I. Die Formation der Entspannungspolitik
I. Die Formation der Entspannungspolitik II. Die Konzeptionen der Großmächte zur Deutschland-und Ostpolitik von 1961 bis 1969 III. Die Konzeptionen zur Ostpolitik in der Bundesrepublik IV. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der Bundesrepublik V. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der DDR VI. Gegenwärtige Perspektiven INHALT 1. Kennedys „peace strategy" — wirtschaftliche und kulturelle Kontakte als Mittel der Deutschland-und Ost-politik 2. Wiedervereinigung durch Entspannung — „peaceful enga挠ٖ?
I. Die Formation der Entspannungspolitik II. Die Konzeptionen der Großmächte zur Deutschland-und Ostpolitik von 1961 bis 1969 III. Die Konzeptionen zur Ostpolitik in der Bundesrepublik IV. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der Bundesrepublik V. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der DDR VI. Gegenwärtige Perspektiven INHALT 1. Kennedys „peace strategy" — wirtschaftliche und kulturelle Kontakte als Mittel der Deutschland-und Ost-politik 2. Wiedervereinigung durch Entspannung — „peaceful enga挠ٖ?
Nach Beendigung der militärischen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in der Kuba-Krise im Herbst 1962 zeichnete sich ein Arrangement ab, das zum Abschluß des Moskauer Atomtestabkommens vom 5. August 1963 führte. Aus dem Bemühen der USA und der UdSSR, Konflikte auf der Grundlage des Status quo einzugrenzen und rational zu bewältigen, formierte sich die Politik der Entspannung. Im internationalen System verminderte sich die antagonistische Konfrontationspolitik der beiden Supermächte, indem die ideologischen Gegensätze durch eine primär interessenorientierte Handlungsweise zurückgedrängt wurden. Besonders die ungelösten Probleme der atomaren Rüstungskontrolle traten mehr und mehr in den Vordergrund, verbunden mit dem Versuch, eine Eskalation militärischer Auseinandersetzungen mit konventionellen Waffen zu vermeiden. So entstand ein Beziehungsfeld von gemeinsamen Interessen, das ein vorsichtiges Sondieren in den bestehenden fundamentalen Gegensätzen erlaubte. Dabei sollt ein verbessertes und vielfältiges Kommunikationssystem entwickelt werden, das den unkontrollierten Rüstungswettlauf beendet, die Entscheidungsfreiheit der Atommächte erhält und den Gegner nicht zur Alternative der Wahl zwischen einem demütigenden Rückzug und einem Atomkrieg zwingt. Das amerikanische Engagement in Vietnam und die innenpolitischen Belastungen einerseits, die Krise im Herrschaftsbereich der Sowjetunion andererseits, führten zu einer nachlassenden Intensität der Spannungen in Mitteleuropa.
In den internationalen Kontakten der Staaten bahnte sich eine ökonomische, kulturelle und technische Kooperation an, die den mittleren und kleineren Nationen der beiden Hemisphären eine größere Optionsfreiheit in ihrer Außenpolitik zu gewähren schien. Jedoch war die sowjetische Führung nicht bereit, eine Desintegration ihres Imperiums zuzulassen. Somit schließt eine bilaterale Verständigung zwischen den USA und der UdSSR nicht aus, daß sich die Fronten in den Kategorien des Status quo in Mitteleuropa verhärten. Die weltpolitischen Gegebenheiten lassen keine radikale Änderung beider Systeme zu, und es zeigt sich, „daß der scheinbar immobile Status quo, auf den sich die Entspannung gründete, von sich aus nicht stabil genug war, um den Widersprüchen in der Politik der beteiligten Mächte ihre Schärfe zu nehmen"
Zunächst ist es notwendig, den in unterschied licher Weise unreflektiert benutzten Begriff Entspannung näher zu umreißen, um ihm den Charakter einer beliebig austauschbaren politischen Leerformel zu nehmen. Primär kennzeichnet Entspannung einen erwünschten Zustand, eine Lage, in der die Spannung in der internationalen Politik beseitigt und ein dauerhafter Friede erreicht worden ist
Die Entspannung soll dazu benutzt werden, die Überwindung oder Milderung der deutschen Teilung durch eine langfristig konzipierte Politik und nicht durch eine kurzfristige Wandlung des Sowjetblocks zu erreichen. A. Levine verwendet in seinem Buch „The Arms Debate"
(Cambridge 1963) die Begriffe . marginal'und systemic. „Unter . marginal'versteht Levine die langsame Verfolgung eines langfristigen Ziels durch kleine Schritte; . systemic'bedeutet dagegen für ihn einen grundlegenden Wandel im bestehenden System."
