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Islam -Sozialismus -Kommunismus. Zur ideengeschichtlichen Grundlage der Sozialismus-und Kommunismus-Diskussion innerhalb des Islams | APuZ 17/1969 | bpb.de

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APuZ 17/1969 Islam -Sozialismus -Kommunismus. Zur ideengeschichtlichen Grundlage der Sozialismus-und Kommunismus-Diskussion innerhalb des Islams

Islam -Sozialismus -Kommunismus. Zur ideengeschichtlichen Grundlage der Sozialismus-und Kommunismus-Diskussion innerhalb des Islams

Hans Bräker

Die folgende Untersuchung bemüht sich darum, den ideengeschichtlichen Grundlagen der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und dem Kommunismus innerhalb des Islams nachzugehen. Sie will darüber hinaus auch ihre Bedeutung sowohl für die politische Auseinandersetzungen zwischen den vom Islam geprägten Ländern — insbesondere denen des Nahen und Mittleren Ostens — als auch für deren Außenpolitik dem „kapitalistischen" Westen und dem „kommunistischen" Osten gegenüber aufzeigen.

Die Analyse geht von der Einsicht aus, daß ein Gebrauch von Begriffen wie „Sozialismus" oder „Kommunismus" im Sinne ihrer Defini-DieKommunismus-Diskussion innerhalb des Islams und die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in den von ihm geprägten Ländern bleibt unverständlich, wenn man nicht von zwei Sachverhalten ausgeht, die für die gesamte Entwicklung dieser Religion und für die von ihr beeinflußten Völker zentrale Bedeutung bekommen haben. — Der Islam kennt keine Distanz oder sogar negative Haltung zur Welt. Der Inhalt seiner Lehre umfaßt den Glauben an das Diesseits und das Jenseits zugleich. Der Koran ist nicht nur eine Religionsurkunde, sondern auch das Staatsgesetz. Der Islam-Staat unterteilt seine Bevölkerung in Gläubige, Buchbesitzer (z. B. Christen, Buddhisten oder Parsen als Minderheiten in einem Staat), die keine „Staatsbesitzer" sind, und Ungläubige. Luthers Lehre von Vorbemerkung tion im Rahmen des Ost-West-Konflikts der Nachkriegszeit den Kern der heutigen Entwicklung in den muslimischen Ländern und ihrer außenpolitischen Aktivitäten nicht zu erfassen vermag.

Gerade die Erfahrungen der letzten Jahre haben immer wieder besonders deutlich gezeigt, daß sich Begriffe wie z. B. „Arabischer Sozialismus" und durch sie umschriebene politische Programme und Erscheinungsformen dem Verständnis und einer sachgerechten Einordnung in die politischen Vorgänge weitgehend entziehen, wenn sie nicht auf ihre eigenen geistigen und politischen Wurzeln zurückgeführt werden.

I. Voraussetzungen: Der Islam als Religion zwischen Orient und Okzident

Abbildung 1

den zwei Reichen z. B. wäre in der Lehre des Islams völlig undenkbar.

Die Geschichte des Islams ist von dem daraus herzuleitenden ausgeprägten Diesseits-anspruch bestimmt, der wesentliche Impulse immer wieder aus einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zum Abendland gezogen hat und noch immer bezieht. Die Bedeutung des Islams als zugleich religiöses, politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles Phänomen ist deshalb auch ohne dieses Spannungsverhältnis kaum zu erfassen. 1. Die Araber und die Entwicklung des Islams Jeder diesbezügliche Versuch muß jedoch zu einseitigen Ergebnissen führen, wenn man sich nicht von der jahrhundertelang geübten allzu schnellen Gleichsetzung von islamischer Welt mit dem Nahen Osten frei macht. Die Entstehung des Islams im siebten Jahrhundert n. Chr. und seine Ausbreitung in den folgenden Jahrhunderten ist zwar unlösbar an das Arabertum gebunden, dennoch ist aber eine Identifizierung von beidem heute nicht mehr haltbar; sie wird in Zukunft noch viel weniger vertretbar sein.

Trotzdem darf diese Weitung des Horizonts den Blick für die Bedeutung des Arabertums nicht trüben, da es der Gesamtentwicklung des Islams bis heute seinen unauslöschbaren Stempel aufgedrückt hat. Von wesentlicher Präge-kraft für den Islam waren zunächst einmal Landschaft, Klima und Menschen der arabischen Halbinsel: Die ungeheure Einsamkeit, das absolute Ausgeliefertsein des Menschen in hat der Wüste einen unmittelbaren Bezug zu der von Muhammed verkündeten absoluten Majestät Gottes, die im Islam zum Mittelpunkt des Glaubens wurde. Nie zuvor und später ist wohl der so absolut empfundene Unterschied von Gott und Mensch mit solcher Vehemenz zur Prägekraft einer Religion geworden.

Die Menschen der arabischen Halbinsel, die Beduinenstämme, waren umgeben von großen orientalischen oder hellenistisch-römischen Staaten, die auf einer materiell und geistig weit höheren Stufe standen In dieser insularen Atmosphäre entwickelte sich schon beim Arabertum der vorislamischen Zeit jene eigentümliche Verbindung von ausgeprägtem Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit mit der Neigung zu Partikularismus und Anarchie, die letztlich das Entstehen festgefügter und dauerhafter politischer Zusammenschlüsse verhinderte. Ohne dieses Kriterium wäre wahrscheinlich Muhammeds Wirken und Wirkung undenkbar gewesen: Die von ihm gestiftete Religion wur-de zum einigenden Band für alle arabischen Stämme; seine Offenbarung und Sendung wirkte als Katalysator, der gewaltige Energien freisetzte und die bis dahin unzusammenhängende Masse von arabischen Stämmen eine Zeitlang in großer Kraftanspannung zusammenschloß. Der Islam erschien ihnen — zumindest in den Anfangsjahren — als arabischer Glaube mit einer eigenen arabischen „Heiligen Schrift", dem Koran. War bis dahin den Arabern eine Botschaft vom Himmel versagt geblieben, so fühlten sie sich nun auf einer Stufe mit den anderen, von Judentum und Christentum geprägten Völkern, die bereits eine „Heilige Schrift" besaßen. Durch den Islam traten nun auch die Araber in unmittelbare Beziehung zu dem „Einen Wahren Gott". Darin erkannten sie die höchste Bestätigung der arabischen Nation. 2. Begegnung mit Judentum und Christentum Das Spannungsverhältnis zum Abendland äußert sich wohl am eindrucksvollsten im religiösen Raum. Die Araber der vorislamischen Zeit waren überwiegend viehzüchtende Nomaden und yerehrten neben vielen Lokalgöttern, Gestirnen und Steinen auch eine höchste Gottheit: Allah, „Herr des Hauses" in Mekka Von allgemeiner und vertiefter Religiosität konnte um die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert jedoch keine Rede sein. Vielmehr war im Gegenteil sogar eine sehr weitgehende Verarmung des religiösen Lebens eine der charakteristischen gemein-arabischen Erscheinungen dieser Zeit. Aber selbst die vereinzelt festzustellenden Ansätze zu vertiefter Religiosität gingen nicht aus dem Arabertum selbst hervor, sondern aus seiner Berührung mit den in diesem Raum vertretenen entwickelten Religionen: dem Judentum und dem Christentum.

Vor allem vom Christentum ging sowohl ein unmittelbarer als auch ein mittelbarer Missionseinfluß aus, der allerdings bei den Arabern zu keinem tiefgehenden Eindringen christlicher Lehren führte: Als sich der Islam später ausbreitete, waren die Spuren der christlichen Missionstätigkeit sehr schnell verwischt. Die direkte und indirekte Begegnung mit dem Judentum und dem Christentum bewirkte aber doch bei vielen Männern — unter ihnen auch Muhammed — das aufrüttelnde Er-lebnis einer höheren Religion, als die Araber sie kannten, und im Gefolge dieses Erlebnisses eine Abwendung von den niederen Vorstellungen ihrer Landsleute zu einem reinen Ein-Gott-Glauben.

Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen alt-arabischem Judentum und hellenisiertem Christentum ist Muhammeds persönliche religiöse Erfahrung erwachsen. Bei seinem ersten Auftreten bezeichnete er sich noch als Reformer und Wiederhersteller der reinen, von Gott dem Abraham geoffenbarten, dann im Judentum und Christentum verfälschten Religion. Später wandelte er sich jedoch vom Reformator zum Religionsstifter, denn er betrachtete sich schließlich als Vollender und Fortsetzer der jüdischen und christlichen Religion: Muhammed verkündete Allah als den einzigen, den allmächtigen Gott; das muslimische Glaubensbekenntnis umfaßt deshalb auch nur den einen Satz: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Muhammed ist der Gesandte Gottes".

Der Religionsstifter forderte von seinen Anhängern den bedingungslosen Gehorsam gegen Gott Allah ist der Herr und der Mensch sein Knecht, denn die menschlichen Handlungen und Schicksale sind durch Allahs Willen vorbestimmt.

Ursprünglich sah der Prophet in der von ihm verkündeten Religion eine arabische Version des Monotheismus, jenes Glaubens also, den andere Völker durch andere Propheten früher schon empfangen hatten. Das national-arabische Element wurde zunächst keineswegs abgelehnt, sondern zur Grundlage des neuen Glaubens erhöht. Wie sich dann der spätere Übergang von der nationalen Konzeption zum Universalismus vollzogen hat, läßt sich nur noch sehr schwer feststellen. Dieser Prozeß war jedoch bereits kurz nach seinem Tode in vollem Gang und bildete die Triebfeder der großen Bewegung der Diaspora: Muhammed hatte seine Anhänger verpflichtet, am „Heiligen Krieg" (ihd) zur Verbreitung des wahren Glaubens teilzunehmen. Von ihrer Halbinsel aus traten nun die Araber ihre Eroberungszüge als das Volk an, das Allah erwählt hatte, um sowohl den Ungläubigen sein Gebot zu verkünden als auch alle irdischen Vorteile ihrer bevorzugten Stellung zu genießen. Doch nur für die kurze Zeitspanne von etwa 100 Jahren gingen der arabische Nationalismus und der islamische Universalismus Hand in Hand, ohne sich des inneren Widerspruchs bewußt zu sein, der sie später zu Gegnern machen sollte. Das gewaltige Gefüge des von Spanien bis nach Zentralasien reichenden Reichs, das im 7. Jahrhundert als Ergebnis von Kriegskunst und Kriegsglück, Organisation und Improvisation, religiöser, politischer und sozialer Stärke und Schwäche entstanden war, beruhte allein auf diesem höchst labilen Kompromiß von arabischem Nationalismus und is-lamischem Universalismus Zu einem ähnlichen Zusammenschluß der gesamten islamischen Welt ist es bis heute nicht wieder gekommen. Lediglich der Bewegung der Wahhabiten ist mit ihrer sich an alle muslimischen Gläubigen richtenden Forderung nach Rückkehr zum klassischen Islam die Zusammenfassung der Stämme der arabischen Halbinsel und des südlichen Irak in der Mitte des 18. Jahrhunderts gelungen. Sie hat ihre politische Gestalt im Saudi-Arabischen Königreich gefunden. An diesem Vorgang erscheint geradezu symptomatisch, daß es offenbar nur auf der arabischen Halbinsel noch einmal gelingen konnte, den arabischen Nationalismus mit den universalen Vorstellungen des Islams zu verbinden, daß es offenbar nur hier, in der geographischen Abgeschiedenheit Arabiens von der mittelalterlichen Umgebung des osmanischen Reiches, unter denselben Bedingungen also, die im siebten Jahrhundert überhaupt erst Voraussetzung für die Entstehung des Islams waren, möglich wurde, dem religiösen Anspruch politische Gestalt zu verleihen 3. Religion der Mindestforderungen und universaler Anspruch Die Verpflichtung zur Teilnahme am „Heiligen Krieg" erklärt jedoch nur zum Teil die schnelle und intensive Ausbreitung des Islams. Entscheidende Voraussetzungen dafür müssen daneben auch in seinem religiösen Gehalt selbst gesucht werden. Sie sollen hier wenigstens angedeutet werden, weil es sich dabei letztlich um dieselben religiösen Elemente handelt, die dem Islam auch in der Gegenwart seine Missionskraft erhalten haben.

Eines der entscheidenden religiösen Elemente ist darin zu sehen, daß der Islam im Unterschied zu allen anderen Weltreligionen eine Religion der Mindestforderung ist. Dem Gläubigen sind nur fünf wirklich erfüllbare Haupt-pflichten, die „fünf Säulen des Islams", auferlegt, nämlich das Glaubensbekenntnis (ahda) als Vorbedingung für alle anderen „Säulen", das Pflichtgebet (salät), das Almosengeben (zakät), das Fasten im Monat Ramadan und die Wallfahrt nach Mekka (hagg).

Dieser Grundsatz der Minimalforderungen hat den Islam nicht daran gehindert, großartige Denksysteme und eine höchst sensible Literatur hervorzubringen. Er hat andererseits aber auch für den diffizilsten Zweifler und den verworfensten Genießer gleichermaßen ein Residuum bereitgestellt, auf das er jederzeit ohne Schwierigkeiten zurückgreifen kann. Es ist unschwer begreifbar, daß ein solches Prinzip der Mindestforderungen gleichzeitig auch elastisch macht für die Aufnahme neuer Ideen und Verhaltensweisen.

Damit hängt ursächlich zusammen, daß es im Islam kein geistliches Amt gibt, daß also nicht die Verkündung eines besonderen Standes von Predigern, sondern die Lebensweise der Gläubigen selbst das Glaubensgespräch veranlaßt und zur Bekehrung führt. Die „Bruderschaft" der Gläubigen ist der Raum für den einzelnen. In ihm ist ein ganzheitliches Lebensgefühl erhalten geblieben, in dem es keinen neutralen Raum gibt.

Man muß sich diese zentralen religiösen Elemente des Islams — die Einfachheit des Glaubens und die Verwirklichung von Gemeinschaft — vergegenwärtigen, um die Wurzel seiner missionarischen Stoßkraft zu begreifen, die sich heute in der sprunghaften Ausbreitung des Islams in Schwarz-Afrika am deutlichsten dokumentiert und deshalb auch von höchst aktueller entwicklungspolitischer Bedeutung ist. Das schnelle Eindringen der technischen Zivilisation und der dadurch verursachte Rückzug der alten Stammesreligionen haben hier ein geistiges Vakuum geschaffen. Es ist eine allgemein bekannte Beobachtung, daß die Afrikaner weithin ihrer positiven Einstellung zur modernen Entwicklung durch Annahme einer neuen Religion Ausdruck geben. Für sie kommen dabei nur das Christentum und der Islam in Betracht. Ein säkularer Humanismus kommunistischer oder kapitalistischer Prägung hat hingegen nach allen bisherigen Erfahrungen heute noch nur da eine reale Chance, wo eine Periode der Christianisierung durchschritten worden ist.

Die Vorteile des Islams gegenüber dem Christentum liegen damit auf der Hand: Der Afrikaner braucht, um Muslim zu werden, nur gewisse Dinge in der Observanz umzustellen, um die wenigen religiösen Mindestforderungen zu erfüllen. Er braucht aber nicht — wie etwa beim Übertritt zum Christentum — den Stammesgottheiten abzuschwören oder sogar die Polygamie aufzugeben. * Diese Fragen können hier nur angedeutet werden, um zu zeigen, welche komplexen Probleme sich aus der Expansion des Islams in der Gegenwart für die entwicklungspolitischen Überlegungen aller Industrieländer zwangsläufig ergeben müssen.

In alledem werden zwei Phänomene von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung der arabischen Welt sichtbar: Erst der Islam führt das Arabertum aus seiner insularen Atmosphäre und aus dem Unterlegenheitsgefühl, d. h. aus dem Gefühl, von Völkern mit einer wesentlich höheren Kultur umgeben zu sein, heraus. Gleichzeitig wird aber vom Islam ein universeller religiöser Anspruch erhoben. Muhammed verpflichtet die Araber und alle sich zu der von ihm gestifteten Religion Bekennenden zur Teilnahme am „Heiligen Krieg", der der Ausbreitung des Glaubens dienen soll. Der „Heilige Krieg" richtet sich gegen alle Ungläubigen, unter denen damals allerdings die anderen „Schriftbesitzer", also die Juden, Christen, Parsen usw., eine gewisse Sonderstellung einnahmen. 100 Jahre nach dem Tode Muhammeds beherrschten seine Nachfolger — die Kalifen — ein Reich, das vom Atlantik bis in die Steppen Mittelasiens und von Armenien bis Nubien reichte; die herrschende Klasse wurde in dieser Zeit vor allem durch die Araber gebildet. Die Unterordnung unter die Zentralgewalt des Kalifats bewirkte jedoch nur zeitweilig eine Milderung von Eifersucht, Zwist und Hader, die dem Stammesgefüge der Araber innewohnten.

Es waren aber letztlich dieselben zentralen Grundzüge des alten Islams, welche zunächst den Zusammenschluß der arabischen Stämme ermöglichten — seine insulare Atmosphäre und seine Unfähigkeit, die politische Aktion von der religiösen Ergriffenheit zu scheiden —, die schließlich den Verfall des von den Nachfolgern des Propheten begründeten arabisch-muslimischen Weltreiches herbeiführten.

Die Erinnerung an die Blütezeit der politischen Macht des Islams hat jene messianischen Erwartungen genährt, die in den Mahdi-Vorstellungen Ausdruck gefunden haben und noch immer finden. In der Gestalt des Mahdi die zum erstenmal Ende des 14. Jahrhunderts in der Literatur bei Ibn Chaldun auftaucht, verkörpern sich bis in die Gegenwart die Sehnsüchte nach einem Erneuerer der Glanzzeit des Islams. Der Mahdi ist der am Ende der Zeiten erwartete, aus der Verborgenheit auftauchende Imäm Er ist der einzige wirkliche Führer der gesamten Menschheit und wird den Islam zur endzeitlichen Weltreligion machen. Ihm zu folgen ist daher die Pflicht jedes einzelnen.

