Vorwort
Vor etwas mehr als zwanzig Jahren — im Januar 1949 — wurde in Moskau der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe — RGW, Comecon — gegründet. Damals war Stalin noch an der Macht. Und neben dem Hauptzweck, die vom Marshall-Plan auf die osteuropäischen Länder ausstrahlenden magnetischen Kräfte zu neutralisieren, bildete der Konflikt zwischen dem sowjetischen Diktator und dem jugoslawischen Staatschef Tito eines der Motive für die Gründung der Organisation.
Die zwanzigjährige Geschichte des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe ist im Hinblick auf die politische Wirklichkeit im sowjetischen Imperium nicht viel anderes als der Versuch, die Organisation zu einem funktionsfähigen Instrument der sowjetischen Oberherrschaft zu entwickeln, und die Geschichte der internationalen sozialistischen Zusammenarbeit ist im wesentlichen die Geschichte des Vollzuges der sowjetischen Wirtschaftspolitik in den übrigen Mitgliedsländern der Organisation.
Dem widerspricht nicht, daß sich sowohl in der Sowjetunion als auch in den übrigen Mitglieds-ländern des Comecon in diesem Zeitraum eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung vollzogen hat. Sie haben ihr wirtschaftliches Potential erheblich vergrößert und, was für die Sowjetunion und die Mehrzahl der Länder Ostmitteleuropas gilt, sich zu modernen Industriestaaten entwickelt oder befinden sich auf dem Wege dahin. Sofern es allerdings das Ziel war, einen sozialistischen Großwirtschaftsraum, ein System kommunistischer Wirtschaftsintegration zu schaffen, ist dieses Ziel — wenigstens bisher — größtenteils verfehlt worden. Dafür gab und gibt es vor allem zwei Gründe: erstens die im kommunistischen Wirtschaftssystem selbst liegenden integrationsfeindlichen, durch die Planungsbürokratie bedingten autarkischen Tendenzen, und zweitens den im gesamten sowjetischen Bündnissystem liegenden Grundwiderspruch zwischen den behaupteten Prinzipien von Gleichheit, Freiwilligkeit und nationaler Souveränität einerseits und der von der Sowjetunion in Wirklichkeit praktizierten Hegemonie, einseitigen Interessenwahrnehmung und der Anmaßung, den Begriff des „proletarischen und sozialistischen Internationalismus" verbindlich für alle zu interpretieren.
I. Ideologische Grundlagen, Prinzipien und Ziele kommunistischer Integrationspolitik
Vorwort I. Ideologische Grundlagen, Prinzipien und Ziele kommunistischer Integrationspolitik 1. 2. Vom Glauben an die Universalität der Weltrevolution zur Ideologie des Sowjet-Imperialismus „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung" — Der RGW und der Endsieg des Sozialismus II. Der Gemeinsame Markt in der Sowjet-Ideologie 1. Lenin und die „Vereinigten Staaten von Europa" 2. Der Gemeinsame Markt — keine Dauererscheinung 3. Die EWG — eine ökonomische und politische Realität III. Gesc
Vorwort I. Ideologische Grundlagen, Prinzipien und Ziele kommunistischer Integrationspolitik 1. 2. Vom Glauben an die Universalität der Weltrevolution zur Ideologie des Sowjet-Imperialismus „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung" — Der RGW und der Endsieg des Sozialismus II. Der Gemeinsame Markt in der Sowjet-Ideologie 1. Lenin und die „Vereinigten Staaten von Europa" 2. Der Gemeinsame Markt — keine Dauererscheinung 3. Die EWG — eine ökonomische und politische Realität III. Gesc
1.
Vom Glauben an die Universalität der Weltrevolution zur Ideologie des Sowjet-Imperialimus
Das Bild, das die Sowjetunion und der unter ihrer Herrschaft befindliche Teil des sozialistischen Lagers heute bieten, hat wenig Ähnlichkeit mit dem, was die Schöpfer der Ideen des marxistischen Sozialismus und die Vorkämpfer der Weltrevolution einst erträumten. Marx und Engels waren davon überzeugt, daß die sozialistische Revolution universalen Charakter haben würde. Engels schrieb im „Entwurf zum kommunistischen Manifest": „Frage 19: Wird diese Revolution in einem einzigen Lande allein vor sich gehen können?
Antwort: Nein. Die große Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht, daß jedes einzelne Volk davon ab-hängig ist, was bei einem anderen geschieht. .. . Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern, d. h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein.... Sie wird auf die übrigen Länder der Welt ebenfalls eine bedeutende Rückwirkung ausüben und ihre bisherige Entwicklungsweise gänzlich verändern und sehr beschleunigen. Sie ist eine universelle Revolution und wird daher auch ein universelles Terrain haben." In der von Marx und Engels 1845 gemeinsam verfaßten „Deutschen Ideologie" steht der Satz
„Der Kommunismus ist empirisch nur als Tat der herrschenden Völker auf . einmal'oder gleichzeitig möglich, was die universelle Entwicklung der Produktivkraft und den mit ihm zusammenhängenden Weltverkehr voraussetzt." Und auf diesen Thesen fußend bestimmte die nach Beendigung des 1. Weltkrieges in Moskau gegründete III. Internationale in Punkt
„Die neue internationale Arbeitervereinigung ist geschaffen zur Organisierung von gemeinsamen Aktionen der Proletarier der verschiedenen Länder, die das eine Ziel anstreben: Sturz des Kapitalismus, Errichtung der Diktatur des Proletariats und einer internationalen Sowjetrepublik zur vollen Beseitigung der Klassen und zur Verwirklichung des Sozialismus, dieser ersten Stufe der Kommunistischen Gesellschaft."
Mit der Leninschen Revolution vom Oktober 1917, besonders aber mit der Machtergreifung durch Stalin, geriet die tatsächliche Entwicklung in Widerspruch zum Gedankengut und zu den Lehrmeinungen der sogenannten Klassiker des Marxismus. Entgegen der Doktrin hatte Lenin die sozialistische Revolution in einem der rückständigsten Länder Europas, in Rußland, durchgeführt. Aber er hatte, genau wie Trotzki und andere führende Revolutionäre der damaligen Zeit, damit gerechnet, daß die russische Revolution wie eine Initialzündung für das übrige Europa wirken würde. Und er war des weiteren davon überzeugt, daß der Sozialismus in der Sowjetunion allein nicht fortbestehen könne. So vertrat er auf dem VII. Parteitag der KPdSU im März 1918 die Auffassung
„Gewiß, wenn man an die Dinge den welt-historischen Maßstab anlegt, so kann auch nicht der geringste Zweifel darüber besteh« daß der Endsieg unserer Revolution eine hc nungslose Sache wäre, wenn sie allein bliel wenn es in den anderen Ländern keine revo tionäre Bewegung gäbe. Wenn wir, die b schewistische Partei, allein das ganze Werk unsere Hände genommen haben, so haben v das in der Überzeugung getan, daß die F volution in allen Ländern heranreift, daß c internationale sozialistische Revolution le ten Endes — und nicht gleich zu Anbeginn ausbrechen wird, trotz aller Schwierigkeite die wir durchzumachen haben werden, tro aller Niederlagen, die uns beschieden sein we den — denn die internationale sozialistisc Revolution marschiert; denn sie reift und wi völlig ausreifen. Unsere Rettung aus all di sen Schwierigkeiten — das wiederhole i nochmals — ist die Revolution in ganz E ropa."
Im gleichen Sinne interpretierte Trotzki sei Thesen von der „permanenten Revolution" „Entweder die russische Revolution wird eil revolutionäre Bewegung in Europa auslöse oder die reaktionären Mächte Europas werd« das revolutionäre Rußland zerstören."
Und Sinowjew schrieb in der „Kommunist sehen Internationale"
Durch Stalin wurde der Kommunismus der Sowjetunion auf eine andere ideologisc Grundlage gestellt und nach und nach das en wickelt, was wir heute am treffendsten a „Sowjetkommunismus" bezeichnen. In der kl. ren Erkenntnis des Scheiterns aller revolutit nären Umsturzversuche im westlichen Euros verwarf Stalin die These von der Universal tät der Revolution und erklärte, daß d: Existenz des sozialistischen Staates unabhäi gig vom Erfolg der Revolution in anderen Läi dem sei. Damit verzichtete Stalin zwar nid auf die Weltrevolution, aber ihr Instrumen die Komintern, wurde . umfunktioniert'. Di Theorie vom . Sozialismus in einem Land« lieferte dafür die ideologische Basis. Stali verlangte auf dem XIV. Parteitag der KPdS im Dezember 1925, die Beziehungen zwische der Sowjetunion und der organisierten Arbeiterbewegung im Westen müßten von Grund auf geändert werden. Die Arbeiterklasse Europas habe die moralische Verantwortung, „unseren Staat gegen den Kapitalismus, unsere Interessen gegen den Imperialismus" zu verteidigen
Die Politik der Sowjetunion war nach 1945 darauf gerichtet, das neu entstandene Imperium zu konsolidieren und das wirtschaftliche Potential der unterworfenen Länder in größtmöglichem Umfang für den eigenen wirtschaftlichen Aufbau zu nutzen. Diesem Zweck dienten u. a. die Zurückweisung des Marshall-Plans, das an die Satelliten gerichtete Verbot, sich daran zu beteiligen, die handelspolitische Umorientierung der Volksdemokratien und Mitteldeutschlands auf den Ostblock sowie die Gründung des Comecon im Januar 1949.
Die ideologische Basis dieser Politik ließ zwei Komponenten erkennen. Die eine bildete die Lehre vom „Zerfall des einheitlichen, allumfassenden Weltmarktes" und der „Ausbildung eines parallelen demokratischen oder sozialistischen Weltmarktes als wichtigstes Ergebnis des zweiten Weltkrieges". Diese Spaltung des Weltmarktes sollte nach der sowjetischen Theorie eine Verschärfung der allgemeinen Krise des kapitalistischen. Weltsystems herbeiführen. Am klarsten wurden die Thesen in der von Stalin verfaßten Abhandlung über „Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR" aus dem Jahre 1952 dargelegt
„Die zweite Aufgabe, die das Außenhandels-monopol zu erfüllen hat, besteht in der Verteidigung der im Aufbau befindlichen sozialistischen Gesellschaft vor einer Wirtschaftsoffensive der kapitalistischen Länder .. ."
Mit der zweiten Komponente knüpfte man an die bereits 1925 eingeleitete Änderung der ideologischen Grundlagen der Komintern an (siehe Seite 5). Jetzt wurde der Gedanke, daß die UdSSR die Basis der revolutionären Bewe-gung der ganzen Welt sein müsse, bis zur le ten Konsequenz fortgeführt, die Doktrin i der „führenden Rolle der KPdSU" entwick und der Begriff des „sozialistischen Internal nalismus" erhielt seine bis heute gültige A prägung.
Die von Chruschtschow auf dem XX. Parteil der KPdSU im Mai 1956 an Stalin geübte K tik berührte nicht den ideologischen Kernl reich. Im Gegenteil: Gerade dadurch, daß m die Entartungen der stalinistischen He schaftsausübung als Folgen des „Persone kults" erklärte, also subjektiv motivierte, v zichtete man darauf, sich mit ihnen als syste immanenten Erscheinungen auseinanderzus zen. So verwandelt sich dann die Kritik an S lin unversehens in eine Entlastung des Syste: und in eine erneute Rechtfertigung der sowj kommunistischen Gesellschaftsordnung
Im übrigen scheint die Entwicklung nach de Sturz Chruschtschows mit der Teilrehabilit: rung Stalins bzw.der Abschwächung d „Chruschtschowismus"
Die von Chruschtschow entwickelte Koexistenz-Theorie ist also keineswegs der Versuch eines geistigen Nebeneinanders mit dem Westen. Die Doktrin von der Koexistenz im Sinne dieser Ideologie steht vielmehr im Zusammenhang mit der atomaren Bedrohung und dem atomaren militärischen Gleichgewicht: Die Sowjetunion mußte auf den Einsatz militärischer Mittel für ihre weltrevolutionären Ziele verzichten, weil das Risiko nicht zu kalkulieren war, und mußte nach anderen Wegen suchen. Diese fand sie in den beiden offensiven Komponenten der Koexistenztheorie, nämlich im ökonomischen Wettlauf mit dem Westen, den sie in der Überzeugung von der Überlegenheit der kommunistischen Planwirtschaft über die marktwirtschaftliche Ordnung im Westen zu gewinnen hofft, und in der These von der Verlagerung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus/Kommunismus. Diese These schließt die Behauptung ein, daß der Sozialismus/Kommunismus zur „geschichtlich bestimmenden Kraft unserer Epoche" geworden ist.
Im Zuge der Bereinigung der Sowjetideologie von einigen nicht länger haltbaren Lehrsätzen verlor auch Stalins Doktrin von der Zweiteilung des Weltmarktes ihren axiomatischen Charakter. Bereits 1963, als die Diskussion um die Wirtschaftsreform begann, schrieb der frühere ungarische Planungschef und jetzt als Wirtschaftswissenschaftler tätige Imre Vajda in einem Artikel über „Die Grundfragen der Entwicklung des sozialistischen Außenhandels": „Unhaltbar in den Stalinschen Thesen ist auch die Abstraktion der Zweiteilung des Weltmarktes. Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, daß der allumfassende Weltmarkt in zwei einander gegenüberstehende, parallele Weltmärkte auseinandergefallen wäre." 2. „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung" — der RGW und der Endsieg des Sozialismus
Mit dem Beschluß der Moskauer Konferenz der Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien der Teilnehmerländer des RGW vom Juni 1962 wurden die ideologischen Grundlagen der östlichen Wirtschaftsorganisation der geltenden Sowjetideologie angepaßt und eine Art Programm der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung formuliert. Die auf der Konferenz verabschiedeten „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung"
Das sozialistische Weltsystem ist die soziale, wirtschaftliche und politische Gemeinschaft freier, souveräner Völker, die zum Sozialismus und Kommunismus schreiten.