II. Die Konzeptionen der Großmächte zur Deutschland-und Ostpolitik von 1961— 1969
1. Kennedys „peace strategy" — wirtschaftliche und kulturelle Kontakte als Mittel der Deutschland-und Ostpolitik
Für die USA als Führungsmacht des Westens ist die deutsche Teilung nur eine, wenn auch sehr wesentliche Komponente des Gesamtproblems der Ost-West-Auseinandersetzung. Mit dem Beginn der Kennedy-Admipistration 1961 löste sich die amerikanische Außenpolitik aus dem Denken der antagonistischen Bipolarität, indem Präsident Kennedy die Überprüfung der Einstellung zum Kalten Krieg forderte
In der Folge definierte Außenminister Dean Rusk drei Zielsetzungen gegenüber der kommunistischen Staatenwelt: erstens eine Containment-Politik gegen die Versuche, den kommunistischen Herrschaftsbereich auszudehnen, zweitens Arrangements, welche die Gefahr eines vernichtenden Krieges verringern und drittens Förderung von Strömungen im Ostblock, „[... ] die nach einer Entwicklung in Richtung auf größere nationale Unabhängigkeit, friedliche Zusammenarbeit und offene Gesellschaften tendieren"
Die flexible Deutschland-und Ostpolitik wurde von Dean Rusk und Präsident Johnson weitergeführt, während der Fragenkomplex der Rüstungskontrolle immer mehr in den Vordergrund rückte. Die amerikanischen Diplomaten versuchten, die Politik der Entspannung mit der Lösung des Deutschlandproblems zu verbinden. Johnson betonte in seiner Rede vom 31. Mai 1964, in der er das „BrückenschlagsKonzept" formulierte, „[. . . ] daß eine kluge und geschickte Entwicklung der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas uns schneller dem Tag näherbringt, an dem Deutschland wiedervereinigt sein wird"
Die amerikanische Entspannungspolitik belastete teilweise die Beziehungen zu den Verbündeten der USA
Allerdings kam es zu Differenzen über die Prioritäten der Entspannungspolitik, ob die Wiedervereinigung durch Entspannung (USA)
oder Entspannung durch Wiedervereinigung (BRD) zu erreichen sei. Die letztgenannte Ansicht wurde bekräftigt durch eine Stellungnahme des geschäftsführenden Vorsitzenden der CDU, „[... ] oberstes Anliegen sei die deutsche Wiedervereinigung. Ohne sie könne in Europa die Spannung nicht nachlassen"
Im gleichen Zeitraum, als die Intensität der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in Europa nachließ, entwickelte De Gaulle im Schatten der Weltmächte eine eigenwillige Europa-und Ostpolitik. Die außenpolitischen Initiativen des französischen Staatspräsidenten zielten darauf ab, den Führungsanspruch der USA im westlichen Bündnis zurückzudrängen
en von den ost-und westeuropäischen Staaten ergriffen und deren Lösungen dann von den eiden Führungsmächten der Blöcke garantiert werden
De Gaulle strebte die Führung Frankreichs in inem geeinten Europa an, das nicht nur das Niedervereinigte Deutschland, sondern auch Dsteuropa einschließlich der Sowjetunion um-assen sollte. Um den Machtzuwachs eines Niedererstarkten Deutschlands zu neutralisieen, war an eine enge Zusammenarbeit zwiichen Frankreich und der Sowjetunion gelacht
tönnte eine Lösung heranwachsen. Im Gegen-
atz zu den USA setzte sich de Gaulle eindeutig ür eine Anerkennung der gegenwärtigen Grenzen in Europa ein, dabei bezeichnete er lie Wiedervereinigung Deutschlands als einen röllig legitimen Anspruch des deutschen Volles, „[. . . ] vorausgesetzt, daß diese Wieder-Vereinigung die gegenwärtigen Grenzen im Westen, Osten, Norden und Süden nicht in Frage stellt und vorausgesetzt, daß das wiedervereinigte Deutschland beabsichtigt, sich eines Tages in eine vertragsmäßige Organisation ganz Europas für die Zusammenarbeit, für Freiheit und Frieden zu integrieren"
Die Wiedervereinigung ist in diesem Konzept das Resultat eines historischen Prozesses, dessen Verwirklichung in ferner Zukunft liegt. Bis zur Erreichung dieses Ziels empfahl de Gaulle die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu den Ostblockstaaten und die Vervielfachung praktischer Schritte zwischen den beiden getrennten Teilen des deutschen Volkes
Die Entspannungspolitik der Westmächte besitzt eine gemeinsame Basis, obwohl Ziele und Methoden differieren; deutlich unterscheidet sich dagegen die sowjetische Konzeption. Die Entspannungsphase wird zur angespannten Auseinandersetzung „des ökonomischen, politischen und ideologischen Kampfes"
In der sowjetischen Deutschlandpolitik läßt sich ein Wechsel von Spannung und Entspannung beobachten, der nicht auf einer prinzipiellen Umorientierung beruht, sondern taktische Züge aufweist
b) Anerkennung der DDR als zweiten souveränen deutschen Staat;
c) Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches der Bundesregierung;
d) Anerkennung West-Berlins als besondere politische Einheit, die nicht zur Bundesrepublik gehört;
e) keine Verfügungsrechte der Bundesregierung über Kernwaffen.