Es ist leicht zu begreifen, daß die Mahdi-Vorstellung gerade in der Zeit der politischen Bedeutungslosigkeit der vom Islam geprägten Staaten immer wieder eine wichtige Rolle gespielt hat Selbst in der Frühzeit des bolschewistischen Rußlands war das der Fall, und zwar bei den Versuchen, eine Brücke zwischen Islam und Kommunismus zu schlagen

II. Europa und der moderne Islam

1. Europäischer Nationalismus und arabische Renaissance Auch in der Periode des europäischen Vorstoßes nach dem Nahen Osten begründen die skizzierten Grundzüge des Islams die eigentliche Schwäche der muslimischen Völker des arabischen Raumes.

Verursacht durch die napoleonische Besetzung Ägyptens gelang es Mehmet Ali dem Großen (1805— 1848), Ägypten als selbständigen Staat aus dem Ottomanischen Reich herauszulösen;

in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geriet dann allerdings gerade dieser Bereich immer stärker in die koloniale Abhängigkeit von europäischen Mächten. Mehmet Ali, der Begründer des modernen Ägyptens, war keineswegs ein Vorkämpfer der arabischen Wiedergeburt, zumindest kein bewußter. Sein Ziel war vielmehr die Schaffung eines starken und unabhängigen Ägyptens, das mit den letzten Errungenschaften Europas ausgestattet ist. Um das Land tatkräftig umgestalten zu können, zog er europäische Berater nach Ägypten und schickte Studienausschüsse nach Europa. Auf der damit geschaffenen Grundlage wurde es dem rückständigen ägyptischen Feudalstaat möglich, innerhalb weniger Jahrzehnte die ersten Schritte auf dem Weg zu höheren Entwicklungsstufen von Wirtschaft, Industrie und Verwaltung zu machen

Der Einbruch des europäischen Denkens und der aufwühlenden Kraft des technischen Zeitalters in den vorderasiatischen Raum hat aber auch für den Islam zu einer neuen entscheidenden Konfrontation mit dem Abendland geführt. Der Islam selbst befand sich allerdings schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Prozeß eines tiefgreifenden inneren Umbruchs, der sich in der bereits erwähnten Wahhäbiten-Bewegung verkörperte. Diese durch Muhammed Ibn 'Abd al-Wahhäb (1707— 1787) gestiftete Bewegung verurteilte gleichermaßen die innere Entartung und Lauheit des zeitgenössischen Niedergangs, wie sie die introvertierte Wärme und die in eine andere Welt passende Frömmigkeit mystischer Prägung strikt ablehnte oder jeden fremdartigen Intellektualismus nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Theologie radikal verwarf. Sie beharrte auf dem ursprünglichen Gesetz, dessen Quellen allein der Koran und die reine Sunna sind, und wollte deshalb die innere Dekadenz des Islams dadurch beseitigen, daß sie die muslimische Gesellschaft zu ihrer ursprünglichen Reinheit und Ordnung zurückrief

In diesem Zusammenhang muß auch eine andere Reformbewegung erwähnt werden, die sich zeitlich parallel zu den Bestrebungen der Wahhabiten, aber doch völlig unabhängig von diesen auf dem indischen Subkontinent entwickelt und für den Modernismus des Islams im 19. Jahrhundert sowohl in Indien/Pakistan als auch in Ägypten große Bedeutung bekommen hat. Sie geht auf den Shäh Waliyulläh von Delhi (1703— 1781) zurück Unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Moghul-Reiches in Indien schwebte den Anhängern dieser Bewegung als Ziel vor, die muslimische Macht in Indien zu restaurieren, und zwar gegen das Sikh-Regime, das der dekadenten Herrschaft der Moghuln in Nordwestindien gefolgt war, gegen die britische Herrschaft, die sich in Bengalen immer stärker etablierte, und gegen das Wiederaufleben der Hindu-Macht in Westindien Die Voraussetzung für die Erneuerung der äußeren Moghul-Macht sahen die Anhänger des Waliyulläh in einer grundlegenden inneren Läuterung der muslimischen Gesellschaft. Infolgedessen wandten sie sich — wie auch die Wahhabiten — gegen die Degeneration des nachklassischen Islams, jedoch ging es ihnen — im Unterschied zu den Wahhabiten — nicht um das bedingungslose Verwerfen der mittelalterlichen Entwicklung, sondern um deren Reinigung von Mißbräuchen, also um Wiederbelebung und Neugestaltung

Ähnlich wie Hinduismus und Buddhismus reagierte auch der Islam zwiespältig auf die Konfrontation mit dem Abendland, nämlich einerseits durch radikale Ablehnung alles Modernen, deren Stärke und Leidenschaft durch den Rückgriff auf die ursprüngliche und „reine" Lehre des Korans ihre Erklärung findet, andererseits durch eine große Aufgeschlossenheit der liberal gebildeten und nicht selten mit dem Christentum in Berührung gekommenen Kreise für eine Anpassung an die Gedankenwelt des Westens. Für die Muslime des Nahen Ostens ergab sich aus der Berührung mit europäischem, d. h. vornehmlich französischem Gedankengut die Frage, wie die lähmenden Schwächen des alten Islams überwunden werden könnten. Versuche mögen mit Recht in dem groß angelegten Experiment Kemal Atatürks, ein säkularisiertes, d. h. ein auf der Grundlage der Trennung von Religion und Politik beruhendes Staatswesen aufzubauen oder in der Gründung der ersten weltlichen Universität in Kairo im Jahre 1908 gesehen werden, in der sich deutlich säkularisierende Tendenzen in dem bis dahin völlig religiös ausgestalteten Bildungswesen äußern — für das die 969 von den Fatimiden gegründete Al-Azhar-Universität in Kairo das klassische Beispiel ist.

In der Tatsache, daß die Anstöße zur Umformung des arabischen Islams auf die Literatur des europäischen Nationalismus zurückzuführen sind, ist wohl eine der wichtigsten Erklärungen dafür zu suchen, daß sich die Neugestaltung des Islams im arabischen Orient in den Formen nationalistischer Bewegung vollzogen hat. Der nationalistische Grundzug der arabischen Renaissance des 20. Jahrhunderts hat genauso zur Stärkung jener zentripetalen westlichen Kräfte beigetragen, die im Oktober 1956 zur Suez-Aktion Englands und Frankreichs geführt haben, wie an ihm bis heute auch die Pläne zum stärkeren Ausbau der 1945 gegründeten Arabischen Liga gescheitert sind. 2. Europäischer Geist und muslimischer Modernismus Von einschneidender Bedeutung war aber vor allem, daß die geistige Begegnung mit Europa zum Entstehen einer Kluft zwischen der rasch wachsenden Schicht von Intellektuellen, die ihre Bildung überwiegend durch das Studium insbesondere technischer und naturwissenschaftlicher Fächer an modernen Hochschulen erworben hatte, und der Schicht der muslimischen Orthodoxie führte, die nach wie vor der Bildungstradition der Koran-Schulen verhaftet war und ist und diese weiterhin als den einzigen Maßstab auch der künftigen Entwicklung der muslimischen Welt ansieht.

Darin ist letztlich auch der Ansatz-bzw. Ausgangspunkt für die geistige Reformbewegung des islamischen Modernismus zu suchen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Ägypten und Indien begann und sehr schnell eine beträchtliche Breite gewann. Sie ist in sich wegen der sehr unterschiedlichen Art und Weise, auf den Koran zurückzugreifen, zwar sehr differenziert.

Die einzelnen Richtungen lassen sich aber durchaus auf einen gemeinsamen Nenner bringen, denn sie verfolgen alle dasselbe Ziel, nämlich die Überbrückung der Kluft zwischen Orthodoxie und moderner Entwicklung, um dem unausweichlichen Säkularisierungsprozeß eine Richtung zu geben, die eine Anpassung an die Maßstäbe des modernen technischen Zeitalters auf dem Boden der Lehren des Korans ermöglicht und nicht zum Bruch mit diesen führt. Dieser Entwicklung kann hier im einzelnen nicht nachgegangen werden; einige kurze Hinweise auf die wichtigsten Zusammenhänge sind aber dennoch nötig:

Die Reformbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheiden sich von denen des Wahhäb und des Wallyualläh in einem ganz wesentlich: Während nämlich diese beiden Bewegungen des 18. Jahrhunderts den inneren Niedergang der muslimischen Gesellschaft nur am Jahrhunderts den inneren Niedergang der muslimischen Gesellschaft nur am Kriterium der klassischen Vorschriften maßen und gegen die Gefahren, die von nicht-muslimischen Einflüssen ausgingen, nur im örtlichen Sinne opponierten — wie am Beispiel der Wallyualläh-Bewegung gezeigt wurde —, trat jetzt das Bewußtsein hervor, daß der Islam nicht nur durch innere Stagnation, sondern zugleich auch vom Westen als einem mächtigen und dynamischen Wesen bedroht war 17).

Mit dem in Afghanistan geborenen Sayyid Ja-mal al-Din al-Afghani (1839— 1897) 18) brach diese Erkenntnis zum ersten Mal durch. In ihm verbanden sich traditionelle muslimische Gelehrsamkeit und Vertrautheit mit Europa und seinem modernen Gedankengut, das er durch Aufenthalte in Paris und London kennengelernt hatte. Er konnte deshalb auch aus voller Überzeugung die Auffassung vertreten, daß der Islam zu schwach sei, um diesem Westen als vergleichbare geistige Potenz gegenüberzutreten und ihm etwas entgegenzusetzen. Diese Erkenntnis lag seiner ganzen Reform-tätigkeit zugrunde. Die bisher nur örtlich empfundene Gefahr wurde durch Afghani als eine Gefahr für die ganze muslimische Welt erkannt. Er wurde damit zum ersten Reformer, der das Gespenst „Westen" zu einer den Islam anklagenden Machtgröße und dem Islam selbst zum Kriterium für die Erneuerung des gesamten Islams erhob und dadurch das pan-islamische Bewußtsein stärkte. Mit Afghani rückt sowohl die Sehnsucht nach dem vergangenen irdischen Ruhm des frühen Islams ins Bewußtsein, als auch eine begrenzte Hochschätzung des Intellektualismus und westlicher Werte, vor allem westlicher Wissenschaft und Technik: Dem Westen und seinem Denken müsse man zwar Widerstand leisten, man müsse ihn aber auch nachahmen; d. h., die Muslims seien gefordert, ihren Verstand zu gebrauchen, um — wie es der Westen getan hat — die Technik zu entwickeln und dadurch stark zu werden. Afghanis feste und von ihm geradezu fanatisch vertretene Überzeugung war es, daß die Restauration des Islams nur eine Sache der Muslime selbst sein könne.

Sein Schüler Muhammad 'Abduh (1849 bis 1905) begründete auf dieser von Afghani geschaffenen Grundlage den Modernismus in Ägypten über seinen Lehrer geht er aber insofern ein Stück hinaus, als er die — allerdings auch schon von Afghani betonte — Rationalität des Islams in den Mittelpunkt seiner Neuinterpretation stellt: Der Glaube des Islams stütze sich auf logische Beweise, und gerade dies begründe seine fundamentale Überlegenheit gegenüber allen anderen Religionen. An diesen Grundsatz brauchten die Muslime sich nur zu halten, um ihre ruhmreiche Vergangenheit zu restaurieren. 'Abduh hat weit über die Grenzen Ägyptens hinaus gewirkt und vor allem die Entwicklung des Islams in Indonesien in diesem Jahrhundert stark beeinflußt.

Am Anfang der modernistischen intellektuellen Bewegung des Islams auf dem indischen Subkontinent steht Sayyid Ahmad Khan (1817— 1898) dessen ganzes Lebenswerk darin bestand, seine Glaubensbrüder angesichts des Niedergangs der politischen Macht des Islams in Indien davon zu überzeugen, daß ihre Zukunft nur in der Loyalität zu der britischen Herrschaft und Kultur liege und daß sie nur durch die Teilnahme an der westlichen Modernität Anschluß an die veränderte Welt finden könnten.

Die sich in der englischen Bildung äußernde westliche Kultur wurde für ihn zum Instrument des Fortschritts im Islam: der wahre Islam fordere diesen Fortschritt geradezu, die Interpretation seines Geistes müsse jedoch vom Interpretationsmonopol der konservativen Theologen befreit werden. Ahmad Khans Bestreben war es daher, alles aus der islamischen Tradition zu verbannen, was nicht mit dem rationalistischen Geist in Einklang zu bringen war. Er verwarf alle kanonischen Traditionen und Gesetze außer dem Koran; nur ihn erkannte er als Quelle der Religion und der Moralität an. In der vorbehaltlosen Übernahme der europäischen Kultur wurde also die Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit dem traditionellen, im Feudalismus verankerten Islam gesehen. Letztes Ziel dieser Auseinandersetzung war es, den Islam von all denjenigen Elementen zu befreien, die sich mit der rationalen Weltbetrachtung und dem modernen Denken nicht in Einklang bringen lassen.

Einen wichtigen Schritt darüber hinaus führt die darauffolgende Phase, die sich mit der Person des Sayyid Amir 'Alls (1849— 1928), vor allem aber mit seinem 1891 erschienenen Werk „The Spirit of Islam" verbindet In ihr ist die intellektuelle Entwicklung der indischen Muslime vor allem durch eine Wiederentdekkung des religiös-geistigen Erbes des Islams und eine damit zusammenhängende Apologetik begründet. Mit Recht laßt sich deshalb diese Phase als die erste massive Äußerung des Selbstbehauptungswillens der indisch-islamischen Kultur bezeichnen; er war bis dahin durch die Modernisten weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden. Das Studium der Geschichte des Islams führt Amlr 'Ali zur Erkenntnis des weltweiten Kulturschaffens des Islams, das auch den kulturellen Aufschwung Europas seit der Renaissance in großem Maße befruchtet habe. In seinem monumentalen Werk macht er sich die Neubewertung der Persönlichkeit des Propheten zur Aufgabe, um der abwertenden Kritik vor allem der christlichen Missionare entgegenzutreten.

Der Apologetik Amir 'Alis liegt zwar keineswegs ein objektives Bemühen um die geschichtliche Wahrheit zugrunde. Sie trug aber dennoch — vielleicht auch gerade deshalb — wesentlich zur Wiederentdeckung des islamischen Erbes bei und schuf damit die wichtigsten Voraussetzungen für die kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Kultur auf der Grundlage einer tiefen und originellen Neuinterpretation des Islams, wie sie sich im Werk des vielleicht tiefsten Denkers des Islams im 20. Jahrhunderts, des Dichters und Philosophen Muhammed Iqbäl (1876— 1938), niederschlägt

Durch sein Studium in Cambridge und München wurde er tief mit der abendländischen Philosophie vertraut; er fühlte sich deshalb auch in besonderem Maße zur Kritik an Europa berufen: Der Auseinanderfall von Theorie und Praxis, der sich für Iqbäl darin äußert, daß der Westen trotz seiner christlichen Ethik und seiner Moralphilosophie Gesellschaftssysteme wie den Kapitalismus hervorgebracht habe, in dem der Mensch hilflos ausgebeutet werde, ist für ibn der entscheidende Grund für das Urteil, daß dieser Westen nicht in der Lage sei, dem Orient Lösungen für seine sozialen und politischen Probleme anzubieten

Er schätzte die marxistische Gesellschaftsphilosophie so hoch ein, daß er sich deren Kritik der kapitalistischen Gesellschaft zu eigen machte.

Deshalb überrascht auch seine bemerkenswerte Hochschätzung Lenins nicht, dem er sogar eine Trilogie mit dem Titel „Lenin, der Engels-gesang und Gottes Gebot" widmete. Darin beklagt der im Leben ungläubige Lenin nach seinem Tode vor Allah die vom Kapitalismus in der Welt verursachte Ungerechtigkeit und ringt ihm — unterstützt vom Chor der Engel — den Befehl ab, „die Armen aufzurütteln und die Paläste der Reichen zu erschüttern, die Sklaven mit dem Feuer des Glaubens zu beseelen" Andererseits wirft er Marx aber vor, daß das von ihm konzipierte System ohne Licht sei, weil er sich von Gott entfernt habe.

Mit der Kritik am Westen sollten einer weiteren Verwestlichung des Islams Schranken gesetzt werden: Der Islam verkörperte nach Iqbäl eine universal orientierte Gesellschaftsordnung, deren Grundprinzipien aus der göttlichen Offenbarung herrühren. Da mithin notwendigerweise das religiöse Ideal des Islams organisch und untrennbar an die soziale Ordnung, die er schafft, gebunden sei, ist nach Iqbals Auffassung für einen Muslim auch der Aufbau einer Gesellschaft undenkbar, die nicht auf den fundamentalen Prinzipien des Islams beruht.

Für Iqbäl ist der Westen materialistisch und unreligiös. Er verkörpert Macht und Erkenntnis ohne Liebe und Inbrunst, die wiederum der Islam besitzt. Da aber auch für Iqbäl der Islam sich zwingend den modernen Verhältnissen stellen und ihnen beim Aufbau einer muslimischen Gesellschaft Rechnung tragen muß, geht seine Forderung dahin, zwar die Wissenschaft — in der sich Macht und Erkenntnis verkörpern — vom Westen zu übernehmen, nicht aber dessen politische und soziale Werte.

Iqbäl hat mit seinem Lebenswerk den bisher vielleicht wichtigsten Beitrag zum modernen islamischen Denken geleistet. Mit einer Neuformulierung des Sinngehalts des Islams werden die Muslims zu einem Leben der Tat auf-geraten, das auf dem indischen Subkontinent dem Nationalismus einen spezifisch muslimischen Charakter verleiht. Er gipfelt in der von Iqbäl bereits 1930 erhobenen Forderung nach der Schaffung eines neuen, vom Islam geprägten Staates. Dieser Staat wurde dann auch tatsächlich 1947 — 9 Jahre nach dem Tode Iqbäls — gegründet: Pakistan.

