In Diskussionen über zeitkritische Fernsehsendungen wie PANORAMA, MONITOR oder REPORT wird immer wieder gefragt: Sind Rundfunk und Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich frei? Können die Journalisten in den Anstalten des öffentlichen Rechts sagen, was sie meinen und denken? Wer gefährdet und bedroht die Unabhängigkeit von Rundfunk und Fernsehen — die Parteien, die Verbände, die Rundfunk-und Verwaltungsräte, die Intendanten oder die Journalisten selbst? Die folgenden Ausführungen erörtern strukturelle Schwächen der westdeutschen Rundfunk-und Fernsehanstalten, untersuchen Vor-und Nachteile der pluralistischen und parlamentarischen Rundfunkräte und wollen Möglichkeiten aufzeigen, wie die Unabhängigkeit der Anstalten des öffentlichen Rechts verbessert werden kann.
Nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik und während des nationalsozialistischen Regimes lag nach 1945 der Gedanke nahe, die Neutralität und Uberparteilichkeit des Rundfunks institutionell durch Kontrollgremien abzusichern, in denen das Volk auf breiter Basis repräsentiert wurde. Dieses Ziel strebten zunächst alle Rundfunkgesetze an, die unter alliiertem Einfluß entstanden. Daran änderte sich auch nichts, als später die Rundfunkgesetzgebung in deutschen Händen lag. In fast wörtlicher Übereinstimmung heißt es in allen Rundfunkgesetzen, der Rundfunkrat vertrete die Interessen der Allgemeinheit, der Öffentlichkeit bzw.der Rundfunkhörer. Diesem Anspruch glaubten die westlichen Alliierten am besten durch einen Rundfunkrat gerecht werden zu können, dem die Vertreter zahlreicher gesellschaftlicher Gruppen angehörten. Ihr Mißtrauen gegenüber der Staatsgewalt kam darin zum Ausdruck, daß sie den Regierungen und Parlamenten nur wenige Sitze im Rundfunkrat zubilligten. Wenngleich die Landtage später häufig ihren Einfluß verstärkten, so blieb doch die Grundkonzeption der Besatzungsmächte beim Bayerischen Rundfunk, dem Hessischen Rundfunk, dem Süddeutschen Rundfunk, Radio Bremen und dem Südwest-funk erhalten. Die Rundfunkräte dieser Anstalten bestehen zum großen Teil aus Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen, daher die Bezeichnung pluralistischer Rundfunkrat. Die Rundfunkgesetze der erwähnten Anstalten führen die gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen auf, die berechtigt sind, ein Mitglied oder mehrere in den Rundfunkrat zu entsenden.
Die „gesellschaftlich relevanten Kräfte"
Den Regierungen und Parlamenten der Länder fiel die Aufgabe zu, jene gesellschaftlichen Gruppen ausfindig zu machen, die als Repräsentanten der Allgemeinheit fungieren können. Diese Verpflichtung, ursprünglich von den Besatzungsmächten auferlegt, dann auch freiwillig von einigen Landesgesetzgebern übernommen, besteht auch heute noch nach dem Fernseh-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961, in dem es heißt, die Organisationsform des Rundfunks müsse eine hinreichende Gewähr dafür bieten, „. .. daß in ihr in ähnlicher Weise wie in der öffentlich-rechtlichen Anstalt alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen"
In der Vergangenheit haben die Landtage diese Frage recht unterschiedlich beantwortet. Um zwei extreme Lösungen zu nennen: Im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks sind neben der Regierung, dem Landtag und dem Senat 24, im entsprechenden Gremium des Hessischen Rundfunks jedoch neben der Landesregierung und dem Landtag nur zehn Verbände und Institutionen vertreten. Ein wichtiges Auswahlkriterium war die Mitgliederzahl, ein anderes die öffentliche oder kulturelle Bedeutung der Verbände und Institutionen.