Diese Auffassung hat die UdSSR in zahlreichen Noten und Memoranden zum Ausdruck gebracht. Sie ist ebenso Bestandteil der Vorschläge zu einer europäischen Sicherheitskonferenz der Warschauer-Paktstaaten vom 13. März 1969 sowie des Themas Gewaltverzicht und Berlinproblem im Aide-memoire vom 12. September 1969
Um die Prager Invasion vor der Weltöffentlichkeit und im eigenen Lager theoretisch zu rechtfertigen, wurde die „Breschnjew-Doktrin" lanciert, nach der die nationale Souveränität den Belangen der sozialistischen Gemeinschaft unterzuordnen sei. Im kommunistischen Herrschaftsbereich sind „die Gesetze und Normen des Rechts [. . . ] den Gesetzen des Klassenkampfes, den Gesetzes der gesellschaftlichen Entwicklung untergeordnet"
III. Die Konzeptionen zur Ostpolitik in der Bundesrepublik
1. Die Konzeption der Annäherung a) Schröders Politik der Bewegung — Normalisierung der Beziehungen zu Osteuropa Zur gleichen Zeit, als sich eine amerikanische Außenpolitik in Richtung engerer Kontakte zu Osteuropa abzeichnete, bemühte sich Gerhard Schröder verstärkt — seit dem Regierungsantritt Erhards im Oktober 1963 — um eine vorsichtige Neuorientierung einer deutschen Osteuropapolitik. Die Wiedervereinigung Deutschlands schien weitgehend, als langfristiges Ziel, von den zukünftigen Beziehungen der CSSR und Polens zur Sowjetunion und zur Bundesrepublik abzuhängen. Die Bundesregierung sollte bei der Ausgestaltung dieser Beziehungen eine konstruktive Rolle spielen
Die deutsche Wirtschaft hatte im Laufe der Zeit durch persönliche Kontakte ihre traditionellen Märkte im Osthandel teilweise wieder aufgebaut. Diese Beziehungen wurden gefördert und wirksam vertreten durch den 1952 auf Anregung der Bundesregierung gegründeten Ostausschuß der deutschen Wirtschaft, dessen Vorsitzender in direktem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium steht. Eine Liberalisierung des Osthandels wurde durch die politischen Sondierungen der Bundesregierung erreicht und somit eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Außenhandelsmonopolen der Ostblockstaaten ermöglicht. In den Grenzen der außen-und sicherheitspolitischen Zielsetzungen gelang es, in Polen 1963, in Rumänien, Ungarn und Bulgarien 1964, Handelsmissionen einzurichten. Diese Ostpolitik wurde durch einen Beschluß des Bundestages vom 14. Juni 1961 eingeleitet, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Beziehungen zur UdSSR und Osteuropa gemeinsam mit den Verbündeten zu normalisieren. Um ein wiedervereinigtes Deutschland herbeizuführen, sollte „die Bundesregierung jede sich bietende Möglichkeit ergreifen, um ohne Preis-gabe lebenswichtiger Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staa-ten zu gelangen, den weiteren Ausbau der bestehenden Beziehungen zu diesen Staaten auf wirtschaftlichem, humanitärem, geistigem und kulturellem Gebiet anzustreben [. . . ]"
Die FDP als der kleinere Koalitionspartner plädierte weitgehend für eine flexible Han-dels-und Wirtschaftspolitik einschließlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten
Getragen von dem Streben nach außenpolitischer Profilierung unterstützte die SPD teilweise Schröders Kurs. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, sah in der Politik der Entspannung ein Instrument, um den erstarrten Dialog in der Deutschland-frage zu lösen. Eine differenzierte und vorsichtige Politik sollte eine Kooperation mit den Ostblock-Ländern ermöglichen. „Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die osteuropäischen Staaten gegen die Sowjetunion auszuspielen. Unser Ziel muß es jedoch sein, zu diesen Völkern in ein Verhältnis der vertraglichen Nachbarschaft zu kommen."