Es war sicher kein Zufall, daß 1880 — gleichfalls auf dem indischen Subkontinent — die Ahmadlya-Bewegung entstanden ist die genauso wie die vorstehend beschriebenen Strömungen einerseits eine Angleichung des Islams an die moderne Weltordnung erstrebt, andererseits als „Heilmittel" für die Welt aber gleichzeitig die Verbreitung der Lehre des Islams erklärt. Deshalb erlaubt, ja fordert sie sogar die Übersetzung des Korans in die verschiedenen Landessprachen

Der Universalitätsanspruch, den die Ahmadiya-Bewegung für den Islam geltend macht, kommt darin zum Ausdruck, daß schon ihr Gründer, Mirza Gulam Ahmad (1836— 1908) behauptete, der Mahdi, also der Prophet der Endzeit, zu sein, daß er sich aber gleichzeitig als die Verkörperung des „geistigen Jesus", also des Messias für die moderne Zeit, ausgab. Er bemühte sich infolgedessen um eine liberale und tolerante Einstellung. Der Islam sollte nach seiner Auffassung nicht durch den „Heiligen Krieg", sondern durch Bekehrung, nicht durch das Schwert, sondern durch Missionare ausgebreitet werden.

Die Missionsbewegung, die daraus entstanden ist, hat vor allem Europa, dann aber auch Afrika erfaßt S

Welche Unterschiede die vorstehend skizzierten Bewegungen auch kennzeichnen oder trennen mögen, gemeinsam ist ihnen allen das Bemühen um Beseitigung der Kluft, die den orthodoxen Islam von der modernen Welt trennt.

Zu diesem Zwecke suchen alle gleichermaßen aus dem Koran zu beweisen, daß der Islam auch für das moderne technische Zeitalter wegen seiner inneren Dynamik, d. h. wegen seines zugleich rationalen, liberalen, universalen, toleranten und sozialen Charakters mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt in Einklang zu bringen und deshalb auch die vollkommenste aller Religionen sei. Die zum Nachweis dessen vorgenommene Interpretation des Korans entspricht allerdings keineswegs den textkritischen Methoden der modernen Wissenschaft; es wird im Gegenteil sogar die jeweils gegebene Entwicklungssituation gewissermaßen in den Koran hineininterpretiert.

Nicht viel anders verhält es sich mit der Gestalt des Propheten selbst. An sie hat sich bis heute noch keine historische Kritik herangewagt. Sie wird unverändert gesehen, wie sie gesehen werden soll: Muhammed ist das vollkommenste Vorbild aller Zeiten. Deshalb wird er in den Wandlungen der Gegenwart auch als Sozialreformer, als Schöpfer des Wohlfahrtsstaates, ja sogar als Marxist ohne die Fehler von Marx (so etwa Iqbal, wie gezeigt) bezeichnet. Man tut gut daran, den sich darin äußernden Anspruch des modernen Islams immer wieder vor Augen zu führen, wenn man erfassen will, was in den islamischen Ländern heute unter dem Schlagwort „Sozialismus" verstanden werden will.

III. Sozialismus und muslimische Gesellschaftsordnung

Der Islam beherrscht wie kaum eine andere Religion das Leben der sich zu ihm bekennen-den Gläubigen und Völker und bestimmt maßgeblich deren Gesetzgebung sowie damit naturgemäß auch deren Politik, Kultur, deren Wirtschafts-und Gesellschaftsform. Bis heute beruht die muslimische Gesellschaft fast ausschließlich auf der Religionsgemeinschaft. Ihre Ideale sind im Koran, daneben aber natürlich auch in den Hadithen, den Überlieferungsansprüchen, die den Koran ergänzen, festgelegt.

Auf dieser Grundlage ist das ganze Leben des Muslims in das Gefüge der ar’a, in das kanonische Gesetz des Islams eingebaut, das die Gesamtheit der auf die Handlungen des Menschen bezüglichen Vorschriften Allahs verkörpert Die ar’a umfaßt — da der Islam alle Lebensverhältnisse religiös wertet — die reli-giöse Pflichtenlehre, den Kultus, das Recht und die Politik. Sie ist aber bis heute, sieht man vom vermögensrechtlichen Teil ab, nicht kodifiziert, sondern nur mündlich weitergegeben worden. Uber die Ausführung der ar’a hatte und hat der Kadi zu wachen; seine herausragende und bedeutende Stellung innerhalb der muslimischen Gesellschaft läßt sich daraus ermessen.

Seiner ganzen Natur nach hat der Islam also einen autoritären Charakter; seine Herrschaftsform war oder ist teilweise noch bis heute die Theokratie. Er hat letztlich das gesamte soziale, kulturelle und religiöse Leben seiner Gläubigen und der Völker, die sich zu ihm bekennen, geprägt. Auf die im Koran, in der Sunna und in der ar’a begründeten Herrschaftsformen ist es auch in erster Linie zurückzuführen, daß bei den Völkern des Nahen und Mittleren Ostens keine liberale Tradition wachsen konnte und daß hier bisher kein — auch kein aus „demokratischer" Überzeugung gespeister — Widerstand gegen totalitäre Militär-oder Beamtenregime, die heute in den meisten muslimischen Ländern anzutreffen sind, möglich war.

Mit dem Islam steht dem Kommunismus also ein Lehrsystem gegenüber, das für jede Frage eine präzise und definitive Antwort bereit hat, wie dieser selbst. Deshalb erwecken auch beide Systeme bei ihren Anhängern die Überzeugung, einer Gemeinschaft und einem politischen System anzugehören, für die es keinen Irrtum gibt.

Vor allem solche Berührungspunkte haben viele Analytiker im muslimischen Raum seit Kriegsende immer wieder inspiriert, der Frage nachzugehen, ob und wieweit der Islam als Ideal und Realität mit der „Demokratie" auf der einen Seite bzw. mit dem „Kommunismus auf der anderen vereinbar oder unvereinbar ist, ob Vergleiche zwischen Islam und Kommunismus überhaupt möglich sind. Darauf soll nachfolgend einzugehen versucht werden; die schwierige Quellenlage erlaubt es allerdings nur, einige wichtige Beispiele anzuführen.

Daß die erwähnten Berührungspunkte nicht wenige Beobachter gelegentlich dazu veranlaßt haben, sogar gewisse ideologische Überein-stimmungen zwischen Islam und Kommunismus festzustellen, ist aus einem Gutachten (fetwa) zu schließen, welches die Ulema der Al-Azhar-Universität in Kairo 1948 auf Ersuchen des ägyptischen Innenministeriums abgegeben hat. Es äußert sich zu einem Buch, das sich unter dem Titel „Der Kommunismus im Islam" mit Gedanken eines Zeitgenossen und Schülers des Propheten, ‘Abu Dhar al-Ghifari, auseinandersetzt In diesem Buch wird bestritten, daß der Islam im Widerspruch zum Sozialismus stehe, und behauptet, der Frühislam habe, bevor er durch spätere Zusätze entstellt wurde, mit den wichtigsten sozialistischen Ideen übereingestimmt. Der islamische Grundsatz der Gleichberechtigung erkenne keine durch Reichtum bedingten gesellschaftlichen Unterschiede an, sondern allenfalls solche der „Frömmigkeit" und der „Glaubensfurcht"; soziale und wirtschaftliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gläubigen seien mithin nicht gottgegeben. Und zum Beweis dessen wird eben Abu Dhar al-Ghifari angeführt, der den Kalifen getadelt habe, weil er sich von der einfachen Lebensführung des Propheten entfernte, Reichtümer erwarb und sich um die Interessen der Massen nicht kümmerte.

In dem Gutachten der Ulema wird diesen Auffassungen mit aller Entschiedenheit widersprochen: Zu den Rechtsgrundsätzen des Islams gehöre die Anerkennung des Privateigentums. Jedermann könne deshalb im Rahmen des Erlaubten Güter erwerben und besitzen. Die Gefährten Muhammeds und die Schriftgelehrten seien übereinstimmend der Meinung, daß der Reichtum die Reichen nur zu denjenigen Abgaben verpflichte, die ihnen Allah auferlegt habe: z. B. das Pflichtalmosen, die Grundsteuer, die Pflichtausgaben für die Familie oder für eventuelle dringende eigene oder fremde allgemeine oder gesellschaftliche Bedürfnisse entsprechend den Vorschriften, die sich aus dem Koran und den Gesetzesbüchern herleiten. Darüber hinaus sei jeder Muslim gehalten, Almosen nach Neigung und Vermögen zu spenden, aber ohne Übertreibung und Verschwendung. Abu Dhar al-Ghifari sei zwar der Ansicht gewesen, daß nach Allahs Willen jeder seinen über das Notwendigste hinausgehenden Überfluß unter die Armen verteilen solle und daß es nicht erlaubt sei, Schätze anzuhäufen. Diese seine persönliche Überzeugung hätten die anderen Gefähr-ten des Propheten aber mißbilligt. Sie sei keinesfalls in den Islam eingegangen, was man u. a. auch den Erbschaftsvorschriften im Koran entnehmen könne. Deshalb sei auch mit Sicherheit anzunehmen, daß der Inhalt des Buches und die daran geäußerten Ansichten über die Übereinstimmung von Kommunismus und Islam mit der Lehre des Islams nicht in Einklang stünden und mithin nicht weiter verbreitet werden dürften.

In diesem Zusammenhang soll wenigstens am Rande auch auf die Theorien eines anderen Ägypters, ’Ali 'Abd al-Räziq, hingewiesen werden die indessen 1925 in Kairo erschienenem Buch „Der Islam und die Fundamente der öffentlichen Autorität" enthalten sind und sich vor allem mit der Staatsidee des Islams auseinandersetzen. 'Abd al-Räziq spricht in seinem Buch nicht nur dem Kalifat jede Legitimität ab, er hält auch eine Beschränkung der Einflußsphären der islamischen Lehre für angebracht. Auch seine Argumentation geht vom Koran und der daraus entwickelten Rechtsgrundlage aus: Das Gesetz Muhammeds behandle nur religiöse Dinge, nämlich die Beziehungen des Menschen zu Allah; dementsprechend weist er dem Koran die Rolle eines Religionsbuches und eines Moralkodex zu. Die Gestaltung der Staatsgesetze und der sozialen Beziehungen will 'Abd al-Räziq hingegen ausschließlich den Menschen vorbehalten sehen: Keine einzige Vorschrift des Islams untersage den Muslimen, ihre Regierung zu wechseln, neue Regierungsformen einzuführen und Gesetze zu erlassen, die geeignet seien, den niedrigen Lebensstandard zu heben, der die muslimischen Länder kennzeichnet. Auch diese Theorien wurden vom Rat der Ulema der Al-Azhar-Universität in Kairo verurteilt, 'Abd al-Räziq selbst zum Feind der Religion erklärt und aus der Gemeinschaft der Ulema ausgestoßen. Für die Haltung der ägyptischen muslimischen Geistlichkeit in dieser Zeit dürfte im übrigen die Gleichsetzung von Kommunismus und Heidentum bezeichnend sein. So wird z. B. darüber berichtet daß in einer Fetwa des Mufti von Ägypten aus dem Jahre 1929 zur Frage des Kommunismus u. a. festgestellt wird, die kommunistische Lehre habe eine mehrere Jahrhunderte alte Vergangenheit. Es habe sie zuerst im persischen Reich der Epoche des Heidentums (5. — 6. Jahrhundert) gegeben; eingeführt worden sei sie vom blutigen Serdescht, dessen Nachfolger — Mazdak (gest. 529) — in seiner Botschaft zum Volke sagte: „Euch gebe ich das Recht, allen Besitzenden das Vermögen zu nehmen und es als eigenes zu benutzen."

In Zusammenhang mit den Theorien von 'Abd al-Räziq muß hier auch die Theorie des Indonesiers Al-Hadj R. A. A. Wiranata Koesoemah erwähnt werden. Er hat sie erstmals 1948 entwickelt und dann in einer 1949 in Bandung erschienenen Broschüre formuliert Darin verficht er mit nüchterner Sachlichkeit die These, daß nur der Islam eine wirklich demokratische Welt schaffen könne. Dem zügellosen Individualismus der kapitalistischen Welt will er die „islamische Demokratie" entgegensetzen, die allen Menschen ungeachtet ihrer Nationalität und Religion gleiche soziale Rechte einräume. Der Kalif sei durch die Wahl zu bestimmen und deshalb ein Diener seines Volkes. Wiranata Koesoemah bewertet die sozialen Erfordernisse am höchsten. Seine These wächst deshalb auch über das Glaubensbekenntnis hinaus und transformiert sich in ein dem Namen nach zwar muslimisches, tatsächlich aber eher sozialistisches, wenn nicht sogar kommunistisch beeinflußtes politisches Programm.

Schließlich muß hier abschließend noch auf die interessante Theorie des Pakistaners Chaw-dhrl Khaliqu-z-Zamän eingegangen werden, die sich von den bisher erläuterten durch ihren panislamischen Charakter unterscheidet und deutlich die Inspiration durch Iqbal erkennen läßt. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt er die Koran-Sure IV, 62: „Ihr Gläubigen, gehorchet Allah, gehorchet seinem Gesandten und denjenigen unter euch, die die Autorität ausüben, und seid ihr in irgend etwas uneinig untereinander, so bringt es vor Allah und seinen Gesandten, so ihr an Allah und den jüngsten Tag glaubt. Das ist die beste und schönste Entscheidung." Von dieser Sure ausgehend stellt Chawdhri Khaliqu-z-Zamän die Grundsätze, die seiner Ansicht nach für jeden muslimischen Staat verbindlich sein sollen, in acht Punkten zusammen — Das göttliche Gebot gilt für alle Gläubigen. Es beinhaltet deshalb auch, daß sich der Begriff des Staates nicht auf ein Volk oder ein bestimmtes geographisches Gebiet beschränkt. Vielmehr muß dieser „Staat" ein nichtterritorialer Staat, d. h. eine Art „ideologischer", geistig-geistlicher Staat sein, der alle Angehöriten der Glaubensgemeinschaft umfaßt. Außerdem verkündet der Islam Communio mit Gott durch persönliche Handlungen, durch die Gemeinschaft der Brüder und die Gemeindeversammlung. — Die Formel „denjenigen unter euch, die die Autorität ausüben" empfiehlt eindeutig das Prinzip der Wahl der Obrigkeit. — Die unmißverständlichen Vorschriften des Korans sind die einzige Norm zur Beseitigung von aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten. Das Heilige Buch des Propheten darf von der staatlichen Obrigkeit weder ganz noch teilweise verändert werden. — Dem Befehl der Obrigkeit darf die Gemeinschaft der Gläubigen dann nicht gehorchen, wenn es dem Gesetz und den Vorschriften des Propheten widerspricht. — Der Ausübung der Macht durch die Staats-führung sind zeitliche Grenzen gesetzt. — Die Wählerschaft muß einen möglichst großen Personenkreis umfassen, weil das göttliche Gebot für alle Gläubigen gilt. — Deshalb dürfen auch Frauen nicht davon ausgeschlossen werden. — Der Staat muß unabhängig und völlig frei von ausländischen Einflüssen sein.

Soviel hier über die verschiedenen Theorien einiger der herausragenden muslimischen Vertreter. Sie konnten selbstverständlich nur zusammenfassend und in den für die Fragestellung dieser Arbeit interessierenden Aspekten wiedergegeben werden, dürften wohl aber als typisch für die Bemühungen um ein der modernen Zeit entsprechendes Verständnis des Islams und vor allem des Korans und als repräsentativ für das Ringen um ein neues Selbstverständnis in der heutigen Welt gelten.

Versucht man, die diesen Theorien zugrunde liegenden Auffassungen auf einen Nenner zu bringen, so wird man zunächst eine gewisse Affinität zwischen den mit ihnen angestrebten Regierungsformen und den demokratischen Systemen westlicher Länder festzustellen geneigt sein, denn im großen und ganzen treten alle hier behandelten Autoren für ein an demokratischen Prinzipien orientiertes System ein. Dennoch zeigt schon ein erster Blick auf die politische Wirklichkeit des ganzen muslimischen Raumes, daß demokratische Systeme im Sinne westlicher Verfassungen tatsächlich nirgendwo entstanden sind, sondern daß alle Länder dieses Raumes — vielleicht mit Ausnahme der Türkei — heute von autoritären Militärgruppen regiert werden.

Als Grund dafür mag man mit einem gewissen Recht anführen, daß die unmittelbare Konfrontation mit den westlichen Demokratien in Form der Kolonialverwaltungen unüberbrückbare Antipathien oder sogar Ablehnung gegenüber diesen demokratischen Staats-und Regierungsformen erzeugt hat; diese Erklärung ist aber doch wohl zu oberflächlich, als daß sie einen wirklichen Schlüssel für den Zugang zu den Herrschafts-und Gesellschaftsordnungen in den Ländern des islamischen Raumes liefern könnte. Die tieferen Ursachen wird man vielmehr in dem am Anfang dieses Abschnittes charakterisierten Anspruch des Islams suchen müssen, der seine Anhänger total bindet, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Lebens in der Gesellschaft wie auch als Staatsbürger.

IV. Sozialismus-und Kommunismus-Diskussion innerhalb des Islams

1. Die innere Krise des Islams Die Begründungen, die den verschiedenen hier behandelten Theorien zugrunde liegen, zeigen aber andererseits auch, wie wenig sich die in ihnen angewandten Begriffe „Sozialismus" oder sogar „Kommunismus" mit denselben Begriffen der marxistisch-leninistischen Ideologie decken.

