und Vergrößerung des sowjetischen Imperiums, wobei der durch den Pakt mit Hitler ermöglichte und bis 1941 erreichte Besitzstand und Einflußbereich die selbstverständliche Basis für weitere Ausdehnungsbestrebungen abgab.

Welche Haltung aber nahm — so ist abschließend zu fragen — die Sowjetregierung während des Krieges gegenüber der nationalen und staatlichen Zukunft Deutschlands ein? Die Antwort läßt sich aus drei offiziellen Verlautbarungen Stalins zwischen 1942 und 1945 recht gut ablesen In seiner Rede zum 25. Jahrestag der Oktoberrevolution erklärte er am 6. November 1942 dem deutschen Volk, daß die UdSSR nur das nationalsozialistische Regime bekämpfe. Genau ein Jahr später, am 6. November 1943, befürwortete er die Errichtung einer neuen Ordnung in Europa, die den Völkern Sicherheit vor einer deutschen Aggression bieten sollte, ohne dabei irgendeinen Unterschied zwischen dem deutschen Volk und dem nationalsozialistischen Regime zu machen. Schließlich umriß er einmal mehr die nunmehr verbindliche Richtung der Deutschlandpolitik, als er in seiner Rundfunkrede vom 8. Mai 1945 anläßlich der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht von den „Hitlers", die da kommen und gehen, sprach, während er andererseits dem deutschen Volk ausdrücklich zusicherte, daß es weiter bestehen werde.

Auf dem Hintergrund bzw. im Zusammenhang mit der allgemeinen politischen und militärischen Entwicklung ergibt sich daraus folgendes Bild: Ende 1942 ging die Sowjetregierung offenkundig davon aus, die Integrität eines antifaschistischen Deutschland als einer nationalstaatlichen Einheit zu wahren. In diesem Sinne war man während des Frühjahrs und Sommers 1943 unter den deutschen Kriegs-gefangenen agitatorisch und propagandistisch tätig. Als dann die USA und Großbritannien, nicht zuletzt unter dem sie nie ganz verlassenden Alpdruck einer möglichen deutsch-sowjetischen Separatverständigung, der UdSSR auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom Oktober 1943 weit entgegenkamen, schwenkte die sowjetische Seite kurzfristig auf eine scharf antideutsche Linie der interalliierten Solidarität ein, die neben einer Eliminierung des deutschen Potentials auch die staatliche Zerstückelung des Landes in sich schloß. Der erneute Kurswechsel der sowjetischen Politik vom Frühjahr 1945 im Sinne einer Rückwendung zu ihrer ursprünglichen Haltung vom Herbst 1942 hatte seine Ursache einmal in der spürbaren Verschlechterung der Beziehungen der Sowjetunion zu den angelsächsischen Mächten nach der Konferenz von Jalta; vor allem aber in dem — in diesem Ausmaß bislang wohl auch nicht von Stalin erwarteten — weiten Vordringen sowjetischer Truppen auf deutsches Territorium. In eindeutiger Abkehr von dem Plan einer Zerstückelung Deutsch-lands faßte die sowjetische Führung nunmehr u. a.den Beschluß, den Aufbau eines gesamtdeutschen Parteiensystems in die Wege zu leiten; darüber hinaus ließ sie am 25. Juli 1945, das heißt vor Abschluß der Potsamer Konferenz, insgeheim sogenannte „deutsche Zentralverwaltungen" ins Leben rufen, „die zwar nur innerhalb der Sowjetzone tätig werden konnten, aber doch zugleich als administrative Gerippe für eine künftige gesamtdeutsche Zentralbehörde gedacht waren"