Orientierte man sich allein an der zahlenmäßigen Stärke, kämen außer den Gewerkschaften Kirchen kaum Vereini und den noch andere -gungen zum Zuge. Die Beschränkung auf das quantitative Merkmal führt zu einer Unterdrückung der Minderheiten und ist daher abzulehnen. Auch der Vorschlag Herbert Krügers, die „öffentliche Bedeutung" der Verbände als Auswahlkriterium zu verwenden
Diese Skepsis ist berechtigt. Die erheblich voneinander abweichende Zusammensetzung der Rundfunkräte des pluralistischen Typs unterstreicht den Mangel an exakt definierbaren Auswahlkriterien. In manchen Rundfunkräten sind Verbände und Institutionen vertreten, deren Bedeutung für die Allgemeinheit in der Tat recht zweifelhaft ist. Wer sich, um ein Beispiel zu nennen, nur dann an den Debatten im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks beteiligt, wenn es um die Verteilung der Kulturhilfe geht, muß sich auch die Frage gefallen lassen, ob sein Verhalten noch etwas mit der in Anspruch genommenen Vertretung der Interessen der Allgemeinheit zu tun hat.
Der Vorwurf, die Auswahl der entsendungsberechtigten Verbände und Institutionen sei willkürlich vorgenommen worden
Mangelnde demokratische Legitimierung
Die Vertreter der gesellschaftlich relevanten Gruppen verdanken ihre Stellung im Rund-runkrat einer relativ zufälligen Entscheidung der Landtage. Ihnen fehlt außerdem häufig die demokratische Legitimierung, für einen Verband oder eine Institution zu sprechen, da ihre Entsendung längst nicht immer auf einer Wahl-entscheidung der Mitgliedschaft beruht
Die demokratische Legitimierung wird noch zweifelhafter bei den Gremienmitgliedern, die als Vertreter mehrerer Institutionen und Verbände agieren. Beim Bayerischen Rundfunk wählt zwar beispielsweise ein aus 15 Personen bestehendes Wahlmännergremium die Rundfunkratsvertreter für die Organisationen der Erwachsenenbildung, doch befindet das Kultusministerium darüber, welche Organisationen mit wieviel Stimmen im Wahlmännergremium vertreten sind
Parteipolitische Gesichtspunkte
Während die bisher erwähnten Rundfunkanstalten den in den Rundfunkgesetzen genannten Gruppen und Institutionen von vornherein Sitze im Rundfunkrat einräumen, hängt deren Vertretung im Rundfunkrat des Norddeutschen und Westdeutschen Rundfunks von der Entscheidung der Parlamente ab. Diesen parlamentarischen Rundfunkräten und denen von ihnen gewählten Verwaltungsräten, die im übrigen hinsichtlich ihrer Kompetenzen eher mit den pluralistischen Rundfunkräten vergleichbar sind, wird — vor allem von kirchlicher Seite — vorgeworfen, sie politisierten den Rundfunk. Nachweislich wählen die Parlamentsfraktionen die Mitglieder der Aufsichtsgremien nach parteipolitischen Gesichtspunkten. Die Befürchtung, die parlamentarischen Rundfunkräte würden zu Spiegelbildern der politischen Kräfteverhältnisse der Parlamente, hat sich in der Tat als berechtigt erwiesen; sie trifft jedoch in ähnlicher Form auch für den pluralistischen Rundfunkrat zu — nur mit dem Unterschied, daß im einen Fall das parteipolitische Moment in der öffentlichen Wahl durch den Landtag klar zum Ausdruck kommt, während es im anderen Fall von den Verbänden und Institutionen stillschweigend einkalkuliert wird
Unter der Politisierung des Rundfunks wird ferner die Abhängigkeit der Kontrollinstanzen einer Anstalt von parteipolitischen Kräften verstanden. Richtig ist, daß die Landtagsvertreter in den parlamentarischen Rundfunkräten ihren Fraktionen gegenüber rechenschaftspflichtig sind — genauso wie die Landtagsvertreter der pluralistischen Rundfunkräte. Alle anderen vom Parlament gewählten Rundfunk-ratsmitglieder können natürlich auch Parteiinteressen vertreten