Auf diesen Fragenkomplex muß ausführlicher eingegangen werden, denn nicht selten ist auch in dieser Hinsicht in der islamischen Welt die Auffassung vertreten worden, daß im wirtschaftlichen und sozialen Bereich eine vielfache Übereinstimmung der Forderungen des Islams mit den Zielen der marxistisch-leninistischen Ideologie bzw.der Wirtschafts-und Sozialpolitik der kommunistisch regierten Länder festzustellen sei und daß sich grundlegende Divergenzen zwischen dem Islam und dem Kommunismus im wesentlichen nur in den politischen Konzeptionen beider Systeme zeigen. Die Auffassung, daß nicht die Wirtschaftsund Soziallehre des Kommunismus, sondern nur dessen politisches „Glaubensbekenntnis" dem Islam widerspreche, wurde, um hier nur ein -— allerdings wichtiges — Beispiel anzuführen, von einer Reihe von Delegierten auf der islamischen Weltkonferenz in Karatschi 1951 vertreten; sie findet auch im Schlußbericht dieser Konferenz Raum

Gegen diese in Karatschi vertretene, offenbar aber doch im ganzen islamischen Raum verbreitete Auffassung ist erheblicher Widerspruch erhoben worden. Die Auffassungen, die dabei geltend gemacht wurden, entsprechen im wesentlichen den allgemeinen Überlegungen, auf denen auch die vorstehend erläuterten Theorien basieren: Das wirtschaftliche und soziale Leben der Muslime beruhe allein auf dem Koran. Es sei weder in das kommunistische noch in das westliche kapitalistische System hineinzuzwängen. Deshalb gleiche der Islam den Lehren dieser Systeme weder in seinem wirtschaftlichen noch in seinem sozialen Aspekt. Das Buch des Propheten und das daraus hergeleitete Ordnungssystem vermögen allein den Schlüssel des sozialen Gleichgewichts zu liefern; der darin gewiesene Weg sei mithin völlig unabhängig vom kapitalistischen und vom kommunistischen

Im einzelnen stützt sich die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf wirtschaftlichem Gebiet auf etwa folgende Argumente: Die Wirtschaftsordnung des Islams verhindere zwar nicht das Entstehen des Kapitalismus, sie mäßige diesen jedoch und verhüte seine schädlichen Auswirkungen, da sie fordere, daß sich die Privatinitiative dem Gemeinwohl unterordnet. Individualismus und Freiheit würden durch diese Forderung in geradezu beispielhafter Weise mit Gerechtigkeit und sozialer Freiheit verknüpft. Da der Koran das Pflichtalmosen fordere und somit die Besitzenden zur Unterstützung der Armen und Notleidenden verpflichte, verhindere der Islam die Anhäufung von Reichtum und die Monopolbildung zum Nachteil der Gesamtheit. Zudem böten auch die muslimischen Erbschaftsgesetze weitgehenden Schutz vor den gefährlichsten Auswüchsen des Kapitalismus. Mithin zeige sich also, daß im Islam die Freiheit nicht die Übel birgt, an denen die westliche Gesellschaft krankt. Aus dieser Interpretation des sozialökonomischen Gehalts des Islams wird der Schluß gezogen, daß der Islam eine Mittelstellung zwischen Kapitalismus und Kommunismus einnimmt, da er die Nachteile beider Systeme ausschließt und nur ihre Vorteile aufweist. Die letzte Konsequenz dieser Schlußfolgerung ist aber, daß es zur Überwindung des Kapitalismus keineswegs eines radikalen revolutionären Aktes des Proletariats im weltweiten Rahmen bedarf, der für Marx und seine Epigonen allein die Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse gewährleisten konnte, sondern daß der Weg zur Überwindung der negativen Formen, welche die Entwicklung des Kapitalismus in den westlichen Ländern hervorgebracht hat, bereits im Islam vorgezeichnet ist. Der Kapitalismus wird also keineswegs grundsätzlich abgelehnt, sondern lediglich sei-ne Entartungserscheinungen. Aus dieser Interpretation des Islams ergibt sich andererseits eine um so entschiedenere Ablehnung des Kommunismus und der marxistisch-leninistischen Ideologie, als diese allein im atheistischen Materialismus wurzelt und deswegen auch jede religiöse Grundlage der Gesellschaftsordnung mit aller Entschiedenheit bestreitet. Die in diesen Äußerungen deutlich werdende grundsätzlich tolerante oder sogar bedingt positive Einstellung des Islams zum „Kapitalismus" als einer möglichen Ordnungsgrundlage für Gesellschaft und Wirtschaft bestätigen auch die Forschungsergebnisse der westlichen Wissenschaft, die sich gerade in letzter Zeit in einer ganzen Reihe wichtiger Untersuchungen mit dem sozialökonomischen Aspekt des Islams auseinandergesetzt hat In der jüngsten der vorliegenden Arbeiten wird aufgrund einer sorgfältigen Analyse des Korans und der Sunna mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß diese dogmatischen Grundlagen des Islams nichts gegen das Privateigentum einzuwenden haben und daß dem Propheten auch niemals der Gedanke gekommen ist, davon etwa die „Produktionsmittel" auszunehmen. Wie die Produktion für den Markt, so wird im Koran und in der Sunna auch der Handel mit uneingeschränktem Wohl-wollen betrachtet. Darauf ist auch in erster Linie zurückzuführen, daß die muslimische Welt einen „kapitalistischen" Markt bereits kannte, bevor vom 16. Jahrhundert an ein Weltmarkt entstand. So sind bereits im Koran Elemente enthalten und Strukturen vorgezeichnet, die unter bestimmten Voraussetzungen durchaus Grundlage für die Entwicklung auch eines modernen Kapitalismus angloamerikanischer Prägung sein könnten.

Dennoch bleiben letztlich alle diese Überlegungen verhältnismäßig unfruchtbar für die Beurteilung der weiteren Entwicklung des Islams; sie lassen vor allem die Frage unbeantwortet, ob die bisherigen Bemühungen — insbesondere die der Nachkriegszeit — um ein neues Selbstverständnis in der modernen Welt überhaupt eine tragfähige Grundlage für die Auseinandersetzung mit der marxistisch-leninistischen Ideologie geschaffen haben oder noch zu schaffen in der Lage sind. Eine annähernd befriedigende Antwort auf diese Frage wird man allerdings heute kaum schon geben können; dafür ist die Entwicklung noch viel zu sehr in Fluß. Zu einem gewissen Grade lassen sich aber aus der bisherigen, durch die Konfrontation mit den modernen Ideen Europas ausgelösten innermuslimischen Diskussionen gewisse Schlußfolgerungen ziehen, die auch eine Beantwortung der aufgeworfenen Fragen erleichtern könnten:

Es ist offensichtlich, daß das Vordringen der europäischen Geistesströmungen im nordafrikanisch-asiatischen Raum seit dem 19. Jahrhundert für den Islam die akute Gefahr einer geistigen Überfremdung heraufbeschworen hat. Er wurde zwar zu dieser Zeit von einem voll entwickelten und ausgereiften theologischen System getragen, zeigte aber dennoch — oder gerade deswegen — in hohem Maße Erstarrungserscheinungen, denen im Grunde bis heute weder die „Orthodoxen" noch die „Modernisten" wirksam entgegentreten können.

Die „Orthodoxen" sind von der Absolutheit ihres Glaubens und ihres Weltbildes so sehr überzeugt, daß sie sich zu Kompromissen mit modernen Ideen und Strömungen überhaupt nicht genötigt fühlen. Insbesondere die islamischen Theologen zeigen sich, wenn überhaupt, so doch nur sehr wenig reformfreudig. Sie verharren vielmehr auf dem Standpunkt der reinen Apologetik, deren alleinige Aufgabe letztlich darin liegt, den durch die eigene Tradition sanktionierten Standpunkt zu verteidigen. Der muslimischen Theologie fehlt es bis heute an einer tragenden Schicht von Systematikern, die in der Lage wären, in der muslimischen Welt eine neue Konzeption des Islams durchzusetzen, eine Konzeption, die es den Gläubigen erlauben würde, dem übernommenen Neuen zuzustimmen, ohne dadurch den Geltungsbereich der Religion einschränken zu müssen. Die Arbeiten von Persönlichkeiten wie Muhammed 'Abduh und Muhammed Iqbal haben durchaus die Voraussetzungen für die Entstehung einer modernen muslimischen systematischen Theologie des Islams geschaffen; sie sind im Grunde aber bis heute Einzelerscheinungen geblieben.

Die sog. „Modernisten" sind sich demgegenüber ganz offensichtlich nicht darüber im kla-ren, wie weit ihre teilweise geäußerte Bereitschaft zur Übernahme von Neuerungen sie aus der überkommenen Lebensordnung herausführt. Häufig ist heute bei ihnen eine bedenkenlose Bereitschaft festzustellen, traditionelle Werte ganz einfach „über Bord" zu werfen. Die muslimischen „Modernisten" zeigen sich reformfreudig, aber es gibt unter ihnen kaum jemanden, der sich ernsthaft darüber Gedanken macht, wie die unvermeidlichen Neuerungen mit den Grundsätzen der muslimischen Lebensordnung in Einklang zu bringen sind. Als typisches Beispiel sei hier noch einmal auf den bereits früher erwähnten ägyptischen Juristen 'Ali 'Abd al-Räziq hingewiesen, der angesichts der durch die türkische Revolution Kemal Atatürks geschaffenen Lage den Versuch unternahm, das Verhältnis von Staat und Religion neu zu überdenken. Er tat dies als bewußter Muslim und nicht etwa als Verfechter irgendwelcher unverbindlicher staatsrechtlicher Theorien. Dennoch mußte — wie gezeigt — sein Versuch daran scheitern, daß er dabei den Gegebenheiten der früheren islamischen Geschichte nicht gerecht wurde.

Mit einem gewissen Recht ist die heutige Entwicklung mit der Periode der frühen Abbasidenzeit verglichen worden Auch in dieser Zeit war der Islam der Gefahr einer geistigen Überfremdung ausgesetzt, als nämlich die Araber bei ihrer Eroberung auf die geistigen Leistungen und Errungenschaften der Eroberten stießen Ihr Interesse galt in hohem Maße allen jenen Wissenschaften, die praktisch verwendbar waren, wie z. B. Astronomie, Alchemie und Medizin. Eine große Anzahl wissenschaftlicher Werke wurde ins Arabische übersetzt, so ein indisches Werk über Astronomie oder griechische Werke über Geographie, Astronomie, Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie. Die Gefahr einer geistigen Überlagerung war also durchaus gegeben, und tatsächlich führten muslimische Theologen in dieser Zeit erbitterte Kämpfe gegen „ketzerische" Ansichten. Trotz dieser bedrohlichen Ansätze führte aber diese innere Krise des Islams nicht nur zu keiner geistigen Überfremdung, sondern hatte vielmehr sogar letztlich positive Auswirkungen, denn aus diesem Spannungsverhältnis erwuchs eine völlig eigenständige muslimische Theologie. Es wurden zwar viele Elemente von anderen Anschauungen übernommen, der Islam erst gab aber den daraus entstandenen Kulturmischungen ein einheitliches Gepräge. Um ihn kristallisiert sich alles, was aus fremden Religionen oder Weltanschauungen übernommen wurde.

Es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Islam heute in einer sehr viel tieferen und gefährlicheren Krise steckt als in der früheren Abbasidenzeit, und es wird sicher auch noch auf lange Zeit eine offene Frage bleiben, ob es ihm gelingen wird, die Konfrontation mit der technischen Zivilisation Europas und Amerikas nicht nur ohne Substanzverlust zu überstehen, sondern aus ihr sogar die Kräfte zu gewinnen, die eine neue Renaissance des Islams im Sinne einer gleichzeitigen Bewältigung der vielschichtigen Probleme der modernen Welt bewirken könnten. Ein im Februar 1967 in Beirut durchgeführtes Symposium über das Thema „Gott und Mensch im Denken des heutigen Islams" hat gezeigt, daß die Diskussion dieser Probleme offenbar bis heute noch nicht sehr weit über den Stand hinaus gediehen ist, der im Grunde schon mit Afghani, 'Abduh oder Iqbäl erreicht war. Ein vorliegender ausführlicher Bericht über das Beiruter Symposium stellt die heutige Situation des Islams sehr treffend wie folgt dar: „Die Vortragenden leuchteten die gewaltige Kuppel des islamischen Baues von innen aus. Sie wissen mehr oder minder klar, daß das ganze Bauwerk heute von einem Sturm umtobt wird, der nicht nur über seine Kuppel hinweg heult, sondern auch über benachbarte Kirch-türme und Tempelpagoden. Erschütterungen sind im Inneren der Kuppel spürbar. Man weiß, es gibt Risse in ihren Wänden. Doch hat kaum einer mehr als einen flüchtigen Blick in die Außenwelt getan, wo der Sturm tobt. Meist scheint sich die Bedrohung des Gebäudes in erster Linie dahin auszuwirken, daß man um so fester, in manchen Fällen um so enger, an der Sicherheit der Überlieferung und des Glaubens hängt. Nur zu oft scheint das Denken des Islams gegenüber der Gegenwart auf Imperative beschränkt zu bleiben: , Der Glaube muß erhalten bleiben, weil wir wissen, daß er die Rettung der Menschen ist!'

Selten scheint man sich ernsthaft zu fragen, inwieweit dieses Muß’ wirklich erfüllt wird, welches die Kräfte sind, die seiner Verwirklichung entgegenwirken, warum sie so wirken, wo und wie weit sie schon heute die Oberhand gewonnen haben, wie man ihnen entgegenzutreten vermag. Solche spezifisch auf die religionsfeindlichen Strömungen und Gedanken-gebäude der Gegenwart eingehenden Fragen sind in dem Beiruter Symposium nicht eigentlich zur Sprache gekommen. Man kann sich fragen, wie weit das islamische Denken der Gegenwart sie überhaupt schon zum Gegenstand ernsthafter Betrachtung (nicht einfach abgrenzender und zurückweisender Apologetik) erhoben hat. Man scheint hier noch sehr im Anfang zu stehen. Man ist dementsprechend (wie die gegenwärtige Verwirrung in Ägypten zeigt, wo der Staat einer Gleichsetzung von . Sozialismus'und Islam das Wort redet) sehr wenig ausgerüstet für den Augenblick, in dem die systematische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen’ Materialismus sich aufdrängt und ihm nicht mehr durch reine Apologetik ausgewichen werden kann. Der Zeitpunkt für diese Auseinandersetzung jedoch scheint unaufhaltsam gekommen."

2. Nasser: „Muslimischer Modernismus" und „Arabischer Sozialismus"

Man wird dieser Auffassung zustimmen können und in diesem Zusammenhang sogleich die Frage nach dem heutigen Selbstverständnis solcher muslimischer Länder im Nahen Osten und Nordafrika stellen müssen, die sich selbst als „sozialistisch" bezeichnen. Dabei handelt es sich vor allem um Ägypten, Syrien, den Irak und Algerien. Ihr Standort in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus verlangt um so stärker nach einer Bestimmung, als sie von den kommunistischen Ländern selbst als „fortschrittlich" oder gewissermaßen als „Vorhut des Sozialismus" gegen den Imperialismus qualifiziert werden, während andere — vor allem Jordanien, Saudi-Arabien und Kuweit — als „Arabische Reaktion" unmittelbar in eine Reihe mit den „Imperialisten" gestellt werden.

Versucht man dieser Frage am Beispiel Ägyptens nachzugehen, so ergibt sich zunächst einmal das höchst verwirrende Bild, daß einerseits die 1922 in der Sowjetunion gegründete Kommunistische Partei Ägyptens bereits seit 1924 verboten ist und Nasser bis mindestens zum Besuch Chruschtschows im Mai 1964 in Ägypten auch jede illegale Tätigkeit der Kommunisten streng verfolgen ließ daß andererseits aber die dem von Nasser verkündeten „Arabischen Sozialismus" zugrunde liegende „Nationale Charta der Vereinigten Arabischen Republik" der ägyptischen Einheitspartei „Arabische Sozialistische Union" — die Nasser persönlich verfaßt hat — sich zumindest auf den ersten Blick in weitem Maße der marxistischen Terminologie bedient: In ihr wird — um hier nur einige Beispiele anzuführen — davon gesprochen, daß die Revolution der einzige Weg zum Fortschritt und zu Veränderung ist, daß die sozialistische Lösung zur Beseitigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unterschiede eine geschichtliche Notwendigkeit und der Klassenkampf unabhänderlich ist daß sich die Revolution der Produktionsmittel bemächtigen muß, um die Herrschaft des Kapitals zu brechen; dem Feudalismus, der Reaktion und den Monopolen wird der Kampf angesagt usw. — Es kann darauf verzichtet werden, weitere Stellen dieser Art aus der nationalen „Charta" anzuführen. Dieses Bild erweist sich indes schon bei etwas genauerer Betrachtung als viel zu oberflächlich, ja unhaltbar. In dem in pathetisch-demagogischem Stil gehaltenen Regierungsprogramm ist zwar viel vom „Arabischen Sozialismus" die Rede, eine auch nur einigermaßen klare Vorstellung von dem, was darunter zu verstehen ist, wird man aber vergeblich suchen. Den Ursprung der in Nassers 101 Seiten umfassenden Dokument enthaltenen sozialen und ökonomischen Grundsätze etwa in der Beschäftigung mit Marx, Lenin oder dem Marxismus-Leninismus suchen zu wollen, wäre ein hoffnungsloses Beginnen. Die kommunistischen Theoretiker würden eine solche Begründung des „Arabischen Sozialismus" mit Entschiedenheit ablehnen müssen, und auch Nasser selbst würde solche Unterstellungen ohne Zögern zurückweisen.

