1. Was heißt Mitbestimmung?
Das Zauberwort Mitbestimmung wirkt nach einem Jahrzehnt relativer Ruhe in unseren bewegten sechziger Jahren wieder verstärkt wie ein Ferment in alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens hinein und hat eine Wohlstandsgesellschaft in Gärung gebracht, über die sich nach einem entbehrungsreichen Aufbau langsam die Kruste restaurativer Selbstgefälligkeit zu legen drohte. Mitbestimmung ist eine „komplexe, eine in allen wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen relevante Frage"
An der Mitbestimmung scheiden sich heute die Geister in einer vorher kaum gekannten Schärfe. Die Befürworter sehen in ihr ein Instrument zur endgültigen Durchsetzung demokratischer Prinzipien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, ein „Stück Gesellschaftspolitik" zur „Ausgestaltung und Festigung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung"
Im Folgenden soll das weit gespannte Thema Mitbestimmung auf einen relativ engen, aber wirtschafts-und gesellschaftspolitisch außerordentlich bedeutsamen Ausschnitt reduziert werden: auf die sogenannte „wirtschaftliche" oder „qualifizierte Mitbestimmung". Was heißt das?
Die Diskussion hat sich heute auf den Punkt 3 zugespitzt, während die Punkte 4 bis
Entsprechend den verschiedenen Ebenen der Realisierung zeigt „der Wirkungsgrad der Mitbestimmung der Arbeitnehmer . . . innerhalb der Bundesrepublik Deutschland alle denkbaren Abstufungen" 5). Ihren höchsten „Wirkungsgrad" hat sie durch das „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaues und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie" von 1951, das so-genannte Mitbestimmungsgesetz, in der Montanwirtschaft erreicht 6). Hier sind die Arbeitnehmer durch ihre Repräsentanten über einen halb-paritätisch zusammen mit den Kapital-eignern besetzten Aufsichtsrat
Außerhalb der Montanindustrie besteht auf Unternehmensebene noch keine echte wirtschaftliche Mitentscheidung, da hier das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) von 1952
(§§ 76, 77) nur eine Drittelparität der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (einfache Mitbestimmung) und im Vorstand überhaupt keine Vertretung vorsieht und im übrigen, „um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmer zu fördern und eine gegenseitige Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sicherzustellen" (67, 1), auf einen paritätisch besetzten „Wirtschaftsausschuß" verweist. Unter „wirtschaftlichen Angelegenheiten", bei denen ein „Anspruch auf Unterrichtung", also nicht auf aktive Mitentscheidung besteht, sind Fabrikations-und Arbeitsmethoden, Produktionsprogramm, wirtschaftliche Lage des Unternehmens, Produktions-und Absatzlage und „sonstige Vorgänge zu verstehen, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren" (§ 67, 3). Für alle Betriebe, auch für die Montanbetriebe, regelt das BVG im Rahmen und zur Durchsetzung des geltenden Tarif-rechts nur eine Mitbestimmung in sozialen (§§ 56 bis 59) und personellen Angelegenheiten (§§ 60 bis 66) wie Arbeitszeit, Urlaubspläne, Berufsausbildung, Verwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen sowie Einstellungen, Umgruppierungen, Versetzungen und Entlassungen. Im Personalbereich sind freilich zahlreiche Vorbehaltsrechte für den Arbeitgeber eingebaut. Während das BVG von 1952 bei beiden Sozial-partnern heute fast unbestritten ist und die Gewerkschaften hier nur eine gewisse Verbesserung anstreben, geht die Diskussion verstärkt seit Anfang der sechziger Jahre darum, die Montanmitbestimmung auf alle Unternehmen von einer gewissen Größenordnung an auszudehhen, wobei gegebenenfalls eine Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft mit den entsprechenden Mitbestimmungsgremien vorzunehmen wäre. Nach Vorstellung der Gewerkschaften beinhaltet „Großund Größtunternehmen''das Vorhandensein von zwei der drei folgenden Kriterien: 1. mehr als 2000 Arbeitnehmer, 2. mehr als 150 Mill. DM Umsatz-erlös, 3. mehr als 75 Mill. DM Bilanzsumme. Die Personalgesellschaften mit vermögensrechtlich voll haftenden Eigentümern, das heißt vor allem die mittelständischen und kleingewerblichen Betriebe, wo Eigentümer, Unternehmer und „erster Arbeiter" meist noch identisch sind, sind aus Gründen der Risiko-haftung aus der Mitbestimmungsdiskussion ausgeklammert, soweit sie nicht die Umwandlung vollziehen.
Für die wirtschaftliche Mitbestimmung auf Unternehmensebene werden teils sozialethischhumanitäre („Würde des arbeitenden Menschen"), teils politisch-gesellschaftliche Gründe in Analogie zum politisch-staatlichen Raum ins Feld geführt, die im einzelnen noch zu untersuchen sein werden. Nur soviel sei vorausgeschickt, um die wirtschaftliche Argumentation allgemein von der eingangs angesprochenen umfassenden Mitbestimmungsproblematik anzuleuchten: Alle so verschieden artikulierten und begründeten Mitbestimmungsforderungen lassen sich, soweit sie sich nach der gesellschaftlich-staatlichen Realität und nicht nach einer sozialromantischen Utopie ausrichten oder nur die Anarchie herbeiführen wollen, auf einen einheitlichen Kern zurückführen, auf das Unbehagen darüber, daß die Demokratie in Deutschland teilweise im Formalen stekkengeblieben ist und sich noch nicht in der notwendigen Breite und Stabilität auf eine gesellschaftliche Basis gründet. Noch gibt es „Obrigkeit", die sich nicht auf die überzeugende und permanent zu erbringende Leistung beruft, sondern auf überholte und fragwürdige Ausleseprinzipien, auf quasi-ständische Privilegien, auf Alter, Tradition, ererbte Vorrechte und eine heute vielfach schon brüchige Eigentumsordnung. Einig wissen sich die Anhänger der Mitbestimmung in ihrem Verlangen nach Legitimation oder doch wenigstens Kontrolle der Macht «von unten". Herrschaftsstränge sollen, soweit sie von der Sache her gerechtfertigt sind — über einen derartigen Sachzwang machen sich auch die eifrigsten Vorkämpfer für die Mitbestimmung keine Illusionen —, wenigstens durch größere Publizität durchsichtig gemacht und damit einer effektiveren Überwachung gegen Mißbrauch unterworfen werden.
Die Verfechter der wirtschaftlichen Mitbestimmung gehen übereinstimmend davon aus, daß „die dominierenden Strukturprinzipien in der Wirtschaft den politischen Strukturprinzipien hinterherhinken"
Auch die Gegenseite, ideologisch repräsentiert u. a. in F. Böhm, einem der markantesten Vertreter des von W. Eucken begründeten „Freiburger Ordo-Liberalismus", argumentiert politisch mit dem Demokratie-Begriff, um mit ihm die wirtschaftliche Mitbestimmung gerade zu bekämpfen. Die freie Wettbewerbswirtschaft wird hier als die „technisch idealste Erscheinungsform von Demokratie" überhaupt angesehen, „sie fügt sich . . . aufs Vollkommenste in eine politische Demokratie ein, weil sie in sich ein demokratischer Vorgang ist"
Die Verfechter der Mitbestimmung leugnen nicht, daß das Lohnarbeitsverhältnis seit dem autokratisch-patriarchalischen „Herr-im-Hause Standpunkt" der Stummschen Ära im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, beginnend mit dem Vaterländischen Hilfsdienstgesetz 1916, dann in der Weimarer Republik durch das Betriebsrätegesetz, die Tarif-autonomie der Gewerkschaften, den Tarifvertrag, die Arbeitslosenfürsorge und zahlreiche arbeitsund sozialrechtliche Gesetze und Verordnungen bis hin zum BVG von 1952 eine fortschreitende Humanisierung und Absicherung erfahren hat. Dennoch sei in unserer heutigen Arbeitnehmergesellschaft der ständig an Bedeutung zunehmende Produktivfaktor Arbeit im Unternehmen immer noch rechtlich dem Kapital und der vom Kapital bestellten Verfügungsmacht des Unternehmers nachgeordnet und mit Abschluß des Arbeitsvertrages letztlich diesen beiden Faktoren ausgeliefert. In Zeiten der Vollbeschäftigung, wo auf dem Arbeitsmarkt — wie gegenwärtig — statistisch auf einen Arbeitslosen acht offene Stellen warten, mag dies faktisch unerheblich sein, in Perioden der Depression oder struktureller Umstellungen etwa auf dem Kohle-oder Stahl-Sektor wie in diesen Jahren werde der Arbeitnehmer sehr schnell bei Betriebsstillegungen, Produktionseinschränkungen oder Entlassungen — die Weltwirtschaftskrise habe es gelehrt — zu spüren bekommen, was es konkret bedeutet, sich durch seine Unterschrift einer fremden Macht ohne Kontrolloder Ein-wirkungsmöglichkeiten zu unterwerfen. Die Arbeit empfange den ihr in der modernen Industriewelt zukommenden Rang erst in einem interessendualistisch (statt wie bisher interessenmonistisch, das heißt allein vom Kapital her) und dreipolig strukturierten Unternehmensmodell, in dem Arbeitnehmer und Aktionäre gemeinsam partnerschaftlich den Unternehmer oder das top-management — the force that integrates men and physical plant into an efficient operating unit (L. A. Keith) — bestellen und kontrollieren. „Parlamentarisierung" der Unternehmensleitung in dieser Form meint — das sei noch einmal betont — ebensowenig wie in der parlamentarischen Demokratie oder im bestehenden Aktienrecht, wo die Aktionäre ja auch die „Exekutive“ parlamentarisch einsetzen und legitimieren, Abbau notwendiger Autorität oder Weisungsbefugnisse oder gar permanentes „Zerreden" anstehender Entscheidungen.
