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Zwanzig Jahre DDR-Verfassungsrecht | APuZ 43/1969 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 43/1969 Der Einfluß der DDR auf die Deutschland-Politik der Warschauer-Pakt-Staaten Zwanzig Jahre DDR-Verfassungsrecht Ostpolitik als Mittel der Deutschlandpolitik

Zwanzig Jahre DDR-Verfassungsrecht

Dietrich Müller-Römer

Am 7. Oktober 1949 beschloß der „Deutsche Volksrat''auf seiner 9. Tagung in Ost-Berlin ein Gesetz, dessen Artikel lautete: „Die Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik konstituiert sich Zusammensetzung in der des vom Dritten Deutschen Volkskongreß am 30. Mai 1949 gewählten Deutschen Volksrates aufgrund der vom Deutschen Volksrat am 19. März 1949 beschlossenen, vom Dritten Deutschen Volkskongreß am 30. Mai 1949 bestätigten Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik." 1)

Damit war, ohne daß ein Wahlakt der Bevölkerung für eine Volksvertretung vorangegangen wäre, der Prozeß einer Neuorganisation der öffentlichen Gewalt in dem Teil Deutschlands, der das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone bildete, eingeleitet worden. Seit jenem 7. Oktober vor zwanzig Jahren gibt es also DDR-Verfassungsrecht

Die zwanzigjährige Entwicklung des DDR-Ver-fassungsrechts ist dadurch gekennzeichnet, daß sie mehr als achtzehn Jahre durch Setzung materiellen Verfassungsrechts neben und vielfach entgegen dem Wortlaut der Verfassungsurkunde erfolgte. Erst 1968 beendete die neue Verfassung diese Periode, indem die einschlägigen Regelungen in die formelle Verfassung übernommen wurden. Damit ist die Rezeption marxistisch-leninistischer Axiome und Rechtsinstitute auf verfassungsrechtlichem Gebiet abgeschlossen. Diese Transformation materiellen in formelles Verfassungsrecht verlieh der Verfassungsordnung der DDR insgesamt eine größere Transparenz und Stabilität. Die zwanzigste Wiederkehr des 7. Oktobers legt daher einen Rückblick auf die bisherige verfassungsrechtliche Entwicklung in der DDR nahe.

Die Entwicklung des DDR-Verfassungsrechts ist in der Bundesrepublik Deutschland bisher schon aufmerksam beobachtet und analysiert worden Dabei haben sowohl der politisch-historische Ablauf wie der verfassungstheoretische Ansatz als methodische Ordnungsprinzipien gedient Hier soll deshalb ein anderer Blickwinkel gewählt werden. Die Untersuchung geht nämlich von den Sachbereichen und Instituten aus, die im DDR-Verfassungsrecht eine normative Regelung erfahren haben, und verfolgt diese in ihrer zwanzigjährigen Entwicklung. Die historische Dimension vermittelt dabei zusätzliche „Tiefenschärfe", die den funktionellen Zusammenhang der Einzelregelungen besser erkennen läßt. Diesen Längsschnitten für einzelne Bereiche der Verfassungsordnung müssen allerdings des besseren Verständnisses wegen einige Ausführungen allgemeiner Art zum politischen Hintergrund und zur sowjetkommunistischen Verfassungstheorie, soweit beide die Ausformung des DDR-Verfassungsrechts mitgeprägt haben, vorausgeschickt werden.

I. Kommunistische Verfassungstheorie und Verfassungsentwicklung in der DDR

Der Umstand, daß sich Marx und Engels kaum über die Entwicklung nach der proletarischen Revolution geäußert haben, ließ den Marxisten einen weiten Raum für eigene Überlegungen. So haben Lenin und seine Anhänger eine auch verfassungsrechtlich wichtige Periodisierung der nachrevolutionären Epoche entwickelt Nach der kommunistischen Machtergreifung, die unabhängig von ihrem Verlauf stets als revolutionärer Akt verstanden wird, geht es nach dieser Auffassung in einer'ersten Phase darum, die Grundlagen der neu gewonnenen Macht zu sichern. Dazu gehören im politischen Raum die Beherrschung des „Staatsapparates" und die Ausschaltung der nichtkommunistischen Gruppen, mit denen die Kommunisten bis dahin die Macht teilen mußten. Im wirtschaftlichen Bereich werden in dieser Periode fast alle wichtigen Unternehmen entschädigungslos enteignet und in Staatseigentum überführt. Außerdem wird die gesamte Wirtschaft zentraler Planung, Lenkung und Kontrolle durch staatliche Behörden unterstellt. Auf diese Übergangsperiode, die von den DDR-Kommunisten als antifaschistisch-demokratisch bezeichnet wird, folgt die sogenannte sozialistische Periode, in der es gelte, die Grundlagen des Kommunismus als der endgültigen nachrevolutionären Gesellschaftsformation zu schaffen. Die zweite Periode sei in erster Linie dadurch gekennzeichnet, daß die Ausbeutung des arbeitenden Menschen beseitigt sei durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und das Prinzip verwirklicht werde: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung." Der Marxismus-Leninismus versteht unter Sozialismus also lediglich eines von mehreren nachrevolutionären Durchgangsstadien auf dem Wege zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft.

In Anlehnung an diese ideologisch bedingte Periodisierung sprechen kommunistische Juristen von sogenannten demokratischen und sozialistischen Verfassungen. Die nachrevolutionär-demokratischen Verfassungen unterscheiden sich nach dieser Auffassung von den sozialistischen hauptsächlich dadurch, daß in ihnen die gewaltsame Umformung der Sozialstruktur entsprechend den kommunistischen Zu-kunftsvorstellungen nicht verfassungsrechtlich verankert ist, weil diese im Zeitpunkt der jeweiligen Verfassungsgebung noch nicht abgeschlossen war. Infolgedessen finden sich darin noch keine Bestimmungen über das Macht-monopol der kommunistischen Partei und die zentrale Stellung des sozialistischen Eigentums. Die erste Verfassung der DDR aus dem Jahre 1949 wies genau diese Merkmale auf Das hatte seinen Grund darin, daß sie seinerzeit für ganz Deutschland konzipiert worden war, aus taktischen Gründen deshalb in ihren Formulierungen stark auf das Weimarer Vorbild zurückgriff und streckenweise Kompromißcharakter aufwies, weil darin auch Vorstellungen der CDU und LDP, die damals in beschränktem Maße noch eigener politischer Willensbildung fähig waren, enthalten waren Die Verfassung von 1949 ließ noch nicht erkennen, daß eine von mehreren politischen Parteien einen besonderen Führungsanspruch erhob und diesen verfassungsrechtlich verankert wissen wollte. Das Prinzip der Einheit der Staatsgewalt und das Blocksystem als zentralisierende Momente der politischen Willensbildung im gesellschaftlich-politischen Raum und für die Staatsorganisation zeigten dies jedenfalls nicht an, weil sie auch im Verfassungssystem einer pluralistischen Demokratie vorstellbar wären. Die erste DDR-Verfassung enthielt zwar einen eigenen Abschnitt zur Wirtschaftsordnung, der stark gemeinwirtschaftliche Züge trug, auch den staatlichen Wirtschaftsplan und das Volkseigentum erwähnte, aber die Funktionen beider als konstituierende Elemente einer kommunistischen Wirtschaftsordnung auf deutschem Boden noch nicht ohne weiteres erkennen ließ. Sie wies also lediglich Einbruchsstellen kommunistischen Rechtsdenkens zur Wirtschaftsverfassung auf, ohne jedoch dessen Gesamtkonzeption zu rezipieren.

Die zweite Verfassung der DDR ist dagegen schon ihrem Text nach eindeutig von kommu-nistischen Vorstellungen beherrscht. Nach kommunistischem Selbstverständnis soll sie die Vollendung des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR markieren. In Zukunft gelte es, das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus zu gestalten Die neue Verfassung stellt also den Schlußpunkt der Verfassungsentwicklung in der Übergangsperiode zum Sozialismus dar. Gleichzeitig soll sie aber das grundlegende Gesetz für die nächsten Jahrzehnte, also die sozialistische Periode sein. Sie ist somit gegenwärtige Ordnung und Programm für die Zukunft zugleich. Als sozialistischer Verfassung kommt ihr also die gleiche Bedeutung zu wie in der Sowjetunion der Verfassung von 1936 oder neuerdings den Verfassungen der Mongolei (1960), der Tschechoslowakei (1960), Jugoslawiens (1963) und Rumäniens (196. 5). Die Suprematie der SED

ist in der DDR-Verfassung von 1968 deshalb ebenso verankert wie die nachrevolutionäre Eigentumsordnung und Wirtschaftsweise, die als sozialistische Planwirtschaft mit gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln bezeichnet wird

Die Kommunisten in der DDR messen die bisherige Verfassungsentwicklung an den geschilderten Maßstäben. So verwundert es nicht, daß sie die dortige Verfassungsentwicklung als einen positiven Prozeß betrachten. Die sozialistische Verfassung bewerten sie deshalb als einen Fortschritt gegenüber der Verfassung von 1949. So meinte Ulbricht am 1. Dezember 1967: „Die Verfassung des Jahres 1949 hat uns und unserem sozialistischen Staat gute Dienste beim Voranschreiten in eine glückliche Zukunft und bei der Errichtung der Fundamente des Sozialismus geleistet. Die neuen Bedingungen unserer gesellschaftlichen Entwicklung, die wir uns selbst geschaffen haben, die neuen Aufgaben und die weiteren Horizonte der sozialistischen Gesellschaft und des sozialistischen deutschen Staates erfordern die neue Verfassung."

Diese „guten Dienste" konnte die Verfassung vom 30. Mai 1949 den DDR-Kommunisten nur leisten, weil diese von Anfang an die Verfassung nur teilweise verwirklichten, den Verfassungstext oft entgegen seinem Wortlaut und Sinn auslegten und ganze Teile der-Verfassung bald durch neue Gesetze gegenstandslos machten, ohne allerdings den Verfassungstext selbst zu ändern.

II. Die Fixierung des volksdemokratischen Prinzips

Als Volksdemokratie wird die DDR heute von den Kommunisten nicht mehr bezeichnet Trotzdem erscheint es gerechtfertigt, von einem volksdemokratischen Prinzip zu sprechen, weil damit zwei für das DDR-Verfas-sungsrecht grundlegende Aspekte aufgegriffen werden, die noch dazu sehr eng Zusammenhängen, nämlich die weltanschauliche Bindung aller öffentlichen Gewalt in der DDR und die Suprematie der SED.

Jede staatliche Verfassungsurkunde dient dazu, Regeln festzulegen, nach denen die politische Macht ausgeübt wird. Im freiheitlich-demokratischen Staat, wo sich verschiedene Parteien in regelmäßigen Abständen durch Wahlen darum bewerben, auf Zeit die politische Macht auszuüben, trifft die Verfassung auch Bestimmungen über einen geordneten Machtwechsel. Im kommunistisch regierten Staat ist dies anders. Dort gibt es keine Konkurrenz verschiedener Parteien um die Macht. Diese liegt vielmehr stets bei der kommunistischen Partei, weil angeblich allein sie die geschichtlichen Notwendigkeiten erkennen und verwirklichen kann

Von dieser weltanschaulich motivierten, besonderen Stellung der kommunistischen SED war zunächst im DDR-Verfassungsrecht nichts zu bemerken. Obwohl die Alleinherrschaft der SED in der DDR spätestens seit 1950 unangefochten war, fand sie erst 1957 in einem Gesetz verklausulierten Ausdruck und wurde offen sogar erst 1961 normiert Immer mehr ging man dazu über, Staatsorgane auch gesetzlich an Weisungen von SED-Dienststellen zu binden 1960 wurde durch einen nicht formell veröffentlichten Beschluß des Politbüros der SED mit Zustimmung des Ministerrates ein stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates ausdrücklich mit „der allseitigen Koordinierung und Kontrolle der Durchführung der Beschlüsse des Zentralkomitees der SED und des Ministerrates im Staatsapparat beauftragt und verantwortlich gemacht" Die Unterordnung des „Staatsapparates" unter die herrschende kommunistische Partei konnte kaum klarer ausgedrückt werden. In der zweiten DDR-Verfassung wurde diese durch die einfache Gesetzgebung bereits positivierte Suprematie der SED deshalb lediglich noch deklaratorisch normiert, wenn es in Art. 1 Abs. 1 heißt, die DDR sei „die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen".