Im Gegensatz zu seinen unklaren und deswegen kaum auf eines der herrschenden Lehrsysteme zurückzuführenden wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zielsetzungen hat er sich zu deren Wurzeln verhältnismäßig klar und unmißverständlich geäußert Er lehnt zunächst ganz grundsätzlich die Auffassung ab, daß das moderne Denken in Ägypten von außen, d. h. von außerarabischen Ideen inspiriert oder gefördert wurde. Weder den Mameluken und den Osmanen noch den Franzosen gesteht er zu, entscheidenden Einfluß auf die geistige und materielle Entwicklung Ägyptens gewonnen zu haben. Der Ursprung habe vielmehr beim ägyptischen Volk selbst gelegen, das „seine edle Universität Al Azhar zur Burg des Widerstandes gegen die kolonialistischen und reaktionären Faktoren der Schwäche und Auflösung" gemacht habe, „wie sie vom osmanischen Kalifat im Namen der Religion ins Land geschleppt wurden, obwohl in Wirklichkeit die Religion mit solchen Faktoren unvereinbar ist". Auch der französische Feldzug gegen Ägypten habe zwar dem ägyptischen Volk „einen neuen Zustrom von revolutionären Energien" gebracht, er habe jedoch keineswegs — wie die Historiker behaupten — zu seinem „Erwachen" geführt, da die Franzosen eben zur Zeit ihrer Expedition bereits „Al Azhar erfüllt von brausendem Leben neuer Gedanken" vorfanden, „welche ihre Auswirkungen auf das Leben in ganz Ägypten hatten"

Als den unmittelbaren geistigen Vorläufer sowohl der ägyptischen Revolution von 1919 als auch der eigenen des Jahres 1952 bezeichnete Nasser aber den bereits früher behandelten größten muslimischen Erneuerer Ägyptens, Muhammad 'Abduh, und seinen „Ruf nach religiöser Reform" Nach Nassers Überzeugung trug allein das ägyptische Volk die „materielle und militärische Last dafür, daß die erste Welle des europäischen Kolonialismus und die Botschaft des großen Lehrers (Muhammed) nichts miteinander zu tun haben"

In alledem äußert sich für Nasser die Tatsache, daß „in der Geschichte des Islams . . . das ägyptische Volk, geführt durch die Botschaft Mohammeds, die Hauptrolle bei der Verteidigung von Zivilisation und menschlichen Werten übernommen" hat. Mit diesen Feststellungen begründet er seinen persönlichen und den Anspruch Ägyptens auf die Führerrolle innerhalb der gesamten arabischen Welt, und er stellt dazu fest, „daß der größte Teil der Verantwortung für die bahnbrechende revolutionäre Aktion auf die völkische revolutionäre Führung in der Vereinigten Arabischen Republik fällt, weil eben natürliche und geschichtliche Faktoren der Vereinigten Arabischen Republik die Aufgabe auferlegt haben, der Kernstaat bei den Bemühungen zur Sicherung von Freiheit, Sozialismus und Einheit für die gesamte arabische Nation zu sein"

Völlig im Gegensatz zu Marx, Engels und den Dogmatikern des Marxismus-Leninismus bekennt sich Nasser in der „Charta" ausdrücklich zum „Glauben an Gott". Die entsprechende Passage soll hier im vollen Wortlaut zitiert werden, da sie in besonderem Maße den Zugang zu Nassers Standort zu öffnen geeignet ist

„Die Freiheit des religiösen Glaubens muß in unserem neuen freien Leben als etwas Heiliges angesehen werden. Die ewigen geistigen Werte, die sich aus den Religionen herleiten, können den Menschen leiten, das Licht des Glaubens in seinem Leben zu entzünden und ihm unbegrenzte Fähigkeiten verleihen, der Wahrheit, dem Guten und der Liebe zu dienen. Alle göttlichen Botschaften haben ihrem Wesen nach menschliche Revolutionen dargestellt, deren Zweck die Wiederherstellung der Würde des Menschen und sein Glück gewesen ist. Es ist die erste Pflicht der religiösen Denker, demgemäß in jeder Religion das Wesen der in ihr enthaltenen göttlichen Botschaft zu bewah-ren. Das Wesen der religiösen Botschaften steht nicht im Widerspruch zu den Tatsachen unseres Lebens. Der Konflikt erhebt sich nur in gewissen Situationen, wenn nämlich reaktionäre Elemente den Versuch machen, die Religion — entgegen ihrem Wesen und ihrem Geiste — auszubeuten, um auf diese Weise den Fortschritt zu verhindern. Diese Elemente fabrizieren falsche Auslegungen der Religion in offenem Widerspruch zu ihrer edlen und göttlichen Weisheit. Alle Religionen enthalten eine Botschaft des Fortschritts. Aber die Kräfte der Reaktion, welche sich alle Güter der Erde aneignen und für ihre eigenen selbstsüchtigen Interessen brauchen wollen, haben das Verbrechen begangen, ihre Gier und Habsucht der Religion anzuhängen und in sie etwas hineinzulegen, das ihrem eigentlichen Geist widerspricht, um auf diese Weise den Strom des Fortschritts aufzuhalten. Das Wesen aller Religionen ist es, das Recht des Menschen auf Leben und Freiheit zu behaupten. In der Tat ist die Grundlage von Lohn und Strafe in der Religion die Gleichheit der Gelegenheit für jeden Menschen. Jeder einzelne Mensch beginnt sein Leben vor seinem Schöpfer mit einem weißen Bogen, auf welchem die Taten verzeichnet werden, die er nach seinem eigenen freien Willen vollbracht hat. Keine Religion kann ein System der Klassenunterschiede annehmen, bei welchem auf die Mehrheit die Strafe der Armut, Unwissenheit und Krankheit fällt, während eine kleine Minderheit ganz allein den Lohn alles Wohlergehens erntet. Gott in seiner großen Weisheit hat die Gleichheit der Gelegenheit zur Grundlage seines Urteils über alle Menschen gemacht."

Und am Ende heißt es dann schließlich in einer Schlußformel zur Bekräftigung der geistig-religiösen Quelle der programmatischen Ausführungen der „Charta", die gleichzeitig die herausragende Bedeutung Ägyptens innerhalb der arabischen Welt und des Islams unter den anderen Religionen noch einmal betont „Unser Volk glaubt an die Botschaft der Religionen und lebt in dem Raum, wo diese göttlichen Botschaften empfangen wurden . . . Unser Volk besitzt einen solch starken Glauben an Gott und an sich selbst, daß es seinen Lebenswillen lenken kann, um sein Leben nach seinen Wünschen neu zu formen."

In einer offenbar großen Zahl von Zeitschriftenartikeln ist die unmittelbare Herkunft des von Nasser verkündeten „Arabischen Sozialismus " aus dem Islam begründet und erläutert worden Die Grundtendenz aller dieser Artikel spiegelt sich in der Überschrift eines Artikels im offiziellen Organ des „Obersten Islamischen Rates" in Kairo deutlich wider: „Die Gebote der Nationalen Charta gehören zu den Geboten des Islams — Unser Arabischer Sozialismus und seine islamischen Grundlagen — Der Sozialismus entspringt unserem tiefsten Glauben — Der Koran hat eine sozialistische Gesellschaft geschaffen." Im März 1965 tritt die Zeitschrift „Al Risala", eine der angesehensten literarischen Zeitschriften des islamischen Raumes, mit Nachdruck der Behauptung entgegen, Nassers „Arabischer Sozialismus" unterscheide sich nicht grundsätzlich vom Marxismus: Der „Arabische Sozialismus" könne deshalb kein „Marxismus" sein, weil er ein „wissenschaftlicher Sozialismus" sei. Zudem leite er „seinen Ursprung von unserem arabischen Erbe her . . ., welches die Himmelsreligionen (Islam, jüdische und christliche Religion) auf unsere arabische Erde herabgebracht haben. Daraus folgt, daß unser Sozialismus kein Marxismus ist. Denn wir sind größer als Marx." An anderer Stelle definiert dieselbe Zeitschrift den Unterschied zwischen Kommunismus und Sozialismus so: „Der Kommunist lehnt die Religion ab und bekämpft das religiöse Empfinden. Der Sozialist hingegen erkennt die Religion an und achtet die Glaubensfreiheit." Schließlich muß Nasser selbst noch einmal zitiert werden, weil er die Wege zur Deutung des „Arabischen Sozialismus" als einer vom Islam abgeleiteten Lehre vielleicht am eindringlichsten gewiesen hat. In einer Rede, die er im April 1964 im republikanischen Jemen gehalten hat und die er mit feierlichen Segens-formeln zum Lobe des Propheten Muhammed einleitete, stellte er fest:

„Die Botschaft, die wir verkünden, Ihr Brüder, heißt Sozialismus. Der Sozialismus ist die Grundlage der Gleichberechtigung, und Sozialismus bedeutet, daß keiner über den anderen herrscht. Die erste Religion, die den Sozialismus verkündet hat, war die Religion des Islams. Wahrlich Muhammed war ein Imam des Sozialismus. Unsere Revolution steht auf dem Boden des Islams."

Trotz dieser Erklärungen und Erläuterungen — oder gerade ihretwegen — sind Nasser und sein „Arabischer Sozialismus" bis zur Gegen-wart immer wieder als vom Marxismus inspiriert gebrandmarkt worden. Seine „Charta" wird als Umdeutung des Islams im kommunistischen Sinne bezeichnet. Der Rückgriff Nassers auf den Islam sei eine reine Tarnung marxistischer Zielsetzungen auf sowjetischen Rat; der Marxist Nasser halte sich offensichtlich an das Rezept, daß er als Politiker nur als „Muslim" Erfolg haben könne

Einer gewissenhaften Prüfung halten alle diese Argumente kaum stand. Wie früher bereits gesagt wurde, war die Herleitung eines „Arabischen Sozialismus" aus dem Islam keineswegs eine „Erfindung" Nassers. Ansätze einer säkularen Neuinterpretation konnten bereits bei den Modernisten des 19. Jahrhunderts sowohl im indo-pakistanischen als auch im arabischen Raum beobachtet werden; von ihnen sind die Bemühungen um ein neues Verständnis des Islams in der veränderten Welt des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts ausgegangen, mit der die islamischen Länder überhaupt erst durch die Kolonialbewegung der europäischen Länder bekannt geworden sind. Die Ideen, welche in Nassers „Charta" oder auch schon in seiner programmatischen Schrift aus dem Jahre 1954 „Die Philosophie der Revolution" enthalten sind, finden sich bereits — wenn natürlich auch nicht in dieser Geschlossenheit — in den analysierten Quellen der Zeit zwischen den beiden Kriegen, dann aber natürlich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits das früher erwähnte Buch „Der Kommunismus im Islam" hatte sich zur Aufgabe gemacht zu zeigen, daß Islam und Sozialismus nicht im Widerspruch zueinander stehen und hatte diese Auffassung auf die Anschauungen des 'Abu Dhar al-Ghifari zurückgeführt. Die Neuinterpretation des Islams durch 'All 'Abd al-Räziq in seinem schließlich von der Ulema der Al-Azhar-Universität verurteilten Buch „Der Islam und die Fundamente der öffentlichen Autorität" liegt auf einer ähnlichen Ebene. Auch mit ihr wurde bereits 1925 der Weg gewiesen, der direkt zu Nassers „Arabischem Sozialismus" führt.

3. Feisal: Muslimischer Puritanismus und „Islamischer Pakt" Nassers „Arabischer Sozialismus" ist allerdings — wie bereits festgestellt —-keineswegs unumstritten geblieben. Ganz im Gegenteil sogar: Seine Interpretation des Islams wird in einigen Ländern des islamischen Raumes geradezu als religiöse Verbrämung des Kommunismus heftig zurückgewiesen, und sein mit der religiösen Begründung erhobener Anspruch auf eine politische Führungsrolle im gesamten arabischen Raum ist nicht weniger auf große Zurückhaltung, Skepsis, ja sogar teilweise heftigen Widerstand gestoßen. Die sich dahinter verbergenden Spannungsverhältnisse verdienen abschließend Aufmerksamkeit: Nasser hat seine „Charta" zum erstenmal 1962 vor dem ägyptischen Parlament, der „Nationalversammlung", verlesen. Sie hat damals zunächst nur sehr wenig Beachtung gefunden. Erst eine umfangreiche Publikationstätigkeit hat die Aufmerksamkeit breiter Kreise auch außerhalb Ägyptens auf dieses Programm gelenkt und heftige Diskussionen ausgelöst. Wie sich dabei sehr bald herausstellte, wurde insbesondere in den drei bereits genannten arabischen Ländern Saudi-Arabien, Jordanien und Kuweit in den Bestrebungen Nassers eine akute Gefahr für den Islam gesehen und eine Opposition aufgebaut, die weit über den arabischen Raum hinaus auch die übrigen islamischen Länder in eine politische Front gegen Nasser zusammenführen sollte. Es scheint deshalb notwendig, auch den Hintergrund der gegen den „Arabischen Sozialismus" gerichteten Bestrebungen wenigstens etwas aufzuhellen. Zunächst aber die Fakten:

Bei einem Staatsbesuch König Feisals von Saudi-Arabien im Iran im Dezember 1965 wurden zum erstenmal alle islamischen Länder von den Herrschern beider Länder zu einer Konferenz eingeladen, die der Einheit der Ansichten und der Verteidigung der gemeinsamen Interessen dienen sollte. Dieser Besuch Feisals im Iran und die auch im abschließenden Kommunique schriftlich noch einmal ausgesprochene Einladung hat in der ganzen islamischen Welt großes Aufsehen erregt Von den „revolutionären" Regierungen der drei Länder Ägypten, Syrien und Irak werde darin der Ausdruck einer „Einkreisungspolitik" gesehen, so heißt es in einem Bericht über die Reaktion auf den Besuch Feisals beim Schah von Persien die von den „kolonialistischen Staaten des Westens" ferngelenkt sei. Die der Revolution und dem „Arabischen Sozialismus" abgeneigten Regierungen und Kreise sähen in diesem Besuch das Indiz einer diskreten Entwicklung, die sich hinter den Kulissen seit geraumer Zeit abzeichnete und die den allmähliche Aufstieg Feisals zum Oberhaupt einer islamisch-konservativen und antirevolutionären arabischen Bewegung bewirken sollte, die gesonnen sei, den revolutionären arabischen Kräften die Waage zu halten. Im Gegensatz zu der von Ägypten beeinflußten sozialistisch-revolutionären Politik der Arabischen Liga solle der von Feisal vorgeschlagene „Islamische Block" eine evolutionäre Politik betreiben.

Auf einer Pressekonferenz im Anschluß an seinen Staatsbesuch vom 27. Januar bis 1. Februar 1966 in Jordanien wiederholte Feisal seinen auch mit König Hussein besprochenen Plan noch einmal Alle muslimischen Staatschefs seien eingeladen, sich zu versammeln, um die ihnen gemeinsamen Probleme zu diskutieren; die Vorbereitung einer solchen Konferenz soll einer Sonderkommission vorbehalten bleiben. Beide Herrscher erhoben die programmatische Forderung, die östlichen und westlichen Länder müßten dem Atheismus in allen seinen Formen entsagen. Gleichzeitig traten sie aber der Behauptung entgegen, daß mit der vorgeschlagenen Konferenz die Bildung eines islamischen Blocks angestrebt werde. Die Bande, welche die Muslime miteinander verbinden, seien stärker als jeder Vertrag oder Pakt, die geplante Konferenz solle lediglich die direkten Kontakte mit allen „unseren Brüdern und Schwestern" in allen islamischen Ländern vertiefen. Ägypten wird von Feisal sogar als die Vorhut der islamischen Staaten bezeichnet.

Der Besuch des Emirs von Kuweit, Sabah asSalem as-Sabah, in Saudi-Arabien von 9. bis 12. Februar 1966 ließ dennoch deutlich hervortreten, daß die von Feisal angestrebte Konferenz vor allem der Schaffung eines Gegengewichts gegen den Kommunismus und den revolutionären „Arabischen Sozialismus" dienen sollte. In dem abschließenden gemeinsamen Kommunique wird die Notwendigkeit einer Verstärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern betont und die Notwendigkeit der Konsolidierung der von beiden Herrschern vertretenen Werte hervorgehoben, welche die Grundlage jeden Fortschritts in der Geschichte seien und eine mächtige Schranke gegen die atheistischen Strömungen bilden, welche die Welt bedrohen.

Aufschlußreich ist die Reaktion auf diese von Feisal initiierten Bestrebungen in den soge-nannten „revolutionären" arabischen Ländern. Sie lehnen zwar alle die Bildung eines islamischen Paktes ab, lassen die große Differenzierung ihrer Interessen aber vor allem in den Begründungen für diese Ablehnung erkennen: Der irakische Ministerrat erklärte laut Radio Bagdad vom 7. Februar 1966, daß der Irak die starken geistigen Bande zu anderen islamischen Ländern durchaus anerkennen und sich um die Entwicklung der darauf gegründeten Beziehungen bemühen werde. Er könne sich aber keinem Pakt anschließen oder keinem sonstwie gearteten Allianz beitreten. Der Außenminister Algeriens, Bouteflika, und das Exekutivkomitee der Befreiungsorganisation für Palästina äußern sich zum Vorschlag Feisals negativ, ohne dafür nähere Gründe zu nennen. Der libanesische Außenminister Hakim schließlich, um hier noch eines der „nichtrevolutionären" Länder des Vorderen Orients mit überwiegend islamischer Bevölkerung zu nennen, verweist am 18. Februar 1966 vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Parlaments seines Landes auf die traditionelle Neutralität und der darin zu allen Zeiten begründeten Ablehnung eines Beitritts zu jeder Art von Paktsystem. Dieser Grundsatz gelte nach wie vor, d. h. auch hinsichtlich eines islamischen Paktes.

Der ägyptische Staatspräsident Nasser schließlich erklärt in einem Interview, das er dem Korrespondenten der regierungsamtlichen sowjetischen Zeitung „Izvestija" gewährte und das von Radio Kairo am 8. Februar 1966 ausgestrahlt wurde, wörtlich

„Wir überprüfen gegenwärtig unsere arabische Politik. Die arabische Welt ist immer Schauplatz eines unbarmherzigen Kampfes zwischen den imperialistischen und reaktionären Kräften einerseits und den nationalistischen und fortschrittlichen Kräften andererseits gewesen. Doch haben die arabischen Gipfelkonferenzen und die gegenseitigen Besuche Kontakte zwischen den führenden Persönlichkeiten ermöglicht und die Atmosphäre verbessert. Der Imperialismus hat in dieser Gesundung der innerarabischen Beziehungen eine neue Gelegenheit gefunden, um sich zu bestä-tigen. Es wurden gewisse Schlagworte verbreitet, darunter jenes von der Schaffung eines islamischen Paktes. Der Gedanke ist nicht neu. In der Vergangenheit wurden mehrere ähnliche Versuche unternommen, so mit dem Bagdad-Pakt. Aber das arabische Volk hat derartige Pakte abgelehnt und wird sie weiter ablehnen. Die imperialistischen Kräfte und jene der Reaktion haben einen neuen Angriff begonnen, und es ist daher notwendig, daß die nationalistischen und fortschrittlichen Kräfte ihre Reihen enger schließen, ihre Einheit stärken und ihre Wachsamkeit verdoppeln." 4. Ayub Khan zwischen Nasser und Feisal Schließlich muß in diesem Rahmen noch auf den Besuch Feisals im April 1966 in Pakistan hingewiesen werden, bei dem er seinen Plan einer allislamischen Konferenz auch mit dem damaligen pakistanischen Staatspräsidenten Ayub Khan besprochen hat.

