Die Große Proletarische Kulturrevolution der Volksrepublik China hat in den Jahren 1965 bis 1969 eine Überfülle von Material hervor-gebracht, das zu sichten und auszuwerten noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Neben einer ansehnlichen Reihe von Zeitschriftenaufsätzen sind bereits einige ausführlichere deutschsprachige Studien erschienen, die sich mit Teilaspekten der Kulturrevolution befassen (Dieter Heinzig, Kuo Heng-yü, Klaus Mehnert, Joachim Schickel, Oskar Weggel), ebenso ein Bericht eines Augenzeugen (Giovanni Blumer). Die vorliegende Arbeit will einige Fakten und analytische Bemerkungen über ein bislang vernachlässigtes Phänomen der Kultur-revolution mitteilen — ihre Roten Garden. Räumte die westliche und östliche Presse den Aktionen der Roten Garden auch den größten Raum ein in der sensationshungrigen China-Berichterstattung, so trug sie doch kaum dazu bei, ihren Lesern dieses Phänomen jugendlicher Rebellion verständlich zu machen. Wir wollen versuchen, die Motive der revolutionären Führer als auch der rebellierenden Jugendlichen aufzuspüren, ihre Handlungen und Ideen zu schildern und das Bemühen der Führung, die Avantgardisten der Kulturrevolution wiederum zum Objekt der Erziehung und Umformung zu machen.
Zur Umschrift des Chinesischen wird das in der Volksrepublik China eingeführte Hanyu-pin-yin benutzt, das sich als beste und offizielle Umschrift in der Sinologie durchsetzt, so auch in dem neuesten, in den Yale Linguistic Series von John DeFrancis herausgegebenen Lehrbuch. Ausnahmen werden in dieser Arbeit für Peking (Beijing) und Kanton (Guangzhou) gemacht Eine Aussprachehilfe für das Hanyu-pinyin befindet sich im Anhang. Die in Klammem jeweils angefügten chinesischen Termini sollen dem Fachmann die Überprüfung der vom Verfasser gewählten Übersetzungen erleichtern. Durchweg wurden, soweit dem Verfasser bekannt die in den offiziellen Pekinger Übersetzungen gebrauchten deutschsprachigen Begriffe verwendet
An Quellen wurden vor allem herangezogen: das täglich in Peking erscheinende Parteiorgan Renmin Ribao (Volkszeitung), die vierzehntägig ebenfalls in Peking erscheinende Parteizeischrift Hongqi (Rote Fahne), der täglich in London erscheinende Nachrichtendienst der Volksrepublik China News irom Hsinhua News Agency (NHNA) sowie die beiden Wochen-zeitschriften Peking Rundschau und Peking Review-, der Ubersetzungsdienst des Hongkonger Union Research Institute Union Research Service (URS), die übersetznngsdienste des amerikanischen Generalkonsulates in Hongkong Survey oi China Mainland Press (SCMP), Selections irom China Mainland Magazines (SCMM) und Current Background (CB) sowie der Übersetzungsdienst des Londoner BBC Summary oi World Broadcasts Part Three: The Far East (SWB FE); schließlich die wö-chentlich von Pater LaDany SJ in Hongkong herausgegebenen China News Analysis (CNA), das wöchentliche Hongkonger Magazin für Politik und Wirtschaft Far Eastern Econo-mic Review (FEER), der vierzehntägige Dienst des britischen Informationsbüros in Hongkong Current Scene sowie der vierteljährlich vom Londoner Contemporary China Institute herausgegebene China Quarterly. Sämtliche zitierten Quellen sind einsehbar am Institut für Asienkunde Hamburg.
I. Motive
In der'Mitte der fünfziger Jahre, nach dem Ende des Koreakrieges und den ersten großen wirtschaftlichen und sozialen Reformen, war die Herrschaft der Kommunistischen Partei auf dem chinesischen Festland unumstritten. Gegen die konkurrierenden Machtzentren in Shanghai und der Mandschurei hatte Mao Zedong die kollektive Parteiherrschaft durchgesetzt und sie an der „Massenlinie" orientiert: „Die Massenlinie, d. h. , aus den Massen schöpfen und in die Massen tragen, bildet die grundlegende Linie für alle Tätigkeitsgebiete unserer Partei. Man muß unbedingt in die Mehrheit der Massen 'Vertrauen setzen, vor allem in die Mehrheit der Arbeiter und Bauern, die die Hauptmassen bilden. In der Arbeit muß man es verstehen, sich mit den Massen zu beraten, darf man sich niemals von den Massen lösen. . . . Das chinesische Volk hat in langandauerndem revolutionärem Kampf die Methode der vollen und freimütigen Meinungsäußerung entwickelt, die eine der wichtigsten Formen des revolutionären Kampfes ist, eines Kampfes, bei dem man sich auf die Volksmassen stützt, um die Widersprüche im Volk (die nichtantagonistischen Widersprüche, D. A.) und die Widersprüche zwischen uns und dem Feind (die antagonistischen Widersprüche, D. A.) zu lösen."
Mit dem Sieg der Revolution formierten sich auch ihre Nutznießer. Die Autorität des revolutionären Führers und seines Konzeptes prallte zusammen mit den fachlichen und persönlichen Interessen der in Partei und Staat sich etablierenden Bürokratie und dem starken Einfluß in Kultur und Erziehung des aus vor-revolutionären Zeiten her etablierten Bürgertums. Auf ihrem langen Marsch zur politischen Macht hatten die chinesischen Kommunisten recht unorthodoxe Methoden entwickelt zur Abwehr parteilicher Abweichungen und bürokratischer Selbständigkeit, nämlich Kritik und Selbstkritik im Kreislauf von Einheit-Kritik-Einheit, die „Umformung der Weltanschauung" (sixiang-gaizao) als den ganzen Men-sehen erfassende ideologische und sozialethische Erneuerung, die „Beauftragung von Funktionären mit niederen Funktionen" (xiafang), beispielsweise als periodische Verschickung von städtischen Kadern aufs Land, schließlich die Kritik höherer Ränge durch niedere bzw. die Kritik der Mehrheit durch die Minderheit
In der Berichtigungsbewegung der „Hundert Blumen" von 1957 („Hundert Blumen sollen blühen, hundert Schulen streiten") lud die Führung der Partei erstmals außerparteiliche Gruppen zur Kritik an der Partei ein und bekannte damit das wachsende Vermögen der Parteibürokratie, sich gegen interne Korrektur abzuschirmen. Doch die Partei umging in den Wochen der Hundert Blumen die Berichtigung der kritisierten Anschauungen und Praktiken, da ihre außerparteilichen Kritiker das tolerierbare Maß überschritten. Die überschäumende Kritik, die die proletarische Herrschaft in Frage stellte, demonstrierte die Notwendigkeit neuer revolutionärer Aktion und weltanschaulicher Umformung. Die „Drei Roten Banner" des Jahres 1958 (Generallinie des sozialistischen Aufbaus, Großer Sprung nach vorn und Volkskommunenbewegung) waren geeignet, durch neue Formen der Massenorganisation auf einer qualitativ höheren gesellschaftlichen Ebene die virulenten Widersprüche aufzulösen und die politische Aktion zugleich nutzbar zu machen für den beschleunigten sozialistischen Aufbau. Die Utopie realisierte sich damals nicht im erhofften Maße. In den Jahren der pragmatischen Anpassung 1959 bis 1961 verschärfte sich die Kritik an Politik und Herrschaft der Partei und drang in wesentlichen Fragen bis in die Parteispitze vor. Die Bürokratie machte sich selbständig. Die traditionellen Berichtigungsmethoden degenerierten zur formalistischen Rezitation.
Auf dem 10. Plenum des 8. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei im September 1962 setzte Mao Zedong seine Forderung nach Erneuerung des ideologischen Kampfes gegen Rationalisierung, Pragmatisierung, Entspannung und bürokratische Selbstherrlichkeit durch. Spätere Zeitungsartikel wiesen auf die drei wichtigsten Probleme hin, die Mao Zedong herausstellte. Zunächst prangerte er die Tendenz an, auf dem Lande die Individualwirtschaft wiedereinzurichten, und zeigte sich entschlossen, die kollektive, sozialistische Kontrolle zu sichern. Zum zweiten äußerte der Parteivorsitzende seine Sorgen über die chinesische Jugend: Die Erziehung der Jugend im Klassenkampf müsse verstärkt werden, um sicherzustellen, „daß unser Land in den nächsten Generationen und für immer revolutionär und unbestechlich bleibt". Schließlich warnte Mao Zedong vor der Gefahr intellektueller Abweichung: Eine ganze Reihe von Personen nutzten das Schreiben von Romanen aus, um antiparteiliche Tätigkeiten durchzuführen, und bereiteten die Öffentlichkeit auf die Wiedereinführung des Kapitalismus vor
Mao Zedong konzentrierte sich zunächst auf die ländlichen Probleme. Der „Vorläufige Beschluß des Zentralkomitees der KPCh über einige Probleme bei der gegenwärtigen Arbeit auf dem Lande" sollte eine ländliche sozialistische Erziehungsbewegung großen Stils in Gang setzen, die an die revolutionäre Initiative der Funktionäre an der Basis gegenüber den mittleren und höheren Parteichargen appellierte — da das „Führungspersonal unfähig" sei — und die die revolutionären Funktionäre auswählen sollte aus dem Reservoir der armen Bauern und unteren Mittelbauern (pin-xiazhong-nong), da deren „Klassenzuge-hörigkeit und wirtschaftlicher Status sie nicht so hartnäckig am System kleinmaßstäblichen Privateigentums an Produktionsmitteln festhalten und sie den Sozialismus bereitwilliger akzeptieren" ließe
Der Widerstand gegen die von Mao Zedong geforderte ideologische Reinigung und gegen seinen Appell an die revolutionäre Spontaneität der Massen artikulierte sich nur verhüllt. Die Mehrheit der Funktionäre der mittleren und höheren Ebenen übte sich in der Kunst, „rote Fahnen" zu schwenken, um der Roten Fahne Widerstand zu leisten (dazhe „hong qi" fan hongqi). So gelang es Mao Zedong erst im Januar 1965, auf einer Arbeitssitzung des Politbüros eine Berichtigung der sozialistischen Erziehungsbewegung durchzusetzen. Alleiniges Ziel der Erziehungsbewegung, so hieß es jetzt, seien die antagonistischen Klassenwidersprüche, sei die Berichtigung „jener Machthaber in der Partei, die den kapitalistischen Weg gehen" (dangnei naxie zou-zibenzhuyi-dao-lude dangquanpai). Dabei handele es sich nicht nur um Funktionäre aus Kommunen, Bezirken, Xian oder Sonderbezirken, sondern sogar Genossen der Provinzparteiausschüsse und des Zentralkomitees widersetzten sich dem Sozialismus
Das zweite Problem, das Mao Zedong auf dem September-Plenum 1962 herausgestellt hatte, betraf die revolutionäre Erziehung der Jugend. Um zu verhindern, daß China seine Farbe änderte, um die Zukunft der Revolution zu sichern, genügte es nicht, nur eine richtige Linie und eine richtige Politik zu haben, sondern Millionen von „Nachfolgern der revolutionären Sache des Proletariats" (wei wuchanjiejigeming shiyede jiebanren) müßten erzogen und geschult werden. Den Neunten Kommentar zum Offenen Brief der KPdSU, in dem Mao Zedong persönlich mit dem chruschtschowschen „Pseudokommunismus" abrechnete, endete er mit der Frage der Nachfolger: „Im Grunde genommen handelt es sich bei der Frage der Heranbildung von Nachfolgern der revolutionären Sache des Proletariats darum, ob es Nachfolger gibt, die die von der älteren Generation begonnene Sache des Marxismus-Leninismus iortsetzen werden, ob die Führung unserer Partei und unseres Staates auch weiterhin in der Hand proletarischer Revolutionäre liegen wird, ob unsere Nachkommen und die nächsten Generationen weiterhin auf dem richtigen Wege des Marxismus-Leninismus vorwärtsschreiten können, also ob wir in der Lage sind, eine Wiederholung des Chruschtschow-Revisionismus in unserem Land zu verhüten. Kurz, das ist eine äußerst wichtige Frage, eine Schicksalsfrage unserer Partei und unseres Landes, eine Frage auf Leben und Tod....
Aufgrund der in der Sowjetunion vor sich gegangenen Veränderungen haben die imperialistischen Propheten die Hoffnung auf eine friedliche Evolution der chinesischen Partei in der dritten oder vierten Generation. Wir werden die Prophezeiung der Imperialisten zu-schanden machen. Wir werden von oben nach unten, überall und ständig unsere Aufmerksamkeit auf die Erziehung und Ausbildung der Nachfolger der revolutionären Sache lenken."
