Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kritische Gedanken zu den Denkansätzen der politischen Bildung | APuZ 31/1969 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 31/1969 Kritische Gedanken zu den Denkansätzen der politischen Bildung

Kritische Gedanken zu den Denkansätzen der politischen Bildung

Hans-Günther Assel

Neue Entscheidungen sind nötig, wenn die politische Bildungsarbeit nicht in einer Sackgasse enden soll. Zahlreiche Aufsätze, Rückblicke und Bilanzen über die politische Bildung in der Bundesrepublik sprechen diesen Gedanken ohne Zögern aus. Die Unruhe und der politische Aktivismus innerhalb der Jugend rief mannigfache Besorgnisse hervor, weil sich Kritik und Engagement gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenden: Man lehnt sich gegen die Erstarrung demokratischer Ideale auf und fordert rasche und umfassende Reformen. Angesichts des wissenschaftlichen und technischen Entwicklungsstandes glaubt man Chancengleichheit und gerechte Güterverteilung in einer von allen Manipulationen und Repressionen befreiten Gesellschaft verwirklichen zu können. Da die politische Realität sich nicht in dieser Richtung entwickelt, regt sich das Unbehagen und artikuliert sich der Protest. In den Strudel der Kritik über Versäumnisse und Unzulänglichkeiten gerät auch die politische Bildung und der Politikunterricht. Wer die Erörterungen der letzten Jahre bis zur Bundestagsdebatte vom 15. November 1968 überblickt, kommt zu dem Ergebnis, daß allgemein die Auffassung besteht, daß die politische Bildung nicht das leistete, was man von ihr erwartete.

I. Kritik und Gegenkritik zur Zielsetzung politischer Bildung

Als Wolfgang Mickel Ende 1965 seinen Rückblick über die politische Bildung in der Bundesrepublik schrieb, bezeichnete er als vordringliche Aufgabe der politischen Pädagogik: politisches Bewußtsein, eine sozialethische Einstellung und eine tatbereite Haltung heranzubilden Er warnte vor übertriebenen Hoffnungen einer schulischen politischen Erziehung, weil die traditionelle deutsche Dichotomie von Politik und Geist noch nachwirkte Deshalb dürfe man die Erziehung zu politischem Bewußtsein nicht dem Zufall überlassen; systematischer Politikunterricht sei erforderlich. Bei aller Würdigung der erzielten Fortschritte habe sich die politische Bildung nicht zufriedenstellend entwickelt. „So besteht eine Kluft zwischen Lehre und Tun. Die Schule gerät in den Verdacht einer passiven Verstehenshal-tung, die nicht im Handeln fortsetzt, was sie in der Theorie vorträgt." Kurz zuvor hatte Mickel gesagt: „Es fehlt an einer politischen Pädagogik als der zuständigen Wissenschaft. Eine Didaktik des politischen Unterrichts besteht nur in Ansätzen." Damit wurden die Unzulänglichkeiten hervorgehoben, an denen der Politikunterricht litt. Die mangelnde Würdigung von Macht-, Interessen-und Wertkonflikten, die ideale Verklärung von Gemeinschaft, Kooperation und Partnerschaft, die Abscheu vor den Konflikten und die starke Betonung der Solidarität ließen die „Kluft" zur politischen Realität wachsen. Man vermied es, die Schwächen des demokratischen Alltages wahrheitsgemäß darzustellen. Diese Diskrepanz rügte das bekannte Gutachten der Max-Traeger-Stiftung über die Wirksamkeit politischer Bildung. Obwohl politische Bildungsarbeit von keiner Seite bestritten wird, gehen die Ansichten über den Gegenstand, über Ziele und Wege sehr auseinander

Die Kritik, die sich mit dem IfS-Gutachten beschäftigte, monierte, daß die gefällten Wert-urteile sich auf empirische Untersuchungen stützen, die bereits in den Jahren 1961 und 1962 durchgeführt wurden. In der Zwischenzeit sei aber manches geschehen, was die Gutachter nicht berücksichtigen konnten. Besonders Felix Messerschmid, Sebastian Herkommer und Wolfgang Hilligen setzten sich kritisch mit dem IfS-Gutachten auseinander. Es genügt, auf diese Beiträge zu verweisen Das Ergebnis der Kritik und Gegenkritik läßt sich in der Feststellung zusammenfassen, daß die politi-tische Erziehungsarbeit reformbedürftig ist. Nicht zuletzt trug die Debatte im Bundestag dazu bei, die Probleme sichtbar zu machen. So betonte die Bundesregierung, daß politische Bildung die Reformarbeit zu unterstützen habe, denn die Demokratie müsse stärker als bisher praktiziert werden. Der Einfluß und die politische Beteiligung des einzelnen sei zu gering, um die allgemeine politische Abstinenz des Bürgers zu überwinden. Nur eine kritische Haltung könne wirksamen Schutz gegen alle Beeinflussungsversuche antidemokratischer Demagogen bieten. Dazu gehöre die Fähigheit, die eigene Position zu überprüfen. Wegen des normativen Charakters des Grundgesetzes und der verbürgten Freiheitsrechte sei es erforderlich, ein Bekenntnis zum demokratischen Existenzwillen abzulegen, denn „in einem kritischen Intellektualismus, sofern er sich von allen Bindungen löst, liegt eine ebenso große Gefahr wie in einem nur vom Gefühl getriebenen Engagement"

Zwei Tendenzen wurden als bedenklich beschrieben: ein sich von allen Wertgrundlagen lösender Kritizismus und ein gefühlsmäßiger Aktivismus. Auch die Bundesregierung bringt zum Ausdruck, daß politische Bildung glaubwürdiger und überzeugender als bisher wirken sollte. Dazu müssen die „noch unzureichend geklärten didaktischen und methodischen Probleme der politischen Bildung in den verschiedenen Schulformen und -arten beschleunigt untersucht werden" Auch die Bundesregierung verlangt eine Neubesinnung in der politischen Pädagogik und fordert erweiterte Forschung auf dem Gebiet politischer Didaktik.

Zweifelslos hat die politische Bildungsarbeit in der Vergangenheit bestimmte Reaktionen ausgelöst, denn die Neigung zu Kritik und Engagement ist besonders unter der Jugend angestiegen. Man wäre freilich nicht so besorgt, wenn diese Reaktionen weniger emotionell und provokativ erfolgten denn die aktiven Minderheiten gefährden mit ihrer revolutionären Taktik die freiheitliche Grundordnung. Wo liegen die Gründe für den spontanen Aufbruch der Jugend, den die politische Bildung bisher nicht zu steuern vermochte? Die Zunahme der restaurativen Tendenzen in den sechziger Jahren und die unübersehbaren Mängel in den öffentlichen Institutionen vergrößerten die Kluft zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Praxis. Die versäumte Reform schuf die Protestwelle unter der Jugend Die als Gemeinschaftskunde etikettierte politische Bildung bewies eine Politikfremdheit, die sich dem nüchternen und sachlichen Blick für Konfliktsituationen versagte.

Die Erfolglosigkeit des Protestes wiederum steigerte die Frustration und verschärfte aggressive Tendenzen. Die radikale Linke, die sich für eine neue Ideologie einsetzt verwarf den Gedanken zur Reform. Sie forcierte den „Aktivitätskult", der die Unfähigkeit der Deutschen zur Revolution mittels einer neuen Strategie zu überwinden trachtete. Man sprach nicht mehr von versäumten Reformen, sondern von der „großen Verweigerung". Man benutzte die Diskussion über die Bildungsreform als „Aufhänger" für radikale politische und soziale Zielsetzungen. Die zurückgebliebene Rea-lität stachelte den Aktivitätskult der Jugend an, zumal der Widerstand der Etablierten jede zügige Reformarbeit erlahmen ließ. Dabei handelt es sich nicht nur um ein spezifisch deutsches, sondern um ein weltweites Problem, das sich mit den Begriffen Status quo, Reform und Revolution fassen läßt. Die Überzeugung eines Teiles der Jugend, den Status quo doch nicht verändern zu können, führte zur Renaissance der Vokabel von der „Klassengesellschaft".

Thomas Ellwein warnte 1964 vor dem „übermäßigen Betonen verantwortlichen Handelns, das oft in eine Art Aktivitätskult ausartet", weil diesem Aktivitätswillen eine politische Realität gegenübersteht, die sich dem Tun des einzelnen nicht so leicht öffnet Auch Kurt Sontheimer mahnte die politischen Pädagogen zur Nüchternheit, weil der verlockenden Idee politischer Beteiligung oft das mangelnde Wissen fehlt, „auf welche Weise und mit welchen Mitteln sich der heutige Staatsbürger sinnvoll an der Demokratie beteiligen kann . . .". Und er formulierte mit der wünschenswerten Klarheit die reale Sachlage, wenn er hinzufügte: „Die demokratischen Bürger von heute haben keineswegs jene großen Möglichkeiten, das Leben des Staates, und insbesondere die wichtigen politischen Entscheidungen mitzubestimmen."

Daß die politische Bildungslehre mit dem Begriff politischer Beteiligung oder Mitbestimmung recht unkritisch umging, weil sie sich viel zu wenig Gedanken über die realen Möglichkeiten solcher Beteiligung machte und damit indirekt jenen „Aktivitätskult" förderte, darf nicht übersehen werden, obwohl es genügend Stimmen gab, die auf dieses Problem hinwiesen. So unterstrich Felix Messerschmid, daß das Aktivitätsprinzip nicht für die politische Bildung konstitutiv sei. „Das Aktivitätsprinzip hat ein Modell des Bürgers vor Augen, das idealistisch überhöht ist, es an Nüchternheit fehlen und sich daher nicht realisieren läßt." Und Hermann Giesecke sprach sogar der politischen Pädagogik die Legitimation ab, bestimmte politische Aktivitäten zu ermuntern, weil es um einen Lernprozeß gehe und nicht um Wirksamkeit. Der Appell zur Aktivität sei mit „äußerster Zurückhaltung" zu vertreten Politische Bildung darf keine falschen Hoffnungen wecken, die sich nicht verwirklichen. „Worauf es dem politischen Unterricht ankommen muß, ist das üben des politischen Urteils an Ernstfragen des öffentlichen Lebens." Ein politisches Bewußtsein, das den Sachverhalten angemessen ist, soll sich herausbilden, um zu einer Art „passiver Aktivität" zu gelangen, welche die „politischen Akteure zwingt, bestimmte Dinge nicht zu tun"

Eine solche Wirkung erzielt die politische Bildung, wenn sie die Urteilsfähigkeit des Heranwachsenden so weit entwickelt, daß er weiß, wie er seine politische Bewußtseinshaltung in politischen Kontroversen zur Geltung bringt und welche Gruppe er zu unterstützen hat. Die Übung politischer Urteilsbildung und das Wissen um die konkreten Möglichkeiten sinnvoller demokratischer Beteiligung stellen das Herzstück des Politikunterrichtes dar. Das bloße Reden von politischer Aktivität und Mitbestimmung genügt in keinem Falle und ruft die akute Gefahr hervor, daß sich ein „Aktivitätskult" herausbildet, der mangels nüchterner Reflexionen sich an eine Sozialutopie verliert, die als ideologieverdächtig zu bezeichnen ist. Der mangelnde politische Realismus läßt die Stimmen anwachsen, die sich gegen einen Aktivitätskult richten denn ein Engagement, das sich vom Gefühl leiten läßt, setzt sich zu schnell und unreflektiert für politische Ziele ein, die einen radikalen Wandel der Dinge befürworten. Wir beobachten, daß sich Teile unserer Jugend einem Aktivitätskult hingeben, die mit ihrer Forderung nach totaler Demokratie zu leicht das Opfer einer Sozialutopie werden, ohne daß man die Schwächen eines Rätesystems oder einer modifizierten Diktatur des Proletariats skeptisch beurteilt. Diese ungenügende Reflexion über das eigene Wollen einerseits und der schwärmerische Wille zur Tatbereitschaft andererseits sind typische Kennzeichen für den radikalen Protest. Will man nicht in einer Willkürherrschaft enden, dann sollte man sich vergegenwärtigen, was es heißt, Gewalten-trennung aufzugeben und dafür eine unmittelbare Volkskontrolle einzuführen. Ein System „direkter Demokratie", das die Idee einer unabhängigen Rechtsprechung verwirft, muß erhebliche Bedenken auslösen. Wir verfügen über keinen Beweis, daß es besser funktionieren würde als die parlamentarische Demokratie

Hier werden alternative Ordnungsvorstellungen aufgestellt, die eine bewußte antidemokratische Tendenz besitzen, die Haß gegen das parlamentarische System predigen, die vor einer simplifizierten Schwarzweißzeichnung nicht zurückschrecken und ein schroffes Entweder-Oder als die letzte Möglichkeit ansehen. Politische Einsichten gewinnt man durch kritische Aufklärung, die nicht allein von der Soziologie geleistet wird. Dazu gehören auch philosophische und anthropologische, psychologische und ethische Erkenntnisse. Besonders die Sozialpsychologie und die Sozialpathologie machen die im Menschen vorhandenen Neigungen zur Aggression und Zerstörung sichtbar Wer es begreift, daß der Mensch nicht so leicht auf seine Aggressionsgefühle verzichtet, der weiß auch, daß die „menschenwürdige Ordnung" das Ziel sein muß, damit der Mensch in Frieden und Freiheit leben kann und die Perversion des ewigen Krieges überwunden wird. Wer seine Kritik nur gegen die Ordnungsform seines Gegners richtet, aber die eigene Ordnungsform unkritisch hinnimmt, läßt es an der nötigen „kognitiven Distanz" fehlen und gerät damit in emotionale Gefährdungen

Es gehört zu einer vordringlichen Aufgabe politischer Bildung, sich Gedanken über das Strukturmodell menschenwürdiger Ordnung zu machen, weil zugleich ein weltweites Problem angesprochen wird. Die starke Neigung zu Kritik und Aktivität in einem Teil der heutigen Jugend eliminiert nicht die subjektiven Komponenten im eigenen politischen Denken. Hier fehlt es an der ideologie-kritischen Überprüfung. Mit anderen Worten: Man darf Kritik nicht nur als Fremdkritik vortragen, sondern muß auch die Selbstkritik — im Sinne eines Selbsterziehungsprozesses — einbeziehen, denn der wahrhaft kritische Mensch zeichnet sich durch ein „gesundes Mißtrauen" gegen sich selbst aus. Nirgends offenbart sich die Schwäche der aktivistisch und schwärmerisch veranlagten Jugend so deutlich, weil sie zur „Ideologiekritik" — zur Infragestellung der eigenen Position — nicht bereit ist

Da jede politische Schwarzweißzeichnung bei der Freund-Feind-Theorie endet, werden letztlich mit dieser Haltung nur Haßund Aggressionsgefühle angestachelt, die jeden vernünftigen Dialog unterbinden. Gerade der Dialog mit Andersgesinnten verhindert, daß sich eine ideologisch gefärbte Parteimeinung durchsetzt, weil sie ständig auf den Widerspruch Andersgesinnter stößt. Begriffliche Klarheit und Nüchternheit sind die unabdingbaren Voraussetzungen, einen vernünftigen Dialog zu führen. Suggestivität und auf Wirksamkeit bedachte Polemik, politische Phraseologie oder einseitig gefärbte Terminologie schalten den rationalen Dialog aus, der den Weg zur Erkenntnis und vernünftigen Urteilsbildung frei machen könnte.

