Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Artikel 38 Abs. 2: „Wahlberechtigt ist, wer das 21., wählbar, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat." Diese Regelung galt 16 Jahr
Wahlalters auf 18 Jahre wird seither in allen Parteien auf Bundes-und Länderebene debattiert. Die schweren Studentenunruhen des Jahres 1968 haben dazu beigetragen, diese Debatte zu einer öffentlichen Diskussion auszuweiten. Die verfassungspolitisch entscheidende Initiative ergriff die parlamentarische Opposition. In der 196. Sitzung des V. Bundestages am 15. November 1968 brachte die FDP einen Gesetzentwurf zur Änderung des Artikels 38 Abs. 2 GG ein, wonach wahlberechtigt sein soll, wer das 18., und wählbar, wer das 23. Lebensjahr vollendet hat.
I. Die Festlegung des Wahlalters in Deutschland seit 1848
Abbildung 2
Abbildung 2
Das durch die deutsche Nationalversammlung von 1848 verabschiedete Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 bestimmte das vollendete 25. Lebensjahr als Wahlalter. Dieses Wahlgesetz ist zwar nicht in Kraft getreten, aber es blieb die Grundlage für die Reform der Verfassung des Deutschen Bundes von 1866 und des Wahlgesetzes für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869, das bis 1918 in Kraft geblieben ist. Nach der November-Revolution verwirklichte der Rat der Volksbeauftragten die Forderungen des Erfurter Programms der SPD von 1891 und verkündete durch den Aufruf an das Deutsche Volk vom 12. November 1918 2) mit Gesetzes-kraft u. a. die Herabsetzung des Wahlalters auf 20 Jahre: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen. Auch für die Konstituierende Versammlung, . . . gilt dieses Wahlrecht."
Abbildung 11
Abbildung 11
In den Beratungen der Verfassunggebenden Nationalversammlung spielte das Wahlrecht keine besondere Rolle. Die Weimarer Reichs-Artikel 22 Abs. 1 die Wahlrechtsgrundsätze:
Abbildung 12
Abbildung 12
„Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über 20 Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt." Der Verfassungsentwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents von 1948, der dem Parlamentarischen Rat bei seinen Beratungen des künftigen Grundgesetzes als Plattform diente, sah in Art. 45 Abs. 1 die Festlegung des Wahlalters auf 21 Jahre vor. Für dieses Wahlalter entschied sich der Organisationsausschuß des Parlamentarischen Rates unter Hinweis auf die Volljährigkeit. Der KPD-Abgeordnete Renner, der in der 2. Sitzung des Hauptausschusses am 11. November 1948 vorschlug, „den Wahlberechtigten das aktive Wahlrecht schon mit 18 Jahren und das passive Wahlrecht mit 21 Jahren (einzuräumen)", konnte die Auffassung seiner Partei nicht durchsetzen. Der Beschluß des Organisationsausschusses ist durch Art. 38 Abs. 2 des Grundgesetzes geltendes Recht für die Bundesrepublik geworden: „Wahlberechtigt ist, wer das 21., wählbar, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat."
Abbildung 13
Abbildung 13
Mit der Ausnahme Berlins und des Saarlandes erfolgte die Festlegung des Wahlalters in den Verfassungen und Wahlgesetzen der Bundesländer entsprechend der Regelung des Grundgesetzes. In der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 ist in Art. 26 Abs. 3 das Wahlalter auf 20 Jahre festgelegt: „WahlbeWahl das 20. Lebensjahr vollendet und seit mindestens 6 Monaten in Berlin ihren Wohnsitz haben." Der Gesetzgebenden Versammlung des Saarlandes lag mit dem Art. 65 des Entwurfs der Verfassungskommission die Anregung vor, das Wahlalter auf 2
Die jüngsten Bundestagsabgeordneten
Die jüngsten Bundestagsabgeordneten
Mit den Beschlüssen der Landesparlamente von Hamburg (März 1969), Schleswig-Holstein (Juni 1969) und Nordrhein-Westfalen (Juli 1969), für die Wahlen zum Landesparlament und für die Kommunalwahlen das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre und das passive Wahlalter von 25 auf 23 Jahre herabzusetzen, ist die bundeseinheitliche Regelung des Wahlalters weiter durchbrochen worden.
