I. Die Wurzeln des Abrüstungsgedankens
Ausgangspunkt sowohl der Abrüstungsverhandlungen als auch der öffentlichen Diskussion über Abrüstung war das Katastrophenerlebnis des Ersten Weltkriegs. Der beispiellose Zusammenprall von Menschen-und Materialmassen auf den europäischen Kriegsschauplätzen mit seinen zehn Millionen Gefallenen — ein Vielfaches aller Kriegstoten des voraufgegangenen Jahrhunderts — bewirkte eine tiefgreifende Ernüchterung und stellte die bis dahin geltenden Normen des gesellschaftlichen wie des staatengesellschaftlichen Zusammenlebens radikal in Frage. Unter den programmatischen Entwürfen, die neue Formen zwischenstaatlicher Ordnung propagierten, sind im Hinblick auf die Abrüstungsfrage zwei von besonderer Bedeutung.
Der erste Ansatz ergibt sich aus dem Verständnis des Wesens militärischer Rüstung, wie es das Geschichtsbild des Marxismus, insbesondere seine Imperialismus-Theorie, vermittelt: „Kapitalismus und Imperialismus sind voneinander untrennbar; darum auch der Militarismus." 1)
Dahinter steht die Auffassung vom Imperialismus als Konkurrenzkampf entwickelter Industriekapitalismen um neue Rohstoffbasen und Absatzmärkte, der systemnotwendig über Län-dergrenzen hinausdrängt und vom bürgerlichen Staat nicht nur durch dessen rechtliche Autorität, sondern auch materiell durch die Be-reitstellung von Militär und Rüstung gestützt wird. Der den kapitalistischen Produktionsverhältnissen immanente Zwang zur Profitmaximierung durch Expansion ist es, der das Bündnis zwischen Wirtschaft, imperialistischer Staatspolitik und Militärmacht schmiedet
Dieses Verständnis der Funktion und Wirkung militärischer Rüstung wird in dem Augenblick problematisch, wo es gilt, politische Folgerungen daraus abzuleiten. Hier ist eine deutliche Unterscheidung zwischen zwei Gruppen von Interpreten der marxistischen Theorie zu treffen. Sie scheiden sich an der Frage: Kann die erhoffte Umgestaltung der Gesellschaft auf konstitutionellem Wege durch Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Kräften anderer politischer Richtungen erreicht werden oder ist gewaltsamer Umsturz unabdingbar?
Für die Befürworter der Veränderung der Gesellschaft durch Reformen versteht es sich von selbst, die Militärs als traditionell reaktionäre Macht zu bekämpfen und für die generelle Beseitigung der Kriegsrüstungen einzutreten, die in ihren Augen in erster Linie Werkzeuge des unterdrückenden, ausbeutenden kapitalistischen Systems sind. Abrüstung erscheint ihnen als Merkmal eines erstrebenswerten Idealzustandes der Staatenwelt, gleichzeitig aber auch als Mittel praktischer Politik auf dem Wege zu diesem Ziel.
Wer hingegen imperialistische Kriege nicht nur als unvermeidbar, sondern für die Befreiung der unterdrückten Klassen sogar notwendig ansieht und sich das Weltheil von der Beseitigung des Kapitalismus durch Waffengewalt verspricht, kann konsequenterweise solange kein Anhänger des Abrüstungsgedankens sein, als diese Grundvoraussetzung nicht erfüllt ist. Abrüstung wäre dann ein Kurieren an Symptomen, nicht an den Ursachen des Übels.
Tatsächlich standen Lenin und die sowjetische Staatsführung in einem „überaus skeptischen, wenn nicht völlig ablehnenden"
So gering auch die marxistische Lehre in der durch Lenin weiterentwickelten Form als Trieb-kraft der Abrüstungsdebatte zwischen den Weltkriegen bewertet werden muß, für sozialistische Politiker westlicher Länder waren es nicht zuletzt die humanitären Ziele des Marxismus, die sie bestimmten, sich für Abrüstung zu engagieren und ihr anderen Mitteln der Friedenssicherung gegenüber Vorrang einzuräumen
Einen zweiten und für die Entwicklung weit einflußreicheren Impuls erfuhr der Abrüstungsgedanke aus dem amerikanischen Liberalismus durch die politische Aktivität Wilsons während des Krieges und unmittelbar danach.
Dem amerikanischen Bewußtsein, wie es sich in Wilsons Denken widerspiegelt, ist Krieg stets als eine Anomalie erschienen, Friede als der natürliche und gewollte Zustand
Die durch zwei Ozeane geschützte Lage des Landes und seine wirtschaftliche Autarkie haben den Vereinigten Staaten länger als ein Jahrhundert ein ausreichendes Maß nationaler Sicherheit gewährleistet. Sie erlaubten ihnen, nicht nur auf die Unterhaltung eines stehenden Heeres, sondern weitgehend auch auf Planung und Organisation der Landesverteidigung zu verzichten. Militärische Macht zur Unterstützung außenpolitischer Ziele in ständiger Bereitschaft zu halten, wurde überhaupt nie erwogen
Das ist im groben Umriß der eigene Erfahrungshintergrund, vor dem man in Amerika die europäischen Verhältnisse beurteilte. Aus der Kritik an der klassischen Bündnispolitik und ihrer Tendenz zu ungezügeltem Wettrüsten, die als letzte Ursachen des Weltkrieges begriffen wurden, erwuchs das Konzept der Ablösung der mit dem Gleichgewichtssystem verbundenen Machtpolitik durch ein System justizförmiger Konfliktschlichtung
Wilson und seine Berater glaubten an die Möglichkeit, die internationalen Beziehungen analog denen der innerstaatlichen Politik zu verrechtlichen. Sie dachten legalistisch und teilten das aus dem amerikanischen Gründer-geist überkommene Vertrauen in republikanische Tugenden und die regulative Kraft von Diskussion und Debatte. Ihre Idee des Völker-bundes war die eines internationalen Parlaments. Seine Hauptaufgabe sahen sie in der Überwindung der jahrhundertelang geübten Praxis europäischer Mächte, sich gegeneinander zu verbünden und gegeneinander zu rüsten. Statt dessen sollten Friede und Sicherheit aller kollektiv, das heißt mittels gegenseitiger Gewährleistung, erhalten werden. Armeen und materielle Rüstung in ausschließlich nationaler Kontrolle wären dann überflüssig, ihre Abschaffung die logische Konsequenz. 2. Der Versailler Vertrag vierten Punkte Wilsons Vom der Vierzehn Völkerbund führt der Weg zum Artikel 8 der -satzung. Allerdings ist es kein gradliniger Weg, sondern verschlungene -der Pfad diplo matischen Feilschens auf der Pariser Friedenskonferenz, Wilsonschen der den Gehalt der Forderung erheblich verwässerte Welchen
„Vierzehn Punkte"
Völkerbundsatzung, Punkt 4 Artikel 8, Absatz 1 vom 18. Januar 1918: vom 28. April 1919: „Ausreichende Garantien „Die Bundesmitglieder müssen gegeben bekennen sich zu und angenommen werden, dem Grundsatz, daß daß die nationalen die Aufrechterhaltung Rüstungen auf des Friedens eine Herabsetzung den niedrigsten Stand der nationalen herabgesetzt werden, Rüstungen auf der mit der inneren das Mindestmaß erfordert, Sicherheit vereinbar das mit der ist."
nationalen Sicherheit und mit der Erzwingung internationaler Verpflichtungen vereinbar ist."