„Wir können einwirken und helfen durch Kontakte, Mitanwesenheit und Anteilnahme."
Ohne prinzipielle Positionen aufzugeben, wäre die Bundesrepublik bereit, „über Deutschland als Ganzes zu sprechen, allen Nachbarn Sicherheit zu geben, den östlichen Völkern ökonomisch zu helfen und über vieles mit uns reden zu lassen"
Unter der Leitung Schröders blieb die deutsche Ostpolitik weitgehend von der Wiedervereinigungspolitik getrennt, wobei der Alleinvertretungsanspruch unterhalb der Botschafterebene flexibel angewandt wurde. Die westliche Einheit, das Engagement der USA in Europa und die Integration der ostpolitischen Bemühungen in entsprechende Maßnahmen der Westmächte bildeten die notwendigen Bedingungen für eine allmähliche Entspannung. Auf dem außenpolitischen Sektor habe sich gezeigt, „[. . . ] daß gerade für uns als Bundesrepublik Deutschland jede realistische Ostpolitik im Westen beginnt und in möglichst viel westliche Gemeinsamkeit eingebettet sein muß"
Der Austausch von Gewaltverzichtserklärungen sollte dazu beitragen, Angst und Mißtrauen abzubauen. Dabei wurde der Versuch, die DDR durch die Ostpolitik zu isolieren, aufgegeben, denn das ursprüngliche Angebot in der Friedensnote der Regierung Erhard vom März 1966 schloß die DDR noch aus
In der Osteuropapolitik wurden jedoch einige substantielle Fortschritte erzielt, die ihren Niederschlag in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen fanden: zu Rumänien 1967, Wiederaufnahme zu Jugoslawien 1968 und die Errichtung einer Handelsmission in der CSSR 1967. Auch nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei gibt es keine rationale Alternative zur Politik der Entspannung
Obwohl der Brückenschlag nach Osten nur teilweise gelungen ist, konnte die Bundesregierung ihren Handlungsspielraum erweitern und differenzierte Beziehungen zu den osteuropäischen Nationen aufbauen. Da die deutsche Ostpolitik auf langfristige Veränderungen im internationalen Beziehungssystem hinarbeitet, gehört es „zu den Grundprinzipien außenpolitischen Handelns, eine als richtig erkannte Politik auch über lange Fristen hinweg konsequent weiterzuverfolgen"
IV. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der Bundesrepublik
1. Respektierung der DDR a) Politik der kleinen Schritte Die entspannungspolitische Richtung, die sich im Laufe der Zeit deutlich von dem unbeweglichen Kategorienschema der Bipolarität in der Ostpolitik absetzte, findet ihre Entsprechung in den unterschiedlichen Strategien zur Deutschlandpolitik. Die Befürworter dieser Anschauung legen ihre Argumente, die sich nicht einer Partei unverwechselbar zuordnen lassen, in einer vielfältigen und nuancierten Weise dar. Parteitaktische und innenpolitische Rücksichtnahmen zwingen die Politiker dazu, sich nicht in allen Detailfragen eindeutig zu exponieren. Dennoch zeichnen sich zwei große Alternativen in der Wiedervereinigungspolitik ab: „Lösung der Teilungsfrage durch Liquidierung oder durch Respektierung der DDR."