Die politische Erziehungsarbeit hat ihre Aufmerksamkeit auf zwei typische Gefahren zu lenken: auf den Subjektivismus, der ideologische Einstellungen verbreitet, und auf die Wertneutralität, die sich der bewußten Wert-entscheidung entzieht. Die Gefahr, einen „So-

ziologismus" in die politische Bildung hinein-zutragen, wird häufig übersehen. Auch das bekannte IfS-Gutachten erliegt dieser Tendenz, wenn es äußert: „Politische Bildung ist nach den Worten Adornos nur möglich als Soziologie." Mit ideologischen Formeln und mit analytischen Deskriptionen, die nicht als Voraussetzung künftiger Wertentscheidung, sondern als Selbstzweck zu betrachten sind, wird der politischen Bildung nicht gedient. Hier gilt das Wort von Felix Messerschmid: „Ohne Einbeziehung und Diskussion des Normativen ist politische Bildung kaum möglich." Wer zur politischen Aufklärung und Mündigkeit erziehen will, kann die Normendiskussion nicht umgehen, denn er soll die Entscheidung für die menschenwürdige Ordnungsform, die sich unter allen möglichen Ordnungskonzepten durch ihren freiheitlichen und humanen Geist auszeichnet, vorbereiten und vollziehen helfen.

Erst mit der Befähigung zum „vernünftigen Dialog" schafft man die nötige Vorbedingung für eine politische Urteilsbildung, die den Blick für menschenwürdige Ordnungsnormen frei macht. Der Rückfall in die geschilderten Tendenzen — in den politischen Subjektivismus, der das Telos staatlicher Herrschaft dezisionistisch setzt, oder in den „unreflektierten" Objektivismus, der die unpolitische Haltung begünstigt, — widerholt sich bei ungenügender Wachsamkeit. Weder eine politische Dogmatik noch eine unpolitische Wertneutralität werden der Aufgabe und Zielsetzung des Politikunterrichts gerecht. Jede Vereinseitigung und Verengung begünstigen Konzeptionen, die einzelne, oft auch wichtige Aspekte verabsolutieren und deshalb zu Fehlinterpretationen führen. Solche Aspekte sind Gemeinschaft und Partnerschaft, Macht, Konflikt und Interessen. Das unaufhörliche Spiel, daß eine Konzeption der anderen diametral gegenübertritt, beruht auf der Übersteigerung einzelner Teilaspekte. Wir plädieren daher für einen „reflektierten Objektivismus", der im vernünftigen Dialog die konstitutiven Ordnungsnormen erfaßt, die sich aus einer „komparativen" Analyse als die spezifischen Wertqualitäten ergeben, die für eine menschenwürdige Ordnungs-und Existenzform unabdingbar sind. Objektive Analysen der tragenden Normen der realen Regierungsformen sind Voraussetzung für die Wert-entscheidung. Als sinnvolle politische Ordnungsform ist nach unserem Wissen die menschenwürdige Ordnung anzusehen, die damit zur politischen Zielvorstellung wird. Es geht um die Freiheit und Würde des Menschen, um seine politische Autonomie, es geht um Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit im Sinne von Mündigkeit und gleicher Chance und es geht um das Gemeinwohlprinzip, das sich real im Sozialstaat verkörpert, der die materiellen Voraussetzungen für die freie Entfaltung des einzelnen schafft

Die rationale Analyse der Ordnungsnormen der einzelnen politischen Herrschaftsformen, die im Wettstreit miteinander stehen, ihr kritischer Vergleich im vernünftigen Dialog kann die Urteilsbildung so fördern, daß eine Normenentscheidung möglich wird Uber die Einzelschritte: Normenanalyse, Normenkritik und Normenentscheidung führt der Politikunterricht den Heranwachsenden zu einer universalverbindlichen Zielvorstellung. Diese bedarf einer präzisen Inhaltsdefinition, damit sie nicht als „Leerformel" diskreditiert wird. Nicht nur formale Freiheitsrechte, sondern die in der konkreten Lebensordnung verwirklichten, immer wieder umstrittenen und neu überprüften Normen erhalten jenen relativen Gültigkeits-Charakter, der zur sinnvollen Ordnung beiträgt. Freiheit und Würde des Menschen müssen institutionell abgesichert werden, weil die Formulierung solcher Prinzipien allein nicht ausreicht. Die humane Nüchternheit gebietet es, daß der Entscheidung für die menschenwürdige Ordnung auch der Wille zur praktischen Gestaltung folgt. Die Berufung auf freiheitliche Normen genügt auch in der Demokratie nicht. Die bittere Erkenntnis, daß selbst Demokratien „unmenschlich" handeln, bleibt zu beachten Im Gegensatz zu allen ideologischen Aussagen, die den einzelnen täuschen oder ihn von der politischen Wirklichkeit ablenken, kann humane Skepsis und Nüchternheit durch institutioneile Barrieren jenen nötigen Spielraum für das Individuum sichern, damit humane Existenz sich realisiert Um diese Skepsis kommen wir nicht herum, weil die Emotionalität zu leicht alle Schranken überwindet. Die Vernunft fordert die Absicherung der Freiheitsrechte, damit der einzelne nicht in seiner Triebhaftigkeit und Aggressivität die „menschenwürdige Ordnung" aus Willkür umstößt. Es gehört zur politischen Erziehungsaufgabe, den manipulierten Menschen in seiner Hilflosigkeit darzustellen und zu zeigen, daß politische Entscheidungen „rational" zu kontrollieren sind

Politische Bildung erhält in der Gegenwart einen übernationalen Aspekt, der sich in der Zielvorstellung menschenwürdiger Ordnung und übernationaler Gemeinschaft ausdrückt. Die Zeiten, in denen die Nation, aber auch die Rasse oder Klasse erstrebenswerte Zielvorstellungen waren, sind vorüber. Es geht heute im wachsenden Maße um die „Wertqualität" der Ordnungskonzeption. Menschenwürdige Ordnung kann zu einem weltweiten Leitbild für die Jugend werden. Die Vorbedingung für die Realisierung dieses Telos ist eine bewußte Friedenserziehung. Sie verlangt neue moralische Anstrengungen, denn Humanität und Freiheit werden sich erst dann verwirklichen, wenn der Mensch — durch politische Bildung — lernt, den anderen Menschen als „Mitmenschen" und nicht als „Feind" zu sehen.

Erst wenn das Verständnis für diese globale Erziehungsaufgabe wächst, vergrößert sich die Chance für die Realisierung menschenwürdiger Ordnung, die heute mehr noch eine Forderung als eine Realität ist. Dazu gehören nicht zuletzt Fortschritte in der politischen Ethik. Es war ein Verdienst von Friedrich Wilhelm Foerster, schon in den zwanziger Jahren auf die Notwendigkeit einer bewußten Friedenserziehung hingewiesen zu haben. Wer würde ihn heute — im Anblick unserer Weltlage — noch als Pazifisten und Utopisten verketzern Nur die Schaffung menschenwürdiger Existenzformen kann uns vor der fortschreitenden Zuspitzung eines sich abzeichnenden internationalen Klassenkampfes sowie vor der Drohung der Solidarisierung der armen Völker bewahren. Alle Symptome für unheilbare Konfliktsituationen, wie zum Beispiel die andauernde Ost-West-Spannung, die Konzentration des Reichtums, die unsoziale Güterverteilung, die Bevölkerungsexplosion usw., steigern die emotionalen Tendenzen. Auch die Supermächte fördern noch die Fremdbestimmung und die Machtungleichgewichte in der Welt und bedienen sich noch der Sprache der Gewalt. Der vernünftige Dialog muß daher zu einer primären Aufgabe des Politikunterrichtes werden, weil erst auf der Grundlage vernünftigen Sprechens miteinander jene menschenwürdigen Existenzformen als Ziele anzustreben sind. Nur mit Vernunft und Einsicht lassen sich Konflikte auf der Basis des Dialogs schlichten, wenn keine Zwangsordnungen entstehen sollen.

Die Teilnahme am politischen Dialog verlangt die Fähigkeit, politische Begriffe auf ihren Inhalt zu analysieren. Der Heranwachsende ist an begriffliche Korrektheit und sprachliche Dis-ziplin zu gewöhnen, er darf sich nicht mit Schlagworten zufrieden geben Pressezensur, Informationslenkung, Regelung des Sprachgebrauches sind politische Methoden, die der Überredungskunst mehr dienlich sind als einer politischen Analyse. Politische Sprache, die nur „funktional" eingesetzt wird, dient der Ideologie und nicht der Wahrheit. Erst wenn es im vernünftigen Dialog gelingt, eine gemeinsame Grundlage der Verständigung zu finden, kann sinnvolle Ordnung gestaltet werden.

II. über die Denkansätze in der politischen Bildung

Zweifellos steht die Qualitätsfrage politischer Ordnung im Mittelpunkt politischer Bildung in der Gegenwart. Die Schärfe, mit der selbst die grundgesetzliche Ordnung in der Bundesrepublik angegriffen und die Art, wie sie als Formaldemokratie abgewertet wird, weil der einzelne am politischen Entscheidungsprozeß so gut wie nicht beteiligt ist, ruft die Frage hervor, wie man einer menschenwürdigen Ordnung gerecht wird. Eine kritische Überprüfung der Vergangenheit ist dabei unerläßlich. Das unpolitische Weltbild unserer Erzieher und ihre vorwiegend „mittelständische Gesinnungsethik" haben einen Politikunterricht begünstigt, der einer Einheits-und Gemeinschaftsideologie zuneigte. Auch die humanistische Tradition bildete eine wichtige Komponente in dem „Harmoniemodell", das man ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Interessen einer modernen Industriegesellschaft vertrat. Die legitimen Interessen der einzelnen und der Gruppen, die Konflikte in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auslösen, wurden entweder als bloße Randerscheinungen bagatellisiert oder als Egoismus und Gefährdung des Gemeinwohls gebrandmarkt. Daß in der Politik auch um ideelle und materielle Interessen gerungen wird, verschwieg der Politikunterricht, welcher der Einheitsideologie diente Die weitgehende Grundauffassung unserer politischen Erzieher formulierte Sebastian Herkommer mit folgenden Worten: „Richtig verstandene Politik müsse frei sein von . parteipolitischem Gezänk', von Einseitigkeit und , Interessenvertreterei'. Es komme immer auf den überparteilichen Standpunkt an.“

Wichtige Kriterien einer „unpolitischen" Haltung ergeben sich aus dem Antiparteienaffekt, der in der deutschen politischen Pädagogik eine große Rolle spielte aus der Hinwendung zur Gemeinschaftsideologie und zur neu-humanistischen Tradition. Nicht vergessen dürfen wir die Wirkung der deutschen Staatspädagogik, die den Blick einseitig auf den Staat lenkte, der als „höhere" Gemeinschaftsform sich auf einer Stufe bewegte, die dem Individuum weit überlegen war. Vom Staatsidealismus aus führte keine Brücke in die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit des demokratischen Parteienstaates. Im Hinblick auf diese Tradition war die Tendenz zum abstrakten Demokratieverständnis in unseren Schulen nach dem staatlichen Umbruch nur zu verständlich. Das Harmoniemodell verdeckte alle wichtigen Probleme der Gesellschaft, denn das kritische Bewußtsein bezog sich mehr auf die Fremdkritik, etwa um das Wesen der Diktatur von der Demokratie zu unterscheiden, als eine systemimmanente Kritik zu üben oder Konflikte zu analysieren. In vielen kritischen Äußerungen ist das Harmoniemodell schließlich in schroffer Weise abgelehnt worden. Auch das IfS-Gut-achten hat die unpolitische Haltung der Erzieher und die Gemeinschaftsideologie, über-haupt die ganze „apolitische politische Bildung" und den „unpolitischen politischen Unterricht" verworfen Die Gutachter setzten sich, um der Vernachlässigung der politischen Realität ein Halt zu gebieten, für den „Konflikt" als Grundkategorie des Politischen ein. Im Anschluß an Ralf Dahrendorfs Konflikt-modell rückten die politischen Pädagogen ihr Interesse für die These von der Permanenz der Konflikte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Trotz frühzeitiger Warnungen nicht in harmonisierende Demokratiemodelle auszuweichen, wandte man sich erst in letzter Zeit diesem Problemfeld der Theorie politischer Bildung zu. Rudolf Engelhardt und Hermann Giesecke arbeiteten Kriterien des Demokratieverständnisses aus und gelangten zweifellos zu einer besseren Einsicht in die politische Realität Man attackierte die politischen Erzieher, die sich noch auf die Ergebnisse der veralteten Pädagogik stützten

Das Unbehagen richtete sich auch auf die Partnerschaftserziehung, auf die Mitbürgerbildung, auf übersteigerte Anpassung und Kooperation. Die innere Berechtigung dazu erblickte man in dem Mißverständnis, das auch in diesem politischen Bildungsideal zur Wirklichkeit der pluralistischen Industriegesellschaft auftrat. Die Partnerschaftspädagogik änderte die politischen Erzieher mit ihrem unpolitischen Weltbild nur wenig. War es verwunderlich, daß sich viele Bürger im neuen demokratischen Staat von der Politik distanzierten? Dahrendorf traf den Nagel auf den Kopf, wenn er bemerkte: „Die demokratischen Institutionen werden akzeptiert, aber bleiben äußerlich, fern, letztlich gleichgültig."