Die Gemeinschaft der Länder des Sozialismus verwirklicht ihre Ziele durch eine allseitige, politische, ökonomische und kulturelle Zusammenarbeit. Dabei lassen sich alle sozialistischen Länder streng von den Prinzipien der vollen Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität, der brüderlichen gegenseitigen Hilfe und des gegenseitigen Vorteils leiten. 2. Die Koordinierung der Volkswirtschaftspläne — das Hauptmittel für die erfolgreiche Entwicklung und Vertiefung der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung Die Koordinierung der Pläne — das ist die freiwillige gemeinsame planmäßige Tätigkeit der sozialistischen Staaten, die auf die maximale Ausnutzung der politischen und ökonomischen Vorteile des sozialistischen Weltsystems im Interesse der Sicherung des schnellstmöglichen Sieges des Sozialismus und Kommunismus gerichtet ist. Sie begünstigt die Durchsetzung der Politik der kommunistischen und Arbeiterparteien, die sich auf den wissenschaftlichen Prinzipien des Marxismus-Leninismus, auf der Grundlage einer tiefen Analyse der Möglichkeiten und der Bedürfnisse der Entwicklung der Wirtschaft aufbaut. 3. Die Hauptrichtung der rationellen Arbeitsteilung in den wichtigsten Produktionszweigen
Die weitere Vervollkommnung der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung auf der Grundlage der Koordinierung der Pläne setzt die beschleunigte Entwicklung solcher fortschrittlicher Formen der Arbeitsteilung, wie Spezialisierung und Kooperation der Produktion, innerhalb des sozialistischen Lagers voraus. Zwischenstaatliche Spezialisierung heißt: Konzentration der Produktion gleichartiger Erzeugnisse in einem bzw. einigen sozialistischen Ländern für die Befriedigung der Bedürfnisse der interessierten Länder. . .. 4. Die Gewährleistung eines hohen ökonomischen Nutzeiiektes der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung
Die Effektivität der gesellschaftlichen Produktion zeigt sich im sozialistischen Weltsystem in einem hohen und stetigen Tempo der Produktionssteigerung, das erlaubt, die wachsenden Bedürfnisse der Völker aller sozialistischen Länder immer vollständiger zu befriedigen und die Unterschiede in ihrem ökonomischen Niveau systematisch zu überwinden.
Eine Bedingung für einen hohen ökonomischen Nutzen der internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem ist die Herstellung rationeller Proportionen der Produktion durch Koordinierung der Pläne der Länder, dabei auch durch zweckmäßige Verteilung der Produktionskapazitäten für die Herstellung gleichartiger oder austauschbarer Erzeugnisse. 5. Die Verbindung der internationalen Spezialisierung der Produktion mit der komplexen Entwicklung der Wirtschaft der einzelnen sozialistischen Länder
Die internationale Spezialisierung sowie die Entwicklung nationaler Wirtschaftskomplexe in den einzelnen sozialistischen Ländern bedingen einander.
Der Volkswirtschaftskomplex ist zweckmäßigerweise in jedem Land so zu entwickeln, daß sich dessen ökonomisches Niveau stetig hebt. Das setzt vor allem in jedem Lande die größtmögliche Entwicklung der sozialistischen Industrie als dem führenden Zweig der Volkswirtschaft und die Sicherung des vorrangigen Wachstums der Produktion von Produktionsmitteln voraus. Die Schaffung eines optimalen olkswirtschaftskomplexes in jedem Lande erfordert: 6. Überwindung der historisch entstandenen Unterschiede im ökonomischen Entwicklungsniveau der sozialistischen Länder
Im Verlauf des Aufbaus des Sozialismus und Kommunismus werden die wesentlichen Unterschiede im Entwicklungsniveau der nationalen Produktivkräfte liquidiert, die mit den historischen Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder im Kapitalismus Zusammenhängen. Die Angleichung des ökonomischen Entwicklungsniveaus der Länder bedeutet dabei nicht die Beseitigung aller Unterschiede, die sich aus den Besonderheiten der natürlichen Ressourcen, der klimatischen Bedingungen, der nationalen Besonderheiten in der Verbrauchsstruktur und der Lebensweise der Bevölkerung ergeben. 7. Arbeitsteilung und Warenaustausch den sozialistischen Ländern Die internationale sozialistische Arbeitsteilung ist die Grundlage des Warenaustausches zwischen den sozialistischen Ländern, der auf dem Prinzip der Äquivalenz beruht."
Gleichzeitig lassen die Formulierungen der „Grundprinzipien" erkennen, daß man Versucht, eine Linie der politischen und ideologischen Entwicklung von Marx und Engels über Lenin bis zur Gegenwart zu ziehen. An die Gedanken Lenins anknüpfend, heißt es in den „Grundprinzipien":
„Die Festigung und Erweiterung der ökonomischen Beziehungen der Länder des Sozialismus wird die Entwicklung der von W. I. Lenin aufgezeigten objektiven Tendenz zur zukünftigen Schaffung einer kommunistischen Weltwirtschaft, die von den siegreichen Werktätigen nach einem einheitlichen Plan geregelt wird, begünstigen."
1964 schrieb der Sekretär des RGW, Faddejew, in seiner umfassenden Darstellung des RGW: „W. I. Lenin sah als Form für die zukünftige Zusammenarbeit der sozialistischen Völker die Form einer einheitlichen Weltgenossenschatt an, in der die Wirtschaft nach einem gemeinsamen Plan geleitet wird.
Die Bildung der . Weltgenossenschaft der Völker ist jedoch ein langwieriger, komplizierter und vielseitiger Prozeß. Sein Hauptinhalt besteht nicht nur in der freiwilligen, sich Schritt für Schritt vollziehenden Kooperation der Länder, die sich auf den Weg des Sozialismus begeben haben, sondern auch in der ideellen, politischen und kulturellen Annäherung der sozialistischen Völker. Insbesondere verschwinden im Laufe einer solchen Annäherung schließlich das Mißtrauen und die Entfremdung der Nationen, die durch den Kapitalismus hervorgebracht wurden; es triumphiert der Geist der Brüderlichkeit, der Freundschaft und Zusammenarbeit."
Auf die in den „Grundprinzipien" enthaltenen Widersprüche hat vor allem der britische Ost-experte Michael Kaser in seiner Untersuchung über „Comecon — The Integration Problems of Planned Economies" aufmerksam gemacht.
Unter historisch-politischen Gesichtspunkten, so schreibt Kaser, ist die Entwicklung des Comecon bis zu seinem derzeitigen Auflockerungs-und Krisenprozeß aus dem Dualismus zwischen der Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität und dem Bestreben des Ausbaus einer supranationalen Wirtschaftsorganisation zu erfassen. Sind die westlichen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse im Grunde Ausdruck der Bereitschaft zur Einschmelzung in supranationale Körperschaften — die EWG und die Gemeinschaft für Kohle und Stahl als deutlichster Ausdruck dieser Tendenz —, so wird im Comecon die Integration unter formaljuristischer Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität versucht.
Aber während nun in der Stalin-Ära — basierend auf der unangefochtenen sowjetischen Führungsrolle und der Einheitlichkeit der geltenden Wirtschaftspolitik und den Wirtschaftsprinzipien — dieser Dualismus an sich kein Hinderungsgrund für einen einheitlichen Wirtschaftsrahmen gewesen wäre, wurden mit dem ungarischen Aufstand und dem polnischen Oktober im Jahre 1956 die immanenten nationalwirtschaftlichen Gegensätze zur politischen Realität 17a).
Außer diesem Grundwiderspruch umschließen die Grundsätze für die östliche Wirtschaftsintegration noch zwei weitere in sich gegensätzliche Kriterien. Es sind dies das Prinzip der „rationellsten Verteilung der Produktivkräfte über das ganze sozialistische System" einerseits und das der „Angleichung der Entwicklung jedes einzelnen Landes und die langsame Überwindung der geschichtlich bedingten Entwicklungsunterschiede" andererseits 17b).
II. Der Gemeinsame Markt in der Sowjetideologie
(gesamter Außenhandelsumsatz = 100 v. H. 34) Anteil des Ostblocks am Außenhandelsumsatz der nachfolgenden Länder Land Albanien Bulgarien Ungarn Polen Rumänien Tschechoslowakei durchschnittlich 1937 4, 8 9, 6 13, 3 7, 1 17, 7 11, 2 11, 7 1948 38, 3 74, 5 34, 1 34, 4 70, 6 30, 2 38, 5 1949 100, 0 82, 3 46, 5 43, 3 81, 8 45, 5 51, 5 1950 100, 0 88, 2 61, 4 59, 2 83, 3 53, 0 62, 2
(gesamter Außenhandelsumsatz = 100 v. H. 34) Anteil des Ostblocks am Außenhandelsumsatz der nachfolgenden Länder Land Albanien Bulgarien Ungarn Polen Rumänien Tschechoslowakei durchschnittlich 1937 4, 8 9, 6 13, 3 7, 1 17, 7 11, 2 11, 7 1948 38, 3 74, 5 34, 1 34, 4 70, 6 30, 2 38, 5 1949 100, 0 82, 3 46, 5 43, 3 81, 8 45, 5 51, 5 1950 100, 0 88, 2 61, 4 59, 2 83, 3 53, 0 62, 2
1. Lenin und die „Vereinigten Staaten von Europa"
Bei der Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsintegration im Westen bediente und bedient sich die sowjetkommunistische Seite im wesentlichen einer Argumentation, die bereits von Lenin geliefert wurde. Es ist nicht ohne Reiz, hier einiges aus dieser einschlägigen Abhandlung Lenins zu zitieren, da sie gleichzeitig die Grenzen des politischen Erkenntnisvermögens und das unfruchtbare Freund-Feind-Denken des russischen Revolutionärs erkennen läßt
„Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d. h.des Kapital-exports und der Aufteilung der Welt unter die . fortgeschrittenen'und zivilisierten Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär....
Vereinigte Staaten von Europa sind unter kapitalistischen Verhältnissen gleichbedeutend mit Übereinkommen über die Teilung der Kolonien. Aber unter kapitalistischen Verhältnissen ist jede andere Basis, jedes andere Prinzip der Teilung als das der Macht unmöglich.
Natürlich sind vorübergehende Abkommen zwischen den Kapitalisten und zwischen den Mächten möglich. In diesem Sinne sind auch die Vereinigten Staaten von Europa möglich als Übereinkommen der europäischen Kapitalisten ... worüber? Lediglich darüber, mit vereinten Kräften den Sozialismus in Europa zu unterdrücken, mit vereinten Kräften die geraubten Kolonien gegen Japan und Amerika zu verteidigen, die durch die jetzige Aufteilung der Kolonien in höchstem Maße benach teiligt und in den letzten 50 Jahren unvergleichlich rascher erstarkt sind als das rückständige und monarchistische Europa, das vor Altersschwäche zu faulen beginnt."
Aus dieser Sicht der Dinge mußten geradezu erstaunliche Fehleinschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen und Fehl-deutungen des westeuropäischen Integrationsprozesses resultieren. Diese basieren letztlich auf dem Unvermögen kommunistischer Theoretiker, Ideologen und Politiker, die überkommene Doktrin kritisch zu überprüfen und die tatsächliche Entwicklung mit den aus der Ideologie gewonnenen Prognosen zu vergleichen. Eine politische Theorie, die in Erwartung des Zusammenbruchs des kapitalistischen Welt-systems lebt, die die zwischen den westlichen Mächten schwebenden Interessenkonflikte als unaufhebbare Gegensätze interpretieren muß und der die Zusammenarbeit zwischen modernen Industrienationen und Entwicklungsländern und echte Leistungen in der Entwicklungshilfe unvorstellbar erscheinen, eine solche Theorie ist schlechterdings nicht in der Lage, die im Westen vor sich gehenden Veränderungen und den Integrationsprozeß des westeuropäischen Wirtschaftsraumes zu verstehen. Sie ist nicht in der Lage, das Streben von Entwicklungsländern nach Assoziation mit der neuen Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen und kommt vollends aus dem Konzept, wenn nun auch noch sozialistische Länder Tendenzen zeigen, sich mit der EWG zu arrangieren
Mit hauptsächlich ideologischen Argumenten wollte man beweisen, daß dem Gemeinsamen Markt der sechs westeuropäischen Länder keinesfalls ein Erfolg beschieden sein könne. Die zyklischen, konjunkturellen Schwankungen in den marktwirtschaftlichen Systemen standardisierend und kritiklos auf den neuen Wirtschaftstatbestand der Integration der Sechs anwendend, folgerte man, daß es sich bei dem Gemeinsamen Markt um nichts anderes als eine Verbindung aus den Staatsmonopolen handeln würde — den Gesetzen kapitalistischen Widerspruchs und Verfalls unterworfen. Da er somit keine objektive und dauernde Erscheinung darstelle oder gar zu einer ständigen Produktionsausweitung führen könnte, verzichtete man darauf, sich mit wissenschaftlicher Objektivität und Gründlichkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu beschäftigen. Auf diese Überzeugung stützte die Konferenz der 81 Kommunistischen und Arbeiterparteien, die im November 1960 in Moskau stattfand, ihre Schlußerklärung
Mit der Gründung der EFTA im November 1959 erhielt die kommunistische These von den Widersprüchen in der Zusammenarbeit zwischen kapitalistischen Staaten und Monopolen neuen Auftrieb. Nur in einem engen Kreis von Wirtschaftsexperten rang man sich zu einer realistischeren Einschätzung durch. So zogen auf der 1959 veranstalteten Wissenschaftstagung des „Institutes für Weltwirtschaft" Chmelnickaja und Kirsanow erstmalig offen die Behauptung in Zweifel, daß die EWG zwangsläufig scheitern müsse. Sie empfahlen dringend, die EWG künftig als Realität zu betrachten. Die sowjetische Außenpolitik, insbesondere die Außenhandelspolitik, müsse, so führten sie aus, mit dem Gemeinsamen Markt als Tatsache rechnen. Es sei nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß der Export des Comecon unter dem Einfluß der westeuropäischen Integration Schaden nehmen könne
Indes blieben diese Erkenntnisse ohne Resonanz, wie sich an dem auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im November 1961 beschlossenen Parteiprogramm ablesen läßt. In Kapital IV — „Die Krise des Weltkapitalismus" — wird darin der Tatbestand der westeuropäischen Integration mit der folgenden, wenige Zeilen umfassenden Bemerkung abgetan: „Die aggressiven Militärblocks, die unter der Ägide der USA gebildet worden sind, taumeln von einer Krise zur anderen. Die internationalen staatsmonopolistischen Organisationen, die unter der Losung der . Integration', der Milderung des Marktproblems entstanden sind, stellen in Wirklichkeit neue Formen der Aufteilung des kapitalistischen Weltmarktes dar und werden zu Herden schwerer Reibungen und Konflikte.