Mao Zedong mißtraute gründlich der Generation, wie sie in China nach der Befreiung erzogen worden war, einer Generation, der es an kämpferischer Erfahrung gebrach, „die nie einen Krieg durchkämpft und nie einen Imperialisten oder Kapitalisten an der Macht ge -sehen hatte"
Das dem Neunten Kongreß des Jugendverbandes folgende Plenum seines Zentralkomitees vom Mai 1965 paßte sich verbal der sich in der ländlichen Erziehungsbewegung abzeichnenden radikaleren Linie an und übte gar ein wenig Selbstkritik: Die Jugend solle sich, so die Führung des JugendVerbandes, aktiv beteiligen an der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion; sie solle zum Einsatz auf dem Lande und in den Bergen mobilisiert werden; politische Betätigung solle emporschießen, die „Maozedongideen
Der Jugendverband hatte sich unfähig gezeigt, kämpferischen Elan in die Jugend zu tragen, sich von Bürokratismus und revisionistischem Gedankengut zu befreien und Mao Zedongs Appell zur Heranbildung revolutionärer Nachfolger zu beantworten. Zu sehr war der Verband mit der Parteibürokratie verfilzt; überaltert waren seine Funktionäre, die um ihre persönlichen Interessen fürchteten. Deutete auch einiges darauf, daß der Jugendverband nicht von vornherein überspielt werden sollte, so diskreditierten ihn doch seine Doppelzüngelei und seine halbherzigen Zugeständnisse, als es überdies schon zu spät war. Einige Jugendsekretäre mochten bei der Bildung der Rotgardistenzellen im Frühjahr 1966 beteiligt gewesen sein
Es bleibt noch die „Abweichung der Intellektuellen" zu untersuchen, das dritte Problem der Mahnrede Mao Zedongs auf dem 10. Plenum vom September 1962. Die Kritik der Intellektuellen am revolutionären Konzept Mao Zedongs und das stille und ausgesprochene Einverständnis des parteilichen Propagandaapparates mit diesen Intellektuellen sind bereits an anderer Stelle ausführlicher behandelt worden
Der intellektuelle Widerstand erstreckte sich auf alle Bereiche des Überbaus. Theoretisch begründet wurde er von einem der führenden Parteiideologen und Lehrer an der Parteihochschule, Yang Xianzhen. Dieser entwickelte die Theorie des „Zwei verbinden sich zu Einem"
(he er er yi): Der fundamentale Konflikt innerhalb gesellschaftlicher Einheiten tendiere zum allmählichen Wachstum des kommunistischen Elements, während das kapitalistische Element allmählich schwächer werde bis zu seinem endgültigen Verschwinden. Die Widersprüche lösten sich in der gesellschaftlichen Praxis nahezu automatisch auf: „Zwei verbinden sich zu Einem". Mao Zedongs Basissatz „Eins spaltet sich in Zwei" (congshi yi fen wei er), das heißt, die Widersprüche seien aufzudecken und auszutragen, sei lediglich zum methodischen Verständnis des Klassenkampfes notwendig. Theoretisch sei die scheinbare Einheit aufzuspalten, doch nur, um zur prakti- sehen Einsicht des „Zwei verbinden sich zu Einem" zu gelangen
Die Argumentationsweise Yang Xianzhens begründete nicht nur die intellektuelle Dissi-denz im Innern, sondern wies auch bedrohlich in die Nähe der sowjetischen Koexistenztheoretiker — dies zur Zeit der endgültigen Loslösung von der ideologischen Hegemonie der Sowjetunion, die vom Neunten Kommentar besiegelt wurde. Die Evolutionstheorie des „Zwei zu einem verbinden" verniedlichte in der Sicht Mao Zedongs und Lin Biaos ebenso die äußere Konfrontation: die Einkreisung durch die USA (Thailand, Vietnam, Taiwan, Okinawa, Korea) und durch die Sowjetunion (Zentralasien, Mongolei, Fernost)
Die Entwicklung der frühen sechziger Jahre, charakterisiert durch Mao Zedongs Warnung vor dem September-Plenum 1962, bestätigte die These des revolutionären Führers, daß in der sozialistischen Gesellschaft neben den „Widersprüchen im Volke" — zwischen Werktätigen und nationaler Bourgeoisie, zwischen kollektiven und individuellen Interessen, zwischen dem Parteiapparat und den „Massen" — auch die „Widersprüche zwischen uns und dem Feind" fortbestehen, der antagonistische Kampf „zwischen den zwei Wegen, zwischen dem des Sozialismus und dem des Kapitalismus". Die offenkundig revisionistische Haltung der Partei und ihrer Organisatioren, ihr Beharren, „es genüge, die sozialistische Revolution an der wirtschaftlichen Front durchzuführen", ihre Weigerung, „eine gründliche sozialistische Revolution auch an der politischen und ideologischen Front" durchzuführen
II. Rebellion
Ein einigermaßen zuverlässiges Instrument, auf daß sich Mao Zedong zu Beginn der Kulturrevolution stützen konnte, war die Volks-befreiungsarmee (Renmin Jiefangjun). Mit ihrer Führung hatte er nach stürmischen Auseinandersetzungen auf dem 8. Plenum des Zentralkomitees im August 1959 auf dem Lushan Lin Biao, den Helden des Bürgerkriegs gegen die Nationalisten, beauftragt
Seit 1964 ging die Armee daran, die von ihr entwickelten Methoden und Techniken fortschreitend auf Partei und Massen zu übertragen. Zur gleichen Zeit, in der die Sozialistische Erziehungsbewegung die ländlichen Massen mobilisieren sollte, wurde China aufgerufen, „von der Befreiungsarmee zu lernen"
Weshalb versuchte Mao Zedong nicht mit einer ideologisch derart geschulten und organisatorisch festgefügten Armee eine schnelle, durchgreifende Säuberung von Partei und Staat von oben? Warum ging er den langsamen und schlecht kalkulierbaren und noch weniger manipulierbaren Weg der schrittweisen Verstärkung des Druckes von unten durch neue Formen der Massenorganisation, bei denen die Armee nur Pate stand? Zum einen, so Richard Löwenthal, sei wohl auch die Armee in ihrer Haltung zu Mao Zedongs utopischer Konzeption nicht so einheitlich gewesen, zum anderen aber sei Mao Zedong kein Zyniker wie Stalin. Er glaube an sein Konzept der ununterbrochenen Revolution. „Wer den ideologischen Elan der Revolution im Kampf gegen bürokratische Erstarrungstendenzen erneuern und auf die heranwachsende Jugend übertragen will, der kann selbst nicht rein bürokratisch von oben vorgehen, sondern muß den Versuch zur Mobilisierung der Massen wagen."
Mao Zedong wählte eine Methode zur Mobilisierung der Massen, die wohl einmalig dasteht in der Geschichte der Herrschaftssysteme. Er appellierte an die akademische und halbakademische Jugend in den Städten, deren noch ungebrochenen Elan und soziale Unzufriedenheit er ummünzte in Herrschaftskritik. Indem Mao Zedong dieser Jugend die Initiative übertrug, hatte er zugleich die Veränderung des Staates wie der Jugend im Sinn
Schätzungen der Vereinten Nationen nennen eine jährliche Zuwachsrate der Bevölkerung Chinas zwischen zwei und fünf Prozent oder umgerechnet etwa 14 Millionen Menschen im Jahr. Die Zahl der Jugendlichen im Alter zwischen fünf und 24 Jahren erhöhte sich von annähernd 255 Millionen 1958 auf 300 Millionen 1963 und auf 350Millionen im Jahr 1968
Der Wettbewerb um den Zugang zu weiterführenden Schulen und um befriedigende Arbeitsplätze wurde in den sechziger Jahren härter. Die Zulassungsprüfungen, die im Juni 1966 abgeschafft wurden, erwiesen sich als schwer zu passierende Hürde, deren Überwindung dann noch nicht einmal eine wissenschaftliche oder wirtschaftliche Karriere versprach. Die materiell besser gestellten, vorgebildeten Kinder bürgerlicher Herkunft mit besseren häuslichen Bildungschancen waren den Kindern von Arbeitern und armen Bauern nicht nur objektiv überlegen bei der Bewerbung um Schul-, Studien-oder Arbeitsplätze, sondern auch subjektiv, wie die Auswahlkriterien der Prüfer und Schulleiter — die meisten von ihnen selber bürgerlicher Herkunft — beweisen
Die Jugend proletarischer Herkunft, der oft beschworene Nutznießer und Nachfolger der Revolution, nahm die Führung der Kommunistischen Partei zu Recht beim Wort und erwartete, daß das nachrevolutionäre Erziehungssystem sie für ihre künftige Führungsrolle vorbereiten werde. Doch auf Oberschulen und Universitäten mußte der Schüler und Student proletarischer Herkunft erfahren, daß das System nicht für ihn, sondern für die besser ausgestatteten Kinder der Bourgeoisie geschaffen war, denen gründlich zu mißtrauen ihn Erfahrung und politische Erziehung gelehrt hatten. Schule und Universität bedeuteten für ihn akademische und soziale Demütigung durch die Mittelklasse
Zedongs Appell zur Rebellion als erlösende Befreiung an von der bürgerlichen Vorherrschaft an Schulen und Universitäten und von dem mit Partei und Bourgeoisie kollaborierenden Jugendverband. Doch Mao Zedongs Appell weckte ebenso den vom bürokratischen Establishment gezüchteten Opportunismus, die Aussicht, durch revolutionären Aktivismus Vorteile zu erlangen beim Wettbewerb um Ausbildung und Beruf. Er weckte aber auch einen jahrelang gehegten Idealismus zur engagierten Teilhabe am Aufbau des kommunistischen Utopia. Der Meisterschwimmer im Yangzi lehrte: Schwimmen erlerne man nur durch Schwimmen, und nur der revolutionäre Kampf könne revolutionäre Änderungen hervorbringen. 1. Eskalation 1962 äußerte Mao Zedong, daß man, um eine politische Macht zu stürzen, zuallererst die öffentliche Meinung in Bewegung bringen und den ideologischen Bereich bearbeiten müsse
Die Auseinandersetzung wurde mit dem von der Gruppe um Mao Zedong ausgehenden innerparteilichen Rundschreiben vom 16. Mai in die gesamte Partei getragen
Noch einmal hatte der Parteiapparat, verkörpert durch Peng Zhen (der immerhin Mitglied des Politbüros war), versagt. Das Rundschreiben vom 16. Mai eröffnete nun die zweite Phase der Kulturrevolution: Vergleichbar der Hundert-Blumen-Bewegung von 1957 wurden wiederum außerparteiliche Gruppen zur Kritik der Parteiautoritäten eingeladen, doch dieses Mal nicht von der bürgerlichen Rechten, sondern von der studentischen Linken.
Wie die ersten Gruppen und Zellen der jugendlichen Rebellen an Oberschulen und Universitäten sich bildeten oder gebildet wurden, ist noch heute unklar. Man kann annehmen, daß Mittelsmänner Mao Zedongs an den großen Universitäten und Fachhochschulen des Landes politisch (im Sinne Mao Zedongs) zuverlässige und organisatorisch befähigte Studenten und Oberschüler aus dem oben skizzierten Potential unzufriedener Kinder proletarischer Herkunft um sich sammelten. Anzunehmen ist weiter, daß Mittelsmänner Lin Biaos an den Fachhochschulen der Volks-befreiungsarmee Rebellenkerne schulten, so beispielsweise an der Pekinger Hochschule für Luftfahrt (an der die Tochter Lin Biaos studierte) und an der Ingenieurschule in Haerbin (Heilongjiang). Die ersten Impulse der Schüler und Studenten gingen von Peking aus. Eine „Rote-Garde-Gruppe" an der Oberschule der Pekinger Qinghua-Universität beanspruchte für sich das nationale Erstgeburtsrecht. In ihrer ersten Wandzeitung gab sie als Gründungsdatum den 21. Mai 1966 an und bezeichnete sich als „Kampftruppe der revolutionären Minderheit", die das „Recht der Rebellion" beanspruche, um „eine revisionistische Führung zu bekämpfen". Mao Zedong selbst, so berichtete eine andere Wandzeitung, stimmte dieser ersten Rotgardistenzelle brieflich zu: „Wir unterstützen von Herzen alle jene, die in der Bewegung der Kulturrevolution auf Eurer Seite stehen, in Peking ebenso wie im ganzen Land."
Die „erste Salve der Großen Proletarischen Kulturrevolution"
Betroffen und verwirrt sammelten sich die Studenten vor diesem Aufruf
Immerhin stand der Dekan der Historischen Fakultät seit März 1966 im Schußfeld. Doch um die Auseinandersetzungen in der Parteispitze wußten weder die Studenten noch die große Masse der Dozenten. Jemand, der es wagte, dem Verbot des Rektors zuwider Wandzeitungen anzuschlagen und darin die höchsten Autoritäten der Universität anzugreifen, handelte entweder gegenrevolutionär oder besaß die Unterstützung noch höherer Funktionäre. Was sollte man nun denken? Rektor Lu Ping nahm den Schwankenden rasch das Denken ab. Noch am gleichen Nachmittag erteilte er den Provokateuren einen scharfen Verweis. Nun scharte sich die Mehrheit der Studenten wieder um die etablierte Autorität. Bald war die Wandzeitung Nie Yuanzis von zahllosen ablehnenden Dazibao umringt. Eine rebellisch gesonnene Minderheit beharrte allerdings auf dem Standpunkt der Philosophiedozenten, während Lu Ping den Text der Wandzeitung vervielfältigen ließ, die Diskussion in die Seminare verlagerte und so die politische Auseinandersetzung in akademische Höhen entrückte. Die Ruhe hielt aber nicht lange an. Am Abend des 1. Juni wurden Studenten und Dozenten zu einer Sondersendung von Radio Peking zusammengerufen, in der der volle Wortlaut der Wandzeitung Nie Yuanzis verlesen wurde. Dies ließ auf Billigung von höchster Seite schließen. Noch am gleichen Abend berief man eine erste Massenversammlung ein, auf der die rebellierenden Philosophen den Vorsitz führten.
Die dritte und größte Sensation folgte am 3. Juni. Radio Peking gab die Ernennung eines neuen Pekinger Stadtparteisekretärs bekannt. Peng Zhen, einer der führenden Männer der Volksrepublik, war also gestürzt! Mit der Ernennung der neuen Pekinger Parteileitung gab Radio Peking auch schon erste Weisungen weiter: Eine Arbeitsgruppe (gong-zuozu) der Partei wurde an die Peking Universität entsandt, um dort die Große Sozialistische Kulturrevolution zu leiten (das gleiche geschah im ganzen Land); der Rektor und sein Stellvertreter waren entlassen; die Arbeitsgruppe sollte alle Verantwortung übernehmen, solange der Parteiausschuß der Universität reorganisiert wurde
Die Wandzeitung der Philosophiedozenten fand nach ihrer Sanktionierung durch Radio Peking Nachahmung im ganzen Land. Ob an der Halb-Arbeit-halb-Studium-Schule der Nanjing Universität im mittelostchinesischen Li-yang, der Funktionärshochschule der Provinz Hunan oder der Hochschule für Verkehrswesen in Xi’an (Shanxi): am 2. Juni erscheinen die Wandzeitungen mit Angriffen auf Rektor und Parteisekretär, Arbeitsgruppen der übergeordneten Parteiinstanzen untersuchen die Kritik, und die Rektoren werden früher oder später abgelöst
In den meisten Schulen, Instituten und Universitäten wurden in der Folge Unterricht und Ausbildung umfunktioniert zu Teach-ins, Kampfsitzungen und Basisgruppenarbeit. „Die linken Studenten stählen sich. Sie fangen an, eine starke revolutionäre Truppe aufzubauen. ... Sie wagen zu denken, zu sprechen, anzugreifen, zu handeln und die Revolution voranzutreiben. Sie werden das Herz der Revolution.“
Nach den Anfangserfolgen der studentischen Rebellen suchte der Parteiapparat im Juni und Juli 1966 die revolutionäre Situation an den Schulen und Universitäten wieder in den Griff zu bekommen, mit der Absicht, die Rebellion in eine Berichtigungsbewegung alten Stils umzuwandeln. Die Arbeitsgruppen, die die Partei entsandte, gingen vordergründig auf die aktuellen innerschulischen und inneruniversitären Forderungen ein, um alle weitergehende Kritik zu verurteilen. Sie suchten jeweils die gemäßigte Mehrheit von den Radikalen zu trennen, um dann die Führer der Rebellen zu isolieren und teilweise gar festzusetzen
Die führenden Männer und Frauen der Partei griffen in die Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitsgruppen und den Rebellen und zwischen den radikalen und gemäßigten Studentengruppen ein. Chen Boda, Privatsekretär Mao Zedongs und seit Juli 1966 Leiter der direkt dem Politbüro unterstellten Kulturrevolutionsgruppe
Die offizielle chinesische Übersetzung „Rote Garden" ließ den Irrtum aufkommen, die Hongweibing setzten geradlinig die Tradition der „Roten Garden" (chiweidui) aus der Frühzeit der Guerilla in den Jinggang-Bergen fort
Folgten die Hongweibing organisatorisch und funktional auch nicht den Guerilleros der Jinggang-Berge, so wollten sie doch den Geist der romantisierten Frühphase der chinesischen Revolution wiedererwecken. Ebenso assoziierten die Roten Garden Hongweibing sicherlich die Garden der Pariser Kommune von 1871 und auch die Krasnaja Gvardija des revolutionären Rußland, die in jeder großen Krise der Revolution auf der Straße erschienen, „ungeschult und undiszipliniert, aber von revolutionärem Elan erfüllt"
Die Roten Garden standen bereit. Mit ihnen hatte Mao Zedong die Methode gefunden, die Massen in Bewegung zu setzen. Den immer noch resistenten Parteiapparat überspielte der Parteivorsitzende auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees, das vom 1. bis 12. August 1966 nach vierjähriger Sitzungspause zusammen-trat, durch ein Go-in von „Vertretern der revolutionären Dozenten und Studenten der Hochschulen von Peking"
Doch die Rebellen sollten zugleich gewaltlos vorgehen: „Die Methode, die angewandt werden soll, ist die Diskussion, Darlegung der Tatsachen, Ar-gumentation und mit Hilfe dieser Argumentation Überzeugung. Es ist unzulässig, eine Minderheit, die anderer Ansicht ist, mit Gewalt zum Nachgeben zu zwingen. Die Minderheit soll geschützt werden, denn manchmal liegt auch bei ihr die Wahrheit. Auch wenn sie unrecht hat, soll man ihr dennoch erlauben, in ihrer Sache zu sprechen und ihre Meinung zu behalten. Wenn es eine Debatte gibt, soll sie mit Argumenten und nicht mit Gewalt geführt werden. ... Im Verlauf der Bewegung ... sollen keine Maßnahmen ergriffen werden gegen Studenten und Schüler der Universitäten, Fachschulen, Ober-und Grundschulen aufgrund von Problemen, die aus der Bewegung entstanden sind..