Die seitherige sowjetische Deutschlandpolitik hat zumindest vier deutlich voneinander abhebbare Phasen durchlaufen (1945— 1948/49, 1948/49— 1953, 1953/54— 1958, 1959 bis heute). Dabei ist aus dem ursprünglich entschiedenen Befürworter der nationalstaatlichen Einheit Deutschlands (selbstverständlich eines kommunistischen bzw. auf alle Fälle eines neutralistischen, das heißt sowjetkommunistischem Einfluß unterworfenen Deutschland, aber immerhin eines einheitlichen Deutschland) der Verfechter und Protektor der Zweistaatentheo-rie und -praxis, das heißt der Zementierung der Spaltung Deutschlands auf der Basis des gegenwärtigen machtmäßigen Status quo in der Weltpolitik geworden. Das wiederum mag ein zumindest zeitweises Zurückstecken der sowjetischen Nachkriegsziele und -ambitio-nen in bezug auf Deutschland bedeuten. Denn es geht Moskau augenblicklich und wahrscheinlich auch in absehbarer Zukunft wohl nicht mehr um die Schaffung eines kommunistischen Gesamtdeutschlands als Basis und Sprungbrett für eine Sowjetisierung Gesamt-europas, sondern um die Bewahrung und Sicherung dessen, was von diesem Deutschland seit 1945 zum sowjetischen Herrschafts-und Einflußbereich gehört. Selbst wenn man darin mehr als einen nur temporären Bruch mit bisherigen Leitsätzen sowjetischer Expansionspolitik sehen sollte, bleibt deren innere Kontinuität insgesamt durchaus erhalten. Das soll heißen: Deutschland kam und kommt als Subjekt und als Objekt der Weltpolitik im Denken und Handeln der führenden Gestalten und Gestalter der Geschicke Sowjetrußlands durchgängig zentrale Bedeutung zu. Deutschland war und ist daher einer der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis der Außenpolitik der europäischen Vormacht des Kommunismus überhaupt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Damit soll zugleich ein wenig beigetragen werden zum Verständnis der historischen Grundlagen und Voraussetzungen der sowjetischen Deutschlandpolitik seit 1945, die in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand von Untersuchungen auch in Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, gewesen ist (s. vor allem B 29/65 vom 21. 7. 1965, B 42/67 vom 18. 10.

  2. Näheres hierzu — mit ausführlicher Dokumentation — bei W. Grottian, Lenins Anleitung zum Handeln, Köln/Opladen 1962, S. 217 ff; wichtig außerdem: A. Ascher, Russian Marxism and the German Revolution, 1917— 1920, in: Archiv für Sozialgeschichte 6/7 (1966/67), S. 391 ff.

  3. Das gesamte einschlägige Quellenmaterial und Schrifttum bis auf die erst kürzlich erschienene Dokumentation: Brest-Litowsk, ausgewählt und eingeleitet von W. Baumgart und K. Repgen, Göttingen 1969 — enthält der ausgezeichnete Artikel von F. Epstein, Friede von Brest-Litowsk, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Bd. II, Freiburg—Basel—Wien 1968, Sp. 740 ff.

  4. W. I. Lenin, Werke, dt. übers, der 4. russ. Ausg., Bd. 28 (Ost-Berlin 1959), S. 90 ff. Bereits am 1. Nov. 1918 kommentierte die „Prawda" die Vorgänge in Deutschland mit der triumphierenden Schlagzeile: „Die Weltrevolution hat begonnen" (s. E. H. Carr, Berlin—Moskau. Deutschland und Rußland zwischen den beiden Weltkriegen, Stuttgart 1954, S. 10).

  5. Aus ideologischen Gründen weigerte sich Joffe auch, dem deutschen Kaiser persönlich sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Vgl. außerdem W. v. Blücher, Deutschlands Weg nach Rapallo, Wiesbaden 1951, S. 34 f.

  6. G. F. Kennan, Sowjetische Außenpolitik unter Lenin und Stalin, Stuttgart 1961, S. 213.

  7. O. E. Schüddekopf, Karl Radek in Berlin, ein Kapitel deutsch-russischer Beziehungen im Jahre 1919, in: Archiv für Sozialgeschichte 2 (1962), S. 87. Nach R. Löwenthal, Rußland und die Bolschewisie-rung der deutschen Kommunisten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 10/64 vom 4. März 1964, wurde die erste, entscheidende Phase des Gleichschaltungsprozesses der KPD durch Moskau zwischen dem Sommer 1920 und dem Frühjahr 1921 vollendet.

  8. G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, Frankfurt/M. 19632, S. 110.

  9. Es war G. Sinowjew, als Parteisekretär von Petrograd und Vorsitzender der gerade in Moskau gegründeten Komintern eine der damaligen bolschewistischen Führungsgestalten, der dies in der ersten Nummer der Kominternzeitschrift , Die Kommunistische Internationale'im April 1919 prophezeite (s. Der Sowjetkommunismus. Dokumente, hrsg. v. H. -J. Lieber und K. -H. Ruffmann, Bd. 1, Köln—Berlin 1963, S. 280). — Zur bolschewistischen Einwirkung auf die revolutionären Vorgänge in Bayern s. H. Neubauer, München und Moskau 1918/1919, München 1958.

  10. H. Heiber, Die Republik von Weimar, Lausanne 1969, S. 26.

  11. G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 157, der sich seinerseits auf E. Wollen-berg, The Red Army, London 19402, S. 235 ff., stützt. Vgl. auch G. Stökl, Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 19652, S. 700.