Die Kritik am unpolitischen Deutschen und seiner Gemeinschaftsideologie legte den Finger auf den Mangel an kritischer Selbstreflexion. Sie zeigte, daß Macht-, Interessen-und Wert-konflikte zum Tatbestand der pluralistischen Gesellschaft gehören. Gewiß konnte man den politischen Erzieher nicht zum alleinigen Sündenbock machen, denn er konnte schließlich nur die politische Grundhaltung der Gesellschaft reproduzieren Die Schuld lag nicht zuletzt an der Theorie, welche Denkansätze aufstellte und propagierte, die der politischen Realität nicht entsprechen. Erst wenn der politische Erzieher durch eine adäquate Theorie und durch eine entsprechende Didaktik unterstützt wird, sind bessere Wirkungen in der politischen Bildung zu erwarten.

Nicht nur die traditionelle „Staatspädagogik", sondern auch die „Partnerschaftspädagogik" verstärkte das politische Unbehagen in der Bundesrepublik. Die letzte war aus dem „therapeutischen Denken" heraus nach dem Zusammenbruch als bewußte Abwehrhaltung gegen die „Unterwerfungspädagogik" des Nationalsozialismus entstanden. Mit gutem Recht trat Theodor Wilhelm gegen die phrasenhafte Dienst-und Hingabesittlichkeit zugunsten pragmatischer Kooperation und einer einfachen „Mitmenschlichkeit" auf. Sein bekanntes Buch von 1951 löste eine breite Diskussion über die Grundlagen politischer Bildung aus

Oetinger verstand demokratisches Leben als Kooperation der Gruppen, als Mitbestimmung und Mitverantwortung. Durch Kompromißbereitschaft und Toleranz sollte Solidarität entstehen. Die politische Bildung bemühte sich um eine friedensstiftende Funktion, weil sie den Feind in den Partner, den Untertan in den Vollbürger verwandeln wollte Wilhelm wandte sich wie einst Friedrich Wilhelm Foerster gegen die Überbetonung des Machtstaates und gegen das totalitäre Denken. Trotz dieser guten Absichten traf ihn die Schärfe des Widerspruches. Vor allem Theodor Litt, Erich Weniger und Heinrich Weinstock bekämpften das liberale Harmoniemodell mit dem Hinweis, daß man politische Bildung nicht in einen „politischen Vorhof" verlegen dürfe, in dem das politische Leben friktionslos nach sittlichen Maßstäben ablaufe. Es entstehe die Gefahr, das Dialektische im Politischen zu verharmlosen, denn das Politische lasse sich vom Grundbegriff der Partnerschaft oder Kooperation nicht enthüllen

Die politische Realität ließ sich mit dem „Partnerschaftsbegriff" nicht erschließen, denn erst auf der Grundlage der Machtprobleme im Anblick der Konfliktsituationen, wie sie sich in der Außen-und Innenpolitik ergeben, konnte sich jene Verantwortungsethik in den Kampf-situationen herausschälen, welche die staatliche Herrschaftsform gestaltete. Es war sinnlos, die kontroversen Konkurrenzprobleme als nicht existent zu bezeichnen oder ihre Friktionen zu leugnen Die Macht-, Kampf-und Konflikttheoretiker lehnten daher nicht nur das konservative, sondern auch das liberale Harmoniemodell ab. Wer den Kampfsituationen in der Politik auswich, verfälschte die politische Realität. Der Blick des Heranwachsenden mußte in der politischen Bildung auf die Machtfragen und Konflikte in der Gesellschaft gelenkt werden. Darum empfahl Giesecke die Analyse aktueller Konflikte, damit das politisch-soziale Geschehen „immer unter dem Aspekt der Auseinandersetzung zwischen Menschen" steht. Er bezeichnete „aktuelle politischen Kontroversen als den eigentlichen Gegenstand des politischen Engagements und Erkennens" und berief sich ausdrücklich auf Dahrendorf, der die Konflikttheorie in der Soziologie in den Vordergrund stellte Nicht weniger beherzigte er die Kritik von Theodor Litt, der das Politische als Kampf und Auseinandersetzung begriff und sich leidenschaftlich gegen die Entschärfung politischer Kontroversen wandte. Zu dem häufigen Wechsel der kontradiktorischen Auffassungen in der Theorie politischer Bildung bemerkte Litt: „Sieht es doch so aus, als ob in ihrem Fortgang immer wieder die eine Einseitigkeit durch die ihr entgegengesetzte kompensiert werden müßte." Schon Litt schilderte, wie die Meinungen von einem Extrem — vom Zusammenprall unver-sönlicher Gegensätze — zum anderen — zur Sänftigung des politischen Kräftespiels — hin und her schwankten. Und Litt meinte, daß wir als Staatsvolk verloren seien, wenn es nicht gelänge, ein unmittelbares Verhältnis um Staat zu gewinnen

Der Kampf gehörte zur Politik, denn politische Entscheidungen fielen erst im Ringen der Persönlichkeiten und repräsentativen Gruppen miteinander. Ordnungsvorstellungen verwirklichte man nie ohne Kampf. Und Litt faßte seine Kernvorstellung in die Worte: „Was dem in diesem Kampf Obsiegenden zufällt, das ist die . Macht', daß heißt das Vermögen und die Befugnis, der ihm vorschwebenden Ordnungsidee zur Verwirklichung zu verhelfen. Alle Versuche, den Kampf aus dem politischen Leben zu verbannen, verraten ihr Un-genügen in der Unfähigkeit, der Macht im Gefüge des Menschlichen den rechten Platz anzuweisen." Ziele, um die man in Konflikten ringt, sind gesellschaftliche Macht und politi-sehe Herrschaft als Mittel zur Durchsetzung bestimmter Vorstellungen. Kampf und Konflikt gehören zum Lebensprinzip der Demokratie, denn der Wettstreit um bessere Lösungen soll nie versiegen Die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ist ein sicheres Kennzeichen des freien Staates, wobei der Andersdenkende wegen seiner Überzeugung nicht als Abweichler und Verräter an der Sache des Volkes denunziert werden darf. Es kann nicht politische Aufgabe sein, unter allen Umständen den Status quo zu bewahren, weil eine solche „Bewahrungsidee" sich zu leicht gegen jede Veränderung sperrt

Nicht zuletzt wendet sich heute der Protest der jungen Generation gegen die „Bewahrungsidee", denn zumindest besteht „die Demokratie aus der Übereinstimmung der Bürger, nicht übereinzustimmen", wie Rudolf Engelhardt feststellt, „sondern alle Entscheidungen auf dem Wege eines stets von neuem auszutragenden Konflikts sich bilden zu lassen" Auch Hermann Giesecke plädiert für diesen Gedanken.

Der „Konflikt" wird zum Begriff der politischen Bildung erhoben. Das Politische offenbart sich im Konflikt und zugleich dient der Konflikt als wichtige didaktische Kategorie. Weil sich die Gegensätze in der „Klassengesellschaft" verminderten, erscheint eine „Institutionalisierung" der Konflikte möglich. Die Harmonietheoretiker, die im Konflikt einen „Bazillus" sehen und ihn als „pathologische" Erscheinung abwerten, unterschätzen die schöpferische Kraft und leugnen den notwendigen dynamischen Prozeß Der geregelte Austrag von Konflikten setzt einen „Minimum-* konsensus" bei den Beteiligten voraus. Trotz der Konfliktlage müssen bestimmte Einsichten und Prinzipien akzeptiert werden, denn nur auf einer gemeinsamen Basis ist vernünftige Konfliktschlichtung möglich. Unter dieser Voraussetzung wird man die stimulierende Wirkung von Konflikten nicht in Abrede stellen, denn sie fördern den allgemeinen Fortschritt und haben progressive Wirkung für die demokratische Ordnung und Erziehung

Der wunde Punkt dieses neuen Denkansatzes enthüllt sich in der Forderung, den „Konflikt" als Grundbegriff des Politischen anzuerkennen. Gewiß ist das Verständnis für soziale Konflikte in der politischen Bildung sehr vernachlässigt worden, so daß sich ein eklatanter Nachholbedarf für viele ergibt. Parteien und Verbände ringen in der Gesellschaft um politische und soziale Macht und jeder einzelne spielt seine Rolle in diesen Konflikten. Es wird nicht bestritten, daß der Politikunterricht den Heranwachsenden auf sein Rollenspiel in Konflikten sachgemäß vorzubereiten hat Weder das konservative noch das liberale Harmonie-modell haben diese Aufgabe zufriedenstellend erfüllt. Keine Staatspädagoik, Unterwerfungspädagogik oder Partnerschaftspädagogik wurde diesen spezifischen Anliegen gerecht. Es ist daher verständlich, daß man heute eine Konfliktpädagogik entwickelt, welche die ide-eilen und materiellen Interessen der einzelnen und Gruppen im Pluralismus dominant werden läßt. Einzelne und Gruppen kämpfen für eine Verbesserung des sozialen Status; man fordert mehr Mitbeteiligung und Mitbestimmung im sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Einzelne und Gruppen kämpfen nicht zuletzt um ihre politischen Ordnungsvorstellungen, die anthropologische und ethische Wertentscheidungen implizieren. Die in der Bundesrepublik miteinander ringenden Ordnungsbilder lassen sich typologisch fixieren und als christlich-konservativ, freiheitlich-sozialistisch, liberal, national-völkisch und total-demokratisch bezeichnen, wenn man von untergeordneten Varianten absieht

Die Konflikte um die Durchsetzung der richtigen Ordnungskonzeptionen und um den sozialen Ausgleich beherrschen das Bild in der politischen Realität. Politische Bildung hat daher die Aufgabe, das Erkennen und Urteilen sowie die Handlungsbereitschaft und das Handeln zu fördern. • Karl Christoph Lingelbach bemühte sich darum, diese beiden Bereiche präzise zu beschreiben Wie Giesecke wählte er den aktuellen Konflikt als Ausgangspunkt und benutzte ihn, um Kategorien aufzustellen, die er in kategoriale Leitfragen verwandelte Auch er will am „Konflikt" als Grundbegriff der politischen Bildung festhalten.

Wir wollen zunächst seinen bemerkenswerten Ansichten folgen, um danach eine Kritik an der Konfliktpädagogik zu üben, denn auch sie schwebt in Gefahr, zu einer Konfliktideologie zu entarten. Nach Lingelbach gehört zur politischen Urteilsbildung die Einsicht, daß politische Entscheidungen nie „objektiv" fallen, weil ideelle und materielle Gruppeninteressen mitspielen. Die Vorstellung vom „Gemeinwohl" bleibt vom Gruppeninteresse nicht unberührt. Auch der Heranwachsende schließt sich bewußt oder unbewußt einer Gruppen

Ideologie an. Während die Diktatur nur den Zwang zur Einheitsideologie kennt, gibt es in der pluralistischen Demokratie Gedankenfreiheit, weil der einzelne nicht genötigt wird, sich zu einer Einheitsideologie zu bekennen. Man erwartet von ihm, daß er sich mit den konkurrierenden Ordnungskonzeptionen auseinandersetzt und Klarheit über die „Qualität" der Ordnungsbilder gewinnt. Dazu ist jedoch kritisches Denken die unabdingbare Voraussetzung

Hat der Politikunterricht in der Bundesrepublik diese Fähigkeit zur rationalen Analyse und zur objektiven Bewertung der „Qualität" von Ordnungsbildern in ausreichendem Maße gefördert? Der gegenwärtige Zustand in unserer politischen Bildungssituation läßt eine positive Beantwortung der Frage kaum zu, weil die Neigung für politische Ideologien eher zunimmt als abnimmt.

Auch Lingelbach betont, daß Analyse und Bewertung die Grundbedingungen für politisches Handeln sind. Anthropologische und ethische Implikationen sowie die Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit sind bei der politischen Urteilsbildung in Rechnung zu ziehen, wenn man Werturteil und Handeln verknüpfen möchte.

Problem für die politische Didaktik ist die Auswahl des Bildungsinhaltes, denn dieser muß so elementarisiert werden, daß ihn der Heranwachsende auf den verschiedenen Entwicklungsstufen versteht. Die Frage lautet deshalb: Mit welchen Lehrinhalten und Lehrformen entwickelt man politische Urteilsfähigkeit? Hier wird politische Bildung vom Aspekt der „Reflexion" betrachtet. Jedoch ist auch eine Lösung der Aufgabe vom Aspekt des „Handelns" her möglich, wenn man die Schule als „Erziehungsgemeinschaft" auffaßt. Die Frage müßte dann entsprechend lauten: Wie kann ich durch Regulierung zwischenmenschlicher Beziehungen in der Schulgemeinschaft Einsicht in politische Verhältnisse wecken? Besonders die Reformpädagogik mit ihrem Sinn für die Lebens-praxis versuchte, das Verhalten der Heranwachsenden vom Aspekt des Handelns und des Mittuns zu beeinflussen

Die in der gegenwärtigen Diskussion angebotenen Lösungen faßte Lingelbach in fünf Denkmodellen zusammen, die wir kurz skizzieren wollen:

Erstens verwies er auf Oetingers Partnerschaftslehre. So wichtig der Gedanke der Kooperation für das Politische ist, Macht und Konflikt, Streit und Zerwürfnis sind in die Reflexion mit einzubeziehen Die Einseitigkeit dieses Modelles ist offensichtlich.