Ihren ersten großen öffentlichen Auftritt erlebten die Roten Garden am 18. August, nachdem ihre Führer von Chen Boda instruiert worden waren
Wir wollen die Maozedongideen, diese großartige geistige Kraft, in eine gewaltige materielle Kraft umsetzen!"
Anna Louise Strong, eine amerikanische, in Peking residierende Kommunistin, berichtete von einem Besuch im Pekinger Verbindungszentrum der Roten Garden im Kulturpalast der Arbeiter nahe dem Tiananmen. Die Rotgardisten erzählten ihr von ihrem Vorgehen bei der Säuberung der Vier Alten. Sie hätten sich jeweils mit den Arbeitern und Angestellten der Geschäfte und Betriebe beraten, bevor sie Firmenschilder, Auslagen und luxuriöse Einrichtungen entfernten. Ebenso hätten sie mit den Straßenausschüssen, der zuständigen Polizei und den Nachbarn zusammengearbeitet bei der Suche nach Klassenfeinden. Sie hätten bei ihren Nachforschungen oft nie zuvor gesehene Dinge zutage gefördert: Mengen von Gold und Silber, Dokumente über den seinerzeit verteilten Landbesitz, Geld der Nationalisten und sogar Waffen. Auf die Frage Strongs, ob die Rotgardisten den schon 1964 gefaßten Beschluß, die in Peking illegal ansässigen Großgrundbesitzer zurück auf die Dörfer zu schicken, nun in die Tat umsetzten, erhielt sie die Antwort, die Anweisungen der Roten Garden wären nicht bindend. Viele der enteigneten Großgrundbesitzer wären allerdings schon bei ihrem Nahen geflohen
Xie Fuzhi, Minister für Öffentliche Sicherheit und später Vorsitzender des Pekinger Revolutionsausschusses, stellte nach diversen Wand-zeitungsberichten folgende Statistik des Feldzuges der Roten Garden gegen die Vier Alten auf (die Angaben datieren vom 3. Oktober 1966): 1. Angriff auf den Feind (1) Verhaftungen von Großgrundbesitzern (dizhu), reichen Bauern (funong), gegenrevolutionären Elementen (fahgeming fenzi), schlechten Elementen (huai fenzi) und Rechtsabweichlern (youpai fenzi)
Offizielle Berichte und Stellungnahmen haben nie einen fremdenfeindlichen Charakter der rotgardistischen Aktionen zur „Zerstörung des Alten" zum Ausdruck gebracht, doch spiegelten viele der Angriffe gegen „westliche" Erscheinungsformen solche Gefühle wider. Für die Roten Garden waren bürgerliche Tendenzen identisch mit revisionistischem Druck. Revisionismus wird mit der Sowjetunion identifiziert, und diese hat sich mit ihrem „Verbündeten", den USA, gegen China verschworen. So wurden bourgeoise Tendenzen dem westlichen Imperialismus gleichgesetzt. Beide waren in gleicher Weise Feinde der Maozedong-ideen. Der revolutionäre Halbwüchsige, der eine Wandzeitung pinselte gegen Lippenstifte oder Dauerwellen, kämpfte an der gleichen Front wie der Ingenieur der Volksbefreiungsarmee, der den Nordvietnamesen bei der Beseitigung von Schäden half, die durch amerikanische Luftangriffe verursacht worden waren. So wollten die Roten Garden auch nicht glauben, daß die acht ausländischen Nonnen, die im August 1966 gewalttätig nach Hongkong abgeschoben wurden, den Kindern der Diplomaten lediglich Gottes Wort lehrten. Sie erschienen ihnen als Agenten fremden Brauchtums und Glaubens, die Religion und Schule als Deckmantel für „Spionagehandlungen des Imperialismus" benutzten.
Die westliche und auch die sowjetische Presse haben die Exzesse der Roten Garden in den beiden Wochen nach dem August-Plenum weidlich ausgekostet. Welchen Lorbeer sich dabei die Presse der Bundesrepublik Deutschland erwarb — und dies durch alle Lager hindurch —, hat Günter Amendt in seinem Funk-Feature „China. Der deutschen Presse Märchenland" dokumentiert
Die Gesprächspartner Anne Louise Strongs bestätigten, daß viele der Rotgardisten anfangs übers Ziel geschossen wären. Doch in jeder Massenbewegung seien zu Beginn Berichtigungen notwendig. Die Anwendung von Zwang würde nun durch Überredung ersetzt.
Auch der Chronist des China Quarterly urteilte, daß, bedenke man die Riesenzahl der beteiligten Jugendlichen und den hohen Grad verbaler Hitzigkeit, die Summe physischer Gewalttätigkeit niedrig geblieben sei
Zhou Enlai gab bei der gleichen Massendemonstration detailliertere Richtlinien für ein gemäßigteres Vorgehen der Roten Garden: „Wie die Befreiungsarmee sollt Ihr mit ganzem Herzen dem Volk dienen, enge Verbindung zu den Massen halten, die Massenlinie befolgen und immer treue Diener des Volkes sein. Lernt den Drei-Acht-Arbeitsstil
Lin Biaos und Zhou Enlais Appelle fruchteten — bis Ende Dezember beim übergreifen der Rebellion auf Arbeiter und Bauern erneut alle Dämme brachen. 3. Kontakte Die organisatorische Betreuung der umherreisenden Studenten-und Schülermassen vollzog sich in Peking und anderswo unter materieller und personeller Mithilfe der Armee und der Stadt-und Provinzverwaltungen. Die Armee wies die Neuankömmlinge ein, stellte Transportraum zur Verfügung und sicherte die Versorgung. Den organisatorischen Einsatz der Befreiungsarmee bestätigte ein Bericht über die beim „Empfang der revolutionären Jugendlichen geleistete Arbeit". Um die „riesige Arbeit" zu bewältigen, „damit sich die Besucher in der Hauptstadt wie zu Hause fühlten", stellte die Armee „über 100 000 Kommandeure und Kämpfer zur Verfügung. . . . Diese Kommandeure und Kämpfer blieben die ganze Zeit mit den revolutionären Jugendlichen zusammen, sorgten für sie und lebten, aßen und studierten mit ihnen zusammen." Der Nutzen war gegenseitig. Die Armee war „mit vielen revolutionären jungen Kämpfern in Kontakt gekommen" und hatte „von ihrem revolutionären Geist, von ihrem Mut zu denken, zu sprechen, durchzubrechen, Revolution zu machen und zu rebellieren gelernt"
Anne Louise Strong beschrieb das hauptstädtische Verbindungszentrum der Roten Garden der Pekinger Ober-und Hochschulen, das am 27. August „auf den Rat Zhou Enlais" bei einem Treffen von 2000 Vertretern der haupt-städtischen Rotgardistenorganisationen zur „Vermittlung von Kontakten und Verbindungen" errichtet worden war: Es gliederte sich in Abteilungen für Propaganda, Versorgung, Organisation, Sicherheit und ein Sekretariat und hatte über 200 Angestellte, die kontinuierlich von den Mitgliedsorganisationen neu gewählt wurden. Das Verbindungszentrum wählte die Kontaktpersonen aus, die von Provinzorganisationen „zum Austausch revolutionärer Erfahrungen" angefordert wurden. Die Pekinger Stadtverwaltung unterstützte technisch und finanziell das Zentrum, das vom 27. August bis zum 12. September, dem Tag des Besuches von Anna Louise Strong, 470 000 auswärtige Rotgardisten betreut und deren Versorgung mit Hilfe der Behörden gesichert hatte
Giovanni Blumer, Augenzeuge in Shanghai und Peking, schrieb, die unentgeltlich das ganze Land bereisenden Studenten könnten bei jedem beliebigen Provinzparteiausschuß vorsprechen und gegen Quittung Barbeträge für ihren Unterhalt empfangen. Dieser Kredit werde dem Institut, dem der Student angehöre, zur Rückzahlung präsentiert. Die Studenten wiederum schuldeten die entliehenen Beträge ihrem Institut. Die Rückzahlungsmodalitäten würden allerdings erst später geregelt
Es wäre ein unmögliches Unterfangen, die Vielzahl rotgardistischer Organisationen systematisch zu erfassen. Es gab kein „Führungs-Zentrum" der Roten Garden. Die fraktionalisti-sehen Spaltungen verliefen nicht nur zwischen „Linken" und „Royalisten", sondern auch innerhalb dieser politischen Richtungen bildeten sich Klüngel, die mit der Ausweitung der Bewegung sich noch vervielfachten. Ein anschauliches Bild der Pekinger Organisationen spiegelt der Erlebnisbericht eines Xian-Parteisekretärs aus der zentralchinesischen Provinz Sichuan wider, der gemeinsam mit seiner Frau und Parteigenossin im Juni 1966 nach Peking gereist war, um dort seine Beschwerden gegen den mächtigen Provinzparteisekretär von Sichuan vorzubringen.
Der Xiansekretär schrieb in Peking eine 20 000 Schriftzeichen umfassende Anklage gegen seinen Vorgesetzten. Vergebens suchte er sie im Kontrollausschuß des Zentralkomitees an den Mann zu bringen. Auch ein Versuch, Jiang Qing an der Peking Universität zu erreichen (der Ruf der Gattin Mao Zedongs mußte sich schon im Juni 1966 verbreitet haben), schlug fehl. Schließlich schrieb der Sekretär einen dringenden Appell an die „revolutionären Genossen" und heftete ihn — es war schon in der ersten Septemberhälfte — an die Türen eines „Verbindungsamtes des Zweiten Hauptquartiers der Revolutionären Rebellen"
(dier silingbu geming zaofan lianluozhan). Sofort seien Dutzende von „jungen revolutionären Kämpfern" zum Schutze der Genossen aus Sichuan herbeigeeilt. Doch die Kontaktpersonen des Provinzparteisekretärs schrieben nun ebenfalls Wandzeitungen. Gegen sie richtete der Xiansekretär noch schärfere öffentliche Angriffe. Das Empfangsamt des Zentralkomitees beschwor ihn nun, keine Wandzeitungen mehr zu veröffentlichen, würden doch Zehntausende von Rotgardisten die Anklagen lesen und sie binnen kurzem in der ganzen Stadt verbreiten. (Die Rebellen genossen anscheinend Respekt.) Da der Xiansekretär nicht gehorchen wollte, gab das Zentralkomitee den Leuten des Provinzparteisekretärs den Rat, aus Peking abzureisen und so die ganze Angelegenhejt einschlafen zu lassen. Die Zeit, gegen den mächtigen Provinzchef vorzugehen, schien den Genossen der Kulturrevolutionsgruppe noch nicht gekommen. Zu jener Zeit, so teilte der Xiansekretär in seinem Rundfunkbericht mit, hätten die Rebellen an der Qinghua Universität, der Pekinger Hochschule für Luftfahrt und der Hochschule für Geologie, den Zentren der „Linken", noch interne Schwierigkeiten gehabt.
Genossin Nie Yuanzi, als Verfasserin der ersten Wandzeitung berühmt geworden, war indessen an der Peking Universität unerreichbar.