Den Anhängern der Mitbestimmung geht es nicht um den Vorteil des Augenblicks, sondern um ein langfristiges Ziel, eine ökonomisch-soziale Ordnung, in deren Mittelpunkt nicht mehr allein wie im 19. Jahrhundert der „Besitzbürger" (Bourgeois), sondern der Arbeitnehmer als vollgültiger Partner des Eigentümers steht. Ebensowenig sollte man dem Arbeitgeber pauschal kurzsichtigen Klassenegoismus oder reaktionäre Unbelehrbarkeit unterstellen. Beiden Parteien gemeinsam ist das Bestreben, eine produktive, dynamische und wettbewerbsfähige Volkswirtschaft zu bewahren, die in einer ständig wachsenden internationalen Konkurrenz zu bestehen und dabei Leistungen zu erstellen vermag, die dem Kapital Gewinn und dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und seinen Lebensstandard garantieren.
2. Mitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg
An Hand der Mitbestimmungsentwicklung bis 1933 wurde bereits gezeigt
In der allgemeinen Aufbruchsstimmung von 1945-1947 galt die Mitbestimmung, oft verbunden mit der Forderung nach Sozialisierung, für alle Parteien und Verbände — mit Ausnahme der FDP und der ihr nahestehenden Kreise
Sehr viel zurückhaltender und infolge ihrer Vormachtstellung auch über ihre Besatzungszone hinaus bremsend verhielten sich die Amerikaner in der Mitbestimmungsund Sozialisierungsfrage. Im Zuge der „Entflechtung" der Eisen-und Stahlindustrie entstand unter britischer Ägide 1946 die North German Iron and Steel Control Group als überbetriebliche Kontrollinstanz für einen Wirtschaftszweig, der als Hauptstütze der nationalsozialistischen Herrschaft galt. 1947 wurden in den „entflochtenen" Stahlwerken durch freie Vereinbarungen auf Betriebsebene und mit Zustimmung der Besatzungsmacht paritätisch besetzte Aufsichtsräte und Arbeitsdirektoren geschaffen, so daß die wirtschaftliche Mitbestimmung an sich schon seit 1947 datiert. Endlich wird man auch auf Gewerkschaftsseite den Mitbegründer und ersten Vorsitzenden des DGB, eine so respektheischende und allseits anerkannte Persönlichkeit wie Hans Böckler, und Dr. Heinrich Dinkelbach auf Unternehmerseite, der als von den Engländern hinzugezogener Sachverständiger entschieden für die Mitbestimmung eintrat, mit ihren großen Verdiensten um den sozialen Ausgleich nicht vergessen dürfen.
Entsprechend dem Kontrollrats-Rahmengesetz erließ die Mehrzahl der Länderregierungen — mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg — 1947-1950 für ihren jeweiligen Bereich Betriebsrätegesetze mit sehr verschieden fixierten Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechten für die Betriebsräte
Die Schöpfer des Grundgesetzes taten nach den traurigen Erfahrungen von Weimar sicher gut daran, diesmal die Verfassung nicht mehr mit einem heftig umstrittenen und allenthalben noch keineswegs ausdiskutierten gesellschaftlich-ökonomischen Ordnungsmodell zu belasten — einem Ordnungsmodell, das überdies in der Verfassung der Weimarer Republik (Art. 151 ff.: Das Wirtschaftsleben)
Hier ist übrigens — worauf sich die Verfechter der Mitbestimmung in ihrer Polemik gegen die angeblich uneingeschränkte „Heiligkeit" des Eigentums berufen — erneut ein Grundsatz der möglichen Verfügungsbeschränkung verfassungsrechtlich verankert, der ins Privatrecht schon knapp ein Menschenalter vor Weimar in der Hochblüte einer kapitalistisch-individualistischen Ordnung
Die bundesgesetzliche Verankerung eines vielerorts schon bestehenden und im Montanbereich sogar bereits sehr ausgebauten Mitbestimmungsrechtes im Mitbestimmungsgesetz von 1951 und BVG von 1952
Bei der heftigen Auseinandersetzung um die Mitbestimmung 1950— 1952
Dieser wirtschaftsfriedliche und integrierende Charakter des BVG deutet zwar auf eine sehr starke Abschleifung der Klassenfronten seit der Weimarer Zeit hin, er sollte aber nicht über die tiefgreifenden Auseinandersetzungen innerund außerhalb des Bundestages hinwegtäuschen, die der Verabschiedung des BVG vorausgingen. Am 12. Mai 1952 forderte der DGB Arbeiter, Angestellte und Beamte „zum Kampf für ein fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz auf Grundlage einer demokratischen Wirtschaftsordnung und -Verwaltung" auf und drohte in einem Schreiben an Adenauer „gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen", das heißt den politischen Streik zur Durchsetzung der eigenen Mitbestimmungsvorstellungen an
Zur Beurteilung der damaligen Auseinandersetzung, die noch bis auf den gegenwärtigen Stand der Mitbestimmungskontroverse ausstrahlt, ohne daß sich die Fronten bei aller Verbindlichkeit sozialpartnerschaftlichen Verhaltens in der Sache geändert hätten, wird man die restaurativen Tendenzen der fünfziger Jahre als Ausfluß der damaligen politischen Konstellation werten müssen. 1919/20 und später zerriß die Frontstellung zwischen „rechts" und „links" ein ganzes Volk, und die Mitbestimmungsanhänger waren in der Regel zugleich als „rote Novemberverbrecher" oder „Träger des Dolchstoßes" Zielscheibe einer immer radikaler sich gebärdenden Agitation auf der Rechten. Nach dem zweiten Zusammenbruch zog sich wieder, diesmal freilich unter den veränderten Bedingungen ideologisch verfestigter Besatzungsgrenzen, ein Graben zwischen zwei gegensätzlichen Eigentums-und Gesellschaftsmodellen durch das Volk, wieder mit entsprechend restaurativen Rückwirkungen auf das sozialpolitische Klima. Der soziale Konflikt verschärfte sich erneut ins politisch Grundsätzliche. Denn jedes Rütteln an der gerade unter Ludwig Erhard etablierten freien Marktwirtschaft und an der „Heiligkeit des Privateigentums" unmittelbar an der Nahtstelle der weltweiten ideologischen Konfrontation, gleichsam in ihrem vordersten Graben, wurde sofort als Kapitulanten-und Handlangertum dem Osten gegenüber gebrandmarkt. Gerade die Eigentumsbastion wurde als unverzichtbare Schutzwehr und Symbol der freiheitlich-westlichen Gemeinschaft besonders kompromißlos verteidigt, Vorschläge zu ihrer Modifikation — wie etwa auf dem Gründungskongreß des DGB 1949 die Forderung nach Sozialisierung und „Wirtschaftsdemokratie" -— als „Aufweichung" dieser Schutzwehr gebrandmarkt. Zudem erging die Warnung, Adenauer in seinem Kampf um die Aufhebung der Demontagen nicht durch sozialistische Experimente, die möglicherweise besonders das Mißtrauen der Amerikaner wecken mußten, in den Rücken zu fallen. Endlich schien die uneingeschränkte Unternehmerinitiative ein elementarer Bestandteil der freien Marktwirtschaft zu sein, mithin also jede Beeinträchtigung dieser Initiative durch Experimente ein Schlag gegen diese Wirtschaftsform selbst, die sich ebenfalls damals noch in einem ängstlich von allen Seiten beobachteten Experimentierstadium befand. Symptomatisch für die verhärtete Stimmung damals ist ein Vortrag, den der schon aus Weimar bekannte katholische Publizist Josef Win-schuh am 25. April 1952 unter dem Thema „Sinn und Unsinn der Wirtschaftsdemokratie" vor der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer hielt
Können derartige Äußerungen, so typisch sie auch für die Zeitumstände bei ihrer Entstehung vielleicht sein mögen, auch richtungweisend für die Gegenwartsdiskussion sein? Diese wichtige Frage zwingt uns, noch einmal die verschiedenen Standorte in der Mitbestimmungsdiskussion zu skizzieren und dabei zu prüfen, wieweit sich hier möglicherweise in den letzten 15 Jahren ein Wandel vollzogen hat.
3. Die Standorte in der Mitbestimmungsdiskussion
Hier kann es aus Raumgründen nur darum gehen, die verschiedenen Meinungsbilder in großen Umrissen und unter Verzicht auf personelle oder sachliche Differenzierung herauszuarbeiten. Ausgehend von Kunze/Christmann sind dabei folgende Positionen zu unterscheiden: a) Die Freiheitlichen Sozialisten vor allem in den Gewerkschaften und in der SPD mit Verbindungen zum religiösen Sozialismus in den Lagern beider Konfessionen (u. a. H. Böckler, L. Rosenberg, O. Brenner, K. Ballerstedt, H. Deist, K. Schiller, H. Koch, E. Potthoff, L. Preller, C. Schmid), b) die Vertreter der evangelischen Sozialethik (u. a. W. Künneth, Eb. Müller und H. Thielikke), c) die Repräsentanten der katholischen Sozial-lehre mit einem sehr großen Spannungsbogen zwischen dem gewerkschaftsnahen, progressiven Flügel um O. von Nell-Breuning SJ, H. J.
Wallraff SJ, F. Klüber, W. Dirks und H. Duvernell und der traditionalistischen Richtung um G. Gundlach SJ (gest. 1963), A. Rauscher SJ und Wilh. Weber.