Zwei wesentliche Einschränkungen des Abrüstungsgrundsatzes fallen ins Auge. Zunächst sollte nicht mehr die „innere Sicherheit" das Maß der erlaubten Rüstung setzen, sondern die „nationale Sicherheit", das heißt das Gesamt der inneren und äußeren Sicherheit jedes Staates. Wilsons Vorschlag, der sich auch in seinen drei Satzungsentwürfen findet, markiert als Ziel die allgemeine Verminderung der Streitkräfte auf das Niveau von Polizeitruppen, zur Aufrechterhaltung der inner die -staatlichen Ordnung ausreichen. Dieser Gedanke kam in den Beratungen der Pariser Völkerbundkommission zu Fall. Vielmehr wurde das Recht der Unterhaltung von Truppenkontin -genten für militärische Kollektivaktionen des Bundes ausdrücklich zugestanden.
Der folgende Absatz des Artikels 8 enthält zwei Bestimmungen, die das Abrüstungsprinzip noch stärker aushöhlten. Sie wurden auf französisches Verlangen ausgenommen und besagen, daß durch die Abrüstungspläne des Völkerbundes auch „der geographischen Lage" und „den besonderen Verhältnissen eines Staates"
Bindende Verpflichtungen erwuchsen den Mitgliedstaaten aus dem Abrüstungsartikel der Völkerbundsatzung nicht. Er nannte lediglich vier allgemeine Prinzipien der Rüstungsverminderung und trug dem Rat auf, einen Durchführungsplan zu entwerfen, der „den verschiedenen Regierungen zur Prüfung und Entscheidung"
Das Versailler Vertragswerk, dessen Bestandteil die Völkerbundsatzung war, erwähnt die Abrüstung noch an einer zweiten Stelle. Die Präambel zu Teil V des Vertrages, der die Deutschland auferlegten Entwaffnungsbestimmungen enthält, lautet: „Um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen, verpflichtet sich Deutschland, die im folgenden niedergelegten Bestimmungen über das Landheer, die Seemacht und die Luftfahrt genau innezuhalten."
Die Auslegung dieser Vorschrift wurde später zu einem permanenten Streitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland. Nach französischer Auffassung bedeutete sie nur eine Wiederholung der alliierten Willensbekundung, die Militärrüstungen einzuschränken. Indessen würde durch sie nicht das in Artikel 8 der Völkerbundsatzung begründete Recht jedes Staates berührt, über Form und Umfang seines Abrüstungsbeitrages selbst zu befinden
Dementgegen machte der deutsche Standpunkt geltend, daß die Unterzeichner des Versailler Vertrages durch die Präambel zu Teil V eine rechtsverbindliche Abrüstungsverpflichtung eingegangen seien, deren Erfüllung Deutschland zur Vorbedingung der Einwilligung in die eigenen Abrüstungsauflagen erhoben habe. Die Entmilitarisierung Deutschlands könne nur als Mittel zu dem im Vertrag genannten Zweck, nämlich „die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen", angesehen werden. Da dieser Zweck nicht verwirklicht, das heißt die Versailler Siegermächte ihrer Vertragsverpflichtung nicht nachgekommen seien, hätten auch die Einzelbestimmungen des Teiles V, die deutschen Entmilitarisierungsauflagen also, ihre Rechtswirksamkeit verloren
Nach dem Ersten Weltkrieg bestand diese Schwierigkeit in noch weit geringerem Maße. Nicht daß Abrüstung und Sicherheit als politische Leitvorstellungen beziehungslos nebeneinander gestanden hätten — im Gegenteil bildet gerade ihre enge sachliche und politische Verzahnung ein Charakteristikum der internationalen Beziehungen zwischen den Weltkriegen —, aber ihr Zusammenhang war einfacher zu definieren: Einseitige Abrüstung mindert die Sicherheit des abrüstenden Staates und erhöht nur die seiner potentiellen Gegner, allgemeine Abrüstung wurde als der Sicherheit aller Beteiligten dienlich propagiert.
Zwischen Abrüstung und Sicherheit bestand die relativ eindeutige Zuordnung eines Mittel-Ziel-Verhältnisses. Würde es gelingen, die Bestände an Kriegswaffen so einschneidend herabzusetzen, daß sie keine Bedrohung des Friedens mehr darstellen könnten, so wäre damit der Idee nach eines der Fundamente gelegt, durch die das Konzept der kollektiven Sicherheit erst eine materielle Basis erhalten sollte. Die Vorstellung, daß eine tatsächliche Reduktion der vorhandenen Rüstungen erreicht werden müsse, nicht nur ihre Stabilisierung, machte das wesentliche Element des Abrüstungsgedankens nach dem Ersten Weltkrieg aus. Insofern ist der Begriff enger gefaßt als in der Diskussion nach 1945.
Die offizielle Terminologie des Völkerbundes unterschied zwischen „limitation" und „re-duction des armements". Dabei galt als Rüstungsbegrenzung die „Festsetzung der Rüstungshöhen, die die verschiedenen Staaten sich verpflichteten, nicht zu überschreiten". Unter Abrüstung wurden die Maßnahmen verstanden, „die ein Land trifft, um die Rüstungen, welche die festgesetzte Rüstungshöhe überschreiten, auf diese Höhe zurückzuführen"
II. Abrüstungsbemühungen im Rahmen des Völkerbundes
1. Initiativen des Völkerbundrates Von den ersten Bemühungen des Völkerbundes, die Programmforderung des Artikels 8 seiner Satzung zu realisieren, sind nur zwei erwähnenswert. Da dem Rat einerseits aufgetragen war, einen Abrüstungsplan zu entwerfen, andererseits dabei aber die nationale Sicherheit, zur die die Bundesexekution, geographische Lage und die besonderen Verhältnisse jedes Staates zu berücksichtigen, wandte er sich 1921 in einer Umfrage an die Mitgliedregierungen, um zu ermitteln, welche konkreten Sachverhalte sie darunter verstanden zu wissen wünschten. Die Mehrheit der Antworten drückte aus, daß die betreffenden Regierungen „angesichts der gegenwärtigen Weltlage" überhaupt jegliche Einschränkung ihrer Rüstungen ablehnten. Die Vorarbeiten für einen Abrüstungsplan wurden daraufhin eingestellt
Für die Behandlung der Abrüstungsfrage hatte sich der Völkerbund gleich zu Anfang zwei Hilfsorgane geschaffen. Der Ständige Beratende Ausschuß („für Militär-, Marine-und Luftschiffahrtsfragen")
Nachdem die ersten Schritte des Völkerbundes auf dem Gebiet der Abrüstung bereits im Ansatz steckengeblieben waren, wandte sich die diplomatische Aktivität bis 1925 stärker dem allgemeinen Sicherheitsproblem zu. Aber auch hier gelangten die Entwürfe des Vertrages über gegenseitige Hilfeleistung (1923) und des Genfer Protokolls (1924) über das Stadium der Paraphierung bzw. Unterzeichnung nicht hinaus. Sie scheiterten spätestens in den parlamentarischen Ratifizierungsdebatten, vor allem, weil sich die britischen Dominions einer engeren Bindung Englands an den europäischen Kontinent widersetzten. Erst die Locarno-Verträge schufen die Voraussetzungen für eine neue Initiative in der Abrüstungsfrage. 2. Die Vorbereitende Kommission Das zweite Jahrfünft der Abrüstungsverhandlungen des Völkerbundes stand im Zeichen der Vorbereitenden Abrüstungskommission 29). Mit der Einberufung dieses Ausschusses im Dezember 1925 schlug der Völkerbund einen anderen Weg in der Abrüstungsfrage ein. Das in der Satzung vorgezeichnete Verfahren, nach dem der Rat einen Abrüstungsplan zu erstellen hatte, der dann mit den einzelnen Regierungen abzustimmen gewesen wäre, hatte sich als unbrauchbar erwiesen. Nun sollte das Problem zum Gegenstand einer weltweiten Abrüstungskonferenz gemacht werden. Was der herkömmlichen Diplomatie nicht gelungen war, hoffte man vor den Augen und unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit leichter zu erreichen. Dem neuen Ausschuß oblag es, einen Vertragsentwurf als Grundlage der eigentlichen Verhandlungen zu erstellen und technische Vorarbeit zu leisten.