Die Wende kam mit einem Treffen des „Dritten Hauptquartiers der Hauptstädtischen Roten Garden" (shoudu hongweibing disan silingbu), an dem Zhou Enlai, Chen Boda, Jiang Qing und Kang Sheng (Chef der Geheimdienste und Mitglied der Kulturrevolutionsgruppe) teilnahmen und ein Student der Kampf-gruppe Rote Fahne der Luftfahrthochschule über den Kampf zwischen dem proletarischen und kapitalistischen Weg sprach. Erst jetzt, Anfang Oktober, wurde dem Ankläger aus Sichuan die Existenz dieses Dritten Hauptquartiers bekannt. Er wandte sich an die dortigen Genossen und erhielt sofort Kontakt zu den Führern der Linken. Am 30. Oktober konnte der Xiansekretär seine Beschwerden Premierminister Zhou Enlai persönlich vortragen. Nun durfte er den Druck seines Materials vorbereiten. Am 1. April 1967 schließlich wurde auf einem Massentreffen im Beisein aller führenden Linken der Kampf des Xiansekretär zu seinen Gunsten entschieden. Er wurde rehabilitiert und nach Sichuan gesandt, um dort den Kampf gegen den Provinzchef direkt fortzusetzen
Der Bericht des Parteisekretärs aus Sichuan bestätigte die steigende Bedeutung jenes „Dritten Hauptquartiers" im Herbst 1966 und die Schwäche des Zweiten Hauptquartiers. Allerdings mußte noch im Oktober 1966 das Gebäude des Dritten Hauptquartiers nachts von Truppen bewacht werden
Als erste Leitungsinstitution erschien in Peking das „Erste Hauptquartier der Roten Garden der Hauptstädtischen Universitäten, Hoch-und Fachschulen" (shoudu da-zhuan-yuan-xiao hongweibing diyi silingbu). Es unterzeichnete als einziges der Pekinger Hauptquartiere den „Dringenden Aufruf" vom 9. Januar 1967 an das Shanghaier Volk, woran sich allerdings noch eine Gruppe der Pekinger Qinghua und der Pekinger Sporthochschule beteiligten
Eine „konservative" Opposition unter den Rotgardistenfraktionen scheint im Oktober 1966 unter dem Namen Liandong, Einheitsaktion, begründet worden Zu sein — in der Halle des Politbüros im Pekinger Parteiviertel Zhongnanhai, wie eine Wandzeitung später berichtete
Die größeren der Rotgardistenfraktionen entwickelten sich binnen wenigen Monaten von kleinen Zellen zu komplexen Organisationen mit Hunderttausenden von Mitgliedern und Mitläufern, mit Zentralausschüssen, Vorsitzenden, Unterausschüssen und Unterabteilungen. Ein engmaschiges Kommunikationsnetz dieser Fraktionen überzog das Land. Es bediente sich einzelner reisender Vertrauenspersonen, doch nicht selten auch drahtloser Sende-und Empfangsstationen (die von der Pekinger Führung später ausdrücklich verboten wurden). Der finanzielle Bedarf dieser Organisationen wurde zumeist durch die Parteiausschüsse der Provinzen und Städte sichergestellt, später auch durch die Revolutionsausschüsse, die sich auf diese Weise einen Rest von Kontrolle über die Rebellenfraktionen zu erhalten wußten. Die militanteren unter den Fraktionen setzten sich aus Oberschülern zusammen und wurden oft von entlassenen Soldaten oder Milizsoldaten geführt. Diese Gruppen konnten sich zum Tei) mit gestohlenen Armeewaffen ausrüsten. Die größeren Fraktionen richteten in allen wichtigeren Städten „Verbindungsämter" ein, die die Führer der Organisationen auf dem laufenden hielten und den örtlichen Aktivisten Unterstützung verschafften. Diese Massenorganisationen scheiterten einzig bei dem Versuch, nationale Befehlsstäbe einzurichten. Hier blieb die Führung energisch bei ihrem Verbot
Die Entscheidung Mao Zedongs, „aus den Massen zu schöpfen", barg Konsequenzen, die für die westliche Erkenntnis des chinesischen totalitären Systems überraschend waren. Die jugendlichen Rebellen „loszulassen" und sie zu revolutionärer Aktion anzuspornen hieß, ihnen Bewegungsfreiheit einzuräumen, Recht zur Kritik und Möglichkeit zur Weitergabe der Kritik, Versammlungsfreiheit und Koalitionsfreiheit — sofern die bürgerlich-liberalen Begriffe hier anwendbar sind. Erneut stritten „hundert Schulen". Lin Biao charakterisierte auf der größten der Massenversammlungen vor dem Tiananmen diese neue „Große Demokratie" (da minzhu):
„Die breiten revolutionären Massen unseres Landes haben die neue Erfahrung gewonnen, die Große Demokratie zu entwickeln unter der Diktatur des Proletariats. In dieser Großen Demokratie erlaubt die Partei furchtlos den breiten Massen, die Medien der freien Meinungsäußerung, der Wandzeitungen, der großen Debatten und des umfassenden revolutionären Erfahrungsaustausches zu nutzen, um die führenden Institutionen von Partei und Regierung und die Führer aller Stufen zu kritisieren und zu überwachen. Zugleich werden die demokratischen Rechte des Volkes in überein Stimmung mit den Prinzipien der Pariser Kommune in vollem Maße verwirklicht. Ohne solche Große Demokratie wäre es unmöglich, eine wahrhaft große proletarische Kulturrevolution in Gang zu bringen . . ., die Wurzeln des Revisionismus auszureißen, die Diktatur des Proletariats zu festigen und das Fortschreiten unseres Landes auf dem Weg des Sozialismus und Kommunismus zu gewährleisten. Diese Große Demokratie ist ein neuer Weg, die Mao-zedongideen in den breiten Massen zu verankern, eine neue Form d e r S e 1 b s t -erziehung der Massen. Sie ist ein neuer Beitrag des Vorsitzenden Maos zur marB xistisch-leninistischen Theorie über die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats ..."
Radio Henan antwortete den „konservativen Kräften", die behaupteten, es gebe keine Demokratie und Gleichheit in Henan: „Wie ist die Lage in Wirklichkeit? Man kann frei über den Rundfunk senden, kämpft Euer Rundfunk nicht Tag und Nacht? (Radio Henan war zu jener Zeit „links", die lokalen Stationen in der Provinz in den Händen der Konservativen, D. A.). Eure Flugblätter finden sich überall. Eure Wandzeitungen füllen die Straßen. Viele Leute verlassen die Arbeit, mißachten ihre Pflicht und nehmen an Versammlungen, Demonstrationen und Straßendiskussionen teil. Was wollt Ihr mehr an Demokratie und Gleichheit?"
Wichtigstes Medium der Großen Demokratie aller wurden nach der Aufhebung Beschränkungen Anfang August 1966 die Wandzeitungen, die von den jugendlichen Avantgardisten eifrig genutzt und bald durch die verfeinerten und durch ihre gedruckte Form offiziösen Charakter tragenden Ad-hoc-Zeitungen oder „Kleine Zeitungen" (xiao bao) ergänzt wurden, die für zwei Fen oder drei Pfennige an jeder Straßenecke zu haben waren. Wand-und Ad-hoc-Zeitungen — die letzteren nicht zu verwechseln mit umgetauften offiziellen Zeitungen, etwa der seit 10. September 1966 unter dem Namen Rote-Garde-Zeitung (Hongwei Bao) erscheinenden Kantoner Abendzeitung (Yangcheng Wanbao) — lieferten die wichtigsten Informationen über die Kulturrevolution. Ihr Inhalt wurde bis etwa Ende 1967 von den japanischen Korrespondenten in Peking einigermaßen verläßlich berichtet.
Der Gebrauch von Wandzeitungen geht bereits auf die kaiserliche Zeit zurück, wo Erlasse an die Häuserwände in Stadt und Land geklebt wurden. Mao Zedongs erste Veröffentlichung war eine Wandzeitung, die er, wie er später Edgar Snow erzählte, auf eine Schulwand klebte
Bald nutzten auch die Opfer der Rebellen das neue Medium. Angriffe wurden mit Verteidigungen überklebt. Die Kritik machte auch vor den Führern der Linken nicht halt — bis hin zu Zhou Enlai. Die Bedeutung solcher Kritik war ablesbar an der Lebensdauer der Anschläge. Später als die Wandzeitungen und nicht so zahlreich tauchten die Ad-hoc-Zeitungen auf; eine der ersten war die Shoudu Hongweibing, das Organ des Dritten Hauptquartiers in Peking. Eines der verläßlichsten Organe wurde bald Jinggangshan, die Zeitung der Jinggang-
shan-Kampftruppe an der Pekinger Qinghua, die in enger Verbindung zu Jiang Qing und Chen Boda stand. Eine Spitzenleistung der rot-
gardistischen Zeitungspolemik, die „Karikatur der hundert widerlichen Clowns", hat Kuo Heng-yü in deutscher Sprache analysiert
Während Wandzeitungen und Ad-hoc-Zeitungen ungehemmt den Spielraum der Großen Demokratie nutzten, hielten sich die offizielle Presse ebenso wie die im Ausland — vor allem in Hongkong — abhörbaren zentralen und Provinz-Rundfunkstationen zurück. Sie waren zentraler Sprachregelung unterworfen, exponierten sich weniger und erlaubten später die Rehabilitierung vieler angegriffener Funktionäre
Kritisierte Funktionäre stellten sich den Rebellen zur Selbstkritik. Einige begingen Selbstmord. Die Mehrheit zog den unblutigen Weg der Selbstkritik vor, meist wenig freiwillig und auch wenig gründlich. Die Selbstkritiken Liu Shaoqis waren Meisterstücke taktischer Rückzugsgefechte. Ein im Westen bekanntgewordener Höhepunkt der rotgardistischen Verhör-techniken war die Überlistung der Gattin Liu Shaoqis, Wang Guangmeis, und ihre unfreiwillige Vorführung vor ein Rotgardistentribunal der Pekinger Qinghua Universität
III. Die Frage der politischen Macht
In den Monaten August bis November 1966 war es gelungen, die innerschulische und inneruniversitäre Rebellion zur Massenbewegung unter den Schülern und Studenten auszuweiten. Als Rote Garden erfüllten sie ihre Funktion, die Bürokratien von Partei und Staat durchzurütteln, bürgerliches und revisionistisches Denken zu entlarven und zu vernichten, als Gärstoff unter den weniger hemmungslosen Massen zu wirken und den toten Punkt in der revolutionären Fortentwicklung des Über-baus zu überwinden. Doch der Übergang von der Destruktion der Roten Garden zur Neukonstruktion der politischen Macht wurde für die Roten Garden und die Führung der Linken zur schmerzhaften Erfahrung.
Im Dezember 1966 ging die Führung daran, die Massenbasis der Rebellion zu erweitern. Bislang hatte es geheißen, die Studenten und Schüler sollten weder in die Fabriken noch in die Volkskommunen gehen. Arbeiter, Bauern, wissenschaftliches und technisches Personal und die Angestellten in Regierungsbehörden und den Unternehmen sollten auf ihren Posten bleiben, alle Bereiche der Produktion in Gang halten und doch zugleich die Kulturrevolution in Produktion und Forschung durchführen. Die Studenten sollten vertrauen, daß Arbeiter und Bauern die Revolution in eigener Verantwortung durchführen könnten. Die „Revolution anzupacken und die Produktion voranzutreiben" (zhua geming cu shengchan) rief Zhou Enlai Mitte September die Massen vor dem Tiananmen auf
Ein anderes Motiv für die Ausweitung der Rebellion war, den renitenten Funktionären den Rückhalt zu nehmen, auf den sie sich unter den Angriffen der Roten Garden stützen konnten. Was den Führern der Linken für die Roten Garden recht war, schien den Funktionären billig: auch sie gaben Freifahrtscheine aus für die Fahrt nach Peking und zur Kontaktaufnahme untereinander, jedoch nur für die Arbeiter. Nach der Ausweitung der Rebellion wuchs diese Tendenz zur mächtigen und die Produktion bedrohenden „Ökonomistischen" Gegenströmung an: Die Arbeiter erhielten freigebig, was zu verdrängen sie mühsam gelernt hatten — Sonderprämien, Darlehen, Aufmunterung zu Streiks und Massendemonstrationten gegen die jugendlichen Rebellen. Die Funktionäre machten den Arbeitern begreiflich, welche Macht sie als Träger der Produktion gegenüber den Jungintellektuellen besaßen, die ihnen die Kulturrevolution beibringen wollten.
So bewirkte das Eingreifen der Roten Garden in vielen Betrieben einen kurzfristigen Zusammenbruch der Produktion neben gewaltsamen Zusammenstößen. Die Schwierigkeiten, die die größte Industriestadt Chinas, Shanghai, hatte, wurden in einer ganzen Serie von dringenden Aufrufen und Appellen deutlich
Die Kulturrevolutionsgruppe in Peking mochte das wirtschaftliche Durcheinander vorausgesehen und eingeplant haben. Am 26. Dezember riefen Jiang Qing und Chen Boda eine „Allchinesische Truppe Allgemeiner Roter Arbeiterrebellen" zur Besetzung der Pekinger Gewerkschaftszentrale auf und zur Machtergreifung in den Organen der Arbeiterschaft. Sang-und klanglos stellte die Dachgewerkschaft alle Aktivitäten ein
Der Höhepunkt der Turbulenz im Januar 1967 schien der Führung unter Mao Zedong ein Schritt vorwärts zu sein zur Utopie. Am Mor -gen der Kulturrevolution, am 24. März 1966, hatte die Rote Fahne die Vision einer sozialen und politischen Organisation beschworen, wie sie den Ideologen Mao Zedongs wohl als Ziel der kulturrevolutionären Rebellion vorschwebte. Vorbild war die Pariser Kommune von 1871. Einer reaktionären Regierung im Innern und der Drohung eines starken Feindes von außen konfrontiert, hatten die Pariser Kommunarden den Aufstand gewagt und die Staatsmaschinerie der Bourgeoisie gestürzt. An ihrer Stelle begründeten sie die Kommune, die „in weitem Maße von den Arbeitern und ihren Massenorganisationen unterstützt wurde". Weiter hieß es zur Kommune: „Die meisten ihrer politischen Richtlinien wurden durch Vorschläge der Massen angeregt und spiegelten die Interessen des Proletariats und der Werktätigen wider. Die Führer der Kommune wurden von den Massen gewählt, unterstanden ihrer Aufsicht und konnten entsprechend dem Gesetz durch sie wieder entlassen oder abberufen werden ... Die Kommune war Exekutive und Legislative zugleich. Die Ausschüsse der Kommune erließen Gesetze, ihre Mitglieder setzten sie in Kraft und legten vor den Ausschüssen und dem Volk Rechenschaft ab . .
Was Friedrich Engels der Pariser Kommune als historisches Verdienst nachrühmte, machten sich die Pekinger Ideologen von 1966 zum Vorsatz: „Gegen die in allen bisherigen Staaten unumgängliche Verwahdlung des Staates und der Staatsorgane aus Dienern der Gesellschaft in Herren der Gesellschaft wandte die Kommune zwei unfehlbare Mittel an. Erstens besetzte sie alle Stellen, ob verwaltende, richtende oder erzieherische, durch Wahl nach allgemeinem Stimmrecht der Beteiligten, und zwar auf jederzeitigen Widerruf d-urch dieselben Beteiligten . . .“
Als es daran ging, erste revolutionäre Macht-organe einzusetzen, zitierte die Rote Fahne einen Ausspruch Mao Zedongs vom 1. Juni 1966, nachdem die Wandzeitung der Philosophen an der Peking Universität das „Manifest der Pekinger Volkskommune der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts" gewesen sei. Zu jener Zeit schon, so fuhr die Rote Fahne fort, habe Mao Zedong seine Weisheit und sein Genie gezeigt. Mit seinem Ausspruch habe er vorausgesagt, daß die Staatsorgane in der Kulturrevolution vollkommen neue Formen annehmen würden
Der organisatorische Wandel, den die „Lehren der Pariser Kommune" ins Auge faßten, ging weit über den politischen Bereich hinaus. Die Bürger ihrer Gesellschaftsordnung ähnelten einem „Hans Dampf in allen Gassen". Der Staat entbehrte, soweit er noch bestehen blieb, jeder funktionalen Spezialisierung. Sogar die Armee würde aufgelöst, denn jeder würde zum Soldaten. Die soziale Ordnung der Pariser Kommune nahm den antiautoritären und antiprofessionellen Charakter der Kulturrevolution vorweg. Die führenden Ideologen der Kulturrevolution und mit ihnen ein Teil der rotgardistischen Studenten schienen die Vision ernsthaft realisieren zu wollen. In Shanghai wurde am 5. Februar die Volkskommune Shanghai (Shanghai Renmin Gongshe) proklamiert, nachdem aus den massenhaften Unruhen die Linken als Sieger hervorgegangen waren. Die führenden Köpfe dieser Kommune, Zhang Chunqiao und Yao Wenyuan, gehörten seit dem Vorabend der Kulturrevolution zur engsten Umgebung Mao Zedongs. Es ist sehr wahrscheinlich, daß, im Lichte des Hong-qi-Aufsatzes vom März 1966, ihre vorprellende Aktion den Absichten Mao Zedongs entsprach. Doch Mao Zedong selbst verurteilte die Gründung der Volkskommune Shanghai als voreilig, wie Zhang Chunqiao — einen Tag, nachdem die Kommune Shanghai in Revolutionsausschuß umgetauft worden war — am 24. Februar seinen Anhängern mitteilte
Zweierlei Entscheidungen waren möglich. Das Chaos konnte vollständig gemacht werden, indem die Massenrebellion auch in die Armee getragen wurde. War auch dieses letzte Herrschaftsinstrument zerstört, konnten nach dem Beispiel der Pariser Kommune die Massen ihre direkte Herrschaft errichten — ein Rätesystem ohne elitäre Kaderpartei, bewaffnet mit den Maozedongideen. Die Kommunarden von Shanghai gaben das Beispiel. Ihr Vorgehen wurde später von der ultralinken Opposition als „Januarrevolution" (yiyue geming) gefeiert.
