Einleitung
Vom 30. Dezember 1918 bis zum
Der Grundcharakter der deutschen kommunistischen Bewegung — ihre Mentalität, ihre Methoden und ihre Widersprüche — bildeten sich schon in der Weimarer Republik heraus. Die damaligen ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse prägten die Kommunistische Partei Deutschlands in entscheidender Weise, wie umgekehrt die Politik und Haltung der KPD das Schicksal des Weimarer Staates mitbestimmten.
Die KPD entwickelte sich zur einzigen linksradikalen Massenpartei in Deutschland, und sie zog einen großen Teil der deutschen Industriearbeiterschaft in ihren Bann. Sie lehnte das parlamentarische Regierungssystem ab und verfocht das Räteprinzip, sie stand in striktem Gegensatz zum Staat von Weimar. Die KPD wollte die Macht durch einen revolutionären Umsturz erringen. Ihr Programm zielte auf die „Diktatur des Proletariats", auf eine verstaatlichte, geplante Wirtschaft und letztlich die klassenlose Gesellschaft. Als internationalistische Partei war sie der Idee der Weltrevolution verpflichtet. Schon früh erkannte sie die Sowjetunion als unanfechtbares Vorbild an.
Die KPD war sowohl Weltanschauungs-als auch Interessenpartei. Sie erklärte den Marxismus-Leninismus zur theoretischen Richtschnur ihres Handelns, zur alleingültigen Weltanschauung und zur verbindlichen politischen Ideologie. Sie bezeichnete sich offen als Klassenpartei; die Interessenvertretung der Arbeiterklasse stand im Mittelpunkt ihres Programms.
Mit der Situation der Weimarer Republik wandelte sich die Taktik der KPD und ihr Einfluß war recht unterschiedlich. In der ersten Phase, von 1919 bis 1923, bestand eine für sie günstige revolutionäre Situation; in dieser Zeit erlangte die KPD ein großes politisches Gewicht, sie wurde 1920 zur Massenpartei. Mehrmalige kommunistische Versuche, durch direkte Aktionen an die Macht zu kommen, scheiterten jedoch. Trotzdem bildete die KPD in den zahlreichen Krisen mit ihren politischen und einige Male auch bewaffneten Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit einen (wenn auch oft überschätzten) wichtigen Faktor der Politik. Auch in der Zeit des Niedergangs der Weimarer Republik von 1929 bis 1933 verfügte die KPD über erheblichen Einfluß. Mit über 300 000 Mitgliedern und nahezu 6 Millionen Wählern, die sie 1932 zählte, war sie die dritt-stärkste deutsche Partei.
Im Vergleich dazu spielte die KPD in der Zeit der Stabilisierung von 1924 bis 1928 für die deutsche Politik eine geringere Rolle 1). Angesichts der wirtschaftlichen Konjunktur bestand keine Aussicht, revolutionäre Ziele zu verwirklichen. Da eine aktive Politik nach parlamentarischen Spielregeln nicht ihr eigentliches Metier war, stagnierte die Partei. Sie blieb jedoch auch in dieser Periode eine bedeutende Massenpartei. Von Interesse ist vor allem die damalige innerparteiliche Ent-Mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt/Main werden in dieser Ausgabe aus dem in Kürze unter dem gleichen Titel erscheinenden Buch außer der Einleitung und dem Exkurs gekürzte Abschnitte aus dem Kapitel „Die Struktur der KPD" als Vorabdruck veröffentlicht. Das Buch enthält ferner die chronologische Darstellung der Stalinisierung, bisher unveröffentlichte Dokumente und Materialien sowie über 500 Kurzbiographien der KPD-Führer und die entsprechende Auswertung dieser Biographien. Wicklung, in der die KPD ihr Parteigefüge zu konsolidieren suchte. Die Jahre von 1924 bis 1929 waren für die KPD eine Phase der inneren Auseinandersetzung, in der die Partei zu einer einheitlichen Organisation wurde.
Dieser Prozeß kann als die Stalinisierung der KPD bezeichnet werden. Das bedeutet den Wandel von einer Partei mit einem hohen Maß innerer Demokratie, die zugleich von inneren Fraktionskämpfen zerrissen ist, in eine disziplinierte Partei mit zentralisierter Befehlsgewalt. Stalinisierung heißt Veränderung der inneren Parteistruktur, Entstehung einer monolithischen, straff disziplinierten und zentralisierten Organisation, in der die Führung mit Hilfe des hierarchisch aufgebauten Parteiapparats (d. h.der hauptamtlichen, von der Partei bezahlten Funktionäre) die Mitglieder beherrscht und die Politik im Sinne und entsprechend den Weisungen der Stalinschen KPdSU bestimmt. Wie sich bei genauer Betrachtung zeigt, änderten sich damit die Beweggründe der Politik und die Funktion der Partei. Die Stalinisierung bedeutet also eine entscheidende Wandlung des Kommunismus.
Ihren Ausgang nahm die Stalinisierung von der Sowjetunion. Unter Führung Stalins wurde dort in den zwanziger Jahren das System der Apparatdiktatur errichtet, die auch das Ende der innerparteilichen Demokratie in der Kommunistischen Partei brachte. Diese erste Metamorphose des Kommunismus vollzog sich jedoch nicht nur in der Sowjetunion, sondern fast gleichzeitig in allen Kommunistischen Parteien, wenn auch — entsprechend dem unterschiedlichen Charakter dieser Parteien — in variierter Form. Am Beispiel der KPD zwischen 1924 und 1929 ist dieser Prozeß deutlich nachzuweisen.
Die bisherige westliche Literatur zu diesem Problem ist spärlich, wie überhaupt die Geschichte der KPD in der Weimarer Republik ein nur wenig beachtetes Gebiet der Forschung ist. Immerhin gibt es verschiedene Arbeiten über die KPD zwischen 1919 und 1923
Die vorliegende Untersuchung führt zu dem Ergebnis, daß die Stalinisierung der KPD im wesentlichen vier Entstehungsbedingungen hatte:
1. die Apparatherrschaft als Zeiterscheinung; 2. die strukturellen Probleme der KPD; 3. die Abhängigkeit der KPD von Moskau; 4. die Situation der KPD in Deutschland.
Es soll dargestellt werden, daß das gleichzeitige Wirken dieser Faktoren im Zeitraum von fünf Jahren nicht nur zu einer straffen Disziplinierung und Zentralisierung, sondern eben zu einer drastischen Apparatherrschaft mit bürokratischer Entartung führte.
Die Besonderheiten der Stalinisierung (die Abhängigkeit der KPD von Moskau und die Situation der Partei im Deutschland der „relativen Stabilisierung") führen leicht zu einer Unterschätzung der auch für die KPD gültigen generellen Charakteristiken des Parteiwesens in einer Klassengesellschaft (Entwicklung zur Apparatherrschaft und Strukturänderung der Partei). Tatsächlich konnte sich aber die Stalinisierung der KPD nur so rasch und intensiv vollziehen, weil die beiden spezifischen Bedingungen mit den allgemeinen Tendenzen zusammenfielen. Die Herrschaft des Apparats über die Partei, der Bürokratie über die Organisation und Institution ist typisch für die sozial differenzierte moderne Industriegesellschaft. Hinter demokratischen Formen, oft nur hinter Fassaden, ist der hierarchische Aufbau von institutionellen Apparaten zu erkennen. Auch für die politischen Parteien des demokratischen Staatswesens ist diese Tendenz bestimmend. Ein aktionsfähiger Parteiapparat ist unumgänglich, wenn eine lebendige und erfolgreiche Partei-arbeit geleistet werden soll. Eine revolutionäre Partei bildet hier keine Ausnahme. Sie kann ihre Ziele ohne einen Apparat hauptamtlicher Funktionäre nicht erreichen. Zuviel Macht in den Händen des Apparates aber bedeutet Bürokratisierung des Parteilebens, Unterdrückung und schließlich Ausbleiben der demokratischen Impulse von unten, somit — ebenso wie der umgekehrte Fall, daß gar kein Apparat vorhanden ist — eine Schwächung der Partei, möglicherweise bis zur völligen Ohnmacht. Die innere Struktur der Parteien variiert zwischen diesen beiden Extremen: Apparatherrschaft und damit bürokratische Verknöcherung oder uferlose innere Demokratie ohne Schlagkraft. In einer Arbeiterbewegung bleibt die demokratische Tendenz immer wirksam, da ihre ganze Tradition eine anti-autoritäre, gleichheitliche und freiheitliche Gesinnung fordert, überdies ist jede Führung gezwungen, solche Tendenzen hin und wieder zu unterstützen, um die Mitglieder zur Arbeit anzuregen und die Partei nicht völlig erstarren zu lassen. Im allgemeinen aber bleibt der Trend zur einheitlichen, vom Apparat regierten Partei dominierend.
Das gilt vor allem für kommunistische Parteien. Ohne einen Apparat von hauptamtlichen „Berufsrevolutionären" wäre eine kommunistische Partei unfähig, gegenüber den bestehenden Machtorganen (Staat, Wirtschaft, andere Parteien, Kommunikationsmittel) Einfluß zu gewinnen und ihre Politik erfolgreich zu vertreten. Die radikale Opposition benötigt zur Verbreitung ihrer Ideen Aktivisten und Funktionäre, und der hauptamtliche Parteiarbeiter ist dem ehrenamtlichen in vieler Hinsicht überlegen. Das Spannungsverhältnis zwischen Bewegung und Organisation, zwischen den Interessen radikaler Arbeitermassen und den Vorstellungen des bürokratischen Apparats wird kennzeichnend für eine bestimmte Phase der Entwicklung.
Der Apparat handelt und denkt bürokratisch-organisatorisch; sein Hauptziel ist die Bewältigung der „Aufgaben". Dazu muß die „Einheit der Partei" gewahrt bleiben. Innerer „Zank" schwächt den Einfluß der Partei nach außen. So werden Diskussionen über Prinzipien, aber auch solche über Strategie und schließlich auch über die Taktik vom Apparat als Disziplin-bruch verworfen. Die Führung wird „unfehlbar". Praktisch-organisatorisches Apparatdenken (nicht selten durch ideologischen Dogmatismus übertüncht) verdrängt die theoretische Reflexion.
Die Parteispitze bedient sich des hauptamtlichen Apparats, um die Partei bis ins kleinste zu reglementieren; dabei wird die Initiative der Mitglieder erstickt. Bei politischen Entscheidungen wird die Mitgliedschaft häufig zur Komparserie degradiert. Anstelle demokratisch gewählter Leitungen bestimmen die Sekretäre; der Apparat allein führt die Regie. Der Apparat selbst ist hierarchisch aufgebaut, seine Entscheidungen werden an der Spitze gefällt; die von den übergeordneten Leitungen vielfach abhängigen Apparatfunktionäre haben wenig Entscheidungsfreiheit, denn auch sie unterstehen als Befehlsempfänger den Direktiven der Führung. Die innerparteiliche Diktatur hat die Demokratie verdrängt. Dieser Trend bestand auch in der KPD der Weimarer Republik. Eine zweite Ursache der Stalinisierung der KPD lag in der Partei selbst. Fünf Jahre nach ihrer Gründung hatte die KPD ihren eigenen ideologisch-politischen Standort zwischen Sozialdemokratie und Syndikalismus noch nicht klar definiert. Eine Abgrenzung von anderen Richtungen erforderte jedoch ein Mindestmaß an Einheitlichkeit in der Partei selbst. Der Apparat war Träger dieser Vereinheitlichung, seine Macht wurde damit vermehrt. Die ideologische Verfassung der KPD förderte diesen Prozeß. Nach jahrelangen scharfen inneren Auseinandersetzungen mit der ständigen Gefahr einer Spaltung wuchs das Bedürfnis nach „Einheit". Die Kommunisten versuchten militärisch-diszipliniert zu denken und zu handeln, um ihren revolutionären „Krieg" zu gewinnen. Beschlüsse wurden zu Befehlen; die Partei glich einer Armee; die Disziplin wurde zum Gehorsam, den die Genossen oft freiwillig leisteten, um der „Sache" zu dienen. Der Glaube an die ausschließliche Richtigkeit der eigenen Politik und die Übernahme bolschewistischer Organisationsformen verstärkten diesen Prozeß.
Ohne Zweifel ist die Abhängigkeit der KPD von der Sowjetunion, die sich seit 1919 schrittweise vergrößerte, eine wichtige und die augenfälligste Voraussetzung der Stalinisierung. Der Apparat der KPD geriet — mehr noch als die eigentliche Partei — in eine zunehmende, nicht zuletzt auch finanzielle Abhängigkeit von der Moskauer Zentrale. Da die KPD lediglich als Sektion der Komintern galt und keine selbständige Partei darstellte, war die Abhängigkeit formell sanktioniert. Die Moskauer Zentrale (das EKKI) selbst, auf den internationalen Konferenzen von den Delegierten aller Mitgliederparteien gewählt, war eigentlich nur Exekutivorgan der Komintern. Die russische Partei war jedoch allen übrigen Mitgliederparteien erdrückend überlegen, sowohl an politischer Erfahrung und geistiger Potenz als auch an handfester Macht und großen materiellen Hilfsquellen. Da sich der Stalinismus in der Sowjetunion selbst zum herrschenden politischen System entwickelte, blieb nicht aus, daß sich der autoritäre Geist des sowjetischen Staatswesens über die russischen Führer der Komintern auf deren ausländische Sektionen ausbreitete. Das bedeutete nicht nur die Unterwerfung der KPD unter die sowjetische Staatspolitik, sondern auch Übernahme aller Formen der Apparatherrschaft.
Eine vierte Voraussetzung für die Stalinisierung lag in der — für die Situation der KPD in Deutschland nach 1924 charakteristischen — Diskrepanz zwischen den revolutionären Zielsetzungen der Partei und einer nichtrevolutionären Situation. Nach dem Ende der revolutionären Auseinandersetzungen und angesichts einer zunehmenden Passivität der Mitglieder wurde der Apparat zum beinahe einzigen aktiven Element in der schwungloser werdenden Partei, seine Macht wuchs enorm. Außerdem führte die restaurative Entwicklung der Weimarer Republik der KPD nicht nur Anhänger zu, sie drängte diese linken Kräfte vielmehr förmlich in ein gesellschaftliches und politisches „Ghetto". Ihnen erschien die Sowjetunion als leuchtendes Idol. Gegen die restaurative deutsche Gesellschaft aber geriet die KPD in eine unversöhnliche Frontstellung, wobei ihre Anhänger die reaktionären Tendenzen auch noch vereinfacht und vergröbert sahen. Diesen gläubigen Mitgliedern, einem Gros der Funktionäre und einem Teil der Führung erschien jede Abweichung und vor allem jede Kritik an der Sowjetunion als „Hilfe für den Gegner" — eine Einstellung, die die Tendenz zur bürokratisch-monolithischen Partei-struktur erheblich förderte.
Die vorliegende Untersuchung zeigt, daß der Prozeß der extremen Stalinisierung der KPD durch das Zusammenwirken dieser vier scheinbar unabhängigen, tatsächlich jedoch einander — wenigstens teilweise — bedingenden und verstärkenden Faktoren erfolgte. Die Tendenz zur Zentralisierung scheint unvermeidlich, jeder der Faktoren für sich unumgänglich. War deshalb die völlige Unterordnung der Partei unter eine Instanz, ja einen Willen, also die Stalinisierung eine notwendige und unvermeidliche Entwicklung?