Wurde die Einberufung der Abrüstungskonferenz ursprünglich zu „einem möglichst baldigen Zeitpunkt ins Auge gefaßt" 30), so bestä-tigte die Vorbereitende Kommission diese Erwartung nicht. Sie benötigte fast fünf Jahre, vom Mai 1926 bis zum Dezember 1930, ehe sie als Ergebnis ihrer Arbeit den Entwurf für eine allgemeine Abrüstungskonvention vorlegen konnte. Wie wenig darin die sachlichen und politischen Gegensätze überwunden worden waren, zeigen die über 50 Vorbehalte zu Einzelbestimmungen, die von den verschiedenen Delegationen protokolliert wurden, und die generelle Ablehnung des Konventionsentwurfs durch die deutsche Regierung. überdies war es nur eine Minderheit der interessierten Mächte, die an den vorbereitenden Studien teilnahm. Die Kommission bestand aus Vertretern der Ratsmitglieder, sechs weiteren europäischen Staaten
AIs Vorsitzender der Konferenz fungierte der ehemalige britische Außenminister Henderson, der auch in ihren beiden wichtigsten Organen, dem Präsidium und dem Hauptausschuß, den Vorsitz führte. Dem Präsidium, das für Geschäftsordnungs-und Verfahrensfragen das engere Entscheidungsgremium bildete, gehörten als stellvertretende Vorsitzende die Delegationsleiter der sieben sogenannten Großmächte
Der Hauptausschuß stellte das Plenum der Konferenz dar. In ihm war jedes Land durch einen Delegierten vertreten. Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Politis (Griechenland) und Benesch (Tschechoslowakei) als Berichterstatter waren zwei Schlüsselpositionen der Generalkommission durch führende profranzösische Politiker besetzt. Neben bzw. unter den fünf ständigen Konferenzausschüssen für Land-, See-und Luftabrüstung, politische Fragen und Fragen der Wehrbudgetverminderung arbeitete eine Reihe nichtständiger Komitees und Subkomitees.
Als Kriterien für eine Periodisierung der Konferenz bieten sich mehrere organisatorische wie sachliche Gesichtspunkte an. Zwei Ereignisse jedoch, die Deutschlands Rolle in den Verhandlungen betrafen, markieren am ehesten die eigentlichen politischen Wendepunkte: die Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932, durch die Deutschland die Stellung eines grundsätzlich gleichberechtigten Partners in der zu schließenden Abrüstungskonvention zuerkannt wurde, und Deutschlands Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund vom 14. Oktober 1933.
Diese Einschnitte unterteilen die Abrüstungskonferenz in drei etwa gleich lange Abschnitte. Im Mittelpunkt der ersten Phase stand der Tardieu-Plan vom 5. Februar 1932, der die Elemente der französischen Abrüstungsposition zu einem Maximalprogramm zusammenfaß-te
Die verbesserten Konferenzchancen nach der deutsch-französischen Grundsatzeinigung nutzend, ergriff der britische Premierminister mit der Vorlage eines detaillierten Konventionsentwurfes die Initiative. Der McDonald-Plan vom 16. März 1933
Vor der zweiten Lesung jedoch unterbreitete der britische Außenminister Simon auf französisches Drängen und mit amerikanischer Unterstützung einen neuen Vorschlag, der den Mc-Donald-Entwurf in zwei wesentlichen Punkten revidierte und ihn damit von der mittleren Linie eines möglichen Kompromisses wieder entfernte. Der sogenannte Simon-Plan
Die dritte und letzte Phase der Genfer Abrüstungskonferenz war durch zwei parallele Entwicklungen gekennzeichnet. Zunächst verlagerte sich die diplomatische Aktivität infolge des Fehlens einer der hauptbeteiligten Mächte am Konferenzort immer mehr auf direkte Sondierungen und Verhandlungen zwischen den Regierungen. Andererseits hatte sich auch der Schwerpunkt der Thematik zunehmend verschoben. Für eine Abrüstungsübereinkunft schwand 1934 rasch jede politische Basis. Rüstungsbegrenzung und mehr noch die Frage von Sanktionen und Beistandsverpflichtungen gegen Friedensstörer rückten in den Mittelpunkt der Diskussion. Diese Veränderung der Verhandlungsgegenstände widerspiegelte nur den inzwischen eingetretenen Wechsel des weltpolitischen Klimas. Ihrer Funktion beraubt, vertagte sich die Abrüstungskonferenz am 8. Juni 1934 auf unbestimmte Zeit.
III. Abrüstungsverhandlungen außerhalb des Völkerbundes
1. Das Abkommen von Washington Parallel zu den Abrüstungsbemühungen des Völkerbundes liefen zahlreiche Versuche einzelner Regierungen, durch direkte Verhandlungen Vereinbarungen über die Begrenzung und Beschränkung ihrer Kriegsrüstungen zu erreichen. Die Washingtoner Konferenz von 1921/22
Außenminister Hughes hatte zu Beginn der Konferenz, die ursprünglich als reine Abrüstungskonferenz einberufen worden war, den Kräfteproporz vorgeschlagen, der zur Grundlage des Abkommens vom 6. Februar 1922
In absoluten Werten legte der Vertrag fest, daß die Gesamttonnage an Linienschiffen
Lag die Hauptbedeutung des Vertrages in der Begrenzung künftiger Seerüstung, so verfügte er auch gleichzeitig praktische Abrüstungsmaßnahmen. Ein tabellarischer Anhang bezeichnete namentlich diejenigen Schlachtschiffe, die den vertragschließenden Staaten nach den festgesetzten Höchsttonnagen belassen wurden und welche abgewrackt werden mußten
Wenngleich einzuräumen ist, daß die Vertragsstaaten nur den älteren und am wenigsten kriegstauglichen Teil ihrer Flottenbestände demontierten und daß überdies die rüstungstechnische Entwicklung die Bedeutung so schwerer Schiffstypen, wie sie unter die Übereinkunft fielen, für den Seekrieg zurückgehen ließ, so stellt dennoch das Washingtoner Abkommen durch den Umfang der vereinbarten Rüstungsverminderung das bemerkenswerteste Ergebnis der Abrüstungsverhandlungen zwischen den Weltkriegen dar
Gegen eine vertragliche Fixierung des Status quo erhoben jedoch Spanien und Brasilien Einspruch. Die Konferenz von Rom, die sich im Februar 1924 mit der beabsichtigten Erweiterung des Washingtoner Vertrages befaßte und zu der auch die Sowjetunion hinzugezogen worden war, scheiterte u. a. an der russischen Forderung nach Bewilligung einer Kriegsmarine von 490 000 Tonnen. Was die Sowjetunion damit verlangt hatte, war die näherungsweise Gleichstellung mit den größten Seemächten England und Amerika.