Die Positionen b) und c) sind politisch teils in der SPD, teils in dem linken, arbeitnehmer-und mitbestimmungsfreundlichen Flügel der CDU, u. a. in den Sozialausschüssen der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft repräsentiert. Gegen a) bis c) heben sich die Gegner der Mitbestimmung ab: d) Die Neoliberalen der „Freiburger Schule", politisch beheimatet in der FDP und auf dem rechten CDU-Flügel. Die Aussagen von Männern wie W. Eucken (gest. 1950), F. Böhm,
Gerhard Erdmann, Hauptgeschäftsführer der BDA, nahm im April 1964 die Präambel des Düsseldorfer Grundsatzprogrammes des DGB von 1963
Diese und viele ähnliche Äußerungen von neoliberaler und Unternehmerseite orientieren sich seit den zwanziger Jahren vorwiegend an der „Wirtschaftsdemokratie" als einem umfassenden ökonomisch-sozialpolitischen Programm der Gewerkschaften, in das die Mitbestimmung als Kernproblem eingebettet ist. Dabei wird unterstellt, daß sich im freiheitlichen Sozialismus bis heute im Grunde an dem 1928 von Naphtali, Baade, Sinzheimer, Hilferding, Nölting und Tarnow aufgestellten Programm
Hier wird ein entscheidender Faktor übersehen: In der „Wirtschaftsdemokratie" und mithin auch bei der Mitbestimmung hat sich seit 1945 „ein grundsätzlicher Meinungswandel vollzogen, der für viele, die der Tradition verhaftet waren oder noch sind, schmerzlich sein mag, aber nicht mehr umzukehren ist"
Dies wurde — was man der Gegenseite zugute halten muß — 1949 auf dem Gründungskongreß des DGB noch nicht deutlich, war wohl auch in dieser Eindeutigkeit noch nicht ausdiskutiert. Hier stand im Zentrum das recht umfassend formulierte Verlangen nach „Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung". Verbunden damit war die Forderung nach Planung, um den zweckmäßigen Einsatz der volkswirtschaftlichen Produktivkräfte und die Deckung des volkswirtschaftlichen Bedarfs sowie die Vollbeschäftigung zu gewährleisten, weiterhin nach Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum als „Schlußstein des wirtschaftsdemokratischen Aufbaues in unserem Lande" (H. Böckler) und nach sozialer Gerechtigkeit bei der Verteilung des volkswirtschaftlichen Ertrages.
Noch lag also, selbst wenn sich die Praxis inzwischen weiterentwickelt hatte, ideologisch der Schatten des wirtschaftsdemokratischen Grundsatzprogrammes von 1928 über dem Neubeginn. Noch waren auch die Befürworter einer zentralistischen Planwirtschaft in den Gewerkschaften und in der SPD in ihren düsteren Prognosen über einen unheilvollen Ausgang des Erhardschen Experimentes nicht durch den rapiden Wirtschaftsaufschwung im Gefolge des Korea-Booms widerlegt.
Das Referat des Vorsitzenden Hans Böckler auf dem Gründungskongreß
Die SPD stellte sich voll hinter die Forderung nach einer Demokratisierung des Wirtschaftsprozesses, nach planmäßiger Lenkung und Sozialisierung, wobei freilich ebenso wie bei den Gewerkschaften die beiden letzten Punkte mit zunehmendem Abstand vom Krieg immer mehr verblaßten
Was Bad Godesberg für die SPD ist, bedeutet für die Gewerkschaften der außerordentliche DGB-Bundeskongreß in Düsseldorf vom November 1963 mit der Verabschiedung eines Grundsatzprogrammes, das — wie erwähnt — auf die Arbeitgeberseite wie ein Alarmsignal wirkte. Tatsächlich hat die Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung seitdem in folgenden Punkten eine erhebliche Aktivierung und Konkretisierung erfahren
Man wird hier zum Verständnis der neuen Impulse in der Mitbestimmungsdiskussion berücksichtigen müssen, daß seit Anfang der sechziger Jahre auf die deutsche Wirtschaft nach einer Periode ungebrochenen Wachstums vor allem im Bergbau und in der Stahlerzeugung erhebliche Struktur-und Anpassungsprobleme gegenüber dem Markt und der technischen Entwicklung zukommen, die zugleich neben technisch-organisatorischen weitreichende wirtschaftlich-soziale Fragen aufwerfen. Struktur-und Wachstumskrisen wirken sich weit über den Arbeitsplatz des einzelnen heute auf die Gesamtgesellschaft aus; Entlassungen, Umsiedlungen, Umschulungen usf. berühren die Wirtschaftsgeographie ganzer Landstriche wie etwa das Rhein-Ruhr-Revier; großräumige Regionalplanungen, Rationalisierungs-und sonstige Investitionshilfen unter Einschaltung staatlicher Haushaltsmittel, Konzentrationsbewegungen in der Stahlproduktion, technologische Umstellungen auf dem Energie-oder Chemiesektor — all diese Aufgaben und noch viele andere, die heute auf uns zukommen, sind nur durch eine „konzertierte Aktion" von Kapital, Arbeit, Unternehmern, staatlicher Legislative und Exekutive, durch eine enge Zusammenarbeit von Repräsentanten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu bewältigen. Dabei ist es nicht mehr eine Sache der Ideologie, sondern einfach der organisatorischen Effizienz, ob man für den Wandlungsprozeß, dessen Notwendigkeit inzwischen auch der letzte Zechenbesitzer eingesehen haben dürfte, als Kontaktebene nur die übergeordnete der Tarifpartnerschaft wählen oder zugleich bereits innerhalb der betroffenen Unternehmen in den zuständigen Organen, vor allem im Vorstand, für eine reibungslose Durchführung von Strukturreformen im Rahmen einer qualifizierten Mitbestimmung Sorge tragen und damit schon im Vorweg etwa durch Aufstellung von Sozial-neben den Investitions-und Finanzplänen mögliche Differenzpunkte ausräumen sollte.
Hier müssen betriebliche und überbetriebliche Räder unmittelbar im Interesse der Gesamt-volkswirtschaft ineinandergreifen — angetrieben durch die Energie aller Betroffenen, ob Anteilseigner, Arbeitnehmer oder Unternehmer.
„Die Sicherung und Förderung des arbeitenden Menschen", heißt es in einer Denkschrift des Bundesvorstandes des DGB von 1966 unter dem Thema „Mitbestimmung — eine Forderung unserer Zeit"
Die Strukturdebatte hat also den Gewerkschaften und ihrer Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung schon auf Unternehmensebene vor allem durch Delegierung von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsrat (bei elf Mitgliedern zwei) und in den Vorstand (Arbeitsdirektor) nach dem Montanmodell erheblich Auftrieb gegeben. Ohne die Mitarbeit dieser Arbeitnehmervertreter an den Sozialplänen wären aber auch zweifellos die inzwischen getroffenen Strukturmaßnahmen im Ruhrbergbau nicht so reibungslos durchzuführen gewesen. Ähnliches gilt für den Stahlbereich und hier anstehende Strukturmaßnahmen, etwa die Errichtung von Walzstahlkontoren
Die qualifizierte Mitbestimmung als „eine der Grundlagen einer freiheitlichen und sozialen Gesellschaftsordnung" und als „dem Wesen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates" angemessen erscheint in dem Düsseldorfer Grundsatzprogramm eingebettet in eine Reihe von wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen wie Freiheit und Selbstverantwortung des Arbeitnehmers, Vollbeschäftigung, stetiges Wirtschaftswachstum, gerechte Eigentums-und Vermögensverteilung, Geldwertstabilität, Verhinderung des Mißbrauches wirtschaftlicher Macht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit. Im 3. Abschnitt werden die Mittel zur Erreichung dieser Ziele aufgeführt, u. a.der volkswirtschaftliche Rahmenplan, Haus-hälts-und Finanzpolitik, Investitionslenkung, Gemeinwirtschaft, Kontrolle wirtschaftlicher Macht, wirtschaftliche Mitbestimmung sowie eine Mischung aus Planung und Wettbewerb. In dem Dokument von 1966 heißt es dann ausdrücklich interpretierend: „Keines dieser Mittel hat doktrinären Charakter ... Es kommt darauf an, den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten auch mit einem entsprechenden Instrumentarium zu begegnen."
Das von Erdmann inkriminierte Ziel einer „Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft", die „darauf abzielt, alle Bürger an der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Willensbildung gleichberechtigt teilnehmen zu lassen", stellt keine starre ideologische Gesamtalternative zum bestehenden Wirtschaftssystem wie in den zwanziger Jahren mehr dar, sondern mehr die Richtung eines evolutionären Prozesses auf dem Boden des „demokratischen und sozialen Rechtsstaates" (Art. 20, 1 GG). Dazu noch einmal interpretierend die Erklärung von 1966: Im Düsseldorfer Grundsatzprogramm von 1963 „wurde die Mitbestimmung der Arbeitnehmer weder als klassenkämpferische Etappe auf dem Wege zum Sozialismus noch als Ausdruck harmoniegläubiger Partnerschaftsvorstellungen angesehen"
In der bereits erwähnten Denkschrift von 1966 erfolgt noch einmal eine eindeutige Absetzung gegen Naphtalis „Wirtschaftsdemokratie": „Die Mitbestimmung in den Unternehmensorganen ist auf die Interessen der Einzelunternehmen bezogen. Diese sind je nach der Lage einzelner Wirtschaftszweige und Unternehmen unterschiedlich. Deshalb kann die Mitbestimmung keine gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen verfolgen."
Im folgenden sind noch einmal stichwortartig die zentralen Argumente zugunsten der Mitbestimmung angeführt, wobei Mitbestimmung stets auch — ein besonders umstrittener Punkt — Einflußnahme der Gewerkschaften über die mindestens zwei Aufsichtsratssitze und den Arbeitsdirektor bedeutet
Mitbestimmung beseitigt die einseitige und ungerechtfertigte Herrschaftsmacht des Eigentums über den Menschen als Objekt; sie sichert die persönlichen Freiheitsrechte und gibt „der Arbeit einen neuen Sinngehalt . . ., indem man den arbeitenden Menschen durch die Mitverantwortung für das ganze Unternehmen den Zusammenhang erkennen läßt zwischen seiner Arbeit, die oft nur aus demselben, immer wiederkehrenden Handgriff besteht, und den wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen seiner Freiheit und Sicherheit".
Mitbestimmung nimmt der heute üblichen „Trennung des Arbeiters-von den Produktionsmitteln" wenigstens „den ärgsten Stachel"
Mitbestimmung mobilisiert die Initiativkräfte der Arbeitnehmer und fördert dadurch die Produktivität.
Mitbestimmung wirkt als „machtverteilendes Prinzip" mit einer „Ausweitung des Freiheitsspielraumes auf immer größere Gruppen unserer Gesellschaft". Mitbestimmung beseitigt autoritäre Herrschaftsformen und wirkt der Bürokratisierung und Entpersönlichung des Produktionsprozesses entgegen.
Mitbestimmung gibt eine Antwort auf einen Teilaspekt der Aufgabe, „die neu entstehenden Zusammenballungen wirtschaftlicher Macht gesellschaftspolitisch zu neutralisieren"
Mitbestimmung setzt die Mitbeteiligung der Gewerkschaften als „Korsettstangen" voraus. Sie bringen gegen den Betriebsegoismus gesamtwirtschaftliche Erwägungen zur Geltung, geben den Arbeitnehmern entsprechende Rükkenstärkung in ihrem Abhängigkeitsverhältnis zur Unternehmensleitung und vermitteln ihnen durch Schulungsarbeit die notwendige Sachkenntnis.