Für die Aktionsfähigkeit der Partei war eine Vereinheitlichung notwendig: die hierarchisehe Parteistruktur mußte durch demokratische Impulse von unten korrigiert werden, die Unterordnung unter die Gesamtleitung der Komintern konnte nur durch eine Koordinierung mit Moskau geschehen, in Deutschland löste die KPD ihre Aufgabe am besten als aktive Kampfgemeinschaft gegen die restaurativen Strömungen der Weimarer Republik. Die Stalinisierung der KPD brachte statt dessen eine bürokratische Gleichschaltung, in der die Parteiführung mit Hilfe des hauptamtlichen Apparats eine fast unumschränkte Herrschaft ausübte. Es kam zur bedingungslosen Abhängigkeit von der Stalinschen Politik; die Partei entartete zur ultralinken Hilfstruppe des Sowjetstaates. Die Stalinisierung war also weit mehr als nur die „notwendige" Schaffung einer disziplinierten Partei.
Die entscheidenden innerparteilichen Veränderungen der KPD sind kaum als notwendiger und unumgänglicher ja wohl nicht einmal als folgerichtiger Werdegang des deutschen Kom-munismus zu begreifen. Äußere Einflüsse wirkten sich weit stärker aus als immanente Entwicklungstendenzen. Schließlich änderte sich nicht nur die innere Struktur der KPD, sondern auch ihre Politik.
Der deutsche Kommunismus entstand als Fortsetzung der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung; seine sozialistische Zielsetzung entsprach der Intention der radikalen Arbeiter und kommunistischen Intellektuellen, die klassenlose Gesellschaft zu errichten. Die Stalinisierung der KPD, die Beherrschung der Bewegung durch den Apparat und die völlige Abhängigkeit von der Stalin-Führung in Moskau ließ diese Zielsetzung zur bloßen Ideologie erstarren und veränderte die Funktion der Partei. Statt der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse erstrebte sie nunmehr die Apparatherrschaft stalinistischer Prägung. Die Unterordnung unter die Politik Stalins und ihre Verteidigung waren ihr oberstes Gebot. Schließlich ermöglichte erst die Wandlung der KPD durch die Stalinisierung die ultralinke Politik der Partei von 1929 bis 1933, die wesentlich zum Untergang der Weimarer Republik beitragen sollte.
Die Stalinisierung der KPD ist darüber hinaus ein Beispiel für die ständige Wandlung des Kommunismus. Die jüngste Metamorphose des Kommunismus, die „Entstalinisierung", macht die aktuelle Seite dieses Problems deutlich. Die Stalinisierung kann als Beweis dafür gelten, daß der Kommunismus weniger zu begreifen ist als die Verkörperung eines ideologischen Prinzips (Marxismus, dialektischer Materialismus, totalitäre Herrschaft usw.), sondern daß er primär als soziale Bewegung verstanden werden muß. Der Kommunismus ist aus bestimmten gesellschaftlichen Widersprüchen erwachsen: Er will die Gesellschaft entsprechend einer mehr oder weniger genau fixierten Programmatik ändern. Doch erweist sich der Kommunismus als dynamisches System, das sich auf Grund seiner eigenen Politik, seiner Umwelt und der Widersprüche von Programmatik und Wirklichkeit immer wieder selbst wandelt. Auch die kommunistische Bewegung entwickelt sich nicht nach einer im voraus berechneten Politik und Strategie. Anstatt den Lauf der Ereignisse durch ihre Politik zu bestimmen, wird ihre Politik oft vom Lauf der Ereignisse bestimmt.
Die Stalinisierung der KPD ist aber auch ein paradigmatischer Fall der Stalinisierung des Kommunismus überhaupt in den zwanziger Jahren mit speziellen Zügen. In Deutschland war es der Parteiführung nicht möglich, diese Entwicklung — wie in der Sowjetunion — mit Polizeigewalt zu forcieren. Die KPD war eine Massenpartei und keine Sekte, in der das Gewicht des Apparats oftmals gröber ist. dle konnte sich außerdem mehr oder weniger frei entwickeln und legal arbeiten. Sie besaß eine beachtliche Tradition an innerparteilicher Demokratie, die ihr sowohl aus der alten deutschen Sozialdemokratie wie aus der eigenen Entstehungszeit zuwuchs. Wenn unter solchen Umständen die Stalinisierung in knapp fünf Jahren vollzogen werden konnte, so lassen sich die wesentlichen Triebkräfte der Wandlung des Kommunismus deutlicher als anderswo ablesen.
Die innerparteilichen Veränderungen werden vor allem gesehen als Wandel der Organisationsstruktur (von breiter innerer Demokratie zu hierarchischer Diktatur) und der Funktion der Partei (von der radikalen deutschen Arbeiterpartei zur außenpolitischen Hilfstruppe der Sowjetunion Stalins). Mit diesen strukturellen Veränderungen ging auch eine Wandlung des ideologischen Rahmens einher. Die verbindliche „marxistische" Ideologie wurde dogmatisiert, anstelle theoretischer Reflexionen trat die ideologische Rechtfertigung und Verschleierung.
Die ideologischen bzw. politischen Richtungskämpfe innerhalb der KPD wurden in den zwanziger Jahren von mehr oder weniger festgefügten Gruppen bzw. Fraktionen geführt. Die meisten Gruppen wandten sich gegen den Stalinismus, den sie je nach ihrem eigenen Standort von links oder von rechts kritisierten und bekämpften. Die Veränderung der ideologisch-politischen Struktur der KPD bedeutete daher: Ausschaltung der Fraktionen (und damit der Opposition), Ersetzung des politischen und ideologischen Pluralismus der frühen KPD durch die Praxis und Ideologie des Stalinismus. Die verschiedenen Richtungen in der KPD (ähnliche Schattierungen traten in fast allen Kominternparteien auf) spielten also im Prozeß der Stalinisierung eine wichtige Rolle. Auch wenn es innerhalb der Gruppen Akzentverschiebungen gab und die Bezeichnung der Fraktionen (Linke, Rechte usw.) durchaus relative Begriffe sind, scheint es doch zweckmäßig, die verschiedenen Richtungen zunächst kurz zu skizzieren.
Im März 1926 unterteilte der Kominternvorsitzende Sinowjew die innerhalb der KPD vorhandenen Strömungen in drei Gruppen, deren Einfluß er quantitativ zu schätzen versuchte. Nach Sinowjew waren 80— 85 °/o linke Arbeiter, Anhänger der „Linken", 3— 5% rechte Arbeiter, Anhänger der „Rechten", und etwa 10% „ultralinke Arbeiter aller Schattierungen"
2. Die Versöhnler. Anfang 1924 spaltete sich die KPD-Führung. Die Mehrheit trennte sich von Brandler/Thalheimer und bildete die „Mittelgruppe", hinter der damals etwa ein Viertel der Parteimitgliedschaft stand. Nach dem Sieg der Linken ging im Sommer 1924 ein Teil der Mittelgruppe und ihrer Führer (Remmele, Schneller, Koenen) zu den Linken über, andere führten unter Ernst Meyer die Opposition gegen Ruth Fischer fort. Nach der Ablösung Ruth Fischers stand diese Fraktion 1926 bis 1928 zusammen mit der kominterntreuen Linken unter Thälmann an der Spitze der KPD. Die seit 1927 als „Versöhnler" bezeichnete Gruppe unter Führung von Meyer, Ewert, Eberlein, Eisler, Schumann war leninistisch.
Sie bejahte wie die Rechte — von der sie sich hierin nur in Nuancen unterschied — eine kommunistische Realpolitik (Einheitsfront mit der SPD, aktive Gewerkschafts-und Parlamentsarbeit). Rechte und Versöhnler trennte vor allem die Haltung gegenüber der Sowjetunion und der Partei: Die Versöhnler traten betont für die Führungsrolle der KPdSU in der Komintern ein. Sie versuchten um jeden Preis innerhalb der KPD zu wirken; eine Parteispaltung kam für sie nicht in Frage. In der KPdSU hatten sie hauptsächlich Rückhalt bei Bucharin.
Die Versöhnler waren vor allem eine „Apparatfraktion", sie nahmen 1926— 1928 wichtige Positionen in der Partei ein (Sekretariate, Redaktionen). Sie stützten sich vorwiegend auf Intellektuelle und „Berufsrevolutionäre"; Arbeiter-Anhänger hatten sie in den Bezirken Halle-Merseburg, Westsachsen und Hamburg.
Nach Ernst Meyers Tod (Anfang 1930) kapitulierte Ewert und die Führung der Versöhnler vor dem ZK, doch wirkten Reste der Versöhnler-Gruppe in der KPD illegal weiter.
3. Die Linken. 1924 bekannten sich fast drei Viertel der Mitglieder zu den linken Kommunisten. Sie hatten sich als linke Opposition gegen die Parteiführung unter Ernst Meyer (1921/22) und unter Heinrich Brandler (1922/1923) zusammengeschlossen und besaßen bereits 1923 die Mehrheit in den wichtigen Industriebezirken Berlin, Wasserkante und Mittel-rhein. Mit Ruth Fischer, Maslow, Thälmann, Scholem, Schlecht, Katz u. a. an der Spitze übernahmen die Linken 1924 die Macht in der Partei; diese steuerte nun einen schärferen Kurs. Die Linken (viele waren 1920 aus der USP gekommen) vertraten abstrakt-radikale Tendenzen, sie wollten vorrangig das Endziel propagieren, lehnten Ubergangsforderungen ab und waren gewillt, den gewaltsamen Aufstand vorzubereiten. Sie waren gegen die Einheitsfront mit der SPD, empfahlen teilweise die Gewerkschaftsspaltung und betrieben in den Parlamenten Obstruktion. Die Mehrheit der Linken bejahte formal den Leninismus und trat für die Bolschewisierung der KPD ein. In der Partei stützten sich die Linken auf die radikalisierten Arbeiter, vor allem die Arbeitslosen; sie dominierten ab Mitte 1924 in allen Bezirken. Der Widerspruch zwischen ihrer ultraradikalen Politik und der Realität stürzte die KPD in eine Krise. Nun zeigte sich, daß innerhalb der Linken verschiedene Tendenzen bestanden: Im Frühjahr 1925, als die Mehrheit der Linken die radikale Haltung etwas lokkerte und eine realistischere Taktik einschlug, trennten sich die Ultralinken (s. unten) unter Führung von Scholem, Rosenberg und Katz von ihnen. Unter dem Druck der Komintern spaltete sich im Herbst 1925 auch die eigent-liehe Linke. Die kominterntreue Richtung (Thälmann, Geschke, Dengel, Schneller) übernahm die Parteileitung. Ruth Fischer, Maslow, Schlecht und ihre Anhänger wurden ihrer Funktionen enthoben. Sie bildeten erneut eine linke Opposition, die sich mit Sinowjew in der Sowjetunion identifizierte, während die Thälmann-Führung die deutsche Stalin-Fraktion wurde. Die linke Opposition war zunächst in Berlin noch stark. 1926/27 verließen zahlreiche Linke die Partei bzw. wurden ausgeschlossen. Der Versuch, im „Leninbund" die Linken zu sammeln, mißglückte, der Leninbund blieb eine Sekte. In der kominterntreuen Linken gab es in der Folgezeit noch einige Oppositionsgruppen, z. B. 1927 die „Chemnitzer Linke", 1930 die Merker-Gruppe und 1932 die Remmele-Neumann-Opposition, doch kapitulierten diese Fraktionen rasch vor dem ZK; ihre Anhänger blieben in der Partei. 4. Die Ultralinken. Sie spalteten sich im Frühjahr 1925 von den Linken ab. Den Kern der Ultralinken bildeten einerseits Intellektuelle in Führungspositionen der KPD (die Zentrale-Mitglieder Scholem, Rosenberg und Katz, außerdem Karl Korsch, Ernst Schwarz, Theodor Neubauer), andererseits Arbeitervertreter wie Hans Weber, Arthur Vogt und Wilhelm Kötter, die eine Mehrheit in den KPD-Bezirken Pfalz, Westsachsen und in Berlin-Wedding hinter sich hatten. Die Ultralinken lehnten 1925 die Rechtswendung der Fischer-Maslow-Thälmann-Führung ab; sie verharrten auf den alten linksradikalen Positionen. In Opposition gedrängt, wandten sie sich auch gegen den Führungsanspruch der KPdSU in der Komintern; sie waren die schärfsten Kritiker Stalins. In den erwähnten drei KPD-Bezirken hatten die Ultralinken zunächst die Mehrheit, sie waren auch in den Bezirken Ruhrgebiet, Nieder-rhein, Niedersachsen und in Teilen Thüringens stark, zählten mehrere Tausend aktive Anhänger und hatten vor allem Zulauf von arbeitslosen Parteimitgliedern. 1926 brachen die Ultralinken jedoch in divergierende Gruppen auseinander; bis 1928 hatten sie jeglichen Einfluß verloren. Die Gruppe um Iwan Katz wurde Anfang 1926 als erste aus der KPD ausgeschlossen (sie trat scharf antibolschewistisch auf); ihre Absicht, einen „Spartakusbund II" ins Leben zu rufen, scheiterte. Im Frühjahr 1926 spaltete sich auch die übrige Ultralinke: Unter Schwarz und Korsch bildete sich die Gruppe „Entschiedene Linke", die dann nochmals auseinanderbrach (Schwarz ging 1927 zur linksradikalen KAP). Scholem und seine Anhänger arbeiteten wieder mit Ruth Fischer zusammen; Rosenberg wandte sich nach rechts, er stand später — wie zahlreiche Ultralinke — der SPD nahe; andere zogen sich aus der aktiven Politik zurück. Die ultralinke Arbeiter-gruppe, die sogenannte Weddinger Opposition, konnte ihre Positionen in der Pfalz, in Westsachsen und in Berlin-Wedding nur bis 1927/28 halten. Die Weddinger Opposition zerbrach ebenfalls in rivalisierende Gruppen. Es gelang dem ZK, ihre Führer aus den Funktionen zu verdrängen; einige (Weber, Kötter) wurden ausgeschlossen, andere (Vogt) sowie weitere führende Ultralinke (Neubauer, Neddermeyer, Abusch) kapitulierten vor der Thälmann-Führung. Auch ein Teil der ultralinken Arbeiter ging wieder zur KPD zurück. Da die KPD ab 1929 selbst einen ultralinken Kurs vertrat, war dieser Opposition die Basis entzogen. 5. Apparat und Fachleute. Die bisher angeführten politisch-ideologischen Richtungen umreißen nicht die ganze Skala der in der KPD 1924— 1929 vorhandenen Gruppen. Viele Funktionäre und vor allem Apparatangestellte bekannten sich immer zu der jeweils herrschenden Fraktion, ohne sich mit einer bestimmten Tendenz zu identifizieren. Die ausgesprochenen „Fachleute" im Parteiapparat bemühten sich sogar, nicht in die Fraktiohskämpfe hineingezogen zu werden • (Parlamentarier wie Torgier oder Kasper, Propagandisten wie Duncker, Agrarspezialisten wie Rau und Hoernle, Redakteure, Kommunalpolitiker usw.). Sie förderten und beschleunigten den Prozeß der Stalinisierung — und ihr Gewicht in der Partei wuchs. Das gilt besonders für jene Apparatführer, die zwar an entscheidenden Machthebeln saßen, aber mehr im Hintergrund wirkten (Ulbricht, Dahlem). Die Zusammenarbeit dieser Apparatleute mit der komintern-treuen Linken, schließlich die Verschmelzung dieser beiden Gruppen zur deutschen Stalin-Fraktion waren die wichtigste Voraussetzung der Stalinisierung. Die Apparatführer und die Fachleute waren schon auf Grund ihrer Funktion gegen Fraktionskämpfe und für eine straff disziplinierte Partei, sie vor allem bejahten die Bolschewisierung der KPD. Darunter verstanden sie nicht zuletzt einen Kampf gegen die sozialdemokratische Tradition, aus der die KPD hervorgegangen war. Auch der organisatorische Aufbau der Partei tradierte vielfach auf sozialdemokratischen Gepflogenheiten, die durch die Bolschewisierung überwunden werden sollten. Die Ausschaltung der Fraktionen und die politisch-ideologische Vereinheitlichung auf der Grundlage des Stalinismus waren neben dem Wandel von Organisation und Funktion der KPD das wichtigste Ergebnis der Stalinisierung, die hier untersucht wird.