Auch die späteren Verhandlungen der fünf Washingtoner Signatare über den Ausbau ihrer Abrüstungskonvention und deren Ausdehnung auf die kleineren Schiffsgattungen führten nur noch zu begrenzten Ergebnissen
Immerhin einigten sich noch 1930 die drei großen Seemächte über die bis dahin vergeblich angestrebte Begrenzung ihrer leichten Seestreitkräfte. Indem Japan in die Verlängerung der Rüstungsbeschränkung für Schlachtschiffe nach der Washingtoner Formel von 10: 10: 6 einwilligte, sicherte es sich einen leicht vorteilhafteren Verteilerschlüssel bei den kleineren Schiffsklassen der Kreuzer und Zerstörer
Eine nochmalige Verlängerung des Washingtoner Vertrages, wie sie auf der Londoner Flottenkonferenz von 1936 versucht wurde, kam nicht zustande. Die japanische Delegation brach die Verhandlungen ab, nachdem sie die Forderung nach absoluter Gleichstellung in der gesamten Seerüstung nicht durchzusetzen vermochte. 3. Regionale Abrüstungskonferenzen Zu den wenigen Verhandlungen, die eine Abrüstungsübereinkunft von regionalem Geltungsbereich zeitigten, gehörte die Zentralamerikanische Konferenz, die unter der Vermittlungshilfe der Vereinigten Staaten vom Dezember 1922 bis Februar 1923 in Washington tagte
Andere Regional Verhandlungen erbrachten keine praktischen Lösungen. Die Panamerikanische Konferenz vom März/April 1923 in Santiago endete ebenso ergebnislos wie die War-schauerAbrüstungsverhandlungen der um das Baltische Meer gruppierten Staaten Rußland, Polen, Finnland, Lettland, Litauen und Estland vom Dezember 1922. Hier war es die sowjetische Weigerung, den Abschluß eines gegenseitigen Nichtangriffspaktes der quantitativen Abrüstungsvereinbarung vorangehen zu lassen, die einen Konferenzerfolg verhinderte.
IV. Einzelne Aspekte des Abrüstungsproblems
1. Quantitativ oder qualitativ?
Der externe Abriß der Verhandlungen über Abrüstung zwischen den Weltkriegen zeigt als hervorspringendes Ergebnis den Fehlschlag aller Bestrebungen, das schrankenlose Wettrüsten zwischen souveränen Nationalstaaten, das weithin als mächtigste Triebkraft der Katastrophe von 1914 angesehen wurde, durch eine alle Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft verpflichtende Konvention über die Begrenzung und Verminderung der militärischen Rüstungen abzulösen. In der langen Kette der Verhandlungsmißerfolge bildet nur das Washingtoner Arrangement von 1922 den Sonderfall einer zeitlich, sachlich und dem Teilnehmerkreis nach begrenzten Übereinkunft.
Bei der Ursachen des Frage nach den Scheitern fällt auf, daß die Abrüstungsverhandlungen, soweit in ihnen über Abrüstung verhandelt wurde, fast ausschließlich um Verfahrensfragen kreisten. Das deutet darauf hin, in welchem Maß prozedurale Aspekte der Abrüstung bereits substantielle Probleme reflektieren. Mochte eine bestimmte Vorgehensweise noch so sehr den Anschein der Sachgerechtigkeit für sich haben, stets galt sie aus der Sicht des nationalen Interesses einmal dieser, einmal jener Macht als inakzeptabel.
So gehörte die Grundentscheidung, ob Abrüstungsvereinbarungen nach quantitativen oder qualitativen Prinzipien erfolgen sollten, zu den umstrittensten Verhandlungsgegenständen. Quantitative Abrüstung bedeutete die mengenmäßige Herabsetzung aller Rüstungsgüter, während qualitative Abrüstung nur bestimmte Kriegsmaterialien einschloß. Dabei wurde vornehmlich an solche Waffentypen gedacht, die in erster Linie zum Einsatz gegen Verteidigungsanlagen geeignet waren und in ihrer Wirkung auch die Zivilbevölkerung in Mit-leidenschaft zogen.
Das Eintreten für die qualitative Abrüstung konnte auf einen an sich überzeugenden Gedankengang gestützt werden. Wenn nationale Sicherheit in dem Schutz jedes Staates vor dem militärischen Überfall durch einen anderen Staat bestehe, so könne sie am ehesten gewährleistet werden, indem man allen Armeen die Befähigung, einen Angriffskrieg zu führen, durch Abschaffung der offensiven Waffen entzöge; Diesen Standpunkt machte sich am entschiedensten die amerikanische Politik durch die Forderung nach dem Verbot von Panzern, schwerer Artillerie und Gaskampfstoffen zu eigen
So allgemein auch die moralische Diskreditierung des Angriffskrieges war, so schwierig erwies sich jedoch die Aufstellung technischer Kriterien zur Unterscheidung von aggressiven und defensiven Waffen. Während sich die Genfer Abrüstungskonferenz nach langer Debatte zum Grundsatz der qualitativen Abrüstung bekannte, gelangte die Definitionsfrage nicht über Beratungen in den Expertenausschüssen hinaus. Bezeichnend war dabei die von den verschiedenen Delegationen eingenommene Haltung
In engem Zusammenhang mit der Auswahl der für ein Abrüstungsreglement heranzuziehenden Waffenkategorien stand die Frage nach einem geeigneten Schlüssel, um den Umfang der jedem Land zu erteilenden Abrüstungsauflagen zu bestimmen. Zwischen zwei prinzipiell verschiedenen Methoden war zu wählen. Die eine bestand darin, die vorhandenen Rüstungsbestände aller Mächte um einen bestimmten Prozentsatz zu reduzieren. So waren die Partner des Washingtoner Abkommens vorgegangen, als sie die Gesamttonnage jedes Vertragsstaates (ausgenommen Frankreich und Italien) an Großkampfschiffen einheitlich um etwa 40 Prozent herabsetzten. Mit dem Vorschlag einer allgemeinen Rüstungsverminderung um ein Drittel empfahl die Hoover-Botschaft vom Juni 1932
Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner relativen Einfachheit. Es erübrigt das naturgemäß hartnäckige Tauziehen um die Festsetzung zahlenmäßiger Abrüstungsquoten für jedes Land und jeden Rüstungsartikel. Auch behandelt es jeden Staat in gleicher Weise und gewinnt dadurch zusätzlich den Anschein der Gerechtigkeit. Mit denselben Argumenten ist auch die sogenannte indirekte Abrüstung befürwortet worden, die nicht auf die Herabsetzung der Mannschafts-und Materialstärken selbst, sondern auf die Verkleinerung der Militärhaushalte zielte
Beiden Verfahrensweisen, der prozentualen Abrüstung und ihrer Unterform, der indirekten Abrüstung, sind zwei entscheidende Mängel gemeinsam: Sie können nur generalisierende Verfügungen treffen und berücksichtigen nicht, wie auch Art. 8 VBS es verlangt, die individuellen Gegebenheiten der geographischen, strategischen und allgemein politischen Lage, die von Staat zu Staat verschieden sind. Vor allem aber erheben sie den rüstungspolitischen Status quo zur Ausgangsbasis einer Abrüstungsregelung und rufen damit den Widerstand derjenigen Kräfte auf den Plan, die eine Abänderung des bestehenden internationalen Rüstungsproporzes anstreben.