II. Die Festlegung des Wahlalters in den Staaten Europas und den USA
Abbildung 3
Abbildung 3
Die grundgesetzliche Regelung des Wahlalters befindet sich in Übereinstimmung mit dem Wahlrecht der meisten anderen westlichen Länder. Die Schweiz 4), Island und Norwegen gewähren das aktive-Wahlrecht schon mit 20, die USA-Bundesstaaten Georgia und Kentucky bereits mit 18, zwei weitere Bundesstaaten der USA mit 20 Jahren. Österreich und Schweden haben das aktive Wahlalter erst vor kurzer Zeit auf 19 Jahre herabgesetzt 5). In einigen westlichen Ländern, in denen das aktive Wahlrecht wie in der Bundesrepublik erst vom 21. Lebensjahr an gewährt wird, sind ebenfalls Forderungen nach einer Herabsetzung des Wahlalters laut geworden. Der ame-rikanische Präsident Lyndon Johnson hat während seiner Amtszeit mehrfach entsprechende Erklärungen abgegeben. In Frankreich setzte sich bereits 1965 der Staatssekretär für Jugend und Sport, Maurice Herzog, für eine Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre ein. In Großbritannien trat zuerst die Liberale Partei mit einer Kampagne für die Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre hervor. Die angestrebte Reform wird seit 1965 von einer starken Gruppe der Labour Party unterstützt und gegenwärtig von der Regierung Wilson geprüft 6).
I. Das Wahlalter in Verbindung mit dem Volljährigkeitsund Wehrpflichtalter ّ— internationaler Vergleich Europa und USA
I. Das Wahlalter in Verbindung mit dem Volljährigkeitsund Wehrpflichtalter ّ— internationaler Vergleich Europa und USA
Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der Staaten Westeuropas und der USA ist das aktive Wahlrecht in den kommunistischen Staaten Osteuropas — einschließlich der DDR — auf 18 Jahre festgelegt. Auch in eini-gen nicht-sozialistischen Ländern gilt ein Wahlalter von 18 Jahren, z. B. in Israel, Jordanien, Paraguay und Südafrika. Die übrigen außereuropäischen Staaten haben sich in ihrer überwiegenden Mehrheit für 21 Jahre entschieden
III. Forderungen nach Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 4
Abbildung 4
1) Verbände und Parteien In der 1965 eingeleiteten Debatte über die Herabsetzung des Wahlalters verliefen die Fronten zunächst weniger zwischen den Parteien als zwischen „jung" und „alt" innerhalb der Interessenverbände und der politischen Parteien. Bereits im Mai 1963 hatte die Jugend der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft auf ihrer 7. Bundesjugendkonferenz die Forderung nach einer Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre erhoben. Aber erst nach der Beratung und Verabschiedung der Dritten Novelle zum Wehrpflichtgesetz im Februar 1965, die das Einberufungsalter von 20 auf 18 Jahre herabsetzte
Abbildung 16
Abbildung 16
Hamburg:
II. Altersgrenzen im Zusammenhang mit dem Wahlalter in der Bundesrepublik
II. Altersgrenzen im Zusammenhang mit dem Wahlalter in der Bundesrepublik
Als erstes Länderparlament hat die Hamburger Bürgerschaft am 12. März 1969 die Herabsetzung des aktiven Wahlrechts von 21 auf 18 Jahre und des passiven Wahlrechts von 25 auf 23 Jahre beschlossen. Damit sind bei den Wahlen zum Landesparlament und zu den Bezirksparlamenten Anfang 1970 zusätzlich etwa 60 000 Wähler zwischen 18 und 21 Jahren stimmberechtigt.