Der Organisationsaufbau in der Praxis
Bis 1925 stand an der Spitze der KPD die vom Parteitag gewählte Zentrale, danach das Zentralkomitee (ZK); die ausführenden Organe waren: Polbüro, Orgbüro und Sekretariat. Die Zentrale zählte zwischen sieben (1919) und 21 Mitgliedern (1923). Dem Polbüro gehörten zwischen fünf und acht Personen an. Ein hauptamtlicher Apparat (vor allem eine starke Gewerkschaftsabteilung) diente der Zentrale zur Anleitung der Bezirke, Unterbezirke, Kreise und Ortsgruppen. Die Zentrale wurde vom Zentral-Ausschuß (ZA) kontrolliert. Den ZA wählte der Parteitag auf Vorschlag der einzelnen Bezirke, um damit zu gewährleisten, daß auch die oppositionellen Bezirke in der Führung vertreten waren. Der ZA setzte sich 1923 aus 37 Mitgliedern und ebenso vielen Ersatz-mitgliedern zusammen; er tagte in der Regel alle zwei bis drei Monate. Wie manche andere Organisationspraxis, beruhte auch der ZA auf sozialdemokratischem Vorbild, er entsprach dem Parteiausschuß der SPD.
Als das Statut von 1925 den ZA abschaffte, verloren die Bezirke ihr Kontrollorgan und ihr Einfluß auf die Parteispitze ging zurück. Das Zentralkomitee (ZK) erhielt größere Machtbefugnis als die frühere Zentrale, es war nunmehr alleiniges Führungsorgan. Der Territorialaufbau der KPD änderte sich in der Periode der Weimarer Republik nur unwesentlich. Die Partei zählte um die 25 Bezirke, die entsprechend in Unterbezirke, Kreise usw. unterteilt waren. Die einschneidenden Änderungen der Parteistruktur in den zwanziger Jahren wirkten sich vor allem in drei Bereichen aus: erstens in der Parteispitze, zweitens im Parteiapparat der hauptamtlichen Funktionäre und drittens in den Grundorganisationen der KPD.
Aufbau und Funktion der KPD-Spitzenführung entsprachen den Anweisungen des EKKI in Moskau. Eine Organisationsberatung des EKKI hatte 1925 gefordert, das ZK müsse aus 25 oder mehr Mitgliedern und einigen Kandidaten bestehen, außerdem wurden ein Pol-und Orgbüro sowie ein Sekretariat aus zwei bis drei Mitgliedern vorgeschrieben
Das deutsche ZK zählte bis zum XI. Parteitag 1927 zwar weniger Mitglieder als vorgesehen, aber sonst hielt sich die KPD exakt an die Anweisungen der Komintern. Die zentrale Parteiführung bestand aus beschließenden Körperschaften (ZK, Polbüro und Orgbüro) und Arbeitsorganen (Sekretariat, Abteilungen bzw.
Ressorts beim ZK).
Nominell höchstes Organ zwischen den Parteitagen war das ZK, das sich aus 19 Mitgliedern und neun Kandidaten (1925— 1927) bzw. 35 Mitgliedern und 18 Kandidaten (1927— 1929) zusammensetzte
Jach den Vorschriften der Komintern mußte eim ZK ein Ressort-Apparat mit mindestens olgenden Abteilungen eingerichtet weren: Organisation, Gewerkschaften, Agitprop, hauen, Land sowie eine Geschäftsabteilung mit Buchhaltung und Kasse). In den einzelnen Abteilungen gab es wiederum Unterabteilunen
An dieses Schema hielt sich die KPD. Nach lern „Offenen Brief" von 1925 wurde der zenrale Parteiapparat reorganisiert. Neben der bereits bestehenden Agitprop-Abteilung
Die Abteilungen waren Arbeitsstäbe des ZK-Sekretariats. Ein Sekretär war für mehrere Abteilungen zuständig. Allein der Sekretär konnte bestimmen, „in welchen beschließenden Körperschaften des ZK (d. h. Polbüro oder Orgbüro) die von den Abteilungen gestellten und vorbereiteten Fragen entschieden" werden. „Die Erörterung der von der Abteilung gestellten und vom Sekretariat geprüften Fragen und deren Entscheidungen durch die leitenden Organe des ZK" konnte nicht ohne den verantwortlichen Sekretär stattfinden
Aufbau und Methoden der übrigen Ressorts ähnelten denen der Orgabteilung. Folgende Arbeitsmethoden wurden angewendet: 1. Entsendung von ZK-Instrukteuren in die Bezirke, 2. Durchführung von Organisationsberatungen auf Bezirksebene, 3. Besprechungen mit den Bezirks-Orgleitern, 4. ständige schriftliche und persönliche Verbindung mit den Bezirken, 5. Rundschreiben, 6. Ausnutzung der Partei-presse, 7. Broschüren, Handbücher usw.
Ende 1929 wurde die zentrale Organisationsarbeit verändert. Die Orgabteilung wurde als selbständiger Apparat aufgelöst; sie war nunmehr dem Sekretariat direkt unterstellt
Die immer straffer und bürokratischer werdende Leitung der Organisation durch die Zentrale verminderte die demokratischen Impulse von unten. Der Einfluß der gewählten Funktionäre schwand in dem Maße, in dem die Macht der besoldeten Parteiangestellten zunahm, über den Apparat selbst wird an anderer Stelle berichtet. Es kann jedoch schon hier festgestellt werden, daß der gesamte Parteiapparat in immer größere Abhängigkeit von der Zentrale geriet.
Der hierarchische Aufbau des Parteiapparats schritt rasch voran. Bereits 1924 hieß es: „Alle Parteileitungen unterliegen der Bestätigung der nächsthöheren Instanz", die Parteiangestellten im Bezirk „können von den Bezirks-organen nur im Einverständnis mit der Zentrale eingestellt oder abberufen werden"
Der Frankfurter Parteitag verpflichtete das ZK und die Bezirke, auch „eine Registratur der leitenden Parteiarbeiter zu schaffen". Vergangenheit, Dauer der Parteizugehörigkeit, bisher ausgeübte Funktionen und besondere Fähigkeiten auf dem Gebiet der Politik, Organisation, Gewerkschaften, Sprachen sollten festgehalten werden
Ebenfalls 1924 begann die Vereinheitlichung der Bezirksleitungen. Die vom Bezirksparteitag gewählte Bezirksleitung (BL) bestimmte die Leiter der Ressorts (Gewerkschaft, Agitprop, Betriebsräte, Kommunales, Genossenschaft), die beratend an den Leitungssitzungen teilnahmen
Seit 1926 leitete das ZK den Parteiapparat straffer. Es wurde unumwunden gefordert, „daß die Leitungen größere Machtbefugnisse haben müssen, als es bisher der Fall war"
Die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre blieb relativ klein
Anfang 1930 konstatierte eine andere Oppositionsgruppe: „Der von Parteiangestellten beherrschte Funktionärskörper drückt in Partei-sitzungen und Versammlungen jeden ihm in die Hand gegebenen Beschluß durch." Für den Apparat sei die Hauptsache, daß er eine einstimmige Annahme melden könne. Die Opposition verlangte, den „Zwang einer ungesunden Parteidisziplin zu brechen"
Allerdings war das Problem nicht restlos im Sinne der Führung gelöst worden. Ende 1929 wurden viele Funktionäre ausgewechselt, da sie die Absichten der Führung nicht realisiert hatten. „Das Versagen vieler Genossen in den Leitungen verlangt von der Partei gebieterisch, eine gründliche Reinigung von allen schwankenden Elementen. Neue Elemente, die sich in den Kämpfen des Proletariats bewährt haben, müssen in die Leitung hinein."
Die überwiegende Mehrheit der Funktionäre bestand aus ehrenamtlichen Mitarbeitern; deshalb genügte es nicht, den hauptamtlichen Parteiapparat zu reglementieren. Eine monolithische Partei war nur zu schaffen, wenn alle Funktionäre, ja sogar alle aktiven Parteimitglieder der Parteiführung ohne Widerspruch folgten. Beinahe ein Drittel der Mitgliedschaft war 1930 in rund 8000 Parteileitungen als Funktionäre aktiv
Das Problem der Grundorganisation war vor allem: soll die KPD — nach dem Vorbild der KPdSU — auf der Basis der Betriebszellen aufgebaut sein oder sollen — nach sozialdemokratischer Tradition — die Wohnbezirke die untersten Parteieinheiten bilden? 1919 hatte die KPD zunächst versucht, eine „Verbindung von Wohnbezirks-und Betriebsorganisation" herzustellen, doch setzte sich Anfang der zwanziger Jahre die Wohnbezirksorganisation durch. Im Mai 1923 nahm die Parteiführung nach einer entsprechenden Begründung durch Ulbricht eine Resolution an, in der die Schaffung von Betriebszellen gefordert wurde
Die Betriebsarbeit wurde als Schwerpunkt angesehen: „ . . . unsere Kraft liegt nicht in öffentlichen Versammlungen allein. Diese sind nur ein Mittel, und nicht das wichtigste. Viel, viel, viel wichtiger ist, daß wir in den Betrieben und Gewerkschaften erfolgreich arbeiten."
Das war zum Teil auf eine schwache Verankerung der Kommunisten in den Betrieben zurückzuführen. Bei der Reichskontrolle im Januar 1927 hatte sich herausgestellt, daß überhaupt nur 53 % (der damals 143 172 Mitglieder) in Betrieben beschäftigt waren
Die Zerschlagung der alten Orts-Parteiorganisation und ihre Ersetzung durch Betriebs-und Straßenzellen hatte aber auch einen innerparteilichen Aspekt. In den Wohnorganisationen waren die Funktionärversammlungen ein wichtiges politisches Gremium. Die Zusammenfassung aller Funktionäre zu regelmäßigen Besprechungen förderte das politische Leben der Partei vor allem in den großen Städten. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen wurden auf diesen Veranstaltungen am heftigsten ausgetragen. Mit dem Umbau auf Zellenorganisationen sollten die Funktionärsversammlungen abgeschafft und gleichzeitig durch Delegiertenversammlungen ersetzt werden. Das schien im Sinne der innerparteilichen Demokratie zu liegen, tatsächlich wurde damit jedoch die Vormachtstellung des Apparats verstärkt. In den großen Funktionärsversammlungen entschieden politische Argumente, rhetorisches Geschick der Redner usw. die Abstimmung, in den kleineren Zellenversammlungen aber konnte der Apparat seinen Einfluß leichter geltend machen. Apparatfunktionäre konnten in jede kleine Zelle geschickt werden und im Sinne der Führung argumentieren; der Opposition fehlten dazu die Kräfte. Die Delegiertenversammlungen waren entsprechend linientreu zusammengesetzt. Neben der Verdrängung der Opposition kam es dem Apparat auch auf die Ausschaltung „überflüssiger" politischer Diskussionen in den Funktionärs-versammlungen an sowie auf die Belebung praktischer, d. h.organisatorischer Arbeit in den Zellen und Delegiertenkonferenzen.
Die Organisationsfunktionäre, die den innerparteilichen Zwist als „parteischädlich''haßten, forcierten die Umstellung auf Betriebszellen ganz besonders. Sie trieben den Umbau auf Zellen 1925 voran. Dagegen rebellierte die Opposition. Nur die Hälfte der Betriebszellen funktioniere, man sei in eine Sackgasse geraten, konstatierte Scholem vor dem X. Parteitag 1925 für die ultralinke Opposition. Er protestierte gegen die Abschaffung der Funktionärs-versammlungen, da mit dieser Maßnahme nur die Opposition getroffen werden sollte. Tatsächlich konnte die linke Opposition nicht zuletzt durch die Umstellung auf Parteizellen verdrängt werden. Anfang Oktober 1925 wandte sich eine Versammlung der Berliner Zellen-Obleute von der oppositionellen BL ab und begrüßte die Komintern-Linie. Damit begann der Zerfall der linken Opposition in Berlin.
Die Komintern bezeichnete die früher üblichen Funktionärsversammlungen als „direkte Gefahr für die Partei". Die KPD-Führung rief die Partei auf, „Gegner der Zellenorganisation aus den führenden Positionen auszuschalten". Die „Weddinger Opposition" versuchte zu beweisen, daß die Betriebszellen „nicht die richtige Organisationsform für die deutsche Partei" sei, die Zellenorganisation habe zur Inaktivität und zur Bürokratisierung geführt. Die Parteiführung wischte solche Einwände beiseite. Obwohl der Umbau auf Betriebszellen mißglückt war, wurde weiterhin am Zellensystem festgehalten.
Die KPD behauptete, durch die Veränderung ihrer Führungsspitze, die Zentralisierung des Apparats und die Umstellung auf Betriebszellen habe sie die sozialdemokratische Tradition überwunden. Im Selbstverständnis war die Partei nunmehr vom „Sozialdemokratismus“ gereinigt. Die Unterschiede zwischen einer kommunistischen und einer sozialdemokratischen Organisation stellten sich in der KPD-Sicht so dar: 1. Die SPD leistet ihre Hauptarbeit außerhalb, die KPD innerhalb der Betriebe. 2. Die SPD-Politik führt von Kampagne zu Kampagne, hauptsächlich von Wahl zu Wahl, die KPD organisiert in zäher Tagespolitik die Massen. 3. In der SPD ist die treibende Kraft die Parteispitze, die Massen der Mitglieder sind passiv, in der KPD sind gerade die Massen aktiv. 4. Die SPD hat keine feste Disziplin, die KPD verfügt über eine „eiserne Disziplin". 5. Sozialistische Parteien sind ihrer Struktur nach Föderationen verschiedenartiger Auffassungen, kommunistische Parteien „müssen aufgebaut werden als geistig absolut monolithe Organisationen"
Diesen theoretischen Postulaten entsprach die Wirklichkeit der KPD keineswegs. Auch sie leistete ihre Arbeit mehr außerhalb als innerhalb der Betriebe, wie die Schwäche ihrer Betriebszellen zeigt. Ihre Arbeit war durchaus nicht kontinuierlich, sondern ging ebenfalls von Kampagne zu Kampagne, auch wenn das nicht ausschließlich Wahlkämpfe waren, sondern Antikriegstage, RFB-Treffen, Vorbereitung der Parteitage usw.
Da die KPD weitaus weniger Mitglieder als die SPD
Was schließlich die „eiserne Disziplin'der KPD und die „monolithe" geistige Ausrichtung der Partei angeht, so konnte eine Annäherung an diese Ideale erst nach Beendigung der Fraktionskämpfe, also ab 1929 erreicht werden. Die Wirklichkeit der KPD-Organisation war somit nicht grundsätzlich von der der SPD unterschieden, wie die Kommunisten glauben machten und selbst wünschten. Die sozialdemokratische Tradition wirkte in der KPD noch sehr lange nach.
Politische Meinungs-und Willensbildung in der KPD
Die KPD behauptete, die Willensbildung in der Partei erfolge demokratisch, Entscheidungsprozesse würden durch die Mehrheit entschieden. In der Praxis konnte die Parteiführung die Willensbildung jedoch manipulieren und alle wesentlichen Fragen selbst entscheiden oder — genauer gesagt — sie konnte die Anweisungen der Komintern ausführen bzw. konkretisieren; die Mitgliedschaft hatte kaum Einfluß auf diese Entscheidungen. Die KPD-Führung bemühte sich, eine monolithische Parteiorganisation zu schaffen. Voraussetzung dafür war die einheitliche Ausrichtung des Apparates, der Funktionäre und der Mitgliedschaft. Nur eine Minderheit der Mitgliedschaft nahm überhaupt am Parteileben teil, und diese aktiven Mitglieder beeinflußte die KPD-Führung mit Hilfe der Presse; die Funktionäre wurden überdies durch die Parteischulung indoktriniert. Die zentralistische Partei-einheit sollte aber vor allem durch Überwindung der Fraktionen und Ausschaltung oppositioneller Elemente geschaffen werden.