Die Existenz anderer politischer Parteien und „sozialistischer Massenorganisationen" gefährdet heute die Suprematie der SED nicht mehr. Abgesehen davon, daß die nichtkommunistischen Parteien und die sogenannten Massenorganisationen die „führende Rolle" der SED in ihren jetzigen Statuten und Satzungen ausdrücklich anerkennen, bedient sich die SED zu deren Steuerung der „Nationalen Front des demokratischen Deutschland", in der nach Art. 3 der jetzigen Verfassung „das Bündnis aller Kräfte des Volkes seinen organisierten Ausdruck findet".

„Staatsapparat", nichtkommunistische Parteien und „Massenorganisationen" werden also gleichermaßen von der kommunistischen SED beherrscht und gesteuert. Sie bilden die drei Arten von Instrumenten, derer sich die SED zur Lenkung der Entwicklung in der DDR bedient. Diese organisatorische Struktur insgesamt wird dort heute wieder als „Diktatur des Proletariats" charakterisiert Dagegen war im April 1968 bei der Verabschiedung der zweiten DDR-Verfassung dieser Ausdruck im offiziellen Sprachgebrauch der DDR nicht üblich, weshalb er sich auch im Text dieser Verfassung nirgendwo findet.

An diesem Punkt wird der „volksdemokratische" Charakter der DDR sichtbar. Die Kommunisten verstehen darunter eine Form der sogenannten Diktatur des Proletariats, die sich von der sogenannten Sowjetdemokratie nur unwesentlich unterscheidet. Die bestehenden Unterschiede seien aus der Eigenart der historischen Situation zu erklären, unter denen die sogenannten Volksdemokratien entstanden sind Als unter Chruschtschow in der Sowjetunion davon gesprochen wurde, dort habe sich die Diktatur des Proletariats in einen Staat des gesamten Volkes verwandelt behauptete man auch in der DDR, diese befinde sich in einem entsprechenden Übergangsstadium Die inzwischen erfolgte Rückkehr zur Kennzeichnung als Diktatur des Proletariats wird man aber nicht als völlige Abkehr von diesem Volksstaatsgedanken ansehen können. Der Ausdruck „Volksstaat" wird zwar heute ebenso vermieden wie die Bezeichnung „Volksdemokratie". Alle drei Umschreibungen für den kommunistisch regierten „sozialistischen Staat" lassen aber erkennen, daß die herkömmlichen Begriffe Diktatur des Proletariats und Volksdemokratie heute mit dem Volksstaatsgedanken verschmolzen worden sind.

III. Wandlungen im Regierungssystem

Schon in der Verfassung von 1949 hatte der Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt Ausdruck gefunden. Art. 50 erklärte nämlich die Volkskammer zum „höchsten Organ der Republik", von dem alle anderen Staatsorgane abhängig seien. Damit war in der DDR die Konzentration aller gesamtstaatlichen Befugnisse in einer einzigen Spitze von Anfang an Verfassungsgrundsatz. Auch in der zweiten Verfassung wird die Volkskammer als „das oberste staatliche Machtorgan" bezeichnet (Art. 48). Außerdem wird das Prinzip der Gewaltenkonzentration für die Tätigkeit der Volkskammer als „Grundsatz der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung" in Art. 48 Abs. 2 angesprochen. Das Gewaltenteilungsprinzip und damit die Aufteilung der Macht im Staat auf verschiedene, prinzipiell getrennte „Teilgewalten" wie Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich so gegenseitig ausbalancieren und kontrollieren sollen, wird von den DDR-Kommunisten strikt abgelehnt Im System der einheitlichen Staatsgewalt der DDR findet deshalb lediglich eine Verteilung der unterschiedlichen öffentlichen Aufgaben auf verschiedene Staatsorgane nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten statt. Dies schließt andererseits nicht aus, daß ein und dasselbe Organ gesetzgeberische, vollziehende und rechtsprechende Befugnisse in sich vereinigen kann.

Dies war in der ersten Verfassung der DDR noch nicht durchgängig zu erkennen, wie das Beispiel der durch die Regierung erlassenen Rechtsvorschriften zeigt. Die Gesetzgebungskompetenz lag — abgesehen vom Fall des Volksentscheides — bei der Volkskammer (Art. 81). Eine Befugnis der Regierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen sah die Verfassung überhaupt nicht vor. Die Regierung konnte lediglich zur Ausführung der Gesetze der Republik allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 90). Trotzdem hat man im Schrifttum der DDR aus dieser Verfassungsbestimmung die Befugnis zur Normsetzung durch Regierungsverordnungen herzuleiten versucht Unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Verfassung setzte eine rege Verordnungstätigkeit der DDR-Regierung ein. Diese Rechtsverordnungen ergingen großenteils ohne Angabe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage Erst 1954 wurde der Regierung im Wege der einfachen Gesetzgebung generell das Recht zugesprochen, „auf der Grundlage der Beschlüsse und Gesetze der Volkskammer Verordnungen und Verfügungen zu erlassen" Inzwischen war die Zahl der Volkskammergesetze bereits weit hinter der der Regierungsverordnungen zurückgeblieben und sank auch später noch weiter ab 1958 wurde schließlich das abgeleitete Verordnungsrecht des Ministerrates zu einer originären Rechtssetzungsbefugnis ausgestaltet Erst 1968 ist dann die Wahrnehmung exekutiver und normativer Funktionen durch den Ministerrat als Ausfluß des Grundsatzes der Gewaltenkonzentration in den Art. 78 und 79 der zweiten DDR-Verfassung normiert worden.

Die Verlagerung weiter Teile der Norm-

setzungsbefugnis der Volkskammer auf andere Staatsorgane ist nur ein Beispiel für die Wandlungen im Regierungssystem der DDR seit 1949. Am bedeutsamsten war die Übertragung der politischen Regierungsaufgaben an ein neues Staatsorgan und dessen Ausgestaltung zu einer omnipotenten Zentralinstanz, die ihren effektiven Einflußmöglichkeiten nach allen anderen Staatsorganen übergeordnet ist.

Ursprünglich waren auch in der DDR die staatlichen Exekutivbefugnisse in der herkömmlichen Weise an der Spitze auf zwei Organe verteilt. Der Präsident der Republik sollte die mehr repräsentativen Aufgaben eines Staatsoberhauptes wahrnehmen, während die Regierung die eigentlichen politischen Entscheidungen zu treffen hatte In der Verfassungswirklichkeit wurden diese allerdings vielfach außerhalb dieses Gremiums im Politbüro der SED oder anfangs auch von politischen Instanzen der Besatzungsmacht getroffen. Durch mehrere Gesetze wurde seit 1950 die Regierung der DDR, die laut Art. 91 der ersten Verfassung aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern bestand, in ein Kollegium der obersten Behördenchefs verwandelt, das sich seit 1954 nur noch Ministerrat nennt Wichtige militärische Entscheidungsbefugnisse wurden Anfang 1960 dem Ministerrat entzogen und einem besonderen Gremium zugewiesen, dem Nationalen Verteidigungsrat Nach dem Tode Wilhelm Piecks, des seit 1949 amtierenden Präsidenten der DDR, wurde im September 1960 die Institution des Präsidenten abgeschafft und statt dessen nach einer (der im übrigen höchst seltenen) formellen Verfassungsänderung ein Staatsrat gebildet Dabei handelte es sich um ein Kollegialorgan, das aus dem Vorsitzenden, sechs Stellvertretern des Vorsitzenden, 16 einfachen Mitgliedern und einem Sekretär, also insgesamt aus 24 Personen bestand Diesem Gremium obliegt seither nicht nur die Wahrnehmung der üblicherweise einem Staatsoberhaupt zustehenden Befugnisse, sondern ihm sind durch diese Verfassungsänderung auch echte Regierungsfunktionen übertragen worden. Dies geschah zunächst nicht durch eine formelle Einschränkung des Aufgabenkreises des Ministerrates, der bisher im staatlichen Bereich ausschließlich Regierungsfunktionen wahrgenommen hatte, sondern durch die Verleihung paralleler Zuständigkeiten. So trat neben das Verordnungsrecht des Ministerrates ein gleichfalls sachlich unbeschränktes Recht des Staats-rates zum Erlaß von „Beschlüssen mit Gesetzeskraft". Auch besitzt der Staatsrat seither die Kompetenz, grundsätzliche Beschlüsse in Fragen der Verteidigung und Sicherheit zu fassen; grundsätzliche Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates bedürfen der Bestätigung durch den Staatsrat Damit war der Nationale Verteidigungsrat schon wenige Monate nach seiner Gründung praktisch nicht mehr dem Präsidium der Volkskammer, sondern dem Staatsrat unterstellt und in Bedeutung und Aufgabenkreis zugunsten des Staats-rateS eingeschränkt worden Die Verfassung von 1968 brachte nicht nur die Klarstellung, daß der Staatsrat mit Hilfe des Nationalen Verteidigungsrates • die Landesverteidigung organisiert (Art. 73 Abs. 1), sondern unterstellte ihm den Ministerrat auch formell. Dieser ist heute unter dem Staatsrat die oberste Verwaltungsspitze mit vorwiegend wirtschaftsleitenden Aufgaben. Insoweit ähnelt seine Stellung schon seit einigen Jahren stark der Deutschen Wirtschaftskommission, die von 1947— 1949 unter der sowjetischen Besatzungsmacht die deutsche Verwaltungsspitze für die SBZ bildete. Nach Art. 78 Abs. 2 der Verfassung von 1968 gehört es zu den Aufgaben des Ministerrates, wissenschaftlich begründete Prognosen auszuarbeiten, die Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus zu organisieren und die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft zu leiten. Dem Staatsrat als der eigentlich politischen Regierungsspitze stehen somit heute zwei mehr technisch-verwaltungsmäßig orientierte „Kabinette" zur Verfügung, nämlich der Ministerrat für allgemeine und Wirtschaftsangelegenheiten und der Nationale Verteidigungsrat für Militär-und Sicherheitsfragen.

Der Staatsrat hat auch bei der Rechtsetzung weitreichende Befugnisse. Er besitzt nämlich seit 1960 das Recht, Beschlüsse und Erlasse herauszugeben, die sofort rechtsverbindlich werden. Lediglich die Erlasse werden der Volkskammer später zur nachträglichen Bestätigung vorgelegt Uber dieses Recht zur eigenen Normsetzung hinaus kann der Staats-rat die Gesetzgebungsarbeiten der Volkskammer in hohem Maße beeinflussen, weil er Aufgaben wahrnimmt, die anderswo dem Parlamentspräsidium zustehen. In Vorbereitung der Volkskammertagungen behandelt der Staatsrat Gesetzesvorlagen und veranlaßt deren Beratung in den Volkskammerausschüssen (Art. 70 Abs. 1 Verfassung 1968). Da die Volkskammer während ihrer Wahlperiode nicht ständig oder regelmäßig tagt, sondern von Fall zu Fall einberufen wird, nahmen bis 1960 ihr Präsidium und einige ständige Ausschüsse zwischen den Tagungen die Aufgaben des Plenums wahr. Seither erfüllt der Staatsrat als Organ der Volkskammer zwischen deren Tagungen „alle grundsätzlichen Aufgaben, die sich aus den Gesetzen und Beschlüssen der Volkskammer ergeben" Seit diesem Zeitpunkt sehen die Geschäftsordnungen der Volkskammer keine ständigen Ausschüsse mehr vor. Auch beruft der Staatsrat die Tagungen der Volkskammer ein (Art. 70 Abs. 2 Verfassung 1968). Das Präsidium der Volkskammer ist daher heute nur noch ein Tagungspräsidium

Schließlich besitzt der Staatsrat auch wichtige Kompetenzen im Bereich der Rechtsprechung. Schon bei seiner Errichtung war ihm 1960 die Befugnis erteilt worden, allgemein verbindliche Auslegungen der Gesetze zu geben

Nach der Verfassung von 1968 gehört es zu den Aufgaben des Staatsrates, die Verfassung und die Gesetze verbindlich auszulegen, soweit dies nicht durch die Volkskammer selbst erfolgt (Art. 71 Abs. 3). Im Auftrag der Volkskammer nimmt der Staatsrat die ständige Aufsicht über die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzlichkeit der Tätigkeit des Obersten Gerichts und des Generalstaatsanwaltes wahr (Art. 74 Verfassung 1968). Daraus wird nicht nur gefolgert, daß das Oberste Gericht dem Staatsrat regelmäßig über die Entwicklung der Rechtsprechung zu berichten hat sondern auch, daß der Staatsrat dem Obersten Gericht den Erlaß von Richtlinien und Beschlüssen empfehlen kann

Damit konzentriert sich im Staatsrat und innerhalb dieses Gremiums bei dessen Vorsitzendem die politische Macht im „Staatsapparat", weil der Staatsrat in sich gesetzgeberische, vollziehende und rechtsprechende Befugnisse vereinigt. Dies entspricht den Vorstellungen der kommunistischen Verfassungslehre von der Gewaltenkonzentration. In der Personalunion zwischen Parteichef und Vorsitzendem des Staatsrats, wie sie gegenwärtig in der Person Ulbrichts gegeben ist, liegt eine zusätzliche Garantie für die reibungslose Übertragung des Willens der SED-Parteiführung auf den „Staatsapparat".