Abbildung 18
Abbildung 18
Schleswig-Holstein:
III. Altersgrenzen in der Bundesrepublik, die neben der Volljährigkeit im Falle der Herabsetzung des Wahlalters betroffen sein würden bzw. überprüft werden müßten
III. Altersgrenzen in der Bundesrepublik, die neben der Volljährigkeit im Falle der Herabsetzung des Wahlalters betroffen sein würden bzw. überprüft werden müßten
Der Kieler Landtag setzte am 10. Juni 1969 als zweites deutsches Parlament nach der Hamburger Bürgerschaft das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre und das passive Wahlalter von 25 auf 23 Jahre herab. Die Neuregelung wird zum erstenmal bei den Kommunalwahlen im Jahre 1970 wirksam.
Nordrhein-Westfalen:
Die sozialdemokratisch geführte Landesregierung und die CDU-Opposition des Düsseldorfer Landtages hatten im November 1968 unabhängig voneinander 'Initiativen zur Neufestsetzung des Wahlalters ergriffen. Am 1. Juli 1969 faßte das Düsseldorfer Parlament einstimmig die verfassungsändernden Beschlüsse, das aktive Wahlalter auf 18 und das passive Wahlalter auf 23 Jahre herabzusetzen. Die Neuregelung wird zum erstenmal bei den Landtagswahlen im Jahre 1970 wirksam. Zugleich wird aber das Wahlrecht in dem bevölkerungsreichsten Bundesland insofern eingeschränkt, als Landtagswahl ebenso wie Kommunalwahl künftig nicht mehr alle vier, sondern nur noch alle fünf Jahre stattfinden. *
Saarland:
Auch im Saarland können von 1970 an bei Landtags-und Kommunalwahlen bereits 18jährige wählen und 23jährige gewählt werden. Der saarländische Landtag verabschiedete am 9. Juli 1969 fast einstimmig eine Verfassungsänderung in dritter Lesung, durch die das aktive Wahlalter von 20 auf 18 Jahre und das passive Wahlalter von 25 auf 23 Jahre herabgesetzt wird.
Berlin:
Die SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses forderte den Senat am 23. April 1968 auf, eine Gesetzesvorlage für eine Herabsetzung des Alters für das aktive Wahlrecht auf 18 Jahre auszuarbeiten und zugleich mit dem Bund und den übrigen Bundesländern Einvernehmen über entsprechende Regelungen herzustellen. Anfang Mai 1968 wurden auch von der Berliner CDU-und FDP-Fraktion Gesetzesentwürfe für eine Herabsetzung des aktiven Wahlalters eingebracht, die seither den Fachausschüssen des Abgeordnetenhauses vorliegen. Die FDP-Fraktion beantragte darüber hinaus eine Herabsetzung des passiven Wahlalters auf 23 Jahre.
Niedersachsen:
Im Niedersächsischen Landtag ist ein Gesetz-entwurf der FDP zur Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 und der Wählbarkeit auf 23 Jahre nach der ersten Lesung am 11. September 1968 dem zuständigen Ausschuß überwiesen worden. In der Debatte sprachen sich Vertreter von SPD, CDU und FDP grundsätzlich für die Gesetzesänderung aus. Nur der NPD-Vorsitzende Adolf von Thadden lehnte eine Senkung des Wahlalters ab, weil, wie er u. a. sagte, den Jugendlichen die nötige Erfahrung fehle.
Bremen:
In der Bremer Bürgerschaft herrscht der Wunsch vor, daß sich der Bundestag so schnell wie möglich mit der Wahlrechtsfrage beschäftigen möge, um das Wahlalter einheitlich herabzusetzen. Obwohl alle Parteien der Bürgerschaft grundsätzlich bereit wären, das Wahl-alter ebenfalls herabzusetzen, wird betont, daß dies nur durch eine Änderung der Landesverfassung zu erreichen ist. Eine derartige Verfassungsänderung setzt in Bremen jedoch einen einstimmigen Beschluß der Bürgerschaft oder einen Volksentscheid voraus.