Es vertiefen sich die Gegensätze zwischen den wichtigsten imperialistischen Mächten. Die Wiederherstellung der Wirtschaft der im zweiten Weltkrieg besiegten imperialistischen Staaten führt zum Wiedererstehen der alten und zur Entstehung neuer Brennpunkte der imperialistischen Rivalität und Konflikte. Eine besondere Zuspitzung erfahren die britisch-westdeutschen, die japanisch-amerikanischen und andere Widersprüche." 3. Die EWG — eine ökonomische und politische Realität Ende Mai 1962, anläßlich des Besuches des Staatspräsidenten der Republik Mali in Moskau, begann der Kreml mit einer neuen Propagandaoffensive gegen ’ die europäischen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse, insbesondere die EWG. Die Wahl dieses Zeitpunktes war kein Zufall. Kurz vorher hatten die sechs EWG-Länder die Hürde der ersten Zollangleichung genommen und bereits im Sommer 1961 hatten die EFTA-Länder, unter ihnen Großbritannien, um eine Assoziierung mit der EWG nachgesucht. In Moskau begann jetzt offensichtlich die Erkenntnis zu dämmern, daß die EWG mehr war als nur eine von Lenin vorausgesagte Erscheinung kapitalistischer Widersprüche, daß die westeuropäische Integration weitgehende handelspolitische Konsequenzen auch für die Comecon-Länder haben müsse und daß der Gemeinsame Markt im Begriff stand, eine gefährliche Attraktivität auch auf die Länder des Sowjetblocks auszuüben. Die Angriffe der Kommunisten reichen von dem Versuch, die EWG zu diskriminieren und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beweisen, über Vorschläge, eine Welthandelskonferenz einzuberufen und alle „imperialistischen Handelsdiskriminierungen" zu beseitigen, bis zum Druck auf neutrale Staaten, weder der EWG beizutreten noch sich mit ihr zu assoziieren
Die Offensive zeigte, daß der Kreml die EWG ernst zu nehmen begann und wachsendes Unbehagen über die europäischen Zusammenschlüsse empfand; noch deutlicher wurde dies in den Ende August 1962 verkündeten 32 Thesen der Moskauer Akademie der Wissenschaften „über die imperialistische Integration in Westeuropa (Gemeinsamer Markt')
Abweichend von der bisherigen Linie der Agitation wird in diesen Thesen die EWG der Öffentlichkeit zum ersten Male als „eine ökonomische und politische Realität" und als „eine neue Erscheinung in der wirtschaftlichen Entwicklung des Kapitalismus" vorgestellt. Des weiteren wird zugegeben, daß der „Gemeinsame Markt das Wachstum der Kapitalanlagen fördere, die Modernisierung der Betriebe beschleunige und das Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung sehr hoch war." Im übrigen spiegeln die 32 Thesen wie auch die gesamte gegen die EWG gerichtete Agitation das Unbehagen Moskaus angesichts der Mißerfolge und systembedingten Schwierigkeiten bei den eigenen Integrationsversuchen und der von der EWG auf andere Länder ausgeübten Anziehungskraft wider. Das zeigen die vielfachen Ungereimtheiten und Widersprüche der kommunistischen Thesen. So enthalten die 32 Thesen sowohl die Feststellung, Lenin habe die internationale Vereinigung des Monopol-kapitals vorhergesehen, als auch die Aussage, der Gemeinsame Markt sei in der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft eine neuartige Erscheinung. Des weiteren wird behauptet, daß „die historisch entstandene Wirtschaftsstruktur der sechs westeuropäischen Länder sie zu natürlichen Konkurrrenten im Absatz gleichartiger Industriewaren gemacht hat" und demnach ein größerer Warenaustausch generell nicht zustande kommen kann. In Wahrheit weisen die Industriestaaten des Westens eine weit größere Außenhandelsverflechtung untereinander aus als die Ostblockstaaten und die Länder des RGW im besonderen, und die Verhältnisse liegen insofern gerade umgekehrt, als das unterschiedliche Ent-Wicklungsniveau der Länder des Comecon ein ernstes Hindernis für eine Intensivierung der außenhandelsmäßigen Verflechtung darstellt
Nach der Verkündung der 32 Thesen der Moskauer Akademie der Wissenschaften erreichte die kommunistische Agitation und Propaganda-offensive gegen die EWG und die westeuropäische Integration ihren Höhepunkt. Die ideologische Grundkonzeption Lenins beibehaltend, konzentrierte man sich auf die folgenden Behauptungen:
1. Das Hauptziel der Wirtschaftsintegration in Westeuropa ist der Kampf gegen den Sozialismus; 2. die EWG ist die ökonomische Basis der NATO in Europa. Mit ihr sichert der westdeutsche Imperialismus seinen beherrschenden Einfluß in Europa;
3. die EWG ist eine Form neokolonialistischer Expansion;
4.der EWG-Markt ist „Gemeinsamer Markt für die Monopole";
5. die Schaffung des Gemeinsamen Marktes führt zu neuen Widersprüchen, insbesondere durch die auf Kosten der Werktätigen durchgeführte Expansion.
Diese Behauptungen fanden ihren Niederschlag im Parteiprogramm der SED von 1963, das sich ausführlich mit der EWG und dem Prozeß der Wirtschaftsintegration in Westeuropa auseinandersetzt und anders als das zwei Jahre vorher verabschiedete Programm der KPdSU u. a. feststellt:
„Internationale staatsmonopolistische Organisationen, wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Montanunion u. a., sind die entscheidenden Instrumente, um die Herrschaft der mächtigsten Monopole im internationalen Maßstab auszudehnen und ihre neokolonialistischen Bestrebungen zu verwirklichen. ...
Die Integration, insbesondere die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), soll über alle kapitalistischen Widersprüche hinweg die imperialistischen Mächte im Kampf gegen das sozialistische Weltsystem zu einem einheitlichen Block zusammenschließen.. ..
In der EWG hat der westdeutsche Imperialismus einen entscheidenden Einfluß erlangt. Die westdeutschen Monopole haben ihre Macht durch neue Formen der Kartelle, Kapitalverflechtungen usw. über Westdeutschland hinaus ausgedehnt und beherrschen die Produktion und den Markt Westeuropas in vielen Zweigen. ...
Die EWG ist die ökonomische Basis der NATO in Westeuropa. Dadurch werden die Expansionsbestrebungen des westdeutschen Imperialismus begünstigt.
Weder die EWG noch andere internationale staatsmonopolistische Organisationen können die imperialistischen Widersprüche überwinden. ...
Die Schaffung des „Gemeinsamen Marktes" sichert keineswegs eine harmonische, konfliktlose Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft Westeuropas, denn jeder Teilnehmer der EWG verfolgt seine eigenen imperialistischen Ziele. Jeder versucht, seine Schwierigkeiten auf Kosten der Partner und vor allem auf Kosten der Arbeiterklasse, der Bauern und anderer Schichten zu überwinden....
Bei seiner neokolonialistischen Expansionspolitik nutzt der westdeutsche Imperialismus seine ökonomische Stärke und die Tatsache aus, daß er in den Augen vieler Völker nicht als Kolonialmacht alten Stils belastet ist. Die neokolonialistische Expansion wird letzten Endes auf Kosten der werktätigen Massen in Westdeutschland durchgeführt. Sie führt daher unvermeidlich zur Verschärfung der inneren Widersprüche des westdeutschen Imperialismus." Und in einem Grundsatzartikel schilderte die Zeitschrift „Kommunist" die Auswirkungen der westeuropäischen Wirtschaftsintegration auf die rechtliche und soziale Stellung der Arbeiterschaft in der folgenden Weise
Der Vertrag von Rom zwischen den EWG-Ländern sieht eine allgemeine . Anpassung'der Lohnhöhen und der Arbeitsbedingungen vor. Gegenwärtig ist der Realarbeitslohn, die Höhe und der Charakter der sozialen Unterstützungen und Renten in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. . . .
Das Monopolkapital ist bestrebt, das Einkommen und die Sozialunterstützungen der Arbeitnehmer in verschiedenen Ländern dem niedrigsten Niveau anzugleichen. . . .
Die Anführer des . Europa der Trusts'verwenden je nach konkreter Lage und Verhältnis der Klassenkräfte in jedem Lande eine andere Methode des Kampfes gegen die Arbeiterbewegung. In einigen Ländern (z. B. in Frankreich und Belgien), in denen das Proletariat in zähem Kampfe eine Reihe sozialer Errungenschaften zu verzeichnen hat, erfolgt der Angriff der Monopole in der letzten Zeit zunächst auf der Linie der Einschränkung der Rechte der Arbeitnehmer auf Streik und der demokratischen und gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiter."
Diesem so gezeichneten Bild der westeuropäischen Wirtschaftsintegration und der EWG im besonderen werden nun von sowjetischer und von sowjetzonaler Seite die angeblich im Comecon verwirklichten Prinzipien internationaler sozialistischer Arbeitsteilung und Zusammenarbeit gegenübergestellt
Die Apologeten des Kapitalismus attackieren die Prinzipien der Zusammenarbeit der sozialistischen Länder und versuchen, die Tätigkeit des RGW mit der Tätigkeit der EWG oder des sogenannten „Gemeinsamen Marktes" zu vergleichen. Es gibt keine Analogie zwischen diesen Organisationen, und es kann sie nicht geben."
Das in derartigen propagandistischen Übertreibungen und ideologischen Verzerrungen zum Ausdruck kommende Mißvergnügen der Kommunisten an der EWG ist verständlich. Es hat sowohl ökonomische als auch politisch-ideologische Ursachen. Die Ausbildung des Gemeinsamen Marktes führt zwangsläufig zur Verringerung der Exportmöglichkeiten in die EWG-Länder und damit zu Schwierigkeiten des Güteraustausches, auf den die Ostblockstaaten ungleich mehr als die Industriestaaten des Westens angewiesen sind. Weit wichtiger für die Kommunisten dürften aber die politisch-ideologischen Probleme sein, die die dynamische Entwicklung der westeuropäischen Zusammenschlüsse aufwirft. Schon die Existenz des Gemeinsamen Marktes an sich stellt ja eine Widerlegung der kommunistischen Theorien von der Entwicklung des Kapitalismus und den Möglichkeiten, besser Unmöglichkeiten wirtschaftlicher Integration dar.
Groß war daher die Genugtuung im kommunistischen Lager, als Frankreich mit den Differenzen um die Agrarfinanzierung im Juni 1965 begann, die Arbeit der EWG zu boykottieren und de Gaulle seine Politik des leer Stuhles einleitete. Damit bot sich den komn nistischen Wirtschaftlern und Kommentator die willkommene Gelegenheit, eine auf c marxistisch-leninistischen Ideologie basier« de Diagnose der Krise zu stellen. Die in Mkau erscheinende Prawda schrieb unter de 5. Juli 1965: „Wie jede imperialistische C meinschaft kann die EWG aufgrund ihrer N tur die tiefgreifenden Widersprüche unter d Mitgliedsländern nicht eliminieren", und März und November 1968 wiederholte sich d gleiche Spiel anläßlich der Schwierigkeiten d Dollars und der Währungskrise im Westen.
III. Geschichtliche Entwicklung
Anteil der heutigen Ostblockstaaten am Außenhandel des Deutschen Reiches im Jahre 1936 35) Gesamter Außenhandelsumsatz: davon Ostblockstaaten Einfuhr: davon Ostblockstaaten Ausfuhr: davon Ostblockstaaten v. H. ca. ca. ca. 100, 0 16, 2 100, 0 16, 4 100, 0 16, 0
Anteil der heutigen Ostblockstaaten am Außenhandel des Deutschen Reiches im Jahre 1936 35) Gesamter Außenhandelsumsatz: davon Ostblockstaaten Einfuhr: davon Ostblockstaaten Ausfuhr: davon Ostblockstaaten v. H. ca. ca. ca. 100, 0 16, 2 100, 0 16, 4 100, 0 16, 0
1. Gründung des RGW Im Januar 1949 wurde in Moskau aufgrund des Beschlusses einer dort tagenden Wirtschaftskonferenz der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe gegründet. Das hierüber in der „Prawda" unter dem 25. Januar 1949 veröffentlichte Kommunique hat folgenden Wortlaut
„Die Gründung eines Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe wurde auf einer Konferenz von Vertretern Bulgariens, Ungarns, Polens, Rumäniens, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei beschlossen. . . . Der neugeschaffene Rat wird sich aus Vertretern der Länder zusammensetzen, die an der Konferenz teilgenommen hatten.
Er hat die Aufgabe, wirtschaftliche Erfahrungen auszutauschen, gegenseitige technische Hilfe sowie Lieferungen von Rohmaterial, Nahrungsmitteln, Maschinen und industriellen Ausrüstungen zu organisieren. Dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe können auch andere Länder Europas beitreten, wenn sie die Prinzipien des Rates anerkennen und an einer weitgehenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern der Volksdemokratie und der UdSSR interessiert sind. Die Beschlüsse des Rates haben nur dann Gültigkeit, wenn die betreffenden Länder ihnen zustimmen. Der Rat tagt abwechselnd in den Hauptstädten der beteiligten Länder, wobei der Vorsitz von dem Vertreter des Landes übernommen wird, in dessen Hauptstadt die Sit-* zung abgehalten wird. Der Beschluß zur Grü düng eines Rates für Gegenseitige Wirtschaft hilfe war das Ergebnis längerer Verhandln gen, in deren Verlauf festgestellt wurde, di die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen d volksdemokratischen Länder und der UdSS sich überaus erfolgreich entwickelt habe Durch die Gründung des Rates soll der Bo kott der Handelsbeziehungen mit den Lände Osteuropas durch die Regierungen der US. Englands und anderer Länder Westeuropi zunichte gemacht und die wirtschaftliche Zi sammenarbeit unter den Ländern der Volk demokratie und der UdSSR noch stärker au gebaut werden."
Im Februar 1949 trat Albanien dem RGW be und am 26. und 27. April desselben Jahr« fand in Moskau die erste konstituierende Rat: Sitzung statt. Der Beitritt der DDR würd erst am 29. September 1950 bekanntgegeben.