Die Zurückhaltung, mit der Ayub Khan die Anregungen Feisals ausgenommen hat, läßt das am 24. April 1966 über die Ergebnisse der Besprechungen herausgegebene Kommunique deutlich erkennen Zwar bekennen sich darin beide zur Solidarität der Länder muslimischen Glaubens, doch wird zum Projekt selbst in nur sehr allgemein gehaltenen und unverbindlichen Formulierungen die Aufnahme von weiteren Besprechungen über die von Feisal vorgeschlagene allislamische Konferenz angekündigt. Hingegen wird in dem Kommunique die beabsichtigte baldige Aufnahme von Verhandlungen hoher Regierungsvertreter über die Verstärkung der bilateralen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern stark herausgestellt. In einer Pressekonferenz nach Abschluß des Besuchs von Feisal hat dann Ayub Khan zwar noch einmal jede Art der islamischen Annäherung befürwortet, aber auch erkennen lassen, daß hinsichtlich eines „Gipfeltreffens" die Auffassungen der beiden Staatsoberhäupter kontrovers waren. Auf die Frage eines arabischen Journalisten nach den Ergebnissen der Gespräche über diesen Fragenkomplex begründete der pakistanische Staatspräsident seine Zurückhaltung mit der Feststellung, daß die islamischen Völker gegenwärtig eine Periode des Nationalismus durchleben, die durch politische Divergenzen gekennzeichnet ist. Deshalb sei es am besten, die islamische Solidarität vorerst nur in denjenigen Bereichen zu praktizieren, in denen alle Muslime den gleichen Problemen gegenüberstehen: im Bereich der Religion, der Kultur und der Wirtschaft. Direkt auf die Vorstellungen Feisals eingehend, stellte Ayub Khan fest, daß verschwommene Umrisse der islamischen Annäherung erhebliche Nachteile mit sich bringen, von denen der am schwersten wiegende die Unbestimmtheit des Projektes sei. Dies müsse den Gegnern die Gegen-propaganda erleichtern, die dadurch leicht die angebliche Gefahr der politisch-religiösen Linie Feisals übertreiben und hinter ihr nichts anderes als eine neue reaktionäre und neokolonialistische Verschwörung vermuten müßten. Solche Behauptungen könnten zwar durch keinerlei harte Tatsachen bewiesen werden, doch könne allein Feisal ihnen dadurch entgegenwirken, daß er sein Solidaritätsprogramm konkretisiert und ihm scharf umrissene Linien gibt, die alle islamischen Staaten überzeugen. Die Reaktion Ayub Khans auf Feisals Pläne und Vorschläge beleuchtet in höchst aufschlußreicher Weise die Doppeldeutigkeit der Islam-Politik Saudi-Arabiens: Feisal betreibt, dies sollten die vorstehenden Ausführungen über seine vielfältige Aktivität zeigen, eine politische Offensive auf einem Feld, auf dem sich Kultur, Religion und Politik überschneiden. Sein Bestreben ist es, den islamischen Völkern zur Kenntnis der Gefahr zu verhelfen, die der atheistische Materialismus für sie bedeutet. Nach seiner Auffassung hat der Marxismus im Zeichen des „Arabischen Sozialismus" Nassers bereits tiefe Einbrüche in den islamischen Ländern erzielt. Für die damit verbundenen Gefahren will er bei den arabischen Nationen Verständnis wecken. Mit Entschiedenheit wendet sich Feisal aber gegen solche Kritiker, die, wie es in dem zitierten Interview Nassers mit dem Korrespondenten der „Izvestija" deutlich wird, behaupten, er sei lediglich das Sprachrohr der Interessen ausländischer Mächte, d. h. Amerikas und Englands. Demgegenüber stellt er fest, daß er allein als Muslim handele und seine Vorschläge nur im Interesse des Islams unterbreitet habe.

Dem Kern der Auseinandersetzung innerhalb der islamischen Welt um die Bestrebungen Feisals, auf die hier ganz bewußt ausführlicher eingegangen wurde, ist . nicht näher zu kommen, wenn man sich etwa die Argumentation Nassers zu eigen macht oder wenn man ganz allgemein diese Auseinandersetzungen in die Klischee-Vorstellungen der Ost-West-Spannungsverhältnisse zwängt:

Natürlich ist es leicht, in Nassers Argumentation gegen Feisals Vorschläge ein Vokabularium zu finden, das etwa dem der Sowjetunion und dem anderer kommunistisch regierter Länder entspricht und sich zweifellos auch in der Sache — ob zu Recht oder zu Unrecht ist in diesem Zusammenhang eine zweitrangige Frage — gegen den „Imperialismus" richtet. Daraus ergibt sich aber, wie am Beispiel der „Charta" nachzuweisen versucht wurde, nicht notwendigerweise, daß Nasser sich zum Verfechter oder sogar Verteidiger kommunistischer Ordnungsprinzipien entweder ganz allgemein macht oder weil er sie — wie ihm so häufig unterstellt wird — zur Grundlage der Umgestaltung der Gesellschafts-, Staats-und Wirtschaftsordnung seines Landes gemacht habe.

Sicher ist es auch möglich und wahrscheinlich sogar berechtigt, Feisal ein großes Interesse an guten Beziehungen zu den „imperialistischen" Mächten der westlichen Welt zuzuschreiben, weil er weitgehend auf den Verkauf seines Rohstoffes öl an sie angewiesen ist. Diese Tatsache und der Umstand, daß die Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung Saudi-Arabiens heute noch weitgehend feudalen Charakter hat, besagt aber noch keineswegs, daß Feisal eine „imperialistische" Politik im arabischen und darüber hinaus im ganzen islamischen Raum betreibt oder sogar ein Instrument des westlichen „Imperialismus" bzw.des „Kapitalismus" ist.

Und man wird schließlich auch in Ayub Khans Zurückhaltung gegenüber Feisals Vorschlägen und der Reaktion Nassers darauf eine auf das zu dieser Zeit in Zusammenhang mit dem Kaschmir-Konflikt bestehende freundschaftliche Verhältnis Pakistans zu China Rücksicht nehmende Neutralität erkennen können. Daraus aber eine prinzipielle Indifferenz den geistigen und politischen Problemen gegenüber, die Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen den beiden arabischen Ländern sind, herzuleiten, läßt sich nicht rechtfertigen.

Der Hintergrund des hier sichtbar werdenden grundsätzlichen Spannungsverhältnisses der drei islamischen Länder ist nur aufzuhellen, wenn nach dem Standort Saudi-Arabiens und Pakistans innerhalb des Islams genauso gefragt wird, wie dies hinsichtlich Ägyptens in Zusammenhang mit der Analyse des „Arabischen Sozialismus" bereits geschehen ist: Es muß hier deshalb noch einmal eine Bewegung erwähnt werden, die bereits an anderer Stelle kurz behandelt wurde: Die Reformbewegung, die von Muhammed Ibn 'Abd al-Wahhäb im 18. Jahrhundert ausgegangen ist, eine Bewegung, die sich von allen späteren Reformbewegungen durch ihren puritanischen Charakter unterscheidet, weil sie die Rückkehr zum klassischen Islam, zur reinen Lehre des Koran und der Sunna forderte. Durch die Verbindung mit dem 1765 gestorbenen Territorialfürsten des osmanischen Reiches, Ibn Sa'ud, wurden die Voraussetzungen für die Verschmelzung des islamischen Rechts im Sinne der wahhabitischen Auffassung mit der politischen Macht und Praxis und damit für die Ausbreitung der strengen Reinheit des Glaubens über die ganze arabische Halbinsel geschaffen.

Die Ausschreitungen der Wahhabiten, zu denen es dabei damals in Mekka und Medina kam — die wahhabitische Lehre verbietet die Heiligenverehrung und die Errichtung prunkvoller Grabsteine zu ihren Ehren, deshalb war von ihren Anhängern auch das Grabmal des Propheten in Medina zerstört worden —, hatten die erbitterte Reaktion der islamischen Orthodoxie der Pforte und in Kairo zur Folge. Sie sahen die heiligen Stätten mit Empörung in Händen der „Bilderstürmer und Ketzer", als welche die Wahhabiten angesehen wurden. Mehmet Ali der Große von Ägypten führte deshalb in den Jahren von 1810 bis 1819 einen erbitterten und blutigen Krieg gegen die Strenggläubigen der Wüste, der zwar zu deren vorübergehender Vertreibung aus den heiligen Stätten Mekka und Medina führte, der aber die Kraft und die Reinheit dieses strengen Glaubens nicht brechen konnte. Der Staat, den schließlich der 1953 gestorbene Ibn Sa ’ud gründen konnte — er umfaßte zwei Drittel der arabischen Halbinsel und trägt seit 1932 offiziell den Namen „Saudi-Arabien" — war ein patriarchalischer Muslimstaat, der auf der absoluten Autorität und — in Verbindung damit — der strikten Einhaltung der Gebote des islamischen Rechts im Sinne der wahhabitischen Tradition beruhte und deshalb ganz der Vergangenheit zugewandt war.

Ibn Sa ’ud verband aber mit dem von ihm praktizierten altertümlichen Staatsbegriff religiös-absoluten Charakters eine wohlüberlegte und nicht überstürzte Einführung westlicher Technik und vorsichtige Schritte auf dem Weg des sozialen Fortschritts. Die weitschauende Vorsicht des Königs sollte sich bereits bewähren, als 1933 auf der Halbinsel ungeheure Olfelder entdeckt wurden, deren Ausbeutung durch amerikanisches Kapital notwendigerweise erhebliche Auswirkungen für die Entwicklung des Landes mit sich bringen mußte. Dank der konservativen und doch fortschrittlichen, traditionellen, aber Neuerungen dennoch aufgeschlossenen Politik Ibn Sa'uds konnten die darin liegenden Gefahren für die Gesellschaftsstruktur von vornherein abgewehrt werden. Der Einbruch des Westens blieb peripherisch, der Einfluß neuzeitlicher Ideen konnte auf die Wirtschaft und die Technik begrenzt werden, -er hat auf den politischen und religiösen Bereich niemals übergegriffen.

Damit wird aber auch deutlich, daß die Wurzeln der gegensätzlichen politischen Standorte Feisals und Nassers letztlich in fundamentalen Unterschieden der beiden theologischen Richtungen innerhalb des Islams liegen, deren Zentren heute Ar-Riyäd und seit jeher Kairo sind:

Für die Wahhabiten der arabischen Halbinsel galt und gilt bis heute ungebrochen als letzte Autorität nicht allein der Koran, sondern der Koran und die reine Sunna. Das heißt aber daß ihre Lehre nicht den Koran als reine Idee, sondern als den ins Werk gesetzten und im ursprünglichen, korrekten oder — mit westlichen Begriffen gesprochen — idealen Sinne vollendeten Gedanken verkündigte. Damit wendet sich die wahhabitische Lehre gegen die Auslegung des Islams, wie sie eben von der muslimischen Orthodoxie, vornehmlich der Al-Azhar-Universität in Kairo, ausgeht und in der islamischen Welt die Oberhand gewonnen hat, daß nämlich der Islam Allahs Bestimmung für die Menschheit darstellt, wie sie im Koran ausgedrückt ist und in der weiterentwickelten Gesellschaft lebt und wirkt. Wie eingangs nachdrücklich betont wurde, ist für die Muslime der Islam keine abstrakte Vorstellung, sondern tätige Praxis. Auch für die Wahhabiten ist der'Islam eine Praxis, d. h. ein göttlicher Plan in diesseitig-weltlidier geschichtlicher Bewegung. Sie lehren aber, daß richtungweisend und gebieterisch letztlich nur die ideale Verkörperung des Islams ist. Sie fordern den unbedingten Gehorsam gegenüber Allah in seiner überwältigenden Majestät und Macht und gegenüber der Gesellschaft, die Allahs Bestimmungen verkörpert.

Genau hier ist der wohl entscheidende Punkt des kardinalen Unterschiedes zur muslimischen Orthodoxie zu suchen, nämlich der des Über-gangs der Wahhabiten vom Existenten, von der tatsächlich und konkret feststellbaren Praxis zum Wesentlichen, zum Idealen, von dem, was die Muslime — d. h. hier die Orthodoxie — aus dem Islam gemacht haben, zu dem, was eigentlich daraus gemacht werden soll. Die Wahhäbiten verwerfen die tatsächliche Praxis, wie sie von der Orthodoxie geschaffen und in den vielfältigen Bestrebungen zur Modernisierung des Islams seit Mitte des letzten Jahrhunderts zur Auslegung der Schriften im Sinne einer Anpassung an die Voraussetzungen der veränderten Welt des 19. und 20. Jahrhunderts Ausdruck gefunden hat.

Nassers Bemühungen, seinen „Arabischen Sozialismus" aus dem Islam, d. h. aus den — sogar Von der Al-Azhar-Universität verketzerten — Versuchen herzuleiten, eine Überein-stimmung zwischen Islam und Sozialismus oder sogar Kommunismus nachzuweisen, und die Ansprüche, die er damit für Ägypten nicht nur in politischer Hinsicht geltend macht, sondern auch hinsichtlich der religiösen „Rechtgläubigkeit" innerhalb des arabischen Raumes, wie überhaupt gegenüber der ganzen islamischen Welt, mußte unter den dargelegten Voraussetzungen auf Feisal, den Beschützer der heiligen Stätten Mekka und Medina, in höchstem Maße alarmierend wirken. Sein intensives, ja geradezu hektisches Bemühen, in kürzester Zeit eine allislamische „Bewegung" gegen die „kommunistischen" Einbrüche in der arabischen Welt zustande zu bringen, dürfen auch deshalb weder als vordergründiger Vorwand für die Realisierung ehrgeiziger eigener politischer Ziele in der islamischen Welt noch als Mittel zur „Tarnung" seiner Zusammenarbeit mit den „imperialistischen" westlichen Mächten abgetan werden, wie ihm Nasser vorwirft.

Ayub Khan hat dies zweifellos richtig gesehen, wie seine Reaktion auf die zitierten Fragen des arabischen Journalisten erkennen läßt. Seine Zurückhaltung beiden Seiten gegenüber ist sicher weitgehend auf die zu dieser Zeit außerordentlich schwierige außenpolitische Stellung Pakistans zwischen den beiden kommunistischen Ländern Sowjetunion und China in Zusammenhang mit dem Kaschmir-Konflikt zurückzuführen. Mit außenpolitischem Pragmatismus allein ist sie aber nicht zu erklären. Man wird den wirklichen Gründen der Haltung Ayub Khans nur dann näher kommen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sich Paki-B stan bis heute als muslimischer Staat par excellence versteht. In der alten Verfassung Pakistans drückt sich dies u. a.deutlich darin aus, daß zwar alle muslimischen und nicht-muslimischen Staatsbürger Pakistans die gleichen Rechte genießen, daß darüber hinaus aber auch jeder nichtpakistanische Anhänger des Propheten im Unterschied zu nichtpakistanischen Staatsangehörigen anderer Religionen bei Betreten pakistanischen Hoheitsgebietes automatisch in den Genuß aller derjenigen bürgerlichen Rechte gelangen, die nur den ansässigen Staatsbürgern zustehen (Artikel 17) 5. „Panislam" und Differenzierungen im Nahen Osten In Artikel 17 der pakistanischen Verfassung klingt noch etwas von jenen panislamischen Bestrebungen nach, die für das Wirken sowohl Afghanis und seines Schülers 'Abduh als auch Iqbals, des geistigen Wegbereiters Pakistans, charakteristisch waren. Ihr Wirken war angesichts der Ohnmacht des Islams in der Zeit der Kolonialherrschaft auf eine geistige Neubesinnung gerichtet, die schließlich auch politisch in der Bildung einer Gemeinschaft der islamischen Völker Gestalt finden sollte. Wenn Iqbal 1930 die Forderung nach der Bildung eines vom Islam geprägten Staates erhob, so hatte er eine solche Gemeinschaft im Auge und nicht etwa eine Vielzahl islamischer Nationalstaaten, wie sie dann nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich entstanden sind. Auch in Nassers Vorstellungen aus den Jahren 1952/53 spielt noch die Vision einer islamischen Gemeinschaft eine zentrale Rolle, die — über alle nationalen und regionalen arabischen Interessen hinaus — politisch wirksam wird und die alljährliche Pilgerfahrt nach Mekka zu einem Politikum, zum Anlaß eines „Islamischen Weltparlaments" erhebt. In seiner „Philosophie der Revolution“ heißt es dann u. a. wörtlich :

„Nun bleibt noch der dritte Kreis, der sich über Ozeane und Kontinente erstreckt: der Kreis unserer Glaubensbrüder, die sich, wo immer auf der Welt sie sein mögen, wie wir nach Mekka wenden und deren fromme Lippen in Verehrung die gleichen Gebete flüstern. Mein Glaube an den Gewinn, den wir aus einer weiteren Festigung der islamischen Bande mit allen Moslems ziehen können, vertiefte sich, als ich mit der ägyptischen Delegation nach Saudi-Arabien ging, um dort unser Beileid zum Tode seines verstorbenen großen Monarchen auszusprechen. Als ich vor der Kaaba stand und vor meinem geistigen Auge all die Teile der Welt sah, in die sich der Islam ausgebreitet hat, da kam mir der Gedanke, daß unsere Vorstellung von der Pilgerfahrt sich ändern sollte. Wenn man zur Kaaba geht, dann sollte man das nicht einfach als eine Eintrittskarte ins Paradies nach einem langen Leben betrachten und auch nicht einfach als ein Mittel, sich nach einem allzu turbulenten Leben Vergebung zu erkaufen. Die Pilgerfahrt müßte zu einer großen politischen Macht werden. Die Journalisten der ganzen Welt müßten verlockt werden, darüber zu schreiben — nicht um ihre Leser mit der Schilderung traditioneller Riten zu unterhalten, sondern weil sich mit dieser Pilgerfahrt eine regelmäßige politische Zusammenkunft verbinden müßte. Die Abgesandten der islamischen Staaten, die führenden Köpfe ihres Geisteslebens, ihre Gelehrten aus allen Wissenszweigen, ihre Schriftsteller, ihre Industriekapitäne, ihre Kaufleute und nicht zuletzt ihre Jugend könnten in diesem Kongreß zusammenkommen, um jeweils in diesem islamischen Weltparlament die großen Linien ihrer nationalen Politik zu entwerfen und sich von einem Jahr zum anderen zu gegenseitiger Zusammenarbeit zu verpflichten.