Wird die prozentuale Abrüstung abgelehnt, weil sie die absoluten Rüstungshöhen zwar abzubauen, nicht aber das Kräfteverhältnis zwischen den nationalen Rüstungen zu ändern vermag, so bleibt als Alternative nur die numerische Abrüstung. Darunter ist ein Verfahren zu verstehen, das für jeden einzelnen Teilnehmerstaat die außer Dienst zu stellenden personellen und materiellen Rüstungsbestände begrifflich spezifiziert und in Mengen-und Stückzahlen genau vorschreibt. Dadurch werden neue Probleme aufgeworfen, die sich in der Praxis als noch schwieriger lösbar erweisen. 3. Abrüstung der „Effektiven" oder des „potentiel de guerre"?
Was ist überhaupt Rüstung? Diese Frage, deren Klärung der Völkerbundrat der Vorberei-tenden Abrüstungskommission als erste Aufgabe zugewiesen hatte, stand am Anfang einer langen deutsch-französischen Kontroverse über das Wesen militärischer Stärke und über die Vergleichbarkeit verschiedener nationaler Rüstungen. Mußte z. B. •— wie die französische Auffassung behauptete — den regulären Streitkräften eines Landes auch dessen halbmilitärische Organisationen und Wehrverbände zugerechnet werden? Bestand eine Armee nur aus ihren aktiven Offizieren und Mannschaften oder auch — wie der deutsche Standpunkt geltend machte — aus den ausgebildeten und jederzeit mobilisierbaren Reservisten? Gab es objektive Kriterien, den Kampfwert eines kleinen Berufsheeres von längerdienenden Freiwilligen gegen den einer zahlenmäßig größeren Streitmacht, die sich aber überwiegend aus Wehrpflichtigen rekrutierte, abzuwägen?
Uber diese Fragen hatten in den Fachgremien der Abrüstungskonferenz Männer zu befinden, die sich an der Spitze der militärischen Hierarchien nicht nur in besonderem Maße zur Gewährleistung der Sicherheit ihrer Nationen berufen fühlten, sondern die auch aus der Mentalität ihres Berufsstandes heraus dem Abrüstungsgedanken reserviert gegenüberstanden. Entsprechend gering war das Maß an Überein-stimmung bereits in solchen Fragen, die noch eindeutig als Sachfragen anzusprechen waren. Dahinter aber erhob sich erst die eigentlich politische Problematik.
Sie begann dort, wo es darum ging, Maßstäbe aufzustellen, nach denen allgemeine Abrüstungsnormen mit den individuellen Sicherheitsbedürfnissen der einzelnen Staaten in Einklang gebracht werden sollten. Wenn es der deutschen Abrüstungspolitik darauf ankam, die Kluft zwischen der eigenen Machtlosigkeit und dem Übergewicht der hochgerüsteten Staaten in Mitteleuropa zu verringern, so lag es gerade im Interesse Frankreichs, seine bestehende militärische Überlegenheit aufrechtzuerhalten. Daraus resultierten die konstant entgegengesetzten Verhandlungspositionen, die von den beiden Mächten in der Frage der materiellen Bemessungsgrundlagen einer Abrüstungsregelung eingenommen wurden.
Nach deutscher Auffassung durften nur die sogenannten Effektiven in Rechnung gestellt werden, d. h. die jedem Staat sofort verfügbaren oder kurzfristig zu mobilisierenden Mannschaften, Waffen und Kriegsgeräte. Alle Faktoren, die für den Einsatz militärischer Machtmittel nur von sekundärer Bedeutung waren, sollten außer Betracht bleiben.
Dagegen entwickelte die französische Politik den Begriff des „potentiel de guerre" als Richtmaß für die zutreffende Einschätzung der tatsächlichen militärischen Möglichkeiten eines Landes. Sie verstand darunter in weitestem Sinne alle für die Kriegführung relevanten Gegebenheiten, nämlich außer der Armee, ihrer Bewaffnung und Ausrüstung auch das Bevölkerungspotential und die industrielle Kapazität, die für die Produktion von Rüstungsgütern genutzt werden konnte. Die politische Folgerung aus dieser Definition war die, daß einem Land, dessen möglicher Gegner erst auf längere Sicht durch Aktivierung seiner Reserven volle militärische Stärke entfalten konnte, ein höheres Maß an aktueller Militärmacht zuerkannt werden müsse, um es instand zu setzen, eine eventuelle Aggression bereits im Ansatz zu ersticken.
Daß die internationale Abrüstungsdiskussion während der zehnjährigen Verhandlungen unter der Regie des Völkerbundes immer wieder in sterile Disputation über Detailprobleme zurückfiel, hatte seinen tieferen Ursprung nicht in der praktischen Unlösbarkeit dieser Fragen, sondern darin, daß die Delegationen technisch-organisatorische Einwendungen zum Vorwand nahmen, um politische Ansprüche zu vertreten. Jedes Land zeigte sich bestrebt, die Abrüstungsvorschriften möglichst tief in die Rüstungsstruktur der anderen Staaten eingreifen zu lassen, ohne spezifische Vorteile des eigenen Rüstungssystems preisgeben zu müssen.
Salvador de Madariaga, damals Leiter der spanischen Abrüstungsdelegation, hat das Problem mit seiner berühmten Tierparabel veranschaulicht: Auf der Abrüstungskonferenz der Tiere schlägt der Adler mit Blick auf den Stier vor, zunächst einmal alle Hörner zu schleifen. Der Stier sieht auf den Tiger und fordert, als erstes die Krallen zu beschneiden. Der Tiger aber fürchtet den Elefanten und verlangt, man müsse damit beginnen, das Tragen von Stoßzähnen zu verbieten. Der Elefant wiederum erklärt, auf den Adler bezogen, die Flügel, die ihm selbst fehlen, für gefährlich. Schließlich meldet sich der Bär zu Wort mit dem Vorschlag, sich doch nicht bei Halbheiten aufzuhalten, sondern alle Waffen abzulegen und nichts zu erlauben, als eine feste brüderliche Umarmung
V. Die Konstellation der nationalen Interessen in der Abrüstungsfrage
1. Frankreichs Sicherheitsforderung Das hohe Ansehen, das die Idee der Abrüstung in der öffentlichen Weltmeinung genoß, verbot es jeder Regierung, sich von Unternehmungen zu distanzieren, die dazu bestimmt waren, sie zu verwirklichen. In Wahrheit jedoch entsprachen nicht in allen Staaten die Erfordernisse der Abrüstung denen des nationalen Interesses. Würde man versuchen, eine Einteilung der Großmächte unter dem Gesichtspunkt des jeweiligen Verhältnisses von Abrüstung und außenpolitischer Interessenlage vorzunehmen, so ergäbe sich eine Skala, an deren einem Ende sich beide Prinzipien in Übereinstimmung befinden, während sie am anderen Ende offene Gegensätze darstellen. Die Antagonisten eines solchen Schemas waren Frankreich und Deutschland.