Die ersten Anzeichen einer Kooperationsbereitschaft deuteten sich am Ende der Ära Adenauer an. Bundeskanzler Adenauer hatte am 6. Juni 1962 in einer Unterredung mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow der UdSSR gegen menschliche Erleichterungen in der DDR einen „Burgfrieden" auf zehn Jahre angeboten
Entgegen den Erwartungen der unmittelbaren Nachkriegszeit scheint die Wiedervereinigung nur noch als langfristiges Ziel einer Entspannungspolitik möglich zu sein. Kleine praktische Schritte sollen zur Kooperation mit der DDR führen und das Verhältnis zueinander normalisieren. Die wichtigste Grenze dieser flexiblen Politik ist die völkerrechtliche Nichtanerkennung der DDR
In den Auseinandersetzungen um die Berliner Passierscheinregelungen betonten die Befürworter den Kompromißcharakter solcher Vereinbarungen. Priorität kam dem Aspekt der menschlichen Erleichterungen zu und nicht den juristischen Argumenten.
Viele Theoretiker und Politiker verweisen auf den gesamteuropäischen Zusammenhang einer Europas Annäherung der beiden Teile und der Wiedervereinigungsfrage. So stellte schon Heinrich von Brentano 1963 im Deutschen Bundestag fest, „ [. . . ] daß der Weg zur Wiedervereinigung über die Einigung Europas führt"
Auch die innerparteiliche Diskussion hat im Streit der Parteien über die Anerkennungsfrage zugenommen. Im März 1969 forderten die Delegierten der SPD Hessen-Süd auf ihrem Parteitag in Frankfurt „normale Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gleichberechtigte, souveräne Staaten deutscher Nation"
Bis Ende 1963 erfolgten drei Angebote des Berliner Senats an Ost-Berlin: Am 16. November 1961 wurden zur Erleichterung des innerstädtischen Verkehrs West-Berliner Kontakt-beauftragte angeboten, im November 1962 Verhandlungen über die Treuhandstelle des Interzonenhandels vorgeschlagen. Außerdem unterstützte der Berliner Senat eine Anregung des Roten Kreuzes vom Frühjahr 1963, Gespräche zwischen Juristen beider Seiten einzuleiten, um die Beziehungen mit Ost-Berlin zu verbessern
Nach langen Beratungen wurde Dr. Leopold beauftragt, die Gespräche für die Bundesregierung zu führen. Jedoch lehnte H. Behrendt, Leopolds Interzonenhandelspartner, die Gesprächsführung auf dieser Ebene ab. Nach neuen Konsultationen wurde von westlicher Seite Senatsrat H. Korber benannt. Die DDR schlug ihrerseits am 11. Dezember 1963 Staatssekretär E. Wendt vor und nannte als ersten Gesprächstermin den 12. Dezember 1963. Insgesamt, fanden sieben Besprechungen statt. Dabei war die Formulierung des Protokolls wegen der gegensätzlichen Rechtspositionen ein schwieriger Verhandlungspunkt. Nachdem im Protokoll festgehalten worden war, daß über Orts-, Behörden-und Amtsbezeichnungen keine erzielt
Die DDR war in den schwierigen Verhandlungen ständig darauf bedacht, die rechtlichen Argumente der westlichen Verhandlungsseite zu torpedieren. „Indem aber nicht zwischen Sendboten des Westberliner Senats und des Ostberliner Magistrats, sondern der Regierung der DDR verhandelt wird, kann die Gegenseite dies als Argument für ihre Theorie von den drei deutschen Staaten buchen [. . . ] Der Westen akzeptiert auf ostdeutscher Seite einen Staatssekretär als Partner; von Mal zu Mal wird es schwieriger, nur von einfachen technischen Kontakten zwischen Beauftragten zu sprechen."
Das letzte Passierscheinabkommen wurde am 7. März 1966 unterzeichnet. Die letzte noch tätige Institution aus den Passierscheinverhandlungen ist nur noch die „Härtestelle für dringende Familienangelegenheiten". „Die DDR hat natürlich großes Interesse daran, diesen für sie positiven Musterfall am Leben zu erhalten; gleichzeitig ist sie an der Existenz einer Dienststelle in Westberlin interessiert, in der Repräsentanten der DDR unmittelbar tätig sind."