Die Parteipresse hatte die Aufgabe, die Kommunisten zu informieren, über die Aktivität der Kommunisten zu berichten, die Politik der KPD nach außen zu vertreten, den Einfluß der Partei zu vermehren, neue Anhänger und Mitglieder zu gewinnen und die Partei anzuleiten. Da die KPD-Presse nur über 1 Prozent aller Zeitungen in Deutschland verfügte, blieb ihre Wirkung gering. Ende 1926 zählte die KPD 133 000 Mitglieder, die KPD-Presse hatte insgesamt eine Auflage von nur 282 000 Exemplaren.
Die Resonanz der kommunistischen Zeitungen in Deutschland war schwach, um so wichtiger waren die ihr zugedachten innerparteilichen Aufgaben: sie sollte als „kollektiver Organisator" wirken und prägte damit weitgehend die politische Meinung der KPD-Mitgliedschaft.
Die Parteizeitungen waren ursprünglich von der Zentrale relativ unabhängig. Die Bezirke bestimmten die Redakteure; allerdings mußten Veröffentlichungen der Zentrale in den Bezirkszeitungen gebracht werden. Vor der Vereinigung mit der USPD besaß die KPD außer dem Zentralorgan „Die Rote Fahne" nur sechs Bezirkszeitungen, deren Auflage keine 100 000 Exemplare betrug, 1921 verfügte die KPD über 33 Tageszeitungen (davon waren elf Kopfblätter). Die meisten dieser Zeitungen waren von der USP übernommen worden und führten deren Tradition weiter fort. Auf dem Vereinigungsparteitag 1921 wurde zwar die politische und taktische Haltung der Presse der Kontrolle der Zentrale unterstellt, doch erst durch die Schaffung einer zentralen Agitprop-Abteilung im September 1923 wurde das Pressewesen zentralisiert. In der Ruth-Fischer-Ara bildete sich schließlich die Praxis heraus, Chefredakteure und politische Redakteure der Zeitungen durch die Zentrale einzusetzen und abzuberufen. Damit waren sie weitgehend von den Bezirksleitungen unabhängig und dem ZK gegenüber verantwortlich
Ein wichtiges Instrument zur Beherrschung der Presse schuf sich die Parteispitze mit der 1924 gegründeten PEUVAG (Papiererzeugungs-und Verwertungs Aktiengesellschaft), eine Dachgesellschaft mit lokalen Betrieben, ähnlich der fast gleichzeitig errichteten „Konzentration" der SPD. Die PEUVAG übernahm die KPD-Druckereien in den einzelnen Bezirken
Auch das Verlagswesen wurde zentralisiert. Bereits 1925 rügte das EKKI die große Zer-Splitterung der Zeitungen und forderte eine Zusammenlegung
Die Redaktionen stützten sich im wesentlichen auf die Informationen des offiziellen Partei-pressedienstes und auf die Internationale Presse-Korrespondenz (Inprekorr). Schließlich wurde ein Materndienst eingeführt, der sicherstellte, daß wichtige politische Fragen und vor allem innerparteiliche Probleme in der Gesamt-presse einheitlich behandelt wurden. Das ZK nahm außerdem durch direkte Rundschreiben an die Redaktionen und durch Besprechungen mit den Chefredakteuren Einfluß auf die Zeitungen.
Die zentrale Zeitschrift „Der Parteiarbeiter" befaßte sich hauptsächlich mit Organisationsfragen, diente aber auch der Ausrichtung der Funktionäre. Daneben existierten in verschiedenen Bezirken Funktionärorgane, die jedoch nicht regelmäßig erschienen. Die führenden Kader wurden seit Herbst 1925 von einer „Informations-Abteilung" des ZK unterrichtet. Die Abteilung lieferte an die Bezirksleitungen Material, machte die ZK-Mitglieder mit den Beschlüssen und der Arbeit der einzelnen Ressorts und des Apparats bekannt und gab Informationen über die SPD, die Außenpolitik und die Wirtschaft heraus
Ein weiterer Fraktor der Meinungsbildung war die Schulung der Funktionäre, die schrittweise ausgebaut wurde. In der revolutionären Nachkriegskrise hatte es in der KPD nur sporadisch eine Parteischulung gegeben. Revolutionärer Enthusiasmus hielt Mitglieder und Funktionäre stärker zusammen als ideologische Beeinflussung. Doch versuchte die Führung bereits damals, den mittleren und höheren Funktionären ein ideologisches Rüstzeug zu vermitteln. Im Winter 1920, kurz vor der Vereinigung mit der USP, veranstaltete die KPD einen Wochenkurs für ihre hauptamtlichen Angestellten.
Im Herbst 1922 führte die Partei in Berlin eine dreimonatige Schulung durch. Alle Teilnehmer, ehemalige Betriebsarbeiter, waren zuvor zwei Monate als Volontäre in Redaktionen und Sekretariaten mit der zukünftigen Arbeit vertraut gemacht worden. Der Lehrplan war auf die Heranbildung von Redakteuren und Sekretären zugeschnitten und behandelte vor allem ökonomische und politische Probleme. Für November/Dezember 1923 war ein ähnlicher Kurs geplant, der wegen des Partei-verbots ausfiel
Im Zuge der Bolschewisierung der Partei begann die KPD Anfang 1925 mit einer intensiven Mitgliederschulung. Am 21. Januar 1925 beschloß die Zentrale, „marxistisch-leninistische Zirkel" zu bilden
Im Frühjahr 1927 besuchten (erstmals wieder seit 1923) 42 Teilnehmer diese Schule. Grund-fächer waren Marxismus-Leninismus und Geschichte der Arbeiterbewegung, doch wurden auch Gewerkschaftsfragen, Kommunalarbeit und andere Themen abgehandelt
Wesentlich für die einheitliche politische Willens-und Meinungsbildung war die immer straffer gehandhabte Zentralisierung der KPD. Der Parteiideologe Lenz-Winternitz schrieb bereits 1924: „Leninismus, das ist vor allem eiserne Disziplin seitens der Mitgliedschaft, das ist militärische Zentralisation."
Bei der chronologischen Darstellung konnte bereits gezeigt werden, daß die Existenz verschiedener Fraktionen in der KPD ein gravierendes Moment für die innerparteiliche Demokratie war. In der Frühzeit spielten fest organisierte Fraktionen allerdings noch keine entscheidende Rolle, denn die Partei befand sich oft in der Illegalität, vor allem war sie aber noch eine offene Partei; Auseinandersetzungen führten wiederholt zur Spaltung.
Bei den fraktionellen Differenzen 1921 (nach der Märzaktion) herrschte breiteste innerparteiliche Demokratie: Erklärungen der Opposition wurden selbstverständlich in der Parteipresse abgedruckt, ihre Redner hielten Korreferate usw. Ähnliche Möglichkeiten besaß die Opposition auch in den Jahren 1922 und 1923. Nach der Oktoberniederlage 1923 spiegelte sich die innerparteiliche Demokratie in der Fraktionsauseindersetzung wider: Rechte, Mittelgruppe und Linke traten auf allen Delegiertenkonferenzen, Bezirksparteitagen usw. mit eigenen Rednern und Plattformen auf, und die aktiven Mitglieder konnten ihrem Willen Ausdruck geben. Die Zusammensetzung und Diskussion des IX. Parteitages 1924 gab ein Bild von der Fraktionsstärke. Ziel der Linken nach 1924 war es, durch die „Bolschewisierung" die Fraktionen zu liquidieren. Das gelang ihnen nicht. Schon im Frühjahr 1925 bestand eine ultralinke Opposition und auch die gemäßigten Kräfte arbeiteten mehr oder weniger fraktionell zusammen
Nach dem Höhepunkt des Fraktionskampfes 1926 führte die Überspitzung der fraktionel-len Auseinandersetzungen schließlich dazu, daß sich innerhalb und außerhalb der KPD fast ein Dutzend Fraktionen bekämpften und die Partei zu zersplittern drohte. Das erleichterte es der Parteiführung und ihrem Apparat, bei den meisten Mitgliedern und Funktionären Abscheu vor jeder Fraktionstätigkeit zu erwecken. Darüber hinaus bewirkten die Fraktionskämpfe eine allgemeine Diskussionsmüdigkeit; Thälmann hatte auf dem VIII. Parteitag 1923 noch gesagt, eine Partei, die nicht über bestehende sachliche Differenzen diskutiere, sei „überhaupt tot"
Die Veränderung der Organisationsstruktur der KPD von 1924 bis 1929 brachte vor allem die Zentralisierung der Partei: eine entsprechend vergrößerte Machtbefugnis der Zentrale; eine straffere Anleitung des Apparates von oben; die Zerschlagung der großen Grundorganisationen durch Umbau auf Zellen (und damit weitgehende Beeinträchtigungen des inneren Parteilebens); eine einheitliche Meinungsbildung durch Presse und Schulung; nicht zuletzt aber die Zerschlagung der Fraktionen und die Ausschaltung jeder legalen Opposition. Mit diesen einschneidenden Wandlungen der KPD-Organisation wuchs die Bedeutung des Apparats in der Partei erheblich.
Mitglieder, Funktionäre und Apparat
Die KPD verstand sich zunächst als Kaderpartei, alle Mitglieder sollten Funktionäre sein, der hauptamtliche Apparat war klein. Anfang 1920 meinte Thalheimer, die KPD sei „nicht darauf angewiesen, unbedingt viele Genossen aufzunehmen". Er verwies auf das russische Beispiel, wo eine kleine Partei enorme Arbeit leiste
Bis 25 Jahre 12, 3% bis 30 Jahre 19, 5 % bis 40 Jahre 32, 7 % bis 50 Jahre 21, 9% über 50 Jahre 13, 6%
Während der Anteil der Jugend in der KPD (bis 25 Jahre) nur knapp über dem deutschen Durchschnitt lag, waren die Gruppen bis 30 Jahre doppelt und bis 40 Jahre in der KPD nehr als doppelt überrepräsentiert, entsprehend die über 50jährigen weit unterrepräseniert
Mach der Reichskontrolle von 1929 ergab sich, laß nur 16, 5 °/o der Parteimitglieder Frauen waren, diese also in der KPD — wie in der Arbeiterbewegung überhaupt — eine Minorität blieben (SPD = 21 °/o Frauen)
Die soziale Struktur der KPD zeigte 1927 folgendes Bild: 68 % der Mitglieder waren Industriearbeiter (davon 40 % gelernte und 28 °/o ungelernte Arbeiter), hinzu kamen 10 % handwerkliche Arbeiter und 2 % Landarbeiter, insgesamt also 80 % Arbeiter. Der Rest setzte sich zusammen aus: Bauern = 0, 1 %, „Mittelstand" (mittlere Beamte, Kleingewerbetreibende und freie Berufe) = 2, 2%, untere Beamte = 0, 7%, Handlungsgehilfen = 1, 7%, in Genossenschaften und Gewerkschaften Beschäftigte = 2, 6 %, Parteiangestellte = 1, 6 % und sonstige (Hausfrauen usw.) = 11, 1 %
Die Reichskontrolle ergab, daß die herkömmliche kommunistische Behauptung, die SPD erfasse die „Arbeiteraristokratie", die Kommunisten aber rekrutierten sich aus den unteren Schichten, für die KPD-Mitgliedschaft kaum zutraf. Nach der Leninschen These 100) und den Vorstellungen von Karl Liebknecht bildete die „besitzlose Masse der ungelernten Arbeiter" das eigentliche Proletariat, das von der KPD repräsentiert wurde
„daß die These von der Arbeiteraristokratie als Bollwerk der SPD nicht wahrscheinlich gemacht, geschweige denn bewiesen worden ist: Vielmehr scheint es so zu sein, daß große Teile auch der unqualifizierten und schlecht bezahlten Arbeiterschaft der sozialdemokratischen Führung folgen, während nicht unerheb-liehe Elemente der qualifizierten Gruppen wenigstens zeitweise zur KPD neigen."
Während der Krise 1929— 1933 änderte sich die Lage gründlich: die KPD rekrutierte sich aus Arbeitslosen und vertrat nun tatsächlich die „unteren Schichten" der Arbeiterschaft. Allerdings war der Anteil der Erwerbslosen in der KPD immer sehr hoch gewesen. In Berlin-Brandenburg waren im September 1924 fast 25 % und im April 1925 15 % der Parteimitglieder erwerbslos, im Bezirk Mittelrhein 1925 sogar 50 %
Der Einfluß und die Zusammensetzung der KPD waren regional recht unterschiedlich. Von den 27 Parteibezirken umfaßten die acht wichtigsten Bezirke (1929) zwei Drittel der Mitgliedschaft: Berlin-Brandenburg 15, 8%, Halle-Merseburg 9 %, Wasserkante 8, 9 %, Nieder-rhein 7, 8 %, Erzgebirge-Vogtland, 7, 5 %, Ruhr 6, 7 %, Westsachsen 6, 1 % und Thüringen 4, 7 %
Im Mai 1924 zählte die KPD mehr als 20 % der Wähler in den Wahlkreisen Merseburg (25, 7%), Düsseldorf-Ost (24, 9%), Westfalen-Süd (21, 9 %), Berlin (20, 6 %). Im Mai 1918: Berlin (29, 6%), Düsseldorf-Ost (28, 3%), Merseburg (24, 4%). Im November 1932: Berlin (37, 1 %), Düsseldorf-Ost (28, 3%), Merseburg (27, 1 %), Potsdam I (23, 6%), Potsdam II (23, 2 %), Westfalen-Süd (23, 2%), Düsseldorf-West (22, 6%), Hamburg (21, 94%), Chemnitz-Zwickau (21, 4 %) und Leipzig (20, 7 %).
Die Wählerhochburgen der KPD sind also dicht besiedelte Industriegebiete (Mittel-deutschland, Rhein-Ruhr, Berlin und Hamburg), in denen'auch die KPD-Organisation florierte. Die konfessionelle Gliederung der KPD-Wählerschaft war unterschiedlich: In fast rein evangelischen Gebieten finden sich ebenso KPD-Hochburgen wie in katholischen Gegenden. Allerdings hatte die KPD in den katholischen Industrierevieren im allgemeinen mehr Wähler als die SPD: Wahlkreis Oppeln: KPD = 16, 7 % — SPD = 4, 2 %; Köln-Aachen: KPD = 14, 2 — SPD = 10, 1 %; Düsseldorf-West: KPD = 18, 9% — SPD = 9, 7% (1924). Die KPD wurde auch mehr von Männern als von Frauen gewählt
Stärke und Schwäche der KPD-Organisation wurden auch von traditionellen Momenten mitbestimmt. Die acht bedeutenden KPD-Bezirke waren bis 1920 Hochburgen der USPD gewesen, aber nur in Niederrhein und Erzgebirge-Vogtland hatte auch KPD-Spartakus-bund über einflußreiche Organisationen verfügt. Allerdings dürfte die von Schorske gezeichnete tradierte Verbindung von der linken SPD der Vorkriegszeit über die USP zur KPD die Entwicklung zu sehr vereinfachen
Die lokalen und regionalen Kontraste in der innerparteilichen Auseinandersetzung sind allerdings nur schwer zu deuten, da zu verschiedenartige Komponenten eine Rolle spielten. Neben der sozialen Zusammensetzung und der ideologischen Tradition dürften auch frühere Abspaltungen mitgewirkt haben. Für die weitere Entwicklung im Bezirk Mittelrhein war es z. B. von Bedeutung, daß 1921 viele rechte Kommunisten um Paul Levi die Partei verließen, so daß in Zukunft der linke Flügel sehr stark wurde. Umgekehrt stand allerdings in Berlin die Partei immer links, obwohl 1919 die große Mehrheit der KPD zur ultralinken KAPD abgewandert war: Hier stießen mit der USP wieder neue linke Kräfte zur VKPD. Schließlich ist die Wechselwirkung zwischen Mitgliedschaft und örtlichen Parteiführern zu beachten. In Offenbach konnte der (aus der USP kommende) rechte Kommunist Heinrich Galm die Mehrheit der Ortsgruppe und der Wähler zur KPD und später zur SAP mitziehen
Zu konstatieren ist jedoch der regional sehr unterschiedliche Einfluß (bzw. die organisatorische Stärke der KPD), der sie als Partei der Industriearbeiter ausweist, ferner die aus der Geschichte der Arbeiterbewegung tradieren-den, auch für die innerparteiliche Entwicklung sehr wesentlichen regionalen Verschiedenheiten; und schließlich die interessante Tatsache, daß im allgemeinen in den von der USPD übernommenen Organisationen die linken Kommunisten und in ehemaligen Spartakus-Hochburgen die rechten Kommunisten dominierten, während in den Bezirken, in denen die KPD besonders schwach war (Bayern, Schlesien), kaum innerparteiliche Auseinandersetzungen zu verspüren waren.