Die Motive für die Gründung dieses neue Instruments der sowjetischen Politik sind ar dem ervzähnten Kommunique nur z. T. e: kennbar. Sie müssen auf dem Hintergrund de damaligen gesamtpolitischen Situation gest hen werden und waren weniger wirtschaf licher als vor allem außenpolitischer und niet zuletzt ideologischer und propagandistische Natur. Besonders im Marshall-Plan erblickt die Sowjetunion eine Gefährdung ihrer nac dem zweiten Weltkrieg hinzugewonnenen Pc sitionen in Ostmitteleuropa und leitete des halb sofort eine intensive Gegenpropagand ein. Dennoch zeigten Jugoslawien, die Tsche choslowakei und Polen Interesse am europäi sehen Wiederaufbauprogramm. Die beide: letztgenannten Staaten verzichteten auf di Beteiligung am Marshall-Plan erst, nachdem der Kreml massiven Druck auf sie ausgeübt hatte. Die Gründung des RGW war insoweit als politisches und propagandistisches Gegengewicht zu der schnell vor sich gehenden wirtschaftlichen Konsolidierung Westeuropas und dem organisatorischen Zusammenschluß der westeuropäischen Staaten in der OEEC gedacht. Mit Hilfe des RGW hoffte der Kreml, die von Westeuropa ausgehenden magnetischen Kräfte zu neutralisieren und mit den zentrifugalen Tendenzen im neugeschaffenen Sowjet-Imperium leichter fertig werden zu können. Eins der wirksamsten Mittel hierzu war, den Außenhandel der Satelliten umzuorientieren und sie wirtschaftlich stärker innerhalb des Ostblocks zu verklammern. Dies galt vor allem für die Tschechoslowakei und Polen, die damals außenwirtschaftlich noch stärker mit dem Westen verzahnt waren.
Daneben dürfte, wie dies auch im Kommunique zum Ausdruck kommt, die westliche Embargo-Politik tatsächlich eine gewisse Rolle bei der Gründung des RGW gespielt haben. Es ist gut vorstellbar, daß man auf sowjetischer Seite hoffte, durch Zusammenfassung aller wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Potenzen mit dem durch die EmbargoPolitik verursachten Schwierigkeiten eher fertig werden zu können
Und schließlich wird man Stalins Intentionen zur Gründung des RGW im Zusammenhang mit der Bildung des Informationsbüros der kommunistischen Parteien, des Kominform und der gleich danach ausbrechenden Jugoslawien-Krise zu sehen haben. Nachdem Jugoslawien im Juni 1948 aus dem Kominform ausgeschlossen worden war, faßte Stalin den Entschluß, Tito wirtschaftlich zu boykottieren, und es gibt mancherlei Anhaltspunkte dafür, daß es zu den Aufgaben des RGW auch gehören sollte, die Blockade gegen Jugoslawien wirkungsvoller zu gestalten
So war es denn nur natürlich, daß es sehr bald wieder still wurde um die Organisation. Vom 25. bis 27. August 1949 fand die II. Rats-tagung in Sofia und im November 1950 — kurz nach dem Beitritt der Sowjetzone — die III. Ratstagung in Moskau statt, über die III. Rats-tagung ist kein Kommunique veröffentlicht worden. Die nächste Ratstagung fand erst 1954, also nach Stalins Tod, statt.
Umorientierung im Außenhandel Zu den ersten Beschlüssen der Ratstagungen gehörte es, den Außenhandel zwischen den Teilnehmern und Beobachtern des RGW auf der Basis bilateraler Verträge abzuwickeln und dabei von den bisher zumeist einjährigen Waren-und Zahlungsabkommen auf langfristige Handelsabkommen für die Dauer der Planperiode von 1951 bis 1955 überzugehen. Das Ziel dieser Abkommen war einheitlich, die Erfüllung der laufenden Wirtschaftspläne der Vertragspartner import-und exportseitig zu sichern. Für die früheren Feindstaaten der Sowjetunion und die DDR im besonderen kam noch die Erfüllung der sowjetischen Reparationsinteressen hinzu.
Charakteristisch für die Entwicklung des Außenhandels der Teilnehmer des RGW waren nun sowohl die Umorientierung des gesamten Außenhandels auf den Ostblock als auch der immer stärker werdende Anteil der Sowjetunion am Außenhandelsvolumen jedes einzelnen Mitgliedes. Aus den zwei nachfolgenden Aufstellungen ist diese Entwicklungstendenz ersichtlich. 3. Die Wiederbelebung des RGW nach Stalins Tod Das Dilemma der sowjetischen Politik und die Krise im Sowjetblock Mit dem von Stalin gesteuerten harten Kurs war die sowjetische Politik in eine Sackgasse geraten. In der Außenpolitik hatten die aggressive Haltung Stalins, die unverhüllte kommunistische Bedrohung der Position der freien Welt und die Anwendung von Gewalt bei sowjetischen Expansionsversuchen zum Wettrüsten und zum Zusammenrücken der Westmächte zu gemeinsamer Abwehr geführt und die Fronten damit zwangsläufig völlig erstarren lassen. Innerhalb des gesamten Sowjet-blocks, d. h.der Sowjetunion, der europäischen Satellitenstaaten und der deutschen Sowjetzone, griff ab 1952 die Wirtschaftskrise mit wachsender Geschwindigkeit und Heftigkeit um sich.
Sieht man hier einmal von der grundsätzlichen Problematik des kommunistischen Wirtschaftssystems als Zentralverwaltungswirtschaft und den Schwierigkeiten, die durch den mehr oder weniger fehlenden „Consensus" zwischen Regierung und Bevölkerung bedingt sind, ab, so zeichneten sich drei Faktoren als unmittelbare und sichtbare Ursachen der wachsenden inneren Schwierigkeiten ab. Erstens überstiegen die gewaltigen schwerindustriellen Investitionen und die Belastungen durch das Wettrüsten die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften der sowjetischen Herrschaftssphäre. Zweitens zeigte sich, daß die Politik der materiellen Ausplünderung der Satellitenstaaten und Mitteldeutschlands sich auf die Dauer nicht mit Erfolg fortsetzen ließ; ihre politische und ökonomische Zweckmäßigkeit wurde von Tag zu Tag fragwürdiger. Und drittens war die Wirtschaftskrise in entscheidendem Maße dadurch bestimmt, daß die Wirtschaftspolitik in den „Volksdemokratien" und in der Sowjetzone nicht unter den Gesichtspunkten volkswirtschaftlicher Zweckmäßigkeit, sondern nach wirklichkeitsfremden politischen Doktrinen konzipiert worden war. Die Dogmen von der „planmäßigen und proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft", vom „Primat der Politik über die Ökonomie" und der Zwangskollektivierung der Bauernschaft als „Quelle der sozialistischen Akkumulation" und andere, wie sie unter Stalin praktiziert wurden, hatten zu kaum vorstellbaren wirtschaftlichen Torheiten geführt, die sich noch dazu durch ihre Wiederholung in jedem einzelnen der sowjetischen Vasallenstaaten multiplizierten
Der Neue Kurs Die von den Nachfolgern Stalins unter dem massiven Druck der Verhältnisse sofort nach seinem Tod innerhalb des Sowjetblocks eingeleitete Politik ist unter dem Begriff „Neuer Kurs" in die Geschichte der sowjetischen Machtausübung nach dem zweiten Weltkrieg eingegangen. Diese politische Konzeption wies für die Sowjetunion und den Satellitenbereich einige übereinstimmende Merkmale auf.
Sie bestanden 1. in der Betonung des Prinzips der kollektiven Führung in Partei und Staat anstelle der Ein-Mann-Herrschaft;
2. in der Verminderung oder besser: vorsichtigeren Anwendung des politischen Terrors, der Reduzierung der Position der Geheimpolizei (Staatssicherheitsdienst) innerhalb des Rev gierungsapparates und der Verkleinerung des Apparates der Geheimpolizei selbst;
3. in der Korrektur der auf einseitige Entwicklung der Schwerindustrie gerichteten Wirtschaftspläne zugunsten der Konsumgüter-industrie mit dem Ziel, den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben (Massenbedarfsgüterprogramm). Für den Bereich der Satelliten kamen noch folgende Veränderungen als Merkmale des Neuen Kurses hinzu-4. Konzessionen an die Bauern durch Zulassung der Auflösung der Kollektivwirtschaften.
Hierbei dürfte neben zeitbedingten politischen Erwägungen auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, die landwirtschaftliche Produktion so schnell wie möglich zu steigern; 5. Lockerung der bisherigen totalen und alle Einzelheiten umfassenden sowjetischen Kontrolle und Zubilligung einer gewissen Bewegungsfreiheit in den Beziehungen der Satellitenstaaten und der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands untereinander und 6. Beendigung der Reparations-und Ausbeutungspolitik und ihr Ersatz durch andere, op-tisch weniger auffällige und wirtschaftlich schonendere Formen und Methoden in der Wahrnehmung der sowjetischen Interessen.
Die Revision, des Neuen Kurses — Die Konzeption kommunistischer Wirtschaftsintegration Der Akzent des Neuen Kurses lag zweifellos auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Durch Reduzierung der schwerindustriellen Investitionsprogramme, durch Annulierung verschiedener damit in Zusammenhang stehender Lieferverträge unter den Ostblockstaaten und der deutschen Sowjetzone und durch Verbesserung der Versorgungslage versuchten die Nachfolger Stalins, die gröbsten Fehler der vergangenen Epoche so schnell wie möglich abzustellen. Aber dieser, vornehmlich von Malenkow eingeschlagene Kurs war sowohl unter ökonomischen als auch unter politischen Gesichtspunkten widerspruchsvoll und mußte sich nach kurzer Zeit als undurchführbar erweisen. Man konnte zwar die gröbsten Mißstände in der Versorgung und damit die gefährliche explosive Situation im Innern durch Rückgriff auf vorhandene Reserven an Material, Gold und Devisen beseitigen. Damit aber war die Frage der Erhöhung der Produktion von Konsumgütern und Nahrungsmitteln noch nicht gelöst. Dies war vielmehr eine Angelegenheit der industriellen Kapazitäten, der Entwicklung der Rohstoffbasis und der Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Erfordernisse — Probleme, die nur nach und nach im Zuge einer systematischen Umorientierung und Umgliederung der gesamten Volkswirtschaft gelöst werden konnten. Malenkows Maßnahmen waren überhastet und improvisiert und trugen dazu bei, die inneren Schwierigkeiten und das wirtschaftliche Chaos noch zu vergrößern.
Vor allem aber stimmte die wirtschaftspolitische Linie (mit der Verringerung der schwerindustriellen Investitionsprogramme) nicht mit der am Status quo festhaltenden Außenpolitik überein. Die hier bestehenden Widersprüche, verbunden mit den wirtschaftspolitischen Fehleinschätzungen, führten zum Sturz der Regierung Malenkow und zu einer erneuten Revision des wirtschaftspolitischen Kurses.
Aus diesen Auseinandersetzungen, die noch durch die Machtkämpfe der verschiedenen Gruppen, den Dualismus zwischen Partei und Staat und andere Probleme der Staats-und Gesellschaftsordnung der Sowjetunion überlagert wurden, ging schließlich Chruschtschow als Sieger hervor. Gegen Ende des Jahres 1954 wurde der wirtschaftspolitische Kurs revidiert, und der Kreml kehrte zu seiner früheren wirtschaftspolitischen Generallinie der Priorität von Schwer-und Produktionsgüterindustie zurück
Die Leistungsfähigkeit des den Sowjets zur Verfügung stehenden Wirtschaftspotentials mußte in kürzester Frist so gesteigert werden, daß beide Forderungen, die Entwicklung der Grundstoff-und Produktionsgüterindustrie sowie die Steigerung der Konsumgüterproduktion und der landwirtschaftlichen Erzeugung, gleichzeitig in Angriff genommen werden konnten. Dies erforderte einmal die Nutzung aller überhaupt zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Hilfsmittel und Kapazitäten und zum anderen eine bessere Berücksichtigung der Standortgegebenheiten und der vergleichsweise besten Produktionsbedingungen. Das aber bedeutete nichts anderes, als daß die sowjetische Wirtschaftspolitik nun, um die größtmögliche Entfaltung ihres Wirtschaftspotentials zu erreichen, auf eine Politik der wirtschaftlichen Integration des Ostblocks, der Koordinierung der Planungen und der Spezialisierung der Produktionen umschwenkte. Unter diesen Gesichtspunkten wurde im Jahre 1954 der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe zu neuem Leben erweckt
Der Ausbau des RGW-Apparates Die ab 1954 dicht aufeinanderfolgenden Rats-tagungen ließen erkennen, daß der RGW in eine neue Phase seiner Tätigkeit eingetreten war: 26. und 27. März 1954 IV. Tagung in Moskau, 24. Juni 1954 V. Tagung in Moskau, 7. bis 11. Dezember 1955 VI. Tagung in Budapest. Experten der sowjetischen Plankommission hatten in den Jahren 1954 und 1955 in den „volksdemokratischen" Partnerstaaten des RGW und in der deutschen Sowjetzone Erhebungen über die Kapazitäten und Produktionsbedingungen der wichtigsten Industriezweige angestellt, und vor allem auf der Budapester Tagung wurden die ersten konkreten Versuche unternommen, zu einer Koordinierung der Wirtschaftspläne, Abstimmung der Investitionsvorhaben und zu bestimmten Spezialisierungen in der Produktion zu gelangen. Parallel mit der Ausweitung der Aufgaben des RGW lief eine Reorganisation des Apparates. Hier ist vor allem die Bildung von Fachkommissionen für einzelne Industrie-und Wirtschaftsbereiche zu nennen. Bei den auf der VI. Ratstagung in Budapest gebildeten Fachkommissionen handelte es sich jedoch zunächst nur um locker organisierte Gremien mit einem zeitlich begrenzten Auftrag. Aus ihnen entwickelten sich dann sehr bald die Ständigen Fachkommissionen des RGW, deren Mehrzahl durch Beschluß der VII. Ratstagung im Mai 1956 geschaffen wurde. Einen vorläufigen Abschluß fand der Auf-und Ausbau der Organisation mit der Annahme des Statuts und der Konvention über die Rechtsfähigkeit, Privilegien und Immunitäten durch die XII. Ratstagung in Sofia im Dezember 1959. Ähnlich wie die Gründung der Organisation zehn Jahre vorher, so war auch die Annahme des Statuts im jetzigen Zeitpunkt weniger eine eigenständige, sich aus der Entwicklung des Integrationsprozesses ergebende Maßnahme, sondern sie stellte weit eher eine Reaktion auf die beeindruckenden Erfolge der westeuropäischen Integration dar. In Anbetracht der Entwicklung in der EWG hielten die Sowjets jetzt den Zeitpunkt für gekommen, den RGW juristisch besser zu fundieren, um auf dieser Basis den Integrationsprozeß vorantreiben zu können
In den Jahren 1954 bis 1962, in der Zeit also, da man sich intensiver darum bemühte, ein funktionsfähiges System wirtschaftlicher Integration zu entwickeln, hatten die kommunistischen Politiker, Ideologen und Wirtschaftsplaner die Erfahrung machen müssen, daß es sehr viel einfacher war, sich militärisch zu integrieren und politisch gleichzuschalten, als einen einheitlichen wirtschaftlichen Großraum zu schaffen. Die zu einem riesigen Apparat angewachsene Organisation des RGW, die Unmenge der Tagungen und Konferenzen und vor allem die unzähligen Beschlüsse und Empfehlungen des RGW und seiner Organe stand und steht in auffallendem Mißverhältnis zu dem wirklich erreichten Grad wirtschaftlicher Integration.