IV. Die Ausrichtung der Verwaltungsorganisation am Grundsatz des demokratischen Zentralismus

Nach der Verfassung von 1949 gliederte sich die DDR in fünf Länder, die ihre Angelegenheiten selbst ordneten und über die Länderkammer an der Gesetzgebung der Republik mitwirkten Innerhalb der Länder gliederte sich die Verwaltung in Kreise und Gemeinden, denen ihrerseits verfassungsrechtlich die kommunale Selbstverwaltung garantiert war Bereits 1952, nachdem die SED zuvor auf ihrer 2. Parteikonferenz den Beginn des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus proklamiert hatte, wurde diese territoriale Verwaltungsorganisation, wie sie in der Verfassung niedergelegt worden war, grundlegend geändert. Die Kreisgebiete wurden neu gegliedert und jeweils mehrere Kreise zu Bezirken zusammengefaßt Die bestehenden Landtage und Landesregierungen lösten sich daraufhin auf. Obwohl man vom Fortbestand der Länder ausging, waren diese durch den Wegfall aller Organe zumindest handlungsunfähig geworden. Die Länderkammer, durch welche die Länder an der Gesetzgebung der Republik beteiligt waren, wurde zunächst mit Mitgliedern der neu gebildeten Bezirkstage besetzt und erst einige Jahre später, Ende 1958, aufgelöst

Auch im kommunalen Bereich betrieb die SED eine Umgestaltung der Verwaltungsorganisation, in deren Verlauf entgegen der ausdrücklichen des Art. 139 der

Aufgabenbereich der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften immer mehr zusammenschrumpfte, bis schließlich diese Form mittelbarer Staatsverwaltung selbst verschwand. Die einschneidendste Einzelmaßnahme bei der Einengung des Wirkungskreises der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften bildete die Aufhebung der gemeindlichen Finanzhoheit - Dezember 1950 48 Mit der Einbezie hung der Städte und Gemeinden in den „einheitlichen Staatshaushalt" der DDR wurden diese völlig von den Finanzzuweisungen der Republik abhängig. Damit war bereits das Kernstück der kommunalen Selbstverwaltung beseitigt, wenn diese auch formell erst später aufgehoben wurde. Dies geschah in zwei Etappen. Kurz nach der staatlichen Neuordnung im Sommer 1952 wurde zunächst die Rechtsstellung der Stadtkreise abweichend von den Gemeindeordnungen des Jahres 1946 geregelt Den Abschluß der Neuregelung des Kommunalverfassungsrechts bildete schließlich das Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18. Januar 1957 (GBl I, S. 65). Damit wurden auch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden aus sich selbst verwaltenden Gebietskörperschaften, die sie bis dahin formell immer noch gewesen waren, zu territorialen Verwaltungseinheiten der einheitlichen und unmittelbaren Staatsorganisation.

Diese Entwicklung war von der SED unter Hinweis auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus betrieben worden. Mit diesem Schlüsselbegriff kommunistischer Organisationslehre ist vor allem gemeint, daß innerhalb eines Gesamtsystems zwischen verschiedenen Organen Uberund Unterordnungsverhältnisse in der Weise bestehen, daß die unteren Organe stets und unbedingt die Anordnungen der höheren Organe zu befolgen haben Der Einfluß der untergeordneten Organe auf die Willensbildung der übergeordneten Stellen beschränkt sich dabei praktisch auf die Unterbreitung von Vorschlägen. Organisationsrechtlich bedeutet das Prinzip des demokratischen Zentralismus zweierlei. Einmal folgt daraus, daß alle Träger öffentlicher Gewalt einander in der Weise zugeordnet sind, daß ein „einheitlicher Befehlszug von der Staatsspitze bis zur kleinsten Gemeinde" zustande kommt; zum anderen ist damit sichergestellt, daß alle Teile der Staatsverwaltung in vollem Umfang den Weisungen einer Zentrale unterliegen. Die Verlagerung von Kompetenzen auf nachgeordnete Organe bedeutet dabei — in den Begriffen des deutschen Verwaltungsrechts ausgedrückt — stets nur eine vertikale Dekonzentration aus Zweckmäßigkeitserwägungen Bezirke, Städte und Gemeinden sind bei Geltung des Prinzips des demokratischen Zentralismus in der DDR also weder verselbständigte Organisationen mittelbarer Staatsverwaltung, noch besitzen sie einen gegen zentrale Einwirkung abgesicherten, weisungsfreien Zuständigkeitsbereich. Die Aufgabenverteilung zwischen zentralen und örtlichen Staatsorganen ist vielmehr eine Frage freien politischen Ermessens, das keiner verfassungsrechtlichen Beschränkung unterliegt. Auch kann in jedem konkreten Fall die jeweils höhere Stelle ihr Ermessen an das des untergeordneten Organs setzen.

Heute unterstehen somit alle örtlichen Organe entsprechend dem Prinzip des demokratischen Zentralismus jeweils zentralen Staatsorganen. Die örtlichen Volksvertretungen werden bereits seit 1961 durch den Staatsrat angeleitet und beaufsichtigt Die Ministerien besitzen teilweise — wie z. B. Militär, Polizei, Staatssicherheitsdienst, Bahn und Post — eigene nachgeordnete Fachbehörden. Soweit die Zentralinstanzen keinen eigenen Behördenunter-bau haben, bestehen Fachabteilungen der örtlichen Räte. Für die Anleitung und Kontrolle der Bezirks-und Kreisräte ist seit 1964 ein eigenes Ministerium zuständig

V. Verfassungsrechtliche Aspekte der Entwicklung der Rechtspflege

Der in der Verfassung von 1949 angesprochene Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt hatte für die Rechtspflege der DDR von vornherein zwei Konsequenzen, die auch verfassungsrechtlich ihren Niederschlag fanden. Bei Gewaltenkonzentration ist ein richterliches Prüfungsrecht der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überflüssig, ja sogar schädlich, denn es basiert auf dem Modell einer Kontrolle parlamentarischer Entscheidungen durch eine andere, von der Volksvertretung unabhängige „Teilgewalt". Art. 89 verwehrte deshalb den Richtern ausdrücklich, ordnungsgemäß verkündete Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Ebenfalls mit dem Gewaltenvereinigungsprinzip unvereinbar wäre eine persönliche Unabhängigkeit der Richter, weil sie einen parlamentarischen Einfluß auf die Rechtsprechungsorgane ausschlösse. So war der Verfassung von 1949 der Grundsatz lebenslänglicher Anstellung von Richtern fremd. Sie führte zwar die Wahl der höchsten Richter ein, beließ es im übrigen aber bei dem Grundsatz der Ernennung (Art. 31) Jedoch war darin bereits generell eine Abberufbarkeit aller Richter vorgesehen (Art. 132).

Mit der allmählichen Durchsetzung des Prinzips des demokratischen Zentralismus in der DDR wurden dessen Auswirkungen auch für die Rechtspflege spürbar. Dies zeigte sich vor allem in einer Einengung der durch Art. 127 der Verfassung von 1949 garantierten sachlichen Unabhängigkeit der Richter. Hatten Stellen der Justizverwaltung schon vorher häufig die Spruchtätigkeit der Gerichte beeinflußt, so wurden derartige Weisungen doch allgemein erst 1963 durch § 1 Abs. 3 des neuen Gerichtsverfassungsgesetzes legalisiert. Dieser lautet nämlich: „Die Richter und Schöffen sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen. Ihre Unabhängigkeit beruht auf der festen Verbindung mit dem Volke und wird durch ein demokratisches System der Leitung und Kontrolle der Rechtsprechung gesichert."

Richterliche Unabhängigkeit bedeutet nach diesem Verständnis nicht sachliche Weisungsfreiheit, sondern schließt lediglich die Einflußnahme außergerichtlicher Stellen — etwa von Verwaltungsorganen — aus Die seit 1963 ausdrücklich bestehende Verpflichtung der Richter, den Volksvertretungen, durch die sie gewählt worden sind, über ihre Tätigkeit Rechenschaft zu geben rundet das Bild ab.

Auch institutionell gilt das Prinzip des demokratischen Zentralismus für die Gerichte untereinander ebenso wie für alle anderen Staatsorgane Konsequenterweise bilden heute die Gerichte in der DDR eine Hierarchie, in der — angefangen vom Obersten Gericht — das jeweils höhere Gericht nicht nur Rechtsmittelinstanz für die Gerichte der nächst unteren Stufe ist, sondern auch deren Rechtsprechung anleitet und kontrolliert. Dies geschieht durch verschiedene Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen, etwa den Erlaß von Richtlinien und Beschlüssen Visitationen durch Inspektionsgruppen und die sogenannte Gerichtskritik Das höchste Gericht der DDR seinerseits ist entsprechend den beiden Organisationsprinzipien sozialistischer Staatlichkeit der Volkskammer und zwischen deren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich Die Volkskammer bestimmt zwar nach Art. 49 Abs. 3 der Verfassung die Grundsätze der Tätigkeit des Obersten Gerichts, aber in ihrem Auftrag nimmt der Staatsrat „die ständige Aufsicht über die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzlichkeit der Tätigkeit des Obersten Gerichts wahr" (Artikel 74). Dementsprechend hat das Oberste Gericht dem Staatsrat regelmäßig über die Entwicklung der Rechtsprechung zu berichten Der Staatsrat kann dem Obersten Gericht den Erlaß von Richtlinien und Beschlüssen mit verbindlicher Wirkung für alle Gerichte empfehlen

Die Organisation der Gerichtsbarkeit in der DDR wurde entsprechend den Grundsätzen der Gewaltenvereinigung und des demokratischen Zentralismus seit 1949 völlig umgebaut, ohne daß der Wortlaut des entsprechenden Abschnittes der ersten Verfassung geändert worden wäre. Bei der allgemeinen staatlichen Umorganisation des Jahres 1952 wurden im Zuge der Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates auch die Amts-, Land-und Oberlandesgerichte der Länder aufgelöst. An ihre Stelle traten Gerichte in den Kreisen und den neu gebildeten Bezirken so daß fortan ein dreistufiger Instanzenzug vom Kreisgericht über das Bezirksgericht zum Obersten Gericht gegeben war. Die Kreis-und Bezirksgerichte waren zunächst für die Rechtsprechung in Strafund Zivilsachen zuständig Daneben bestanden bis 1963 noch selbständige Kreis-und Bezirks-arbeitsgerichte während in der höchsten Instanz kein selbständiger Arbeitsgerichtshof existierte, sondern die entsprechenden Aufgaben von Anfang an innerhalb des Obersten Gerichts durch einen besonderen Senat wahrgenommen wurden Durch die vollständige Verschmelzung der Arbeitsgerichte mit den allgemeinen Gerichten hätte die DDR 1963 eine dreistufige Einheitsgerichtsbarkeit erhalten, die zwar sachlich durch das Fehlen eines gerichtlichen Rechtschutzes gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt stark beschränkt war, aber doch für die Rechtsuchenden den Vorzug der Klarheit bot, wenn nicht zur gleichen Zeit eine organisatorisch selbständige Militärgerichtsbarkeit errichtet worden wäre die wie die frühere Arbeitsgerichtsbarkeit nur in der Spitze beim Obersten Gericht mit der übrigen Gerichtsbarkeit zusammenläuft. Das Kollegium für Militärstrafsachen beim Obersten Gericht, die Militärobergerichte und die Militärgerichte sind nicht nur für Straftaten von Soldaten zuständig, sondern auch für Straftaten, die sich gegen die militärische Sicherheit richten

Ebenfalls schon vor 1968 war eine Institution der Rechtspflege entwickelt worden, die als so-genannte gesellschaftliche Gerichtsbarkeit erst in der zweiten DDR-Verfassung ihren Niederschlag fand. Seit 1952 hatte die SED zunächst ohne Rechtsgrundlage und später beruhend auf verschiedenen, einander ablösenden Ministerratsverordnungen in staatlichen Betrieben Konfliktkommissionen gebildet, die vor allem kleinere arbeitsrechtliche Streitigkeiten schlichten sollten. Ab 1963 wurden un-ter der Bezeichnung Schiedskommissionen nach und nach parallele Institutionen für genossenschaftliche und private Betriebe sowie nach territorialen Gesichtspunkten in Städten und Gemeinden eingerichtet. Der Aufgabenkreis dieser Rechtspflegeorgane hatte sich noch unter Geltung der alten Verfassung mehrfach geändert. Die Verfassung von 1968 erhob schließlich die Konflikt-und Schiedskommissionen in den Rang „gesellschaftlicher Gerichte" (Art. 92). Zwei Monate nach Annahme der Verfassung erging ein Gesetz, das diesen Fragenkreis regelte Ihm folgten bald Ordnungen über Verfassung und Verfahren der beiden Arten gesellschaftlicher Gerichte Danach bestehen heute in Betrieben aller Art, in staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen Konfliktkommissionen, in den Gemeinden und Produktionsgenossenschaften Schiedskommissionen als gesellschaftliche Gerichte (§§ 4 und 5 GGG).