Zweitens sah man als Zentralproblem didaktischer Theorie die politische Urteilsbildung, die zum Engagement ermutigt. Im Anschluß an Otto Woodtli charakterisierte Lingelbach drei Teilbereiche des Politikunterrichtes: die Analyse politischer Zusammenhänge, die das „Ganze von Staat und Gesellschaft" betreffen; das „Hineinversetzen" in die Verantwortungsund Entscheidungssituation; das Durchdenken der Auswirkungen einer Entscheidung. „Es führt zur Erkenntnis des persönlichen Betroffenseins, der bewußten oder unbewußten Teilhabe an jeder größeren Auseinandersetzung." Im Prozeß politischer Bildung zeichnet sich der „fruchtbare Moment" ab, wenn aus der Spannung zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen und Werten politische Aktivität entsteht.

Drittens wird dieses didaktische Modell in einer wesentlichen Dimension durch „Gewissensbildung" ergänzt. Der Heranwachsende wird an die ethische Problematik konkreter Entscheidung herangeführt. Heinrich Schneider rückte die politische Verantwortungsethik in das Zentrum seiner Betrachtung. Verantwortungsethik schließt das Eigeninteresse nicht aus, aber sie entwickelt „die innere Kraft zur Bescheidung im Hinblick auf das Ganze". Schneider hebt das „Ineinander von Engagement" und „Askese" als Grundverhalt der Verantwortung hervor Im zweiten und dritten Modell werden stichhaltige Gesichtspunkte vorgetragen.

Viertens konzentrieren einige Theoretiker den politischen Bildungsinhalt in einen Katalog von „Grundeinsichten". Fischer, Herrmann und Mahrenholz formulieren neun Grundeinsichten für den Politikunterricht Lingelbach empfindet ein solches Verfahren als „unpolitisch", weil an die Stelle einer Beschäftigung mit den konkreten Gruppenideologien in der Gesellschaft die Alternativentscheidung „Demokratie oder Diktatur" in den Vordergrund tritt

Damit gerät man jedoch in ein politisches Modelldenken, ohne die eigenen Voraussetzungen zu klären. Die realen Konflikte verlieren ihren Ernstcharakter, man fördert Gesinnungsbildung Die Schwäche dieses Denkansatzes beruht darin, daß die Grundeinsichten zwei unterschiedliche didaktische Funktionen erfüllen. Der Heranwachsende soll den strukturellen Aspekt des Politischen erkennen und eine moralische Entscheidung treffen. Erst die Verknüpfung dieser Forderungen führt zur „Einsicht". Lingelbach kritisiert die enge Verbindung von Erkenntnis und Wertung, weil dadurch die beiden geistigen Akte ihre spezifische Wirksamkeit verlieren, denn Erkenntnis verlangt Distanz zum Objekt. Eine voreilige Wertung lehnt er ab, denn dem Werturteil hat die genaue Ermittlung des Sachverhaltes voranzugegehen. Verantwortungsbewußte Entscheidung verlangt eine Trennung beider Akte. Erst nach objektiver Prüfung des Sachverhaltes kann ein Werturteil gefällt werden. Die unreflektierte Verbindung von Erkenntnis und Wertung verhindert „jede angemessene Erschließung objektiver Sachverhalte". Lingelbach wehrt sich gegen eine Bestandsaufnahme von prinzipiellen Überzeugungen, die nach Fischer/Herrmann/Mahrenholz Grundlage eines „Consensus" bilden. Hier bleibt nur die Alternativlösung „Demokratie oder Diktatur" übrig; die Analyse von Konflikten gerät aus dem Gesichtsfeld.

Wir versagen uns an dieser Stelle ein kritisches Wort zur Beurteilung von „Grundeinsichten", wie sie von Lingelbach vorgetragen wird, um fünftens den Konflikt als Mittelpunkt didaktischer Theorie zu erörtern. Nach Giesecke erschließen aktuelle Konflikte die Kategorien des Politischen, die man in „sinnvolle Leitfragen" umwandelt und zu einem operativen Denkmodell zusammenfaßt Giesecke, der den Begriff „politischer Konflikt" auf alle Kontroversen impliziert, die sich in den verschiedenen Seinsbereichen ereignen, wird von Lingelbach kritisiert, der eine so weite Auslegung des Begriffes für bedenklich hält. Aktualität, Interesse, Mehrdimensionalität sind zweifellos notwendige, aber nicht ausreichende Kriterien für die Auswahl des Bildungsgehaltes. Auch bei Giesecke fehlt die Trennung von Erkenntnis und Wertung Überblicken wir die fünf Modelle, die Lingelbach erörtert, so wird einmal die „Partnerschaft", die politische Urteilsbildung, die „Gewissensbildung" und zum anderen die „Grundeinsichten" und der „Konflikt" als Mittelpunkt didaktischer Theorie vertreten. Die Variante, die Lingelbach als Verfechter des Konfliktes als Grundbegriff politischer Bildung anbringt, bezieht sich auf die Trennung von Erkenntnis und Wertung. Auf dieser Grundlage skizziert er einen eigenen Denkansatz, der sich von Giesecke unterscheidet.

Das Auswahlkriterium für den Bildungsinhalt sieht Lingelbach in der verantwortlichen Lebensbewältigung. Weil sich aber Leben in den Konflikten darstellt, muß man jene Konflikte auswählen, die in das Leben des Jugendlichen einbezogen sind und die er als Verantwortlicher mitgestalten möchte. Damit sind aktuelle politische und soziale Konflikte angesprochen. Durch eine sachgemäße Analyse werden aus ihrer „objektiven Struktur" Kategorien abgeleitet, die der Politikunterricht in Leitfragen verwandelt. Die Übereinstimmung mit Giesecke ist hier unverkennbar Die Leitfragen beziehen sich auf die politische Struktur und schaffen eine Basis für ein begründetes Urteil. Dabei geht es im ersten Schritt um die rationale Durchdringung des Sachverhaltes, wobei jedes Werturteil zu vermeiden ist. Diese Reflexion führt zu der Einsicht, daß sich politische Entscheidungen nicht gesetzmäßig vorausberechnen lassen. Sie greifen in das Leben der Menschen ein und müssen verantwortet werden. Das Verantwortungsbewußtsein bildet die Grundlage politischer Urteilsbildung. Lingelbach sagt dazu: „Damit aber stoßen wir auf das für die Didaktik der politischen Bildung entscheidende Problem, nämlich die zunächst für die Analyse notwendige distanzierende Erkenntnishaltung in die Ebene einer reflektierten, dabei aber stets auch engagierten persönlichen Stellungnahme sinnvoll zu transponieren."

Der aktuelle Konflikt und sein öffentliches Interesse bewirken das Verständnis, daß alle davon berührt werden. Die Verbindung von politischem Geschehen und persönlichem Schicksal ruft Engagement hervor, das zur Parteinahme im Konflikt führt. Wenn man im Bewußtsein persönlicher Teilhabe die im politischen Geschehen entstehenden Intentionen mit den entsprechenden Dimensionen des politischen Konfliktes in Berührung bringt, entstehen Kategorien, die Lingelbach durch folgende Fragen ermittelt: 1. Welchen Vorteil habe ich von der einen oder anderen Lösung des Konfliktes? (Interesse) 2. Wie sollte eigentlich die Streitfrage geregelt werden? (Ideologie) 3. Welche Auswirkung hat die eine oder andere Lösung für das Schicksal der betroffenen Menschen? (Verantwortungsethik aus „objektiver" Sicht)

Inwieweit kommt es bei dieser Sache auf mich selbst an? (Verantwortungsethik aus „subjektiver" Sicht) 4. Auf welchen Wertmaßstäben beruhen die Forderungen der Opponenten? (normative Wertvoraussetzung aus „objektiver" Sicht)

Auf welchen Wertmaßstäben beruht meine eigene Entscheidung? (normative Wertvoraussetzung aus „subjektiver" Sicht)

Didaktische Kategorien gewinnt man aus sachgemäßer Analyse aktueller Konflikte. Durch die verantwortliche Teilnahme am politischen Geschehen entstehen aus der Reflexion darüber neue Fragen, die zur persönlichen Entscheidung und zur wertenden Stellungnahme hindrängen. Indem der aktuelle Konflikt von neuem befragt wird, erschließt Lingelbach neue Dimensionen des Politischen: 1. Wie kann ich in der Streitfrage meine Auffassung zur Geltung bringen? (Mitbestimmung) 2. Welcher Gruppe muß ich mich anschließen, wenn ich meine Vorstellungen verwirklichen möchte? (Solidarität)

Mit diesen Fragen vollzieht sich der Übergang von der „Reflexion" zur „Aktion", denn nach der Erkenntnis und Wertung soll verantwortliches Handeln einsetzen. Der Politikunterricht kann in diesem Sinne stimulierend wirken, indem er die Auseinandersetzung mit Anders-denkenden einübt, Fragen des Taktes behandelt, auf die Gewandheit und überzeugende Darstellung eines Sachverhaltes achtet und Beherrschung der nötigen Spielregeln lehrt.

Die Erziehung zu Grundeinsichten und zur Anerkennung allgemeinverbindlicher Prinzipien traf auf seine Kritik, weil der Blick für sich ereignende Konflikte nicht getrübt werden sollte. Andererseits wollte Lingelbach auf demokratische Bewußtseinsbildung nicht gänzlich verzichten, denn seine Überlegungen basierten auf den ethischen Prinzipien des Grundgesetzes, die er aber nicht zum Gegenstand politischer Bildung machen wollte. Demokratische Bewußtseinsbildung ließ sich pädagogisch verantworten, wenn sie als Teilaspekt bei der Konfrontation mit politischen Konflikten -auf trat, weil ja dann der Heranwachsende seine Stellung bezog und man hoffen durfte, daß er sich für demokratische Prinzipien einsetzte, als Grundlage da er diese seiner eigenen Existenz erkannte. Aus der Befähigung zur Analyse und Beurteilung konkreter politischer Probleme leitete Lingelbach die Möglichkeit ab, daß sich der Heranwachsende seiner eigenen Prämissen bewußt wurde und seine Position an den gesellschaftlichen Folgen überprüfte. Mit dieser Konzeption verband Lingelbach einige methodische Folgerungen, die er aus seiner didaktischen Analyse zog. Er formulierte vier methodische Thesen: 1. Der Politikunterricht sollte von der Analyse eines aktuellen Konfliktes ausgehen oder seine Wissensvoraussetzungen erarbeiten. Der politische Konflikt steht im Mittelpunkt im Unterschied zur traditionellen politischen Pädagogik. 2. Er verlangt eine distanzierende Erkenntnis-haltung zum Gegenstand, damit sachgemäße Analyse möglich wird. Erst danach erfolgt eine engagierte Stellungnahme: die Wertentscheidung, welche eine Aktionshaltung auslöst, die die Bedingungen und Möglichkeiten für persönliche Einflußnahme prüft. 3. Der Heranwachsende soll in die Verantwortungssituation des Politikers hineinversetzt werden. Lingelbach denkt an das von Heinrich Roth entwickelte Prinzip der Vergegenwärtigung. 4. Er fordert als Unterrichtsstil die von Dahrendorf beschriebene „rationale Haltung" gegenüber sozialen und politischen Konflikten

Wir referierten Lingelbachs Denkansatz so ausführlich, weil er sich aus einer kritischen Analyse und Besinnung anderer Denkansätze aufbaut und manche Details einbezieht, die höchst bemerkenswert sind. Der Konflikt als Grundbegriff politischer Bildung wird jedoch nicht in Frage gestellt. Auch er gehört in die Reihe der Konflikttheoretiker, die mit Recht gegen die alte Behauptung ankämpfen: Schüler und Jugendliche seien für eine Beurteilung politischer Kontroversen nicht reif genug; diese Behauptung rechtfertigt in keiner Weise das Verschweigen sozialer und politischer Konflikte Wie die alte Gemeinschaftsideologie sich der politischen Verantwortung entzog, so gerät aber die Konflikttheorie, die ohne Zweifel eine wichtige Teilaufgabe im politischen Erziehungsprozeß erfüllt, weil das Verstehen von Konflikten und ihre Schlichtung unerläßlich ist, in die Gefahr, ihre Grenzen zu überschreiten und jenen legitimen Teilgesichtspunkt zu verabsolutieren. Die Dialektik des Politischen wird nun auf den Konflikt reduziert. Er ist das A und O politischer Bildung, das man früher in der Partnerschaft und in der Kooperation erblickte. Die Frage nach der menschenwürdigen politischen Ordnung und ihren Grundbedingungen wird nicht gestellt. Die friedensstiftende und ordnende Funktion politischer Bildung, die solidarischen und kooperativen Vorgänge werden entweder aus der Betrachtung ausgeschlossen oder nur vom Konflikt her betrachtet

Befremdend wirkt die Kritik an jenen Theoretikern, die sich für fundamentale Einsichten einsetzen. Gewiß kann eine Fixierung auf ein bestimmtes „Wertapriori" zum Mangel an kognitiver Distanz führen und damit ideologische Tendenzen fördern, wer jedoch die methodischen Thesen von Lingelbach beachtet — Trennung von Erkenntnis und Wertung — und seine politische Verantwortungsethik ernst nimmt, kann den Gedanken einfach nicht verwerfen, daß es Grundeinsichten und vernünftige Ordnungsnormen gibt, die freilich einer ständigen kritischen Reflexion bedürfen. Die Abwertung der Begriffe Konsensus, Grundeinsicht, Gemeinwohl, Kooperation, Solidarität, Ordnungsnorm stimmt bedenklich, weil damit Aspekte politischer Bildung verschüttet werden, die als ebenso wichtig wie die Bewältigung von Konfliktsituationen anzusehen sind. Wir stellen mit diesen Bemerkungen das Konfliktmodell nicht in Frage und halten es auch nicht für ein „großangelegtes Täuschungsmanöver", das überhaupt nicht funktioniert sondern wir fragen nach den „Grenzen" dieser Konzeption.