Während es im März 1966 zu einer Kontroverse zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung über die Einbeziehung der „salvatorischen Klauseln" in die Passierschein-vereinbarungen kam, setzte sich in Ost-Berlin derjenige Flügel durch, welcher auf grundsätzliche Entscheidungen in der Deutschland-politik drängte
Im Februar 1969 kam es zu Auseinandersetzungen um den Wahlort des neuen Bundespräsidenten. Ost-Berlin und Moskau boten ein Tauschgeschäft auf der Grundlage Bundesversammlung gegen Passierscheine an. Die Bundesregierung forderte ein längerfristiges Abkommen und konnte die zu erwartende Ablehnung politisch durchstehen, „[... ] da in Berlin keine psychologische Situation bestand, die einen Ruf nach Passierscheinen Begünstigte. Der Wunsch nach Besuchsmöglichkeiten hat nicht mehr die Durchschlagskraft, die er nach dem Mauerbau einmal besessen hat. Dazu haben Rentnerbesuche und Passierscheine für Härtefälle wesentlich beigetragen."
I. Maßnahmen zur Erleichterung des täglichen Lebens für die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands, sowie a) verbesserte Reisemöglichkeiten, vor allem für Verwandte, mit dem Ziel der Entwicklung eines normalen Reiseverkehrs; b) Passierscheinregelungen in Berlin und zwischen den Nachbargebieten beider Teile Deutschlands; c) Erleichterungen des Zahlungsverkehrs durch innerdeutsche Verrechnung und beiderseitige Bereitstellung von Reise-zahlungsmitteln ; d) Erleichterung des Empfanges von Medikamenten und Geschenksendungen; e) Ermöglichung der Familienzusammenführung, insbesondere der Kinderrückführung.
II. Maßnahmen zur verstärkten wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zusammenarbeit, wie a) Ausweitung und Erleichterung des innerdeutschen Handels, dazu auch öffentliche Bürgschaften und Einräumung von Kreditlinien; b) Austausch zwischen den beiderseitigen Energiemärkten, Herstellung einer rationellen Elektrizitätsverbündwirtschaft; c) gemeinsamer Ausbau oder Herstellung neuer Verkehrsverbindungen: insbesondere Brücken, Autostraßen, Wasserstraßen, Eisenbahn; d) verbesserte Post-und Telephonverbindungen, insbesondere Wiederherstellung des Telephonverkehrs in ganz Berlin; e) Erörterung wirtschaftlicher und technischer Zweckgemeinschaften.
III. Rahmenvereinbarungen für den wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch, wie a) entbürokratisierter Verkehr zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten und wissenschaftlichen Gesellschaften; b) zeitgemäße Formen der wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit; c) schrittweise Freigabe des ungehinderten Bezuges von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen; d) Besuche von Jugendgruppen und Schulklassen; e) freier innerdeutscher Sportverkehr; f) freier Austausch und Verkehr kultureller Vereine und Institutionen.
Die Große Koalition sah die Deutschlandpolitik als Funktion und Bestandteil einer europäischen Entspannungspolitik und eines geregelten Nebeneinanders in Deutschland an. In zahlreichen öffentlichen Erklärungen betonte sie immer wieder ihre grundsätzliche Gesprächsbereitschaft. Jedoch kam für sie „die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation [. . . ] nicht in Betracht"
Durch die Besetzung der CSSR am 21. August 1968 kam das von Ulbricht angebotene Treffen zwischen den Wirtschaftsministern Solle und Schiller nicht zustande. Doch nach langwierigen Verhandlungen zwischen Kleindienst und Behrend wurden am 6. Dezember 1968 die Interzonenhandelsvereinbarungen auf eine neue Grundlage gestellt. Die Bundesrepublik zahlt danach 120 Millionen Mark als Ausgleich für Erlösminderungen bei Mineralöllieferungen an die DDR, erhöht die Maschinenlieferungen, erweitert den Kreditrahmen und verzichtet auf den zur Jahresmitte üblichen Salden-ausgleich im Warenverkehr
Die Bereitschaft der Großen Koalition, das Verhältnis zur DDR zu normalisieren, blieb zwangsläufig nicht unumstritten. Besonders einige Spitzenpolitiker der CDU/CSU warnten vor einer Anerkennung der DDR. Bundeskanzler Kiesinger stellte in einer Erklärung über die Lage der Nation'am 17. Juni 1969 fest: „Eine Anerkennung [der DDR] würde Unrecht als Recht bestätigen und gegen den allgemein anerkannten Grundsatz der Selbstbestimmung verstoßen."