Von der parteipolitischen Zusammensetzung der Aufsichtsgremien werden vor allem ungünstige Auswirkungen auf die Personalpolitik erwartet. Der Parteienproporz in der Besetzung leitender Stellungen hat sich zum Beispiel beim Norddeutschen Rundfunk — einer Anstalt mit einem parlamentarischen Rundfunk-und Verwaltungsrat — kraß bemerkbar gemacht. Das ist jedoch keine Ausnahme. In allen Rundfunkanstalten spielt der Proporz an der Spitze eine wichtige Rolle. Bei keiner Anstalt sind die parteipolitischen Gewichte völlig anders verteilt als in dem Bundesland, das für die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen der Anstalt zuständig ist
Daraus folgt: Der Vorwurf, parlamentarische Rundfunkräte führten zu einer Politisierung des Rundfunks, gilt in allen Varianten auch für die pluralistischen Rundfunkräte. Parteipolitische Überlegungen sind in der Parteien-demokratie bei keinem Konstitutionsprinzip ausschaltbar
Handel um Posten
Nach dieser vergleichenden Darstellung der Vor-und Nachteile der unterschiedlich strukturierten Kontrollgremien wenden wir uns einigen Vorwürfen zu, die dem gegenwärtigen Rundfunksystem in der Bundesrepublik gemacht werden. Eine populäre These heißt: In den Funkhäusern regiert der Proporz; statt beruflicher Qualifikation entscheidet das Parteibuch bei der Auswahl der Bewerber
Allerdings ist die Vorstellung, die Parteien beherrschten personalpolitisch die Funkhäuser, aus mehreren Gründen korrekturbedürftig. Normalerweise wird zwar ein Kommentator oder Moderator, dessen Anstellung beispielsweise vor allem von den SPD-Mitgliedern des Aufsichtsgremiums befürwortet wurde, weil er der SPD angehört, in seinen Beiträgen eher die SPD-als die CDU-Politik positiv beurteilen. Das schließt aber Kritik an der eigenen Partei nicht aus. Wiederholt konnte beobachtet werden, so bei dem CSU-Mitglied Hans Heigert, dem REPORT-Moderator des Bayerischen Rundfunks, und dem PANORAMA-Chef Joachim Fest, der als CDU-Mitglied diese Position beim NDR erlangte, daß sich Journalisten, die ursprünglich als Vertraute einer bestimmten Partei galten, in politischen Fragen Ansichten vertraten, die mit der offiziellen Linie ihrer Partei ganz und gar nicht übereinstimmten. 1963 stellte die Zeitschrift „die feder" fest: „Die Mehrzahl der Intendanten, Programmdirektoren und Chefredakteure gehört der CDU an oder steht ihr zumindest so nahe, daß sie von den jeweiligen CDU-Mehrheiten in den Aufsichtsgremien für ihre Position benannt worden ist. Die demokratischen Publizisten haben aber offenbar nicht alle Erwartungen erfüllt, die von gewissen Kräften in der Bundesrepublik und im Parteiapparat der CDU an ihre Tätigkeit in den Rundfunkanstalten gesetzt worden sind. Sie sind nämlich unabhängig genug geblieben, um sich, nur ihrem publizistischen Gewissen verantwortlich, eine eigene Meinung bewahrt zu haben."
Da in allen großen politischen Parteien viele politische Positionen und Konzeptionen durchaus umstritten und linke und rechte Flügelbildungen an der Tagesordnung sind, ist es dem einzelnen Journalisten, selbst wenn er es wollte, gar nicht möglich, Sprachrohr der Partei zu sein. Trotz allem droht natürlich jenen, die ihre Anstellung bei einem Sender zunächst einer Partei verdanken und sich dann sehr weit von ihr distanzieren, die Gefahr der Nichtverlängerung ihres Vertrages. Insofern kann nur eine funktionierende kritische Öffentlichkeit dafür sorgen, daß die Parteien nur in extremen Fällen mit Erfolg personalpolitische Opfer verlangen.