Mitte 1962 bot sich etwa das folgende Bild in bezug auf die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Entwicklung im RGW-Bereich: a) Im Dezember 1961 fand die XV. Tagung des RGW in Warschau statt. Unter den Mitgliedern des Rates fehlte Albanien und unter den Beobachtern Rotchina. Auch auf den späteren Ratstagungen sind beide Staaten bisher nicht mehr erschienen. Damit wurde deutlich, daß die politisch-ideologischen Gegensätze im kommunistischen Lager auch auf die wirtschaftlichen Beziehungen Übergriffen. Anstatt auf Außenstehende attraktiv zu wirken und sich dynamisch zu entwickeln, zeigte der RGW vielmehr eindeutig Schrumpfungstendenzen. b) Die Abstimmung und Arbeitsteilung in der Produktion blieb im wesentlichen auf die Bereiche der Grundstoffindustrie beschränkt. In anderen Bereichen, so vor allem im Maschinenbau, in der Chemie und der Leichtindustrie kam man kaum voran. Nach wie vor bestehen Unklarheiten über die Prinzipien, nach denen die sogenannte sozialistische internationale Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich weiterentwickelt werden soll. c) Im gesamten Ostblock war in den Jahren 1961 und 1962 die wirtschaftliche Entwicklung hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Nachdem schon in den Jahren 1956/57 in fast allen Mitgliedsländern des RGW die langfristigen Wirtschaftspläne abgebrochen werden mußten, wiederholte sich jetzt der gleiche Vorgang.
In der Sowjetunion konnten bei wichtigen Erzeugnisgruppen nicht einmal die Produktionsziffern des Jahres 1960 erreicht werden. Die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität lag mit einem Durchschnitt von 4 v. H. weit unter den Ansätzen des Siebenjahresplans, und die Berichte Chruschtschows zur Entwicklung der Landwirtschaft wiesen die Schwierigkeiten und Mißerfolge in der agrarischen Produktion aus. Die in der Prawda unter dem 4. Juli 1963 veröffentlichten Vorschläge Chruschtschows über die Grundsätze und die Richtung bei der Ausarbeitung der Volkswirtschaftspläne 1964 und 1965 liefen auf eine weitgehende Umorientierung der Wirtschaftspolitik hinaus
In der CSSR war das wirtschaftliche Dilemma bereits darin sichtbar geworden, daß der 1961 gestartete Fünfjahresplan abgebrochen und für 1963 ein Plan mit reduzierten Zielen eingeschoben worden war. So standen auf dem XII. Parteitag der KPC die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Probleme im Mittelpunkt. Novotny mußte über beträchtliche Verluste im Außenhandel, Disproportionen bei der Entwicklung der Volkswirtschaft und vor allem über Rückschläge in der pflanzlichen und tierischen Produktion berichten
Auf dem V. Kongreß der polnischen Gewerkschaften im November 1962 gab Gomulka offen zu, daß angesichts der mißlichen Lage Polens eine Revision des Planes unumgänglich die falsche sei. Als Ursachen hierfür nannte er Struktur des polnischen Außenhandels, die schleppende Durchführung der Investitionsvorhaben und die mangelhaften Leistungen der Landwirtschaft
In gleicher Weise wurde in Bulgarien, Rumänien und Ungarn über Schwierigkeiten in der Landwirtschaft berichtet
In der Sowjetzone wurde im Frühjahr 1962 der Siebenjahresplan abgebrochen. Damit wurde das auf dem V. SED-Parteitag 1958 lautstark verkündete Ziel, im Rahmen der so-genannten ökonomischen Hauptaufgabe Westdeutschland einzuholen und zu überholen, aufgegeben
Versuch der Erhöhung der Autorität des RGW Schaffung einer und Superplanbehörde Unter dem Eindruck der negativen Bilanz leiteten die Sowjets im Sommer 1962 eine neue Phase ihrer Integrationspolitik ein. Die entsprechenden Beschlüsse wurden im Juni auf der Konferenz der Kommunistischen und Arbeiterparteien der Länder des RGW gefaßt. Der wichtigste Beschluß der Moskauer Konfe -renz vom Juni 1962 betrifft die „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung". Der Beschluß gliedert sich in sieben Hauptpunkte, in denen nicht nur die ideologischen Grundlagen der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit fixiert werden (siehe Kap. I, S. 7), sondern auch der Versuch gemacht wird, Klarheit über die Hauptfragen, Richtung und Methodik der Integrationspolitik zu schaffen.
Des weiteren unternahmen die Sowjets, entsprechend ihrer Denkweise, den Versuch, mit Hilfe einer strafferen Organisation und eines besser ausgebauten Apparates die Probleme der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu meistern. Am 7. Juni 1962 — parallel mit der Moskauer Konferenz der kommunistischen Parteien — fand die XVI. Tagung des RGW statt. Dem Beschluß der Parteikonferenz entsprechend, „die Rolle, Autorität und Verantwortung des RGW und all seiner Organe zu erhöhen", wurden folgende neue Organe des Comecon geschaffen: 1. Exekutivkomitee, 2. Ständige Kommission für Standardisierung, 3. Ständige Kommission für Koordinierung der wirtschaftlichen und technischen Forschungen, 4. Ständige Kommission für Statistik, 5. Büro für zusammenfassende Fragen der Wirtschaftsplanung.
Gleichzeitig wurde die Mongolische Volksrepublik als Mitglied in den RGW ausgenommen. 5. Unterschiedliche Integrationsvorstellungen — Auflockerungs-und Desintegrationserscheinungen (1963— 1968)
Die Sowjets konnten ihre Intentionen nicht verwirklichen — im Gegenteil: Die Auflockerungs-und Desintegrationserscheinungen begannen sich zu verstärken, und die bisher im RGW latent vorhandenen Gegensätze traten nunmehr offen hervor. Als Gründe hierfür lassen sich die folgenden anführen: a) Auf dem Hintergrund des sich verschärfenden sowjetisch-chinesischen Gegensatzes konnten sich die Volksdemokratien teilweise von ihrer Satellitenrolle freimachen und ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit gewinnen, b) In die gleiche Richtung wirkten der Prozeß der Entstalinisierung und die allgemeine Änderung des politischen Klimas. c) Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Krisenerscheinungen in der Sowjetunion sowie im gesamten Ostblock engten die Handlungsfähigkeit der Sowjetunion ein und legten eine Umorientierung der Wirtschaftspolitik nahe. d) Schließlich wird in diesem Zusammenhang der Beginn der Reformierung des Wirtschaftssystems zu erwähnen sein, der ebenfalls andere Integrationsvorstellungen begünstigte.
Die chinesische Kritik und die Aufkündigung der Mitarbeit durch Albanien Mitte Dezember 1961 fand die XV. Ratstagung in Warschau statt. Es war die erste nach dem XX. Parteitag der KPdSU und der Verabschiedung des neuen Programms der KPdSU. Unter den Mitgliedern des Rates fehlte Albanien und unter den Beobachtern Rotchina. Auch an den späteren Ratstagungen sind beide Staaten nicht mehr erschienen. Damit wurde deutlich, daß die politisch-ideologischen Gegensätze im kommunistischen Lager nun auch auf die wirtschaftlichen Beziehungen Übergriffen. Der albanische Vertreter im Sekretariat des RGW wurde zurückgezogen, und Albanien stellte die Zahlung der Mitgliedsbeiträge zur Organisation ein. Chinesische Vertreter nahmen auch nach 1961 zunächst noch verschiedentlich als Beobachter an den Beratungen der Ständigen Fachkommissionen teil, jedoch endete diese Form der Teilnahme an der Arbeit des RGW mit der weiteren Verschärfung des Konfliktes. Unter dem 30. März 1963 veröffentlichte das ZK der KPCh einen Offenen Brief, in dem die chinesischen Kommunisten ihre Meinungsverschiedenheiten mit den sowjetischen Kommunisten darlegten
„Die Sache des Aufbaus eines jeden sozialistischen Landes sollte sich in der Hauptsache auf die eigenen Kräfte stützen. .. .
Jedes sozialistische Land muß in erster Linie entsprechend der konkreten Lage und gestützt auf die fleißige Arbeit und die Weisheit des eigenen Volkes umfassend und planmäßig alle nutzbaren Ressourcen des eigenen Landes nutzen, alle Reserven für den Aufbau des Sozialismus im eigenen Lande aufdecken, erst dann kann es erfolgreich den Sozialismus aufbauen. Es ist völlig notwendig, daß die sozialistischen Länder in ökonomischer Hinsicht sich gegenseitig helfen, zusammenarbeiten und sich gegenseitig ergänzen. Diese ökonomische Zusammenarbeit muß auf der Grundlage der Prinzipien der völligen Gleichberechtigung, des gegenseitigen Nutzens und der kameradschaftlichen gegenseitigen Hilfe errichtet werden.
Wenn man diese grundlegenden Prinzipien leugnet und im Namen der Internationalen Arbeitsteilung'und Spezialisierung’ scheinheilig seinen eigenen Willen anderen aufzwingt, die Unabhängigkeit und Souveränität anderer Bruderländer schädigt, die Interessen der Völker anderer Bruderländer schädigt, dann ist das Großmachtchauvinismus."
Nach der Intervention der Sowjets urd ihrer vier Verbündeten in der Tschechoslowakei erneuerten die Chinesen ihre Angriffe auf das sowjetische Bündnissystem. Im September 1968 kündigte Albanien als Reaktion auf das sowjetische Vorgehen in der Tschechoslowakei unter dem Beifall Pekings seine Mitgliedschaft im Warschauer Pakt auf, und mit dem Besuch einer chinesischen Partei-und Militär-delegation vom 27. November bis 3. Dezember 1968 in Albanien unterstrich Peking demonstrativ sein in Albanien eingegangenes Engagement
Unter Mißbrauch des Warschauer Vertrages nimmt die sowjetrevisionistische Renegatenclique die Kräfte der nationalen Verteidigung der anderen Signatarstaaten in ihre Hände, stationiert in diesen Ländern nach Belieben ihre Streitkräfte und unternimmt willkürlich Militärmanöver. Vor kurzem hat sich die sowjetrevisionistische Renegatenclique sogar dazu verstiegen, unter den Fahnen des War-schauer Vertrages eine Bande ihrer Vasallen zusammenzutrommeln und gegen die Tschechoslowakei eine bewaffnete Aggression und militärische Besetzung zu unternehmen.
Das hat Breshnew, Kossygin und Konsorten den Schleier von ihrem Internationalismus, von ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit heruntergerissen und die abscheuliche sozial-imperialistische Fratze des Sowjetrevisionismus, der dem Dschungelgesetz folgt, gründlich ans Tageslicht gebracht. Diese blutige Tatsache zeigt, daß die Staatssouveränität und territoriale Integrität der Mitgliedsstaaten des War-schauer Vertrages nicht im geringsten garantiert ist. Die Teilnahme an dem Warschauer Vertrag bedeutet in der Tat, sich selbst in die tragische Stellung zu begeben, von dem Sowjetrevisionismus willkürlich behandelt und abgeschlachtet zu werden.
Wie allen bekannt, war der Zar in der Zeit des imperialistischen Rußlands der Gendarm Europas, heute ist die sowjetrevisionistische Renegatenclique der größte Kolonialherrscher und der größte Ausbeuter der osteuropäischen Völker, der neue Zar, der den osteuropäischen Völkern im Nacken sitzt."
Der Widerspruch Rumäniens Auf dem Hintergrund des sowjetisch-chinesischen Konflikts waren es vor allem die Rumänen, die jetzt eine Möglichkeit sahen, ein gewisses Maß nationaler Souveränität und außenpolitischer Bewegungsfreiheit zu erlangen. Sie fürchteten, bei Verwirklichung der Vorstellungen Chruschtschows zu fortgesetzter ökonomischer Rückständigkeit verurteilt zu sein.
Am 27. April 1964 begründete das ZK der kommunistischen Partei Rumäniens seine Ablehnung der geltenden Linie der RGW-Politik in einer Grundsatzerklärung mit folgenden Argumenten: a) Die Schaffung eines einheitlichen Planungsorgans verstößt gegen die Souveränität der Länder. Das Comeconstatut sichert den Teilnehmern aber ausdrücklich volle Souveränität zu.
b) Jedes Land braucht eine eigene Schwerindustrie, um den Sozialismus aufzubauen. Gegen dieses Grundgesetz kann das Kriterium der Rentabilität nicht geltend gemacht werden. c) Der Comecon ist nicht umfassend genug; er sollte alle Länder aufnehmen, die sich vom Kapitalismus getrennt haben. d) Die sozialistische Arbeitsteilung sollte nicht zu einer Isolierung von der Weltwirtschaft führen, vielmehr auch den Handel mit der westlichen Welt fördern
Diesen Erklärungen ließen die Rumänen sehr schnell konkrete politische Schritte folgen. 1965 zog der rumänische Parteichef Ceausescu den ständigen Vertreter bei der östlichen Wirtschaftsorganisation, Birladeanu, zurück. Sein Nachfolger wurde der stellvertretende Ministerpräsident Radulescu, der später, insbesondere 1967 und 1968, wiederholt mit öffentlichen Attacken gegen die sowjetischen Pläne eines Umbaus des Comecon zu einer supranationalen Planungsbehörde hervortrat.
Um ihre verhältnismäßig wenig entwickelte Industrie weiter ausbauen zu können und nicht durch die RGW-Konzeption größtmöglicher Rationalität der Produktion hieran gehindert zu werden, vollzogen sie des weiteren eine deutliche Kehrtwendung in ihrer Wirtschaftspolitik: Rumänien begann, seinen Handel mit den westlichen Industriestaaten kräftig auszubauen.