Mitbestimmung beseitigt nicht den „sozialen Konflikt
Mitbestimmung bietet durch eine „im Geiste unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung integrierte Unternehmensleitung" die Gewähr dafür, „daß die unternehmerische Entscheidungsgewalt nicht dazu mißbraucht wird, den Freiheitsbereich der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer weiter einzuschränken, als es für die Erfüllung der Produktionsaufgabe des Unternehmens notwendig ist"
Mitbestimmung findet als wirtschaftliche Mitbestimmung nur im Großunternehmen in der Form einer Kapitalgesellschaft Anwendung, nicht jedoch in mittelständischen und kleingewerblichen Betrieben, wo Eigentümer und Unternehmer noch identisch sind.
Der Gesetzgeber als Garant der sozialen Rechtsordnung ist grundsätzlich legitimiert, unter Umständen sogar verpflichtet, in die Unternehmensverfassung lenkend mit dem Ziel der „Sicherung rechtsstaatlicher Grundwerte durch institutionelle Ordnungen"
Nach dem Zweiten Weltkrieg und den schrecklichen Erfahrungen mit dem Mißbrauch der Macht und der Pervertierung sittlicher Werte in der Hitlerzeit hat die Evangelische Kirche in Deutschland einen sichtbaren Bruch mit der nachreformatorischen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Kirche und Staat — nach Müller „eine Folge der staatskirchlichen Mißdeutung der Zwei-Reiche-Lehre Luthers"
In den personal-und sozialethischen Begründungen
Bereits in seiner Erklärung zur Mitbestimmung vom 25. August 1950 hatte der Rat der EKD eine Erweiterung des BRG von 1920 gefordert: „Es ist der Sinn des Mitbestimmungsrechts, das bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden und den Arbeiter als Menschen und Mitarbeiter ernst zu nehmen. Seine Verwirklichung wird nicht nur für den Arbeitnehmer, sondern für den Arbeitgeber und das Gemeinwesen ein Beitrag zur Gesundung unserer sozialen Verhältnisse sein. Die Mitbestimmung bedarf allerdings der rechtlichen Ordnung. Dabei werden aus der Sache heraus Abstufungen zwischen sozialen, betriebstechnischen, persönlichen und wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechten unerläßlich sein.“ Allerdings sicherte sich der Rat dagegen ab, in der damals so erhitzten tagespolitischen Atmosphäre von einer bestimmten Seite „vereinnahmt" zu werden:
„Die gesetzliche Regelung sollte dem organischen Hineinwachsen der Beteiligten in die Aufgaben und der freien Vereinbarung weiten Spielraum geben und allen Versuchen zum Schematismus und Zentralismus widerstehen."
Auch wurden Arbeitgeber-und Arbeitnehmer-organisationen in einer gewissen Distanzierung zu den Gewerkschaften „vor allem auf das überbetriebliche Mitbestimmungsrecht" verwiesen, „während bei der Gestaltung des betrieblichen Mitbestimmungsrechtes der Tatsache Rechnung getragen werden muß, daß in erster Linie die Angehörigen des Betriebs selbst zur Mitverantwortung berufen sind. Hier haben die Organisationen vorwiegend fördernde Hilfe zu leisten."
Einen u. a. auch von progressiver katholischer Seite lebhaft begrüßten
Die Freiheit des Menschen in der Gesellschaft wird nicht mehr — wie noch im 19. Jahrhundert -— von der wirtschaftlichen Unabhängigkeit her bestimmt, sondern von seiner Mitverantwortung im sozialen Abhängigkeitsgeflecht (Art. 1).
In Art. 5 (Vom Patriarchalismus zur sozial-rechtlichen Partnerschaft) wird die Dreipoligkeit der Unternehmensstruktur — Kapital-Arbeit-Unternehmer — herausgestellt und dem Unternehmer die Aufgabe zugewiesen, „Kapital und Arbeit in rechter Weise zusammenzubringen und fruchtbar zu machen. Da die Arbeitnehmer ebenso wie die Eigner kleiner Kapitalanteile ihre Anliegen und Interessen meist nicht selbst wirkungsvoll wahrnehmen kön-nen, lassen sie sich durch selbstgewählte Beauftragte, Organisationen und Institute vertreten. Die Vertreter von Kapital und Arbeit sind die Partner, von deren vertrauensvoller Mitarbeit die für die Führung eines Unternehmens Verantwortlichen heute getragen sein müssen." Freilich schließt diese Partnerschaft „gegensätzliche Standpunkte in bestimmten Fragen und das Austragen von Konflikten nicht aus".
Dem kapitalistischen Ziel der Gewinnmaximierung wird unter Art. 6 (Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit) ein sozialethisches Postulat als gleichwertig zur Seite gestellt: „Die Wirtschaft soll zugleich als ein Lebensbereich gestaltet werden, in dem der Mensch seine ihm von Gott gegebenen Anlagen entfalten kann.“ Dieses Anliegen dürfe jedoch — hier wird der vermittelnde Charakter der Denkschrift deutlich — nicht dazu führen, „daß sich in den Betrieben das Streben nach wirtschaftlichem und technischem Erfolg nicht gegen Unbeweglichkeit, Trägheit und unberechtigte Sonderwünsche der Menschen durchzusetzen vermag". „Geschlossenheit und Beweglichkeit ihrer Organisation" sind wesentliche Voraussetzungen für die „Leistungsfähigkeit und den Ertrag wirtschaftlicher Unternehmen" (Art. 7). Ist die Unternehmensleitung „mit der gleichzeitigen Verantwortung für die mitarbeitenden Menschen und für den rechten Einsatz des anvertrauten Kapitals" verbunden, so haben andererseits „die Vertreter des Kapitals und die Vertreter der Arbeitnehmerschaft . . . gemeinsam darüber zu wachen, daß alle, die leitende Funktionen haben, diese doppelte Verantwortung in rechter Weise wahrnehmen". Die Ordnungen des Wirtschaftslebens „müssen so gestaltet sein, daß das Interesse der Unternehmensleitungen ebenso auf die menschlichen wie auf die technisch-wirtschaftlichen Aufgaben hingelenkt wird" (Art. 10).
Zahlreiche Aussagen über Marktausrichtung, marktkonformes Verhalten und Marktgehorsam
Im internationalen Wettbewerb wird den Arbeitgeberwarnungen zum Trotz den mitbestimmten Unternehmen in Deutschland eine erhöhte Anziehungskraft zugesprochen. „Sozialformen, die zu einer engeren Zusammenarbeit der Sozialpartner führen, dienen der politischen Stabilität und der sozialen Befriedung. Diese bilden für eine langfristige Unternehmenspolitik eine wichtige Voraussetzung" (Art. 15). Allerdings wird auch vor den Folgen einer zu starken Behinderung der Kapitalnutzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und für das „Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaft" durch die Mitbestimmung gewarnt.
Konkret wird die wirtschaftliche Mitbestimmung in Großunternehmen unter Art. 18 gefordert durch den Hinweis auf die „doppelte Verantwortlichkeit" der Unternehmensleitungen und ihre bessere Abstützung, „wenn sie nicht einseitig nur von der Legitimation durch die Kapitalbesitzer abhängig wären". „Die Vertretung der Mitarbeiter und ihrer Anliegen sollte darum in den großen Unternehmen institutionell in besonderer Weise abgesichert werden." Der nach 1945 durch Arbeitnehmer-vertretungen in den Organen eingeschlagene Weg „sollte weiter beschritten werden", was konkret einen Ausbau der Betriebsverfassung von 1952 bedeuten würde. Dabei wird „das Gewicht der Arbeitnehmervertretung" (Art. 20) in den Unternehmen außerhalb der Montanindustrie, das heißt die Drittelparität im Aufsichtsrat (AR), sehr kritisch als zu gering und sogar als ausgesprochen entmutigend und aktivitätshemmend bewertet, wenn sich die Arbeitnehmervertreter im AR nur „als ein Anhängsel betrachtet" fühlten. „Das Gefühl der Arbeitnehmervertreter, in allen ernsthaften Fällen doch nichts erreichen zu können, kann zu ihrer Entmutigung führen. Wenn aber Menschen zum Verstummen gebracht werden, wo sie verantwortlich reden und mithandeln sollen, entstehen Gefahren für unsere Gesellschaft. Es sollte daher nach Wegen gesucht werden, wie ein Mitbestimmungsrecht zur Geltung kommen kann, ohne daß Nebenwirkungen eintreten, die nicht beabsichtigt und für die Unternehmen und die Wirtschaft schädlich sind."
Positiv wird die Mitbeteiligung der Gewerkschaften an der Mitbestimmung beurteilt (Art. 19), wenngleich die Denkschrift fast pedantisch auch die möglichen Gefahren aufzählt, die der Rolle der Gewerkschaften bei der bisher schon praktizierten Montanmitbestimmung innewohnen (Art. 23).
Kontroversen hat es dann bei einer genauen Ausarbeitung der Mitbestimmungsparitäten innerhalb einer neuen Unternehmensverfassung gegeben (Art. 28: Das Problem eines Ausgleichs der Bestimmungsrechte). In einer gewissen Überspitzung der Gegensätze wird den „einander überschneidenden Anliegen" der Arbeitnehmervertreter (volle Parität in den Aufsichtsorganen) und der Unternehmer-seite (marktgerechte wirtschaftliche Entscheidungen, Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit) ein „sachlich begründetes Gewicht" zugemessen, der „Ausgleich zwischen diesen beiden Anliegen" jedoch von der „Mehrheit der Kammer" dann sehr stark nach dem Montanmodell, also nach einer faktischen 50: 50-Parität, ausgerichtet. Etwas verklausuliert heißt es, der Mehrheit habe „ein Ordnungsmodell vor Augen (gestanden), nach dem derjenige Teil der AR-Sitze, der den Arbeitnehmern nach dem BVG zur Parität fehlt, in Zukunft bei seiner Bestellung vom Vertrauen beider Seiten abhängig gemacht wird". Trotzdem machten „einige Mitglieder der Minderheit" geltend, „daß das vorgenannte Modell der Arbeitnehmerschaft die Gleichberechtigung, wie sie sich aus den in dieser Schrift geltend gemachten sozialethischen Gesichtspunkten ergäbe, vprenthalte, die bestehende paritätische Mitbestimmung gefährde, obgleich sie sich bewährt habe, und die anzustrebende Entwicklung zur paritätischen Mitbestimmung verzögere". „Anderer Mitglieder" gaben dagegen zu bedenken, „man begebe sich durch diesen Schritt auf einen Weg, der am Ende das Verfügungsrecht der Kapitaleigner so stark einenge, daß das Funktionieren der freien Wirtschaft in Gefahr gerate."