Die gesellschaftlichen Gerichte der DDR bilden heute einen „Bestandteil des einheitlichen Systems der sozialistischen Rechtspflege" (§ 1 Abs. 1 GGG). Sie üben „im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben" Rechtsprechung aus (§ 2 Abs. 1 GGG), sind also durch staatliches Gesetz geschaffen worden. Änderungen ihrer Stellung und Befugnisse sind ebenfalls nur auf dem Wege der Gesetzgebung möglich Zuständig sind die gesellschaftlichen Gerichte hauptsächlich für die Entscheidung von Arbeitsrechtssachen und einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten, die Aburteilung kleinerer Straftaten, Verfehlungen und Ordnungswidrigkeiten sowie die Ahndung von Verletzungen der Schulpflicht und arbeitsscheuen Verhaltens (§§ 8 und 9 GGG). Gegen alle Entscheidungen der gesellschaftlichen Gerichte ist das Rechtsmittel des Einspruchs beim zuständigen Kreisgericht gegeben (§ 13 Abs. 1 GGG). Das Oberste Gericht sorgt für die einheitliche Rechtsanwendung in der Tätigkeit der gesellschaftlichen Gerichte Diese Einzelheiten lassen erkennen, daß die Konflikt-und Schiedskommissionen heute die unterste Stufe eines Instanzenzuges bilden, der über die Kreis-und Bezirksgerichte zum Obersten Gericht der DDR führt Innerhalb dieses einheitlichen Gerichtssystems sind die Spruchkörper der untersten Stufe nur mit Laienrichtern die der beiden mittleren Stufen meistens mit Berufsrichtern und Schöffen die Senate des Obersten Gerichts als Spruch-körper der obersten Stufe — abgesehen von Entscheidungen in Arbeitsrechtssachen — ausschließlich mit Berufsrichtern besetzt Angesichts dieser engen Verklammerung aller Rechtsprechungsorgane zu einem einheitlichen Organismus erscheint es zweitrangig, daß die rechtsprechenden Gremien teils als gesellschaftliche, teils als staatliche Gerichte bezeichnet werden. Die Konflikt-und Schiedskomis-sionen bilden die Basis eines straff organisierten, staatlich gelenkten Gerichtssystems, haben also eher den Charakter staatlicher Spezialgerichte für Betriebe und Gemeinden, die kraft gesetzlicher Delegation in begrenztem Umfang anstelle der ordentlichen Gerichte Recht sprechen, als daß man sie als „gesellschaftliche" Gerichte ansehen könnte, die einem Bereich entstammen, in dem es so etwas wie Autonomie der Gesellschaft gibt

Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt war auch in der DDR ursprünglich den Gerichten anvertraut. So sah Art. 138 der Verfassung von 1949 eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zum „Schutz der Bürger gegen rechtswidrige Maßnahmen der Verwaltung" vor. Das im gleichen Verfassungsartikel angekündigte Gesetz, durch welches Aufbau und Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte geregelt werden sollte, ist allerdings niemals ergangen. Die seit dem 8. Mai 1945 in den damaligen Ländern Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg auf landesrechtlicher Grundlage errichteten Verwaltungsgerichte sind 1952 zu-sammen mit den anderen Landesbehörden aufgelöst worden. Da die ordentlichen Gerichte in der DDR für die Entscheidung von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in der Regel nicht zuständig sind, besteht seit 1952 praktisch kein gerichtlicher Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt mehr.

Seither hatte der Bürger gegen ihn belastende Verwaltungsmaßnahmen meist nur das Recht der Beschwerde an die vorgesetzte Behörde, die endgültig entschied, und dies auch nur dann, wenn es ausdrücklich vorgesehen war. So waren bei enteignenden Eingriffen im Wege der sogenannten Inanspruchnahme von Grundstücken nach dem Aufbaugesetz von 1950 Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe bisher überhaupt nicht gegeben, weil ein generelles Beschwerderecht nicht existierte Formlose Beschwerden, die als „Eingaben" gemacht werden, bieten kaum eine Handhabe für den Individualrechtsschutz. Mit dem Eingabenrecht soll den Bürgern von vornherein kein Rechts-behelf gegen staatliches Handeln gewährt werden, sondern damit sollen Zustände oder Maßnahmen, die für den kommunistisch regierten Staat schädlich sind, aufgezeigt werden. Neben der Lückenhaftigkeit der Rechtsbehelfe bestand in der DDR bisher auch keine Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen In beiden Punkten kündigte die neue Verfassung 1968 Verbesserungen an.

In den Art. 104 und 105 wurde das Beschwerderecht neu geregelt. Anstelle der bisher nur punktuell gegebenen Möglichkeiten förmlicher Beschwerdeverfahren trat damit die allgemeine Befugnis, mit dem Rechtsbehelf der Beschwerde gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzugehen, wobei je nach der Behördenebene unterschiedliche Verfahrensgrundsätze gelten Bei zentralen Stellen ist jeweils das übergeordnete Vollzugsorgan Beschwerdeinstanz. Eine Behandlung von Beschwerden durch die Volkskammer ist in diesem Zusammenhang also nicht vorgesehen. Statt dessen ist für Beschwerden gegen Leitungsentscheidungen des

Ministerrats, des Obersten Gerichts oder des Generalstaatsanwaltes der Staatsrat zuständig.

Auch über Beschwerden gegen Entscheidungen zentraler Organe des Ministerrats befindet nicht die Stelle, die Anlaß zur Beschwerde gegeben hat, sondern die vorgesetzte Behörde, also der Ministerrat. Beschwerden gegen Entscheidungen örtlicher Organe sind dagegen bei dem Leiter der entscheidenden Behörde einzulegen. Erst wenn dieser seine Entscheidung nicht abändert, ist der Beschwerdeführer berechtigt, sich an eine andere Stelle zu wenden. Dies ist aber bei Entscheidungen örtlicher Organe nicht die nächsthöhere Verwaltungsinstanz, sondern die zuständige Volksvertretung. Bei den örtlichen Volksvertretungen sollen zu diesem Zweck besondere Beschwerde-ausschüsse gebildet werden. Der in Art. 105 Abs. 2 angekündigte Staatsratserlaß über Aufgaben und Rechte dieser Beschwerdeausschüsse ist allerdings bis heute noch nicht ergangen. Man experimentiert bisher in der DDR lediglich mit einigen Modell-Beschwerdeausschüssen Dabei ist eine restriktive Tendenz spürbar, die sich nicht nur in der abnehmenden Dichte der Berichterstattung über dieses Experiment, sondern auch aus sachlichen Einzelheiten ablesen läßt. Entgegen dem Verfassungswortlaut ist heute beispielsweise nur noch davon die Rede, Beschwerdeausschüsse auf Bezirks-und Kreisebene zu bilden. Durch Art. 106 der Verfassung von 1968 wurde in der DDR die Staatshaltung für Amtspflicht-verletzungen allgemein eingeführt. Für Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch ungesetzliche Maßnahmen von Mitarbeitern der Staatsorgane zugefügt werden, haftet danach das Organ, dessen Mitarbeiter den Schaden verursacht hat. Der damit unternommene Versuch einer wirksamen Rechtsbindung der Verwaltung erinnert freilich in der Unterscheidung zwischen Staat und schädigendem Staatsorgan an die Anfänge des deutschen Staatshaftungsrechts im vorigen Jahrhundert, als wegen des Gottesgnadentums nicht der Souverän, sondern nur der „Fiskus" als Vermögensmasse des Herrschers verklagt werden konnte. Voraussetzungen und Verfahren dieser Staatshaltung sind inzwischen durch Gesetz geregelt worden Ließ die Verfas-

sungsbestimmung noch offen, ob die Entschei-B düng von Staatshaftungsansprüchen den Be-schwerdeausschüssen der Volksvertretungen, den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten übertragen werden würde, so brachte das Staatshaftungsgesetz die Lösung, welche am stärksten obrigkeitsstaatlichem Denken verhaftet ist. Der Leiter der Behörde, durch deren Mitarbeiter oder Beauftragten der Schaden verursacht worden ist, entscheidet nämlich über Grund und Höhe des Schadensersatzanspruch-ches, sofern dafür nicht anderweitig die Zuständigkeit des Leiters eines übergeordneten Organs festgelegt ist (§ 5 Abs. 3). Gegen diese Entscheidung über den Schadensersatzantrag ist binnen Monatsfrist die Beschwerde zulässig, die bei der Behörde einzulegen ist, deren Entscheidung angefochten wird. Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, so entscheidet der Leiter der übergeordneten Stelle endgültig (§ 6). Damit bleibt bei der Entscheidung über Staatshaftungsansprüche in der DDR die Verwaltung Richter in eigener Sache. Andere kommunistisch regierte Staaten haben in letzter Zeit dafür vergleichsweise modernere Lösungen gefunden. Nach der rumänischen Verfassung von 1965 beispielsweise steht den Bürgern, die durch ungesetzliche Akte der öffentlichen Gewalt in ihren Rechten beeinträchtigt worden sind, der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen

überblickt man die Entwicklung des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in der DDR, so kann man feststellen daß seit dem Tiefpunkt, der 1952 mit der Auflösung der Verwaltungsgerichte der Länder eingetreten war, eine Aufwärtsentwicklung zu modernen und sachgerechten Lösungen begonnen hat, die in der geschilderten Weise auch in der neuen Verfassung ihren Niederschlag gefunden hat. Die seitherige Entwicklung dürfte allerdings eher rückläufig sein, zumindest aber diesen positiven Trend unterbrochen haben. Abschließend muß noch auf die Ambivalenz eines Terminus hingewiesen werden, der seit den fünfziger Jahren in Gesetzgebung und Schrifttum der DDR geläufig ist. Auch die neue Verfassung erwähnt die „sozialistische Gesetzlichkeit" verschiedentlich Wie schon die beiden Bestandteile dieses Begriffs erkennen lassen, liegt darin die Verbindung statischer und dynamischer Momente beschlossen. Dies bewirkt ein ständiges Pendeln zwischen der Funktion der „sozialistischen Gesetzlichkeit" als die bestehende Rechtsordnung stabilisierender Faktor und der rein weltanschaulich-parteilichen Handhabung allen Rechts. Die Beurteilung einer gleichartigen Sachlage kann deshalb zu zwei verschiedenen Zeitpunkten in der DDR nicht nur wegen einer Änderung von Rechtsvorschriften oder wegen eines Wandels sozialer Anschauungen, der über Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe eine Änderung der Rechtssprechung bewirkt, unterschiedlich ausfallen, sondern auch deshalb, weil das eine Mal mehr die Positivität und das andere Mal mehr die (parteiliche) Finalität der entscheidungserheblichen Norm betont wird. Es zeigt sich also, daß der Grundsatz der sozialistischen Gesetzlichkeit nur eine situa-tionsbedingt-relative, keinesfalls eine durchgängige Selbstbindung der öffentlichen Gewalt bewirkt. Solange diese Gesetzlichkeitsauffassung maßgebend ist, wird man daher nicht davon sprechen können, daß in der DDR auch nur gesetzesstaatliche Verhältnisse herrschen, weil die Rechtsanwendung für den einzelnen stets unberechenbar ist. „Sozialistische Gesetzlichkeit" hat also nichts mit dem Rechtsstaatsgedanken zu tun, auch wenn gelegentlich in diesem Zusammenhang in der DDR von sozialistischer Rechtsstaatlichkeit gesprochen wird

VI. Der Weg zur sozialistischen Planwirtschaft

Die Ausführungen über Ziele und Aufgaben der Wirtschaft, wie sie sich in Art. 19 der Verfassung von 1949 finden, enthielten noch keine Aussagen, die der politischen Ökonomie des Sowjetkommunismus entstammten. Wenn dabei von den Grundsätzen sozialer Gerechtig-keit, der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins und einer Beteiligung am Produktionsergebnis entsprechend der jeweiligen Leistung die Rede war, so konnten damit auch Zielset-zungen einer ganz andersartigen Wirtschaftsordnung — etwa der sozialen Marktwirtschaft — angesprochen sein. Gemeinwirtschaftliche Motive klangen an, wenn es hieß: „Die Wirtschaft hat dem Wohle des ganzen Volkes und der Deckung seines Bedarfs zu dienen.