Schwierigkeiten der Außenseiter
Eins läßt sich allerdings nicht leugnen: Außenseiter, die Meinungen vertreten, die von keiner und in keiner Partei geäußert werden, haben es bei allen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik — ganz gleich, ob es sich um den parlamentarischen oder den pluralistischen Rundfunkrat handelt — schwer, überhaupt in führende Stellungen zu gelangen oder, falls einmal der Durchbruch nach oben erzielt wurde, nicht leicht, sich dort zu behaupten. Diese Entwicklung bahnte sich sogleich nach Verabschiedung der Rundfunkgesetze an. Bereits 1950 schrieb Helmut Schoeck: „Kommentatoren, vor deren Kritik sich sämtliche Parteien zu fürchten haben, werden bei uns offenbar nicht ertragen."
In Einzelfällen — im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks Ernst Müller-Meiningen, im Fernsehrat des ZDF Waldemar Besson — haben sich Mitglieder der Aufsichtsgremien dafür eingesetzt, daß auch Beiträge ausgestrahlt werden, die den Parteien und Verbänden nicht genehm sind; aber diese Stimmen sind Ausnahmen von der Regel geblieben. Eigentlich sollte es ja umgekehrt sein; denn die Rundfunkgesetze betonen ausdrücklich, die Mitglieder der Rundfunkräte seien nicht Vertreter einer Partei, einer Konfession, eines Standes oder einer Organisation. Diese Bestimmung gibt zwar dem unabhängig Urteilenden eine gewisse Rückenstärkung, ist aber in der Praxis nicht mehr als eine letzte Zufluchtmöglichkeit in einem System, in dem sogar Parlamentarier entgegen den Postulaten der Verfassungen in steigendem Maße einem „imperativen Mandat" von Parteien und Verbändeinteressen unterworfen sind
Grundsätzlich tendiert der Pluralismus, die „... spezifische Ausdrucksform einer freiheitlichen Gesellschaftsverfassung in einer nicht mehr individualistisch-liberal, sondern kollektivistisch-sozial bestimmten Daseins-welt..."
Die Voraussetzung, daß nur Meinungen publiziert werden dürfen, die auch von den in den Aufsichtsgremien Repräsentierten geteilt werden, trifft — wie oben schon angedeutet — nicht immer zu. Wie engmaschig das Kontrollnetz ist, hängt in hohem Grade auch von den spezifisch persönlichen Ansichten, Attitüden und Erfahrungen der Kontrolleure ab. Da die in den Rundfunkgesetzen fixierten Grundsätze für die Sendungen der Anstalten vor allem die Beachtung der Verfassungen (des Bundes und der Länder) und Gesetze verlangen, liegt die Vermutung nahe, daß der Meinungsspielraum der Journalisten in außenpolitischen Fragen größer ist als in innenpolitischen. Darauf deutet auch die Feststellung des Mainzer Instituts für Publizistik hin, wonach in den drei ARD-Magazinsendungen MONITOR, REPORT und PANORAMA in der Zeit vom 1. Februar bis 24. April 1968 in fünf Beiträgen fünfzehnmal für und fünfmal gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze agrumentiert wurde
Suche nach Schutzmächten
Eine Auswirkung des gegenwärtig in der Bundesrepublik bestehenden Systems der pluralistischen und parlamentarischen Rundfunk-und Verwaltungsräte ist zweifellos die Gefahr, daß eventuell neue politische Strömungen, die dem gesamten System eine andere Richtung geben könnten, zugunsten des Tradierten und Etablierten zurückgedrängt werden. Eine andere Konsequenz ist die Neigung der in den Anstalten arbeitenden Journalisten, sich nach „Schutzmächten" in den Kontrollgremien umzusehen oder zumindest deren Vorstellungen und Wünsche bei der Formulierung der eigenen Ansichten weitgehend in Rechnung zu stellen