Die Studie betont, es sei nicht ihre Aufgabe gewesen, diese Frage zu entscheiden, „sondern ihre Bedeutung sachlich darzustellen". Deshalb habe man die verschiedenen Auffassungen bekanntgegeben, „die eine einmütige Meinungsäußerung verhinderten". Man wird es der EKD hoch anrechnen müssen, daß sie gerade durch ihren bewußten Verzicht auf eine Verschleierung oder künstliche Harmonisierung der Meinungsdifferenzen in den eigenen Reihen die Vielschichtigkeit der Mitbestimmungsproblematik besonders eindringlich herausgestellt und damit einen bedeutsamen und profilierten Beitrag für die sozialpolitische Diskussion geleistet hat. c) Die katholische Soziallehre Im Katholizismus sind die Gegensätze zwischen „rechts" und „links" in der Mitbestimmungsfrage nach Ausweis des Schrifttums
Die leidenschaftlich geführte Diskussion bewegt sich um die beiden Pole „Eigentum" und „Arbeit". Wie stark das Spannungsfeld zwischen ihnen ist, mag die Gegenüberstellung besonders markanter Aussagen aus dem traditionalistischen und dem progressiven Lager erhellen: G. Gundlach SJ
Demgegenüber kommt O. von Nell-Breuning SJ im Anschluß an Wilhelm Krelle unter dem Thema „Funktionswandel des Eigentums" zu dem Ergebnis: „In der heutigen Industriewirtschaft ist das in einem Unternehmen eingesetzte Kapital keine private Angelegenheit mehr, sondern nur noch das materielle (ökonomische) Substrat eines Sozialgebildes, dessen Leitung nicht ohne weiteres dem zufälligen Eigentümer dieses Substrates anvertraut werden darf und auf dessen Erträge ihm ebenso-wenig ein ausschließlicher Anspruch zu-74 steht."
stische" Konzeption, die im Katholizismus doch wohl auch auf dem progressiven Flügel kaum viel Anhänger finden dürfte. Für Klüber nimmt die Arbeit „unter den Ordnungselementen der Wirtschaft den ersten Rang ein, weil der arbeitende Mensch als Mitgestalter am Werk des Schöpfers zur Verwirklichung des Schöpfungsplanes beiträgt und im Vollzug seiner täglichen Arbeit sein eigenes Menschentum entfaltet. Dieser durch die Arbeit bewirkten inneren Bereicherung der Person kommt ein höherer Wert zu als dem Eigentum. Dieses ist nur ein Ordnungsinstrument im Dienste des Menschen. Die Ordnung des Eigentums muß also der Arbeit und dem Anspruch des arbeitenden Menschen unterstellt werden."
„Diese Tatsache, daß Arbeit und Kapital sich nicht gleichwertig und gleichrangig gegenüberstehen, sondern im Verhältnis von Uberund Unterordnung, bestimmt auch ihren Stellenwert als Ordnungselemente des Unternehmens . . . Die Parität der Arbeiter-Mitbestimmung kann deshalb nur als die unterste Grenze des für die Arbeiterschaft zu fordernden Anteils an der Bestellung der Unternehmensleitung angesehen werden ... Nicht die Parität, sondern die Überordnung der Arbeit über das Kapital ist ein Gesetz der metaphysischen Ordnung."
Die Gegner der Mitbestimmung berufen sich auf Leo XIII. und die von ihm in „Rerum nova-rum" klar herausgestellte Begründung des Privateigentums aus dem Naturrecht
Der Auslegungsstreit entzündete sich vor allem daran, ob Pius drei gleichberechtigte und voneinander unabhängige Formen der „Annäherung des Lohnarbeitsverhältnisses an ein Gesellschaftsverhältnis" habe nebeneinander-stellen wollen: Mitbesitz (dominium) — Mit-verwaltung (curatio) — Gewinnbeteiligung (de lucris perceptis participatio), oder ob er lediglich zwei Formen gutgeheißen und dabei die „Mitverwaltung" (curatio) durch das blassere „vel" unmittelbar dem „Mitbesitz" zugeordnet, also „Mitverwaltung" vom vorherigen „Mitbesitz" abhängig gemacht und scharf dagegen durch das „aut" die „Gewinnbeteiligung" als zweites Glied abgesetzt habe. Auch der Streit um den Begriffsinhalt von „curatio" ist nach dem Zweiten Vatikanum, daß sich direkt auf diese Stelle beruft, neu entfacht worden. Bedeutet „curatio" nur unverbindliche Mitberatung, Anhörung und Mitsorge oder schon verbindliche Befugnis zur Mitentscheidung?
Einen ersten Durchbruch nach 1945 in der katholischen Mitbestimmungsdiskussion brachte die Entschließung des 73. Deutschen Katholikentages 1949 in Bochum, von den Traditionalisten — vor allem durch die umstrittene naturrechtliche Qualifikation der Mitbestimmung als ein „natürliches Recht in gottgewollter Ordnung" — als „Entgleisung" abqualifiziert, von Böckler unmittelbar anschließend auf dem Gründungskongreß des DGB dankbar als entscheidender Impuls für die gesamte Mitbestimmungsentwicklung begrüßt und ausführlich zitiert. „Die katholischen Arbeiter und Unternehmer stimmen darin überein, daß das Mitbestimmungsrecht aller Mitarbeitenden bei sozialen, personalen und wirtschaftlichen Fragen ein natürliches Recht in gottgewollter Ordnung ist, dem die Mitverantwortung aller entspricht. Wir fordern eine gesetzliche Festlegung. Nach dem Vorbild fortschrittlicher Betriebe muß schon jetzt überall mit seiner Verwirklichung begonnen werden."
In eine zweite Phase der Diskussion, die dann zum Zweiten Vatikanischen Konzil führte, leitete Johannes XXIII. mit seinem Sozialrundschreiben „Mater et Magistra" (1961) die Mitbestimmungsfrage. Hier ist festgestellt: „Bei der Erledigung der Angelegenheiten und beim Ausbau des Unternehmens sollte auch die Stimme des Arbeiters gehört und seine Mitverantwortung angesprochen werden" (MM 92). Außerdem ist die tradierte Reihenfolge Kapital—Arbeit in bedeutsamer Weise in dem Abschnitt über das Privateigentum modifiziert: „Man schätzt das Einkommen, das auf Arbeitsleistung oder auf einem davon abgeleiteten Rechtsanspruch beruht, höher als das Einkommen aus Kapitalbesitz oder daraus abgeleiteten Rechten. Das entspricht vollkommen dem eigentlichen Wesen der Arbeit. Denn diese ist unmittelbarer Ausfluß der menschlichen Natur und deshalb wertvoller als Reichtum an äußeren Gütern, denen ihrer Natur nach nur der Wert eines Mittels zukommt. Diese Ent-Wicklung ist deshalb ein echter Ausdruck menschlichen Fortschritts" (MM 106 1.). über die wirtschaftliche Mitbestimmung heißt es sehr dezidiert: „. . . in der menschlichen Natur selbst ist das Bedürfnis angelegt, daß, wer produktive Arbeit tut, auch in der Lage sei, den Gang der Dinge mitzubestimmen und durch seine Arbeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gelangen" (MM 82).
Während A. Rauscher unter Berufung auf J. Hirschmann, der an der Schlußredaktion des Schreibens mitbeteiligt war, rundweg erklärt, die Berufung auf „Mater et Magistra" in der Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung erfolge „zu Unrecht", arbeiten Klüber und Nell-Breuning überzeugender den progressiven Charakter der bereits auf das Konzil hinführenden Formulierung heraus: „Als Entscheidungsbefugnis auch über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Betriebs ist das Mitbestimmungsrecht auch von Johannes XXIII. verstanden worden."
Die Interpretationskontroversen um „Quadragesimo anno" und „Mater et magistra" waren nur ein Vorspiel für die weitaus heftigeren Dispute, die sich am richtigen Verständnis der Pastoralkonstitution von 1965 entzündeten
Nr. 67: „Die in der Gütererzeugung, der Güterverteilung und in den Dienstleistungsgewerben geleistete menschliche Arbeit hat den Vorrang vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens, denn diese sind nur werk-zeuglicher Art." Hier ist die Arbeit als wirtschaftliches Ordnungselement allen anderen Produktivfaktoren mit Instrumentalcharakter als höherwertig und richtungweisend vorangestellt
Klüber folgert, aus dieser hohen Auffassung der Arbeit ergebe sich „konsequent der Anspruch des arbeitenden Menschen auf Mitbestimmung"
In diesem Absatz werden besonders drei Formulierungen für die wirtschaftliche Mitbestimmung in Anspruch genommen:
a) Das Unternehmen erscheint nicht als „bloße Sachapparatur, beherrscht von technisch-ökonomischen Vorgängen, denen die mit ihrer Arbeit am Unternehmen Beteiligten nachgeordnet wären. Es ist eine Vereinigung (. Verbund') menschlicher Personen, deren Interesse und Anspruch auf Mitgestaltung der Ordnung dieses Sozialgebildes nicht ausgeschlossen werden kann."
c) Diese Interpretation wird noch gestützt durch die folgende Passage, nach der der Arbeiter „auch" (etiam, frz. egalement) an „Entscheidungen über wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten" oberhalb der Unternehmensebene beteiligt werden soll, was nur einen Sinn gibt, wenn man mit Hilfe des „auch" schon den vorhergehenden Satz sehr extensiv auslegt.