Bedenklich erscheint den Vertretern diese Richtung der lokal begrenzte deutsche Beitra zur Entspannung. Die „Politik der kleine Schritte" wird entschieden abgelehnt. Gewal anwendung als Mittel zur Überwindung de deutschen Teilung wird sowohl für die Kor zeption der Respektierung als auch der Umge staltung der DDR als irrelevant angesehei Eine Ausnahme bilden die Ausführungen vo Hans-Georg von Studnitz, Redaktionsmitglie der Wochenzeitung . Christ und Weit’, der di Wiedervereinigung in Frieden und Freihei als „contradictio in adjecto"
Eine einflußreiche Gruppe innerhalb der CDU CSU lehnt die Respektierung der DDR ab un warnt vor den unabsehbaren Folgen eine Anerkennung der Ost-Berliner Regierun „Eine Anerkennung würde im Gegenteil ein Vertiefung der Spaltung Deutschlands bewii ken [. . . ] Wir würden ein Regime legitimie ren, das eine demokratische Legitimatio: durch den von ihm beherrschten Teil Deutsch lands nicht besitzt und sich nur auf die fremd Besetzung gründet [. . . ] Anerkennung hieß Rivalität, Gegensätze und Hegemonie verfe stigen; hieße Gräben zementieren statt sie zu zuschütten."
In den Berliner Passierscheinabkommen sahen die Gegner der „Politik der kleinen Schritte" die Gefahr einer Aufwertung der DDR, besonders im Hinblick auf die afro-asiatischen Länder. Es würde dort, der Eindruck entstehen, daß das deutsche Problem gelöst sei und daß sich die Deutschen selbst mit ihrer Teilung abgefunden hätten. Bilaterale Verhandlungen mit der DDR förderten die Hinnahme der „Drei-Staaten-Theorie" und gefährdeten den Rechtsstatus Berlins. Die Führungsgremien der Berliner CDU und Teile der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion verwahrten sich gegen die Verlagerung der Vereinbarungen von der kommunalen auf die Regierungsebene. Kleine und pragmatische Schritte in der Deutschlandpolitik wurden als aussichtslos betrachtet, denn „im gleichen Maße, indem versucht wird, durch kleine Regelungen erträgliche Verhältnisse in Berlin zu schaffen, geht der Wille verloren, sich für die Lösung der großen Fragen der deutschen Politik noch kräftig einzusetzen"
V. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der DDR
a) Alleinvertretungspolitik und Integration der DDR in den Ostblock Eng verbunden mit dem Ziel der völkerrechtlichen Anerkennung in den innerdeutschen Beziehungen ist die Politik der DDR gegenüber der westlichen Staatenwelt. Sie bemüht sich, als zweiter souveräner Staat internationale Geltung zu erlangen. Im Zuge einer dynamischen Außenpolitik zu den westeuropäischen Staaten Frankreich, Großbritannien, Belgien, Italien und Österreich sollen die Handelsbeziehungen intensiviert und die außen-politischen Vorstellungen verdeutlicht werden. Dadurch gewinnt die DDR auch im Westen an wirtschaftlicher Bedeutung und entwickelt sich zu einem politischen Faktor, der nicht übergangen werden kann
Ein erster spektakulärer Durchbruch gegen die Wirksamkeit der „Hallstein-Doktrin" gelang der DDR durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kambodscha, Syrien, Südjemen, Ägypten, dem Irak und Sudan. Besonders im Nahen Osten wurde die feindliche Haltung der DDR zu Israel honoriert. Da die arabischen Staaten weitgehend von der sowjetischen Militärhilfe abhängig sind, blieb eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR als politische Gegenleistung nicht aus. Die Regierung in Ost-Berlin bemüht sich nun, Indien und Finnland zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu bewegen. Das konsequent verfolgte strategische Ziel, zu internationaler Reputation zu gelangen, bedingt auch eine Konzentration auf die Aufnahme in die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, in denen Deutschland bisher allein durch die Bundesrepublik repräsentiert ist. Als eine besonders „raffinierte Form des westdeutschen Imperialismus" wurde die Ostpolitik der Großen Koalition bezeichnet. Walter Ulbricht erklärte vor dem Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau am 12. November 1969, nur wenn die Bonner Regierung auf ihre Vorbedingungen, vor allem auf die Alleinvertretungsanmaßung, verzichtet, kann der Weg zur Entspannung freigemacht werden"
Die Entspannungspolitik der Bundesregierung beabsichtige, die einzelnen Staaten aus der sozialistischen Staatenwelt herauszulösen und die DDR zu liquidieren. „Auf das sozialistische Weltsystem als Ganzes gerichtet, verfolgt die . flexible Ostpolitik'eine Strategie der Vereinzelung der Außenpolitik der sozialistischen Staaten. Das findet seinen Ausdruck in der Parole von der Förderung einer . größeren Unabhängigkeit der osteuropäischen Länder'. Damit ist nicht etwa die Unabhängigkeit vom Imperialismus und seinen Monopolvereinigungen gemeint, sondern die Erschütterung der festen Solidarität der sozialistischen Staaten untereinander, der wirksamen Garantie ihrer nationalen Unabhängigkeit."