III. Zur Kritik der Konflikttheorie in der politischen Bildung

Es ist meine These, daß man der Dialektik des Politischen nicht mit dem Tatbestand des Konfliktes allein gerecht wird. Der von den Theoretikern des Konfliktes gemachte Vorschlag, „in Zukunft nur noch in diesem engen, dafür aber jeweils verifizierbaren Sinne vom Politischen zu sprechen" führt zu einer analogen Einseitigkeit, die man bisher den Gemeinschaftsideologen vorwarf. Wir zweifeln nicht an der berechtigten Kritik dieser Ideologie, die durch metaphysische Überhöhung und romantische Schwärmerei ausgelöst wurde Die Vorstellung, daß politisches Leben ohne Kampf und Konflikt verlaufe, hat etwas Utopisches an sich, denn ein konfliktloses Dasein ist nirgendwo anzutreffen Aber wir widersprechen der weit verbreiteten Ansicht, daß politische Probleme allein mit der Konflikttheorie lösbar seien; Konflikte, wo immer sie auftreten, verlangen nach Regeln des Ausgleichs und der Schlichtung, wenn sie nicht dysfunktional wirken sollen. Schlichtung der Konflikte erfordert Diskussion, die auf einer gemeinsam verständlichen Grundlage zu führen ist, denn ohne ein Mindestmaß an wertmäßiger Übereinstimmung kann keine Regelung von Konflikten geschehen

Konflikte sind Symptome dafür, daß sich das innen-oder außenpolitische Gleichgewicht verschob. Sie signalisieren Diskrepanzen und Antagonismen, die man wieder beseitigen muß, wenn nicht gefährliche Zuspitzungen und Zerreißproben entstehen sollen, denn Konflikte können Ordnungen zerstören und Chaos und Anarchie hervorrufen. Damit deuten wir die Möglichkeit einer Übersteigerung des Konfliktdenkens an. Das Konfliktdenken ruft auch Perversionen hervor, die den Bestand einer funktionsfähigen Ordnung ernstlich in Frage stellen. Der Blick fällt auf das Ordnungsproblem, dem in der politischen Bildung der gleiche Rang wie dem Konfliktproblem zukommt. Im Zusammenleben der Menschen spielen Ordnung und Konflikt eine grundlegende Rolle: Sie sind die beiden Pole, um die das politische Denken kreist Ordnung verlangt Übereinstimmung und Betonung des Gemeinsamen, das heißt, es muß ein „Konsensus" über die konstitutiven Ordnungsprinzipien hergestellt werden. Ohne fundamentale Einsichten entsteht keine Grundlage, auf der sich Ordnungssysteme errichten lassen. Ordnung bedingt „Grundeinsichten", durch die Ordnungsprinzi-pien erkannt werden, die als Verfassungsprinzipien den „normativen" Charakter der Ordnung bestimmen.

Dieses Normative wird nicht durch eine Dezision ausgedrückt, sondern durch einen rationalen Prozeß im vernünftigen Dialog ermittelt. Die distanzierende Erkenntnishaltung zum Gegenstand, daß heißt die sachgemäße Analyse der realen Ordnungstypen ist eine conditio, wie Lingelbach in aller wünschenswerten Klarheit betonte Neben der Analyse steht die Normenkritik, die jene Ordnungsnormen auswählt, die für eine menschenwürdige Existenz-form unerläßlich sind. Erst nach der Normen-kritik erfolgt der Normenentscheid und die engagierte Stellungnahme dazu. Durch diesen Prozeß werden „Grundeinsichten" formuliert, denn zur Würde des Menschen gehört seine Freiheit, und eine Ordnung des vernünftigen Zusammenlebens bedingt Freiheit und Mit-verantwortung an allen wichtigen Entscheidungsfunktionen. Die demokratische Ordnung trägt dieser Erkenntnis mehr als andere Ordnungstypen Rechnung, weil sie zur politischen und sozialen Reife und Mündigkeit erziehen will. Verantwortlichkeit, politische und soziale Reife und der daraus entstehende Veränderungswille sind die Frucht einer politischen • Bildung, die durch vertiefte und verschärfte Kritik der realisierten Herrschaftssysteme gewonnen wird. Es geht um die Heranbildung einer ideologiekritischen Haltung, die auch die „Normen" des eigenen Herrschaftssystemes in „kognitiver Distanz" überprüft und daher im kritischen und wertenden Vergleich jene „Grundeinsichten" findet, die man nicht als ein ideologisches „Wertapriori" diskreditieren darf

Die Ideologiekritik vermag Ordnungsnormen zu enthüllen, die sich nicht in den Dienst der menschenwürdigen Ordnung stellen, sondern dem Machtmißbrauch, gruppenegoistischen oder individuellen Zwecksetzungen entgegenkommen. Politische Urteilsbildung muß in der Lage sein, sich von „ideologischen" Normen zu befreien, denn Ideologien stiften Verwirrung und bauen ein „falsches" Bewußtsein von den Realverhältnissen auf; sie sind nicht seins-

kongruent. Man benutzt sie als „politische Waffe" in der weltanschaulichen Auseinandersetzung. Nicht der vernünftige Dialog mit dem Andersdenkenden ist das Ziel, sondern die Verteufelung des Gegners, der sich nicht für das gesetzte „Wertapriori" engagieren möchte, weil dieses „kollektive Bewußtsein" einseitigen Machtinteressen und nicht dem Gemeinwohl durch eine menschenwürdige Ordnung dient. Politische und soziale Veränderungen werden revolutionär verfolgt. Ideologien sind die dafür notwendigen Instrumente.

Ebenso wichtig wie die Heranbildung eines Verständnisses für Konflikte, die man in einer pluralistischen Gesellschaft nicht unterdrücken darf, weil Kontroversen und Streitfragen bereinigt werden müssen — durch Toleranz, Kompromiß und vernünftigen Ausgleich —, ist die „ideologiekritische" Haltung die sich gegen Revolution und Reaktion als gefährliche Feinde wendet, gegen jeden Irrationalismus und totaldemokratischen Utopismus, gegen alle konfliktlosen Gemeinschaftsund klassenlosen, herrschaftsfreien Gesellschaftsideologien.

Die ideologiekritische Haltung, die im Politik-unterricht anzustreben ist, stärkt das Reformbewußtsein. Reformen sind mühsamer zu verwirklichen als die Reaktion, die den Status quo beibehält, und die Revolution, die den Konflikt auf die Spitze treibt, bis sich die alte Ordnung auflöst. Die Ideologiekritik stellt Fehlentwicklungen und Versäumnisse des „Systems" heraus. Sie durchleuchtet auch die demokratische Grundordnung und weist auf die Widersprüche von Norm und Wirklichkeit hin. Unzulänglichkeiten in der politischen Willensbildung, im Parteiensystem, im Verhältnis der politischen Führung zum einzelnen Bürger, gleiche Start-chancen im Bildungssystem sind nur einige Hinweise für Reformmaßnahmen, die im Interesse einer „menschenwürdigen Ordnung" zü-ig durchzuführen sind. Die Ideologiekritik eigt, daß totale Demokratisierung ein hohles >chlagwort darstellt, weil menschenwürdige Ordnung nicht der Autorität entbehren kann ind weil Freiheit ohne Autorität in die Anarhie führt. Ohne eine verantwortliche, freilich luf Zeit begrenzte Führung liefert man den lürger den Macht-und Interessengruppen us, die sich bedenkenlos über das „Gemein-vohl" hinwegsetzen. Zur Aufhellung solcher Verhältnisse ist politische Bildung nötig, weihe die ideologiekritische Dimension in alle schichten unseres Volkes hineinträgt. ie enthüllende Wirkung der Ideologiekritik chafft eine politische und soziale Solidarität, im die gewonnene Erkenntnis für das Ord-lungswissen nutzbar zu machen und Ordungsverhältnisse anzustreben, die Menschen-vürde, Freiheit und Gemeinwohl realisieren.

ie Entfaltung der geistigen und moralischen Iräfte wirkt der Manipulation des Menschen n der modernen Industriegesellschaft entge-en, weil die nötige Selbstkritik entwickelt vird. Diese bewahrt vor jeder Dogmatisierung nd vor einer Verengung des Denkens. Das eordnete Zusammenleben erfordert gemeiname „Grundeinsichten". Ohne diese Basis önnen unvermeidbare Konflikte nicht gechlichtet und ausgeglichen werden

Konflikte entstehen, da sich in der pluralistichen Gruppengesellschaft Interessen durchseten wollen und dies zu Kontroversen führt. Veil der einzelne viel zu ohnmächtig ist, chließt er sich in Interessengruppen zusamien, um seine politische und soziale Solidariät zum Ausdruck zu bringen. Parteien und Verbände kämpfen für Interessen und Werte. as ist legitim. Solche Konflikte fördern den ortschritt und besitzen eine schöpferische Dyamik, solange sie nicht jene erträgliche irenze überschreiten, durch die der Bestand iner freiheitlichen, humanen und sozialen ) rdnung gefährdet wird. Wenn sich Konflikte o auswirken, daß man das Gemeinwohl korumpiert, verlieren sie ihre „qualitative" Be-eutung, denn dann erfolgt der Umschlag in ie Destruktion.

Politische Bildung, die den Gemeinwohlbegriff nicht zur Sprache bringt, verzichtet auf die Klärung eines Grundbegriffes politischer Ethik. Sie könnte dann die friedlose und ungerechte Welt nur aus der unverbesserlichen Natur des Menschen — also durch eine negative Anthropologie — oder durch Repression und Manipulation der politischen Gesellschaften — also rein soziologisch — deuten. Die ethische Komponente ginge dabei völlig verloren. Wenn es der humanen Vernunft nicht mehr gelingt, Frustration durch allseitige Gerechtigkeit, Repression und Manipulation durch ein soziales Gewissen abzubauen, um so das Gemeinwohldenken zu fördern, bleibt ein Mißbehagen zurück, das sich zur aggressiven Erregung steigert und im Konflikt die tödliche Destruktion sucht Wir tun gut daran, zwischen „konstruktiven" und „destruktiven" Konflikten zu unterscheiden, weil durch diese Differenzierung etwas Wesentliches sichtbar wird: Es gibt konfligierende Situationen in der Gesellschaft und in der Staatengemeinschaft, die man nicht als angenehm empfinden mag, aber die man regeln und ausgleichen kann, während andere Konflikte die Schädigung und Vernichtung des Gegners zum bewußten Ziel haben. Alle Revolutionen und Kriege stellen letzten Endes „destruktive" Konflikte dar, während Parteigegensätze, Verbandskonflikte, Streiks, parlamentarische Debatten als „konstruktive" Konflikte zu bezeichnen sind, weil man diese nicht gewaltsam zu lösen trachtet Die unterschiedliche Variationsbreite und der verschiedene Intensitätsgrad der Konflikte muß Berücksichtigung finden, denn es bahnen sich heute Konfliktsituationen in den politischen Gesellschaften und in der Staatenwelt an, die jene „Grenze" des konstruktiven Konflikts schnell überschreiten, so daß jener „point of no return" erreicht wird, der die aggressive Triebenergie so anstaut, daß Eruption Zerstörung des zivilisierten Lebens bedeuten kann

Mit radikal destruktiven Konfliktsituationen wird man in Zukunft zu rechnen haben, wenn es nicht gelingt, aggressive Triebenergien durch ein weltweites Gemeinwohldenken zu sublimieren. Die ungerechte Güterverteilung in der Welt, die Konzentration des Reichtums, die wachsende Armut und die Bevölkerungsexplosion verursachen ein Weltdefizit an Gütern und an Bildung, das ideologisch gefärbten Revolutionstheorien Aufschwung gibt, weil das Fehlen einer Gemeinwohltheorie den erträg -lichen Ausgleich der Spannungen verhindert Die Überzeugung wächst, daß man ungerechte und reaktionäre Systeme durch Zwang und Gewalt verändern müsse. So propagiert man eine Konflikttheorie, die ihr Heil in der Revolution und im Umsturz sucht. Die radikale Negation des Bestehenden wird zugunsten einer herrschaftslosen Gesellschaft gefordert, die erst die wahre Freiheit des Menschen bringe. Uber Revolution und über eine Erziehungsdiktatur hinweg führt angeblich der Weg in die Freiheit. Man ersetzt die Theorie des gewaltlosen und kontrollierten Konfliktes durch eine Katastrophentheorie, die ihre fatalen Hoffnungen mit Umsturz und Anarchie begründet. Unter dem Deckmantel der akzeptierten Konflikttheorie erprobt man bürgerkriegsähnliche Aktionen. Konflikte, welche bewußt „destruktiv" orientiert sind, zerstören die menschenwürdige Ordnung und das Gemeinwohldenken. Sie haben am Ende die gleiche Wirkung wie totalitäre Systeme, die mit ihren Zwangsmitteln den Konflikt unterdrücken. In beiden Fällen geht die Freiheit und menschenwürdige Existenz verloren. Der totale Staat errichtet seine „Zwangsordnung", während die totale Demokratie in der Anarchie endet.