Einig sind sich in der Auslegungskontroverse alle Parteien, daß die weltweite Bischofsversammlung in Rom kein konkretes Rezept für die Mitbestimmung in Deutschland geben wollte und konnte, daß sie die Ausgestaltung der Praxis vielmehr ausdrücklich für den „Sachverstand der Fachleute" offengelassen hat: .. die geeignete Art und Weise der Verwirklichung wäre näher zu bestimmen". Grundsätzliche Uneinigkeit besteht jedoch darüber, wie weit sich aus dem Konstitutionstext eine Ermunterung oder eine Warnung herauslesen läßt, den bereits eingeschlagenen (Montan-) Weg weiterzuverfolgen. Nell-Breuning schrieb am 17. Dezember 1965 in der „Welt der Arbeit"
Der „Industriekurier" replizierte unter dem Thema „Befürwortet die Kirche die Mitbestimmung?" am 8. Januar 1966 mit dem lapidaren Schlußsatz: „Die zahlreichen Gegner dieser Art der Mitbestimmung (das heißt der wirtschaftlichen Mitbestimmung nach Vorstellung der Gewerkschaften) fühlen sich . . . durch die Formulierungen der Konzilskonstitution . . . voll befriedigt."
Eine sichtbare Verhärtung, ausgehend vor allem von den Eigentümern mittlerer und kleinerer Unternehmen, setzte dann besonders in dem Augenblick ein, als sich herausstellte, daß wirtschaftliche Mitbestimmung auf Unternehmensebene zugleich auch Mitwirkung der Gewerkschaften, also unter Umständen betriebs-fremder Personen und Institutionen, bedeutete. Der Widerstand gegen die qualifizierte Mitbestimmung konzentriert sich bis zur Gegenwart sehr stark mit auf diesen Punkt. Je stärker sich die Gewerkschaften im Gegensatz zu Weimar auf die innerbetriebliche Mitbestimmung konzentrieren, um so aktiver bemüht sich die Unternehmerschaft, sie unter Berufung auf „eine funktionsund leistungsfähige Betriebsgemeinschaft" aus dem Unternehmen hinaus und zurück auf die in Weimar zunächst sehr bewährte überbetriebliche Sozialpartnerschaft zu drängen. „Aufgabe des Parlaments", schrieb der Rheinische Merkur am 22. April 1950
Während die Gewerkschaften die stärkere Integration des einzelnen Arbeitnehmers in das Unternehmen und in die Gesamtgesellschaft durch kollektiv-repräsentative Einrichtungen wie etwa den halb-paritätischen AR oder einen von der Arbeitnehmerseite abhängigen Arbeitsdirektor anstreben, hält die Gegenseite dies für ein „im Ansatz untaugliches Mittel" und stellt dem Prinzip der kollektiven Bindung das Individualprinzip gemäß dem neoliberalen Credo entgegen: „In den Betrieb und in das Unternehmen integriert sich der Arbeitnehmer in erster Linie durch eigene Persönlichkeitsentfaltung, durch eigene wirtschaftliche Leistung und durch den eigenen Aufstieg zur Menschenführung. . . . Entsprechendes gilt für die Integration des einzelnen in die Gesamtgesellschaft."
Sicher wäre es unbillig, der Unternehmerschaft zu unterstellen, sie wolle mit derartigen Äußerungen über den Vorzug betriebsinterner Abmachungen die Uhren vor 1914 zurückdrehen, die Betriebsangehörigen wieder aus der Klammer gewerkschaftlicher Solidarität lösen und sie ganz in „wirtschaftsfriedliche" Vertretungskörperschaften des Einzelbetriebes zurückbinden. Die wichtige gesamtwirtschaftliche Rolle der Gewerkschaften als Tarifpartner, wie sie 1918 erkämpft wurde, ist heute unbestritten. Im Gegenteil: In der erwähnten Stellungnahme der Spitzengremien von 1950 wird das Bestreben sichtbar, gerade die Weimarer Ebene der „Zentralarbeitsgemeinschaft" (ZAG) wieder zu aktivieren, hatte sie sich doch schon einmal als geeignete Plattform erwiesen, um gemeinsam zu radikale Forderungen der Betriebsräte innerhalb der Einzelunternehmen oder andere linke Konkurrenzbewegungen zu neutralisieren und zu bekämpfen. Ausdrücklich wird auf die ZAG und den Reichswirtschaftsrat von Weimar Bezug genommen
Von dieser Aussage leiten sich alle einzelnen Argumente gegen die wirtschaftliche Mitbestimmung ab. Sie sollen im folgenden ebenso wie die Gewerkschaftsargumente systematisch aufgeführt werden
Mitbestimmung hemmt die Initiative, bürokratisiert und paralysiert eine „selbstverantwortliche, vom Eigentum legitimierte, sozialverpflichtete Unternehmensführung".
Mitbestimmung ist deshalb „mit der Struktur einer Marktwirtschaft und einer freien Wettbewerbsordnung unvereinbar"; sie verhindert ein zielbewußtes, marktgerechtes Verhalten, „und zwar in jeder Hinsicht, insbesondere in bezug auf den Warenmarkt, den Kapitalmarkt und in bezug auf den Arbeitsmarkt". Sie gefährdet das dynamische Wirtschaftswachstum und ist insofern „letztlich ein Kampf gegen die Produktivität der Arbeit selbst".
Mitbestimmung setzt an die Stelle der freien, sozialen Marktwirtschaft die zentralistische Plan-und Verwaltungswirtschaft der Gewerkschaften (syndikalistisches Modell).
Mitbestimmung würde deutschen Unternehmen gegenüber der ausländischen Konkurrenz „zwangsläufig schwere Wettbewerbsnachteile" auflasten; sie würde ausländische Interessenten von einem Engagement auf dem deutschen Kapitalmarkt abschrecken, womöglich ausländische Konzernspitzen und Werke zur „Emigration" zwingen und damit die europäischen Integrationsbemühungen und die Stellung der Bundesrepublik in der Weltwirtschaft empfindlich treffen.
Mitbestimmung in Form einer Demokratisierung zerstört die „Privatautonomie des einzelnen oder einzelner Gruppen", unterwirft das Unternehmen der „Bestimmung durch unternehmensfremde Kräfte" und macht es „zu einer fremdbestimmten quasi öffentlichen Einrichtung". Mitbestimmung beseitigt die Tarifautonomie der Sozialpartner und damit die Partnerschaftslage überhaupt, „die der Grundidee nach auf der Gegenposition zweier unabhängiger Mächtegruppen und Interessenlagen beruht". Dafür würde nicht nur das Einzelunternehmen, sondern „unser gesamtes Gemeinwesen dem dominierenden Einfluß der Gewerkschaften" ausgeliefert mit weitreichenden Folgen auch für die Handlungsfreiheit von staatlicher Exekutive und Legislative. „Ob man das dann entstehende Gemeinwesen Gewerkschaftsstaat oder perfekte Funktionärsapparatur nennen möchte, wäre nur eine Geschmacksfrage, denn letztlich bestünde nur eine Alternative: Entweder müßte sich der Staat als Repräsentant der Öffentlichkeit dieser allumfassenden Gewerkschaftsmacht unter Ausschaltung der Gewerkschaften selbst bemächtigen — oder der Staat würde von der Gewerkschaftsmacht usurpiert. Eine weitestgehende Vereinigung dieser Mächte wäre jedenfalls unausbleiblich."
Mitbestimmung bringt die Arbeitnehmervertretungen im AR und im Vorstand (Arbeitsdirektor), soweit sie durch die Gewerkschaften „ferngesteuert" sind, bei Tarifverhandlungen in einen unlösbaren Konflikt zwischen Betriebs-und Gewerkschaftszugehörigkeit. Sie stehen mit beiden Beinen in verschiedenen Soziallagern, was auf eine völlige Aushöhlung der Tarifautonomie hinauslaufe.
Mitbestimmung gibt Personen Entscheidungsbefugnisse in die Hand, die keiner Risikohaftung unterliegen. Mitbestimmung beraubt das Privateigentum an Produktionsmitteln „seiner Legitimationskraft wie seiner Funktionsfähigkeit" und drängt es „in eine ohnmächtige Rolle . . ., die es außerstande setzte, seine Ordnungsfunktion auszuüben".
Mitbestimmung ist weder geeignet noch legitimiert zur Machtkontrolle im öffentlichen Interesse. Diese unterliegt in einem demokratischen Rechtsstaat allein der durch das Gesamt-volk bestellten staatlichen Gewalt, das heißt staatlicher Gesetzgebung und Verwaltung sowie öffentlich-rechtlichen Institutionen. Gesamtwirtschaftliche und damit auch gesellschaftspolitische Kontrolle durch die Gewerk• die nur einen Teil des Volkes reprä-sentieren, gefährdet gerade die Grundprinzipien einer allgemeinen demokratischen Willensbildung.
Mitbestimmung als Kontrollinstrument erübrigt sich, da die wirtschaftliche Macht in einer marktwirtschaftlichen Ordnung „im Prinzip geteilt, systemgebunden und in sich ausbalanciert", also „bereits vom Wirtschaftssystem her auch in ihrer politischen Effizienz weitgehend neutralisiert ist". Die Einflußmöglichkeiten auf eine Wirtschaftsgestaltung sind in einer freien Wettbewerbsordnung „von vornherein dezentralisiert". Die unternehmerische Entscheidung ist dem sehr differenzierten Marktgeschehen untergeordnet, sie unterliegt bis zum Großunternehmen hinauf überdies „einer umfangreichen wirtschaftlich und sozial bindenden staatlichen Gesetzgebung" (Sozial-, Steuer-, Finanzgesetze, Wettbewerbs-und Marktordnungen) und ist eingebettet in die „gegebene pluralistische Gesellschaftsstruktur".