Kritik an der Zeitkritik
Bei zwei Sendeformen ist die Frage nach der Zulässigkeit kritischer Meinungsäußerungen im Rundfunk ausführlich diskutiert worden: bei den Kommentaren des Hörfunks und den zeitkritischen Magazinsendungen des Fernsehens. Walter Dirks hat schon 1950 darauf hingewiesen, daß die Uberparteilichkeit des Rund-funks nicht als „leere Neutralität" und Enthaltung jeglicher kritischer Stellungnahme verstanden werden dürfe
Ob subjektive und persönliche Ansichten im Rundfunk und Fernsehen nur durch festangestellte Redakteure oder freie Mitarbeiter vertreten werden dürfen, ist von sekundärer Bedeutung. Die Gefahr, daß die Meinung des fest-angestellten Redakteurs fälschlicherweise mit der Meinung der Anstalt identifiziert werden könnte, spricht dafür, nur freie Mitarbeiter als Kommentatoren zu verwenden. Andererseits bleibt fraglich, ein wie großer Prozentsatz des Publikums überhaupt zwischen festangestelltem Redakteur und freiem Mitarbeiter zu unterscheiden weiß; die Identifizierungsgefahr besteht also in beiden Fällen.
Den Plädoyers für Meinungskommentare im Rundfunk steht allerdings der Satz erfahrener Journalisten in der Bundesrepublik gegenüber: „Kritik zahlt sich nicht aus." Paul Gerhard berichtet: „Jüngst verhandelte einer unserer Sender mit einem Manne, der viel politischen Sachverstand besitzt, über ein nüchternes politisches Urteil verfügt, frappierende politische Einfälle hat und keiner politischen Partei angehört oder auch nur — wie man zu sagen pflegt — nahesteht. Der Sender bot dem Manne an, mit einiger Regelmäßigkeit kurze politische Kommentare und ausführliche politische Übersichten zu geben. Der erste Satz, den der also Umworbene bei den Verhandlungen zur Sache sprach, überraschte die Verhandlungspartner. Er lautete: , Ich kann dem Angebot nur unter einer Bedingung nähertreten: um keinen Preis innenpolitische Kommentare‘.“
Das Wissen um diese Kritikempfindlichkeit, dem Erbe einer langen obrigkeitsstaatlichen Tradition, die statt Diskussion Subordination verlangte, verstärkt — abgesehen von den oben erwähnten Faktoren — bei den Journalisten in unseren Rundfunkanstalten die Tendenz, sich mit kritischen Beiträgen zurückzuhalten.
Zeitkritischen Sendungen wird nicht nur vorgeworfen, sie seien zersetzend, sondern auch angekreidet, sie suchten „.. . mit Lupengläsern nach Absonderlichkeiten"
Gesetzliche Einschränkungen
Die Rundfunkgesetze und Staatsverträge unterbinden nun mit Recht bestimmte Meinungsäußerungen, zum Beispiel Sendungen, . die Vorurteile gegen einzelne oder Gruppen wegen ihrer Rasse, ihres Volkstums, ihrer Religion oder Weltanschauung verursachen . .
Gerade das „Lysistrata" -Beispiel läßt die aus finanziellen Gründen so viel kritisierte Struktur des ARD-Fernsehens in einem neuen Licht erscheinen. In extremen Fällen eröffnet diese Organisationsform die Chance, auf regionaler Basis Beiträge zu senden, deren überregionale Verbreitung zum Scheitern verurteilt ist. Es besteht indessen kein Zweifel, daß bei einer auf gemeinsames Handeln ausgerichteten Arbeitsgemeinschaft wie der der Rundfunkanstalten das Ausscheren einzelner Sender nicht zur Regel werden kann, weil das zur Auflösung der Gemeinschaft führen müßte.