Rheinland-Pfalz:
Bereits im Mai 1968 hatten sich die drei Fraktionen des Landtages, CDU, SPD und FDP, grundsätzlich für eine Herabsetzung des Wahl-alters in Bund und Ländern ausgesprochen. Während die oppositionelle SPD-Fraktion einen Urantrag einbrachte, betonte die CDU, daß eine derartige Initiative vom Bund ausgehen müsse. Der Koalitionspartner der CDU, die FDP, vertrat nach dem Alleingang der Hamburger Bürgerschaft die Auffassung, daß für Rheinland-Pfalz eine neue Regelung bereits für die Kommunalwahl im Juni 1969 wünschenswert gewesen wäre.
Hessen:
Hessen befindet sich in einer besonderen Situation. Eine Änderung der Landesverfassung, die für eine Herabsetzung des Wahlalters notwendig wäre, bedarf der Bestätigung durch einen Volksentscheid. Ein Volksentscheid ist in Hessen seit 1950 nicht mehr praktiziert und seither von den regierenden Sozialdemokraten stets als Instrument für die Tagespolitik energisch zurückgewiesen worden. Dennoch hat die SPD-Fraktion die Landesregierung im September 1968 beauftragt, nach Möglichkeiten für eine Herabsetzung des Wahlalters zu suchen. Nach dem Alleingang der Hamburger Bürgerschaft betonte die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, daß jetzt erst recht auf einer bundeseinheitlichen Regelung bestanden werden müsse.
Baden-Württemberg:
In Stuttgart beschäftigte sich der Landtag Ende 1968 mit Anträgen der FDP-und der SPD-Fraktion, das aktive Wahlrecht auf 18 und das passive Wahlrecht auf 23 Jahre herabzusetzen. Alle Fraktionen des Hauses bekundeten ihre Bereitschaft zu dieser Änderung. Doch setzte sich die Auffassung der CDU durch, einen entsprechenden Beschluß des Bundestages abzuwarten. Dazu wurde betont, daß der Landtag nicht unter Zeitdruck stehe, da die nächste Kommunalwahl in Baden-Württemberg erst 1972 fällig sei.
Bayern:
Im Freistaat Bayern treten alle Parteien im Prinzip für eine Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre ein. Die SPD-Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet, für die CSU-Regierung hat Innenminister Bruno Merk eine bundeseinheitliche Regelung angeregt. Nach Auffassung der CSU sollte allerdings mit dem Wahlalter auch die Volljährigkeitsgrenze insgesamt herabgesetzt werden. Im übrigen befindet sich Bayern in einer ähnlichen Situation wie Hessen: Zur Herabsetzung des passiven Wahlalters ist eine Verfassungsänderung notwendig, für die es eines Plebiszits bedarf.
IV. Die Einstellung der Bevölkerung zur Frage der Herabsetzung des Wahlalters
Abbildung 5
Abbildung 5
Uber die Einstellung der Bevölkerung zur Frage der Herabsetzung des Wahlalters liegen wenige zuverlässige Untersuchungen vor, die die neueste Entwicklung berücksichtigen. Eine im Juli 1968 vom Godesberger Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführte Repräsentativerhebung ergab, daß die jungen Bundesbürger für, die älteren gegen die Gewährung größerer Rechte für die 18-bis 21jährigen sind. Nach dieser Erhebung wären 36 0/0 der Bevölkerung mit einer Herabsetzung des aktiven Wahlrechts von 21 auf 18 Jahre einverstanden, während 48 °/o der Bevölkerung es lieber sähen, wenn es bei der derzeitigen Regelung bliebe. Noch geringer ist die Bereitschaft, andere Rechte, die gegenwärtig an das 21. Lebensjahr gebunden sind, wie die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit oder das Recht, ohne Einwilligung der Eltern zu heiraten, bereits den 18jährigen Bundesbürgern einzuräumen. Nach dieser Erhebung befürworten nur 25 °/o der Gesamtbevölkerung die Gewährung dieser Rechte an die jüngere Generation, während 52 °/o sie ablehnen. Die Einstellungen zur Neufestsetzung der Altersgrenzen sind eng mit dem eigenen Lebensalter verbunden. Nur unter den 18-bis 24jährigen wünscht eine klare Mehrheit, daß bereits den 18jährigen größere bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte eingeräumt werden. Mit wachsendem Lebensalter nimmt die Bereitschaft, den Jüngeren größere Rechte zu geben, ab. Unter den Männern und Frauen über 50 Jahre ist mehr als die Hälfte gegen die Forderungen der jüngeren Generation. Trotz der zahlreichen Gegenstimmen ist in den letzten Jahren die Aufgeschlossenheit für eine Herabsetzung des aktiven Wahlrechts gewachsen. Bei einer infasErhebung im Frühjahr 1966 hatten sich nur 22 % für, 63 0/0 aber gegen eine Herabsetzung des Wahlalters ausgesprochen; im Juli 1968 ergab die Untersuchung 36 °/o befürwortende und 48 0/0 ablehnende Stimmen. Im einzelnen zeigte die Erhebung folgende Ergebnisse
Frage:
„Eine Frage zum Wahlalter: Bisher ist es bei uns so geregelt, daß man bei den Bundestagswahlen ab 21 wählen darf. Nun ist vorgeschlagen worden, das Wahlalter auf 18 herabzusetzen. Wofür sind Sie: daß man ab 18 oder ab 21 wählen kann?