Die Alternative war, dem revolutionären „Wellenberg" eine Phase der Konsolidierung folgen zu lassen, eine „Stufe" im Verlauf der permanenten Revolution. Eine direkte Machtergreifung der Massen analog der Pariser Kommune bedrohte im Winter 1967 den staatlichen Zusammenhalt Chinas, seine sozialistischen Aufbauleistungen. Eine „Aufsicht" durch die Massen sollte anstelle von „Machtergreifung und Kontrolle" den Erfolg der Rebellion gegen Bürokratismus und Revisionismus garantieren
Mao Zedong bewies die größere Weitsicht und sagte dem euphorischen Utopismus der Ultralinken ab. Auf der Sitzung des Militärausschusses des ZK am 20. oder 21. Januar fiel die Entscheidung zugunsten des Eingreifens der Volksbefreiungsarmee. Ihr erteilte Mao Zedong in seiner Weisung vom 23. Januar genaue Richtlinien. Die Armee sollte 1. die in der Minderheit befindliche und des-organisierte Linke unterstützen;
2. für eine menschliche Behandlung und für die Rehabilitierung erfahrener Funktionäre Sorge tragen;
3. anarchistische Tendenzen niederhalten;
4. als neues Modell für die Ergreifung der politischen Macht die „Dreierverbindung"
fördern (san-wei yi-ti, später allgemein sanjieht.'. in der die revolutionären Rebellen die Macht mit der Armee und revolutionären Funktionären teilen sollten;
5. die industrielle und landwirtschaftliche Produktion sichern und vorantreiben
Mit diesen Weisungen gab die Armee ihre Rolle als organisatorische Hilfe auf und trat als ordnende Schiedsmacht, massiv parteinehmend — nach ihrem Gutdünken, da Definitionen „gegenrevolutionärer" und „linker" Aktionen bis zum September ausblieben — auf die Szene der Massenauseinandersetzungen und Machtergreifungen. Die lokalen Befehlshaber sandten ihre Einheiten zur Mithilfe in Industrie und Landwirtschaft. Ihre Unteroffiziere und Offiziere „halfen" Studenten und Schülern zurück an ihre Unterrichtsstätten, erteilten ihnen militärischen Unterricht und interpretierten mit ihnen die Maozedongideen.
Der ungestümen Kritik an den Funktionären von Partei und Staat wurde jetzt ein Riegel vorgelegt. Der Leitartikel der Roten Fahne Nr. 4/1967 wiederholte unter der Überschrift „Funktionäre müssen korrekt behandelt werden" die Feststellung von Punkt acht des Beschlusses vom August 1966, daß die „Mehrheit der Funktionäre gut" sei. Die Meinung vieler Rotgardisten, daß alle Autoritäten in der Bürokratie schlecht seien und en mässe gestürzt werden müßten, wurde jetzt als „anarchistisches Denken" verurteilt. Solches Denken lehne eine korrekte Klassenanalyse ab und negiere die grundsätzlichen Tatsachen der vergangenen siebzehn Jahre. Nur dann sei es möglich, so fuhr die Rote Fahne fort, die Machtergreifungen mit weniger Schwierigkeiten durchzuführen, die Revolution anzupacken und die Produktion voranzutreiben, wenn sich die revolutionären Massen mit führenden Kadern verbündeten, die fachliche Befähigung mit politischer Integrität verbänden. Die Rote Fahne wies die unverbesserlichen Rebellen auf einen charakteristischen Zug aller Berichtigungsbewegungen der Kommunistischen Partei hin: „Gerade weil unsere Partei die Politik des , aus vergangenen Fehlern lernen, um künftige zu vermeiden'und des , die Krankheit heilen, um den Patienten zu retten'in der Vergangenheit anwandte, war sie in der Lage, ideologische Auseinandersetzungen korrekt durchzustehen und das zweifache Ziel ideologischer Reinheit und der Einheit unter den Genossen zu erreichen.“
Am eindringlichsten bemühte sich Premierminister Zhou Enlai, die Kritik der Rebellen in geordnete Bahnen zu lenken. In einer Ansprache vor Vertretern revolutionärer Rebellen aus „Handel und Finanzen" warf er den Roten Garden schwerwiegende Fehler vor: „Ein höchst wichtiger Grundsatz bei der Behandlung revolutionärer Funktionäre ist, ihnen zu ermöglichen, ihre Sünden durch neue Verdienste wettzumachen ... Können wir uns erlauben, alle älteren Funktionäre fallenzulassen? .. . Wenn wir nicht die Ziele unserer Angriffe einschränken, wird es unmöglich für uns, die Mehrheit zu konsolidieren ... Führende Funktionäre der verschiedenen Organe sollten allmählich, einer nach dem anderen, ausgenommen werden. Dies ist der Sinn der Dreierverbindungen ...
Das Zentralkomitee der Partei wird sehr unzufrieden sein mit den Bildern, die die Leute mit Verbrecherhüten zeigen und wie sie am Nak-ken herumgezerrt werden. Die älteren Funktionäre sind die Aktiva unserer Partei. Die verdorbenen Elemente sind in der Minderheit. Wir hätten nicht einmal Peng Zhen auf diese Weise bekämpfen sollen. Vorsitzender Mao hat auch gesagt, daß der Kampf auf eine zivilisierte Weise geführt werden solle. Ihr müßt die Geistesverfassung der älteren Funktionäre verstehen. Jeden ohne Unterschied niederzuschlagen ist eine schlechte Kampfesweise. Statt dessen sollten wir genau unterscheiden zwischen den Personen an der Macht, die den kapitalistischen Weg gehen, und Funktionären, die nur leicht geirrt haben . ..
Der Eisenbahnminister und sein Stellvertreter sind von den Rebellen des Eisenbahnministeriums vom Amt suspendiert worden. Den halben Tag durften sie Toiletten reinigen, und die andere Hälfte sind sie dem Kampf ausgesetzt. Das schadet unserer künftigen Arbeit ... Rebellen dürfen nur überwachen, nicht intervenieren. Zum Beispiel haben sie vor einiger Zeit im Außenministerium zu wirken begonnen, und ihre Unerfahrenheit hat unsere auswärtigen Beziehungen ernsthaft beeinträchtigt ... Es ist ein kleinerer Irrtum, die reaktionäre Linie zu befolgen, als sie anzuordnen. Für diejenigen, die die reaktionäre Linie nur befolgt haben, genügen zwei oder drei Runden Selbstkritik. Es schadet der Partei und dem Volk, wenn Funktionäre und Massen zueinander in Opposition stehen ..
In den Augen Zhou Enlais hatten die zur Rebellion aufgerufenen Roten Garden ihre Funktion erfüllt. Nun sollte die berichtigte Bürokratie wieder die Verwaltung übernehmen unter der Aufsicht der Dreierverbindung von Rebellen, Armee und revolutionären Kadern. Doch es kostete einige Mühe, die Bürokraten und Parteifunktionäre, die geschmäht worden waren, wieder zur Zusammenarbeit zu bewegen. Genauso schwierig war es auf der anderen Seite, den revolutionären jungen Kämpfern beizubringen, daß die so heftig kritisierten Funktionäre wieder in Amt und Würden eingesetzt werden sollten. Die Versicherung, die Funktionäre würden nie wieder ihre bürokratische Macht errichten können, befriedigte die Roten Garden nicht.
Ab Ende Januar 1967 setzten die offiziell gebilligten Machtergreifungen der revolutionären Massenorganisationen, rehabilitierten Kader und der Armee ein. Umständliche Prozeduren gingen ihnen voraus. Der erste Schritt war dem Militär im Namen des Militärausschusses der Provinz vorbehalten, das die Rebellenfraktionen innerhalb einer Arbeits-oder Ausbildungseinheit anleitete, sich zusammenschließen, gemeinsam die Maozedongideen zu studieren und Große Bündnisse (dalianhe) zu schließen. Der nächste Schritt war die Bildung einer Dreierverbindung (sanjiehe), eines neuen Führungsorgans, in dem Militär, Vertreter der Rebellenfraktionen und einige revolutionäre Funktionäre zusammenarbeiteten. Nach Großem Bündnis, und Dreierverbindung folgte die Einsetzung eines Revolutionsausschusses der einzelnen Arbeits-oder Ausbildungseinheiten (geming weiyuanhui). Den revolutionären Machtergreifungen in den Betrieben, Schulen usf. folgte der Zusammenschluß von Rotgardisten, revolutionären Arbeitern und Bauern in den Städten und Provinzen in Form von Vertreterversammlungen der Roten Garden, Arbeiter und Bauern (hongweibing bzw. gongren bzw. nongren daibiao weihuiyi).
Die Vertreterversammlungen der Bauern schlossen nur arme Bauern und untere Mittel-bauernein. Erst nach Bildung dieser Vertreterversammlungen konnte ein provinzieller oder städtischer Revolutionsausschuß ins Leben gerufen werden.
Die eigentlichen Träger der Kulturrevolution, die Roten Garden und die Revolutionären (Arbeiter-) Rebellen, entsandten allenfalls 50 Prozent der Mitglieder der Revolutionsausschüsse. Im Revolutionsausschuß von Shanxi, der am 18. März 1967 ausgerufen wurde, stellten sie von 245 Mitgliedern 118, genau 48, 1 Prozent, wie die Presse penibel berichtete. Im Pekinger Revolutionsausschuß vom 20. April 1967, der 97 Mitglieder umfaßte, waren 24 Arbeiter, 17 Soldaten, 14 Studenten und Dozenten, 13 arme Bauern und untere Mittelbauern, 13 Regierungsfunktionäre, 6 Oberschüler, 6 Vertreter aus Kultur, Erziehung und Gesundheit sowie 4 „Bürger". Im Revolutionsausschuß von Guangdong, gegründet am 21. Februar 1968, waren 15 Prozent der Mitglieder Rotgardisten, 25 Prozent Arbeiter, 20 Prozent Bauern, 15 Prozent Kader, 15 Prozent Militärs. Von den übrigen 26 Revolutionsausschüssen liegen keine aufgeschlüsselten Zahlenangaben vor. Doch keiner der Vorsitzenden entstammte den Massenorganisationen, und auch von den stellvertretenden Vorsitzenden wurde kaum einer von den Rotgardisten oder Revolutionären Rebellen gestellt
Ursprünglich, nämlich im Beschluß vom 8. August 1966, war vorgesehen, die neuen Macht-organe nach dem Vorbild der Pariser Kommune direkt und allgemein nach den Vorschlägen der Massen zu wählen. Nachdem die direkte Herrschaft der Massen auf bloße „Aufsicht" reduziert worden war, konnte die Armee es verantworten, die Mitglieder der Führungsorgane selbst auszusuchen. Das Ideal der Pariser Kommune hätte angesichts der Zersplitterung der Rebellenfraktionen auch wohl kaum verwirklicht werden können. In Shanxi allerdings wählte eine „Konferenz" (und nicht Vertreterversammlung) von 4000 Soldaten und Angehörigen revolutionärer Massenorganisationen den Revolutionsaus-schuß, von Peking hieß es, „verschiedene Konferenzen" hätten die Vertreter nominiert.