Einen der wesentlichsten Einwände gegen die oben kurz skizzierte Skala von Argumenten hat der Volkswirtschaftler Fritz Voigt in einer sehr fundierten, teilweise empirisch untermauerten und allseits anerkannten „Analyse der Einwirkungen der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland auf die Unternehrnensführung" formuliert: „Im Gegensatz zu der Problemstellung auch der modernen Theoretischen Nationalökonomie, die vom Einheitsbild , des'Unternehmers ausgeht und ihm einfache, von der Maximierung des Gewinns oder der Minimierung der Kosten bestimmte Zielsetzungen . .. zuschreibt, zeigt die Untersuchung, wieviel interessanter und tiefschichtiger in Wirklichkeit das Zustandekommen jeder unternehmerischen Entscheidung ist. Dies gilt für die Investitionstätigkeit genauso wie für die Preisbildung und für die Reaktionen der Unternehmung auf Nachfrageänderungen, auf Wandlungen der Konjunktur oder der Marktstruktur. Die Funktionen, die die moderne Theorie aufstellt, beziehen sich in ihrer leider zu weitgehenden Abstraktion ebenso auf den Kleinunternehmer, der persönlicher Alleineigentümer der Produktionsanlagen ist, wie auf die Aktiengesellschaft mit einer einzigen Betriebsstätte oder den Weltkonzern von juristisch selbständigen, wirtschaftlich aber abhängigen Gesellschaften und Tausenden von Betrieben. Sie verliert damit an Aussagefähigkeit für viele Vorgänge der modernen Wirtschaftsentwicklung, weil ihr Maßstab diese viel tiefschichtigeren Prozesse gar nicht zu erfassen vermag. Mit derartigen Denkmodellen der modernen Nationalökonomie könnte man nie eine . Einwirkung'der Institution Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf die Willensbildung der Unternehmen erfassen". „Das Zielsystem und die Willensbildung der Unternehmung" seien „erheblich vielschichtiger", „als die Denkmodelle der modernen Theorie annehmen"
Unter Berufung auf Voigt wird von den Verfechtern der Mitbestimmung mit einigem Recht eingewandt, viele Argumente gegen die „Fremdbestimmung" durch die Gewerkschaften träfen ebenso auf die niemals in Frage gestellte traditionelle „Fremdbestimmung" durch Vertreter des Finanzkapitals im AR zu. Das Unternehmen ist immer schon, wie Voigt überzeugend darlegt, als Glied eines übergreifenden Gesamtorganismus in hohem Maße Kräften und Interessen „von außen" ausgesetzt, und es fragt sich, ob man nicht durch die Mitbestimmung gerade einen Teil dieser Interessen institutionell schon auf Unternehmens-ebene integrieren sollte, bevor es dann später überbetrieblich zu Kollisionen kommt.
Kann man manchen gewerkschaftlichen Forderungen vorwerfen, sie seien noch zu sehr am überholten ideologischen Klassenschema orientiert, so gilt für viele Arbeitgeberargumente, daß sie ihre Kraft aus stark vereinfachten neoliberalen Ordnungsmodellen im Unternehmens-, aber auch im gesamtwirtschaftlichen Bereich ziehen.
Die Beunruhigung über eine zunehmende Machtkonzentration — „keineswegs etwa nur Marktmacht, sondern ganz allgemein wirtschaftliche Macht, gesellschaftliche Macht, politische Macht"
Der Vorstellung vom „raffenden Kapital" ohne soziale Bindung in manchen Köpfen auf Arbeitnehmerseite entspricht — ebenfalls noch ein Relikt überholten Klassendenkens — bei vielen Unternehmern die Vorstellung vom Moloch einer machtbesessenen, zentralistischen Einheitsgewerkschaft. Dagegen stellt der DGB ein immer wieder mühsam ausbalanciertes Nebeneinander von 16 einzelnen Industrie-gewerkschaften dar, wenngleich die IG Metall, die IG Chemie und die IG Bergbau schon von ihren Wirtschaftszweigen und ihrem Mitgliederbestand her die Mitbestimmungsdiskussion wesentlich bestimmen. Zudem stehen die Gewerkschaften seit Düsseldorf 1963 auf dem Boden einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung, und seit Beginn der wirtschaftlichen Mitbestimmung im Montanbereich haben sie keinen Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Unterstellung geliefert, die Mitbestimmung habe für sie nur Instrumentalcharakter für eine spätere Sozialisierung. Im Gegenteil: Bedeutet nicht der Ausbau der innerbetrieblichen Mitbestimmung auf Partnerschaftsbasis gerade einen Verzicht auf die Umwandlung der Eigentumsverhältnisse? Wer endlich den Arbeitsdirektor oder das AR-Mitglied (im allgemeinen nur zwei von elf!) als Marionette gewerkschaftlicher Fernsteuerung bezeichnet, verkennt nicht nur Struktur, technische Möglichkeiten und Interessenpluralismus in den Gewerkschaften, sondern spricht dem Aufsichtsrats-oder Vorstandsmitglied auch seinen Willen zur souveränen Sachentscheidung und sein unternehmerisches Verantwortungsbewußtsein ab — wie die Praxis bisher gezeigt hat, zu Unrecht. Voigt kommt sogar zu dem Ergebnis, „daß die virtuellen Arbeitssektoren der Träger der Mitbestimmung stets die Investitionstätigkeit der Unternehmen unterstützten und deren Verstärkung ermutigten"
Auch das Risikoargument wird stets zurückgewiesen mit der Begründung, einmal „hafte" auch der Arbeitnehmer für eine Fehlentwicklung mit seinem Arbeitsplatz, zum anderen hafte der Unternehmer persönlich nur bei schuldhaftem Versagen, der Kapitaleigner höchstens mit seinem Aktieneinsatz und im übrigen werde heute bei Großunternehmen sowieso jeder Verlust mit Rücksicht auf die volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Gesamtlage vom Staat durch Subventionen „sozialisiert", das heißt auf die Allgemeinheit umgelegt.
Nicht leicht von der Hand zu weisen ist selbst für einen so engagierten Mitbestimmungsanhänger wie Nell-Breuning
An diesem Punkt dürften sich aber unter dem Einfluß der Mitbestimmung und mit einer Aushöhlung der Tarifautonomie Wesen und Zielsetzung der deutschen Gewerkschaftsbewegung in einem Ausmaß verändern, das in den Gewerkschaften und im Sozialismus selbst eine gegenläufige Bewegung gegen eine zu weitgehende Identifizierung und Verfilzung mit dem Kapital und der Unternehmensführung auslösen würde. Mit Recht warnt Nell-Breuning die Gewerkschaften, bei ihren Forderungen sorgsam auf die Politik Bedacht zu nehmen, „die sie in bezug auf ihre Tarifhoheit und die Autonomie der Sozialpartner betreiben, und ebenso bei letzterer auf die Ziele, die sie sich in bezug auf die Mitbestimmung setzen; die beiden stehen in einem, wie man heute zu sagen pflegt, dialektischen’ Verhältnis"
Die Mitbestimmungsdiskussion hat Industrie und Gewerkschaften, evangelische Sozialethik und katholische Soziallehre in entscheidende Phasen ihrer Entwicklung, an eine „Zeitwende" (Agartz) geführt. Daß dies bisher noch nicht mit letzter Eindringlichkeit deutlich geworden ist und sich das Gespräch in Öffentlichkeit und Parlament immer noch im vordergründigen Geplänkel bewegt bzw. zeitweise — möglicherweise aus wahltaktischen Gründen — ganz versiegt ist, liegt nicht zuletzt daran, daß die wirtschaftliche Mitbestimmung, von der Strukturkrise im Bergbau abgesehen, bis jetzt noch nicht ernsthaft durch eine Rezession auf die Probe gestellt worden ist, auch 1966/67 nicht. Die IG Bergbau hat schon 1953 darauf verwiesen, daß die Mitbestimmung unter rezessiven Bedingungen zu einer lastenden Bürde für die dann an die unternehmerische Verantwortung gebundenen Gewerkschaften werden und möglicherweise Entlassungen, Lohnsenkungen und einen Abbau des Sozialetats (mit gewerkschaftlicher Zustimmung und Unterstützung!) im Gefolge haben könnte
Für den Neomarxisten — gleichviel, ob er direkt von Marx und Engels kommt oder mehr durch den Rätesozialismus Weimars oder durch das jugoslawische Modell geprägt ist
Der Neomarxismus wirft den Gewerkschaften „Bewußtseinstrübung" gegenüber dem „qualitativen Unterschied der klassengebundenen Interessengegensätze zwischen Arbeitern und Unternehmern"
Obgleich die wirtschaftliche Mitbestimmung für die reformistisch-revisionistische Gesamtentwicklung, die die Gewerkschaften im Grunde seit ihrer Entstehung eingeschlagen haben, nur einen konsequenten Abschluß darstellt, sollten die warnenden Stimmen der Neomarxisten als ständige Herausforderung zur Selbstkontrolle nicht überhört werden. Hier sind Gefahren signalisiert, die unter widrigen Umständen durchaus in den so oft schon beschworenen „gewerkschaftlichen Selbstmord" durch übergroße Mitverantwortung und Bindung führen könnten
4. Die Mitbestimmung in der Bewährung
Drei Faktoren zwingen uns heute noch zur Vorsicht, wenn wir ein Urteil über das Funktionieren der Montanmitbestimmung formulieren wollen: Einmal leben wir seit mehr als zwei Jahrzehnten in einer Periode eines nahezu ungebrochenen Wirtschaftswachstums praktisch ohne soziale Konflikte. Die Sozialpartner ziehen „am gleichen Strang". Niemand will die Jahre 1929— 1933 wieder heraufbeschwören; aber erst unter derartigen wirtschaftlichen Belastungenwürden sich Vor-und Nachteile einer qualifizierten Mitbestimmung eindeutig herausschälen. Zum anderen ist bisher ein zwar sehr bedeutsamer, aber insgesamt doch relativ kleiner Teil unserer Wirtschaft echt „mitbestimmt", und wir haben noch keinen Anhaltspunkt dafür, wie sich das Mitbestimmungsexperiment in einer voll „mitbestimmten" Volkswirtschaft bewähren würde. Endlich sind zwei Jahrzehnte doch ein recht geringer Zeitraum, um eine so weitreichende Maßnahme wie die qualifizierte Mitbestimmung in ihren ganzen Folgewirkungen gerade auch für die Mitbestimmenden selbst abschätzen zu können.