Sowjetunion, die erzwungene Teilung zu stabilisieren und zu legitimieren.
Die Forderung nach Anerkennung der DDR besteht eigentlich schon seit ihrer Gründung und ist oft in vielen modifizierten Formen vorgetragen worden. Bis 1964 wurden der Bundesregierung zum Teil noch Lösungen angeboten, die eine solche direkte Forderung umschrieben. Das vorgeschlagene 7-Punkte-Abkommen Walter Ulbrichts vom 15. Januar 1963 sprach noch von der „Respektierung der Existenz" statt von der völkerrechtlichen Anerkennung
Im staatlichen Eigenverständnis der DDR hat sich eine Art umgekehrte „Hallstein-Doktrin" entwickelt; die daraus resultierende national-politische Zielsetzung führt von der angestrebten Anerkennung der Zweistaatlichkeit zum Alleinvertretungsanspruch der DDR: „[... ] Wer spricht noch von der Hallstein-Doktrin? Es geht gar nicht mehr um einen Alleinvertretungsanspruch der Bonner Regierung. Sie hat überhaupt kein Recht, für die Nation zu sprechen. Wir, die DDR, erheben diesen Anspruch."
Der von Walter Ulbricht am 7. Februar 1966 begonnene „offene Briefwechsel" zwischen der SED und SPD schien eine Möglichkeit anzubahnen, daß Vertreter der SPD und SED jeweils gemeinsam auf Parteiveranstaltungen in der Bundesrepublik und in der DDR sprechen konnten
VI. Gegenwärtige Perspektiven
Die Teilung des Deutschen Reiches ist das Ergebnis einer Politik, die 1933 begann und 1949 ihren Abschluß fand. Das Deutschlandproblem entwickelte sich zu einer Erscheinungsform der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR einerseits und der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Machtsphären andererseits. Keine der vorgeschlagenen Lösungen von westlicher oder östlicher Seite konnte eine Wiedervereinigung realisieren. Da die Beziehungen der Staaten untereinander nicht eine statische, unveränderbare Größe im internationalen System darstellen, haben sich durch den Abbau der gegnerischen Bipolarität in der Weltpolitik die Bedingungen des inter120 nationalen Systems, die Haltungen der Regierungen und Menschen geändert.
Die deutsche Frage verlor von Jahr zu Jahr immer mehr an Bedeutung auf internationalen Konferenzen. Obwohl sie heute primär unter dem Aspekt des Verhältnisses der beien deutschen Staaten zueinander gesehen wird, ist sie dennoch mit den Interessen der Großmächte unlösbar verbunden. Entgegen den Erwartungen erfüllte sich die Wiedervereinigung in , Frieden und Freiheit'nicht. Die Konzeptionen von der Fortdauer des Kalten Krieges und der Umgestaltung des politischen Systems der DDR erwiesen sich als nicht reali-sierbar. Die Durchführung der Absicht, in der Präambel des Grundgesetzes die demokratischen Prinzipien in ganz Deutschland durchzusetzen, scheiterte an den machtpolitischen Gegebenheiten, die seit 1945 in Mitteleuropa im großen und ganzen konstant geblieben sind.
Seit Beginn der sechziger Jahre entwickelte sich die Politik der Entspannung, die auf eine differenzierte Kooperation und Annäherung der beiden weltpolitischen Lager hinarbeitet.
Der eigenständige deutsche Beitrag zu dieser Politik ist, die Elemente des Konfliktes zwischen der Bundesrepublik einerseits und Osteuropa und der DDR andererseits zu isolieren und gemeinsame Interessengrundlagen zu finden. In jedem Falle bleibt dies eine vordringliche Aufgabe der deutschen Außenpolitik, ob sie nun mit der entspannungspolitischen Strategie primär das nationalpolitische Ziel — die Wiedervereinigung — oder eine europäische Friedensordnung erreichen will.