Die revolutionären Machtorgane erlitten bald das Schicksal aller Apparate und mußten sich gegen bürokratische und selbstherrliche Neigungen in den eigenen Reihen zur Wehr setzen. Der Revolutionsausschuß von Shandong erließ am 7. Juni 1967 eine Weisung, die später allen zentralen Medien verbreitet von wurde. In ihren zehn Punkten hieß es: 1. Die Verherrlichung von Mitgliedern des Revolutionsausschusses ist verboten .. ;
2. ohne vorhergehende kollektive Beratung im Ausschuß dürfen die Mitglieder nicht öffentlich im Namen des Ausschusses sprechen noch ihre Reden aufzeichnen oder drucken lassen . . .;
3. wenn ein Mitglied in der Öffentlichkeit erscheint, soll es weder feierlich willkommen geheißen noch beklatscht werden;
ohne die Erlaubnis des Ausschusses darf es nicht fotografiert oder gefilmt werden . ..;
4. die Mitglieder müssen eine bestimmte Zeit körperlicher Arbeit widmen . . .;
5. sie dürfen Geschenke in eigenem Namen weder verteilen noch empfangen . . .;
6. die Namen der Mitglieder sollten im allgemeinen in den Zeitungen nicht erscheinen; wo dies notwendig sein sollte, muß es in Übereinstimmung mit den Weisungen des ZK erfolgen;
7. die Mitglieder sollen ein einfaches Leben führen . . . sie dürfen keine öffentlichen Wagen zu privaten Zwecken benutzen;
8. sie müssen Zeit finden, die Öffentlichkeit zu Rate zu ziehen und deren Briefe zu beantworten ...;
9. sie sollen sich in die Öffentlichkeit begeben und gelehrig nach der Leute Meinung fragen;
10. von Zeit zu Zeit sollen sie eine „kleine Berichtigung" durchführen unter Teilnahme einiger Mitglieder von Massenorganisationen. Die „zerstörerische Wirkung bürgerlicher Gedanken" war auch nach Rebellion und Umsturz nicht beseitigt worden. Der „in Zucker gehüllte Feind" war schwer zu bekämpfen
Während die Armee sich abplagte, die Energien der Roten Garden auf ihr ursprüngliches Betätigungsfeld, die Schulen und Universitäten, zurückzulenken, sollten die verstärkten und offenen Polemiken gegen die höchsten Parteifunktionäre die Angriffslust der Rebellen in geordnete Bahnen lenken
Die „Februar-Gegenströmung" und der Einsatz der Armee ließen das Pendel der Kulturrevolution zu weit nach rechts schwingen. Eine Weisung des Militärausschusses des ZK rief die Armee am 6. April 1967 wieder um einiges zurück. Die Soldaten sollten keinen Gebrauch von der Schußwaffe machen, Leute nicht willkürlich verhaften, Massenorganisationen nicht willkürlich gegenrevolutionär nennen, vielmehr die schlechten Elemente isolieren und die Massen zurückgewinnen. So einfach sei es nicht: nämlich gegenrevolutionär den zu nennen, der in Militärlager einzudringen versucht, und revolutionär den, der es sein lasse. Man solle darüber hinaus die Massen nicht zu Selbstkritiken zwingen und keine körperliche Züchtigung gestatten. Die Armee, so der Militärausschuß, sei aber weiterhin aus der kulturrevolutionären Bewegung herauszuhalten. Innerhalb des Militärs sei lediglich Aufklärung erlaubt über den Kampf zwischen den beiden Wegen. Wie widersprüchlich die Direktive blieb, zeigte eine der wichtigsten Weisungen: vor allen „wichtigen Aktionen" sei die Zustimmung der „Zentrale" einzuholen. Doch zugleich sollte die Armee alle Führungsgewalt ausüben, bis ein Revolutionsausschuß ernannt worden sei
Der Versuch, die Armee zurückzurufen und den linken Rebellenorganisationen wieder mehr Spielraum zu gewähren, gab Anlaß zu erneuten Zusammenstößen und erneuerten Ordnungsrufen. Im Juni und Juli 1967 entsandte Peking hohe Funktionäre, die an Ort und Stelle die Ursachen der Unruhen erkunden und Kompromisse vermitteln sollten mit dem Ziel, das Eindringen -in militärische Installationen, die Angriffe auf Soldaten und Offiziere und die Waffendiebstähle zu unterbinden. Berichtigung und Selbstkritik aller Beteiligten sollten durch Große Bündnisse und Dreierverbindungen gekrönt werden. Die Pekinger Delegierten und die lokalen Befehlshaber schienen sich an den verschiedenen Orten des Landes nur unter Schwierigkeiten verständigt zu haben. In Wuhan, dem strategischen Herzen Chinas am Mittellauf des Yangzi, kam es zu einem eklatanten Zusammenstoß, der China an den Rand des Bürgerkrieges brachte und der letztlich zur entscheidenden Niederlage der Ultralinken und zum Ausschwingen des kulturrevolutionären Pendels führte.
In Wuhan hatten die Kämpfe zwischen „Rebellen" und „Royalisten" seit Februar 1967 angehalten. Bis Juni zählte man 200 „Zwischenfälle". Viele Fabriken mußten ihre Produktion einschränken oder ganz einstellen. Am 14. Juni soll die konservative Fraktion der „Million Helden", die in Wuhan überlegen war, die wichtige Brücke über den Yangzi besetzt haben, zu jener Zeit noch der einzige Übergang über den Fluß (die zweite Yangzi-Brücke bei Nanjing nordwestlich Shanghai wurde erst 1968 fertiggestellt). Das Vorgehen der Konservativen schien von der -lokalen Armeegarnison toleriert worden zu sein, obwohl die Wirtschaft des bedeutenden Eisen-und Stahlzentrums jetzt ernsthaft beeinträchtigt wurde. Am 14. Juli, so hieß es, sei Zhou Enlai persönlich nach Wuhan geeilt, um die Fraktionen nach „links" und „rechts" zu „sortieren". Die „Million Helden" rechnete der Premier zu den „Rechten" und zog sich damit den Unwillen des Militärs zu. Der Sicherheitsminister und Vorsitzende des Pekinger Revolutionsausschusses, Xie Fuzhi, und einer der führenden Ideologen der Kulturrevolutionsgruppe, Wang Li, lösten kurz darauf Zhou Enlai ab. Jetzt meuterte die lokale Garnison und verhaftete Wang Li, den notorischen Ultralinken. Telefonisch wies der Generalstabschef die lokalen Befehlshaber an, die Sicherheit der Pekinger Delegierten zu garantieren. Zhou Enlai flog ein zweites Mal nach Wuhan. Da die konservativen „Million Helden" mit Lastwagen den Wuhaner Flugplatz blockierten, mußte das Flugzeug des Premiers umgeleitet werden. Zhou Enlai konnte die sofortige Freilassung Wang Lis nach massivem Druck durchsetzen. Die „Million Helden" wurden aufgelöst, der Garnisonsbefehlshaber zur Berichtigung nach Peking beordert. Xie Fuzhi und Wang Li wurden nach ihrer Rückkehr nach Peking begeistert gefeiert
Das abwehrende Verhalten des lokalen Militärs gegenüber der Linken in Wuhan und anderswo hatte einen jähen Pendelausschlag zugunsten der antiautoritären Rebellen zur Folge, einen zweiten revolutionären Höhepunkt nach der „Januarrevolution". Der Ungehorsam des Wuhaner Militärs erlaubte es den Linken, die Ursache für alle Rückschläge der Kulturrevolution bei der Armee zu suchen. Die Machtergreifungen im mandschurischen Heilongjiang (31. Januar 1967), im ostchinesischen Shandong (3. Februar 1967), im südchinesischen Guizhou (13. Februar 1967) und in Peking (20. April 1967) wurden nun als schlecht verhüllte militärische Coups decouvriert, gegen die die bisherigen „linken" Machtergreifungen in Shanghai (5. Februar und 24. Februar 1967) und Shanxi (18. März 1967) nicht ankämen. Am 31. Juli rief die Rote Fahne auf, die „Handvoll von Machthabern in Partei und Armee hervorzuholen und hinwegzufegen"
Wuhan und die „Julirevolution" brachten China an den Rand der Anarchie und des Bürgerkrieges. In allen Provinzen fochten die Fraktionen. Waren sie bewaffnet, gab es häufig Todesopfer. Bedrohlicher als der Fraktionalismus unter den Massenorganisationen wurden die Auseinandersetzungen in der Armee selbst, die bislang sorgsam aus dem Kampf zwischen den beiden Linien herausgehalten worden war. Sollte Chinas Integrität erhalten bleiben — für das Gegenteil hielten sich an den Grenzen Xinjiangs und Heilongjiangs, in Ladakh und der Mongolei und nicht zuletzt auf Taiwan und in Vietnam die Mächte bereit —, so mußte die Führung der Kultur-revolution die Bremsen anziehen. Noch deutlicher als im Januar und Februar siegte im August 1967 die Staatsräson über die Utopie.
Jiang Qing als wohl exponierteste Führerin der Linken bemühte sich, den Roten Garden die bittere Einsicht in die neue gemäßigtere Politik verständlich zu machen. In ihrer berühmt gewordenen Rede vom 5. September 1967 widerrief sie ihren Aufruf zur Waffengewalt 'vom Juli und appellierte an die Rebellen, die „Aufrührerei in unseren Feld-armeen" zu beenden und das „Feuer der Revolution nicht weiter anzufachen": „Die Genossen sollten bedenken und ihr Hirn dabei anstrengen, ob wir ohne die Armee zu diesem Gespräch hier in der Halle des Volkes hätten zusammenkommen können. ... Wo immer in der Welt habt Ihr eine so gute Armee? Ihr wagt ihre Waisen zu stehlen, schlagt und kritisiert sie, und doch schweigt die Armee und schlägt nicht zurück ... Schlagworte wie , die Handvoll in der Armee hervorzerren'sind grundverkehrt. Sie haben unglückliche Folgen verursacht. Jetzt ist diese Tendenz noch in ihrem Anfangsstadium, und wir können sie bremsen . .. Zuerst intervenierte die Armee nicht, doch später mußte sie einschreiten. Natürlich hat sie nicht immer die Lage richtig erfaßt, doch ist das unvermeidlich ... das sind keine Irrtümer über die Linie ... Wenn beide Seiten, die Armee und Ihr, Selbst-kritik übten, so hielte ich das iür eine passable Methode ...
Die Zurückhaltung, für die Jiang Qing die Armee noch lobte, wurde gleichentags durch eine Direktive von Zentralkomitee, Staatsrat, Militärausschuß und Kulturrevolutionsgruppe gelockert. Nach langem Zögern erhielt nun die Armee die Erlaubnis, zur Selbstverteidigung und zum Schutz ihres Materials und ihrer Einrichtungen von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Noch einmal verbot die Direktive es Außenstehenden, in die Bereiche der Armee einzudringen, Waffen, Munition, Ausrüstung und Fahrzeuge zu stehlen. Bereits gestohlenes Material solle sofort zurückgegeben werden, andernfalls die Täter mit aller Strenge bestraft würden. „Die Armee-Einheiten aller Regionen sollen, wenn sie diesen Befehl ausiühren, zunächst geduldig ideologisch vorarbeiten, vernünftig diskutieren und versuchen, die Gegner zu überzeugen. Sollte sich diese Methode als unwirksam erweisen, dürfen sie Warnschüsse in die Luft feuern. Wenn Überredungsversuche und Warnschüsse noch immer unwirksam bleiben, sollen sie den Diebstahl als gegenrevolutionär hinstellen und Maßnahmen ergreifen, daß die kleine Zahl von schlechten Elementen unter den Führern der gegnerischen Gruppen und ihren Komplizen inhaftiert und dem Gesetz entsprechend bestraft werden. Falls diese Elemente hierbei Widerstand leisten, hat die Volksbefreiungsarmee das Recht, in Selbstverteidigung zurückzuschlagen."
Die Rede Jiang Qings und die Direktive der Zentrale wiesen endgültig den Weg zu Konsolidierung und Disziplinierung. Am 1. Oktober 1967, dem Nationalfeiertag, vierzehn Monate nach dem 11. Plenum des ZK, forderte Lin Biao, „engster Waffengefährte" Mao Zedongs, die Massen auf, an erster Stelle ihre Selbstsucht zu bekämpfen, ihren Egoismus, und dann erst den Revisionismus zu kritisieren (dou si pi xiu)
Die Armee hatte weiterhin strengen Befehl, die ideologische und organisatorische Befriedung nicht zu erzwingen, sondern kraft ihrer Argumente zu erreichen. Dabei sollte sich die Armee auf die Unterstützung der gesamten Linken konzentrieren und nicht auf einzelne Fraktionen (zhi zuo bu zhi pai)
Den Nekrolog auf die Roten Garden und die Rebellion aller revolutionären Massenorganisationen hielt der Sicherheitsminister und Vorsitzende des Pekinger Revolutionsausschusses. Revolutionären Lehrern und Studenten aus Peking rief Xie Fuzhi am 24. Oktober 1967 zu: „Genossen, Euer Beitrag war groß! Von den Schulen seid Ihr in die Gesellschaft gedrungen, von Peking aus ins ganze Land gegangen. Eure Errungenschaften können niemals geleugnet werden. Aber jetzt verlangen Vorsitzender Mao, die Parteizentrale und die Kulturrevolutionsgruppe, anderthalb Jahre später, daß die Große Proletarische Kulturrevolution in ein neues Stadium eintritt. Es ist nicht zu rechtfertigen, daß die Gesellschaft mobilisiert wird und Ihr im Land herumreist. Es wird nun Zeit, daß Ihr an Eure Unterrichtsstätten zurückkehrt. Während Ihr den Unterricht durchführt, könnt Ihr die Revolution vorantreiben. Ihr sollt Kampf-Kritik-Umformung jetzt in Euern Einheiten durchführen, das ist heute die Aufgabe."
Erstmals kam mit Xie Fuzhi offiziell einer der Pekinger Führer auf den Neuaufbau der Partei zu sprechen und auf den Platz der kultur-revolutionären Rebellen in ihr. Nach Xie Fuzhi kamen für die Mitgliedschaft in der reformierten Partei vor allem Mitglieder des (schon totgeglaubten) Jugendverbandes in Frage, aber nur solche, die sich während der Kulturrevolution bewährt hatten. Zwar gebe es auch bislang unorganisierte Jugendliche, meinte Xie Fuzhi, die sich hervorgetan und verdient gemacht hätten, doch zu ihrer endgültigen Beurteilung bedürfe es einer längeren Probezeit. „Wir hoffen, einige dieser revolutionären Rebellen in die Partei aufnehmen zu können. Aber diese Neuaufnahmen werden von den individuellen Verdiensten abhängen und von einem Jahr oder zwei Jahren der Bewährung . . . Wahrscheinlich werden Rotgardisten am Neunten Parteitag teilnehmen. Aber wenn ich sage, daß Rotgardisten teilnehmen werden, so meine ich, daß Parteimitglieder teilnehmen werden."
In einer zweiten Rede zwei Tage später, dieses Mal vor den Mitgliedern seines Revolutionsausschusses, betonte Xie Fuzhi, daß die Partei der Kontrolle von oben wieder den Vorzug geben werde vor der Willensbildung von unten. Ginge man anders bei der Auswahl der Teilnehmer des kommenden Parteikongresses oder der Kandidaten für die Führungsgremien vor, so sei es nicht sicher, daß die Rebellen auch die Mehrheit erhielten. Er schlüge vor, am Parteitag sollten etwa 10 000 Delegierte teilnehmen. Hielte man einen Parteitag von nur etwa tausend Delegierten ab, so würden es lauter ältere Leute sein, und von den Rebellen wäre niemand vertreten. Es sollte doch aber eine größere Zahl von Arbeitern und jungen Menschen und einige Rotgardisten als Delegierte gewählt werden
Der Pekinger Sicherheitsminister machte den Rebellen klar, daß ihre Zeit vorbei war. Ihre Funktion als Hefe in der chinesischen Gesellschaft hatten sie erfüllt. In den Städten und umliegenden ländlichen Bezirken hatten sie eine Gärung erreicht, die nur mit Mühe zu einer neuen, von Revisionismus und Selbst-herrlichkeit gereinigten Herrschaftsordnung konsolidiert werden konnte. Die Rebellen hatten sich nun auf die revolutionäre Kleinarbeit in ihren Einheiten zu beschränken. Xie Fuzhi wies sie darauf hin, daß die Führung nicht gewillt sei, sie weiterhin als Avantgarde zu bevorzugen. 2. Opposition der extremen Linken Ein Teil der rotgardistischen Schüler und Studenten, und zumeist die progressivsten unter ihnen, gab sich mit den Parolen zur Rückkehr an die Arbeitsstätten, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und zur „Selbstrevolution" (ziwo geming) nicht zufrieden. Konsolidierung, Disziplinierung und militärisches Engagement kollidierten mit den antiautoritären Ressentiments, die die Rebellion freigesetzt hatte. Die aktivistischen Rotgardisten meuterten, als sie zu reformerischer Kleinarbeit heimkehren und sich der erneuerten Autorität der berichtigten Kader und den von der Rebellion verschont gebliebenen Militärs unterwerfen sollten.