Eine Festlegung auf eine am kommunistischen Dogma orientierte Wirtschaftsweise war jedenfalls der ersten DDR-Verfassung nicht zu entnehmen.

Dies geschah aber nach der 2. Parteikonferenz der SED vom Juli 1952, auf der man den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR proklamiert hatte. Enthielten die Präambeln der bis dahin ergangenen Volkswirtschaftspläne keine diesbezüglichen Aussagen, so wurde von diesem Zeitpunkt an stets auf das Ziel des Sozialismus hingewiesen Der Verfassungswortlaut blieb davon unberührt. Erst durch die Verfassung von 1968 wurde festgestellt, daß die Volkswirtschaft der DDR primär der Stärkung der sozialistischen Ordnung diene (Art. 9 Abs. 2), was zuvor schon in einer Vielzahl einfacher Gesetze ausgesprochen worden war.

Im Sinne der historischen Periodisierung des Marxismus-Leninismus liegt schon in der Bezeichnung der DDR als sozialistischer Staat durch Art. 1 Abs. 1 der Verfassung von 1968 eine grundlegende Aussage zur Wirtschaftsordnung. In der sozialistischen Periode sei zwar „die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen" beseitigt (Art. 2 Abs. 3), die volkswirtschaftliche Produktivität erlaube aber noch nicht die Verwirklichung des kommunistischen Grundsatzes: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." Für den Sozialismus gelte statt dessen die schon erwähnte Formel: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung." Dieser Satz der marxistisch-leninistischen Ideologie ist deshalb in die sozialistische Verfassung übernommen worden (Art. 2 Abs. 3). Die Volkswirtschaft der DDR dient folglich in erster Linie der Stärkung der sozialistischen Ordnung (Art. 9 Abs. 2), deren Ziel wiederum die Errichtung der kommunistischen Wohlstandsgesellschaft ist. Zur verfassungsrechtlichen Festlegung genügt schon die Normierung des marxistisch-leninistischen Sozialismusbegriffes, da dieser das kommunistische Endziel intendiert. Die Verfassung von 1968 begnügt sich deshalb mit dieser Feststellung und enthält keinen Hinweis auf die endgültige Zielsetzung, in einem Teil Deutschlands den Voll-kommunismus aufzubauen.

Art. 21 der 1. DDR-Verfassung schrieb vor, daß der Staat durch die gesetzgebenden Organe einen öffentlichen Wirtschaftsplan aufzustellen habe. Uber Art und Umfang dieser Wirtschaftsplanung enthielt die Verfassung keine Angaben. Das Verfassungsrecht gab also keine Auskunft darüber, ob damit eine umfassende oder nur eine partielle Planung gemeint war und ob diese indikativ oder imperativ gehandhabt werden sollte. Der 1950 von der Volkskammer verabschiedete 1. Volkswirtschaftsplan der DDR ließ schon erkennen, daß diese Verfassungsbestimmung als Mandat zu einer totalen Planung über den wirtschaftlichen Bereich hinaus angesehen wurde. Er brachte nämlich nicht nur Hauptkennziffern für alle Wirtschaftsbereiche, sondern legte darüber hinaus auch Entwicklungsziele für Wissenschaft, Technik, Gesundheitswesen und sogar für die Kultur fest. Nach sowjetischem Vorbild wurden meist mengenmäßige Planauflagen mit unbedingter Verbindlichkeit für alle Planträger erteilt. Neben derartige Jahrespläne traten bald Perspektivpläne, die Entwicklungsziele für längere Zeiträume abstecken sollten und damit den Rahmen für jeweils mehrere Jahrespläne bildeten Diese Planungsweise wird in der neuen Verfassung von 1968 als sozialistische Planwirtschaft bezeichnet (Art. 9 Abs. 3).

Apparat und Methodik der staatlichen Wirtschaftsplanung in der DDR haben in den letzten 20 Jahren eine Unzahl von zumeist recht kurzlebigen Änderungen erfahren. Es lohnt sich deshalb hier nicht, diese nachzuzeichnen. Ging es anfangs teilweise noch darum, die staatliche Zentralplanung bis in den letzten Betrieb wirksam werden zu lassen, so mußte man seit Erreichen dieses Zustandes in der DDR sein Hauptaugenmerk darauf richten, die Elastizi-tät und Effektivität der schwerfälligen Wirtschaftsmaschinerie zu verbessern. Zentralisa-ion und Kopflastigkeit sollten durch Dekon-zentration und Auflockerung vermieden werden, ohne daß Korrekturen an grundlegenden Bestandteilen des Systems vorgenommen zu werden brauchten. Den wichtigsten Einschnitt in dieser Entwicklung bildete die Einführung eines „Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft", beginnend mit dem Jahre 1964 Durch ein sogenanntes in sich geschlossenes System ökonomischer Hebel sollten Initiative und Eigenverantwortung auf allen Ebenen gefördert werden. Als ökonomisches System des Sozialismus, wie man die neue Wirtschaftslenkungsmethodik in der DDR heute bezeichnet, hat dieses neue Leitungsmodell 1968 auch verfassungsrechtliche Gestalt gewonnen. In Art. 9 Abs. 3 der neuen Verfassung heißt es nämlich: „Das ökonomische System des Sozialismus verbindet die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit der Eigenverantwortung der sozialistischen Warenproduzenten und der örtlichen Staatsorgane."

Damit fand erstmals eines der seit den Wirtschaftsreformen in den kommunistisch regierten Ländern verwirklichten sogenannten neuen ökonomischen Systeme durch eine General-klausel Eingang in das Verfassungsrecht. Die ausdrückliche Beschränkung der zentralen Planung auf grundsätzliche Fragen bedeutet zwar, daß der Wirtschaftsablauf im übrigen den am Wirtschaftsprozeß unmittelbar Beteiligten überlassen wird Andererseits bringt die gleichzeitig erwähnte Eigenverantwortung den Betrieben nicht automatisch eine klare Kompetenzabgrenzung zu den wirtschaftsleitenden Staatsorganen In dieser Elastizität und Unbestimmtheit dürfte aber gerade die Stärke der erwähnten Formulierung liegen, denn sie deckt einen ganzen Fächer künftiger Regelungsmöglichkeiten staatlicher Wirtschaftslenkung.

Die wohlklingende Formulierung des Art. 9 Abs. 3 verhindert allerdings nicht, was sich auch verfassungsrechtlich ablesen läßt, daß gegenwärtig die gesamte Wirtschaftstätigkeit in der DDR nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus geleitet wird, zumal im Augenblick der Ton in der DDR wieder mehr auf zentralen Direktiven und kollektiver Disziplin statt auf Eigenverantwortung und persönlicher Initiative liegt. Die Volkskammer legt die wichtigsten Ziele und Aufgaben der Zentral-planung fest (Art. 49 Abs. 2). Wegen der Machtfülle des Staatsrates trifft in der Verfassungspraxis dieser und innerhalb dieses Gremiums wiederum weitgehend dessen Vorsitzender die wirtschaftlichen Grundsatzentscheidungen. Daraufhin werden der Volkswirtschaftsplan und der einheitliche Staatshaushaltsplan vom Ministerrat und dessen Organen ausgearbeitet und durch das Plenum der Volkskammer bestätigt (Art. 49 und 78). Entsprechend den so festgelegten Plänen organisiert der Ministerrat „die Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus und leitet die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft" (Art. 78 Abs. 2). So ist sichergestellt, daß alle Pläne einander hierarchisch zugeordnet sind und ebenso zentral gesteuert werden, wie die wirtschaftlichen Kompetenzen der Staatsverwaltung gemäß dem Prinzip des demokratischen Zentralismus von oben nach unten abgestuft sind

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Kommunisten das sogenannte sozialistische Eigentum als konstituierendes Element nachrevolutionärer Wirtschaftsweise und sozialistischen Verfassungsrechts ansehen. Die Herausbildung dieser Eigentumsart und ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung bezeichnen also eine wichtige Entwicklungslinie des DDR-Verfassungsrechts, die noch näherer Analyse bedarf.

Nach kommunistischer Ansicht ist das Privateigentum an Produktionsmitteln Ursache der Ausbeutung. Eine ausbeutungsfreie und damit gerechte Sozialordnung werde erst vorhanden sein, wenn die Produktionsmittel — zumindest im wesentlichen — vergesellschaftet sind. Ziel der nachrevolutionären Ordnung müsse es deshalb sein, das Privateigentum an Produktionsmitteln zu beseitigen. Eine Sozialbindung oder öffentliche Kontrolle des wirtschaftlich bedeutsamen Eigentums wird als nicht ausreichend betrachtet. Die heutige kommunistische Eigentumslehre verlangt daher, daß je nach der Bedeutung eines Gegenstandes für-die gesellschaftliche Produktion auch dessen Rechts-träger gesellschaftlichen Charakter aufweist. Produktionsmittel können danach letztlich nur in gesellschaftlichem Eigentum stehen. Erst an Gegenständen des persönlichen Bedarfs kann Individualeigentum begründet werden. Dementsprechend kennen die Rechtsordnungen der kommunistisch regierten Staaten keinen einheitlichen Eigentumsbegriff, sondern verschiedene Eigentumsarten, die zueinander in einer bestimmten Rangordnung stehen. Abweichungen von der skizzierten kommunistischen Eigentumslehre im Sinne eines Mehr an individuellem Eigentum, die nach der politischen Revolution zunächst noch bestehen bleiben, sind im Verlauf der wirtschaftlich-sozialen „Revolution von oben" schrittweise zu beseitigen. Die Existenz gewisser Reste wirtschaftlich nutzbaren Privateigentums in den Formen des „Privateigentums der einfachen Warenproduzenten" (gemeint sind damit Einzelbauern, -handwerker und -händler) und des „kapitalistischen Privateigentums" an Unternehmen der Industrie und des Dienstleistungsgewerbes ist nach dieser Konzeption also lediglich eine Übergangserscheinung. Von diesen ideologisch-rechtstheoretischen Prämissen her wird die fortschreitende Einengung des Privateigentums in der DDR als durchaus konsequent im Sinne des gesetzten Zieles erkennbar.