Die Wirtschaftsreiorm und die kommunistische Integrationspolitik Im Herbst 1962 veröffentlichte der sowjetrussische Nationalökonom, Prof. Liberman, in der Prawda seinen berühmt gewordenen Artikel „Plan — Gewinn — Prämie". Mit der Veröffentlichung dieses Artikels, richtiger wohl mit der Zulassung der Veröffentlichung durch die oberste Parteiführung, wurde der schon lange unterschwellig vorhandenen Unzufriedenheit mit den Mängeln des Wirtschaftssystems ein Ventil geschaffen und die öffentliche Diskussion über die Wirtschaftsreform im gesamten Sowjetblock eingeleitet. Einheitliches Ziel aller Reformbestrebungen war und ist es, die Methoden der Planung und Leitung der Wirtschaft zu verbessern, das aus der Stalinschen Ära überkommene Wirtschaftssystem zu modernisieren und leistungsfähiger zu machen.
Sehr schnell aber zeigte sich, daß die Wirtschaftsreform von den dahinterliegenden ideologischen und gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen nicht zu trennen war, so daß tief-gehende Differenzen in bezug auf die einzuschlagenden Wege, das anzuwendende Instrumentarium und die weiteren Zielsetzungen der Reform zutage treten mußten.
Praktisch lassen sich heute — eine gewisse Vereinfachung und Vergröberung in Kauf genommen — zwei Gruppen bzw. zwei Richtungen der Reform unterscheiden, und zwar eine als reformfreudig und eine als konservativ zu bezeichnende.
Die erste Gruppe, zu der man außer Jugoslawien als konsequentesten Vertreter die Tschechoslowakei bis zu ihrer Okkupation im Sommer 1968 und vor allem auch Ungarn zählen muß, ist bestrebt, das wirtschaftliche Instrumentarium grundlegend umzugestalten und sich konsequent vom hemmenden ideologischen Ballast zu befreien. Will man das gesamtwirtschaftliche Niveau anheben, so kommt es nach Auffassung der Wirtschaftstheoretiker und -Politiker dieser Richtung in entscheidendem Maße darauf an, die Eigenverantwortung der Betriebe zu erhöhen. Dies wiederum setzt voraus, die Planung auf bestimmte volkswirtschaftliche Grundsätze und Grundrichtungen zu beschränken, die Betriebe aber nicht durch ein ins uferlose gehendes Kennziffer-system zu gängeln und in ihrer Eigeninitiative zu lähmen. Konsequent setzen die Vertreter dieser Reformvorstellungen den Hebel an der entscheidenden und schwächsten Stelle des überkommenen Wirtschaftssystems, dem Preissystem, an. Sie sehen es als unabdingbare Voraussetzung an, die bestehenden Verzerrungen im Preissystem zu beseitigen und Preise in tunlichst allen Bereichen und Ebenen des wirtschaftlichen Kreislaufs einzuführen, die die Kostenfaktoren und das Marktgeschehen tatsächlich widerspiegeln. Unverkennbar wird hier die Bestrebung nach dem Einbau marktwirtschaftlicher Elemente in das kommunistische Planungssystem, so daß hierfür der Begriff der „sozialistischen Marktwirtschaft" geprägt wurde
Dieser Gruppe steht nun eine andere gegenüber, als deren führende Vertreter die Sowjetunion und in ihrem Gefolge die DDR auftreten. Die Reform des Wirtschaftssystems mit bestimmten politisch-ideologischen Grundvorstellungen kombinierend, beschränken sich die Versuche der Reformierung des Wirtschaftssystems bei dieser Gruppe darauf, den Betrieben bzw. Betriebsvereinigungen ein gewisses Maß streng kontrollierter Selbständigkeit ein-zuräumen, vor allem aber das System der zentralen Planung und Kennziffervergabe zu verbessern. Dies wiederum soll mit Hilfe der modernen Rechentechnik und des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung geschehen. Deutlich ist hier das starre Festhalten am marxistisch-leninistischen Dogma von der Möglichkeit der planmäßigen Steuerung der Wirtschaft und der Gesamtleitung des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses und damit wiederum zusammenhängend die Sicherung des uneingeschränkten Führungsanspruches der Partei erkennbar
Wie kaum anders zu erwarten, wirkten sich die Versuche der Wirtschaftsreform auch auf die internationale Zusammenarbeit und die Tätigkeit des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe aus. Wie über die Fragen der Gestaltung des Wirtschaftssystems, so mußten auch hier unterschiedliche Auffassungen über die Gestaltung der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen entstehen. Während die konservativen Vertreter den Akzent auf die Koordinierung der Volkswirtschaftspläne und insbesondere die Abstimmung der Produktions-und Investitionspläne legen, glauben die Vertreter der reformfreudigen Richtung, den Integrationsprozeß vor allem mit „ökonomischen" Mitteln vorantreiben zu können. Sie wollen vor allem durch Konvertierbarkeit der Währungen, marktwirtschaftliche Regelung der Preisverhältnisse und Entbürokratisierung des Außenhandels die außenwirtschaftlichen Beziehungen verbessern und so die hier bestehenden Schwierigkeiten und Hemmnisse überwinden.
Kontakte zur EWG und zum GATT Etwa bis zum Jahre 1962/63 waren die Sowjets in der Lage gewesen, im Comecon die EWG diskriminierende Beschlüsse durchzuset-zen und die übrigen Partner der Organisation auf eine entsprechende Politik zu verpflichten. Auf der VIII. Warschauer Ratstagung im Juni 1957 erstattete der Delegierte der DDR — zweifelsfrei auf Initiative der Sowjetunion — einen Bericht über die westeuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, das Euratom-projekt und die Gründung der EWG. Ziel dieser Berichterstattung war ein Beschluß, durch den alle Teilnehmer des RGW verpflichtet wurden, in keiner Form bei diesen westlichen Zusammenschlüssen mitzuarbeiten, „da es sich um rein imperialistische Organisationen handeln würde"
Mit dem sowjetisch-chinesischen Konflikt, den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten im sozialistischen Lager, den Unzulänglichkeiten der zentralen staatlichen Planung und den Mißerfolgen des kommunistischen Integrationsprozesses, vor allem aber unter dem Eindruck der Erfolge der westeuropäischen Integration änderte sich das Bild. Ein erstes Symptom hierfür bildete eine Geheimkonferenz führender Funktionäre kommunistischer Parteien der EWG-Länder, die im März 1963 in Brüssel stattfand. Zwar wiederholten die Teilnehmer die bereits bekannten Angriffe gegen den Gemeinsamen Markt. Gleichzeitig aber befürworteten sie einen Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen der EWG und der östlichen Wirtschaftsorganisation RGW.
Im Frühjahr 1964 fanden auf der damals tagenden Welthandelskonferenz in Genf erstmals Gespräche zwischen den Rumänen und Vertretern der EWG statt. Weitere interessante Ausführungen über die Haltung Rumäniens zum Gemeinsamen Markt machte der rumänische Ministerpräsident Maurer anläßlich seines Besuchs in Österreich im November 1965. Maurer bekundete sein Interesse an der EWG und betonte auch das Interesse Rumäniens am Aufbau und den Funktionen der Efta und für seine Mitgliedschaft im GATT.
Im Sommer 1964 begannen auch autorisierte polnische Vertreter, in Brüssel bei der EWG vorzufühlen und die Frage der diplomatischen Anerkennung der EWG durch Polen zu untersuchen. Zu ernsten Meinungsverschiedenheiten im RGW über die Frage der Kontakte zur EWG und zu anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen im Westen kam es dann auf der Tagung des Exekutivkomitees im Februar 1967 in Moskau. Offenbar gegen den Wunsch der Sowjets und vor allem der DDR konnten sich hier diejenigen Mitglieder der Organisation durchsetzen, die derartige Kontakte bejahen, so daß dem Kommunique nach Vorschläge des RGW-Exekutivkomitees zur Herstellung von Kontakten zu westlichen Wirtschaftsorganisationen gebilligt wurden
Nicht zuletzt unter dem Einfluß des tschechoslowakischen Reformprozesses verstärkten sich mit Beginn des Jahres 1968 die Bemühungen verschiedener RGW-Staaten, in Kontakt mit der EWG zu kommen und sich mit der Gemeinschaft zu arrangieren. Während Moskau und vor allem Ost-Berlin nach wie vor in ihrer ablehnenden Haltung beharrten und auf verschiedenen Konferenzen und in mehreren wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen die Nachteile und Gefahren derartiger Kontakte zu beweisen suchten, begannen nun auch die Ungarn, ihr Interesse an der EWG zu bekunden
Den Bemühungen verschiedener Mitglieder des Comecon, sich mit der EWG zu arrangieren, kamen die Bestrebungen auf westlicher Seite entgegen, den Osthandel auszuweiten, wobei hier nicht nur ökonomische, sondern auch politische Interessen im Spiele waren und sind
Während die Politik Moskaus und seines OstBerliner Verbündeten die sich anbahnenden Verbindungen zwischen Mitgliedern des Comecon und der EWG zu stören und, wenn möglich, zu verhindern trachtete, verfolgte man dem GATT
Zunehmende Gegensätze im RGW — der Streit um die Preise Von 1966 bis 1968 fanden die nachfolgenden Tagungen und Konferenzen der Führungsgremien der östlichen Wirtschaftsorganisation statt:
1. Konferenz über Fragen der internationalen Kooperation und Spezialisierung unter Teilnahme der Mitglieder des RGW und Jugoslawiens im Mai 1966 in Budapest, 2. Beratung der Führer der Kommunistischen und Arbeiterpartei und der Regierungschefs der Mitgliedsländer des RGW am 7. Juli 1966 in Bukarest, 3. Die XX. Ratstagung vom 8. — 10. Dezember 1966 in Sofia und die XXI. Ratstagung vom 12. — 15. Dezember 1967 in Budapest, 4. die regelmäßigen etwa zweimonatigen Tagungen des Exekutivkomitees (37. Tagung im November 1968 in Moskau).
Außer der härter werdenden Kritik an den Leistungen der Organisation und den Ergebnissen der sozialistischen Arbeitsteilung sowie den Bestrebungen, sich mit westlichen Wirtschaftsorganisationen zu arrangieren, traten dabei die folgenden Beratungsthemen hervor: erstens das Bemühen, Jugoslawien enger an den Comecon zu binden; zweitens die Fragen der Preisgestaltung, Währungen und Verrechnung. Mit besonderer Schärfe traten die Differenzen in den Fragen der Preisgestaltung und die damit zusammenhängenden Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik, insbesondere der Investitions-und Außenhandelspolitik auf der Beratung der Partei-und Regierungschefs der RGW-Länder im Juli 1966 in Bukarest hervor. Deutlicher als vorher meldete die Sowjetunion hier ihre Forderung an, daß sich die übrigen
Partner an den Kosten für die Erschließung neuer sowjetischer Rohstoffquellen zu beteiligen und höhere Preise für die sowjetischen Rohstofflieferungen zu bezahlen hätten. Diese Forderung begründeten die Sowjets vor allem damit, daß sie nach eigenen Angaben rund 70 v. H.des Rohstoffbedarfs der übrigen Partner decken würden, diese Rohstoffe jedoch im Hinblick auf ihre wachsende industrielle Produktion in zunehmendem Maße selbst benötigten und daher neue Kapazitäten für die Dekkung des Rohstoffbedarfs geschaffen werden müßten. Die Sowjetunion unterstützte diese Forderung weiterhin mit dem Hinweis darauf, daß die sozialistischen Partnerländer billige Rohstoffe aus der Sowjetunion importierten, andererseits jedoch bemüht seien, ihre daraus hergestellten hochwertigen Fertigerzeugnisse gegen harte Währung in den Westen zu exportieren. So seien es dann nicht die industriell entwickelten Partnerländer des RGW, sondern die Sowjetunion und die übrigen Rohstoffe exportierenden Länder der Gemeinschaft, die bei diesem Geschäft übervorteilt würden
Die Bemühungen der Sowjetunion, die anderen Mitglieder des RGW am Ausbau der sowjetischen Roh-und Grundstoffindustrie zu beteiligen, waren weder neu, noch blieben sie ohne Erfolg. Sieht man hier einmal von der ersten Phase der Demontage und der Reparationsleistungen ab, so datieren die ersten Berichte über der Sowjetunion gewährte Kredite dieser Art aus dem Jahre 1957. Damals gaben die Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen und die DDR der Sowjetunion einen Kredit zur Erschließung ihrer Phosphatvorkommen bei Kingisepp; außerdem gaben die Tschechoslowakei und Polen Kredite zur Erschließung neuer Kupfererzvorkommen. 1966 und 1967 erhielt die Sowjetunion größere Kredite in Form von Maschinenlieferungen von der CSSR und der DDR zur Erschließung von Olfeidern. Diese Kredite sollen in den siebziger Jahren durch zusätzliche Erdöllieferungen zu Vorzugspreisen zurückgezahlt werden, über das Olabkommen zwischen der UdSSR und der DDR sind keine näheren Angaben gemacht worden. Jedoch wird man unterstellen dürfen, daß es demjenigen mit der Tschechoslowakei ähnelt. Die CSSR liefert dem Abkommen nach für 350 Mill. Rubel Maschinen und Ausrüstung, für 80 Mill. Rubel Material und für 70 Mill. Rubel Konsumgüter an die UdSSR. Die Sowjetunion zahlt diesen Kredit in Höhe von 500 Mill. Rubel oder umgerechnet 2, 22 Milliarden DM in den Jahren 1971 bis 1980 durch zusätzliche Lieferung von 60 Mill, to Erdöl zurück.
Aber auch die anderen sozialistischen Länder, die nicht in der Lage sind, sich durch Kreditvergabe an der Erschließung der sowjetischen Rohstoffvorkommen zu beteiligen, sollen ihren Beitrag leisten. Ein Beispiel dafür bildet der im September 1968 abgeschlossene bulgarisch-sowjetische Vertrag. Er sieht vor, daß bulgarische Arbeitskräfte in neu zu errichtenden hütten-, Zellulose-und holzverarbeitenden Betrieben in der Sowjetunion beschäftigt werden mit der Maßgabe, daß die Produktion dieser Betriebe zusätzlich nach Bulgarien exportiert wird. In Kosljan und
Aber auch die anderen sozialistischen Länder, die nicht in der Lage sind, sich durch Kreditvergabe an der Erschließung der sowjetischen Rohstoffvorkommen zu beteiligen, sollen ihren Beitrag leisten. Ein Beispiel dafür bildet der im September 1968 abgeschlossene bulgarisch-sowjetische Vertrag. Er sieht vor, daß bulgarische Arbeitskräfte in neu zu errichtenden hütten-, Zellulose-und holzverarbeitenden Betrieben in der Sowjetunion beschäftigt werden mit der Maßgabe, daß die Produktion dieser Betriebe zusätzlich nach Bulgarien exportiert wird. In Kosljan und in Ertjuk sollen bis Ende 1969 zwei geschlossene bulgarische Siedlungen entstehen; die 3000 bulgarischen Arbeitskräfte sollen ihre Familien nachkommen lassen können. Der Vereinbarung nach sollte die erste Ausbaustufe dieser Siedlungen bis Ende 1968 fertiggestellt werden. Die Arbeit in den sibirischen Tannen-, Fichten-und Zedernwäldern war für Anfang Juli 1968 vorgesehen, und Anfang Oktober sollte mit dem Holzexport nach Bulgarien begonnen werden.