V. Die Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters in der Bundesrepublik
Abbildung 6
Abbildung 6
Die öffentliche Diskussion und die Debatten im Bundestag und in den Länderparlamenten zeigen eine breite Skala der Argumente für und wider die Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre. Die Diskussion konzentriert sich auf die Aspekte des Wehrpflichtalters, der politischen Reife und Selbständigkeit, der möglichen Integrationswirkung einer Herabsetzung des
A) Die Argumente für eine Herabsetzung des Alters für das aktive Wahlrecht 1. Wehrpflicht bereits mit 18 Jahren Im Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956 wurde die Wehrpflicht für männliche Jugendliche vom vollendeten 18. Lebensjahr ab festgesetzt, die Einberufung war jedoch erst nach dem vollendeten 20. Lebensjahr vorgesehen. Mit der Dritten Novelle zum Wehrpflichtgesetz vom 24. Februar 1965 wurde das Einberufungsalter von 20 auf 18 Jahre herabgesetzt. Wenn man jungen Menschen im Alter von 18 Jahren zumutet, ihren Wehrdienst in der Bundeswehr abzuleisten, dann sollte man ihnen auch das Recht zugestehen, über die Geschicke dieses Staates durch den Stimmzettel mitzuentscheiden. Wer für reif angesehen wird, als Soldat möglicherweise andere Menschen töten zu müssen oder sich töten zu lassen, dem muß auch die Reife zugesprochen werden, als Staatsbürger vollberechtigt an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Staatsbürger-liehen Pflichten sollten stets auch staatsbürgerliche Rechte entsprechen 17a). 2. Verantwortlichkeit im Beruf sowie weitgehende Rechte und Pflichten junger Menschen ab 18 Jahren a) Schulpflicht und Lehrzeit enden gewöhnlich mit 18 Jahren. Dieser Zeitpunkt kann deshalb etwa als das Ende der Jugendzeit angesehen werden. Der größte Teil der 18-bis 20jährigen steht bereits vollverantwortlich im Berufs-und Erwerbsleben mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten. So enden mit 18 Jahren z. B. alle Schutzbestimmungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Die jungen Menschen befinden sich in der Regel zu diesem Zeitpunkt auch in einer finanziell unabhängigen Position 18). Die folgenden Zahlen geben einen Hinweis auf den Anteil der erwerbstätigen und finanziell selbständigen Jugendlichen zwischen 18 und 21 Jahren
Das Prinzip, daß eine Person erst mit 21 Jahren als „Erwachsener", das heißt als mündiger Bürger gilt, ist demnach in vielerlei Hinsicht durchbrochen. Eine Vielzahl der Rechte und Pflichten, die junge Menschen mit 18 Jahren erhalten, stellt sie den „Erwachsenen" gleich; dennoch erhalten sie weder das Wahlrecht noch die Volljährigkeit. Darüber hinaus erscheint heute die gesetzlich fixierte Gewalt der Erziehungsberechtigten über die 18-bis 21jährigen überaus brüchig 20). 3. Heranführung der jungen Menschen an die Demokratie — Lücke zwischen staatsbürgerlichem Unterricht und aktiver politischer Mitwirkung a) Die jungen Menschen sollten durch die Möglichkeit der Teilnahme an politischen Wahlen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auch praktisch an die Demokratie herangeführt werden. Für viele Jugendliche bedeutet heute „Freiheit" auch, politische Entscheidungen mit-treffen zu können. Deshalb sollte man ihnen bereits frühzeitig die Möglichkeit geben, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen. Im übrigen befindet sich heute nahezu in der ganzen Welt die junge Generation in Bewegung. In vielen Ländern will man das Wahlalter für den Staatsbürger herabsetzen. Die Bundesrepublik sollte auf diesem Gebiet nicht auf dem konservativen Flügel stehen. Demokratie verlangt Mitbestimmung und Mitverantwortung. Je früher die junge Generation in eine Demokratie integriert wird, desto stabiler wird sich diese Demokratie gegen innen-und außenpolitische Bedrohungen erweisen 21). b) Mit der Beendigung des staatsbürgerlichen Unterrichts in den Schulen einschließlich der Berufsschulen mit etwa 18 Jahren, an dessen Abschluß die jungen Menschen im allgemeinen politisch relativ aufgeschlossen sind