Die Bestimmungen der Verfassung von 1949 ließen keine Anklänge an diese kommunistische Eigentumslehre spüren. Art.'22 gewährleistete das Eigentum im herkömmlichen verfassungsrechtlichen Sinne als die Gesamtheit vermögenswerter Rechte in Privathand und ohne Beschränkung auf bestimmte Gegenstände. Inhalt und Schranken des Eigentums sollten sich aus den Gesetzen und „den sozialen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft" ergeben. Art. 24 Abs. 1 schien lediglich die Sozial-bindung des Eigentums näher zu umreißen. Die Beschränkung des Eigentums im Sinne der kommunistischen Lehre ließ auch Abs. 2 dieses Artikels noch nicht ganz deutlich werden, wenn es dort hieß, daß „der Mißbrauch des Eigentums durch Begründung wirtschaftlicher Machtstellung zum Schaden des Gemeinwohls die entschädigungslose Enteignung und Über-führung in das Eigentum des Volkes zur Folge" hat. Die Absätze 3 bis 6 sanktionierten jedoch ausdrücklich die in den ersten Jahren nach 1945 bis zum Inkrafttreten der Verfassung durchgeführten Eigentumsumschichtungen großen Stils. Soweit Bodenschätze, wirtschaftlich nutzbare Naturkräfte und Betriebe der Grundstoffindustrie und Energieerzeugung nicht bereits vor 1945 in Staatseigentum gestanden hatten oder bis 1949 enteignet worden waren, schrieb Art. 25 ihre Überführung in Volkseigentum vor. Diese Verfassungsbestimmung betraf jedoch größtenteils nicht, wie ihr Wortlaut vermuten ließ, künftige Enteignungen, sondern sanktionierte lediglich bereits abgeschlossene Verstaatlichungen. Privatunternehmen anderer Wirtschaftszweige, „die für die Vergesellschaftung geeignet sind", konnten durch Gesetz ebenfalls in Gemeineigentum überführt werden (Art. 27). Enteignungsgesetze sind nach dem Inkrafttreten der Verfassung allerdings nicht mehr ergangen. Die weitere Umformung der Eigentumsordnung im Sinne der kommunistischen Zielvorstellungen wurde statt dessen mit einer Vielzahl anderer Maßnahmen vorangetrieben. Typisch für die Verstaatlichung der verbliebenen Privatunternehmen war die Anwendung strafrechtlicher, steuerlicher und sonstiger Mittel

In diesem Zusammenhang muß auf eine Methode der Umwandlung privaten in öffentliches Eigentum besonders hingewiesen werden, die den Weg eines förmlichen Enteignungsverfahrens vermeidet. Unternehmerisches Eigentum wurde und wird nach chinesischem Vorbild in der DDR mitunter dadurch teilweise verstaatlicht, daß der Staat Eigentumsanteile eines Privatbetriebes in der Weise übernimmt, daß der Betrieb in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt wird, wobei eine staatliche Stelle Kommanditist und der bisherige Alleineigentümer Komplementär wird Man benutzt also eine Rechtsform des marktwirtschaftlichen Privatrechts als Mittel der Sozialisierung, so daß als Zwischenstufe sogenannte halbstaatliche Betriebe entstehen

Angesichts dieser Situation nimmt es nicht wunder, daß im gegenwärtigen DDR-Verfassungsrecht ein Sozialisierungsartikel fehlt und die Enteignungsbestimmung des Art. 16 Anklänge an rechtsstaatliche Verfassungsnormen erkennen läßt. Danach sollen Enteignungen künftig nur noch gegen angemessene Entschädigung dann zulässig sein, wenn auf andere Weise der angestrebte gemeinnützige Zweck nicht erreicht werden kann. Die damit eingeführte generelle Entschädigungspflicht verbesserte den bisherigen Rechtszustand, wonach Entschädigung nur zu leisten war, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmte Nachdem der gewaltsame Umschichtungsprozeß wirtschaftlich bedeutsamen Eigentums 1960 mit der Zwangskollektivierung der mitteldeutschen Landwirtschaft im wesentlichen abgeschlossen worden ist, kann man sich heute in diesem Punkt großzügig zeigen.

Die Sonderstellung des sozialistischen Eigen-

f tums — besonders in Gestalt des staatlichen „Volkseigentums" — ist ohne Änderung des formellen Verfassungsrechts allmählich durch verschiedene Rechtsvorschriften und die höchstrichterliche Rechtsprechung der DDR ausgeformt worden. So wurde der Grundsatz entwickelt, daß Volkseigentum niemals gutgläubig erworben werden kann Die Zwangsvollstreckung in Volkseigentum ist nur mit behördlicher Zustimmung zulässig Volkseigene Forderungen sind im Konkurs be-vorrechtigt andererseits können sie nicht in eine Aufrechnung einbezogen werden Gesellschaftliches Eigentum aller Art steht seit 1952 auch unter erhöhtem strafrechtlichen Schutz

Diesen Rechtszustand hat die Verfassung von 1968 lediglich formell in Verfassungsrecht transformiert. Art. 10 nennt als Formen des sozialistischen Eigentums neben dem Staatseigentum („gesamtgesellschaftliches Volkseigentum") das genossenschaftliche Eigentum — hauptsächlich der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften — und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen, also der politischen Parteien und der so-genannten Massenorganisationen. Mit der Bezeichnung des Genossenschaftseigentums als „Gemeineigentum werktätiger Kollektive" soll betont werden, daß es sich dabei nicht um Gruppeneigentum handelt Anders als die übrigen kommunistisch regierten Staaten hat die 2. DDR-Verfassung die Konseguenz aus der Tatsache gezogen, daß das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen in der Rechts-praxis schon bisher als eine Form gesellschaftlichen Eigentums galt. Daher kennt das DDR-Verfassungsrecht seit 1968 diese dritte Form sozialistischen Eigentums.

Art. 12 der sozialistischen Verfassung der DDR zählt auf, welche Gegenstände in Volkseigentum stehen, so daß privates Eigentum an ihnen unzulässig ist. Diese Enumeration ist allerdings nicht abschließend in dem Sinne, daß andere Sachen nicht Staatseigentum sein können. Vielmehr sollen damit exemplarisch Kategorien von Sachen, die als sozialistisches Staats-eigentum res extra commercium sind, bezeichnet werden. Daß es sich dabei nicht um pri-vatisierbares Fiskaleigentum handelt, ist dem DDR-Verfassungsrecht selbstverständlich. Schon die Nutzung dieses sogenannten Volks-eigentums erfolgt vielmehr grundsätzlich durch staatliche Betriebe und Einrichtungen. Der Staat kann die Nutzung lediglich durch Verträge genossenschaftlichen oder gesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen übertragen. In Konseguenz der Auffassung, daß das sozialistische Eigentum die wirtschaftliche Basis des kommunistischen Herrschaftssystems bildet, ist damit die bisher verfassungsrechtlich bestehende Möglichkeit, daß die zuständige Volksvertretung mit qualifizierter Mehrheit der Veräußerung von Volkseigentum zustimmen kann weggefallen.

VII. Grundrechte als sozialistische Persönlichkeitsrechte

Die Verfassung von 1949 enthielt in ihren Artikeln 6— 49 einen ausführlichen Grundrechtskatalog, der sich weithin an rechtsstaatliche Vorbilder anlehnte Die Umfunktionierung der darin verbürgten Grundrechte im Sinne marxistisch-leninistischer Anschauungen geschah seit 1949 durch Gesetzgebung, -Recht sprechung Verwaltungspraxis so und daß die Grundrechtsnormen zu den Teilen der 1. DDR-Verfassung gehören, die von Anfang an niemals voll wirksam geworden sind. Bereits 1958 konnte Ulbricht deshalb erklären: „Die sozialistischen Persönlichkeitsrechte, die von den engen Grundrechten der bürgerlichen Verfassung weit verschieden sind, bilden sich [. . . ] immer mehr und mehr heraus. Die in der Verfassung festgelegten Grundrechte haben im Leben eine Weiterentwicklung erfahren." Entgegen seinem Wortlaut und Sinn wurde der Text der Verfassung von 1949 besonders bei den persönlichen Freiheitsrechten nach ideologischen und aktuell-politischen Gesichtspunkten einengend ausgelegt. So ist bei-spielweise trotz der rechtsstaatlich formulierten Bestimmung des Art. 9 die Freiheit der Meinungsäußerung stets darauf beschränkt gewesen, daß sich jedermann öffentlich zustimmend über die Zustände in der DDR äußern darf. Kritik ist nur erlaubt und erwünscht, sofern dadurch die von Partei und Staatsführung proklamierte Entwicklung gefördert wird. Andere Meinungsäußerungen wurden und werden heute noch häufig bestraft Bei dieser Betrachtungsweise verengt sich somit das Recht auf Meinungsfreiheit zu dem zweckgebundenen „Recht, Mißstände aufzudecken, ist das Recht auf Meinungsstreit gegen alles, was hindert und hemmt"

Ermöglicht wurde diese Umfunktionierung der Grundrechtsbestimmungen der Verfassung von 1949 dadurch, daß entsprechend dem Grundsatz der Einheit aller Staatsgewalt die Inhaber der öffentlichen Gewalt selbst die Verfassung authentisch interpretieren konnten Damit waren die Grundrechte jederzeit zur freien Disposition gestellt und je nach der politischen Situation, wie sie die SED-Führung beurteilte, auslegbar

Die theoretische Rechtfertigung dafür entnahm man den marxistisch-leninistischen Lehren. Danach gewinnt der einzelne seinen Wert nicht aus sozial zweckfreien individuellen Bezügen, sondern ausschließlich als Glied der dem kommunistischen Endziel zustrebenden menschlichen Gesellschaft Ein kommunistischer Autor in der DDR folgert daraus: „Von hier aus ergibt sich für das marxistische Menschenbild als Grundforderung, den Menschen so zu orientieren [. . . ], daß er mit allen seinen Kräften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen bewußt danach strebt, der Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft zum Sozialismus zu dienen."

Damit ist die in der DDR offiziell vertretene Auffassung der Menschenwürde ebenso einseitig kollektivistisch orientiert, wie hierzulande manchmal noch die individualistischen Bezüge menschlicher Würde verabsolutiert werden. Eine abwägende Betrachtung wird beide Sehweisen als zu einseitig ablehnen müssen, weil erst individuell-autonome und sozial-gesellschaftliche Bezüge gemeinsam die Menschenwürde in ihrer vollen Bedeutung erkennen lassen.

Da alles Recht nach marxistischem Verständnis von der ökonomischen Struktur der Gesellschaft abhängt, verändere die revolutionäre Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln auch den Charakter der Grundrechte. Im Kapitalismus herrsche ein dauernder Spannungszustand zwischen dem Gemeinwesen und den Individuen. In der nachrevolutionären Periode dagegen bilde sich nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ein Verhältnis der grundlegenden Übereinstimmung der Interessen der sozialistischen Gesellschaft und ihrer Bürger heraus. Die damit behauptete Identität kollektiver und indi-vidueller Interessen läßt die Ausformung der Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte mit Anspruchscharakter überflüssig erscheinen und deren Rechtsschutzfunktion fast ganz zurücktreten. In der DDR sind Grundrechte vielmehr relative, von der politischen Situation abhängige Rechtsgewährungen der prinzipiell rechtlich unbeschränkten Staatsgewalt, die wiederum von der SED-Führung auf die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft orientiert ist. Die Entwicklung auf diesen Endzustand hin ist angeblich objektiv notwendig und unaufhaltsam, daher der Bewertung mit Rechtsmaßstäben entzogen. Auch darf dieser Geschichtsablauf nicht etwa durch die Geltendmachung individueller Schutzrechte im subjektiven Interesse gehemmt werden. Grundrechte sollen daher ihrer rechtstheoretischen Konzeption nach nicht Garantien für eine freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit nach allen Richtungen hin sein. Sie sind nach Auffassung der DDR-Kommunisten vielmehr Instrumente der Politik der Parteiführung zu dem Zweck, die Persönlichkeit jedes Bürgers so umzuformen, daß dieser stets und unbedingt den Führungsanspruch der SED anerkennt. Erst wenn der Bürger das Wertungssystem der Parteiführung, die marxistisch-leninistische Weltanschauung, akzeptiert hat und sich aktiv für deren Ziele einsetzt, tritt im Rahmen dieser Zweckbindung, die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft zu fördern, eine gewisse Rechtsschutzwirkung ein. Grundrechte als sozialistische Persönlichkeitsrechte sind also gegenüber dem Willen der Parteiführung nachgiebig. Diesem Grundrechtsdenken geht es daher darum, wie es zwei DDR-Juristen ausgedrückt haben, „jeden Bürger mit Hilfe des Staates und seines Rechts auf den Weg der sozialistischen Entwicklung, d. h.der bewußten Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens, zu führen" und „damit die sozialistische Persönlichkeit zu formen"

Dadurch, daß sich die Grundrechte in der DDR seit 1949 in ihrem Wesensgehalt verändert und zu sozialistischen Persönlichkeitsrechten entwickelt hätten, sei das Recht auf „aktive Mitgestaltung an der Leitung des Staates" zum Fundamentalgrundrecht geworden Diesem wichtigsten Grundrecht seien alle übrigen als spezielle „Gestaltungsrechte" untergeordnet.