Trotzdem hat Fritz Voigt in der erwähnten Analyse
Die Verfechter der Mitbestimmung berufen sich vielfach auf den sozialen Frieden in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten, vor allem im Kohlenbergbau, wo sich die strukturelle Umstellung nicht zuletzt durch die Mitbestimmung so reibungslos vollzogen habe. Auch erfreuten sich deutsche Stahlaktien in den USA als besonders „streiksicher" nicht geringer Wertschätzung.
Die Gegner der Mitbestimmung dagegen interpretieren dieses zweifellos bemerkenswerte sozialpolitische Phänomen, das in Westeuropa kaum seinesgleichen hat, je nach Geschmack verschieden: Die Arbeitgeberseite meint, es hätte noch schlimmer kommen können, und daß dies nicht der Fall gewesen sei, sei allein darauf zurückzuführen, daß die „mitbestimmten" Betriebe bisher als Minderheit in einen Wettbewerbs-und marktorientierten volkswirtschaftlichen Gesamtorganismus eingebettet, dadurch gleichsam neutralisiert seien und infolgedessen diesen Organismus noch nicht hätten qualitativ verändern können
Die Neomarxisten dagegen sehen in dem Wirtschaftsfrieden geradezu ein schlagendes Beispiel für die korrumpierende Verfilzung von Arbeit und Kapital in einer bürgerlich-restau-rativen Ordnung und dafür, daß die westdeutschen Gewerkschaften „schwach" geworden seien und sich „das gesellschaftliche Kräfteverhältnis . . . völlig zu ihren Ungunsten verschoben" habe
Daß sich schon sozialpsychologisch in der „Stimmung" des einzelnen Arbeiters in den „mitbestimmten" Betrieben ein Wandel vollzogen habe, wagt keine Seite eindeutig zu bejahen. Dies ist zweifellos eine Frage der langfristigen Erziehung und der intellektuellen Reife. Auch sollte man sich hüten, ein gewisses retardierendes Trägheitsmoment im Bewußtsein gegen die Mitbestimmung zu verwenden. Auch das staatsbürgerlich-politische Bewußtsein pflegt sich nicht immer mit der formalen Wahlmündigkeit zu decken — denken wir vor allem an die Zeit vor 1918 —, ohne daß jemand heute ernsthaft daran dächte, daraufhin die Volkssouveränität und das allgemeine Wahlrecht wieder aufzuheben. Zudem ist ebenso wie im Politischen auch bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung ausdrücklich eine repräsentative Form der Willensbildung vorgesehen, die es jeweils ermöglicht, die am besten qualifizierten Persönlichkeiten am eigentlichen unternehmerischen Entscheidungsprozeß zu beteiligen.
5. Zum gegenwärtigen Stand der Mitbestimmungsdiskussion
Die Regierung der Großen Koalition hat zwar entsprechend ihrer Erklärung vom 13. Dezember 1966 eine unabhängige, wissenschaftliche Sachverständigenkommission, die sogenannte „Biedenkopfkommission", am 22. Januar 1968 berufen, um die Mitbestimmungsfrage klären zu lassen — auf die Tagesordnung des Kabinetts ist dieses Problem dann aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr gesetzt worden. Es sieht auch bisher so aus, als ob die Parteien im Wahlkampf um dieses „heiße Eisen" einen Bogen machten und es augenblicklich mehr in den Hintergrund treten lassen.
Die SPD-Fraktion hat nach intensiven Vorarbeiten einer von der Partei eingesetzten Kommission, unterstützt von drei Arbeitsgruppen, am 10. Dezember 1968 fünf Gesetzentwürfe, u. a. zur Neuregelung der Betriebsverfassung, über die Unternehmensverfassung in Großunternehmen und Konzernen und zur Sicherung der Montanmitbestimmung bis zum 31. Dezember 1973, verabschiedet und im Bundestag eingebracht, wo sie dann am 22. Januar 1969 in Erster Lesung behandelt und den zuständigen Ausschüssen überwiesen wurden
Die CDU befaßte sich auf ihrem Berliner Parteitag im November 1968 ebenfalls eingehend mit der Mitbestimmung und bekannte sich in einem Beschluß (Art. 64) zu einem „modernen und fortschrittlichen Unternehmensrecht" und „partnerschaftlicher" Gestaltung des „wirtschaftlichen Geschehens". Für den Ausbau der Mitbestimmung verwies sie auf die Notwendigkeit, erst einmal den Bericht der „Biedenkopfkommission" abzuwarten und „sorgfältig" zu prüfen. Die betonte Distanz zum Montanmodell, die verdeckte Spitze gegen ein Hineinregieren der Gewerkschaften in die Betriebe und der Hinweis auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deuten darauf hin, daß in dem Beschluß ein Kompromiß zwischen dem rechten (Arbeitgeber-) und dem linken (Arbeitnehmer) Flügel der Partei erzielt werden mußte: „Bei einer Neuordnung des Unternehmens-rechts darf ein überbetriebliches Einflußmonopol zugunsten von organisierten Interessen nicht zugelassen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen auch im internationalen Wettbewerb nicht beeinträchtigt werden. Angesichts dieser Zielsetzung kann eine schematische Übertragung des Modells der Montanmitbestimmung nicht befürwortet werden. Wer in Betrieben oder Unternehmen Arbeitnehmerinteressen wahrnimmt, muß von dem Vertrauen der Belegschaft getragen werden. Wir treten dafür ein, daß die sozialen und personellen Belange der Belegschaft verantwortlich auf Vorstandsebene bearbeitet werden, bei großen Unternehmen durch ein dazu bestelltes Vorstandsmitglied."
Die Sozialausschüsse der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft haben einen sehr progressiven „Entwurf zur Ausgestaltung der Rechte des Arbeitnehmers in Betrieb, Unternehmen und Wirtschaft"
Der DGB hat am 12. März 1968 auf der Kölner Mitbestimmungskundgebung in seinem „Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großkonzernen und Großunternehmen (Mitbestimmungsgesetz)"
Damit sind die Fronten in der gegenwärtigen Auseinandersetzung noch einmal abgesteckt. Es bleibt zu hoffen, daß die verschiedenen Standpunkte auch weiterhin in einem versachlichten und nüchternen Sozialklima ausdiskutiert werden und daß schließlich eine Lösung des sehr verwickelten Problems noch in einer Periode des Wirtschaftswachstums erreicht wird, bevor der Druck einer rezessiven Entwicklung und daraus resultierende Tarifkonflikte möglicherweise zu einer Verhärtung der Positionen führen. Sollte man nicht in einer wirtschaftlichen Gutwetterlage bereits gemeinsam Unterkünfte für mögliche spätere Stürme zimmern?
Schiller hat mit seiner „konzertierten Aktion" bereits einen Weg für eine zeitgemäße Sozial-partnerschaft gewiesen; mögen von hier aus auch Impulse für eine Einigung in der Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung und damit belebende Kräfte für unsere gesamte Wirtschafts-und Sozialordnung ausströmen!
Nachtrag
Wenige Wochen nach Fertigstellung des Aufsatzes erhielt die Mitbestimmungsdiskussion Anfang September 1969, mitten im Wahlkampf, plötzlich noch einen dramatischen Akzent. Ausgerechnet in den „mitbestimmten" Unternehmen der eisenschaffenden Industrie und des Bergbaus brachen wilde Lohnstreiks aus und breiteten sich, ausgehend von einem Arbeitskonflikt im Hoesch-Konzern, zur Überraschung von Regierungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften sofort mit großer Geschwindigkeit über den Saarund Ruhrbergbau, die nordrhein-westfälische Eisen-und Stahlindustrie, die Klöckner-Werke in Bremen und Osnabrück bis hinauf zu den Kieler Howaldtswerken/Deutsche Werft aus. DGB, IG Metall, IG Bergbau und Arbeitgeberverbände bemühten sich sofort, in einer „konzertierten Aktion" durch umgehende Lohnzugeständnisse und ein Vorziehen der an sich erst für den späten Herbst anstehenden Tarifverhandlungen die , wilden'Ausstände in den Griff zu bekommen und zu „kanalisieren".
Die Gegner der Mitbestimmung interpretierten die Streikwelle umgehend als eindeutigen Beweis sowohl für die Fragwürdigkeit der qualifizierten Mitbestimmung im Montanbereich, die den Arbeitskampf nun doch nicht habe verhindern können, als auch für ein endgültiges Scheitern der Schillerschen Konzeption vom „runden Tisch".
Gegenüber voreiligen und oft wahlkampfbeeinflußten Deutungen dieser und ähnlicher Art, die keine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema Mitbestimmung darstellen, sei davor gewarnt, die zweifellos für die Bundesrepublik ganz ungewohnte , wilde'Streikwelle als „englische Krankheit" nun gleich zum Symptom einer angeblich latent vorhandenen sozial-und wirtschaftspolitischen Krisensituation hochzuspielen. Man wird vielmehr hier zweierlei bedenken müssen: Einmal haben die Tarifpartner nach einer mehrjährigen „konzertierten" Stillhaltung am runden Tisch im Dienste der Preis-und Geldwertstabilität die Stimmung in der Arbeiterschaft sicher falsch eingeschätzt, so daß sie sich von der Streiklawine haben überrollen lassen, statt rechtzeitig Zugeständnisse zu machen resp, zu fordern; zum anderen kann man selbst im Arbeitgeberlager — die schnellen Zugeständnisse deuten darauf hin — nicht ganz abstreiten, daß die glänzende konjunkturelle Ertrags-und Absatzentwicklung in der Eisen-und Stahlindustrie zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Arbeitnehmer geradezu herausforderte, sich rechtzeitig, wenn nicht anders möglich, sogar im Alleingang ohne Gewerkschaften, ein Stück von dem „Konjunkturkuchen" zu sichern.
Kritisch könnte man zur Mitbestimmung hier anmerken, daß die beste Sozialpartnerschaft, konzertierte Aktion und qualifizierte Mitbestimmungsregelung wenig nützen, wenn sich unter den Arbeitnehmern erst ein Mißtrauen einnistet, daß derartige Einrichtungen mit ihrer Tarifpolitik hinter dem Boom herhinken, und wenn die Spitzenvertreter der Tarifpartner diesem Mißtrauen kein überzeugendes Stillhalteargument mehr entgegensetzen können.
Bernd-Jürgen Wendt 15. September 1969