Jürgen Habermas und Mitarbeitern
Für die Gesamtheit der jungen Menschen von 15 bis 25 Jahren kommt Blücher aufgrund seiner Untersuchungen zu der Aussage
Das durchschnittliche Heiratsalter der ledigen Eheschließenden betrug bei den Männern und Frauen
Es ist schwer miteinander vereinbar, Jugendlichen die Gründung einer Familie zu erlauben, ihnen aber das Wahlrecht zu verweigern. Allein im Jahre 1964 haben 23 000 Männer und 136 000 Frauen unter 21 Jahren die Ehe geschlossen. Der Anteil der Frühehen wird sehr wahrscheinlich weiter ansteigen
Statistische Angaben über Eheschließungen von Männern unter 21 Jahren
In diesem Zusammenhang muß jedoch die Tatsache berücksichtigt werden, daß die Ehen zwischen sehr jungen Ehepartnern am häufigsten geschieden werden
B) Die Argumente gegen eine Herabsetzung des Alters für das aktive Wahlrecht 1. Kein Junktim zwischen Wehrpflichtalter und Wahlrechtsalter Zwischen Wehrpflichtalter und Wahlalter besteht kein zwingender Zusammenhang. Der Wehrdienst erfordert keine Qualifikation, die für die Wahlentscheidung erforderlich ist, wie z. B. politische Kenntnisse und Erfahrungen. Der frühzeitige Beginn des Wehrdienstes liegt im Interesse der jungen Menschen, da seine Ableistung erfolgt, bevor sie sich eine wirtschaftliche Existenz schaffen und eine Familie gründen wollen. Darüber hinaus ist vom Wehrdienst faktisch nur etwa die Hälfte der männlichen Jugend betroffen
Dem Phänomen der körperlichen Frühreife (Akzeleration) steht das Phänomen einer Retardierung und des Auseinanderklaffens zwischen körperlicher und seelisch-geistiger Reife bei etlichen jungen Menschen gegenüber, das bei einem Teil der 18-bis 20jährigen die Reife zur politischen Entscheidung bezweifeln läßt
Nach dem Kriege ist von Jugendpsychologen die Vermutung vertreten worden, die damalige Jugendgeneration leide entgegen der verfrühten körperlichen Reifung an einer verzögerten seelisch-geistigen Entwicklung. Spätere Untersuchungen von H. Thomae, U. Undeutsch und anderen haben diese Vermutung jedoch nicht bestätigt
W. Lenz und H. Kellner
VI. Zur Frage der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters
Abbildung 7
Abbildung 7
1. Kein zwingendes Junktim zwischen Wahl-alter und Volljährigkeitsalter Die Annahme eines zwingenden Junktims zwischen Wahlalter und Volljährigkeitsalter läßt sich kaum überzeugend begründen. Nach der Weimarer Verfassung lag das Wahlalter bei 20, die Volljährigkeit jedoch wie heute bei 21 Jahren, ohne daß daraus rechtliche Diskussionen entstanden wären. Ein Auseinanderfallen zwischen Wahlalter und Volljährigkeit gibt es in der Bundesrepublik im Saarland und in Berlin, wo das Wahlrecht für den Landtag bzw. für das Abgeordnetenhaus mit 20 Jahren beginnt, und neuerdings auch in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo das aktive Wahlalter für die Bürgerschafts- bzw. Landtagswahlen und für die Kommunalwahlen auf 18 Jahre herabgesetzt wurde. Eine Diskrepanz zwischen Wahlalter und Volljährigkeitsalter besteht auch in Österreich, Schweden und in Island.