Frankreichs hegemoniale Stellung in Europa gründete einerseits auf seiner Rolle als Füh-rungsund Schutzmacht der aus den Pariser Friedensverträgen profitierenden Staaten, andererseits auf seiner eigenen militärischen Überlegenheit. Die französische Heerespräsenzstärke belief sich ständig auf über 600 000 Mann, während vier Millionen ausgebildete Reservisten für den Frontdienst und weitere zwei Millionen für rückwärtige Dienste in Bereitschaft standen. Mit einem Anteil des Heeresbudgets am Gesamthaushalt von ungefähr 30 Prozent erbrachte Frankreich jährlich das mit Abstand größte Rüstungsaufkommen aller europäischen Staaten
Nach Auffassung der meisten französischen Regierungen der zwanziger und dreißiger Jahre rechtfertigte die außenpolitische Situation des Landes nicht nur ein derart hohes Rüstungsniveau, sondern ließ es noch eher unzureichend erscheinen. Die Beurteilung dieser französischen Einschätzung muß von der Spaltung Europas in zwei Mächtegruppen ausgehen, deren eine die bestehende territoriale und politische Ordnung stützte, während die andere eine Änderung dieser Ordnung anstrebte. Frankreich selbst war davon in dreifacher Hinsicht betroffen.
Einmal trachtete in seiner unmittelbaren Nachbarschaft Deutschland nach der Überwindung der durch den Versailler Vertrag gesetzten Schranken, die allein es daran hinderten, ein politischer Konkurrent Frankreichs zu werden. Zweitens konzentrierte Italien alle Anstrengungen auf die Erringung einer der französischen ebenbürtigen Stellung in Europa und bedrohte Frankreichs Interessen in Nordafrika. Drittens bestand die permanente Gefahr der Verwicklung in einen bewaffneten Streit in Südosteuropa. Zwar sollten nach französischer Intention die Bündnisse mit Polen und der Kleinen Entente den Schutzring um Deutschland stärken, jedoch schwelte zwischen der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien einerseits und den Balkan-Revisionisten Ungarn, Bulgarien und Albanien andererseits genügend eigener Konfliktstoff, um Frankreichs Eingreifen aufgrund seiner Allianzverpflichtungen jederzeit erforderlich werden zu lassen.
Mochte Frankreich auf weite Sicht der gleichgroßen Bevölkerungszahl Italiens und der eineinhalbmal größeren seines Hauptkontrahenten Deutschland als auch der größeren demographischen wie ökonomischen Dynamik dieser Staaten das politische Gewicht seines Kolonialreiches entgegensetzen — für die Gegenwart und die nahe Zukunft bestand der sichtbare Ausdruck der Führungsposition Frankreichs in Europa in der Größe und der Bedeutung der französischen Armee. Daran Einbußen dulden, hieß diese Führungsposition gefährden. Die oberste Maxime der französischen Abrüstungspolitik lautete daher, keine Rüstungseinschränkungen zuzugestehen ohne ein gleichwertiges Maß an politischen Kompensationen zu erhalten.
Was Frankreich an Gegenleistungen für Zugeständnisse in der Abrüstungsfrage verlangte, war die Verwirklichung seiner seit dem Weltkrieg beständig erhobenen Forderungen: Garantien für das Fortbestehen der geltenden Verträge, Präzisierung der Artikel 10 und 16 der Völkerbundsatzung, Organisation des gegenseitigen Beistandes, Schaffung einer Völkerbundarmee und Kontrolle der Abrüstung. Es waren Forderungen nach Maßnahmen zur Stabilisierung des europäischen Status quo, der der Sicherheit Frankreichs dienlich, für die Erhaltung seiner Vormachtstellung aber unerläßlich war.
Ob das wie einen Schutzschild vor jede Abrüstungseinigung gehobene Sicherheitsbedürfnis Frankreichs real bestand oder nicht, ist eine umstrittene Frage. Will man die Unterscheidung zwischen objektiver Sicherheit als einen „Zustand, in dem keine Gefahr existiert", und subjektiver Sicherheit als einen „Zustand, in dem keine Furcht vor Gefahr existiert"
Dagegen scheint das „neurotische"
Wenn die deutschen Delegierten auf allen Konferenzen als energische Befürworter des Abrüstungsgedankens auftraten, so boten ihnen dazu die Völkerbundsatzung und der Versailler Vertrag die stärksten Argumente. Bereits am 1. Januar 1927 war die alliierte Militär-Kontrollkommission, die die Ausführung der Friedensverträge zu überwachen hatte, aufgelöst worden, womit die Siegermächte formell bestätigt hatten, daß Deutschland seinen Entwaffnungsauflagen vollständig nachgekommen war
Indessen hatten seit 1926 regelmäßig Abrüstungsverhandlungen stattgefunden, ohne daß der weltweite Trend zur Vermehrung und Perfektionierung der Kriegsrüstungen zum Stillstand gekommen war. Für Deutschland bot diese Entwicklung fortwährenden Anlaß, unter Hinweis auf seine eigenen Entwaffnungs-,, Vor-leistungen" die übrige Welt zur Einhaltung ihres Abrüstungsversprechens zu mahnen. Es konnte sich sogar der Unterstützung der öffentlichen Meinung auch des Auslandes sicher sein, wenn es sowohl als Mitglied des Völker-bundes unter Berufung auf das Prinzip der Rechtsgleichheit, das ihm zugrunde lag, wie auch als Unterzeichner der Locarno-Verträge Gleichberechtigung in der Abrüstungsfrage beanspruchte.
Theoretisch konnte dieser Anspruch auf dreierlei Weise erfüllt werden: indem die anderen Mächte bis auf das Niveau des Deutschland zugebilligten Militärpotentials abrüsteten, indem sie Deutschland generell von den Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages entbanden oder indem sie sich auf einer mittleren Linie arrangierten, das heißt, ein allgemeines Abrüstungsübereinkommen schlossen, das die Rüstungen aller Teilnehmer begrenzte und mithin für Deutschland die Versailler Militärklauseln ablöste. Jedoch lagen sowohl die erste wie die zweite Möglichkeit außerhalb des politisch Realisierbaren. Weder war es denkbar, daß die ehemaligen Alliierten freiwillig die Beschränkungen auf sich nehmen würden, die sie einst dem besiegten Kriegsgegner autoritativ auferlegt hatten, noch daß sie Deutschland ohne zwingende Notwendigkeit einem abstrakten Prinzip zuliebe aus diesen Bindungen entlassen würden.