So sollten sie sich treffen: ehrfürchtig und demütig, aber stark; frei von Gier, aber aktiv, untertänig dem Herrn, aber machtvoll im Kampf gegen ihre Nöte und ihre Feinde; sehnsüchtig das spätere Leben erwartend, aber fest im Glauben, daß sie in diesem Dasein ihren Platz an der Sonne behaupten müssen.

Wenn meine Gedanken zu den achtzig Millionen Moslems in Indonesien, den fünfzig Millionen in China und den Millionen in Malaya, Siam und Burma wandern, zu den fast hundert Millionen in Pakistan und den mehr als hundert Millionen im Vorderen Orient, zu den vierzig Millionen in der Sowjetunion und all den anderen Millionen in fernen Teilen der Welt, wenn ich daran denke, wie diese Hunderte von Millionen durch einen einzigen Glauben verbunden sind, dann werde ich mir sehr lebhaft der gewaltigen Möglichkeiten bewußt, die eine Zusammenarbeit mit all den Moslems eröffnen kann. Diese Zusammenarbeit wird sie nicht ihrer natürlichen Loyalität gegenüber ihren eigenen Ländern entfremden, aber sie wird ihnen die Chance geben, gemeinsam mit ihren Glaubensbrüdern eine weise und grenzenlose Macht zu entfalten."

Aber bereits fünf Jahre später ist Nasser wieder völlig von seinen panislamischen Ideen abgerückt. Die Gründe, die er dafür in einem Interview mit indischen Journalisten nennt, lassen gleichzeitig auch die Gründe für die Feststellung Ayub Khans deutlicher hervortreten, daß die islamischen Völker gegenwärtig eine von politischen Divergenzen gekennzeichnete Periode des Nationalismus durchlaufen

„. . . sowenig wie die arabischen Christen einem christlichen Block der Westmächte beitreten könnten, sowenig können die Moslems einen islamischen Block anstreben. Obwohl ich als Moslem keinen Grund sehen kann, warum es nicht in Angelegenheiten, die die Religion betreffen, die breitest mögliche Zusammenarbeit geben soll, sollte man nie erlauben, daß diese Zusammenarbeit in den Bereich der Politik übergreift.

Das Unglück, das religiöser Fanatismus verursachen kann, ist Ihnen und uns wohlbekannt. Wir hatten die Moslem-Bruderschaft, die zu unserer großen Bestürzung eine Organisation imperialistischer Handlanger wurde mit dem Ziel, die Monarchie wieder herzustellen und Ägypten an einen bestimmten Block zu binden. Durch die Gnade Gottes und durch den Willen des Volkes haben wir sie unterdrückt. Etwas ähnliches hat sich in Indonesien ereignet.

Darüber hinaus hatten wir ja schon einmal die Kostprobe eines islamischen Reiches in Gestalt der osmanischen Herrschaft. Kein Araber kann davon träumen, es wieder ins Leben zu rufen.

Wenn heute ein islamischer Block ins Auge gefaßt wird, dann würde er zwangsläufig Länder wie die Türkei und Pakistan einschließen. Wir haben einige sehr bittere Erfahrungen mit ihren panislamischen Ansprüchen. Vergleichen wir z. B. die Haltung, die Nehru einerseits und Noon und Suhrawardy andererseits gegenüber irgendwelchen Fragen einnehmen, die das arabische Volk betreffen. Der Unterschied ist offensichtlich. Während Indien eine unabhängige Politik verfolgt, ist Pakistan an den Westen gebunden. Ebenso kann kein islamischer Block gebildet werden, ohne daß Probleme wie das des Bagdad-Pakts an die Spitze rücken. Deshalb kann man nur über die Idee lachen, daß ein islamischer Block unter der Führung des Herrn Dulles gebildet werden sollte!"

Auf die vielschichtigen Gründe, die den radikalen Übergang Nassers von der panislamischen Idee zu einem Panarabismus bewirkt haben, dessen bestimmende politische Kraft Ägypten sein soll und als dessen führender Kopf er selbst sich ansieht, soll hier nicht näher eingegangen werden. Eine nicht unerhebliche Rolle mag dabei —• abgesehen von der im vorstehend zitierten Interview so deutlich hervortretenden, geradezu maßlosen Empfindlichkeit gegen jegliche Möglichkeit einer auch nur mittelbaren Zusammenarbeit mit den imperialistischen Mächten in politischer Hinsicht — auch die Erkenntnis gespielt haben, daß der Verwirklichung der panislamischen Idee unüberwindliche Schwierigkeiten allein deshalb entgegenstehen müßten, weil gleich ihm aus den verschiedensten Gründen zumindest auch Soekarno, Ayub Khan oder auch der damalige König von Saudi-Arabien, Ibn Sa 'ud, das Recht auf eine führende Rolle hätten erheben können.

Ayub Khans Auffassung, die islamische Solidarität müsse sich vorerst auf die Gebiete Religion, Kultur und Wirtschaft beschränken und das der Politik ausklammern, geht deutlich auf die im Interview mit dem indischen Journalisten Karanjia erkennbar werdende Bereitschaft Nassers zur „breitest möglichen Zusammenarbeit" der islamischen Völker „in Angelegenheiten, die die Religion betreffen", ein, sie läßt erkennen, daß Ayub Khan nicht nur die noch immer vorhandenen Elemente der Gemeinsamkeit aller islamischen Völker nicht der Belastung durch politisch divergierende Auffassungen ausgesetzt sehen will, sondern daß er die Ansicht Feisals, der „Arabische Sozialismus" Nassers verkörpere die fortschreitende Zersetzung des Islams durch den Marxismus und stelle deswegen eine akute Gefahr für die ganze Welt des Islams dar, genausowenig teilt wie die Auffassung Nassers, Feisal sei mit seinen panislamischen Bestrebungen nur das Instrument derjenigen westlichen Mächte, welche die arabische Welt erneut in politische und wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen beabsichtigen. Ayub Khans Beurteilung der divergierenden politischen Auffassungen innerhalb des arabischen Raumes-zeugt für seine tiefe Einsicht in die hinter ihnen wirksamen geistigen Strömungen. 6. Islam und Kommunismus in Nordafrika Wie unvertretbar und oberflächlich es ist, Parteien und Bewegungen in den Ländern des islamischen Raumes, die sich als „sozialistisch" bezeichnen, in die Klischee-Vorstellungen der Ost-West-Problematik einzuordnen, soll schließlich noch an einem letzten Beispiel aufgezeigt werden. Es handelt sich dabei um Äußerungen des Sekretärs der im November 1962 verbotenen kommunistischen Partei Algeriens Bachir Hadj Ali die in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich sind, weil sie einerseits zeigen, welche Bedeutung dem Islam in den Ländern Nordafrikas und des Vorderen Orients nach wie vor auch von den Kommunisten dieser Länder selbst beigemessen wird und weil sie andererseits das heutige Selbstverständnis der kommunistischen Bewegungen in ihnen und die von ihnen selbst empfundenen engen Grenzen der Entfaltung einer wirksamen kommunistischen Tätigkeit deutlich erkennen lassen.

In seinem vom „Cahiers du Communisme" veröffentlichten Aufsatz analysiert und wertet Bachir Hadj Ali die Rolle der „Front Liberation Nationale" (FLN) im Befreiungskampf und beim Aufbau Algeriens. Die Bedeutung des Urteils, zu dem er dabei kommt, ist vor allem darin zu sehen, daß er nicht die (illegale) Kommunistische Partei Algeriens — also seine eigene Partei —, sondern die FLN als „Vorhutpartei der sozialistischen Revolution" klassifiziert, obwohl diese sich zwar sozialistisch nennt, sich aber dennoch nicht „den dialektischen Materialismus als philosophisches System zu eigen gemacht" hat, sondern auf der religiösen Grundlage des Islams steht.

„In unserer Verfassung", schreibt Bachir Hadj Ali wörtlich, „wird der Sozialismus als Ziel festgelegt, während sie den Islam als Staatsreligion betrachtet. Besteht zwischen diesen beiden Vorstellungen ein Widerspruch? Wir sind nicht dieser Meinung. Die Marxisten vergessen nicht, daß der Klassenkampf die Triebfeder der gesellschaftlichen Entwicklung ist und daß sich diese Entwicklung nach Gesetzen vollzieht, die von keinerlei idealistischen Definitionen abhängen.

Die Geschichte unserer Revolution zeigt, daß die Eigenschaften eines Revolutionärs nicht unbedingt dadurch bestimmt werden, ob er zu den Gläubigen oder Nichtgläubigen gehört. Man kann Revolutionär sowohl als Gläubiger wie auch als Nichtgläubiger sein; man kann sowohl als Gläubiger wie auch als Nichtgläubiger ein Reaktionär sein. .. .

Die Marxisten unterscheiden zwei Aspekte der Religion: als Ausdruck einer echten Not der Menschen angesichts ihres Unvermögens, die Geheimnisse der Natur zu durchdringen und das Gewicht der Unterdrückung loszuwerden, das auf ihnen lastet, sowie gleichzeitig als Ausdruck des Protestes gegen diese Not und diese Bedrückung. Wenn der Islam den Massen im Kopf sitzt, so sind doch auch die in Bewegung geratenen Massen für den revolutionären Beitrag des Sozialismus empfänglich. Die revolutionäre Subjektivität der gläubigen Massen ist von der sozialistischen Aktion und Ideologie nicht isoliert und abgetrennt, die um so größere Wirkung ausübte, als sie sich durch wissenschaftliche Aufhellung des Kampfes gegen Imperialismus und Kapitalismus bewährte. Sozialismus und Islam müssen wie während des Befreiungskrieges ein Bündnis eingehen, das ungeachtet der philosophischen Divergenzen und unter Achtung der beiderseitigen Überzeugungen geschlossen wird. Es geht weder darum, den Idealismus mit dem Materialismus zu versöhnen, noch darum, Islam und Sozialismus gegeneinander auszuspielen.

Es wäre ein schwerer Fehler, wollte man eine philosophische Auseinandersetzung auslösen, die nur die sozialistischen und revolutionären Kräfte spalten und die Geschäfte der Reaktion besorgen würde. Jede avantgardistische Position ist zu verurteilen, sofern sie der Reaktion in die Hände spielt, ohne die Revolution auch nur einen Schritt voranzubringen. Der Erfolg unseres sozialistischen Experiments wird sich auf die gesamte arabische Welt günstig auswirken ..."

In seinem wenige Monate zuvor dem Organ der kommunistischen Partei Italiens „l'Unita" gegebenen Interview formuliert Bachir Hadj Ali seine Auffassung über die Voraussetzungen für die Tätigkeit der Kommunisten in Algerien im besonderen und damit indirekt auch hinsichtlich des Verhältnisses von Kommunismus und Islam zueinander ganz allgemein noch deutlicher: In Algerien gebe es weder eine antiklerikale noch eine laizistische Tradition; Religion und gesellschaftliches Leben seien vielmehr eng miteinander verwoben. Bei der Bildung des algerischen Nationalbewußtseins habe der Islam in der Zeit der französischen Kolonialherrschaft eine so bedeutsame Rolle gespielt, daß ihn auch die Kommunisten anerkennen müßten. Im Sozialismus sehe die Masse der wirklichen Gläubigen „das Mittel für die Verwirklichung der fortschrittlichen moralischen Wertordnung des Islams" als eines „jahrtausendelangen Traums"; in Algerien werde der Islam tatsächlich „seiner fortschrittlichen Funktion in vollem Umfange gerecht". Wörtlich erklärt Bachir Hadj Ali dann schließlich

„Es wäre ein schöner Sieg für den Marxismus, wenn es unter den Gläubigen aus gleicher Inbrunst zu einer Vermischung des Sozialismus mit den geistigen Werten käme, denen unsere werktätigen Massen mit so aufrichtigem Eifer anhängen. Deshalb sagen wir, daß die algerischen Massen mit dem Koran in der einen und dem . Kapital'in der anderen Hand dem Sozialismus entgegenschreiten."

Schlußbemerkung Man muß sich angesichts des vorstehend unternommenen Versuchs, dem heutigen Selbstverständnis des Islams und seiner höchst spannungsgeladenen Auseinandersetzung mit den Problemen der modernen Welt und damit natürlich auch mit dem geistigen Phänomen des Kommunismus nachzugehen, vor die Frage gestellt sehen, welche Aussichten der Kommunismus nun tatsächlich hat, auf die weitere Entwicklung der Länder des islamischen Raumes im Sinne seiner weltumspannenden Zielsetzungen Einfluß zu nehmen.

Es ist kein Geheimnis und auch keineswegs ungewöhnlich oder sogar alarmierend, daß das materialistische Denken in den islamischen Ländern heute angesichts der von ihnen zu bewältigenden schwierigen ökonomischen Entwicklungsprobleme eine größere Rolle spielt als jemals zuvor. Vor die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den sich aus dieser Konfrontation ergebenden Problemen sehen sich aber nicht nur der Islam oder der Buddhismus und der Hinduismus gestellt. Sie ist, wie z. B. die heutige Diskussion um die Probleme der sogenannten „modernen Theologie" innerhalb des Protestantismus zeigt, auch für die Religionen bzw. christlichen Konfessionen in den hochentwickelten Industrieländern ein unausweichlicher Zwang.

Dieser Prozeß der Auseinandersetzung mit dem Materialismus in seinen vielfältigen Äußerungsformen und der Neubesinnung innerhalb des Islams ist in vollem Gange; sein Abschluß ist heute auch noch gar nicht vorauszusehen. Deshalb wäre es auch verfrüht, heute etwa schon den Versuch unternehmen zu wollen, die Chancen des Kommunismus zu errechnen. Äußerungen, wie die bereits aus dem Jahre 1955 stammende Feststellung eines bekannten englischen Sowjetologen man brauche von den drei traditionellen Säulen der muslimischen Autokratie — Bürokratie, Armee und muslimische Hierarchie — nur die dritte dieser Ordnungsmächte durch die entsprechende kommunistische Ordnungshierarchie zu ersetzen und der Umwandlung des islamischen in einen kommunistischen Staat stünde nur noch wenig im Wege, lassen sich jedenfalls durch die bisherige Entwicklung innerhalb des Islams nicht rechtfertigen; sie greifen den Ergebnissen einer Entwicklung vor, die bisher überhaupt noch nicht stattgefunden hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. S. hierzu vor allem Ignaz Goldziher, Vorlesungen über den Islam, Heidelberg 19252. Auf weitere Literaturangaben wird hier verzichtet. Eine ausführliche Literaturzusammenstellung ist dem Artikel „Islam" von Annemarie Schimmel in. Religion in Geschichte und Gegenwart, III. Band Tübingen 19593, Sp. 907— 932 beigefügt.

  2. Die zentrale Bedeutung des Hellenismus für das Entstehen des Islams hat insbesondere H. H. Schaeder in seinen Arbeiten: „Der Orient und das griechische Erbe", „Der Eintritt der Araber in die Weltgeschichte" und „Muhammed" herausgearbeitet. Sie sind erst unlängst wieder erschienen in der von Grete Schaeder herausgegebenen Sammlung von Arbeiten H. H. Schaeders: Der Mensch im Orient und Okzident. Grundzüge einer eurasiatischen Geschichte, München 1960. Besonders zu erwähnen ist daneben auch B. Spuler, Hellenisches Denken im Islam, in: Saeculum, 5. 1954, S. 179— 193.

  3. Zu den altarabischen Glaubensformen und Göttern s. zusammenfassend Rudi Paret, Mohammed und der Koran, Stuttgart 19572, insbesondere S. 14 ff.; weitere Literatur daselbst, S. 156 f.

  4. Arabisch: isläm: völlige Hingabe in den Willen Gottes; derjenige, der diese Hingabe realisiert, ist Muslim.

  5. Zur Ausbreitung des Islams s. vor allem C. Brokkelmann, Geschichte der islamischen Völker und Staaten, 19432 und B. Spuler, Califenzeit, 1952 (hier auch ausführliche Literaturangaben).

  6. Lit. zur Wahhabiten-Bewegung s. Anm. 13.

  7. S. hierzu den Aufsatz von J. C. Froelich, Der Islam in Afrika südlich der Sahara, in: R. Italiaander (Hrsg.), Die Herausforderung des Islams, Göttingen-Berlin-Frankfurt 1965, S. 86— 111 (mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis), den Aufsatz der beiden polnischen Autoren Rajmund Oli und Janin Markiewicz, Cernyj islam (Schwarzer Islam), in Nauka i religija, Nr. 11/1965, und die Beiträge von F. W. Fernau, Afrika im Weltislam, B. Spuler, Der Islam und seine Bedeutung für Nordafrika, J. Roussier, Der Islam in Algerien, und J. Spencer Trimingham, Die Vorbereitung islamischer Kultur in Westafrika, in: Afrika — heute. Jahrbuch der Deutschen Afrika-Gesellschaft, Köln 1960.