Natürlich unterlagen auch die Parteimitglieder weitgehend Umwelteinflüssen, denn viele waren keineswegs solche Kommunisten, wie sie sich die Parteiführung wünschte und die Gegner vermuteten. So waren z. B. im starken Bezirk Halle-Merseburg noch 20 °/o der KPD-Mitglieder in der Kirche, im Bezirk Ruhr sogar 22 °/o. Im letzteren Bezirk schickten 26 °/o der Parteimitglieder ihre Kinder in den Religionsunterricht; im kommunistischen Jung-Spartakus-bund waren jedoch nur die Kinder von 17 °/o der organisierten Kommunisten
Diesen „traditionslosen" Kommunisten standen 30 % der KPD-Mitglieder gegenüber, die früher in der SPD organisiert waren, davon 11 % (15 000 Personen) länger als zehn Jahre
Im Jahre 1927 waren 19 der 27 KPD-Bezirke untergliedert in: 143 Unterbezirke, 383 Arbeitsgebiete, 1859 Ortsgruppen
Partei ergeben und wollten ihr „nicht schaden". Aus diesen und noch vielen anderen Gründen bekannte sich immer nur eine Minorität der Funktionäre zur Opposition, die gerade dadurch dezimiert und ausgeschaltet werden konnte.
Das ehrenamtliche Funktionärkorps war leicht auswechselbar, da sich immer wieder neue Parteigenossen fanden, die von der Ideologie oder den Tagesförderungen der KPD überzeugt und zur Parteiarbeit bereit waren. Dadurch konnten die Schwächen des Funktionärkorps und der ständige Verlust an Funktionären wieder ausgewogen werden. Der Verschleiß an Funktionären war groß, da der „revolutionäre Enthusiasmus" gerade in der nichtrevolutionären Situation rasch erlahmte. Viele Funktionäre hielten die ständige Anspannung nicht durch, wurden mutlos bei dauernden „Aktionen", die auf ein abstrakt-utopisches Ziel gerichtet waren und nur selten konkrete Ergebnisse zeitigten. Allerdings sahen die Arbeiterkommunisten im dogmatisierten Marxismus der KPD eine Widerspiegelung ihrer Interessen, die Reflexion der wirtschaftlichen Verhältnisse, die ihnen aus der Praxis vertraut waren. Vielen Funktionären fehlte die Ortsgebundenheit und damit auch jene Verbindung mit den Massen, die eine Stärke der SPD-Funktionäre war. Besonders unter den linken Kommunisten gab es viele Sektierer, deren Verhalten die Partei zu isolieren drohte. Der Zug zur Abkapselung des Funktionär-korps wurde indirekt verstärkt durch die Schulung: die Funktionäre wähnten sich über alle Ereignisse gut informiert, sei es die chinesische Revolution oder ein Lohnstreik in einer beliebigen Gegend Deutschlands; es entstand die Verbundenheit eines „wissenden Zirkels". Die Führung mußte diese Tendenzen durchbrechen, um eine völlige Isolierung zu vermeiden, aber auch um der Opposition im Funktionärkorps jede Chance zu nehmen. Die Folge war — wie in der Mitgliedschaft, so auch im Funktionärkörper der KPD — eine ständige Fluktuation, die dem hauptamtlichen Apparat wiederum die Lenkung erleichterte. Bei allen großen Wendungen der Parteilinie, im Kampf gegen die linken Kommunisten 1926/27 und gegen die rechten Kommunisten 1928/29 wurde jeweils auch das Funktionärkorps weitgend erneuert. Anfang 1927 forderte die Führung, die Mängel der Organisation zu beseitigen „durch breite Heranziehung neuer Funktionäre, Kader aus der Arbeiterschaft"
„Die Ausmerzung derjenigen Elemente aus dem Funktionärkörper der Partei, die hinter der allgemeinen politischen und revolutionären Entwicklung des Proletariats zurückgeblieben und dem Tempo der revolutionären Entwicklung nicht mehr gewachsen sind, ist eine der revolutionären Voraussetzungen der Verbesserung der Parteiarbeit."
Auch 1930 erfolgte eine neue Säuberung; wieder wurden die mittleren Funktionäre durch „neue frische Kräfte ersetzt"
Die widerspruchsvolle Situation und Entwicklung des ehrenamtlichen Funktionärkörpers der KPD wurde noch dadurch gefördert, daß viele Funktionäre hofften, in den hauptamtlichen Apparat aufrücken zu können. Die ständigen Säuberungen im Apparat und die Ausschaltung der Opposition brachten tatsächlich für eine Reihe von Funktionären diese Aufstiegschance. Eine Anzahl ehrenamtlicher Funktionäre arbeitete in Parteibetrieben oder hatte die Arbeitsstelle durch Parteibeziehungen erhalten; sie waren dadurch auch materiell abhängig von der Partei. Die Reichskontrolle 1927 ergab
Weitere 3736 Kommunisten arbeiteten bei Konsumgenossenschaften, Sowjetinstitutionen in Deutschland (Handelsvertretung, DERUPA, Torgprom usw.)
Die Parteiführung bestimmte auch über den Apparat der Nebenorganisationen (Roter Frontkämpferbund, Kommunistischer Jugendverband, Rote Hilfe, Roter Frauen-und Mädchenbund, Internationale Arbeiter-Hilfe, später auch Revolutionäre Gewerkschaftsopposition, Sport-und Freidenkerverbände). Die daneben existierenden illegalen Apparate (M-Apparat
Die hauptamtlichen Funktionäre, die alle wichtigen Schalthebel der Partei in der Hand hielten (im ZK, in den Bezirks-und Unterbezirksleitungen), waren eigentlicher Motor und Rückhalt der Partei. Als die linke Führung 1924 die Kader weitgehend auswechselte, gelangte ein großer Teil von Betriebsarbeitern in den Apparat. Während der Säuberungen des Apparats 1926 bis 1929 gingen die oppositionellen rechten und linken Kommunisten (bzw. Ultralinken und Versöhnler) ihrer Funktionen, d. h. in diesem Falle auch des Arbeitsplatzes verlustig; die meisten wurden sogar aus der Partei ausgeschlossen. Die Führung, die die Personalpolitik lancierte, besaß in den ständigen Säuberungen ein Druckmittel, um den Apparat nach ihrem Belieben zu dirigieren. Bei der Funktionsbesetzung spielten selbstverständlich parteipolitische Gesichtspunkte ebenso eine Rolle wie die Apparatgesetze. Parteidisziplin und Treue zur KPD bzw. zu der herrschenden Fraktion waren genauso ausschlaggebend für die Einsetzung wie die tatsächliche Sachkenntnis, aber auch die „persönliche Ergebenheit“ zu entsprechenden Führern war wichtig. Das führte allerdings dazu, daß sich im Parteiapparat immer mehr die Mittelmäßigkeit durchsetzte. Die Funktionäre des Apparats paßten sich an, hauptsächlich allerdings wohl nicht wegen der finanziellen Vergütung (obwohl diese den Arbeiterlohn übertraf)
Der Apparat blieb dort, wo die Partei schwach war oder besonders drastisch unterdrückt wurde (vor allem in Bayern)
„Der Berufsrevolutionär ist ein notwendiges Produkt und Werkzeug der Leitung der revolutionären Organisation, die illegal und noch keine Massenorganisation ist. In der legalen kommunistischen Massenorganisation ist kein Platz für den . Berufsrevolutionär'in diesem Sinne. Der . Berufsrevolutionär'schlägt hier nur allzu leicht mit dem Wachstum der Bewegung in den karrieremachenden, charakterlosen, ideell und materiell korrumpierten Bürokraten um, für den die revolutionäre Bewegung Quelle des Erwerbs, der Karriere, der parlamentarischen und anderer Posten ist."
Thalheimer, der damit auf einige bereits von Max Weber konstatierte typologische Merkmale des „Berufsrevolutionärs"
Der hierarchische Aufbau der Partei brachte vielfältige Abhängigkeiten mit sich. Die Führung bestimmte den hauptamtlichen Apparat, dieser leitete das ehrenamtliche Führungskorps, das auf die Mitgliedschaft einwirkte, doch umgekehrt war der hauptamtliche Apparat auch mit dem Funktionärkorps verflochten, ohne dessen loyale Mitarbeit die Parteiaufgaben nicht zu erledigen waren. Die Führung konnte ohne den funktionierenden Apparat nicht handeln, außerdem hatte sie auch noch die Entscheidungen des EKKI zu berücksichtigen. Der hauptamtliche Apparat war wohl dem meisten Druck ausgesetzt. Er mußte nicht nur die Sachzwänge beachten, um Erfolge zu erzielen, er hatte sich zu verantworten sowohl vor der Führung als auch vor dem ehrenamtlichen Funktionärkorps, das die Führung — wenn es ihr opportun erschien — als Gegengewicht dem Apparat gegenüberstellte. Da aber „die Macht in den Händen derjenigen liegt, welche kontinuierlich innerhalb des Betriebes die Arbeit leisten"
Die Bürokratisierung brachte zwangsläufig auch die Spezialisierung des Parteiapparats mit sich. Rasch entwickelten sich auch in der KPD Experten für Fragen der Gewerkschaft, der Kommunalarbeit, der Organisation, der Parlamentsarbeit, Redakteure und Agitationsredner und selbst Spezialisten für Sportfragen und Kassenwesen. Gleichzeitig bedeutete die Bürokratisierung in der KPD, deren eigentlicher Parteiapparat relativ schwach besetzt war, daß die einzelnen Apparatbeamten bis an die Grenze des Möglichen beschäftigt waren, so daß ihnen „keine Zeit" für grundsätzliche Überlegungen blieb und die von der Führung verlangte Arbeit alle Kräfte beanspruchte.
Auch wenn Robert Michels'Thesen von der zwangsläufigen organischen „Bildung der Oligarchien im Schoß der mannigfaltigen Formen der Demokratien"
Die KPD betrat diese Traditionslinie viel rascher als erwartet. Ein Satz des Zentralorgans der KPD aus dem Jahre 1920 klingt wie eine Vorausschau der kommenden Entwicklung: „Gewisse Dinge erwecken bei den breiten Massen der Mitglieder den Anschein, als ob der Zentralismus so etwas ähnliches sei, wie sie es früher in der alten Partei auch gekannt haben, nämlich ausschlaggebenden Einfluß der Parteibürokratie . . ."
Die Struktur der Komintern
Die KPD war ihrem Statut und ihrem Namen nach eine „Sektion der Kommunistischen Internationale". Die deutschen Kommunisten betonten immer wieder, die Komintern müsse eine straff organisierte Weltpartei sein, da „nur der straffe Zentralismus die Voraussetzung dafür ist, daß die Kommunistische Inter-nationale die Führung der Weltrevolution behält"
Nach den Statuten wählte das EKKI ein Präsidium, das als ständig funktionierende Körperschaft zwischen den EKKI-Tagungen die gesamte Arbeit leitete; es bestand 1926 aus 25 Personen und 1928 aus 26 Personen. Das Präsidium war ein wichtiges Machtorgan der Internationale. Ihm zur Seite stand nach den Statuten von 1924 ein Orgbüro, das alle organisatorischen und finanziellen Fragen zu erledigen hatte. Ein dem Orgbüro zugeordnetes Sekretariat mußte ebenfalls „praktische Arbeit" leisten. Orgbüro und Sekretariat wurden im Dezember 1926 aufgelöst. Ab Januar 1927 übernahm das Politische Sekretariat (Politsekretariat) deren Aufgabe
Der Aufbau des EKKI stimmte also mit dem bereits geschilderten Aufbau der KPD überein. Vergleichbare Gremien waren Weltkongreß und Parteitag, EKKI und ZK, EKKI-Präsidium und Polbüro, Politsekretariat und Sekretariat. In der KPD verlagerte sich die Macht zunehmend auf das Sekretariat, in der Komintern auf das Politsekretariat. Dieses Gremium beherrschten die Russen, obwohl die Vertreter der KPdSU nominell im Politsekretariat in der Minderheit waren
Da dem EKKI und seinem Vollzugsorgan ein umfangreicher Apparat zur Verfügung stand, in dem wiederum zumeist KPdSU-Mitglieder die bestimmenden Funktionen innehatten, war die Vorherrschaft der russischen Partei im Komintern-Apparat eindeutig. In den zwanziger Jahren umfaßte dieser Apparat über 400 Angestellte
Entsprechend den Statuten konnte das EKKI in die einzelnen Sektionen auch Bevollmächtigte entsenden. Diese mußten zu allen Versammlungen und Sitzungen zugelassen werden, und schon früh spielten die Vertreter des EKKI in den Kommunistischen Parteien eine ausschlaggebende Rolle. Es gab Bevollmächtigte, die längere Zeit in einem Land lebten und die Partei anleiteten. In Deutschland übte August Kleine-Guralski von 1921 bis 1923 diese Funktion aus
Die Anleitung und die Kontrolle der Tätigkeit der Sektionen blieb die wesentliche Aufgabe der Kominternführung. Während das Sekretariat bzw. Politsekretariat auch die entscheidenden Personalfragen behandelte, sollte die 1924 geschaffene „Internationale Kontrollkommission" über die Einheit und Reinheit der Komintern wachen. Die Kontrollkommission prüfte Beschwerden gegen Abteilungen des EKKI und Beschwerden von Personen oder Organisationen, sie verhandelte über Disziplinarmaßnahmen und war für die Revision der Finanzen zuständig
Nicht weniger wichtig als die bekannten Instanzen des EKKI waren die mehr im Hintergrund wirkenden Körperschaften, besonders die Abteilung für internationale Verbindungen (OMS). Die OMS war der Orgabteilung unterstellt. Da es zu den Aufgaben der Orgabteilung gehörte, die Kommunistischen Parteien über die illegale Arbeit zu instruieren
Diese Seite der Kominternarbeit spielte sich im Halbdunkel ab, dagegen wurden die politischen Auseinandersetzungen in aller Öffentlichkeit ansgetragen. Die Kominternführung bestimmte die Linie und sie diffamierte andere Auffassungen als „Abweichungen". Änderungen der Parteilinie und der Zusammensetzung der Leitung in den Sektionen wurden vom EKKI erzwungen
Die „Russifizierung" der Komintern ergab sich aus dem wachsenden Einfluß der KPdSU auf die Kominternführung, der immer größer werdenden Abhängigkeit der Komintern von den Hilfsquellen des Sowjetstaates und der völligen Unterwerfung der Sektionen unter die Ideologie Moskaus. Doch ist auch die formale, durch die Statuten gerechtfertigte Vorherrschaft der KPdSU in der Komintern nicht zu übersehen. Das Gewicht der Sektionen hing von ihrer Mitgliederzahl ab: danach richtete sich die Stärke ihrer Delegationen beim Welt-kongreß, die Anzahl ihrer Vertreter im EKKI usw.