Entscheidend: die Intendanten
Die Schwierigkeiten von Außenseitern und Minderheiten, ihre Meinungen zu verbreiten, die Tendenz mancher Journalisten, sich an den manifesten und latenten Wünschen der Aufsichtsgremien zu orientieren, und das mangelnde Verständnis bei den Regierenden und den Regierten für die Notwendigkeit der Kri-tik legen die Frage nahe, ob denn gegenwärtig in der Bundesrepublik überhaupt noch von einer Meinungsäußerungsfreiheit im Rundfunk gesprochen werden kann. Die Antwort: Wie es um die Freiheit steht, hängt heute in entscheidendem Maße von den Intendanten ab — von ihrer juristischen Position, der fachlichen Qualifikation und der politischen Konzeption.
Die Intendanten sind bei allen Anstalten . das einzige monokratische Anstaltsorgan"
Die Intendanten amtieren zwischen drei (Radio Bremen) und neun Jahren (Hessischer Rundfunk). Da der Intendant des Hessischen Rundfunks für die längste Zeitspanne mit einfacher Mehrheit gewählt wird und — im Gegensatz zu den Bestimmungen fast aller anderen Anstalten — die leitenden Angestellten ohne Zustimmung der Aufsichtsgremien frei auswählen kann, hat er die unabhängigste Position. Gerade weil die Versuchung für die Intendanten groß ist, beim Näherrücken des Wahltermins in verstärktem Maße auf die Wünsche der Kontrollgremien einzugehen, sollte ihre Amtszeit nach einer ersten kurzen Bewährung auf zehn bis fünfzehn Jahre ausgedehnt wer-den
Im Hinblick auf die Bedeutung der Intendanten für die Freiheit des Rundfunks ist es wichtig, qualifizierte Persönlichkeiten zu finden. Zwei Bedingungen sollten grundsätzlich erfüllt sein: 1. Der Intendant trägt die Verantwortung für das gesamte Programm. Sie kann nur von jemandem übernommen werden, der die journalistische Praxis kennt. 2. In der täglichen Arbeit nehmen Verhandlungen und Gespräche mit Personen aus dem öffentlichen Leben einen großen Raum ein. Erfahrungen auf diesem Gebiet müssen deshalb von einem Intendanten verlangt werden.
Die folgende Übersicht zeigt, in welchem Umfang die genannten Voraussetzungen bei den bisherigen Rundfunkintendanten in der Bundesrepublik erfüllt waren:
Analyse der Tabelle Vergleicht man die Intendanten der ersten Stunde mit jenen von heute, fällt auf, daß der Prozentsatz der Intendanten, die zur Zeit der Bewerbung ausschließlich auf journalistische Erfahrungen verweisen konnte, von 50 auf 25 zurückgegangen ist. Wer lediglich die Praxis im Rundfunk oder in der Presse kennt — sei es als Programmdirektor, Kommentator, Redakteur oder Korrespondent —, hat es heute schwerer als vor zehn oder zwanzig Jahren, zum Leiter einer Rundfunkanstalt gewählt zu werden. Von den gegenwärtig amtierenden Intendanten haben fünf — also fast die Hälfte — noch nie hauptberuflich in einer Rundfunkanstalt gearbeitet. Statt dessen waren sie aber im Rundfunk-oder Verwaltungsrat oder in einem für Rundfunkfragen zuständigen Ministerium tätig. Die besten Chancen hat derjenige, der auf beiden Seiten der Front gestanden hat, der den Rundfunk als Journalist, Gre-mienmitglied und Politiker kennt. Der enorme Aufgabenzuwachs hatte zur Folge, daß die Intendanten die Programmverantwortung weitgehend delegieren müssen, um genügend Zeit für Verhandlungen und Gespräche über Probleme zu haben, die nicht unmittelbar mit dem Programm Zusammenhängen. Darum zählen heute bei der Wahl von Intendanten mit Recht politische Erfahrungen mehr als journalistische.