Mit der sowjetischen Forderung auf Erhöhung der Preise für ihre Rohstofflieferungen wird gleichzeitig noch ein anderes Problem berührt. Von Kennern der Materie wird vielfach die Meinung vertreten, daß die eigentliche Quelle der Unzufriedenheit mit der Preisgestaltung im Intrablockhandel in der von der Sowjetunion geübten Preisdiskriminierung der anderen Partner zu suchen sei. Diese Preisdiskriminierung bestehe darin, daß die Sowjetunion für die von ihr gelieferten Waren den anderen sozialistischen Partnerländern höhere Preise abfordert, als sie für dieselben Waren im westlichen Ausland zu bezahlen hätten, und daß andererseits die sozialistischen Länder für die von ihnen an die Sowjetunion gelieferten Waren niedrigere Preise erhielten, als sie im Westen erzielen könnten 59).
Diese Auffassung ist sicher bis zu einem gewissen Grade berechtigt, insbesondere wenn man die mindere Qualität der im Intrablockhandel gelieferten sowjetischen Waren mit berücksichtigt und sich der Kritik besonders in den Tagen einer freieren Meinungsäußerung in der Tschechoslowakei erinnert.
Aber in Wahrheit liegen die Dinge wohl noch etwas komplizierter. Es ist davon auszugehen, daß die Sowjetunion an die übrigen Partnerländer des RGW in erster Linie Rohstoffe und Halbfertigwaren liefert, von diesen aber industrielle Fertigwaren und Konsumgüter bezieht. Zwar ist die Sowjetunion in der letzten Zeit bestrebt gewesen, die Warenstruktur ihres Außenhandels zu verbessern und den Anteil von Fertigerzeugnissen besonders im Maschinensektor zu erhöhen, jedoch hat sich dadurch wenigstens bisher an dem geschilderten Sachverhalt nichts Grundlegendes geändert. Die Ursachen liegen nicht zuletzt darin, daß die von der Sowjetunion angebotenen Maschinen den Bedürfnissen der RGW-Partner vielfach nicht entsprechen, andererseits die von diesen gewünschten Erzeugnisse wie z. B. Datenverarbeitungsmaschinen und numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen aus der sowjetischen Produktion für den Export nicht genügend zur Verfügung stehen. Nun kommt hinzu, daß die Preise, die die Sowjetunion für ihre Rohstoffexporte im RGW-Raum erzielt, zwar höher liegen als im Westen, gemessen an den Preisen aber, die für Maschinen und sonstige industrielle Fertigerzeugnisse innerhalb des sozialistischen Lagers gezahlt werden, als verhältnismäßig niedrig anzusehen sind. Nach Angaben des ungarischen Nationalökonomen Dr. Sandor Ausch, der als Experte für diese Preis-und Finanzprobleme gilt, liegen die Preise im Intrablockhandel für Rohstoffe um 10 v. H., für Maschinen dagegen um 30 v. H. höher als die vergleichbaren Weltmarktpreise 60). Hier liegt dann der Grund, daß die Rohstoffe exportierenden Länder des RGW mit der Sowjetunion an der Spitze versuchen, die Preisrelationen zwischen Rohstoffen und Maschinen für sich günstiger zu gestalten und mit Händen und Füßen gegen eine freie Preisgestaltung bzw. uneingeschränkte Koppelung der Preise an den Weltmarkt kämpfen.
IV. Bilanz zwanzigjähriger Tätigkeit des RGW
1. Die XXII. Ratstagung und die XXIII. außerordentliche Ratstagung Vom 21. — 23. Januar 1969 fand in Ost-Berlin die XXII. Tagung des RGW statt. Es war mehr als nur ein routinemäßiger Wechsel des Tagungsortes, daß man für die Jubiläumssitzung Ost-Berlin gewählt hatte. Die Absichten, die die sowjetische Seite mit diesem Schritt verfolgte, waren leicht zu durchschauen. Erstens dürfte ihnen daran gelegen haben, die SED-Führung mit der Wahl des Tagungsortes für ihre vorbehaltslose Unterstützung der sowjetischen Politik besonders in der kritischen Phase des Jahres 1968 auszuzeichnen und gleichzeitig die gewachsene politische und wirtschaftliche Bedeutung der DDR innerhalb des sozialistischen Lagers zu unterstreichen. Zweitens aber ging es sicher darum zu betonen, daß die Sowjetunion die DDR als festen, unveräußerlichen Bestandteil des sowjetkommunistischen Herrschaftsbereiches betrachtet.
Wie kaum anders zu erwarten, wiederholte der Sekretär des RGW, Faddejew, in seiner Festansprache die Thesen der kommunistischen Propaganda, den Unterschied zwischen RGW und EWG betreffend, schilderte die bisherigen Leistungen der Organisation und die Ergebnisse zwanzigjähriger internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit und betonte, daß der RGW eine offene Organisation sei und alle Länder, die bereit seien, die Statuten anzuerkennen, in der Organisation mitarbeiten könnten. Unüberhörbar war hier die Aufforderung an andere Länder, sich dem RGW anzuschließen, wozu besonders auch der Hinweis auf die im Falle Jugoslawiens gewählte Form der Assoziierung diente.
In bezug auf die Struktur und die Methoden der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurden auf der Berliner Tagung keine grundlegenden Beschlüsse gefaßt. So ist auch nicht erkennbar, daß — was mancherorts erwartet worden war — Moskau auf eine Straffung der Organisation hingearbeitet und die 1962 gescheiterte Politik des Ausbaus des RGW zu einer supranationalen Planungsbehörde wieder ausgenommen hätte. Eher lassen der Wortlaut des Kommuniques
Es war sicher kein Zufall, daß die Rumänen am Eröffnungstage der Konferenz, an der auch der rumänische Partei-und Regierungschef Ceausescu teilnahm, ihre dahin gehenden Auffassungen nochmals bekräftigten. Man wußte in Bukarest sehr wohl, daß auf dem Moskauer Treffen die Fragen einer weiteren wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Neuformulierung der Integrationspolitik eines der zentralen Themen bilden würden, und man kennt die Moskauer Tendenz, die kleineren Mitglieder der Gemeinschaft enger an den RGW zu binden, die Organisation selbst zu straffen und durch stärkere wirtschaftliche Verflechtung dem unliebsamen Westdrall einzelner Partner und den damit zusammenhängenden politisch-ideologischen Folgeerscheinungen entgegenzuwirken. Wenn Moskau dennoch auf die Durchsetzung einer derartigen Politik verzichtete und auf dieser Gipfelkonferenz offenbar keine Beschlüsse grundlegenden Charakters gefaßt wurden, so sicher deshalb, weil der Führung im Kreml im besonderen an der einstimmigen Annahme der Beschlüsse und der Verabschiedung eines entsprechenden Kommuniques gelegen war. Die Gründe hierfür liegen in der bevorstehenden kommunistischen Weltkonferenz, wo es der KPdSU darauf ankommen muß, zusätzlichen Streit im eigenen Lager unter allen Umständen zu vermeiden. 2. Die Ergebnisse kommunistischer Wirtschaftsintegration — Propaganda und Wirklichkeit
Der Sekretär des RGW versuchte in seiner Festansprache auf der Ost-Berliner Jubiläums-tagung die Leistungen des RGW und die Ergebnisse der internationalen Arbeitsteilung nach sowjetrussischen Plänen mit den folgenden Ausführungen und statistischen Angaben zu beweisen: „Die Mitgliedsländer des RGW, deren Bevölkerung 10 °/o der Weltbevölkerung ausmacht und deren Territorium 18 °/o der gesamten Erdoberfläche bedeckt, erbringen gegenwärtig 31 % der Industrieproduktion der Welt insgesamt. 1950 — 1968 vergrößerte sich der Umfang der Industrieproduktion der Mitgliedsländer des RGW zusammengenommen auf das 5, 9fache, während der Umfang der Industrieproduktion in den kapitalistischen Ländern der Welt auf das 2, 6fache stieg.
Die bei der Plankoordinierung erzielten Ergebnisse haben ihren Ausdruck darin gefunden, daß der Umfang des gegenseitigen Warenumsatzes in den Jahren 1966 bis 1970 entsprechend den Handelsabkommen ca. 140 Mrd. Rubel betragen, das heißt, sich um 40 bis 42 Prozent gegenüber dem 1961 bis 1965 erreichten Warenumsatz erhöhen wird.
In der Struktur des gegenseitigen Handels der RGW-Länder haben sich in den vergangenen Jahren radikale Veränderungen vollzogen, die durch Veränderungen in der Struktur der nationalen Wirtschaft im Ergebnis ihrer Industrialisierung hervorgerufen worden sind. Der Anteil der Maschinenbauerzeugnisse am gegenseitigen Handel ist gestiegen. So exportierte zum Beispiel Bulgarien 1950 überhaupt keine Maschinen und Ausrüstungen, während 1967 der Anteil dieser Erzeugnisse am gegenseitigen Handel Bulgariens mit den RGW-Ländern 31, 7 Prozent erreichte; in Rumänien stieg der Anteil in diesem Zeitraum von 4, 7 auf 25, 1 Prozent, in Polen von 13, 6 auf 49, 3 Prozent und in Ungarn von 32 auf 42, 1 Prozent. Diese Zahlen zeugen davon, daß der Anteil von Maschinen und Ausrüstungen besonders stark am Export der Länder gewachsen ist, die in der Vergangenheit industriell weniger entwickelt waren.
Die Fragen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und des Austausches fortgeschrittener Produktionserfahrungen standen seit den ersten Tagen der Gründung des RGW im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit.
Gegenwärtig erfolgt entsprechend dem zusammenfassenden Plan für die Koordinierung der wissenschaftlichen und technischen Forschungen für 1966— 1970 die Koordinierung von wissenschaftlichen und technischen Forschungen zu 50 Problemen, die 185 wissenschaftliche Forschungsthemen beinhalten. Im Verlauf der Realisierung der Koordinierungspläne werden regelmäßig wissenschaftliche Koordinierungsberatungen durchgeführt.
Augenblicklich werden in den Ratsorganen in Übereinstimmung mit dem Auftrag der XXII. Ratstagung Maßnahmen zur weiteren Vervollkommnung der Zusammenarbeit der Länder auf dem Gebiet der Valuta-und Finanzbeziehungen ausgearbeitet, die sich positiv auf die Entwicklung der gesamten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, darunter auf die Entwicklung ihres gegenseitigen Handels, auswirken sollen."
Diese Beweisführung des RGW-Sekretärs hält einer kritischen Nachprüfung kaum stand. Zwar soll hier nicht bestritten werden, daß die Arbeit des Comecon in den zurückliegenden 20 Jahren auch bestimmte Resultate zeitigte, aber die tatsächlich erzielten Ergebnisse liegen weit hinter den gesteckten Zielen, und der Prozeß wirtschaftlicher Integration verlief weit weniger überzeugend als in der EWG — trotz der auch hier zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten und hemmenden Faktoren.
Was z. B. das Hauptproblem, die internationale Arbeitsteilung, also die Spezialisierung und Abstimmung der Produktion betrifft, so blieb diese auch nach Auffassung sowjetischer Experten im wesentlichen auf die Bereiche der Grundstoffindustrie und einige Teilbereiche der Produktionsgüterindustrie beschränkt. In anderen Bereichen hingegen wie z. B. im Ma-schinenbau, in der Leichtindustrie, in der Chemie und in der Elektrotechnik entwickelte sich die Arbeitsteilung nur unzulänglich, und durch die zentrale Planung und die Schwerfälligkeit des Außenapparates herrschen hier nach wie vor autarkische Tendenzen vor.
Nun wird in diesem Zusammenhang von Seiten interessierter Kreise vor allem die Schaffung der verschiedenen sogenannten internationalen Industriezweigorganisationen und der gemeinsamen Einrichtungen der RGW-Länder als Beispiel für die sich entwickelnde Arbeitsteilung und Zusammenarbeit angeführt. Bei diesen Organisationen und Einrichtungen handelt es sich um die folgenden:
Organisation für die Zusammenarbeit in der Schwarzmetallurgie (Intermetall), Organisation für die Zusammenarbeit der Walzlagerindustrie (OZWI), Zentrale Dispatcherverwaltung der Vereinigten Energiesysteme (ZDV) und Energieverbundsystem „MIR",
Gemeinsamer Güterwagenpark (OPW), Erdölleitung „Freundschaft", Internationale Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ).