Im Jahre 1921 standen den 650 000 Mitgliedern der sowjetischen Sektionen (Rußland, Ukraine, Armenien usw.) doppelt soviele Mitglieder der anderen Parteien gegenüber (1, 3 Millionen). KPD und KP der Tschechoslowakei hatten zusammen mehr Mitglieder (720 000) als die sowjetischen Kommunisten
Da die KPdSU 1928 drei Viertel der Komintern-Mitgliedschaft umfaßte, schien ihre Vorherrschaft in der Komintern durchaus logisch. Auch die Hilfe, die der Sowjetstaat den Sektionen der Komintern gewährte, mußte nun in neuem Licht erscheinen. Seit 1922 hatten alle Kommunistischen Parteien einen Teil ihrer Mitgliedsbeiträge an die Komintern abzuführen, damit das EKKI schwache Organisationen unterstützen konnte
Ende der zwanziger Jahre waren die abweichenden Richtungen ausgeschaltet und alle Kommunistischen Parteien der KPdSU ergeben; die monolithische Einheit der Komintern unter Führung der Sowjetunion schien gesichert. Die Gleichschaltung der Sektionen auf Moskaus Kurs war erreicht, weil sich Funktionäre und Mitglieder der Kommunistischen Parteien dem ideologisch-politischen Führungsanspruch der KPdSU indirekt oder direkt beugten, vor allem aber, weil die Parteiführungen und -apparate nunmehr bereit waren, allen Anweisungen der Kominternführung — und damit der Leitung der KPdSU oder genauer: Stalins — bedingungslos zu folgen. Das galt besonders für den Apparat und die Führung der KPD, der zweitstärksten Sektion der Komintern.
Die Abhängigkeit des deutschen Apparats
Zwischen Führung und Apparat der deutschen Sektion und dem EKKI in Moskau bestand eine enge politische, organisatorische und personelle Verflechtung. Parteiführung und -apparat gerieten — mehr als die eigentliche Partei — in eine immer stärkere, nicht zuletzt auch materiell bedingte Abhängigkeit von der Moskauer Zentrale. Da unter den Sektionen der Komintern die russische alle übrigen über-* ragte — sowohl an politischer Erfahrung und geistiger Potenz (man denke nur an Köpfe wie Lenin und Trotzki) als auch an handfester Macht und materiellen Hilfsquellen —, er-wuchs aus der Abhängigkeit der KPD von der Komintern die Unterordnung unter die KPdSU. Der wachsende Glaube von Funktionären und Mitgliedern der KPD an das sowjetische Vorbild wirkte wie eine ideologische Rechtfertigung dieses Verhältnisses. Die Auseinandersetzungen in der KPD-Führung orientierten sich — mindestens seit 1923 — an den Fraktionskämpfen der KPdSU; dadurch verwoben sich die deutsche und sowjetische Parteientwicklung noch mehr miteinander. Natürlich waren die deutschen Fraktionskämpfe nicht allein eine Widerspiegelung der russischen, aber die deutschen Führer ließen sich in die sowjetischen Streitereien hineinziehen. Das hatte Rückwirkungen: die Differenzen zwischen der KPD-Führung und der Komintern wurden letztlich nur vom sowjetischen Fraktionsgesichtspunkt aus betrachtet
Bis 1923 hatten sich bestimmte Formen der Abhängigkeit eingespielt: die KPD-Zentrale erkannte die führende Rolle der Komintern an, ohne damit jegliche Eigenständigkeit aufzugeben. 1924/25 begann in der Komintern auch der Einfluß Stalins zu wachsen. Stalin und seine Fraktion, im wesentlichen der sowjetische Parteiapparat, nahmen 1925 bis 1927 eine „rechte" Position ein. Primär ging es Stalin um die Macht in der KPdSU; er wollte seine gefährlichsten Gegner, die Linken, ausschalten (zunächst Trotzki, später Sinowjew und Kamenew). Der Kampf gegen die linke Opposition war aber auch aus der grundsätzlichen Haltung Stalins erklärbar: Seine Theorie vom „Sozialismus in einem Land" wurde von den Linken abgelehnt, während die „rechten" Kommunisten (Bucharin, Rykow, Tomski) sie bejahten. Zugleich ging es um die Innen-und Außenpolitik des Sowjetstaates. Mit Hilfe der „Rechten" trat Stalin für eine gemäßigte Politik ein. Die wirtschaftliche „Schere" zwischen Industrie und Landwirtschaft sollte durch Zugeständnisse an die Mittelbauern geschlossen werden; außen-politisch erwartete Stalin Erfolge von der Einheitsfront (in England mit den Gewerkschaften, in China mit der Kuomintang), außerdem hoffte man, eine „gemäßigte" Politik könne ausländische Kapitalhilfe bringen
1927 wurde kar, daß die außenpolitischen Hoffnungen getrogen hatten; vor allem in China hatte die Zusammenarbeit mit der Kuomintang zu einem Debakel des Kommunismus geführt. Da es Stalin andererseits gelungen war, die linke Opposition auszuschalten, konnte er 1928 den Kurs radikal ändern, eine ultralinke Linie einschlagen, um auch die letzten innerparteilichen Gegner, die rechten Kommunisten (Bucharin usw.) zu bezwingen. Eine forcierte Industrialisierung sollte die innere Struktur der UdSSR ändern; dabei wurden vielfach frühere Pläne der Linken (in überspitzter Form) übernommen.
Der Kampf um den sowjetischen Machtapparat und die sowjetische Innen-und Außenpolitik bestimmte den „rechten" Kurs 1925 bis 1927 und den ultralinken Kurs ab 1928. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß diese sowjetische Entwicklung nach 1925 teilweise auch eine Folge der Kominternpolitik von 1923/24 war. Die schematische Übertragung der russischen Politik auf die Komintern läßt erkennen, wie weit die sowjetische Realität für die Komintern maßgebend war. Diese „rechte" bzw. „linke" Grundhaltung widerspiegelte sich nicht nur in den innerparteilichen Fraktionskämpfen der KPD, sie ist in fast allen Sektionen der Komintern abzulesen.
Im Zuge der „Bolschewisierung" der Kommunistischen Internationale 1924/25 hatte Sinowjew (noch im Bündnis mit Stalin) die Anhänger Trotzkis aus den Führungspositionen der Sektionen verdrängt
Nicht anders ging 1928/29 der Ausschluß „rechter" Kommunisten und die Absetzung von „Versöhnlern" vor sich. In der Tschecho-Slowakei wurden die Rechten um Hais, die „Versöhnler" um Neurath, Jilek u. a. ausgeschlossen. Die KP der Tschechoslowakei erhielt im November 1928 ebenfalls einen „Offenen Brief" des EKKI über die „rechte Gefahr"
Einer der schwerwiegendsten und folgenreichsten Eingriffe der Komintern in die Geschicke der KPD war der „Offene Brief" vom August 1925 und die darauffolgende Absetzung der Fischer-Maslow-Führung. Für die Zukunft der KPD war es eine schwere Hypothek, daß sich die Partei nicht selbst von der verfehlten ultralinken Politik zu lösen vermochte (die Fischer-Maslow-Führung war wenige Wochen vor dem „Offenen Brief" noch einstimmig vom Parteitag bestätigt worden) und daß der Komintern-eingriff wiederum mit russischen Fraktionsquerelen zwischen Sinowjew und Stalin ein-herging. Praktisch setzte die Komintern eine neue deutsche Parteiführung ein, sie stützte sich weiterhin hauptsächlich auf die linken Führer, d. h. diejenigen, die früher eifrig Ruth Fischers Politik mitgemacht hatten, dann aber umschwenkten und bereitwillig der Kominternlinie folgten. Das bedeutete einerseits, daß seit Ende 1925 jede deutsche Führung von der Komintern abhängig blieb, andererseits, daß die Komintern auf die Stimmung der deutschen Linken Rücksicht nahm und keine echte Selbstkritik des ultralinken Kurses von 1924/25 erfolgte, was sich 1928/29 als verhängnisvoll erwies.
Zunächst schien das Eingreifen der Komintern eine Demokratisierung der von Ruth Fischer „bolschewisierten" Partei zu ermöglichen. 1926 stritten die verschiedenen Fraktionen der KPD miteinander; es sah aus, als herrsche innerparteiliche breite Demokratie. Tatsächlich förderten diese Auseinandersetzungen jedoch Prestige und Macht der Komintern in Deutschland. Die Autorität der russischen Revolution und Sowjetrußlands war für alle Kommunisten unantastbar. In solcher Atmosphäre war es der Opposition abträglich, wenn man ihr vorwerfen konnte, sie sei „mit der Hegemonie der KPR in der Komintern unzufrieden"
Die Demagogie der russischen Kominternführer, unter denen sich ja auch kaum Arbeiter befanden, sollte vor allem das Prestige Thälmanns stärken. Doch Thälmann war nicht Sinowjews, sondern Stalins Gefolgsmann. Es half Sinowjew wenig, daß er seine deutschen Anhänger fallenließ: Ein Jahr nach der Absetzung Ruth Fischers und Maslows mußte er den Kominternvorsitz niederlegen. Nun wurde ihm von der Stalin-Führung vorgeworfen, er habe zur „Hetze" Ruth Fischers und Maslows geschwiegen und in seinem Namen sei die KPD von einer „gewissenlosen Clique kleinbürgerlicher Abenteurer" geführt worden
Innerhalb der Komintern war die linke Opposition bis 1927 geschlagen. Stalins Kampf gegen die Rechten (vom inzwischen routinierten Apparat sehr viel schneller beendet) griff auch auf Deutschland über. Hier hatten sich vor allem Ewert und andere Versöhnler auf Bucharin gestützt. Seinen Vertrauensmann Thälmann ließ Stalin auch in der Wittorf-Affäre nicht fallen; er ignorierte den Beschluß des deutschen ZK und setzte ihn wieder in seine Funktionen ein. Mit der Niederlage der rechten Fraktion in der KPdSU war auch das Schicksal der deutschen Rechten und Versöhnler besiegelt. Wieder war das Prestige der russischen Revolution und der Komintern zugunsten Stalins in die Waagschale geworfen worden.
Der Nimbus Sowjetrußlands und das Ansehen der KPdSU waren in der KPD ständig gewachsen. Zum 10. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution war mit einem gewissen Recht vom „unzerstörbaren Band KPD-KPdSU" gesprochen worden
und ordnete sich den Interessen des „sozialistischen Aufbaus" unter. Die deutsche Par. teiführung erkannte nicht, daß die Partei damit — wie alle Sektionen der Komintern — ihre Funktion änderte. Die KPD konnte keine selbständige deutsche Politik machen, es war ihr sogar unmöglich, eigenständig eine Revolution vorzubereiten: Die Revolution durfte nur ausbrechen, wenn Stalin sie benötigte. Eine solche „Revolution auf Abruf" war aber undenkbar, und die Partei als außenpolitische Hilfstruppe Stalins eigentlich zur Untätigkeit verdammt
Wie von ihr erwartet, stimmte die KPD-Führung auch allen Veränderungen der sowjetischen Parteispitze zu: Das ZK der KPD — „billigte vollständig" die Beschlüsse des 14. Parteitags der KPdSU vom Dezember 1925 gegen Trotzki
Es ist wenig erstaunlich, daß sich die Opposition jeweils umgekehrt verhielt. Je weiter die Stalinisierung voranschritt, um so mehr trieb die Logik der Ereignisse die verschiedenen Oppositionsgruppen zu einer grundsätzlichen Stellungnahme gegenüber Komintern und KPdSU. Dabei wurde in erster Linie die Abhängigkeit der KPD von der Sowjetunion attackiert. Selbstverständlich suchte die Opposition politischen Rückhalt bei der ihr nahestehenden sowjetischen oppositionellen Fraktion. Die deutsche Parteiführung bezeichnete das Streben der deutschen Oppositionsgruppen nach Unabhängigkeit der KPD von der UdSSR als verwerflich. In seiner Broschüre „Der ultralinke Menschewismus“ bezichtigte Heinz Neumann schon 1926 die gesamte linke Opposition der Sowjetfeindlichkeit:
„Konzentration aller ultralinken Angriffe von Katz, Korsch, Maslow, Ruth Fischer, Urbahns, Bordiga, Domski u. a. gegen die Union Sozialistischer Sowjetrepubliken, insbesondere gegen die Politik der KP der Sowjetunion und ihre Führerrolle in der Komintern — unter Anknüpfung an die Plattform der Opposition auf dem XIV. Parteitag der KPdSU."
Die rechte Opposition ihrerseits verdammte 1929 die „mechanische, affenmäßige" Kopierung der russischen Partei und ihrer Methoden. Gegen die schematische Übertragung der russischen Taktik auf die Komintern wandte sich Thalheimer mit folgender Überlegung: „Vielleicht ist das bloßer Laienverstand und nicht genügend Bolschewisierung, wenn ich die bescheidene Meinung äußere, daß ich mir sehr wohl denken kann, daß, wenn in Sowjetrußland eine . Rechte Gefahr'existiert, gleichzeitig in Java oder Borneo eine . Linke Gefahr'oder in einem anderen Land eine . versöhnlerische', daß in einem dritten sogar eine Richtung , die Gefahr'sein kann, die im russischen Fraktionskampf überhaupt nicht vertreten ist."
Doch die verschiedenen Oppositionsgruppen haben immer erst spät (meist zu spät) die Veränderungen in der Sowjetunion und den Charakter des Stalinismus erkannt und berücksichtigt.
Die Abhängigkeit der KPD von Moskau zeigte sich nicht nur in der Nachahmung der russischen Partei und ihrer Politik, sondern auch an der materiellen Bindung der KPD an die KPdSU (über die Komintern). Ohne die Hilfe der Komintern hätte die KPD ihren immer größer werdenden Parteiapparat, die Partei-presse usw. in diesem Umfang schwerlich aufrechterhalten können. Uber die Situation von 1923 berichtete der damalige Parteivorsitzende Brandler später: „Die Komintern finanzierte die KPD so, daß sie 27 Zeitungen und 200 Funktionäre bezahlen konnte. Auch wenn wir (d. h. die rechte 191
Opposition bei einer evtl. Parteispaltung 1923 H. W.), wie unsere Anhänger erklärten, die größere Hälfte der Mitglieder bekämen, wir konnten aus eigener Kraft keine vier Zeitungen und kein Dutzend Funktionäre bezahlen."
In der KPD wurde über die Geldunterstützungen aus Sowjetrußland nicht öffentlich gesprochen; die sowjetische Unterstützung war in der Partei ein Tabu. Lediglich auf dem II. Parteitag 1919 gab Hugo Eberlein (über ihn und über Wilhelm Pieck liefen die Zuwendungen der Komintern lange Zeit) zu:, „Die Kassenverwaltung ist ein besonderes Schmerzenskind der Partei. Die vielen Millionen, die wir von der russischen Regierung erhalten haben sollen, spuken selbst in den Köpfen unserer Parteigenossen. Es muß immer wieder gesagt werden, daß die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, im Verhältnis zu dem, was gebraucht wird, gering sind. Wir werden in der gesamten Presse als die Söldlinge der russischen Regierung verschrien, völlig zu Unrecht. Wir machen keinen Hehl daraus, daß uns zwar nicht die russische Regierung, wohl aber die russische Kommunistische Partei Geldmittel zur Verfügung gestellt hat, die wir zur Agitation verwenden; wenn darüber auch die Regierungssozialisten ein Geschrei erheben, so ist das nichts als elende Heuchelei, denn wir waren früher in der alten Partei stolz darauf, daß es uns auf Grund unserer finanziellen Lage möglich war, unsere ausländischen Genossen zu unterstützen."