  8. S. hierzu den Artikel „Mahdi" von Berthold Spuler in: Religion in Geschichte und Gegenwart, IV. Band, Tübingen 19603, Sp. 604 f. und die hier angegebene Literatur. Zum Ursprung der Mahdi-Idee 's. auch E. Sarkisyanz, Rußland und der Messianismus des Orients, Tübingen 1955, insbesondere S. 223— 268.

  9. Der „Führer der Gemeinde*. Der Glaube an den Imm beruht auf dem Gedanken einer ununterbrochenen Reihenfolge der von Gott mit der entsprechenden Qualifikation begabten Nachkommen

  10. Der bisher bedeutendste Mahdi war Muhammed Ahmad, der sich als Nachfahre des Propheten bezeichnete, sich 1882 im Sudan erhob und die Macht der Engländer brach. S. hierzu A. B. Theobald, The Mahdiya. A history of the Anglo-Egyptian Sudan 1881— 1899, London 1951, mit einer ausführlichen Bibliographie. Die Mahdi-Vorstellung taucht später dann auch in der Ahmadiyya-Bewegung wieder auf.

  11. S. hierzu E. Sarkisyanz, Rußland und der Messianismus des Orients. Sendungsbewußtsein und politischer Chiliasmus des Ostens, Tübingen 1955 S. 269— 280.

  12. Zur Geschichte des Osmanischen Reiches s. vor allem J. v. Hammer-Purgstall, Geschichte des Os-manischen Reiches, Bd. I—X, Pest 1827— 1835; zum Machtverfall speziell C. Ritter von Sax, Geschichte des Machtverfalls der Türkei, 19132, und T. W. Arnold, The Chalifate, Oxford 1924.

  13. über die Wahhäbiten-Bewegung s. u. a. R. Hart-mann, Die Wahhabiten, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 78, 1924, S. 176— 213; Ders, Die Krise des Islams, 1928; H. R. A. Gibb. Modern Trends in Islam, Chicago 1946; zur ersten Orientierung B. Spuler: Artikel „Wahhabiten", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, VI. Band, Tübingen 1962, Sp. 1506 f. Eine ausführliehe Bibliographie der Literatur zur Wahhäbiten-Bewegung enthält im übrigen Hisham A. Nashsabah, Islam and Nationalism in the Arab World. A selected and annoted bibliography, Montreal 1955, S. 7— 26.

  14. Zur Waliyullah-Bewegung s. vor allem Mu’inud-din Ahmad Khan, A Bibliographical Introduction to Modern Islamic Developments in India and Pakistan, Montreal 1955, S. 13— 50 (master’s thesis).

  15. Die Entwicklung Indiens im 18. und 19. Jahrhundert ist kurzgefaßt dargestellt in H. Goetz, Geschichte Indiens, Stuttgart 1962, v. a. S. 152— 200 (ausführliche Literaturangaben).

  16. S. hierzu W. C. Smith, Modern Islam in India, Lahore 1943, und ders., Islam in Modern History, Princeton 1957.

  17. Zur Person und zum Wirken Afghanis liegt bisher nur wenig Literatur vor. Die Ausführungen hierzu folgen deshalb im wesentlichen W. C. Smith, Islam in Modern History (Anm. 16), Kapitel „Afghani". Vgl. im übrigen auch J. Goldziher, Die Richtungen der islamischen Koran-Auslequnq 19522, S. 320 ff.

  18. Vgl. J. Schacht, Artikel „Muhanimad ‘Abduh", in: Shorter Encyclopaedia of Islam, Leiden 1953; in deutsch liegt vor Muhammed El-Bahar, Muhammed Abduh. Eine Untersuchung seiner Erziehungsmethode zum Nationalbewußtsein und zur nationalen Erhebung in Ägypten, Hamburg 1936.

  19. Zum Modernismus in Ägypten s. vor allem C. C. Adams, Islam and Modernism in Egypt, London 1933.

  20. Eine präzise, wenn auch knappe Darstellung dieser Bewegung gibt Zwar Ahmad Hanfi, Die modernistischen intellektuellen Bewegungen in der indisch-islamischen Gesellschaft, in: G. K. Kinder-mann (Hrsg.), Kulturen im Umbruch, Freiburg 1962, S. 209— 227.

  21. über die Person von Sir Sayyid Ahmad Khn s. vor allem den Artikel „Ahmad Khn" von J. M. S. Baljon, in: The Encyclopaedia of Islam, Leiden 1956; ferner die ältere Lebensbeschreibung von G F. I. Graham, The Life of Sir Sayed Ahmad Kh, 1908. Zur Gesamtsituation des Islams in Indien im 19. Jahrhundert s. besonders W. C. Shmith, Modern Islam in India, Lahore 1943.

  22. Über Amir 'Ali berichtet ausführlich W. C. Shmith, Artikel „Sayyid Amir ‘Ali" in: The Encyklopaedia of Islam, Leiden 1956.

  23. Die Schriften Iqbals sind zusammengefaßt in der Bibliographie von Abdul Ghani und Khwaja Nur Ilahi, Bibliography of Iqbal, Lahore (o. J., wahrscheinlich 1954). Zu Iqbals geistigem Anteil an der Gründung Pakistans s. Javid Iqbal, Der Islam schuf Pakistan, in: R. Italiaander, a. a. O., S. 118— 128.

  24. In Cambridge hatte vor allem der Philosoph Bergson auf Iqbal starken Einfluß. Entscheidender Einfluß ging auf ihn auch aus von der Philosophie Nietzsches; N. galt für ihn als der „Arzt der europäischen Kultur".

  25. In der hier nur kurz skizzierten Beurteilung des Westens ist eine bemerkenswerte Parallele zu der Radhakrishnans festzustellen. Vgl. hierzu die Ausführungen über Radhakrishnan in meinem Aufsatz, Das Sendungsbewußtsein des Neo-Hinduismus und die außerindische Welt, in: Ost-Probleme, 17. Jahrgang 1965, S. 650— 657.

  26. So E. Sarkisyanz: a. a. O., S. 267 f.; hier finden sich auch Auszüge aus der erwähnten Trilogie, die S. aus den persischen Originaltexten übersetzt hat.

  27. S. hierzu u. a. S. N. Ahmad, Ahmadiyya, Zürich 1958; C. Tiltack, Die Ahmadiyya-Bewegung des Islams, Hamburg 1956. Eine ausführliche Darstellung der Ziele und Entwicklung gibt auch S. Raeder, Der Islam im Abendland, in: K. Hutten und S. v. Kortzfleisch (Hrsg.), Asien missioniert im Abendland, Stuttgart 1962, S. 51— 72.

  28. Die Koran-Übersetzungen der Bewegung passen sich im Bruch mit der Überlieferung den Forderungen der modernen Zeit wenig sachlich und in Opposition gegen das Christentum an. Sie hat auch eine Koranausgabe in deutscher Sprache herausgebracht: Der Heilige Qurän, Verlag „Der Islam“, Zürich 19592.

  29. Zur Person Mirza Gulam Ahmad s. S. Raeder, a. a. O„ S. 61 f.

  30. Nach dem Tode ihres Gründers zerfiel die Bewegung (1914) in zwei Gruppen: die Qdiyn-Gruppe, die an seinem Anspruch, Prophet und Messias zu sein, festhielt und vor allem in Afrika missioniert, und die größere Lahore-Gruppe, die ihn als Reformer verkündet und sich missionarisch auf Europa konzentriert.

  31. S. hierzu v. a. G. Bergsträsser, Grundzüge des islamischen Rechts, 1935, und J. Schacht, The Ori-gins of Muhammedan Jurisprudence, Oxford 1950.

  32. In der Darstellung des Inhalts dieses Buches und dessen Behandlung durch die Ulema folge ich F. Pareja, Islamologia, Rom 1951, S. 499 ff. Zur Einordnung von 'Abu Dhar al-Ghifari s. auch Majid Khadurri, The Role of the Military in Middle East Politics, in: The American Science Review, Washington, Juni 1953.

  33. Uber 'Ali Abd al-Raziq s. vor allem C. C. Adams, a. a. O„ (Anm. 20), S. 259— 268.

  34. Arabischer Titel: al Islam wa Usui al Hukm, Cairo 1925. Nach einer Mitteilung von W. C. Smith (Islam in Modern History, S. 254, Anm. 42) war die Herausgabe einer englischen Ausgabe in Pakistan geplant. Sie war mir bisher jedoch noch nicht zugänglich.

  35. Von N. A. Smirnov, Sovremennyj Islam, Moskau 1930, S. 208 f.

  36. Zu Mazdak und seiner Lehre siehe den Artikel „Masdak" in: Encyklopaedia of Islam, Leiden 1956, F Altheim, Zarathustra und Alexander, Frankfurt, Hamburg 1960, S. 148— 153, und ders., Reich gegen Mitternacht. Asiens Weg nach Europa, Hamburg 1955, S. 100— 106.

  37. Bemerkenswert die Feststellung von V. Bart-hold, K voprosu o feodalizme v Irane, in: Novyj Vostok, Nr. 28, 1930, S. 111, daß sich der Zwangskommunisinus Mazdaks vom russischen Kommunismus nur darin unterscheide, daß er auf religiösen Anschauungen basiert und jener auf einer wissenschaftlichen Theorie. Diese Äußerung Bartholds wurde von den sowjetischen Ideologen strikt abgelehnt; sie war im übrigen einer der Gründe, die später zu Bartholds Beseitigung geführt haben,

  38. Wiranata Koesoemah war früher Regent von Bandung.

  39. Al-Hadj Wiranata Koesoemah, Tslamietische democratie in theorie en practijk, Bandung 1949.

  40. S. hierzu seine kurze Schrift, Conception of a Quranic or Islamic State, Karachi o. J. Diese Schrift wurde außerdem abgedruckt unter folgendem Titel: Chauduri Khalik uz Zaman: My Conception of a Quranic or Islamic State, in: Islamic Review, January 1950.

  41. Sie sind kurz, aber präzise zusammengefaßt bei E Insabato, Unitä religiosa e politica dei paesi islamici, in: Civitas, Dezember 1953, S. 18.

  42. Umfangreiches Material ist in Zusammenhang mit dieser Konferenz in Karatschi veröffentlicht worden von Tslamic Review, June 1951; besonders hinzuweisen ist auf den Artikel aus dieser Ausgabe: Islam, Communism and Capitalism; s. ferner aber auch M. Ishanullah Khan, Private Property, Morality and Communism, in: Islamic Review, October 1951.

  43. Hierzu und zum folgenden s. u. a. M. Ahmad, Economics of Islam, Lahore 1949; M. Siddiqi, Marxism and Islam, Haidarabad 1951; Mirza Mohammed Hussein, Islam and Socialism, Lahore 1949; K. Gragg, The Intellectual Impact of Communism Upon Contemparary Islam, in: The Middle East Journal, Frühjahr 1954, S. 127 ff.

  44. S. hierzu u. a. Rouben Levy, The Social Structure of Islam, Cambridge 19653, ferner aber vor allem auch H. A. R. Gibb and Harold Bowen, Islamic Society and the West. A. Study of the Impact of Western Civilization on Moslem Culture in the Near East, I. Band: Islamic in the Eighteenth Century, 1. Teil, London-New York-Toronto 19634, 2. Teil, London-New York-Toronto 196531 (beide Arbeiten enthalten jeweils umfangreiche Literaturverzeichnisse). . .

  45. Maxime Rodinson, Islam et capitalisme, Paris 1966, insbesondere S. 91— 129.

  46. Von Rudi Paret, Die geistige Situation in der heutigen Welt des Islams, in: Muhammad Asad und Hans Zbinden (Hrsg.), Islam und Abendland. Begegnung zweier Welten, Olten und Freiburg/Brg. 1960, S. 165— 181.

  47. Arnold Hottinger, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 80, 22. März 1967, Blatt 3 Danach kamen die Referenten vor allem aus Pakistan, dem Iran und den arabischen Ländern, aber auch aus Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Amerika. Der erste Tag des insgesamt fünf Tage dauernden Symposiums war dem Islam der Gegenwart, der zweite der heutigen Theologie und der ar’a, der dritte der islamischen Philosophie, der vierte der islamischen Kunst und der fünfte schließlich der islamischen Mystik gewidmet. Als Referenten traten nach diesem Bericht u. a. auf: Inamullah Khan, der Generalsekretär des muslimischen Weltkongresses in Karatschi, der über den „Modernismus" im Islam sprach (den er nach Hottinger mit der Feststellung abtat, man brauche nur dem reinen islamischen Gesetz, das im Koran und in der Sunna einwandfrei niedergelegt sei, nachzuleben, dann werde der Islam seine alte Größe wiedererlangen), Jamal Mohammed Ahmed, Botschafter des Sudan in London, der über den Islam im heutigen Afrika referierte, Javad Nourbakhch, Professor für Psychiatrie in Teheran, mit einem Referat über die islamische Mystik, Dr. Zaki Yamani, Erdölminister Saudi-Arabiens, der über die sari’a sprach, und andere mehr.

  48. Zur Geschichte der kommunistischen Partei Ägyptens s. M. A., Der Kommunismus in Ägypten, in: Ost-Probleme, Jahrgang 1951, S. 1480 ff.; o. V., Le communisme en Egypte, des origines ä la rvolution nationale, in: Est & Ouest, XI. 200 (1958), S. 18 ff.

  49. Zur Entwicklung vor allem in der Nachkriegszeit s. Ost-Probleme, Jahrgang 1958, S. 447 f. und Ost-Probleme, Jahrg. 1960, S. 103 ff

  50. S. hierzu v. a. W. Laqueur, Communisme in North Africa, in: S. Hamrell und C. G. Widstrand (Hrsg.), The Soviet Bloc, China and Africa, Upsala 1964, S. 64— 74; ders., Arab Unity versus Soviet Expansion, in: Problems of Communism, Heft 3/1959, S 42— 48.

  51. Vereinigte Arabische Republik (o. V.), Charta, Informationsamt Kairo (ohne Jahresangabe).

  52. Ebenda, S. 48— 59 (Kapitel: Die Unvermeidbarkeit der sozialistischen Lösung).

  53. Ebenda, S. 33— 48 (Kapitel: Wahre Volksherrschaft).

  54. Ebenda, S. 17 f.

  55. Ebenda, S. 18.

  56. Ebenda, S. 21.

  57. Ebenda, S. 17.

  58. Ebenda, S. 16.

  59. Ebenda, S. 74 f.

  60. Ebenda, S. 102.

  61. Die nachfolgenden Zitate und Angaben sind einem Artikel mit Textauszügen von H. Vocke in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. August 1966, S. 2, entnommen.

  62. Die Argumente enthält das von H. Vocke in seinem Artikel (Anm. 62) zitierte Buch des auch in Deutschland durch seine Gastvorlesungen an der Universität Frankfurt 1962 über historische und religionshistorische Themen bekanntgewordenen arabischen Gelehrten Dr. Munadschid, dessen Titel in deutscher Übersetzung „Die soziale Irreführung" heißt; Vocke macht sich die darin enthaltenen Thesen und Argumente offensichtlich zu eigen.

  63. S. hierzu: Archiv der Gegenwart, Jahrg. 1965, S. 12232 D.

  64. In: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe 346, vom 17. 12. 1965.

  65. Zum folgenden: Archiv der Gegenwart, Jahrg. 1965, S. 12336 B.

  66. Izvestija vom 10. Februar 1966, S. 2.

  67. Zitiert nach: Archiv der Gegenwart, 1966, S. 12336 B.

  68. Zitiert nech der Zusammenfassung des Kommuniques in: Neue Zürcher Zeitung vom 26. 4. 1966 und Archiv der Gegenwart, 1966, S. 12462 C.

  69. Zitiert nach der ausführlichen Inhaltsangabe der Äußerungen Ayub Khans auf dieser Presse-Konferenz, in: Archiv der Gegenwart, 1966, S. 12462 C.

  70. Vgl. hierzu W. C. Smith, Islam in Modern History, Princeton 1957, S. 49; vgl. hierzu aber auch die in Anm. 13 zitierte Literatur.

  71. S. hierzu E. Insabato: a. a. O., (Anm. 42), S. 15.

  72. Die Schrift von Nasser „Philosophie der Revolution" wurde in deutscher Übersetzung herausgegeben von F. R. Allemann in dem bei Ullstein erschienenen Buch: Die arabische Revolution. Nasser über seine Politik, Frankfurt 1958; die hier zitierte Äußerung: S. 55 f.

  73. Nach dem Auszug aus dem Interview mit dem indischen Journalisten Dewan Berindranath bei F. R. Allemann, a. a. O., S. 83 f.

  74. Einige Daten über die Entwicklung der kommunistischen Partei Algeriens sind zu finden in: Ost-Probleme, Jahrgang 1965, S. 78, Tabelle.

  75. Angaben zur Person Bachir Hadj Ali: ebenda, Anmerkung a) zur Tabelle.

  76. Bachir Hadj Ali, Qu’est-ce qu'un revolutionnaire algerien en 1964?, in: Cahiers du Communisme, November 1964.

  77. L’Unita vom 30. 6. 1964.

  78. Zitiert nach der deutschen Übersetzung dieser Stelle in: Ost-Probleme, Jahrgang 1965, S. 81, Fußnote **.

  79. W. Laqueur, The Appeal of Communism in the Middle East, in: Middle East Journal, Winter 1954/1955.

Weitere Inhalte

Hans Bräker, Dr. phil., Bundesinstitut für Ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Zahlreiche Veröffentlichungen (Bücher und Aufsätze) zu Fragen der Entwicklungsländer, der Entwicklungshilfe, der Wirtschaftspolitik der osteuropäischen Länder und über religionswissenschaftliche Probleme. Zuletzt u. a.: Multilaterale Hilfeleistung für Entwicklungsländer, Köln-Opladen 1968; Die religionsphilosophische Diskussion in der Sowjetunion. Zur heutigen Auseinandersetzung des Marxismus-Leninismus mit dem Christentum, in: Marxismusstudien, Sechste Folge, Tübingen 1969.