Was für Deutschland demnach allein erreichbar schien und erreicht werden sollte, war die Verwirklichung der Gleichberechtigungsforderung mittels einer allgemeinen Abrüstungskonvention, die, wie immer im einzelnen sie ausfallen mochte, die Eliminierung des Teiles V des Versailler Vertrages bedeuten würde. Darin bestand das Hauptziel der deutschen Politik. Obgleich sie offiziell für allgemeine Abrüstung nach dem Muster der deutschen Abrüstung eintrat — denn das war die „beste juristische und moralische Ausgangsbasis"
Daß jede mögliche Abrüstungskonvention Deutschland die Berechtigung zur Aufrüstung verschaffen würde, war ein Nebeneffekt dieser Politik, den aber wohl erst Hitler konsequent zu nutzen entschlossen war. Im übrigen fügte sich Hitlers Abrüstungspolitik zunächst bruch-los an die seiner Vorgänger im Reichskanzleramt. Wenn seine Regierung auch nach Deutschlands Auszug aus der Abrüstungskonferenz noch aktiv an diplomatischen Bemühungen um eine Abrüstungsvereinbarung mitwirkte, so mag dafür die Absicht leitend gewesen sein, die inzwischen in Angriff genommene deutsche Aufrüstung international zu legalisieren und gegen etwaige Sanktionen des Völker-bundes abzusichern. 3. Die Haltung der übrigen Mächte Der dominierende Einfluß der jeweils eigenen außenpolitischen Interessenlage auf die Konzipierung der Abrüstungspolitik machte sich auch bei den übrigen Mächten bemerkbar. So waren Großbritannien und die Vereinigten Staaten, deren Stärke in der maritimen Rüstung lag, an den Problemen der Landab-rüstung nur indirekt und insoweit interessiert, als sie ein geeignetes Mittel zur Stabilisierung des Friedens und der Erhaltung eines kontinentaleuropäischen Mächtegleichgewichts zu sein versprach. Durch diplomatische Vermittlungsaktionen und wechselnde Parteinahmen in Einzelfragen zugunsten Frankreichs oder Deutschlands suchten sie pragmatische Lösungsentwürfe zu entwickeln und einer allen Beteiligten annehmbaren Übereinkunft den Weg zu ebnen. Gemeinsam war beiden angelsächsischen Mächten die Unnachgiebigkeit gegenüber Frankreichs Drängen, präzise Sicherheitsgarantien zu übernehmen. Die USA sahen überdies mit Unwillen, wie der Rüstungsaufwand in Europa die Finanzkraft ihrer Kriegsschuldner beeinträchtigte und sie an den fälligen Rückerstattungen hinderte.
Geschlossen auf der Seite Frankreichs standen in den Abrüstungsverhandlungen die Länder der Kleinen Entente zusammen mit Belgien, Polen und Griechenland, während Österreich, Ungarn und Bulgarien ebenso einmütig den deutschen Thesen beipflichteten. Sie alle teilten indessen den gemeinsamen Argwohn gegenüber internen Verhandlungen der Groß-mächte. Als Beispiel für dieses Mißtrauen kann der Abschluß des Organisationspaktes im Februar 1933 angesehen werden, der eine Reaktion auf die Fünfmächteerklärung vom Dezember 1932 darstellte, durch die Frankreich bei seinen Verbündeten den Eindruck hervorgerufen hatte, sich mit Deutschland zu Lasten der Verteidigung des Status quo vergleichen zu wollen. Polens eigenständiger Beitrag in der Abrüstungsdiskussion bestand in konkreten Vorschlägen für die sogenannte moralische Abrüstung, die sich aus der polnischen Besorgnis über die antipolnische Propaganda in Deutschland erklärten.
Rußlands wiederholte radikale Vorstöße für eine totale Abrüstung wurden allgemein und wohl nicht zu Unrecht von ihrer Propaganda-wirkung auf die kommunistischen Parteien her interpretiert. In den Verhandlungen erwies sich die Sowjetunion als Hauptkritiker der französischen Sicherheitspolitik und unterstützte den deutschen Abrüstungsstandpunkt ebensohäufig wie Italien, das mit seiner Forderung nach Dalmatien und seinen kolonialen Ambitionen den revisionistischen Mächten zuzurechnen ist. Unter Führung der skandinavischen Länder betonte die ehemals neutrale Staatengruppe nachhaltig ihr Interesse am Zustandekommen eines praktikablen Abrüstungsabkommens.
VI. Abrüstung und kollektive Sicherheit
1. Was ist kollektive Sicherheit?
Haben die Abrüstungsbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg dazu beigetragen, die kollektive Sicherheit in Europa zu konsolidieren? — Die notwendige Vorfrage muß lauten: Worin besteht das Wesen der kollektiven Sicherheit und inwieweit war sie durch den Völkerbund, die Locarno-Verträge und den Kriegsächtungspakt bereits verwirklicht? Artikel 16 der Völkerbundsatzung drückt aus, was kollektive Sicherheit im Kern bedeutet: „Schreitet ein Bundesmitglied entgegen den übernommenen Verpflichtungen zum Kriege, so wird es ohne weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen."
In dieser abstrakten Form ist das Konzept geradezu verführerisch schlüssig und überzeugend. Es verwundert nicht, daß es in der politischen Propaganda beträchtliches Ansehen genoß. Hatte es doch vortreffliche Argumente auf seiner Seite. Einmal verkörpert die Idee der kollektiven Sicherheit ein moralisches Prinzip: Ein Staat, der dem Opfer einer Aggression zur Hilfe eilt, streitet immer auf der Seite des Rechts. Zum anderen inspiriert die Teilhabe eines Staates an einem System kollektiver Sicherheit seinen Bürgern das Gefühl erhöhter nationaler Sicherheit: Wir werden, sollte man uns angreifen, nicht allein stehen. Die Frage bleibt, warum es dennoch in der Praxis versagt hat, warum das Konzept der Kollektivsicherheit sich als keineswegs geeignet erwies, wirkliche Sicherheit zu gewährleisten und ein friedliches Zeitalter der internationalen Beziehungen zu begründen.
Eine Reihe von Antworten drängt sich auf. Man kann darauf hinweisen, daß der große Entwurf Wilsons weitgehend Fragment blieb, daß das amerikanische Garantieversprechen nicht realisiert wurde, daß partielle Grenzgarantien und die allgemeine Kriegsächtung allein eben nicht genügten, daß insbesondere die Modalitäten gegenseitiger Beistandsleistung nicht in zusätzlichen Abkommen konkretisiert wurden. Es läßt sich ferner die schwierige Frage der Sanktionen anführen, die, kamen sie überhaupt zustande wie 1935 gegenüber Italien im Abbessinienkonflikt, sich als zu schwächlich herausstellten, um den Aggressor in die Schranken des Rechts zu zwingen, und die letztlich den Sanktionsmächten nicht weniger schadeten als dem Betroffenen. All das sind Teilerklärungen, aber sie führen noch nicht in das Zentrum des Problems. Es ist nötig, einige der Bedingungen zu klären, von denen es abhängt, ob ein solches Konzept überhaupt funktionsfähig sein kann.
Von einem echten System kollektiver Sicherheit wird zu Recht nur dann gesprochen werden können, wenn es die politische Einheit, die daran teilnimmt, in zweifacher Weise berechtigt und verpflichtet. Einerseits muß jedes Mitglied zugleich Nutznießer und Garant des Systems sein, das heißt, es genießt den Schutz der kollektiven Sicherheitsgewährleistung und übernimmt dafür die Verpflichtung, sie seinerseits zu unterstützen. Jeder Teilnehmer tritt quasi in einer Doppelfunktion auf, nämlich als „Konsument" und „Produzent von Sicherheit"
Andererseits steht jedes Mitglied gleichzeitig unter dem Schutzversprechen wie unter der Sanktionsdrohung des Systems, das heißt, es kann theoretisch in die Rolle des Angegriffenen und damit Schutzbedürftigen ebenso geraten wie in die des Aggressors, gegen den die kollektive Sanktion sich richtet. Ein echtes Kollektivsystem muß also von der „Anonymität des Aggressors"
Insbesondere die letzte Voraussetzung war jedoch 1919 in Europa nur höchst mangelhaft erfüllt. Schon die formale Verknüpfung der Völkerbundsatzung mit den übrigen Teilen des Versailler Vertragswerkes setzte den entscheidenden politischen Akzent. Auf diese Weise war versucht worden, ein kollektives Sicherheitssystem über einer internationalen Ordnung aufzurichten, die nebeneinander politisch saturierte Staaten und politisch diskriminierte Staaten umfaßte. Damit aber war auch die Rollenverteilung zwischen potentiellen Angreifern und potentiell Angegriffenen bereits vorgegeben. Denn nur für bestimmte Mächte bestand praktisch ein Anreiz, ihren subjektiv unbefriedigenden Status durch offensive Politik bis hin zu offener Aggression zu verbessern.