Später wurde dieses Kapitel in der Partei offiziell nicht mehr berührt, aber die Unterstützung durch die Komintern, faktisch eine Finanzhilfe von der Sowjetunion
Auf der Tagung der deutschen Polizei-Nachrichtenleiter im Mai 1927 wurde folgender Bericht über die Finanzlage der KPD gegeben
4, 5 Millionen Mark Mitgliederbeiträge eingenommen (offenbar in dem Zeitraum vom X. zum XI. Parteitag, also vom August 1925 bis Februar 1927), hinzu kamen 1 Million Gewinne aus Grundstücken der PEUVAG. DieseEigenmittel bedeuteten pro Monat 300 000 Mark Einnahmen. Angeblich hatte nun die KPD bei der Komintern ein Budget von 1, 2 Millionen Goldrubel, von denen 300 000 Rubel an den Roten Frontkämpferbund weitergeleitet werden mußten. Da ein Goldrubel ungefähr zwei Mark entsprach
Nach den offiziellen Unterlagen der Komintern dürfte die Hilfe allerdings nicht ganz so hoch gewesen sein. Die Komintern überwies 1927 als Unterstützung an die Sektionen 690 000 Dollar, also 2, 8 Millionen Mark. Selbst wenn man annimmt, daß die KPD als wichtigste Sektion den größten Anteil bekam, wäre nach dieser Version die oben angegebene Unterstützung wohl um die Hälfte zu hoch gegriffen. Nun ist zu vermuten, daß die offiziellen Abrechnungen der Komintern kaschiert waren, damit das ganze Ausmaß der Unterstützung verborgen blieb. Der Kassenbericht von 1928 weist sogar (bei Einnahmen und Ausgaben von 762 000 Dollar) als „Subventionen für Parteizeitungen, Verlage und Kultur-und Bildungsarbeit" nur 364 781 Dollar, also etwa 1, 5 Millionen Mark aus
Da nach einer genauen Aufschlüsselung selbst ein kleiner Bezirk wie Württemberg im Juli 1927 allein fixe Ausgaben (Gehälter, Telefon usw.) von über 3000 Mark hatte
Wenn auch das Ausmaß der Finanzhilfe der Komintern ohne die exakten Unterlagen des EKKI nicht genau festzustellen ist, so lassen die angeführten Zahlen doch zwei Schlüsse zu: Erstens, die finanzielle Unterstützung an die KPD war beachtlich; sie betrug vermutlich zwischen einem Drittel und der Hälfte der KPD-Einnahmen überhaupt. Nur dank dieser Hilfe konnte die KPD einen umfangreichen und schlagkräftigen Apparat unterhalten. Zweitens aber wurde in der Öffentlichkeit der „rollende Rubel" überbewertet. Die Vorstellung, die KPD habe nur von der russischen Unterstützung existiert, und diese sei mehr als reichlich geflossen, ist sicherlich falsch. Auf der bereits erwähnten Sitzung der Nachrichtenoffiziere wurde mit Recht auf die dauernde Finanznot der KPD hingewiesen. Behauptungen, wie sie der ehemalige KPD-Landtagsabgeordnete Dörr nach seinem Ausschluß aus der Partei verbreitete, die KPD erhalte von der Komintern monatlich 200 000 Dollar, also 880 000 Mark, wurden von der Presse zwar begierig aufgegriffen, sie waren aber falsch. Das bestätigte übrigens auch schon damals der Reichskommissar zur Überwachung der öffentlichen Ordnung in einem internen Schreiben
Immerhin erkannten viele Kommunisten, daß die Unterwerfung unter die Komintern in ursächlichem Zusammenhang mit der finanziellen Abhängigkeit von Moskau stand. Besonders die Opposition verlangte kategorisch finanzielle Unabhängigkeit der Partei
Andererseits schadeten aufgebauschte Berichte über die finanzielle Bindung an Moskau einer nüchternen Einschätzung, so etwa, wenn die Katz-Opposition 1926 behauptete:
„Die KPD, finanziell und damit auch ideologisch völlig vom russischen Staat abhängig, mußte die Wandlungen des russischen Staates willenlos mitmachen. ... Wer am dreistesten heuchelt, wird Führer, verächtliche Burschen raufen um Futterkrippen, Gesinnung gilt nichts, Gesinnungslosigkeit alles"
Solche Überspitzungen verfehlten die Realität, hatten allerdings einen wahren Kern: Die Geheimapparate der KPD (Militärapparat, Kurierdienst, Zersetzungs-Apparat usw.)
Schließlich beschränkte sich die materielle Hilfe auch nicht nur auf direkte Finanzierung. Die Komintern sandte gut ausgebildete Funktionäre und Spezialisten, ausländische Parteiführer konnten in Rußland Erholung oder bei Krankheit Genesung finden, politisch Verfolgte erhielten Asyl, kurzum, die Hilfe war recht verschiedenartig, wie eben auch die Abhängigkeit von der Komintern recht vielfältig war.
Die Anleitung durch das EKKI geschah nicht nur über die politischen Führungen. Die Abteilungen des ZK der KPD (einer Partei, die ja ohne Genehmigung des EKKI nicht einmal ihren Parteitag durchführen konnte) und selbst die Ressorts der Bezirksleitungen wurden von den entsprechenden Abteilungen des EKKI direkt instruiert — und gerade dadurch vertiefte sich der russische Einfluß
Ideologischer Terror: Das Vorbild Sowjetunion
Die Unterordnung des deutschen Kommunismus unter die Interessen der sowjetischen Führung war bis zur Mitte der zwanziger Jahre weit weniger spürbar als in der Periode, in der Stalin die Macht hatte. Die russischen Kommunisten unter Lenin hatten niemals gefordert, daß Rußland die Führung der internationalen Arbeiterbewegung übernehmen oder die bolschewistische Partei in der Internationale eine bevorrechtete Partei sein solle. Auf dem VIII. Parteitag der KP Rußlands 1921 erklärte Lenin:
„Es wäre lächerlich, unsere Revolution als irgendein Ideal für alle anderen Länder hinzustellen und sich einzubilden, sie hätte eine Reihe genialer Entdeckungen gemacht und eine Unmenge sozialistischer Neuerungen eingeführt. Ich habe das von niemand gehört und behaupte, daß wir es von niemand hören werden."
Entgegen der Ansicht Lenins tauchten solche Vorstellungen wenige Jahre später in der Internationale auf. Die in der KPD früh zu be-bachtende Rußlandgläubigkeit überstieg chon Mitte der zwanziger Jahre jedes er-tägliche Maß. Clara Zetkin erntete 1923 den türmischen Beifall der Parteitagsdelegierten, ls sie Sowjetrußland mit pathetischen Worten lorifizierte:
Es ist keiner von uns gewesen, der nicht Sovjetrußlands revolutionäres Leben, die Hinabe und Begeisterung seines Proletariats ennengelernt hat, ohne von dem Eindruck berwältigt zu werden: Ziehe Deine Schuhe us! Der Boden, da Du stehest, ist heiliger Bolen. Ist geheiligter Boden durch den revoluionären Kampf, die revolutionären Opfer des ussischen Proletariats."
Nährend der Bolschewisierung der KPD durch ie Ruth-Fischer-Führung wurde Sowjetrußand als unfehlbares „Vorbild aller Pareien der Kommunistischen Internationale", ils „Land der 3. Internationale" beschworen. Communisten hatten nunmehr nur noch „ein Vaterland und eine Heimat, das ist Sowjetrußand"
Zwei Jahre später stellte Bela Kun ein für alle Kommunisten verbindliches Axiom auf: „Die Stellung zur KPdSU ist kraft der objekiven Gegebenheit der historischen Epoche für jeden Kommunisten gleichbedeutend mit der Stellung zum Kommunismus überhaupt."
Das bedingungslose Bekenntnis zum Vorbild Sowjetunion war fortan erste Pflicht jedes treuen Kommunisten. Die Haltung zur Sowjetunion wurde zur Glaubensangelegenheit. „Den Glauben an Rußland verlieren, heißt Rußland aufgeben", sagte ein Funktionär auf einer Tagung. Folgerichtig schloß er, die Hauptaufgabe der Komintern sei es, „mit Argusaugen" zu wachen, damit kein „Zahn aus dem Räderwerk" der Sowjetunion herausgebrochen werde
Die KPD-Führung brachte ihre Ergebenheit gegenüber der Komintern, der KPdSU und Stalin immer lautstarker zum Ausdruck. Auch auf dem nominell höchsten Gremium, dem Parteitag, durften diese Treuebekenntnisse nicht fehlen. Der XL KPD-Parteitag 1927 wählte Stalin (allerdings auch Bucharin, Rykow und Tomski) in ein „Ehrenpräsidium"! dem Vertreter des EKKI, Jansen (Kuusinen), brachte der Parteitag eine Ovation: stehend wurde die Internationale gesungen
Die Sowjetunion und ihre Politik waren für die KPD unfehlbar geworden
„Eine der abstoßendsten Blüten der bürokratischen Umkehrung der kommunistischen Organisationsprinzipien ist das, was man die . ideelle Einschüchterung'nennen kann. Diese Methode besteht bekanntlich darin, jeder kritischen und selbständigen Äußerung von unten sofort den Stempel des , Menschewismus', . Sozialdemokratismus', . Liquidatorentums', , Antibolschewismus'usw. aufzuprägen.
Diesen ideologischen Terror verurteilte der italienische Kommunist Bordiga bereits 1926. Er stellte fest, jede Opposition werde vom gerade amtierenden Zentralkomitee als „par-teifeindlich" und „gegenrevolutionär” abgestempelt
Seit 1926 bediente sich die KPD-Führung in zunehmendem Maße dieses „ideologischen Terrors", um die Opposition zu dezimieren. Im Mai 1926 beschuldigte Manuilski die Korsch-Gruppe, ihre Ansichten führten geradewegs zum „Sozialfaschismus". Maslow und Korsch wurde vorgehalten, ihre „jetzigen hohen Protektoren" seien Chamberlain, Pilsudski und Miljukow
Nachdem jede Opposition gar als „antisowjetisch" diskreditiert wurde, wirkte sich der ideologische Terror besonders drastisch aus. Jede Kritik an der Komintern oder der KPdSU wurde kurzerhand mit dem Stigma des Antisowjetismus belegt, und das war bald die schwerste Anschuldigung gegen oppositionelle Kommunisten. Der Opposition wurde entgegengehalten, es gelte unbedingt, das „höchste Gut" jedes Kommunisten zu wahren: die Sowjetunion
Damit war die wichtigste Waffe im Arsenal des ideologischen Terrors gefunden. Nach Ansicht der KPD-Führung und ihrer Anhänger war es die höchste Pflicht der Kommunisten, das „Vaterland des Proletariats" vor einem kriegerischen Überfall zu schützen. Seit 1927 behauptete die KPD aber immer lautstarker, ein Krieg gegen die Sowjetunion stehe unmittelbar bevor. Angesichts solcher vermeintlichen Gefahr schien es fast allen Kommunisten unumgänglich, geschlossen zusammenzustehen, um die Sowjetunion verteidigen zu können. Jede Opposition, jede Schwächung der Organisation wurde als indirekte Hilfe einer angeblich geplanten Aggression gegen die Sowjetunion angeprangert. Die Vorstellung, die KPD müsse eine monolithische Organisation sein, erhielt durch den vermuteten drohenden Überfall auf die Sowjetunion mächtigen Auftrieb. Die angenommene Gefahr eines Überfalls auf die Sowjetunion wurde ein wirksames politisches und organisatorisches Druckmittel in der Hand der rußland-gläubigen KPD-Führung sowohl gegen die Parteimitglieder als auch gegen die Opposition. Entsprechend stellte die Agitation der KPD die „drohende Kriegsgefahr" groß heraus.
Vor dem Parteitag 1927 behauptete die KPD, Chamberlain wolle die Sowjetunion mit Krieg überziehen; in dieser „ernsten Stunde" müsse man für den Arbeiterstaat eintreten
„Zörgiebels Blut-Mai, das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges."
Nun wurde nicht nur gesagt, der „deutsche Imperialismus" rüste zum „Raubkrieg gegen die Sowjetunion", jetzt hieß es auch, die SPD treibe die Kriegsvorbereitungen voran
Die Stalinschen Vorstellungen hielten sich im damals üblichen Rahmen. In einem Brief an Maslow wandte sich Stalin kurze Zeit später „entschieden gegen die Politik des Hinausjagens aller andersdenkenden Genossen", gegen ein „Regime der Einschüchterung, ein Regime des Furchteinflößens"; er schrieb, es sei „nicht gut, wenn man die Führer der Partei fürchtet, sie aber nicht achtet"
Stalins „ 12 Bedingungen" und sein Brief an Maslow waren in der deutschen Partei durchaus mit Sympathie ausgenommen worden. Stalin blieb sachlich-nüchtern, sein bürokratischer Stil war den Parteifunktionären verständlich, schließlich scheute er Extreme, und so fanden seine Worte Resonanz. Daraus erklärt sich, daß auch in Deutschland viele Kommunisten in den folgenden Auseinandersetzungen dahin tendierten, wie es ein Kominternfunktionär empfand: „Wenn es zu wählen gilt zwischen Stalin, dem rauhen Bürokraten, Kämpfer und Revolutionär, und Sinowjew, dem großsprecherischen und tyrannischen Bürokraten, der 1917 versagte, wird jeder Kommunist Stalin wählen."
Den Mitte der zwanziger Jahre begonnenen Personenkult um Stalin machte die KPD in jeder Phase mit. Für die Führung war Stalin bereits 1926 sakrosankt. Thälmann nannte Urbahns Kritik an Stalin eine „Kühnheit"; er habe nicht das Recht, „über Genosse Stalin so zu reden, wie er es tat"
Wir holen in Deutschland zum entscheidenden Schlag, zum größten Vorstoß gegen den konterrevolutionären Sozialfaschismus aus. In unseren Reihen führen wir mit wachsendem Erfolge den Zweifrontenkampf für den Leninismus.
In dieser historischen Situation sollen alle Kommunisten, alle revolutionären Arbeiter, soll besonders die proletarische Jugend von Stalin lernen, fest zu sein wie Felsen, hart wie Stahl, kühn und siegesgewiß wie der Bolschewismus."
Die KPD-Führung glaubte, ihre Partei müsse vor allem die „bolschewistische Disziplin" übernehmen. Doch die stalinistische KPD ließ die Bedingungen vermissen, die Lenin für eine disziplinierte Partei voraussetzte: neben Ausdauer und Opferbereitschaft der Parteimitglieder (die in der KPD gegeben waren), eine enge Verbindung zu den Massen (die die KPD nur teilweise erreichte), vor allem „die Richtigkeit ihrer politischen Strategie und Taktik, unter der Voraussetzung, daß die breitesten Massen sich von deren Richtigkeit durch eigene Erfahrung überzeugen"
Diese Voraussetzung fehlte der KPD, und so bewahrheitete sich Lenins Prophezeihung: „Der Versuch, Disziplin zu schaffen", wurde „unvermeidlich zu einer Fiktion, einer Phrase, einer Groteske". Unter dem Deckmantel aer Disziplin ertönte der Ruf: „Schluß mit der negativen Kritik!"