Diese unterteilt die DDR-Staatsrechtslehre nach Sachbereichen in ökonomische, kulturelle und politische Rechte, nämlich das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung und das Recht auf Politik, wobei diese Rechte wiederum ganze Gruppen von Einzelgrundrechten umfassen sollen Man kann allerdings rasch feststellen, daß die sozialistischen Grundrechte eine gestaltende Mitwirkung im Rechtssinne nicht eröffnen Die unter diesem Gesichtspunkt entwickelte Grundrechtssystematik führt nur dazu, daß die Freiheitsrechte des einzelnen auch rechtstheoretisch in eine Randlage verwiesen werden, weil die Individualschutzfunktion der Grundrechte damit hinter deren Integrationsfunktion zurücktritt.

In Anlehnung an diese Systematik enthält die sozialistische Verfassung der DDR in einem „Grundrechte und Grundpflichten der Bürger" überschriebenen Kapitel 22 Grundrechtsartikel (Art. 19— 40). Entsprechend den geschilderten Grundsätzen der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie, wie sie heute in der DDR vertreten wird, stellen diese Grundrechte keine allgemein gültigen Menschenrechte dar, sondern sind Rechtsgewährungen an die Bürger der DDR. Die weltanschauliche Zweckgebundenheit aller Grundrechte wird erkennbar, wenn es in Art. 19 Abs. 3 dieser Verfassung heißt: „Frei von Ausbeutung, Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit hat jeder Bürger gleiche Rechte und vielfältige Möglichkeiten, seine Fähigkeiten in vollem Umfange zu entwickeln und seine Kräfte aus freiem Entschluß zum Wohle der Gesellschaft und zu seinem eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert zu entfalten. So verwirklicht er Freiheit und Würde seiner Persönlichkeit."

Die folgenden Artikel legen gemäß der geschilderten theoretischen Systematik zunächst die sogenannten Hauptgrundrechte fest. An der Spitze steht „das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten" (Art. 21). In den nächsten Artikeln sind das Recht auf Arbeit (Art. 24) und das Recht auf Bildung (Art. 25 und 26) geregelt. Vergleicht man die einzelnen Grundrechtsbestimmungen der Verfassung von 1968 mit denen der Verfassung von 1949, ist aus rechtsstaatlicher Sicht ein erheblicher Rückschritt festzustellen. Manche Grundrechte fehlen ganz. Dazu zählen das Streikrecht, die Auswanderungsfreiheit, das Recht auf freie Berufswahl, das Verbot der Pressezensur und das Widerstandsrecht. Auch die Zusicherung, daß Kunst, Wissenschaft und Lehre frei seien, ist fortgefallen. Die ausführliche Regelung der Grundrechte im religiösen Bereich, die sich in Anlehnung an den Text der Weimarer Reichsverfassung in den Art. 41— 48 der 1. DDR-Verfassung fand, ist ebenfalls nicht übernommen worden. Besonders die persönlichen Freiheitsrechte, die sich in den Art. 27— 33 finden, erfuhren im Vergleich zu ihrer Formulierung in der Verfassung von 1949 erhebliche Einengungen. Sie sind jetzt deutlich als zweckgebundene sozialistische Persönlichkeitsrechte erkennbar, weil sie ausdrücklich nur für verfassungskonforme Zwecke gewährt werden

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gesetz über die Konstituierung der Provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. 10. 1949, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik (künftig abgekürzt: GBl), S. 1.

  2. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 30. 5. 1949, GBl, S. 5.

  3. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. 4. 1968, GBl I, S. 199.

  4. Das Hauptverdienst daran trägt Siegfried Mam-pel, der als zusammenfassendes Ergebnis einer Vielzahl von Untersuchungen einen umfangreichen Kommentar zur ersten DDR-Verfassung veröffentlicht hat: Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Text und Kommentar, Frankfurt am Main und Berlin 19662.

  5. Vgl. Mampel, Die Entwicklung der Verfassungsordnung in der Sowjetzone Deutschlands von 1945 bis 1963, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, N. F., Band 13, S. 455— 579; ders., Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur in Mitteldeutschland. Die formelle und die materielle Rechtsverfassung der „DDR", Köln 1968.

  6. Vgl. für die gegenwärtige Auffassung: Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Lehrbuch, Über-setzung aus dem Russischen, Berlin (Ost) 1960, S. 591 ff.

  7. Zu ihrer situationsbedingten Ausgestaltung vgl. Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutsch-land,'Köln 1965, S. 102— 104 mit näheren Nachweisen.

  8. Näheres darüber bei Travers, Entwicklung der ideologischen Hintergründe der Verfassungsarbeiten in der SBZ bis zur Gründung der „DDR", jur. Diss., Freiburg i. Br. 1962.

  9. So Ulbricht bei der Begründung des Verfassungsentwurfs vor der Volkskammer, „Neues Deutschland" 1. Februar 1968, S. 2.

  10. Ein Überblick über Hauptinhalte und spezifische Merkmale dieser Verfassung findet sich bei Müller-Römer, Zur sozialistischen Verfassung der DDR, in: Juristen-Zeitung 1968, S. 313— 318.

  11. Diesen Ausdruck gebrauchte zuerst Mampel, Die SED im materiellen Verfassungsrecht der SBZ, in: Recht in Ost und West 1963, S. 49— 60 (51).

  12. Vgl. Artikel 1 Abs. 1.

  13. Vgl. Artikel 9 und 10; näher dazu: Müller-Römer, Das neue Wirtschaftsverfassungsrecht in Mitteldeutschland, Deutsches Verwaltungsblatt 1969, S. 641— 648.

  14. „Neues Deutschland" 2. Dezember 1967, S. 5.

  15. Dies geschah aber in den Jahren 1952— 1958; Nachweise bei Mampel, a. a. O. (Anmerkung 5), S. 526.

  16. Zu dieser sogenannten historischen Mission der Partei der Arbeiterklasse vgl. Grundlagen des Marxismus-Leninismus, a. a. O. (Anmerkung 6), S. 345— 367.

  17. Vgl. die Formulierung in der Präambel des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. 1. 1957, GBl I, S. 65.

  18. In den Präambeln der Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 28. 6. 1961, GBl I, S. 52 ff., heißt es nämlich: „In der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten deutschen Arbeiter-und Bauern-Staat, übt die Arbeiterklasse im Bündnis mit den Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und den anderen werktätigen Schichten unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die politische Macht aus und baut den Sozialismus auf."

  19. So bestimmt beispielsweise § 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. 4. 1963, GBl I, S. 89, ausdrücklich, daß der Ministerrat „auf der Grundlage des Programms der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" sowie „der Beschlüsse des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die die staatliche Tätigkeit betreffen", arbeite.

  20. Laut „Neues Deutschland" vom 16. Juli 1960.

  21. So erstmals wieder Ulbricht in seiner Festrede anläßlich des 20. Jahrestages der Gründung der Deutschen Akademie für Staats-und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht" am 12. Oktober 1968, Staat und Recht 1968, S. 1735— 1759 (1739).

  22. Grundlagen des Marxismus-Leninismus, a. a. O. (Anmerkung 6), S. 621.

  23. Nachweise dafür beispielsweise bei Müller-Römer, a. a. O. (Anmerkung 7), S. 36 f.

  24. Vgl. dazu Schultz, Die Diktatur des Proletariats und das Verfassungsrecht der europäischen Volksdemokratien, in: Recht in Ost und West 1965, S. 229— 237 (236 f.).

  25. So beispielsweise schon Grotewohl, Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik, Berlin (Ost) 1959, Bd. 1, S. 274 f.; vgl. neuerdings den offiziösen Verfassungskommentar: Sorgenicht/Weichelt/Riemann/Semler (Hrsg.), Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Dokumente/Kommentar, Berlin (Ost) 1969, Bd. I, S. 278 f. (Erl. 1 zu Art. 5) und Bd. II, S. 247 f. (Erl. 2 zu Art. 48).

  26. Brehme, über die normativen Akte der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, in: Staat und Recht 1963, S. 592— 605 (599).

  27. Einzelnachweise bei Zieger, Die Regierung der SBZ als Organ der Gesetzgebung, in: Recht in Ost und West 1960, S. 51— 56 und 98— 102 (53 f.).

  28. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. 11. 1954, GBl, S. 915.

  29. Abgesehen von Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen hat die Volkskammer beispielsweise 1958 nur 18 Gesetze verabschiedet, während der Ministerrat rund 70 Verordnungen erließ. Im Jahre 1959 standen 11 Volkskammergesetzen rund 60 Rechtsverordnungen des Ministerrates gegenüber. Diese Zahlenangaben macht Zieger. a. a. O. (Anmerkung 27), S. 99, Anmerkung 89.

  30. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 8. 12.

  31. Vgl. Art. 101— 108 bzw. 91— 100 der Verfassung von 1949 in der ursprünglichen Fassung.

  32. Heute gilt das Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. 4. 1963, GBl I, S. 89.

  33. Dies geschah durch das Gesetz über die Bildung des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 27. 2. 1960, GBl I, S. 89.

  34. Gesetz über die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 9. 1960, GBl I, S. 505.

  35. Vgl. Art. 102 der Verfassung von 1949 in der Fassung des § 1 des Gesetzes über die Bildung des Staatsrates. Art. 67 Abs. 1 der Verfassung von 1968 legt die Zahl der Mitglieder des Staatsrates nicht mehr fest.

  36. Art. 106 der Verfassung von 1949 in der Fassung des Gesetzes über die Bildung des Staatsrates.

  37. Mampel, Die Funktion des Staatsrates der SBZ nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus, in: Recht in Ost und West, S. 129— 140 (139).

  38. Dies schreibt heute Art. 71 Abs. 1 der Verfassung von 1968 vor.

  39. So heute die Formulierung in Art. 66 Abs. 1 der Verfassung von 1968.

  40. Vgl. Art. 55 der Verfassung von 1968.

  41. Art. 106 der Verfassung von 1949 in der Fassung des Gesetzes über die Bildung des Staatsrates.

  42. § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik (Gerichtsverfassungsgesetz) vom 17. 4. 1963, GBl I, S. 45.

  43. § 17 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz.

  44. Vgl. Art. 1 und 71— 80 in der ursprünglichen Fassung.

  45. Vgl. Art. 139— 143 der Verfassung von 1949.

  46. Dies geschah durch das Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. 7. 1952, GBl S. 613.

  47. Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der DDR vom 8. 12. 1958, GBl I, S. 867.

  48. Dies geschah durch das Gesetz über die Reform des öffentlichen Haushaltswesens vom 15. 12. 1950, GBl S. 1201, dem schon eine Vielzahl vorwiegend organisatorischer Einengungsmaßnahmen vorangegangen war; vgl. dazu die Einzelheiten bei Türke, Demokratischer Zentralismus und kommunale Selbstverwaltung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Göttingen 1960, S. 58— 82.

  49. Vgl. die Ordnung über den Aufbau und die Aufgaben der Stadtverordnetenversammlung und ihrer Organe in den Stadtkreisen vom 8. 1. 1953, GBl S. 53, und die Ordnung über den Aufbau und die Aufgaben der Stadtbezirksversammlung und ihrer Organe in den Stadtbezirken vom 8. 1. 1953, GBl S. 60.

  50. Vgl. das Stichwort „demokratischer Zentralismus", Kleines politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1967, S. 126 f.

  51. Türke, a. a. O. (Anmerkung 48), S. 147.

  52. Zu den verwaltungsrechtlichen Begriffspaaren Zentralisation — Dezentralisation und Konzentration — Dekonzentration in diesem Zusammenhang vgl. Türke, a. a. O., S. 151— 166.

  53. Vgl. das Gesetz zur Änderung des Gesetzes vom 17. Januar 1957 über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen vom 20. 9. 1961, GBl I, S. 178.

  54. Die Errichtung wurde am 4. Juni 1964 in „Neues Deutschland" bekanntgegeben.

  55. Die übrigen Richter werden seit 1959 gewählt; vgl. dazu das Gesetz über die Wahl der Richter der Kreis-und Bezirksgerichte durch die örtlichen Volksvertretungen vom 1. 10. 1959, GBl I, S. 751.