Erläuterungen: Als Stichtag galt immer der erste Tag des Jahres. Als Journalisten (= Kategorie I) wurden sämtliche Intendanten gezählt, die zur Zeit ihrer Wahl ausschließlich journalistisch im Rundfunk, Fernsehen, Film oder in der Presse tätig waren. Sofern sie noch andere Tätigkeiten ausübten, also Gremienmitglied waren oder politisch wirkten, fielen sie unter die Kategorien IV bis VII.
Zur Kategorie II gehören alle, die vor ihrer Wahl weder journalistische noch politische Erfahrungen sammelten, die Rundfunkanstalten also nur aus der Sicht des Kontrolleurs kannten. Zu den Politikern (= Kategorie III) wurden außer den auf allen Stufen gewählten Abgeordneten abweichend vom üblichen Schema auch die in den Kultusministerien mit Rundfunkfragen befaßten Beamten gerechnet.
Sachverstand und demokratische Kontrolle
Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß Sachkunde die Intendanten am besten davor schützt, zum Spielball der Interessen der Aufsichtsgremien zu werden. Umfassende Kenntnisse sind das wertvollste Instrument der Intendanten, um ihre Konzeption von der Freiheit der Rundfunkanstalten durchzusetzen. Wie die Protokolle belegen, können fachlich qualifizierte Intendanten bei umstrittenen Sendungen Angriffe der Kontrolleure auf die Redaktion besser abwehren und den Journalisten einen breiteren Meinungsspielraum sichern. Gleichzeitig beschwört jedoch der überlegene Sachverstand des Intendanten die Gefahr herauf, daß die Rundfunk-und Verwaltungsräte resignieren. Dieser Gegensatz zwischen dem hochspezialisierten Sachverstand und dem Prinzip demokratischer Mitbestimmung und Kontrolle erscheint ja überhaupt als eines den zentralen Strukturprobleme aller westlichen Parlaments-demokratien
Klaus von Bismarck meint, bei seinen Kollegen dominiere die zuletzt erwähnte Verhaltensweise
Zuschauerparlament „nicht empfehlenswert"
Um die Freiheit der Meinungsäußerungen im Rundfunk und Fernsehen langfristig, also unabhängig von der zufälligen, zumeist auch Schwankungen unterworfenen individuellen Haltung der Intendanten zu gewährleisten, sind institutionelle Vorkehrungen notwendig. Die Nachteile des pluralistischen und parla-mentarischen Rundfunkrats legen die Frage nahe, ob eine die Interessen der Hörer und Zuschauer besser repräsentierende Zusammensetzung der Aufsichtsgremien denkbar ist. Der Vorschlag, die Vertretung der Hörer und Zuschauer direkt zu wählen, also Rundfunkparlamente zu konstituieren, muß aus mehreren Gründen abgelehnt werden: 1. Angesichts der unterschiedlichen Interessen eines Millionenpublikums würde eine Wahl nach dem Verhältniswahlsystem zu einer Vielzahl von Gruppen im Rundfunkparlament führen, die wegen ihres speziellen Auftrags (Beispiel: „Mehr Chormusik") keine Kompromisse eingehen könnten. Die Arbeitsfähigkeit eines so strukturierten Rundfunkparlaments wäre also von vornherein fraglich. Auf das Verhältniswahlsystem könnte andererseits nicht verzichtet werden, da sonst kulturelle und politische Minderheiten unterdrückt würden. 2. Auch in einem nach dem Verhältniswahl-system zustande gekommenen Rundfunkparlament sind Mehrheitsentscheidungen notwendig. Wenn aber beispielsweise der Anteil der leichten Unterhaltung oder der Politik am Gesamtprogramm von Mehrheiten festgelegt wird, könnte der Rundfunk wahrscheinlich seinen kulturellen oder politischen Aufgaben nicht mehr gerecht werden. 3. Das Verhältniswahlsystem setzt große Organisationen voraus. Die Gefahr liegt auf der Hand, daß sie von Parteien als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzt werden. 4. Ein Blick auf die bisher von Hörer-und Zuschauerorganisationen entwickelten Aktivitäten beweist, daß sie nicht in der Lage sind, die Programmwünsche der Hörer und Zuschauer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen
Reform der Rundfunkräte
Da es in der Parteiendemokratie in politischen Institutionen — und dazu gehören auch die Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten — auf die Dauer keine parteifreien Räume geben kann, fügen sich die parlamentarischen Rundfunkräte noch am ehesten in das System der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik ein. Der Nachteil dieses Vertretungstyps, die Vernachlässigung neuer politischer Gruppierungen läßt sich zwar nicht beheben, wohl aber abschwächen, indem alle Parteien, die sich an den Landtagswahlen beteiligen und mindestens 0, 5 Prozent der Stimmen erringen, Anspruch auf einen Sitz im Rundfunkrat erhalten. Die Landtagswahlen dienen als Maßstab, weil mit Ausnahme der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks die Länder Vertragspartner sind oder die Gesetzgebungskompetenz besitzen. Die auf Länderebene organisierten Rundfunkanstalten verlangen daher Kontrollgremien, die ebenfalls von dieser Basis ausgehen. In den reformierten parlamentarischen Rundfunkräten würden also neben den von den Länderparlamenten gewählten Mitgliedern Repräsentanten politischer Minderheiten mitwirken. Die untere Begrenzung auf einen Stimmenanteil von 0, 5 Prozent ergibt sich analog aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Erstattung der Wahlkampfkosten vom 3. Dezember 1968.
Die Berücksichtigung politischer Minderheiten bliebe allerdings relativ wirkungslos, so lange die Kontrollgremien unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen. Bei Abstimmungen hätten die Minderheiten keine Aussichten, sich mit ihren Meinungen durchzusetzen. Sie würden nicht mehr als eine Statistenrolle spielen, da auch die von ihnen eventuell vorgetragene Kritik nicht nach außen dringen würde. Da aber Demokratie zuallererst auch Öffentlichkeit bis an die Grenze des Möglichen heißt
Besonders wichtig erscheint die Öffnung der Beratungszimmer im Hinblick aut die Besetzung der Schlüsselstellungen. Selbst wenn Gerhard Eckerts Bemerkung, der Weg, auf dem ein Intendant gewählt werde, sei bislang ein Weg über die Hintertreppe gewesen
Da es eines der obersten Ziele der Tätigkeit der Aufsichtsgremien bei den Rundfunkanstal-ten sein sollte, die Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit in den Funkhäusern zu sichern, ist es zu begrüßen, daß man in einigen Funkhäusern in letzter Zeit eingesehen hat, daß auch diejenigen, um die es letztlich geht, nämlich die Journalisten, in den Aufsichtsgremien vertreten sein müssen
Bislang erschienen die für umstrittene Rundfunk-und Fernsehsendungen verantwortlichen Redakteure vor den Rundfunkräten häufig nur im Büßergewand der Angeklagten. In Zukunft aber werden gewählte Vertreter von Redakteurversammlungen eher die Rolle von Anwälten für die journalistische Unabhängigkeit übernehmen können. Voraussetzung ist allerdings, daß die Redaktionsverfassungen den Redaktionsräten tatsächlich Einflußmöglichkeiten geben, zum Beispiel ein Vetorecht gegen die Berufung und Abberufung von Redakteuren, ein Mitspracherecht beim Absetzen von Sendungen und eine Mitwirkung in den Debatten über die Struktur der Anstalt.
Somit erscheint die Schlußfolgerung berechtigt: Allen Unkenrufen zum Trotz bestehen reelle Chancen, die Freiheit der Meinungsäußerung im Rundfunk und Fernsehen in der Bundesrepublik zu sichern, wenn politische Minderheiten in den Kontrollgremien vertreten sind, den Journalisten in den Redaktionsverfassungen ein ausreichendes Maß an Mitbestimmung gewährt wird und sich alle Beratungen und Diskussionen über die Probleme der einzelnen Rundfunk-und Fernsehanstalten im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit vollziehen.