Die Unterdrückung der Konflikte ist ebenso unsinnig wie die Verherrlichung des Konfliktes, der mit taktischen und strategischen Mitteln forciert wird, um revolutionäre Ziele zu verwirklichen. Eine vernünftige Konflikttheorie sorgt sich um die Wiederherstellung des Gemeinwohls, sucht den „begrenzten" Konflikt, weil nur durch Kontroversen Interessen sichtbar werden. Die unverhüllte Konfliktlage ruft das Verständnis strittiger Probleme, aber auch die Bereitschaft zu ihrer Lösung hervor. Der geregelte und institutionalisierte Konflikt bietet Chancen für die Problemlösung an. Genau hier liegt der große Wert der „begrenzten" Konflikttheorie, die für eine politische Bildung äußerst fruchtbar ist. Der berechtigte Einwand gegen diese Konflikttheorie lautet gewöhnlich: Wer verbürgt sich dafür, daß der „begrenzte" Konflikt auch progressiv und evolutionär wirkt? Solche Konflikte könnten ja dem Status und guo dienen damit jeden Fortschritt verhindern. Dann allerdings stünde der Konflikt im Dienste der Reaktion, er wäre nichts anderes als ein großes Scheinmanöver

Der Vorwurf lautet: Die begrenzte Konflikt-theorie erweist sich als Stütze der restaurati-ven Ideologie. Auch diese Möglichkeit sollte die politische Bildung kritisch betrachten, denn Konflikte können durch geschickte Manipulationen massiven oder auch sublimen Interessen dienen. Die schonungslose Enthüllung solcher Vorgänge, die durchaus möglich und realisierbar sind, kann allein durch die Ideologiekritik erfolgen, die solche Perversionen des Konfliktmodelles verhindert. Die Konflikttheorie wird zur Konfliktideologie, wenn sie sich für die Reaktion und die Revolution engagiert. Die Konflikte werden im ersten Fall manipuliert und damit verharmlost und im zweiten Fall so intensiviert, daß sie dysfunktional und destruktiv wirken. Zwischen Reaktion und Revolution vollzieht sich jedoch der mühevolle Weg der Reform, die den „begrenzten" Konflikt so nötig braucht wie die Wiederherstellung des Gemeinwohls, die beide für die menschenwürdige Ordnung unentbehrlich sind.

Gegensätzliche Ideen und Interessen sollen in einem geregelten Kampf zum Austrag kommen, ohne daß diese Auseinandersetzung zur Vernichtung des Andersdenkenden führt. Zivilcourage und Fairness sind Tugenden, die in einer pluralistischen Gesellschaft zur Humanisierung der Konfikte beitragen und den rationalen Dialog in Gang setzen. In aller Offenheit und mit der Bereitschaft, strittige Fragen zu lösen, ist der Dialog zu führen. Eine Konflikttheorie, die diesen Aspekt beachtet, erfüllt eine wichtige Teilaufgabe politischer Bil-B düng Jede Gesellschaft muß sich für künftige Entwicklungen und Gesellschaftsaufgaben offenhalten. Systemverbesserungen gelingen durch alternatives und kontroverses Denken. Ein Minimum an Übereinstimmung in Grund-einsichten bleibt jedoch unverzichtbar.

Eine setzt erfolgreiche Konfliktschlichtung eine Einigung über Prinzipien freiheitlicher demokratischer Grundordnung voraus. Ohne ein einheitsstiftendes Band als Fundament lassen sich keine wirklichen Lösungen der Probleme vorstellen. Hier kommt das Ordnungswissen ins Spiel, das eine geistige Substanz beinhaltet, die mit religiösen oder politischen Dogmen nichts zu tun hat, sondern sich aus der Struktur des Menschen selbst ableitet Wo diese geistige Substanz fehlt, wird das Vertrauen der Personen zueinander im Dialog sich kaum herstellen, weil man keine Sprache findet, die eine verständliche begriffliche Grundlage schafft. So geschieht es häufig, daß man aneinander vorbeiredet und die Probleme vor sich her schiebt. Die Einigung auf vernünftige und humane Prinzipien wäre der erste erfolgreiche Schritt, schwerwiegende Konflikte in Ost und West und in der Dritten Welt zu lösen.

Es ist problematisch, im „Konflikt" den Grundbegriff der Theorie politischer Bildung zu erblicken, denn wir geraten leicht in eine „Konfliktideologie" hinein, wenn man die Augen vor der Ordnungsaufgabe verschließt. Ein „theoretischer Monismus" kann immer nur einen Teilaspekt beachten. Die Verabsolutierung eines Gesichtspunktes hat stets die Gefahr der Ideologisierung hervorgerufen. Aber auch andere Perversionserscheinungen der Konflikttheorie sind möglich, wenn sie sich entweder in den Dienst restaurativer Tendenzen oder revolutionärer Zielsetzungen stellt. Eine Konflikttheorie, die sich als „Scheinmanöver" erweist oder ihren berechtigten Aspekt verabsolutiert oder bis zur Destruktion steigert, trifft nicht das Anliegen, das man von ihr erwartet: einen konstruktiven Beitrag zur Erklärung von politischen Phänomenen zu leisten. Wir erinnern an Theodor Litts zitiertes Wort, daß die Theorie von einer Einseitigkeit in die andere verfällt, um das eine mit dem anderen zu kompensieren. Die Theorie der politischen Bildung nach 1945 ging diesen Weg von der Partnerschaftstheorie zur heute dominierenden Konflikttheorie, wobei sich nur zu sehr bewahrheitet, worauf Hans Albert erst jüngst wieder aufmerksam machte, daß „jede Theorie, wie die Geschichte der Wissenschaft zeigt, irgendwelche Schwächen" besitzt Auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Konfliktmodell, die durch Lingelbach erfolgte, brachte nicht den Durchstoß zu einem „theoretischen Pluralismus".

Der absolute Anspruch der Konflikttheorie, das politische Geschehen adäquat zu erklären, muß zurückgewiesen werden, weil zur Analyse politischer Strukturen die Ordnungstheorie neben der Konflikttheorie gute Dienste leistet. Das Dialektische des Politischen enthüllt sich in Ordnung und Konflikt, in Werten und Interessen, und dieser Dialektik wird man am besten mit einem „theoretischen Pluralismus" gerecht, denn beide Theorien erfassen einen wichtigen Teilaspekt. Die politische Bildung sollte daher den Blick ebenso auf den Zustand der Ordnung wie auf die vorhandenen Konflikte lenken. Auf dieser Grundlage wäre ein neuer Denkansatz zu erarbeiten, der hier nur andeutungsweise zu leisten ist.

Die Ordnungstheorie untersucht politische Strukturen der konkreten Herrschaftsformen und beschreibt ihre konstitutiven Ordnungsnormen, welche die Funktionsfähigkeit des integrierten Systemes aufrechterhalten. Bei dieser Analyse stellt sich ein „qualitatives" Gefälle ein, deren dominante Kennzeichnung sich aus dem Unterschied von freiheitlicher Ordnung und Zwangsordnung ergibt. Es ist eine primäre Aufgabe der Ordnungstheorie, objektive Gründe für den Unterschied von Demokratie und Diktatur zu erarbeiten Die politische Urteilsbildung der Heranwachsenden wird erheblich gefördert, wenn sie konstitutive Kriterien für freiheitliche Ordnung und Zwangsordnung angeben können. Die kritische Analyse weitet den Blick für prinzipielle Qualitätsunterschiede der konkreten Herrschaftsformen. Dabei ist Lingelbachs Mahnung, Erkenntnis und Wertung nicht zu vermischen, strikt zu beachten, denn erst nach einer distanzierenden und vergleichenden Betrachtung der konkreten Herrschaftsformen kann ein Werturteil über sie gefällt werden.

Die Ordnungstheorie analysiert die bestehenden politischen Strukturen, sie erfaßt die grundlegenden Ordnungsnormen und führt einen kritischen Vergleich durch, der die wesentlichen Qualitätsunterschiede festlegt. Die kognitive Distanz bleibt bis zur Wertentscheidung erhalten, die nach dem Gesichtspunkt von Freiheit und Menschenwürde gefällt wird. Objektiv ist diese Entscheidung nach der gewählten übernorm. Nur der totale Zwangs-und Unrechtsstaat wird diese übernorm ablehnen und sie durch andere ersetzen

Die Entscheidung für eine politische Ordnung, die qualitativ anderen Ordnungsformen überlegen ist, erfolgt mit Hilfe der Ideologiekritik, welche nicht nur die konkreten Ordnungsformen, sondern auch die in der politischen Gesellschaft vorhandenen, miteinander konkurrierenden Ordnungsvorstellungen kritisch überprüft. Der Heranwachsende muß befähigt werden, sich sein Urteil über kontroverse Ordnungsvorstellungen zu bilden und seine Wahl zu treffen. Die Chance der Ordnungstheorie besteht in der Fixierung eines „Soll-Wertes", das heißt der menschenwürdigen Ordnung, für die man sich aus Erkenntnis ihres Wertes einhellig entscheidet und für deren Realisierung man sich engagiert. Ohne ideologiekritische Haltung wird man Erkenntnis — Wertung — Engagement für die menschenwürdige Ordnung nicht vollziehen.

Die Konflikttheorie untersucht die unvermeidbaren Konflikte in der freiheitlichen Ordnung. Die totale Zwangsordnung unterdrückt jeden Konflikt durch das Frage-, Kritik-und Informationsverbot. Da sie jede kritische Regung durch ein ideologisches Bewußtsein erstickt, bleibt der Dialog, der den Andersdenkenden voraussetzt, nur einer kleinen Führungsschicht vorbehalten, falls der Diktator nicht selbstherrlich entscheidet. Die Konflikttheorie ist bereits ein Symptom dafür, daß wir es mit einer freiheitlichen Ordnung zu tun haben. Im demokratischen Pluralismus werden Macht-, Interessen-und Wertkonflikte in aller Öffentlichkeit ausgetragen, weil unterschiedliche Interessen und Meinungen aufeinanderstoßen. Der öffentlich ausgetragene Konflikt stärkt das kritische Bewußtsein, weil um Problemlösungen gerungen wird, die bei einer Unterdrückung des Konfliktes sich nur im Verborgenen abspielen und unsichtbar bleiben. Daher wirken öffentlich ausgetragene Konflikte schöpferisch und fortschrittlich, wenn man Alternativen entwickelt, die zur Systemverbesserung beitragen und den Wandel der Verhältnisse in Fluß halten. Solche Konflikte sind als „konstitutiv" zu bezeichnen, denn sie fördern die freiheitliche Gesinnung. Die schöpferische und stimulierende Kraft, die sich durch den Konflikt im Prozeß des Wandels und der permanenten Systemverbesserung äußert, kann weder durch Zwang noch durch Konformität im Sinne harmonischer Übereinstimmung bewirkt werden, weil in der Auseinandersetzung, im Streit der Meinungen, jene Energien frei werden, welche die besseren Problemlösungen hervorbringen. „Konstruktive" Konflikte wirken solange progressiv, als sich die-bestehen-den Konfliktfronten im fairen Wettbewerb um echte Problemlösungen bemühen und hierfür Kontrastprogramme anbieten, die zu alternativen Entscheidungen auffordern. Konflikte, die sich in dieser Form abspielen, sind Auseinandersetzungen, die zwischen Regierung und Opposition, zwischen den Parteien und Verbänden gewöhnlich ausgetragen werden. Solche „manifesten" Konflikte verlangen nach geregelter Konfliktschlichtung, die im rationalen Dialog der Beteiligten durch Toleranz und Konpromißbereitschaft herbeizuführen ist. Erst wenn eine Konfliktschlichtung nicht mehr gelingt, wenn der Konflikt sich zum Dauerkonflikt entwickelt und die Konfliktfronten sich verhärten, kann eine Intensitätsstufe erreicht werden, die zur Zerreißprobe führt und die Stabilität der politischen Gesellschaft ernsthaft gefährdet. Solche Situationen bedrohen nicht nur die Stabilität der Gesellschaft, sondern auch den Weltfrieden, wenn das Krisenmanagement versagt und die Konflikte nicht lokalisiert werden können. Das überschreiten der atomaren Schwelle müßte dann eine Eskalation auslösen, die zur Destruktion führt Von einer schöpferischen Wirkung der Konflikte kann man nur in einem begrenzten Sinn sprechen, wie wir angedeutet haben. Die Konflikttheorie reduziert sich auf eine Theorie des „begrenzten Konfliktes" denn nur in diesem Rahmen sind fortschrittliche und freiheitsfördernde Tendenzen zu erwarten. Konflikte, die man zwangsweise unterdrückt, die man manipuliert und die man übersteigert, weil man sich vernünftigen Gesichtspunkten verschließt, können keine konstruktiven und evolutionären Entwicklungen auslösen. Der unterdrückte Konflikt ist ein typisches Kennzeichen für den Zwangsstaat, der manipulierte Konflikt ist ein Scheinmanöver des restaurativen Regimes, und destruktive Konflikte, die den Umsturz und die Systembeseitigung bezwecken, stehen im Dienst der politischen Utopie und Eschatologie, die entweder ein schwärmerischer Traum bleiben oder zur Anarchie führen. Allein die Theorie des „begrenzten Konfliktes" oder die „konstruktive" Konflikttheorie erfüllt eine notwendige Teilaufgabe in der freiheitlichen Gesellschaftsordnung, indem sie zur Systemverbesserung aktiv beiträgt. Das Verhar-ren im Status quo würde Stagnation und Systemerhaltung bedeuten. Der Konflikt als Vorstufe konsequenter Systembeseitigung müßte jede Stabilität in Frage stellen; zwischen Stagnation und Destruktion bewegt sich die konstruktive Konflikttheorie, die für die Theorie politischer Bildung ebenso unentbehrlich wie die Ordnungstheorie ist,

Im Erkennen dieser Dialektik des Politischen liegt eine wesentliche politische Bildungsaufgabe, weil sich Ordnungsund Konfliktwissen fruchtbar zu einem Aktionswissen ergänzen, das Stabilität und Fortschritt zu gewährleisten vermag, während man Stagnation und Destruktion verhindert. Die für jeden theoretischen Monismus charakteristische Einseitigkeit wird durch einen theoretischen Pluralismus überwunden, der wichtige Teilaspekte zusammenfügt. Ordnung schöpferisches Freiheitsbewußtsein bilden die „Grundkonstanten" der politischen Bildung, die der Weltgesellschaft von morgen gerecht werden. Der Politikunterricht, der den Heranwachsenden in dieser Weise erzieht, vermittelt Wertvorstellungen, die der politischen Ordnung in Freiheit und Würde entsprechen. Die Grundkategorien Ordnung und Konflikt sind das Fundament politischer Bildung. Auf dieser Grundlage ist ein differenziertes Kategorien-system zu erarbeiten, das alle politischen Phänomene kategorial durchdringt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Zwanzig Jahre politische Bildung in der Bundesrepublik. Konzeptionen und Thematik des politischen Unterrichtes 1945 bis 1965, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, B 51/52, 1965, S. 3.