Seit dem Februar 1967 geisterte ein neuer Begriff durch das revolutionäre Vokabular: jizuo sichao, das „extrem linke Denken". Es kennzeichnete eine politische Strömung unter den Rebellen, die sich gegen den „Ökonomistischen Gegenwind" der konservativen Funktionäre, gegen die Widerrufung der Shanghaier Kommune und gegen das recht einseitig Ruhe und Ordnung restaurierende Eingreifen der Armee wandte. Das Wort sichao, „Denkrichtung" oder „Denkströmung", war nicht un-\ bedacht gewählt. Im Gegensatz zu den objektiv gültigen, wohletablierten Maozedong-sixiang, den „Maozedongideen", dem Gedankengut sixiang des Vorsitzenden, drückte sichao einen dynamischen Denktrend aus, der sich den sixiang widersetzte. Diese extrem linke Denkrichtung berief sich auf die Lehren der Pariser Kommune, wie sie die Rote Fahne ein Jahr zuvor gezogen hatte: „Als der Aufstand siegte, legten die Arbeiter weder ihre Waffen nieder noch gaben sie ihre Macht aus den Händen . . . Sie wurden sich nach und nach bewußt, daß das politische Instrument ihrer Versklavung nicht als politisches Instrument ihrer Emanzipation dienen konnte. Um sich zu emanzipieren, mußte das Proletariat die bürgerliche Staatsmaschinerie zerschmettern, denn es war die Maschinerie selbst und nicht die eine oder andere Form, die sie annehmen konnte, die bekämpft werden mußte. Hatte das Proletariat jene Maschinerie erfolgreich zerschmettert und die Macht ergriffen, so mußte es verhindern, daß seine eigenen Staatsorgane sich nicht von Dienern der Gesellschaft wieder in ihre Herren verwandelten."
Die Anhänger der „extrem linken Denkrichtung" maßen die revolutionären Errungenschaften von 1967 an den Lehren von 1966. In ihren Augen waren es heuchlerische „Dreier" verbindungen, denn das Militär und die (rehabilitierte) Bürokratie beherrschten sie. Die Große Demokratie war zur Manipulation von Ja-Sagern degeneriert. Den Aufschwung, den die Kulturrevolution der Entwicklung des Überbaus versetzt hatte, wollten die extrem Linken nicht bremsen. Mao Zedong war im Januar 1967 vor der erneuten Euphorie eines neuen Großen Sprungs zurückgeschreckt. Den Ultralinken mochte der überbau ruhig der Basis voraneilen. Eine solche Entwicklung konnte den Weg zum Kommunismus nur beschleunigen.
Im ganzen Land sammelten sich Anhänger dieser Denkart. Ihre bekannteste Organisation wurde der „Ausschuß des Großen Bündnisses der Proletarischen Revolutionäre der Provinz Hunan" (abgekürzt Shengwulian). Shengwulian war im Oktober 1967 von Oberschülern der Hauptstadt Changsha der Provinz Hunan (der Heimatprovinz des lebenslangen Rebells Mao Zedong) gegründet worden. Ihm gehörten jedoch auch Funktionäre aus Partei und Staat und sogar höhere Offiziere im Ruhestand an. Vorsitzender war ein achtzehnjähriger Oberschüler, dem Verbindungen zur konservativen Gruppierung des Liandong und Aktionen gegen Premier Zhou Enlai nachgesagt wurden. Eine seiner Mitschülerinnen vertrat den jungen Vorsitzenden. Der Werdegang dieser Stellvertreterin war lupenrein revolutionär: Nach Angriffen gegen die von der Partei im Sommer 1966 an die Oberschule entsandte Arbeitsgruppe und gegen den später abgesetzten Provinzparteisekretär durfte sie am 18. August 1966 die Tribüne am Tiananmen in Peking besteigen und Seite an Seite mit den Führern die Massendemonstration abnehmen. Während des „Februar-Gegenwindes" wurde die Oberschülerin ins Gefängnis gesteckt, doch später mit der Hilfe des Pekinger Dritten Hauptquartiers rehabilitiert. Die beiden jungen Vorsitzenden des Shengwulian waren charakteristisch für viele der enttäuschten Rotgardisten. Schaute man sich allerdings die Väter der beiden an, fiel auf den revolutionären Lebenslauf ein Schatten. Beide Väter wurden als Nachwirkung der Entlassung Peng Dehuais 1959 degradiert. Mit Hilfe der jungen Rebellen mochten sie versuchen, die über sie verhängten Urteile zu revidieren, „rote Fahnen" zu schwenken, um der Roten Fahne zu opponieren. Eine solche unheilige Allianz enttäuschter Rotgardisten, zynisch gewordener ehemaliger Jugendverbandsmitglieder (die ja ehemals die Creme der Jugend darstellten), unzufriedener Funktionäre (die in der allgemeinen Rebellion zu gewinnen hofften) und verbitterter, weil ihrer profitablen Studienplätze beraubter bürgerlicher Jugendlicher (die hoffen konnten, mit wachsendem Linksdruck würde die Reaktion erstarken und siegen und ihnen die alten Positionen wiedergeben), ein solches Bündnis bildete sich auch anderswo und diskreditierte von vornherein die extreme Linke
So wurde auch bald der Vater des jungen Vorsitzenden als Cheftheoretiker des Shengwulian bezeichnet — nicht ganz zu Unrecht, denn die Dokumente des Shengwulian ließen eine langjährige theoretische Schulung erkennen. Das bedeutendste dieser Dokumente, die Schrift „China Wohin?" vom 6. Januar 1968, faßte die Argumente der „extrem linken Denkrichtung" in geschliffener Polemik zusammen. Die oder der Verfasser beklagten, daß Mao Zedongs „wissenschaftliche Voraussage", das Endziel der Kulturrevolution sei die Errichtung einer „Volkskommune China" (Zhonghua Ren-
min Gongshe), Utopie geblieben sei. Mao Zedong habe zu Recht festgestellt, daß die Klasse, die die neuen Produktivkräfte verkörpere, zu kämpfen habe gegen die dekadente Klasse, die dem gesellschaftlichen Fortschritt hinderliche Produktionsverhältnisse vertrete. Doch habe Mao Zedong verfehlt zu sagen, daß das Problem der politischen Machtergreifung nur durch Gewalt gelöst werden könne. Entscheidend für den Ausgang der Kulturrevolution sei deshalb die Armeefrage. Die Volksbefreiungsarmee sei in den Jahren nach 1949 von der allgemeinen Verbürgerlichung des politischen Lebens der Volksrepublik nicht verschont geblieben. Die Armee habe sich von den Massen isoliert und sei zu einem Instrument der Unterdrückung geworden. Militärische Bürokraten seien ebenso schlimm wie Parteibürokraten. Einzig die unbehinderte Einbeziehung der Armee in die Kulturrevolution — und dieses Ziel unterstellte Shengwulian dem Befehl Mao Zedongs vom 23. Januar 1967 — könne die Haltung des Militärs wesentlich ändern. Im Endstadium der Revolution könne der Widerspruch zwischen Armee und Massen allerdings nur aufgehoben werden, wenn sich die Massen selber als bewaffnete Macht organisierten. Die „Bewegung zur Ergreifung der Waffen" im Juli und August 1967 sei deshalb ein guter Anfang gewesen. Die Rede Jiang Qings habe dann den Bürokraten den Weg zurück an die Macht geebnet.
Shengwulian räumte ein, daß den Massen mehrheitlich das „kommunistische Utopia" wie es in den Monaten vor dem August-Plenum und sogar noch in dem 16-Punkte-Be-schluß vom August 1966 skizziert worden war, unverständlich geblieben sei. Nur einige junge Intellektuelle klammerten sich daran, weil sie fühlten, daß sie nur in einer Gesellschaft vom Typus der Pariser Kommune „endgültige Befreiung" erfahren könnten. Die „Januarrevolution" habe bereits die Emanzipation der Produktivkräfte vorangebracht: „Die Massen sahen mit einemmal, daß man ohne Bürokraten nicht nur weiterleben, sondern auch besser und in größerer Freiheit leben könne." Einen zweiten Schritt in Richtung auf ihre Emanzipation hätten die Revolutionäre im August 1967 getan, als sie erkannten, daß nur durch einen Bürgerkrieg die „bewaffnete rote kapitalistische Klasse" besiegt werden könne. Doch seit September beschränke sich die Führung der Kulturrevolution auf die Liquidierung einiger einzelner Machthaber, die den kapitalistischen Weg gingen. Jetzt von „vollständigem Sieg"
(ein Wort Lin Biaos, D. A.) zu sprechen, sei pure Heuchelei. Die Partei des Neunten Partei-tages würde eine Partei des bürgerlichen Reformismus werden, der den bürgerlichen Usurpatoren in den Revolutionsausschüssen diene. Sich selbst betrachte Shengwulian als „Organ der Diktatur der Massen" analog den russischen Sowjets nach dem Februar 1917, die Usurpatoren der Revolutionsausschüsse als die russischen Kerenskijs. Allein die „ununterbrochene Revolution in Stufen" (das Konzept Mao Zedongs, D. A.) werde das Bewußtsein der proletarischen Kräfte stärken und schließlich den Sieg bringen. Soweit die Schrift „China Wohin?" des hunanesischen Shengwulian
Die „extrem linke Denkrichtung" wurde scharf zurückgewiesen, so etwa von der Shanghaier Wenhui Bao vom 11. September 1967. Doch indem die Wenhui Bao, das Sprachrohr der ersten antirevisionistischen Polemiken der Kulturrevolution, gleichzeitig zur Wachsamkeit aufrief denjenigen gegenüber, die den Widerstand gegen das extrem linke Denken mit dem Kampf gegen alle proletarischen Revolutionäre verbänden, deutete die Zeitung an, daß die Argumente von Gruppen wie dem Shengwulian von den Intentionen der Pekinger Ideologen so weit nicht entfernt waren. Wen wunderte es, daß im Herbst 1967 die jungen ideologischen Protagonisten der Kulturrevolution und mit ihnen ihr Organ, die Rote Fahne, von der Bühne abgezogen wurden? Zu ihnen gehörte auch Wang Li, der in Wuhan von den Konservativen verhaftet worden war. Chen Boda, so hieß es, mußte Selbstkritik üben, und Jiang Qing ging, nach einer Mitteilung Zhou Enlais, im November 1967 für sieben Wochen „in Urlaub"
Das extrem linke Denken bestand weiter. Die Radiostation der südlich Shanghai gelegenen Provinz Zhejiang klagte im Juli 1968, die Vertreter jenes „reaktionären Trends" wollten weder Rebellen noch Konservative noch Machthaber, die den kapitalistischen Weg gehen, sie wollten allgemeine Wahlen. Sie behaupteten, der Revolutionsausschuß von Zhejiang (eingesetzt am 24. März 1968) repräsentiere nur ein paar Fraktionen, „eine Minderheit hat die Macht an sich gerissen". Die Entwicklung der Kulturrevolution, so jene Oppositionellen, müsse neu bewertet werden, insbesondere das Vorgehen des Provinzmilitärs bei der Praktizierung der „drei zivilen und zwei militärischen Aufgaben"
Die Opposition der extremen Linken war Ausdruck der Erwartungen, die die Kulturrevolution in ihrer Avantgarde, den rotgardistischen Intellektuellen, weckte: die Hoffnung auf einen egalitären Sozialismus, frei von aller Repression. Die Erwartungen konnten nicht erfüllt werden, sollten die Erfolge der Volksrepublik beim Aufbau des Sozialismus — begrenzt wie sie immer noch waren — nicht in utopischen Experimenten leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.
IV. Vom Subjekt zum Objekt der Revolution
Seit dem Herbst 1967 beherrschte die Volks-befreiungsarmee die politische und administrative Szenerie der Proletarischen Kulturrevolution. Zunächst lenkte die Führung den Aktivismus der Schüler und Studenten zurück auf ihren Ausgangsort, das Erziehungswesen. Die Wiederaufnahme des Unterrichts und die Verlagerung der Umwälzung auf die Schulen sollten die Ziele der „Kultur" revolution in der nachfolgenden Generation verankern und ein Wiederaufleben der revisionistischen und bürgerlichen Tendenzen am traditionellen Zufluchtsort der Bourgeoisie verhindern. Die Neukonstruktion der politischen Machtorgane hing in der Luft ohne entsprechende Umwälzungen im Bereich von Kultur und Erziehung. Hier sollten Oberschulen und Universitäten beispielhaft vorgehen.