  12. G. Egelhaafs Politisch-historische Jahresübersicht 1920, S. 66, zitiert nach G. v. Rauch, a. a. O., S. 155.

  13. K. Radek, Die auswärtige Politik Sowjet-Rußlands, Hamburg 1921, S. 9 ff.; vgl. Der Sowjet-kommunismus. Dokumente, hrsg. von H. -J. Lieber und K. -H. Ruffmann, in der Folge zitiert: Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, Köln—Berlin 1964, S. 560 f.

  14. Zitiert nach G. Hilger, Wir und der Kreml. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1918— 1941, Frankfurt/M. — Berlin 1955, S. 73.

  15. Der Vertragstext ist leicht zugänglich in: Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg. Verträge zur Zeitgeschichte, hrsg. von E. Klöß (dtv-dokumente, 334), München 1965, S. 130 f. An weiteren einschlägigen Dokumentationen s. W. Grottian, a. a. O., S. 259 ff.; Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 569 ff. — Aus der sehr umfangreichen Literatur zu Rapallo einschl.seiner Vorgeschichte und seiner Wirkungen sind unter dem hier vor allem interessierenden Gesichtspunkt der sowjetischen Haltung und Politik vor allem zu nennen: Th. Schieder, Die Probleme des Rapallo-Vertrages. Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922— 1926, Köln—Opladen 1956; G. Freund, Unholy Alliance. Russian-German Relations from the treaty of Brest-Litowsk to the treaty of Berlin, London 1957; G. Rosenfeld, Das Zustandekommen des Rapallo-Vertrages, in: Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft, Jg. 1956, Heft 4; ders., Sowjetrußland und Deutschland 1917— 1922, (Ost) Berlin 1960; K. Rosenbaum, Community of Fate. German-Soviet Diplomatie Relations 1922 to 1928, New York 1965.

  16. W. I. Lenin, Werke, dt. übers, der 4. russ. Ausg., Bd. 33 (Ost-Berlin 1963), S. 250.

  17. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 570.

  18. Dazu und zur tatsächlichen militärischen Zusammenarbeit: G. G. Hallgarten, General Hans von Seeckt and Russia 1920— 1922, in: Journal of Modern History 21 (1949); L. Kochan, Rußland und die Weimarer Republik, Düsseldorf 1955; H. Speidel, Reichswehr und Rote Armee, in: Vierteljahrshefte f. Zeitgeschichte 1 (1953); G. Castellan, Le Rarmement clandestin du Reich 1930— 35, Paris 1954; F. L. Carsten, Reichswehr und Politik 1918— 1933, Köln 1964; J. Erickson, The Soviet High Command. A military-political History 1918— 1941, New York 1962.

  19. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 572.

  20. G. Stökl, Russische Geschichte, S. 702. Vgl. aus kommunistischer Sicht auch W. Ruge, Die Stellungnahme der Sowjetunion gegen die Besetzung des Ruhrgebietes. Zur Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen von Januar bis September 1923, Ost-Berlin 1962.

  21. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 579. Vgl. außerdem J. Korbel, Poland between East and West. Soviet and German Diplomacy towards Po-land, 1919— 1933, Princeton 1963.

  22. Dazu: G. Hilger, Wir und der Kreml, bes. S. 163 ff. und S. 225 ff.

  23. In diesem Jahr erhielt Sowjetrußland — wie 1914 das Zarenreich! — 47% seiner gesamten Ein-fuhren aus Deutschland, gegenüber 25 % im Jahre 1928. Allerdings war das Gesamtvolumen des russischen Außenhandels noch recht gering, so daß die deutschen Ausfuhren nach Rußland, obwohl sie von 3, 3% im Jahre 1928 auf 10, 9% im Jahre 1932 anwuchsen, niedriger waren, als z. B. die gleichzeitigen Exporte nach Holland und jedenfalls nicht dem entsprachen, was sich die deutsche Industrie vom Rußlandgeschäft erhoffte.

  24. Zum Folgenden s. vor allem H. H. Niclauß, Die Sowjetunion und Hitlers Machtergreifung. Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen der Jahre 1932 bis 1935, Bonn 1966; W. Laqueur, Deutschland und Rußland, Berlin 1965, bes. S. 167 ff.; G. v. Rauch, Stalin und die Machtergreifung Hitlers, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 10/64 vom 4. März 1964.

  25. Wir und der Kreml, S. 120. In dem hier zitierten Zusammenhang außerdem wichtig: P. Lange, Sozialdemokratie und Faschismus in der Sicht des Stalinismus, Phil. Diss. Masch. Sehr. Kiel 1967; H. Brahm, Die bolschewistische Deutung des deutschen . Faschismus'in den Jahren 1923 bis 1928, in: Jahr-bücher für Geschichte Osteuropas, N. F. 12 (1964), S. 350 ff.

  26. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 582.