  2. Vgl. dazu Carlo Schmid, Politik und Geist, Stuttgart 1961 (dtv Nr. 261, München 1964): „Die deutsche Geschichte ist charakterisiert durch einen verhängnisvollen Absentismus der Bildungsschichten von der Politik, wobei Politik bedeutet... die Gestaltung der Inhalte und Form der Lebensordnungen der Nation" (vgl. dtv S. 43).

  3. Vgl. Wolfgang W. Mickel, a. a. O., S. 45/46.

  4. Vgl. Gutachten des Institutes für Sozialforschung (abgekürzt IfS) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt 1966, mit dem Titel „Zur Wirksamkeit politischer Bildung", S. 7 ff.

  5. Vgl. die Beiträge von Felix Messerschmid, Sebastian Herkommer, Wolfgang Hilligen in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 12. Jahrgang, 4. Heft 1967.

  6. Vgl. über die Bundestagsdebatte den Bericht in der Wochenzeitung Das Parlament vom 30. November 1968 — Antwort der Bundesregierung III, 5.

  7. Vgl. Bericht über die Bundestagsdebatte, Antwort der Bundesregierung III, 7.

  8. Vgl. Walter Jacobsen, Gedanken zur Bundestagsdebatte über politische Bildung am 15. November 1968, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 4/1969, S. 25 ff. Die früher festgestellte politische Abstinenz der Jugend scheint überwunden zu sein. Aber „das vehement zutage getretene Engagement ist ganz anders, als man es sich erhofft hatte".

  9. Stimmen, die zur rechten Zeit warnten und Reform forderten, wurden nicht gehört. Das läßt sich durch die Literatur belegen. Hier nur einige Beispiele dafür: Otto Heinrich von der Gablentz, Die versäumte Reform, Köln-Opladen 1960, S. 10 ff., S. 21/22, wo von der Verschleppung der Universitätsreform 1960 gesprochen wird. Vgl. Georg Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe, dtvTaschenbuch Nr. 349, München 1965, S. 9 ff.; Ralf Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik, Osnabrück 1965, S. 9 ff.; Carl Friedrich von Weizsäcker, Gedanken über unsere Zukunft, Göttingen 1 9672, S. 57 ff.

  10. Vgl. Andreas von Weiss, Die ideologischen Grundlagen der Neuen Linken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 15/1969, S. 15 ff.

  11. Man könnte auch von Systemkonformität — systemkonformer Veränderung — Systembeseitigung sprechen. Mentoren des Neomarxismus (vgl. Johannes Agnoli, Peter'Brückner: Die Transformation der Demokratie, Frankfurt 1968, S. 10) gebrauchen den Begriff: Involution als korrekten Gegenbegriff zur Evolution. Der Begriff soll den politischen, sozialen und ideologischen Prozeß der Rückbildung demokratischer Staaten in vor-und antidemokratische Formen bezeichnen. Arnold Buchholz, Die große Transformation, Stuttgart 1968, unternimmt den Versuch, den Begriff „Transformation" als Gegenbegriff zur Revolution herauszuarbeiten. „Transformation" bedeutet nach Buch-holz friedliche Umgestaltung der Welt durch Aufklärung, schöpferische Planung und ethische Haltung. Mit dem Begriff soll eine Alternative zur Revolution geschaffen werden.

  12. Vgl. Thomas Ellwein, Politische Verhaltens-lehre, Stuttgart 1964, S. 18/19.

  13. Vgl. Kurt Sontheimer, Politische Bildung zwischen Utopie und Verfassungswirklichkeit, in: Zeitschrift für Pädagogik, 19. Jahrgang, 2. Heft 1963, S. 175, 177.

  14. Vgl. Felix Messerschmid, Zur politischen Bildungsaufgabe der Oberstufe der höheren Schule, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 10. Jahrgang, 2. Heft 1965, S. 90 f.

  15. Vgl. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, München 1965, S. 62 ff.

  16. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 63, der sich auf Wilhelm Hennis beruft, den vernünftigen politischen Reaktionen größeres Gewicht beizumessen.

  17. Vgl. Carter Kniffler, Hanna Schlette, Politische Bildung in der Bundesrepublik. Analysen — Re-flektionen — Versuche, Berlin 1967, S. 46.

  18. Vgl. Peter von Oertzen, Freiheitliche demokratische Grundordnung und Rätesystem, in: Politische Bildung, 2. Jahrgang, l. Heft 1969, S. 14 ff., 17, 21 ff., 23 f., der zu diesem Resultat seiner sehr objektiven Untersuchung kommt.

  19. Vgl. Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, in: Fischer Bücherei Nr. 47, S. 102: „Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten? — Triebhafte Leidenschaften sind stärker als vernünftige Interessen. Daher muß die Kultur alles aufbieten, um Aggressionsgefühle in Schranken zu halten." — Keiner hat schärfer die kommunistische Anthropologie abgelehnt und als „haltlose Illusion" bezeichnet als Sigmund Freud (vgl. S. 103).

  20. Vgl. Carter Kniffler, Hanna Schiesse, a. a. O., S. 3.

  21. Vgl. Walter Jacobsen, a. a. O., S. 28 f.

  22. Vgl. dazu meine Arbeit: Ideologiekritik als didaktische Kategorie im Politikunterricht (erscheint in der „Welt der Schule" Heft 9, 1969).

  23. Vgl. IfS-Gutachten, a. a. O., S. 19.

  24. Vgl. Felix Messerschmid, War alles falsch?, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 12. Jahrgang, 4. Heft 1967, S. 214 ff., der ausdrücklich vor einer Soziologisierung politischer Bildung warnt.

  25. Weder eine faschistische „Beharrungsdiktatur" noch eine sozialistisch-kommunistische gefärbte „Erziehungsdiktatur" können als Alternative anerkannt werden, weil sie Freiheit durch Diktatur ersetzen. Auch der Hinweis, daß sich die „Diktatur des Proletariats" durch den tieferen sozialen Zweck abgrundtief von der „Diktatur der Bourgeoisie" unterscheide, bleibt ein Spiel mit Worten, weil sich in der Praxis die kurzfristige Erziehungsdiktatur in der Methodik durch nichts unterscheidet. Die Hoffnung von Herbert Marcuse, wahre Freiheit über eine Erziehungsdiktatur zu erreichen, erweist sich als Bluff.

  26. Die mit Recht als „unpolitisch kritisierte demokratische Institutionenlehre, die ja häufig den Gegenstand des Politikunterrichtes darstellt, würde bei einer Monopolisierung der politischen Bildung durch die Soziologie nur von einer nicht weniger unpolitischen Analyse der Sozialphänomene ersetzt werden. Diese Art von Politikunterricht ist in jedem Fall ebenso abzulehnen! Vgl. Felix Messerschmid, a. a. O., S. 215.

  27. Vgl. dazu Felix Messerschmid, Musik, Musik-erziehung und politische Bildung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 5. Jahrg. 1960, S. 155 f., der diesen Gedanken vor einem Jahrzehnt auf die knappe Formel brachte: „Politik ist die Tätigkeit, welche den Menschen sinnvoll ordnet."

  28. Grundlage für politische Entscheidungen aller Art kann immer nur eine „politische Rationalität" sein, wie sie Hans Buchheim in seinem Aufsatz: Außenpolitik und Planung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 1. Heft 1969, S. 4— 6, andeutete.

  29. Vgl. Rudolf Engelhardt, Urteilsbildung im politischen Unterricht, Essen 1968, S. 49 ff. Wir müssen uns davor hüten, nur von der Demokratie und der Menschenwürde zu reden!

  30. Vql. Carter Kniffler, Hanna Schlette, a. a. O., S. 4/5.

  31. Vgl. Martin Greiffenhagen, Zur Theorie demokratischer Staatsverfassung, in: Politische Bildung, 2. Jahrgang, 1. Heft 1969, S. 8/9: „Im Unterschied zum totaldemokratischen Menschenbild, das in utopischer Weise optimistisch ist, gründet sich die liberale Demokratie auf einen eher skeptischen Humanismus." Diese Skepsis sollte sich mit der Hoffnung verbinden, daß politische Erziehung die „rationale Komponente" im Menschen verstärken kann. Carter Kniffler, Hanna Schlette, a. a. O., S. 5.

  32. Foerster wirkte für eine Erziehung der Jugend im Geiste der Völkerverständigung und des Friedens. Er setzte sich für die vernünftige Regelung aller Konfliktfälle ein. Mit Recht bezeichnete ihn Franz Pöggeler als einen „der ganz wenigen Pioniere einer internationalen Ausweitung politischer Erziehung". Vgl. dazu Hans-Günther Assel: Friedrich Wilhelm Foerster als politischer Pädagoge und Gesinnungsethiker, in: Welt der Schule, 1. Heft 1969, S. 11 ff.

  33. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Methodik des politischen Unterrichtes, Frankfurt 1967, S. 64 ff. und die angeführte Literatur.

  34. Vgl. Thomas Ellwein, Was geschieht in der Volksschule?, Berlin, Bielefeld 1960, S. 144, der das unpolitische Weltbild der Erzieher kritisiert. „Politisch sind die Lehrer in vieler Hinsicht ein repräsentativer Querschnitt unseres Volkes."

  35. Vgl. Felix Messerschmid, Zum Stand der politischen Bildung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 12. Jahrgang, 4. Heft 1967, S. 218: „Die Einheitsideologie durchdringt noch immer die politischen Anschauungen sehr vieler Pädagogen und verhindert ein offenes Verhältnis zum Beispiel zu den Gewerkschaften, zur Verbändegesellschaft überhaupt."

  36. Vgl. Sebastian Herkommer, Welchen Erfolg hatte die politische Bildung bisher?, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 12. Jahrgang, 4. Heft 1967, S. 230.

  37. Ein klassisches Beispiel für den Antiparteienaffekt in der politischen Pädagogik stellt Eduard Spranger dar, der selbst kein Verhältnis zum Parteienstaat gewann und viele Lehrer in diesem Sinne beeinflußte. Vgl. Hans-Günther Assel, Sprangers Weg von der Staatspädagogik zur politischen Ethik, in: Welt der Schule, 4. Heft 1969, S. 155.

  38. Vgl. K. G. Fischer, K. Herrmann, H. Mahrenholz, Der politische Unterricht, Berlin, Zürich 1965, 2. erw. Ausl., Vorwort; Wolfgang W. Mickel, Zur Theorie der politischen Bildung, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 1. Heft 1969, S. 15/16, der eindeutig das Verdienst von Oetinger hervorhebt, das von der Kritik gern übersehen wird, denn er will eine pragmatische, zweckrationale und verantwortungsethische Haltung aufbauen.

  39. Vgl. das IfS-Gutachten, S. 13; Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1965, S. 277: „Es gibt keine Gesellschaft ohne soziale und politische Konflikte." Die deutsche Staatslehre von Hegel bis Carl Schmitt hatte diese These verneint, weil der Staat über allen gesellschaftlichen Konflikten thronte.

  40. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, Der „Konflikt" als Grundbegriff der politischen Bildung, in: Pädagogische Rundschau, 21. Jahrgang 1967, S. 51, 135 (Fußnote 12), der die Arbeiten von Kindler, Tietgens, Monsheimer und Messerschmid zitiert, die solche Warnungen enthielten.

  41. Vgl. Rudolf Engelhardt, Politisch bilden — aber wie?, Essen 1964, S. 11 ff., setzte sich für die Erkenntnis ein, daß Demokratie ein „permanenter Kampf um bessere Lösungen" sei. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, Müncnen 1965, S. 24 f., bezeichnete politisches Wissen als Konflikt-Wissen.

  42. Vgl. Hermann Giesecke, Politische Bildung — Rechenschaft und Ausblick, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, 13. Jahrgang, 5. Heft 1968, S. 279.

  43. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 359 ff., S. 372. Heute lehnt sogar eine „radikale" Minderheit die demokratischen Institutionen ab.

  44. Vgl. Felix Messerschmid, Zum Stand der politischen Bildung, a. a. O., S. 217.

  45. Vgl. Theodor Wilhelm, Partnerschaft — die Aufgabe der politischen Erziehung, Stuttgart 1956, 3. erw. Auflage.

  46. Vgl. Theodor Wilhelm, Pädagogik der Gegenwart, Stuttgart 1963, S. 244 ff., 248, 250 f.

  47. Vgl. Jürgen Habermas u. a., Student und Politik, Neuwied 1961, S. 242 ff., wo die Einwände gegen Wilhelms Theorie knapp zusammengefaßt werden. Vgl. auch Klaus Hornung, Politik und Zeitgeschichte in der Schule, Villingen 1966, S. 28 ff.