Es liegt kein innerer Widerspruch darin, daß die politische Mündigkeit und die zivilrechtliche Mündigkeit auseinanderfallen. Auch innerhalb der zivilrechtlichen Mündigkeit gibt es unterschiedliche Altersgrenzen zwischen der Religionsmündigkeit (14 Jahre)
Auf die Vollendung des 21. Lebensjahres ist — ohne Rücksicht auf Volljährigkeit oder Minderjährigkeit — abgestellt in folgenden Rechts-vorschriften: 3. Auswirkungen einer Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf andere Rechtsbereiche
Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre würde erhebliche Auswirkungen für das Jugendwohlfahrtsrecht und voraussichtlich auch für das Jugendstrafrecht haben.
Im Bereich des Jugendwohlfahrtsrechts wären erzieherische Maßnahmen im Rahmen staatlicher Eingriffe an die Volljährigkeitsgrenze von 18 Jahren gebunden. Für die drei Jahrgänge von 18 bis 21 Jahre würden alle Möglichkeiten der erzieherischen Einwirkung durch Maßnahmen der Jugendhilfe entfallen.
Freiwillige Erziehungshilfe, Fürsorgeerziehung und Erziehungsbeistandschaft würden statt mit 21 schon mit 18 Jahren enden
Eine Herabsetzung der Volljährigkeit auf 18 Jahre hätte voraussichtlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung der „Heranwachsenden" im Jugendstrafrecht. Gegenwärtig wird diese Altersgruppe der 18 bis 21jährigen unter den Voraussetzungen des § 105 JGG nach dem Jugendstrafrecht behandelt. An die Stelle der Kriminalstrafen treten weitgehend Erziehungsmaßregeln; der Jugendstrafvollzug selbst wird in besonderen Ju-Nach gendstrafanstalten vollzogen. Bei der Erörterung der zur Diskussion stehenden Reformen des Jugendstrafrechts wurde vorgeschlagen, das erzieherische Jugendstrafrecht über § 105 JGG hinaus auf „Heranwachsende" allgemein auszudehnen. Eine Erklärung der über 18jährigen zu zivilrechtlich voll verantwortlichen Staatsbürgern wäre mit einer Sonderbehandlung dieser Altersgruppe im Rahmen des Jugendstrafrechts zwar nicht grundsätzlich unvereinbar, sie hätte aber wahrscheinlich die Tendenz, diese Gruppe auch im Strafrecht als voll strafmündig zu behandeln und unter das Erwachsenenstrafrecht zu stellen.