  27. W. Laqueur, Deutschland und Rußland, S. 198. Zur eben zitierten Äußerung Radeks s. ebenda, S. 197.

  28. S. W. Laqueur, a. a. O„ S. 317; vgl. Der Sowjet-kommunismus, Bd. 2, S. 546 f.

  29. Es war der stellvertretende sowjetische Außenminister Potjomkin, der sich so gegenüber dem französischen Botschafter in Berlin, Coulondre, äußerte (R. Coulondre, Von Moskau nach Berlin 1936— 1939, Bonn 1950, S. 240; vgl. G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 272).

  30. Eine Liste des einschlägigen Quellenmaterials und Schrifttums enthält der auch inhaltlich sehr informative Artikel von G. L. Weinberg, Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Bd. I, Freiburg — Basel —• Wien 1966, Sp. 1177 ff. Unsere Darlegungen zu Vorgeschichte, Abschluß, Bedeutung und Folgen des Vertrages (das Geheime Zusatzprotokoll ist abgedruckt und leicht zugänglich in: Der Sowjet-kommunismus, Bd. 2, S. 589) stützen sich vor allem auf (Aufzählung der Arbeiten in alphabetischer Reihenfolge): Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1939— 1941, Dokumente des Auswärtigen Amtes, hrsg. von A. Seidl, Tübingen 1949; M. Braubach, Hitlers Weg zur Verständigung mit Rußland im Jahre 1939, Bonn 1960; Ph. W. Fabry, Der Hitler-Stalin-Pakt 1939— 1941. Ein Beitrag zur Methode sowjetischer Außenpolitik, Darmstadt 1962; G. Hilger, Wir und der Kreml, S. 274 ff; W. Laqueur, Deutschland und Rußland, Berlin 1965, S. 315 ff; B. Meissner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, Köln 1956; G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 273 ff; ders., Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom August 1939 und die sowjetische Geschichtsforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 1966, Heft 8; H. v.

  31. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 587.

  32. Ebenda, S. 588; zum nachfolgend zitierten „Prawda" -Artikel vom 29. 6. 1939, s. ebenda, S. 547.

  33. Zitiert nach G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 280.

  34. W. Laqueur, Deutschland und Rußland, S. 241.

  35. „Die Freundschaft der Völker Deutschlands und der Sowjetunion, die mit Blut zementiert ist, hat alle Aussicht, eine feste und dauerhafte Freundschaft zu werden". Mit diesen Worten bedankte sich Stalin bei Hitler für dessen Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstag im Dezember 1939 (s. G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 293). Zu Molotows fast gleichlautender Aussage s. W. Laqueur, a. a. O., S. 323.

  36. Der Sowjetkommunismus, Bd. 2, S. 591.

  37. Lediglich Finnland widersetzte sich im soge-nannten Winterkrieg vom 30. Nov. 1939 bis zum 12. März 1940 (Frieden von Moskau) mit Waffengewalt Stalins brutaler Erpressungspolitik. Es unterlag zwar in dem ungleichen Kampf und erlitt Gebietsverluste in Karelien und am Ladogasee, behauptete jedoch seine Unabhängigkeit.

  38. G. Hilger, Wir und der Kreml, S. 304.

  39. Deutschland und die Sowjetunion 1939— 1941, hrsg. von E. M. Carroll u. F. Th. Epstein, Washington 1948, Nr. 256; vgl. G. v. Rauch, Geschichte des bolschewistischen Rußland, S. 307.

  40. Texte enthalten in: über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Berlin (Ost) 1945 u. ö.

  41. G. Wettig, Die Parole der nationalen Einheit in der sowjetischen Deutschlandpolitik 1942— 1967, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 33/1967, S. 3.

Weitere Inhalte

Karl-Heinz Ruffmann, Dr. phil., o. Prof, für osteuropäische Geschichte u. z. Z, Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg; Mitglied des Direktoriums des Ostkollegs der Bundeszentrale für politische Bildung. Veröffentlichungen u. a.: Das Rußlandbild im England Shakespeares, Göttingen 1952; Ruß-land (Sowjetunion) seit 1905, in: Weltgeschichte der Gegenwart, Bd. I, Bern — München 1962; Der Sowjetkommunismus, 2 Bd. (hrsg. zus. m. H. J. Lieber), Köln 1963/65; Kommunismus in Geschichte und Gegenwart. Ausgewähltes Bücherverzeichnis, in: Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung, 2. wesentl. erw. Auflage, Bonn 1966; Der soziale Strukturwandel in Rußland bis zur Oktoberrevolution, in: Sowjetgesellschaft im Wandel, hrsg. v. Boris Meissner, Stuttgart 1966; Sowjetrußland. Struktur und Entfaltung der kommunistischen Vormacht, in: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 19692.