  48. Bei Klaus Hornung, a. a. O., S. 32 f., S. 35, findet man die Bemerkung, daß Wilhelm seinem geistigen Ahnherren F. W. Foerster folgte. Eine ähnliche Differenz, die sich zwischen Foerster und Max Weber ergab (vgl. Hans Günther Assel, a. a. O., S. 6 ff.) läßt sich bei der Kontroverse von Theodor Litt und anderen Dabei geht es um das feststellen.

  49. Vgl. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, a. a. O., S. 102; Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 133 ff.

  50. Vgl. Theodor Litt, Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes, in: Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 1, 1959 (5. erweis. Ausl.), S. 69. Das Bestehen des Staates ist für ihn die Voraussetzung für die Gesamtheit aller gesellschaftlichen Formen, für alles Funktionieren, für Verständigung und Zusammenarbeit. Durch die vom Staat gestiftete Ordnung friedliche Kooperation möglich. Der Staat muß jedoch den Widerstand derjenigen brechen, die sich dieser Ordnung nicht fügen. Hierzu gehört der Einsatz von physischem Zwang (vgl. a. a. O., S. 70).

  51. Vgl. Theodor Litt, a. a. O., S. 72; das Kampf-moment läßt sich nicht durch friedliche Kooperation ersetzen.

  52. Vgl. Rudolf Engelhardt, Urteilsbildung im politischen Unterricht, S. 23/24, der moniert, daß die „Alternative zur Demokratie eine entwickeltere Demokratie" sein könnte, überhaupt nicht ins Bewußtsein rückt, das heißt, daß Demokratie nicht als ständige Aufgabe gesehen wird.

  53. Kommunistische Staaten verunglimpfen den Kritiker als „Konterrevolutionär, und Systemverteidiger in der Demokratie diffamieren leicht jede Veränderung der bestehenden Ordnung als kommunistisch. Hier fehlt es offensichtlich am kritischen, alternativen und kontroversen Denken, das zu wenig im Politikunterricht geübt wird." Vgl. Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 23.

  54. Dies setzt freilich den fundamentalen Konsensus voraus, daß „institutionalisierter Kampf die beste Weise sei, gegensätzliche Interessen, Strebungen und Ideen innerhalb eines Gemeinwesens zum Austrag zu bringen". Vgl. Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 36.

  55. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 102; Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, a. a. O., S. 211 ff.

  56. Vgl. Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 33/34, der solche wesentlichen Einsichten anführt, auf die auch keine Demokratie gänzlich verzichten kann.

  57. Vgl. auch Hartmut von Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung, Stuttgart 1968, S. 71: „Der Einwand, es sei barbarisch, Kindern die notwendige Geborgenheit ihrer Existenz durch die Erfahrung von Macht und Konflikt zu zerstören, zeugt von der fast mutwilligen Blindheit vieler Pädagogen für die Macht und die Konflikte, die dauernd schon im Leben der Kinder walten."

  58. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 53, der erklärt: „Es geht in der politischen Bildung ... um die Vorbereitung des jungen Menschen auf seine Rolle im politischen Geschehen, das sich in gesellschaftlichen Konflikten abspielt."

  59. Der reale politische Machtkampf dreht sich in der Bundesrepublik um diese Ordnungskonzeptionen, die der Politikunterricht auf seine „Qualität" hin zu analysieren und auch zu bewerten hat.

  60. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 54 f.

  61. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 126 f.

  62. Dahrendorf bezeichnet es als „utopische Haltung", ein über den Interessen stehendes neutrales „Gemeinwohl" als übergeordnete Instanz zu bewerten, weil dadurch eine „Verschleierung" eintritt. Er plädiert für die „rationale haltung", alle Konflikte mit rationalen Mitteln auszutragen, weil „keiner sozialen Gruppe oder Schicht das Privileg endgültigen Wissens um Recht und Gerechtigkeit zugeschrieben wird“. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 279.

  63. Vgl. Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 23, der beklagt, daß „kritisches, alternatives, kontroverses Denken" nicht geübt wird. Unkritisches Lernen übernimmt die gegebenen Ordnungsvorstellungen als „naturnotwendig".

  64. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 125.

  65. Unserer politischen Bildungspraxis fehlt die Methode, den Heranwachsenden im Spiel die Spannungen aktueller politischer Probleme erfahrbar zu machen In der Auseinandersetzung mit Argument und Gegenargument läßt sich der Wissensstand erproben. Anregungen zu neuer Reflexion sind zu geben, wenn sich die vertretenen Standpunkte nicht als gefestigt erweisen. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 126.

  66. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 126/127

  67. Vgl Heinrich Schneider, Politische Bildung als Gewissensbildung, Würzburg 1961, S. 2/63.

  68. Vgl. Kurt Gerhard Fischer, Karl Herrmann, Hans Mahrenholz, Der politische Unterricht, Berlin/Zürich 1965, 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage, S. 32.

  69. Vgl. Fischer, Herrmann, Mahrenholz, a. a. O., S. 25 ff. Jeder Staat und jede Gesellschaft beruhen auf einigen Grundüberzeugungen; dabei ergibt sich, daß „der entscheidende Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ... in der diametralen Entgegansetzung der Grundüberzeugungen" zu sehen ist.

  70. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 67 ff.; Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 127 ff.

  71. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 102 ff., S. 114 ff.

  72. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 130: „Auch Gieseckes . Grundeinsichten'verbinden unreflektiert kategoriale . Analyse'und . Einsicht'in die Wertvoraussetzungen politischen Lebens." Vgl. dazu Hermann Giesecke, a. a. O., S. 120 ff., S. 123 ff.

  73. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S . 114 ff.; Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 131; hier werden die Leitfragen formuliert, wobei die entsprechende Kategorie in Klammern erscheint.

  74. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 131.

  75. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 131/132.

  76. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, a. a. O., S. 133/134.

  77. Vgl. Rudolf Engelhardt, Urteilsbildung im politischen Unterricht, S. 12 ff., der sich für den Wirklichkeitsbezug des Politikunterrichtes gegen eine Vorstellung idealer Politik ausspricht. Insofern dürfen Konflikte nicht als „Pannen . guter'Politik“ denunziert werden.

  78. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 109, der im Anschluß an Waldemar Besson versucht, den positiven Akzent des Begriffes Solidarität zu beschreiben und doch zu relativieren.

  79. Wir vollziehen damit nicht eine Wendung in das Gegenteil. Vgl. dazu Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 42.

  80. Vgl. Hermann Giesecke, a. a. O., S. 100.

  81. Vgl. Carter Kniffler, Hanna Schlette, a. a. O., S. 47 ff., die Gründe für die Verbreitung und das Unbehagen an der Gemeinschaftsideologie anführen. Diese Überspitzung des Begriffes sollte uns davor bewahren, jede Gemeinschaft zu verdammen (vgl. S. 51/52). Gemeinschaft und Gesellschaft sind Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens. Abzulehnen ist ein Gemeinschaftskult, der kollektive Gefühle weckt, die jede kritische Rationalität ausschalten.

  82. Es ist das Verdienst der Konflikttheorie, die Verfälschung der politischen Realität durch die Gemeinschaftsideologie nachgewiesen zu haben.

  83. Die Bewältigung von Konfliktsituationen verlangt die Zustimmung zu „einigen fundamentalen Prinzipien der gemeinsamen Ordnung, der intellektuellen, geistigen und im Gefühl ...", wie Felix Messerschmid hervorhebt. Er warnt vor einer „Konfliktideologie", die sich über solche Grundlagen hinwegsetzt (zitiert nach Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 63).

  84. Ordnungswissen und Konfliktwissen sollten in einer jeweils spezifischen Theorie zusammengefaßt werden, so daß man der „Konflikttheorie" eine „Ordnungstheorie" gegenüberstellen könnte.

  85. Die strikte Unterscheidung von Erkenntnis und Wertung, die Lingelbach fordert, wird heute allgemein vertreten. Vgl. Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968, S. 51: „Der Versuch, sich den kritischen Dialog mit der Wirklichkeit zu ersparen — der Versuch des Springen in den vollkommenen Zustand —, führt in beiden Fällen (gemeint ist eine metaphysische und utopische Konzeption) zur Unterdrückung der Kritik und zur Herrschaft eines starren, umkorrigierbaren Systems." Um einer solchen Versuchung zu entgehen, ist ein theoretischer Pluralismus im Gegensatz zum theoretischen Monismus zu befürworten (vgl. S. 51 ff.).

  86. Ein ideologisches Wertapriori wird vom Schöpfer der Ideologie willkürlich gesetzt. Grundeinsichten dagegen gewinnt man aus empirischen Erfahrungen, die man kritisch analysiert und danach ver-balisiert. Vgl. die bei Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 33/34 angeführten „wesentlichen Einsichten", die einen Konsensus bilden, ohne die Starrheit eines „Wertapriori" anzunehmen, weil es in der Politik keine absolut richtige Lösung gibt.

  87. über „Ideologiekritik als didaktische Kategorie im Politikunterricht" vgl. meine in der „Welt der Schule" erscheinende Arbeit, die sich eingehend mit der skizzierten Problemlage befaßt, die hier angedeutet wird.

  88. Lingelbach wehrte sich gegen einen „Konsen-is", der bestimmte Prinzipien als grundlegend anrkannte, weil damit die Analyse von Konflikten us dem Gesichtsfeld gerate. Er übersieht nach unsrer Auffassung, daß erfolgreiche Problemlösung ine „geistige Substanz" als Basis erfordert, weil onst das gegenseitige Verstehen niemals eintritt, as der politischen Gesellschaft den nötigen Kohäonsgrad gibt, ohne den sie auseinanderbricht.

  89. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität, in: Schriftenreihe: Zwischen Gestern und Morgen, 10. Heft, Braunschweig 1968, S. 6 ff., der zwischen Kampf und seinen progressiven Absichten und vernunftwidrigen Kriegen, die destruktiv wirken, präzise unterscheidet.

  90. Insofern hat Ralf Dahrendorf, Freiheit und Gesellschaft, S. 109, recht, wenn er sagt: „Nicht das Vorhandensein, sondern das Fehlen von Konflikt ist erstaunlich und abnormal; und wir haben guten Grund zu dem Verdacht, wenn wir eine Gesellschaft oder Sozialorganisation finden, die allem Anschein nach keine Konflikte aufweist. Natürlich müssen wir nicht annehmen, daß Konflikte immer gewaltsam und unkontrolliert sind." Konstruktive Konflikte lassen sich durch „Spielregeln“ schlichten. Sie sind mit der humanen Vernunft vereinbar.

  91. Vgl. Alexander Mitscherlich, a. a. O., S. 13.

  92. Etwa ein Viertel der Menschen verfügt über vier Fünftel der irdischen Güter, während drei Viertel der Menschen, besonders die in den Entwicklungsländern, sich mit dem restlichen Fünftel zu begnügen haben. Dieses Mißverhältnis deutet an, was ein internationaler Klassenkampf an Konfliktstoff in sich birgt.

  93. Vgl. dazu Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 40: „Auch die Institutionalisierung des Konfliktaustra-ges muß sich nicht, wie der Pluralismus unterstellt, evolutionär auswirken, sondern kann fatalerweise ebenso zur Festigung des Status quo beitragen."

  94. Vgl. Rudolf Engelhardt, a. a. O., S. 36, der den „institutionalisierten Kampf" als die beste Weise darstellt, Interessen und Ideen, die kontrovers sind, zum Austrag zu bringen.

  95. Vgl. Heinz Laufer, Die demokratische Ordnung, Stuttgart 1966, S. 104 ff. Die geistige Substanz kann nur aus „der rationalen Struktur des Menschen und aus seinen Erfahrungen über die Bemühungen um die rechte politische Ordnung eine geistige Gemeinsamkeit zu gewinnen versuchen".

  96. Vgl. Hans Albert, a. a. O., S. 49.

  97. Lingelbachs Kritik am Diktatur-Demokratie-Modell von Fischer, Herrmann, Mahrenholz wäre weniger scharf ausgefallen, wenn er diese Aufgabe der Ordnungstheorie hätte zuweisen können. Der Verdacht, daß damit die Konflikte aus dem Gesichtsfeld verschwinden, ist unberechtigt, wenn man einen theoretischen Pluralismus zugrunde legt.

  98. Eine schärfere Differenzierung des Totalstaates — subtile Unterschiede zwischen Stalinismus und Faschismus zu erörtern — ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil die Methoden übereinstimmen. Der totale Zwangsstaat verfolgt, entrechtet und unterdrückt seine Gegner. Ob man einen Total-staat als „Beharrungsdiktatur" oder als „Erziehungsdiktatur" zu klassifizieren hat, hebt die angesprochene Problematik nicht auf, denn der Mensch wird in jedem Fall der Zwangsordnung unterworfen.

  99. Vgl. zur Problematik meine Schrift: Weltpolitik und Politikwissenschaft. Zum Problem der Friedenssicherung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 77, Bonn 1968.

  100. Der nicht glücklich gewählte Begriff soll ausdrücken, daß nur eine bestimmte Art von Konflikten jenen positiven Akzent enthält, der konstruktiv und nicht destruktiv wirkt. Der Austrag von Konflikten ist im vernünftigen Sinn nur in diesem begrenzten Feld möglich.

Weitere Inhalte

Hans-Günther Assel, Dr. oec., Dr. phil., Studiendirektor, Dozent für Politische Wissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Nürnberg der Universität Erlangen-Nürnberg, geb. am 24. 6. 1918 in Breslau. Veröffentlichungen: u. a.: Weltpolitik und Politikwissenschaft. Zum Problem der Friedenssicherung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 77, Bonn 1968. In Kürze erscheint: Politische Pädagogik im Dritten Reich, München 1969. Normen in der Politik. Eine kritische Betrachtung zum Wertfreiheitsbegriff Max Webers, in: Zeitschrift für Politik, Heft 2, 1969.