Dem kam die Abfassung der Artikel 10 und 19 der Völkerbundsatzung noch entgegen. Zusammengenommen begründeten sie eine umfassende Garantie des gegebenen politischen und territorialen Besitzstandes bei gleichzeitigem Ausschluß von Möglichkeiten legaler und friedlicher Vertragsrevision. Indem aber ein Kollektivsystem einseitig zugunsten eines Teiles der Mitglieder wirkt, wird es in sich selbst fragwürdig und nimmt den Charakter eines Bündnisses an, das auf die Konservierung der bestehenden Ordnung hin angelegt ist. Es vertieft dadurch den Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern des Status quo, anstatt ihn einzudämmen und einer Lösung zugänglich zu machen. Ob die Abrüstungsverhandlungen diesen Mangel beseitigen konnten, wurde so zum Prüfstein ihrer Eignung zur Konsolidierung der kollektiven Sicherheit. 2. Sicherheit durch Abrüstung?
Daß Abrüstung grundsätzlich ein stabilisierendes Element der internationalen Beziehungen sei und die äußere Sicherheit aller Staaten erhöhe, war zwischen den Weltkriegen die in der Politik wie auch in der Wissenschaft vorherrschende Überzeugung. Sie beruhte u. a. auf der Annahme, daß Staaten Kriege führten, weil sie über Rüstungen verfügten, und daß der ungezügelte Rüstungswettlauf selbst eine kriegsverursachende Kraft sei.
Nach allen bisherigen Erfahrungen und Einsichten ist der allgemeine Zusammenhang von Sicherheit und Abrüstung komplizierter. Unabhängig von der Funktion, die militärische Rüstung für die Stabilisierung des ökonomischen und sozialen Systems innerhalb einer politischen Einheit hat oder haben kann, lassen sich im Hinblick auf die Außenbeziehungen eines Staates drei Motive unterscheiden, die ihn zu Rüstungsanstrengungen veranlassen. Es sind 1. die Furcht vor Bedrohung durch einen militärischen Angriff, 2. die eigene Angriffsabsicht, 3. die Absicht, durch Rüstung Macht zu demonstrieren, das heißt, sie als Abschreckungsoder Drohpotential einzusetzen, um dadurch politischen Zielen Nachdruck zu verleihen.
Ob im historischen Einzelfall nur je ein einziges dieser Motive aufzuweisen ist, mag bezweifelt werden. Eher werden mehrere davon oder sogar alle nebeneinander bestehen, sich überlagern und mehr oder minder dominant in konkreten politischen Entscheidungen zur Geltung kommen.
Die Frage der jeweiligen Kombination rüstungsmotivierender Faktoren ist aber auch weniger wichtig gegenüber einem allgemeineren und ihnen allen gemeinsamen Bestimmungsgrund: Rüstung, wie immer sie begründet sein mag, kann als verläßliches Indiz dienen für das disharmoniserte Verhältnis des betreffenden Staates zu seiner Umwelt oder zu Teilen davon. Ob ein Staat sein militärisches Potential unterhält, um einen Angriff zu unternehmen oder einen Angriff abzuwehren, mit einem Angriff zu drohen oder vor einem Angriff abzuschrecken, stets ist es eine politische Konfliktsituation, die seiner Haltung zugrunde liegt.
Sicherheit zwischen den Gliedern eines bestimmten internationalen Systems läßt sich danach definieren als Funktion der Häufung und Intensität von innerhalb des Systems bestehenden Konflikten, nicht als Funktion der vorhandenen Rüstungen. Umgekehrt ist AbB rüstung keine Ursache, sondern allenfalls ein Symptom der Sicherheit, das anzeigt, in welchem Maß die Staaten mit der gewaltsamen Austragung ihrer Rivalitäten rechnen.
Von sich aus vermag also Abrüstung weder politische Gegensätze zu überwinden noch, was in der Wirkung dasselbe ist, die Sicherheit zwischen Staaten zu erhöhen. Die einzige nennenswerte Vereinbarung zwischen den Weltkriegen, die eine tatsächliche Verminderung der Rüstungen zur Folge hatte, das Washingtoner Flottenabkommen, ist ein Beispiel dafür, daß eine politische Verständigung unter den Beteiligten vorausgehen muß, um den Boden für eine Abrüstungsübereinkunft zu bereiten. Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Japan hatten sich vorher im Vier-mächte-und im Neunmächtevertrag über ihre gegenseitigen Interessen im Pazifik und insbesondere gegenüber China arrangiert. Keine dieser Mächte versuchte überdies, die Abrüstungsfrage als Hebel zu benutzen, um die bestehende Kräfteverteilung zu ihren Gunsten zu ändern. Die Einigung erfolgte auf der Grundlage der tatsächlichen politischen Gewichtung in diesem Raum, nicht gegen sie.
Wenn dennoch der Abrüstung eine gewisse Befähigung zugesprochen werden kann, internationale Sicherheit zu fördern, so ist sie mehr indirekter Art und eher im Bereich des politischen Klimas aufzuspüren als in meßund wägbaren Fakten. Abrüstungsmaßnahmen mögen helfen, Furcht abzubauen, Vertrauen zu schäften und zwischenstaatliche Beziehungen zu entspannen, so daß politische Lösungen erleichtert werden. Effektive Sicherheit aber entsteht nur durch Eliminierung von Konflikten, nicht durch Beseitigung bestimmter Mittel zu ihrer Austragung. 3. Das Scheitern einer Idee In der politischen Realität der Jahre zwischen 1919 und 1939 haben sich weder im Sinne der einen noch der anderen Auffassung über den Zusammenhang von Abrüstung und Sicherheit die Abrüstungsverhandlungen als zulänglich erwiesen, einen direkten oder mittelbaren Sicherheitsbeitrag zu leisten. Ihre diplomatische Geschichte endete in dem Fiasko einer allgemeinen Beschleunigung des Rüstungstempos und der allseitigen Zunahme des Unsicherheitsgefühls. Speziell als Mittel zur Konsolidierung der kollektiven Sicherheit in Europa sind sie unwirksam geblieben, da sie den grundlegenden Strukturdefekt der europäischen Mächteordnung, die ungleichgewichtige Machtverteilung nach der Augenblickskonstellation von 1919, nicht zu überwinden vermochten.
Frankreich wie Deutschland erblickten in der militärischen Rüstung die Manifestation der politischen Stärke, deren Erhaltung bzw. Erweiterung ein fundamentales Ziel ihrer gegeneinander gerichteten außenpolitischen Konzeption ausmachte. Ehe über diese prinzipiellen und einander ausschließenden Machtansprüche nicht entschieden war, konnte eine Einigung über Abrüstung schwerlich erzielt werden.