In seiner frühen Direktive an Lin Biao vom 7. Mai 1966, die die „Erziehungsrevolution" (jiaoyu geming) eröffnete, legte Mao Zedong fest: „Die Studenten sollen ihr Fachstudium als ihre Hauptbeschäftigung betrachten, aber sie sollen ebenso in allen anderen Bereichen Erfahrungen sammeln, in der Industrie, in der Landwirtschaft und in der Armee. Das Studium soll verkürzt, die Erziehung revolutioniert werden. Die kapitalistischen Gelehrten dürfen die Schulen nicht länger unter ihrer Kontrolle behalten.“
Als Modell proletarischer Erziehung wurde die in Yan’an 1937 begründete „Antijapanische militärische und politische Universität des chinesischen Volkes" (Kurzform Kangda) propagiert. Der Direktor der Kangda war Mao Zedong selbst, sein Stellvertreter Lin Biao
zwei bis vier Jahre; Grund-und Oberschule zusammen beanspruchen nicht mehr als acht Jahre; 3. neues Lehrmaterial wird herausgegeben, in dem die Maozedongideen im Vordergrund stehen; 4. vor ihrem Studienabschluß nehmen alle Schüler und Studenten an körperlicher Arbeit und militärischem Dienst teil; erfolgreich seine Ausbildung beenden kann nur.
wer sich in Industrie, Landwirtschaft und Armee bewährt hat;
5. erfahrene Arbeiter und Bauern gehören dem Lehrpersonal an, wählen die revolutionären Studenten aus und schulen sie vor dem Übergang auf die Universitäten
Nicht nur fehlende Lehrgänge und fehlendes Lehrmaterial verzögerten in den beiden Jahren nach dem Eingreifen der Armee die Wiederaufnahme eines intensiven Grundschulund Fachunterrichtes, sondern ebenso die Nachwirkungen der rotgardistischen Rebellion. Schüler und Studenten fanden nur langsam von ihren Reisen zur „Anknüpfung revolutionärer Kontakte" zurück in ihre Einheiten. Die Lehrer trauten sich nicht zurück vor ihre jungen Ankläger. Schüler und Studenten waren obendrein heillos zerstritten. Die jungen Intellektuellen, die vor der Kulturrevolution in die Dörfer oder in die Berge gesandt worden waren und während der Rebellion an ihre Unterrichtsstätten zurückkehrten, wollten nicht wieder fort. Die Jugendlichen wiederum, deren Ausbildung eigentlich beendet gewesen wäre, wollten nicht hinaus aufs Land und stellten „eine Menge unvernünftiger Forderungen hinsichtlich ihrer beruflichen Verwendung nach dem Studienabschluß . . ., ihre Privatinteressen gingen ihnen über alles"
Am 8. Oktober 1967 erließ die Pekinger Führung ein dringendes Rundschreiben „an alle Revolutionsausschüsse . . ., militärischen Kontrollausschüsse (das militärische Führungsorgan, dem bis zur Einsetzung von Revolutionsausschüssen die politische und administrative Verantwortung zufiel, D. A.), Militär-bezirke . . ., Massenorganisationen in den Städten und auf dem Lande". Unter der Parole „Sendet junge Intellektuelle und andere hinaus auf die Dörfer und hinauf in die Berge" forderte die Führung: „Auf der Stelle sollen junge Intellektuelle und andere zur Arbeit hinaus auf die Dörfer und hinauf in die Berge ziehen, um sich mit den Massen der Arbeiter und Bauern zu vereinen, an den drei großen revolutionären Bewegungen (san da geming yundong: Klassenkampf, Produktionskampf, wissenschaftliche Experimente, D. A.) teilzunehmen und das neue sozialistische Dorf mit aufzubauen . . . Junge Intellektuelle und andere, die zur Arbeit auf die Dörfer und in die Berge geschickt worden waren, müssen auf ihren Produktionsposten auf dem Lande ausharren und Vorbilder werden des , die Revolution anpacken und die Produktion vorantreiben'. Jene Jugendlichen und anderen Personen, die zur Arbeit auf die Dörfer und in die Berge geschickt worden waren und sich noch in den Städten aufhalten . .. sollen schleunigst auf die Dörfer zurückkehren, um an Ort und Stelle die Revolution in die Hand zu nehmen . . ., mit den örtlichen revolutionären Massen zusammenzuarbeiten und sowohl die Revolution als auch die Produktion besser und besser durchzuführen. Die revolutionären Massenorganisationen in den Städten und die Verwandten der auf das Land geschickten Leute müssen die revolutionäre Aktion aktiv unterstützen. Die revolutionären Funktionäre müssen die Initiative ergreifen und ihre Kinder aufs Land schicken."
Das Rundschreiben drohte drakonische Maßnahmen an für den Fall, daß die Angesprochenen nicht gehorchten. Zugleich forderte es die Bauern und ländlichen Funktionäre auf, sich mit den aufs Land geschickten Intellektuellen zu vereinen, sie nicht zu diskriminieren, ihre Ernährung und Unterbringung zu sichern und sie nicht in die Städte zurückzutreiben — ein deutlicher Hinweis auf die Spannungen zwischen Intellektuellen auf der einen und Arbeitern und Bauern auf der anderen Seite. Die jungen Intellektuellen wiederum, so forderte es das Rundschreiben, „müssen beharrlich an Ort und Stelle auf dem Lande in ihrer freien Zeit . .. gemeinsam mit den armen Bauern und unteren Mittelbauern die Revolution anpacken. Sie dürfen ihre Arbeitsplätze nicht nach Gutdünken verlassen, um Leute auf höherer Ebene zu besuchen oder revolutionäre Erfahrungen auszutauschen ..
Das revolutionäre Pendel kam mit den Dämpfungsmaßnahmen vom September und Oktober 1967 noch nicht zum Stillstand. Zum einen leisteten die entthronten Rebellen hartnäckigen Widerstand, zum anderen stieg die neue Macht einigen Militärs zu Kopfe. Im März 1968 wurde der Ende 1965 eingesetzte Generalstabschef unter der Anklage, sich zu sehr in den Mittelpunkt gestellt zu haben, gestürzt. Mit ihm mußten weitere hohe Militärführer gehen
Ab Ende Juli 1968 wurden „Arbeiterpropagandatrupps" in Begleitung von Armeeangehörigen in Schulen und Universitäten entsandt, um sich „mit den Schülern und Studenten zu vereinen", Große Bündnisse zu fördern und die Revolution auf dem Sektor der Erziehung voranzutreiben. Mao Zedong persönlich beglückwünschte die erste dieser Gruppen, die seit dem 27. Juli an der Qinghua eingesetzt war, am 5. August durch die Übersendung eines Korbes voller Mangofrüchte, Gastgeschenk einer pakistanischen Delegation
Weshalb mußten die jungen Intellektuellen erneut erzogen werden? „Weil die Betroffenen in der Vergangenheit eine bürgerliche Erziehung erhalten haben und sie jetzt eine proletarische, erneute Erziehung erhalten. Das ist der eine Sinn. Der andere ist folgender: Unter dem schädlichen Einfluß der revisionistischen Linie des chinesischen Chruschtschow (Liu Shaoqi, D. A.) wurden sie in der Vergangenheit von bürgerlichen Intellektuellen erzogen, während sie jetzt, geleitet von der proletarisch-revolutionären Linie des Vorsitzenden Mao, von Arbeitern, Bauern und Soldaten wiedererzogen werden. .. . Sich mit den Arbeitern, Bauern und Soldaten verbinden und ihnen dienen, das ist der grundlegende Weg für diese erneute Erziehung.“
Die „Umformung der Weltanschauung" wurde für alle Beteiligten oft schmerzhaft und bald ermüdend. Während die Schüler und Studenten sich nur mühsam den Arbeitern unterwarfen, gingen diese oft zu rigoros vor und vernachlässigten die Maxime Mao Zedongs, allen Kritisierten „einen Ausweg offenzulassen"
Jiang Qings zorniger Ausfall vermochte vielleicht die rigorose Behandlung der jungen Intellektuellen ein wenig zu mildern. Doch den Trend zur Wiederaufrichtung der Diktatur des Proletariats und seiner Avantgarde, der Kommunistischen Partei, konnte sie nicht aufhalten (und wollte sie wohl auch nicht). Am 1. Januar 1968 hatten die Volkszeitung, die Rote Fahne und die Zeitung der Befreiungsarmee in einem Leitartikel vorausgesagt, die Kommunistische Partei werde Wiedererstehen, und neben der Partei der Kommunistische Jugendverband (!), die Roten Garden (!) und alle revolutionären Massenorganisationen, umorganisiert allerdings gemäß den Anweisungen Mao Zedongs und Lin Biaos. Im Oktober 1968 trat die Partei offiziell wieder in Funktion. Das 12. Plenum des 8. ZK, das vom 13. bis zum 31. Oktober in Peking zusammentrat, hieß sämtliche von Mao Zedong seit dem 11. Plenum im August 1966 erlassenen Weisungen gut. Es bestätigte die Führung der Arbeiterklasse in allen Dingen, einschließlich „aller kulturellen Gebiete". Es bestätigte ebenso die Übernahme aller bislang in Staatsregie befindlichen Schulen durch die Arbeiter und Bauern
An der Spitze der Parteihierarchie stehen nun Mao Zedong — dieser ununterbrochen seit der Zeit des Langen Marsches von 1935 — und Lin Biao. Ihnen folgen im Ständigen Ausschuß Zhou Enlai, Premierminister und Vermittler der neuen Herrschaftsordnung, Chen Boda und Kang Sheng, die Führer und Promotoren der Kulturrevolutionsgruppe. Sind auch die übrigen zwanzig Mitglieder des Politischen Büros des Zentralkomitees — von ihnen dreizehn aktive Militärs — in, wie wir sagen würden, alphabetischer Reihenfolge aufgeführt worden, so folgten doch beim entscheidenden Wahlgang des Zentralkomitees den fünf Mitgliedern des Ständigen Ausschusses unmittelbar die drei führenden Linken und gleichzeitig neuen Gesichter der Kulturrevolution: Jiang Qing, Gattin Mao Zedongs und Beraterin der Kulturrevolutionsgruppe, Yao Wenyuan, der jüngste im Politbüro, Chefpolemiker der Kulturrevolution und Kommunarde von Shanghai, und Zhang Chunquiao, der seit Januar 1967 als Vorsitzender der Kommune und später des Revolutionsausschusses die zweitwichtigste Stadt Chinas, Shanghai, fest für Mao Zedong regierte. Ihre Namen wird man sich merken müssen.
Anhang
I: Aussprachehilfe für die Umschrift des Chinesischen (Hanyu-pinyin) 1. Konsonanten 2. Vokale b Bach a Saal P Puppe o Sonne m Maß e möchte f Peder iyi Sieb d Dach u, wu Kuh t Teller ü, yu Flüh n naß (nach j, q, x ohne Umlaut)
1 Leder ai Zeit g Gast ao Haus k Keller ou Hof h lachen ei englisch lake j Jeep (d + j) ia, ya Jahr q cheese (t + j) iao, yao jauchzen X ich iu, you johlen z entsetzt (stimmhaftes d ie, ye Projekt + stimmhaftes s) ua, wa (englisches w + a)
c Zeit uai, wai englisch wife s Faß uo, wo englisch wall zh Dschungel ui, wei englisch way ch Tscheche üe, yue französisch fluet (einsilbig)
sh Schatten (nach j, q, x ohne Umlaut)
r (zwischen englischem r er englisch furry und französischem j) -i (in zi, ci, si) (der Konsonant wird verlängert) ng singen -i (in zhi, chi, ri) (Konsonant + Retroflexlaut, y Junge d. h. mit zurück-gebogener Zunge) w englisch way 4 3. Vokale + n oder ng an mahnen ang Drang ian, yan Jänner iang, yang englisch young uan, wan englisch w + an uang, wang englisch w + ang üan, yuan ü + an (einsilbig) ong Stimmung (nach j, q, x ohne Umlaut)
en lachen iong, yong jung un, wen englisch when eng Menge in, yin Sinn ueng, weng englisch w + eng ün, yun Düne ing, ying singen (nach j, q, x ohne Umlaut)
Quelle: angelehnt an Han De Cidian (Chinesisch-Deutsches Wörterbuch), Peking: Shangwu Yinshuguan (Handelsverlag), 1964.
II: Kurzer Führer durch die deutschsprachige Literatur
1. Allgemeines Joachim Schickel, Große Mauer, Große Methode, Annäherungen an China, Stuttgart 1968.
(Reisefeuilletons, sinologische und philosophische Essays) 2. Revolutionsgeschichte, Biographie Stuart R. Schram, Mao Tse-tung, Frankfurt 1969 (zur Zeit beste Mao Zedong-Biographie im Kontext der chinesischen Revolution, revidierte englische Originalausgabe Harmondsworth 1967).
Tilemann Grimm, Mao Tse-tung, Reinbek 1968 (Biographie und Revolutionsgeschichte in Kurzform). 3. Wirtschaftliche und sozioökonomische Entwicklung seit 1949 C. Bettelheim, H. Marchisio, J. Charriere, Der Aufbau des Sozialismus in China, München 1969 (Sozioökonomische und sozialpsychologische Voraussetzungen der kulturellen Umwälzungen, französische Erstausgabe Paris 1966).
Udo Ernst Simonis, Die Entwicklungspolitik der Volksrepublik China 1949 bis 1962, Unter besonderer Berücksichtigung der technologischen Grundlagen, Berlin 1968, Volkswirtschaftliche Schriften Heft 123.
Max Biehl, Die chinesische Volkskommune im „Großen Sprung" und danach, Hamburg 1965.
Jan Myrdal, Bericht aus einem chinesischen Dorf, München 1966, auch als dtv-Taschenbuch 591 (Bauern erzählen ihr Leben und die Revolution in ihrem Dorf der Provinz Shanxi, Sommer 1962; schwedisches Original Stockholm 1963). 4. Maozedongideen Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke I-IV, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur, 1968ff (Bände I bis III bereits erschienen).
Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, übersetzt und kommentiert von Tilemann Grimm, Frankfurt 1963.
Mao Tse-tung, 37 Gedichte, übersetzt und kommentiert von Joachim Schickel, Hamburg 1965, als dtv-Taschenbuch 442, 1967.
Das Rote Buch, Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur, 1967. Von Tilemann Grimm hrsg. Ausgabe Frankfurt 1967. Von Joachim Schickel wurde eine kommentierte Ausgabe für den Herbst 1969 angekündigt als Rowohlt-Taschenbuch 1150.
Stuart R. Schram, Die permanente Revolution in China, Dokumente und Kommentar, Frankfurt 1966 (französische Originalausgabe Paris 1963). 5. Große Proletarische Kulturrevolution Giovanni Blumer, Die chinesische Kulturrevolution 1965/67, Frankfurt 1968 (Mischung von Chronologie, Augenzeugen-und Dokumentarbericht).
Dieter Heinzig, Die Krise der Kommunistischen Partei Chinas in der Kulturrevolution, Hamburg 1969, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Nr. 27.
Kuo Heng-yü, Maos Kulturrevolution, Analyse einer Karikatur, Pfullingen 1968, Reihe „Politik in unserer Zeit" Nr. 10 (Biographische Interpretation der Rotgardistenkarikatur der Hundert Widerlichen Clowns, Chronologie der Kulturrevolution bis Sommer 1967). Klaus Mehnert, Maos Zweite Revolution, Stuttgart 1966 (Dokumente des Sommers und Herbstes 1966, dazu sowjetische, ostdeutsche und polnische Interpretation).
Klaus Mehnert, Peking und die Neue Linke, Stuttgart 1969 (Zugang zu Dokumenten der extrem linken Opposition).
Oskar Weggel, Die chinesischen Revolutionskomitees oder der Versuch, die Große Kultur-revolution durch Parzellierung zu retten, Hamburg 1968, Mitteilungen des Institutes für Asienkunde Nr. 25.
Nachtrag Nach Abschluß des Manuskriptes erschienen bzw. wurden angekündigt:
Joachim Schickel (Hg.), Mao Tse-tung, Der Große Strategische Plan, Dokumente zur Kultur-revolution, Voltaire Handbuch 3— 5, Berlin 1969 (Sammlung in der Peking Rundschau erschienener offizieller Texte von der Frühphase bis Oktober 1968).
Joachim Glaubitz (Hg.), Opposition gegen Mao, Abendgespräche am Yenshan und andere politische Dokumente, Olten und Freiburg 1969 (Materialien zur intellektuellen und militärischen Opposition, vgl. Anm. 23 und 30).
Hans Heinz Holz, Widerspruch in China, Politisch-philosophische Erläuterungen zu Mao Tsetung, Reihe Hanser Nr. 27.
Enrica Collotti Pischel, Die chinesische Kulturrevolutign, Probleme sozialistischer Politik Bd. 18 (Analyse einer engagierten Sozialistin).