  56. Die derart beschränkte sachliche Unabhängigkeit der Richter wird im DDR-Schrifttum mit dem ausdrücklichen Hinweis auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus gerechtfertigt; vgl. etwa Herrmann/Schüsseler, Inhalt und Bedeutung der Unabhängigkeit des Richters in der DDR, in: Neue Justiz 1963, S. 129— 135 (130).

  57. Ebenda, S. 133.

  58. Erstmals festgelegt im 3. Teil, Ziff. II 2 des Erlasses des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege (Rechtspflegeerlaß) vom 4. 4. 1963, GBl I, S. 21; vgl. heute auch Art. 95 Verfassung 1968.

  59. So ausdrücklich ein Urteil des Obersten Gerichts, abgedruckt in Neue Justiz 1961, S. 104.

  60. Vgl. Müller-Römer, Zur Rechtsnatur der Richtlinien des Obersten Gerichts der DDR, in: Recht in Ost und West 1968, S. 151— 157.

  61. Darüber näher: Müller-Römer, Die Gerichtskritik in der DDR, in: Zeitschrift für Zivilprozeß 1969, S. 284— 296.

  62. So erstmals § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik (Gerichtsverfassungsgesetz) vom 17. 4. 1963, GBl I, S. 45; heute auch Art. 93 Abs. 3 Verfassung 1968.

  63. § 12 GVG 1963.

  64. § 17 GVG 1963.

  65. Vgl. die Verordnung über die Neugliederung der Gerichte vom 28. 8. 1952, GBl S. 791.

  66. §§ 41, 42, 49 und 50 des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik (Gerichtsverfassungsgesetz) vom 2. 10.

  67. Rechtsgrundlage dafür war seit 1953 die Verordnung über die Neubildung und die Aufgaben der Arbeitsgerichte vom 30. 4. 1953, GBl S. 693.

  68. Vgl. die erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. 12. 1951, GBl S. 1179.

  69. Dies geschah im Zuge der Neuordnung der Gerichtsbarkeit durch den Rechtspflegeerlaß; vgl. das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzbuches der Arbeit vom 17. 4. 1963, GBl I, S. 63.

  70. Rechtsgrundlage bildete das Gesetz zur Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 24. 1. 1962 (GBl I, S. 28). Bis zur Bildung der darin vorgesehenen Militärgerichte blieben zunächst die allgemeinen Gerichte zuständig (Durchführungsverordnung zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 24. 1. 1962 (GBl II, S. 58]). Mit dem 1. Juli 1963 gingen alle Militärstrafsachen — unabhängig vom Stand des Verfahrens — auf die zuständigen Militärgerichte über (§ 29 des Erlasses des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Stellung und die Aufgaben der Gerichte für Militärstrafsachen [Militärgerichtsordnung] vom 4. 4. 1963 [GBl I, S. 71]).

  71. § 4 der Militärgerichtsordnung.

  72. Ausführlich darüber: Schmidt, Wesen und Entwicklung der Konflikt-und Schiedskommissionen in der DDR, 2 Teile, Studien und Analysen aus dem Institut für Ostrecht der Universität zu Köln, Nr. 11 u. 14.

  73. Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik (GGG) vom 11. 6. 1968, GBl I, S. 229.

  74. Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Wahl und Tätigkeit der Konfliktkommissionen (Konfliktkommissionsordnung) vom 4. 10. 1968, GBl I, S. 287, und Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Wahl und Tätigkeit der Schiedskommissionen (Schiedskommissionsordnung) vom 4. 10.

  75. Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 GVG 1963 in der Fassung des § 20 GGG.

  76. So ausdrücklich § 15 Abs. 1 GGG. Das folgte an sich schon aus Art. 93 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 92 der Verfassung von 1968.

  77. Vgl. die Formulierung des Art. 92 Satz 1 der Verfassung.

  78. Vgl. § 7 Abs. 1 GGG.

  79. Vgl. §§ 34 und 39 GVG 1963 sowie §§ 22 und 26 Militärgerichtsordnung.

  80. Vgl. § 24 Abs. 2 GVG 1963 sowie § 20 Abs. 3 Militärgerichtsordnung.

  81. Pleyer/Lieser (Zur Betriebsjustiz in beiden Teilen Deutschlands, in: Deutschland Archiv 1968, S. 574— 589) sehen deshalb darin zu Recht „zielund zweckgerichtete Schöpfungen der staatlichen Führung" (S. 585).

  82. Das Oberste Gericht der DDR lehnt die Zuständigkeit der Gerichte für Rechtsstreitigkeiten über alle mit Enteignungen zusammenhängende Verwaltungsakte ab (ständige Rechtsprechung seit CGZ 1, 12)'.

  83. Heute geregelt durch Art. 103 Verfassung 1968 und Erlaß des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik über die Eingaben der Bürger und die Bearbeitung durch die Staatsorgane vom 27. 2. 1961, GBl I, S. 7.

  84. Vgl. dazu Brintzinger, Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen in der SBZ?, in: Recht in Ost und West 1965, S. 145— 155 und 193— 202.

  85. Darüber näher: Westen, Verwaltungsrechtsschutz in der Retorte, in: Deutschland Archiv 1969, S. 370— 378 (372 ff.).

  86. Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik (Staatshaftungsgesetz) vom 12. 5. 1969, GBl I, S. 34.

  87. Art. 35 in Verbindung mit Art. 96 Abs. 3 der rumänischen Verfassung.

  88. Vgl. die Überschrift des Abschnitts IV sowie die Art. 19, 81, 87, 90 und 97.

  89. Am nachdrücklichsten hat das Meister am Schluß seiner Arbeit über „Das Rechtsstaatsproblem in der westdeutschen Gegenwart", Berlin (Ost) 1966, getan (vgl. S. 268 ff., besonders S. 272), der allerdings den Rechtsstaatsbegriff lediglich aus propagandistischen Gründen für den sozialistischen Staat reklamiert (S. 277 f.).

  90. Erstmals in der Präambel des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953 vom 17. 12. 1952, GBl, S. 1319.

  91. Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1950, das Zweite Jahr des Zweijahresplanes der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. 1. 1950, GBl, S. 41.

  92. Bisher hat es in der DDR folgende Perspektivpläne gegeben: Fünfjahrplan 1951— 1955 (Gesetz vom 1. 11. 1951), GBl, S. 973; Fünfjahrplan 1956— 1960 (Gesetz vom 9. 1. 1958), GBl I, S. 41, der jedoch Ende 1958 abgebrochen worden ist; Siebenjahrplan 1959— 1965 (Gesetz vom 1. 10. 1959), GBl I, S. 703, der 1961 ebenfalls abgebrochen worden ist; Perspektivplan bis 1970 (Gesetz vom 26. 5. 1967), GBl I, S. 65.

  93. Rechtsgrundlage dafür bildete die Richtlinie des Ministerrats für das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft vom 11. 7. 1963, GBl II, S. 453. Aus der Fülle dazu veröffentlichter wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchungen sei hier nur die zusammenfassende Analyse von Leptin, Das „Neue ökonomische System" Mitteldeutschlands, in: Thalheim/Höhmann (Hrsg.), Wirtschaftsreformen in Osteuropa, Köln 1968, S. 100— 130, erwähnt. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum hat sich mit diesem Fragenkreis weniger beschäftigt. Hervorzuheben ist hier die Arbeit von Pleyer, Die rechtliche Stellung der VVB im Neuen Ökonomischen System, in: Deutschland Archiv 1968, S. 113— 124.

  94. Westen, Die neue Verfassung der DDR, in: Europa-Archiv 1968, S. 639— 650 (645).

  95. Schwarzenbach, Zentrale staatliche Leitung und Eigenverantwortung im Gesellschaftssystem der DDR, in: Deutschland Archiv 1969, S. 131— 147 (133 f.).

  96. Vgl. Art. 78, 81 Abs. 2 und 82 Abs. 2 Verfassung 1968.

  97. Für Einzelheiten der sowjetischen Eigentumslehre, auf die letztlich alle Eigentumslehren der anderen kommunistisch regierten Länder zurückgehen, vgl. Jakobs, Eigentumsbegriff und Eigentumssystem des sowjetischen Rechts, Köln und Graz 1965.

  98. Uber diese Methoden vgl. Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965, S. 150 ff.

  99. Rechtsgrundlage dafür bildet heute die Verordnung über die Bildung halbstaatlicher Betriebe vom 26. 3. 1959, GBl I, S. 253 in Verbindung mit den einschlägigen Bestimmungen des HGB. Vgl. dazu näher Pleyer/Lieser, Private und halbstaatliche Betriebe in der zentralen Planwirtschaft der SBZ, in: Recht in Ost und West 1967, S. 97— 104 (99 ff.).

  100. Vgl. auch die Erwähnung dieser Betriebsform in Art. 14 Abs. 2 Verfassung 1968.

  101. Art. 22 Abs. 4 Verfassung 1949.

  102. Oberstes Gericht in: Neue Justiz 1957, S. 776; OGZ 6, 159.

  103. Rundverfügung des Justizministeriums der DDR vom 4. 7. 1950, abgedruckt in: Unrecht als System, Bd. I, Bonn und Berlin 1952, S. 159.

  104. Verordnung über den Rang volkseigener Vorderungen im Konkurs des Schuldners vom 25. 10. 1951, GBl S. 955.

  105. So erstmalig: Kammergericht (Ost), in: Neue Justiz 1953, S. 502.

  106. Diese Regelung brachte zuerst das Gesetz zum Schutze des Volkseigentums und anderen gesellschaftlichen Eigentums vom 2. 10. 1952, GBl, S. 982.

  107. So ausdrücklich beispielsweise schon § 28 des Gesetzes zur Ergänzung des Strafgesetzbuches vom 11. 12. 1957, GBl I, S. 843, und die höchstrichterliche Rechtsprechung, OGZ 3, 230.

  108. So Luft/Schmidt, Die neue Verfassung und das sozialistische Eigentum, in: Staat und Recht 1968, S. 716— 729 (724, Anmerkung 15).

  109. Art. 28 Verfassung 1949.

  110. Einzelheiten bei Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965, S. 102— 106.

  111. Nachweise dafür bei Müller-Römer, a. a. O. (Anmerkung 110), S. 107— 210.

  112. Protokoll der Verhandlungen des V. Partei-tages der SED, Bd. I, Berlin (Ost) 1959, S. 51.

  113. Nachweise bei Müller-Römer, a. a. O. (Anmerkung HO), S. 132 ff.

  114. Haney, Das Recht der Bürger und die Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit, in: Staat und Recht 1962, S. 1063— 1080 (1074).

  115. Vgl. Art. 66 Verfassung 1949 und heute Art. 71 Abs. 3 Verfassung 1968.

  116. Mampel, a. a. O. (Anmerkung 5), S. 555.

  117. Näheres bei Müller-Römer, a. a. O. (Anmerkung 110), S. 23.

  118. Klein, Von der Bestimmung des Menschen in unserer Epoche, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1963, S. 531— 544 (537).

  119. Krüger/Poppe, Bürgerliche Grundrechte und sozialistische Persönlichkeitsrechte, in: Staat und Recht 1961, S. 1921— 1932 (1921).

  120. So 1958 erstmals Polak, Zur Dialektik in der Staatslehre, Berlin (Ost) 1963 3, S. 167.

  121. Krüger/Poppe, a. a. O. (Anmerkung 119), S. 1932. Ausführlich dazu auch Klenner, Studien über die Grundrechte, Berlin (Ost) 1964, S. 101— 128.

  122. Nachweise bei Müller-Römer, a. a. O. (Anmerkung 110), S. 85 f.

  123. Für weitere Einzelheiten der Grundrechtsordnung in der Verfassung von 1968 vgl. Müller-Römer, Die Grundrechte im neuen mitteldeutschen Verfassungsrecht, in: Der Staat 1968, S. 307— 327.

Weitere Inhalte

Dietrich Müller-Römer, Dr. jur. geb. 1. Mai 1934 in Hainsberg, Dipl. -Kaufmann wissenschaftlicher Assistent am Institut für Ost recht der Universität zu Köln. Veröffentlichungen u. a.: Die Grundrechte ir Mitteldeutschland, Köln 1965; Ulbrichts Grundgesetz, Köln 1968; verschiedene Aufsätze in Fachzeitschriften.