VII. Die wahrscheinliche Stimmenverteilung der 18-bis 20jährigen auf die einzelnen Parteien nach einer Herabsetzung des aktiven Wahlalters
Beteiligung an der Bundestagswahl Quelle: Wirtschaft und Statistik. 1961 1957
Beteiligung an der Bundestagswahl Quelle: Wirtschaft und Statistik. 1961 1957
Die Herabsetzung des aktiven Wahlalters würde die Wahlergebnisse voraussichtlich kaum beeinflussen. Das infas-Institut ermittelte im Auftrag des „Spiegel" durch eine Analyse seiner monatlichen Umfragen zwischen Januar 1967 und April 1968, daß von den 18, 19 und 20 Jahre alten Bundesbürgern 400/0 CDU, 35% SPD und 6% eine andere Partei wählen würden; 19% waren unentschlossen. Diese Gruppe der Jungwähler würde demnach nicht wesentlich anders votieren als die Älteren. Im einzelnen ergab die Analyse die folgenden Ergebnisse (zum Vergleich nachgeordnet andere Altersgruppen)
Einen Überblick über die Stimmabgabe der jungen Wähler zwischen 21 und 30 Jahren für die drei im Bundestag vertretenen Parteien bei den Bundestagswahlen 1961 und 1965 gibt die folgende Tabelle (Zahlenangaben in Prozent; in Klammern die Prozentzahlen aller Wähler):
Die Affinität der 21-bis 30jährigen Wähler zur CDU war demnach überproportional und zur FDP unterproportional, während die zur SPD dr Gesamtwählerschaft zu dieser Partei entsprach. Nach Aussage des Bundesinnenministers Benda (CDU) in der Bundestagsdebatte vom 15. November 1968 zeigt die letzte Meinungsumfrage über die mutmaßliche Wahl-entscheidung der 18-bis 20jährigen, die den Stand vom September 1968 wiedergibt, das gleiche Bild
Die in der Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters gelegentlich vorgetragene Meinung, daß es bei den 18-bis 21jährigen eine überdurchschnittliche Affinität zur NPD gebe
Die vorliegenden Untersuchungen über die Wählerschaft der NPD zeigen übereinstimmend, daß diese Partei unterdurchschnittlich von den 21-bis 30jährigen Männern und Frauen, aber relativ überwiegend von 45 bis 60jährigen Männern gewählt wird
VIII. Überprüfung des Alters für das passive Wahlrecht
Abbildung 9
Abbildung 9
Mit einer Überprüfung des aktiven Wahlalters sollte konsequenterweise auch die Überprüfung des Alters für das passive Wahlrecht einhergehen. Die den Parlamenten der Bundesländer vorliegenden Anträge auf Abänderung des geltenden Wahlalters schließen die Herabsetzung des passiven Wahlalters ebenso ein wie die Gesetzesinitiative, die von der FDP-Fraktion am 15. November 1968 im Bundestag eingebracht wurde. Dabei ist als neue Altersgrenze für das passive Wahlrecht das vollendete 23. Lebensjahr vorgesehen
In der Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters wird jedoch auffallend selten auf die Argumente für und wider die Herabsetzung des passiven Wahlalters eingegangen. In diesen wenigen Fällen werden im wesentlichen die bei der Debatte über die Herabsetzung des aktiven Wahlalters ins Feld geführten Argumente in abgewandelter Form wiederholt, wobei die Argumente der persönlichen und politischen Reife und der Integration der Jugend im Vordergrund stehen. Von den Befürwortern einer Herabsetzung des passiven Wahlalters von 25 auf 23 Jahre wird in diesem Zusammenhang auf die notwendige „Verjüngung des Parlaments" hingewiesen. Uber die geringe Zahl der Abgeordneten unter 30 Jahre in den bisher gewählten Bundestagen gibt die folgende Tabelle Aufschluß:
Die Gegner einer Herabsetzung des passiven Wahlalters betonen, daß die mit der parlamentarischen Tätigkeit verbundene hohe Verantwortung eine persönliche Reife, Lebenserfahrung und politische Urteilsfähigkeit erfordert, die das jetzige Mindestalter von 25 Jahren als berechtigt erscheinen läßt. Dem Wunsch nach einer „Verjüngung des Parlaments" kann nach ihrer Auffassung auch im Rahmen des jetzigen Wählbarkeitsalters Rechnung getragen werden.
In den verschiedenen westeuropäischen Staaten ist das passive Wahlalter unterschiedlich geregelt. In der Mehrzahl der westeuropäischen Länder liegt das Alter für das passive Wahlrecht jedoch unter 25 Jahren, wobei es häufig im gleichen Alter wie das aktive Wahlrecht gewährt wird