Aber auch dieses Argument vermag kaum zu überzeugen. Wohl mit Recht weist der schon erwähnte ungarische Experte Ausch darauf hin, daß eine so geringe Anzahl übernationaler Einrichtungen „zutiefst dem Grad an Zentralisierung widerspricht. Zweifelsfrei wären auf solch einem Entwicklungsstand der Produktiv-kräfte, wie er in den RGW-Mitgliedsländern erreicht wurde, unter kapitalistischen Bedingungen schon eine ganze Reihe internationaler Vereinigungen entstanden"
Vor allem aber ist der Grad der Außenhandels-verflechtung, den man, wenn auch nicht als einzigen, so doch als sehr wesentlichen Maßstab für den Grad der erreichten wirtschaftlichen Integration annehmen kann, vergleichsweise gering, und das gesamte Außenhandelsniveau der RGW-Länder muß als niedrig bezeichnet werden. Dies geht schon daraus hervor, daß von östlicher Seite der Anteil des RGW an der Industrieproduktion der Welt mit 31 v. H., der Anteil am Außenhandel jedoch nur mit 10, 3 v. H. angegeben wird. Hierbei spielt dann die Nichtkonvertierbarkeit der Währungen der RGW-Länder sowie das System der „bereinigten Weltmarktpreise" im Intrablockhandel eine entscheidende Rolle, da diese Faktoren einer reibungslosen Zusammenarbeit als entscheidende ökonomische Hemmnisse im Wege stehen
Solche Beispiele für die Schwerfälligkeit der Administration in den sozialistischen Ländern ließen sich beliebig vermehren; doch schwerer als dieser Kleinkram wiegt die Tatsache, daß die nationalen Wirtschaften der sozialistischen Länder sich immer stärker auseinanderentwikkeln. Ich hatte ausgiebig Gelegenheit, den Geist der Verhandlungen kennenzulernen. Den Zeitungen nach vollzieht sich die Zusammenarbeit im Geiste traditioneller Freundschaft, was in den Kommuniques über die Tagungen und Konferenzen mit stereotypen Wiederholungen formuliert wird. Aber die Sozialisierung der Wirtschaften hat in Wirklichkeit zu einer Erscheinung geführt, die Marx in seinem Glauben 'an den automatisch funktionierenden proletarischen Internationalismus in Fragen der Wirtschaft nicht voraussehen konnte. Es handelt sich darum, daß wirtschaftliche Gegensätze und Disharmonien, die in dem Entwicklungsprozeß jeder Gesellschaftsordnung ständig und unausweichlich auftreten, in den sozialistischen Nationalstaaten sich auf die nationale Ebene übertragen und die internationale Atmosphäre vergiften. Der Sozialismus, der sich eigentlich die Aufgabe stellt, mit dem Sturz des Kapitalismus eine Epoche der Völkerverbrüderung herbeizuführen, führt selbst zur Entstehung nationaler Gegensätze zwischen den nationalen sozialisierten Wirtschaften."
Bis zu einem gewissen Grade lassen sich die unzureichenden Ergebnisse der sogenannten sozialistischen Wirtschaftsintegration auch dem Wortlaut des Kommuniques der XIII. Außerordentlichen RGW-Tagung entnehmen, wenn es darin heißt: „Die Tagung hat beschlossen, die Ausarbeitung der Hauptrichtungen für die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der RGW-Länder und konkrete Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung für einen längeren Perspektivzeitraum in Angriff zu nehmen. Bei der Ausarbeitung dieser Maßnahmen ist das Hauptaugenmerk insbesondere auf die Vervollkommnung und Vertiefung der Formen und Methoden zur Koordinierung der Volkswirtschaftspläne, einschließlich der Forschungs-und Entwicklungsarbeiten, der Produktion, des Absatzes und der Investitionen, die von gegenseitigem Interesse sind, sowie auf wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Prognosen zu richten. ..."
und „Es wurde vereinbart, mit der Ausarbeitung von Vorschlägen für die weitere Verbesserung der Tätigkeit der RGW-Organe und für die Erhöhung ihrer Rolle bei der Organisierung der Zusammenarbeit zu beginnen".
Damit wurden nicht nur seit Jahren bereits gebrauchte Formulierungen wiederholt, sondern letzten Endes auch erklärt, daß der RGW bei der Lösung dieser an sich selbstverständlichen Aufgaben nach zwanzigjähriger Tätigkeit immer noch nicht sehr weit vorgedrungen ist. 3. Kritik an Mängeln und Mißständen im Comecon Auf der letzten Sitzung des Exekutivkomitees des RGW in Moskau im April 1969
Auch auf ungarischer, tschechoslowakischer und jugoslawischer Seite ist immer wieder das ungelöste Preis-, Währungs-und Verrechnungsproblem im sozialistischen Lager Gegenstand ernster Kritik. So kommentierte Radio Prag am 29. 1. 1969 den Abschluß der 38. Sitzung des Exekutivkomitees in Ost-Berlin wie folgt: . Eine weitere Stufe ist dann bereits die freie Bewegung aller Produktionsfaktoren im Rahmen der Integration. Der RGW war bisher nicht imstande, etwas davon zu verwirklichen. Der Versuch, den konvertiblen Rubel als frei austauschbare Währung einzuführen, mißlang, obwohl der RGW eine multilaterale Organisation ist und zu seinen Gunsten eine Reihe erfolgreicher mehrseitiger Kooperations-und Spezialisierungsabkommen verbuchen kann, tragen die meisten Geschäfte nur bilateralen Charakter. Das bedeutet, daß immer nur zwei der RGW-Staaten sich darüber einigen, was sie gegenseitig eintauschen werden, und daß sie sich bemühen, für jeden festgesetzten Zeitraum die Export-und Importbilanz auszugleichen. Wenn nämlich einer von ihnen mehr exportiert als er importiert, und das sollte in einer normalen Situation das normale Bestreben jedes Unternehmens und jedes Staates sein, bringt es ihm keine Vorteile, sondern im Gegenteil Schwierigkeiten. Die Geldmittel, die er auf diese Weise erhält, bleiben im anderen Staat liegen, und wenn man nichts Brauchbares dafür kaufen kann — und das ist die Regel —, bestehen nur zwei weitere Möglichkeiten: etwas zu kaufen, was man nicht braucht, was aber der Partner in ausreichender Menge besitzt, oder das Geld liegen zu lassen und auf diese Weise einen Teil des Nationaleinkommens zu entwerten,"
In die gleiche Richtung zielten die Äußerungen des ständigen Vertreters Jugoslawiens beim Comecon, Alexander Grlickov. Nach seiner Rückkehr von der 22. Comecon-Tagung in OstBerlin vertrat er in einem Interview in Belgrad die Ansicht, daß der RGW sich auch nach außen öffnen sollte. Grlickov hatte sich außerdem für Handelserleichterungen zwischen den Comeconländern ausgesprochen und empfohlen, weniger bürokratisch vorzugehen. Jugoslawien sei an einer elastischeren, liberaleren und besser umwechselbaren Zahlungsform interessiert. Jugoslawische Kreise in Belgrad deuteten an, daß dieser Vorschlag von den meisten Mitgliedsländern des Comecon unterstützt worden sei, während die Sowjetunion ihn abgelehnt habe
Sehr viel weiter gingen demgegenüber die Tschechoslowaken in ihrer Kritik am RGW und den von diesem geübten Methoden ökonomischer Zusammenarbeit der sozialistischen Länder. Sie beschränkten sich nicht nur darauf, auf das unzureichende und die eigene volkswirtschaftliche Entwicklung hemmende Preis-, Währungs-und Verrechnungssystem hinzuweisen, sondern bezogen auch die Übervorteilung der anderen sozialistischen Länder durch die Sowjetunion in ihre Kritik mit ein.
Dabei verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß diese Feststellungen auf tschechoslowakischer Seite nicht erst in der Zeitspanne nach dem Sturz Novotnys bis zur sowjetrussischen Intervention getroffen wurden, sondern auch bereits früher tschechoslowakische Wirtschaftspolitiker und Publizisten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielten. So brachte Radio Prag am 7. 2. 1966 zur Eröffnung der 21. Tagung des Exekutivkomitees folgenden Wortlaut:
„Wenn wir es erreichen würden, daß das sowjetrussische Erz zwischen 62 und 64 °/o Eisen enthalten wird, könnte dies etwa folgende Effekte zur Folge haben: es würde der Transport von 1 bis 1, 5 Millionen Erz aus Kriwoj Rog in die Tschechoslowakei fortfallen, der Koksverbrauch von heute 800 kg auf eine Tonne Roheisen würde auf 500 kg sinken, der Hochofenraum würde sich um etwa 5000 cbm verringern, also um 3 Hochöfen der ostslowakischen Eisenwerke, der Verbrauch an Kalkstein würde dadurch um 2 Millionen Tonnen geringer, und diese Menge stellt einen großen Kalkbruch dar. Das sind keine Phantasien, das sind Tatsachen, über deren Realisierung man sprechen muß." und Radio Bratislava am 8. 5. 68: „In den lebhaften Diskussionen dieser Tage hören wir nicht gerade schmeichelhafte Absichten hinsichtlich der Regeln und Ergebnisse der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Comecon. So erlangte z. B. Anfang der fünfziger Jahre das Abkommen über die kostenlose Gewährung der Patente und Erfindungen Gültigkeit. Wir hatten in dieser Zeit, ähnlich wie andere industriell entwickelte Staaten des Comecon, ganz umsonst, oder wenn ich genauer sein soll, nur für den Preis der Vervielfältigung der technischen Dokumentation unsere Patente und Erfindungen jenen Staaten, die an ihnen ein Interesse zeigten, übergeben. Es geschah nicht nur einmal, daß dann ein Schweißapparat, den wir vor 10 oder 15 Jahren ins Ausland schickten, an uns im Wege des Außenhandels in die SSR zurückgeschickt wurde. Natürlich war die Ware 15 Jahre alt. . . So hatten wir also unsere Spitzenmaschinen ins Ausland exportiert und erhielten für diese nicht selten Maschinen mit einem fremden Zeichen, aber der tschechoslowakischen Konzeption zurück."
Der zum Kreis von Ota Sik gehörende Wirtschaftswissenschaftler Pravoslav Selucky sagte Anfang März in einer Sendung von Radio Prag: „Es ist ungesund, daß die Tschechoslowakei, obwohl kein echter Bedarf besteht, von der Sowjetunion Ausrüstungen und Maschinen übernehmen muß, die mit dem im Inland errichteten Niveau in keiner Weise konkurrieren können."
Im Gegensatz zu solchen kritischen Äußerungen kommen aus Moskau und Ost-Berlin ganz andere Töne. Hier werden in gewohnter Weise die Leistungen und Erfolge des RGW und der internationalen sozialistischen Zusammenarbeit nach sowjetischem Rezept in den höchsten Tönen gepriesen. So konnte man in der März-Nummer der führenden sowjetischen Wirtschaftszeitschrift „Voprosy ekonomiki" aus der Feder eines der maßgeblichen sowjetischen RGW-Experten, Dudinski, z. B. lesen:
„Das sozialistische Weltsystem und seine ökonomische Basis, die sozialistische Weltwirtschaft, sind neue synthetische Kategorien in der gesellschaftlichen Entwicklung vom Kapitalismus zum Sieg des Kommunismus im Welt-maßstab."
Nun ist es gewiß kein Zufall, daß in Moskau und Ost-Berlin die Leistungen und die Situation im RGW anders als in den übrigen Mitgliedsländern der Organisation beurteilt werden. Von der Tschechoslowakei und ihrer besonderen politischen und wirtschaftlichen Situation nach der Intervention einmal abgesehen, sind die UdSSR und die DDR heute die wirtschaftlich führenden Partner in der Organisation. Beide sind gleichzeitig wirtschaftlich eng miteinander verflochten, wohingegen ihre wirtschaftlichen Bindungen zu den übrigen Partnern als durchaus zweitrangig gewertet werden können. So ist es denn nicht ausgeschlossen, daß Moskau und Ost-Berlin an einer grundlegenden Änderung dieser Verhältnisse nicht unbedingt interessiert sind und auch der Einführung einer anderen Preisbasis sowie der Umstellung auf eine teilkonvertierbare Währung nur zögernd zustimmen, da dies möglicherweise störende Elemente in ihre enge bilaterale Verflechtung hineinbringen könnte
Zusammenfassung
1. Wie die Schöpfer des marxistischen Sozialismus, so glaubten auch die sowjetrussischen Revolutionäre von 1917 noch an die internationale sozialistische Revolution, die Entstehung der internationalen Kommune und die Entwicklung des einheitlichen internationalen Wirtschaftsraumes. Statt dessen aber entstand nach dem Zweiten Weltkrieg das sowjetische Imperium.
2. Im Rahmen des Comecon entwickelten sich bestimmte Formen und Methoden internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit nach sowjetischen Vorstellungen und unter sowjetischer Hegemonie. Diese werden in der geltenden Sowjet-Ideologie als Vorstufe auf dem Weg zur zukünftigen Weltwirtschaft und Welt-genossenschaft der Völker hingestellt. 3. Die Gründung des Comecon im Jahre 1949 war in erster Linie die Antwort Stalins auf den Marshall-Plan und den Abfall Titos. Des weiteren bezweckte die Gründung der Organisation, die nachteiligen Auswirkungen der westlichen Embargopolitik zu mildern. 4. In der Folgezeit vollzog sich die Entwicklung des Comecon im engen Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Sowjetunion sowie im sowjetischen Einflußbereich, und die Organisation wurde zu einem Instrument zur Wahrnehmung der sowjetischen Interessen, aber auch zum Aufbau des Sozialismus gemäß der geltenden Sowjetdoktrin ausgebaut. 5. Auf dem Hintergrund des sich verschärfenden sowjetisch-chinesischen Gegensatzes und der ideologischen Erosion im internationalen Kommunismus und bedingt durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in allen Mitglieds-ländern des RGW und die Bestrebungen zur Reform des Wirtschaftssystems zeigten sich etwa seit 1963 in wachsendem Maße Erscheinungen der Auflockerung und Desintegration. Sie kamen in der deutlicher werdenden Wahrnehmung der nationalwirtschaftlichen Eigeninteressen durch verschiedene Mitglieder der Organisation, in der zunehmenden Kritik an den Leistungen des RGW und den Ergebnissen der internationalen Zusammenarbeit und in den Bestrebungen, sich mit den internationalen wirtschaftlichen Organisationen im Westen zu arrangieren, zum Ausdruck.
6. Bis zur Stunde ist die geringe Außenhandelsverflechtung innerhalb des sowjetisch kontrollierten Systems der sichtbarste Ausdruck des niedrigen Integrationsniveaus. In keinem anderen der wirtschaftlichen Zusammenschlüsse der Welt ist die Entwicklung der Außenhandelsverflechtung so stark hinter dem Wachstum der Produktion zurückgeblieben wie im RGW. 7. Im Januar 1969 fand in Ost-Berlin die XXII. Ratstagung aus Anlaß des 20. Jahrestages der Gründung des Comecon statt, und im April 1969 wurde in Moskau eine außerordentliche Ratstagung in Form eines Ostblock-Gipfeltreffens durchgeführt. Beide Tagungen wurden überschattet von der militärischen Invasion in die Tschechoslowakei im August 1968.
Die auf der Tagung von dem Sekretär des Comecon, Faddejew, vorgelegte Bilanz zwanzigjähriger Tätigkeit des RGW machte deutlich, daß zwar gewisse Ergebnisse zu verzeichnen waren, diese aber weit hinter den gesteckten Zielen lagen und der Prozeß der Wirtschaftsintegration weit weniger überzeugend als im Westen verlaufen war.