Was die KPD unter bolschewistischer Disziplin verstand, war in Wirklichkeit „weit fortgeschrittene bürokratische Entartung" (Trotz-ki)
Nach der Beendigung der Stalinisierung war die KPD nicht nur formal, sondern auch faktisch keine selbständige Partei mehr; sie war eine Sektion der Komintern oder •— genauer gesagt — der KPdSU. Die Opposition konnte konstatieren: „Die Auslese der führenden Elemente in der Komintern erfolgte nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Treue den Ideen des Marxismus-Leninismus gegenüber, sondern unter dem Gesichtspunkt der Bereitwilligkeit, der jeweils herrschenden Apparatgruppierung in der WKP (KPdSU) zu dienen."
Revolutionäre Politik in einer nichtrevolutionären Zeit
Das Verbot der KPD wurde im März 1924 wieder aufgehoben. Die Zeit des latenten Bürgerkrieges und einer möglichen kommunistischen Revolution in Deutschland war vorbei. Die KPD erkannte zunächst nicht, daß eine Periode der relativen Stabilisierung begonnen hatte; aber 1925 mußte schließlich selbst die linke Führung einsehen, daß die veränderte Situation in Deutschland eine neue Politik notwendig machte. Mit dem Ende der revolutionären Möglichkeiten wandelte sich auch die Funktion der KPD, sie sah ihre Aufgabenstellung nun nicht mehr in der direkten Vorbereitung des revolutionären Umsturzes, sondern in der organisatorischen Sammlung und theoretischen Schulung der Kommunisten, die das „revolutionäre Bewußtsein" wachhalten sollte. In der Realität waren die Möglichkeiten der KPD trivialer, sie konnte bestenfalls Sprachrohr oppositioneller Arbeiter sein, d. h. eine oppositionelle, marxistische Arbeiterpartei in einer bürgerlich demokratischen Republik. Die erste Schwierigkeit dabei war jedoch, daß diesen Platz in Deutschland 1924 bis 1928 bereits mehr oder weniger die SPD einnahm. Das zwang die KPD als konkurrierende Arbeiterpartei, radikaler aufzutreten, als es eigentlich der Situation entsprach. Die Mehrheit der Kommunisten wollte außerdem auch gar nicht von der Position einer revolutionären Partei abrücken, sie erstrebte nach wie vor den Umsturz der bestehenden Verhältnisse. Eine revolutionäre Massenpartei „im Wartestand" war aber ein Widerspruch in sich selbst. Sigmund Neumann schrieb dazu 1932: „Sie (die KPD) will einmal die . Organisation der Revolution'sein und erlebt als solche in revolutionären Epochen ihren Aufschwung. Aber da eine Institutionalisierung der Revolution ein Widersinn ist — wenigstens für eine Massenorganisation —, muß sie fernerhin vor allem in Notzeiten reale Aufgaben erfüllen, d. h. praktische Tagespolitik treiben."
Selbst wenn der von Neumann konstatierte Widerspruch nicht unter allen Umständen gültig zu sein braucht, sondern möglicherweise auch eine revolutionäre Massenpartei reformistische Tagespolitik leisten kann, ohne ihren Charakter aufzugeben, treffen Neumanns Aussagen doch für die KPD 1924— 1929 voll zu. Die Partei stand vor einem Dilemma: Trieb sie erfolgreiche Realpolitik und erreichte Reformen, so schwand vermutlich die revolu-* tionäre Massenstimmung, die sie zu konservieren suchte; verharrte die Partei umgekehrt auf abstrakt-radikalen Positionen, so mußte sie um den Verlust ihrer Massenbasis bangen und zu einer Sekte werden, die nur in der Hoffnung auf einen neuen revolutionären Aufschwung existierte, dessen zeitlicher Eintritt nicht absehbar war. Die KPD schwankte zwischen beiden Extremen. 1924/25 erstarrte sie fast zur Sekte, dagegen schien sie 1926/27 einige Male nur Anhängsel der SPD zu sein. Diese generelle Unsicherheit drohte die Partei zu demoralisieren. Der Glaube an einen baldigen Sieg in der revolutionären Situation hatte bis 1923 nicht nur Zulauf gebracht, sondern auch die Opferbereitschaft in der Partei gesteigert — nun griff Kleinmut und Apathie um sich. In der schwungloser werdenden Partei stiegen Macht und Einfluß des Apparats zwangsläufig an.
Eine wirklich eindeutige Stellung bezog die KPD gegenüber der Sowjetunion: sie verteidigte alle Maßnahmen der bolschewistischen Politik. Doch damit geriet die Partei in ein zweites Dilemma: Als Massenpartei linksradikaler deutscher Arbeiter mußte sie deren Interessen in Deutschland vertreten, als Mitgliedspartei der unter sowjetische Hegemonie geratenen Komintern war es ihre Pflicht, der sowjetischen Außenpolitik zu dienen. Auch in dieser Frage dirigierte der Apparat, wie schon erwähnt, die Partei. Die KPD-Politik war doppelt zwiespältig: als Revolutionspartei mußte sie reformistische Tagespolitik treiben und als deutsche Arbeiterpartei sowjetische Interessen vertreten; dadurch geriet sie in eine bedenkliche Lage. Die Schwankungen ihrer Taktik waren nicht zuletzt auf diesen Interessenkonflikt zurückzuführen, der erst 1929 endete: In der Krise schien gemäßigte Reformpolitik fehl am Platze, und durch die Stalinisierung war die Partei vollständig auf die sowjetische Zielvorstellung ausgerichtet. Trotz der funktionalen Schwierigkeiten konnte die KPD von 1924 bis 1929 ihren Mitglieder-und Wählerbestand nicht nur halten, sondern teilweise sogar vergrößern. Die Festigung der Organisation im Zuge der Stalinisierung spielte dabei ebenso eine Rolle wie die politische Agitation der Partei, die als kompromißlose Opposition von links gegen die Schwächen der Weimarer Republik auftrat. Das gegenseitige Verhältnis zwischen Weimarer Staat und Kommunisten war bereits in der Zeit von 1919 bis 1923 fixiert worden. Es gelang auch in der Phase der Stabilisierung von 1924 bis 1928 nicht, die kommunistischen Arbeiter in die Republik zu integrieren. 1924/25 verfolgte die deutsche Justiz zahlreiche Kommunisten wegen der Ereignisse in der revolutionären Situation bis 1923. Das führte zu einer Verfestigung und Solidarisierung innerhalb der KPD sowie zwischen der Partei und ihren Anhängern. Von Januar 1924 bis April 1925 wurden 7 000 Kommunisten (also über 5 °/o aller Mitglieder) angeklagt und 5768 zu über 4000 Jahren Zuchthaus und Gefängnis verurteilt
hatte die In Wirklichkeit KPD in Bayern trotz ihres Verbots zwischen Mai und Dezember 1924 weniger Wähler verloren als etwa in Schlesien oder Nordwestdeutschland
Der Staatsapparat der Weimarer Republik bekämpfte die KPD auch in der Periode der Stabilisierung von 1924 bis 1928 vor allem mit Polizeimaßnahmen und mit den Mitteln der Justiz; dadurch bewahrten sich die Kommunisten ihr Zusammengehörigkeitsgefühl gegen den Staat und das „Ghettobewußtsein" blieb auch in dieser Zeit erhalten. Unter solchen Umständen konnte der Apparat auf die Notwendigkeit eiserner Disziplin im scharfen Klassenkampf hinweisen; seine Argumentation schien glaubwürdig, selbst wenn er Abweichungen und Opposition als „Hilfe für den Gegner" denunzierte. Der äußere Druck konsolidierte die inneren Verhältnisse der KPD, der innere Zusammenhalt wurde gefestigt, die Chancen der Opposition schwanden. Die polizeilichen Maßnahmen wirkten also zugunsten der Stalinisierung.
Das wurde damals nur selten eingesehen. Reichskanzler Marx äußerte allerdings in einer Kabinettssitzung im Juli 1927 die Befürchtung, „daß vielleicht durch die Durchführung eines Strafverfahrens (gegen KPD-Abgeordnete) die verschiedenen Richtungen in der kommunistischen Partei wieder einander nähergebracht werden könnten"
Die in der KPD immer wieder gehegte Angst, der Staat könne ein Parteiverbot ausspre-chen
Die zentralistischen Tendenzen und die Hegemonie des Apparats waren bereits durch das Verbot der Partei 1923/24 verstärkt worden. Unter Berufung auf die Auseinandersetzung Staat die KPD auch mit dem führte nach der revolutionären Periode die illegalen Apparate weiter. Diese arbeiteten mit Verschwörermethoden, die ebenfalls die Einheitlichkeit der Partei und die Vorherrschaft der Bürokratie forcierten. Die Geheimapparate der KPD schreckten selbst vor Terrorakten nicht zurück, um die tiefe Kluft zwischen Partei und Gesellschaft zu demonstrieren
Der Radikalismus in der KPD blieb trotz der nichtrevolutionären Situation erhalten; er war „Ausfluß der Ungeduld der Massen" und „Reaktion auf das ständig in immer wechselnden Formen sich erneuernde Kompromiß, das sich aus dem Zusammenstoß zwischen Individuum und Milieu ergibt"
Uns einigt Klassenkampf und Klassenliebel Durch freien Willen bindet uns ein Schwur. Wir glauben an den Sieg der Roten Fahne! Wir kämpfen für die proletarische Diktatur!"
Der gefühlsmäßige Radikalismus der Partei, der vom Apparat gerade in den Jahren der relativen Stabilisierung mit einem extremen Bürokratismus vermischt wurde, führte zu paradoxen Maßnahmen. Genaue Unterlagen über alle Mitglieder anzufertigen und in Kartotheken zu erfassen, diese jedoch illegal aufzubewahren — so lautete 1926 eine Anordnung der Orgabteilung Berlin-Brandenburg. Der Gegensatz zwischen bürokratischer Arbeitsweise und illegaler Tätigkeit sollte durch bürokratische Illegalität „überwunden" werden
Wie jede Partei, mußte sich auch die KPD vor allem mit der Bewegung, mit der sie im Konkurrenzkampf um Anhänger und Wähler stand, auseinandersetzen und sich von ihr abgrenzen. Die KPD warf der konkurrierenden SPD nicht nur Verrat an den Zielen des Marxismus vor, sie bemühte sich besonders, als kämpferische Partei von der lauen reformistischen Organisation der SPD abzustechen. In einem Mahnruf an Intellektuelle hatte Arthur Rosen-berg zu den Wahlen im Dezember 1924 zynisch geschrieben: „Wer aber weder Raffke noch Hegel sein will, sondern die Schlafmütze allen anderen irdischen Erscheinungen vorzieht, der wähle am 7. Dezember weder bürgerlich noch kommunistisch, sondern sozialdemokratisch."
Durch die Arbeitslosigkeit, die auch in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik hoch war (1924 = 11, 4%, 1925 = 8, 3%, 1926 = 17, 9 %, 1927 = 8, 8 %, 1928 = 9, 7 %)
Die Sozialdemokratie ihrerseits irrte sich in der Beurteilung der KPD, hoffte sie doch auf eine „Selbstvernichtung" der Partei in der Periode der Stabilisierung
Die innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten reflektierten den Kampf mit dem sozialdemokratischen Erbe. Dabei war die Partei oftmals „mit ihren inneren Auseinandersetzungen so stark befaßt, daß sie an Aktionen irgendwelcher Art nicht denken" konnte
Schon deswegen mußten Führung und Apparat bestrebt sein, den inneren Zwist einzudämmen und zu beenden. Bereits die Ruth-Fischer-Führung verschärfte die Methoden des internen Streits; es wurde üblich, „daß die Opposition angegriffen wurde, aber sich nicht verteidigen durfte"
Bei der Ausschaltung der linken Opposition bediente sich der Apparat neuer Kunstgriffe: ganze Ortsgruppen wurden aufgelöst, Funktionäre in oppositionellen Hochburgen zunächst ein Jahr ihrer Funktionen enthoben und dann, wenn sie isoliert waren, ausgeschlossen
Die KPD bemühte sich, ihren Charakter als Revolutionspartei auch in der nichtrevolutionären Periode vor allem dadurch zu wahren, daß sie eine unverfälschte Arbeiterpartei blieb. Nach dem ideologischen Postulat hatten die Produktionsarbeiter in der Partei den Ton anzugeben. Der Parteiideologe Lenz-Winternitz schrieb 1927:
„Der ausschlaggebende Einfluß der im Produktionsprozeß stehenden Proletarier wird auf doppelte Weise gesichert. Erstens durch den Beschluß, daß in jeder leitenden Körperschaft die Mehrheit aus Arbeitern, die noch im Betriebe stehen, gebildet wird; zweitens durch den Aufbau der Partei auf Betriebszellen."
„Der Arbeiter, auch wenn er ganz schwarze Hände hat, ist nicht immer im Recht"
Besonders scharf betrieben wurde die Intellektuellenhetze 1925/26 von seifen der russischen Kominternführer, die fast alle selbst Akademiker waren. Sinowjew sprach vom „unverschämten und frechen Intellektuellen-Bonzentum"
Auch der Antisemitismus wurde benutzt, um die innerparteilichen Gegner zu schlagen. In der KPD spielte der Antisemitismus bereits 1923 eine Rolle
Zehn Jahre später mußten solche Vorstellungen, obwohl sie gerade für die KPD einen wahren Kern enthielten, den deutschen Kommunisten als utopische Verketzerung des notwendigen Apparats erscheinen. Die Partei wurde am Ende der Stabilisierungsperiode von der Bürokratie beherrscht, nachdem die innerparteilichen Kämpfe die KPD erschöpft hatten. Rist konstatiert 1932 in der KPD zwei stets wirksame Tendenzen: zunächst den „ewigen Zug nach links", in die völlige Isolierung, die direkte Parteiaktion, den offenen Syndikalismus, diese Entwicklung wird dann korrigiert durch den rechten Kurs, der die Niederlage der ultralinken Politik wettmachen soll.
Der ultralinke Kurs wurde durch den Einfluß radikalisierter Arbeiterschichten hervorgerufen, der rechte Kurs stützte sich auf das Eigengewicht des Parteiapparats, der Parlamentarier usw.
Neben diesem dauernden Wechsel zwischen rechter und ultralinker Politik sind für die Stalinisierungsphase der KPD weitere Kennzeichen der inneren Auseinandersetzung: die Überwindung der eigenen Tradition, der Trend zur Arbeiterpartei, der Versuch, revolutionäre Politik in einer nichtrevolutionären Situation zu betreiben, und der Disput um die Form der Kooperation mit der Sowjetunion. Die Gegensätze führten nicht nur zu einem großen Aderlaß der Partei, sondern auch zu ständigen Schwankungen zwischen Syndikalismus und Sozialdemokratie. „Der vielgerühmte , eiserne', in Wirklichkeit aber nur bürokratische Zentralismus ist gegen diese Entwicklung völlig machtlos. Er wurde, solange es politisches Führermaterial in den einzelnen Strömungen gab — und das war bis 1929 bis zum Hinauswurf der letzten älteren, politisch geschulten Funktionäre der Fall —, regelmäßig von den organisierten , rechten'oder . linken'Fraktionen überrannt und, war die nächste ans Ruder gelangt, durch einen neuen Zentralismus abgelöst."
Zwischen SPD und Syndikalismus: Die KPD und der Parlamentarismus
In die neugegründete KPD stießen zahlreiche Elemente mit durchaus syndikalistischen Ansichten. 1919 wandte sich die Parteiführung gegen den Syndikalismus und die anarchokommunistischen Auffassungen breiter KPD-Kreise, und es kam zum Bruch mit den abstrakt-radikalen Kräften, die im April 1920 die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) gründeten. Damit war jedoch der syndikalistische Einfluß in der KPD keineswegs überwunden. Die KPD mußte zwischen Sozialdemokratie und Syndikalismus ihren eigenen politisch-ideologischen Standort finden. Dabei schwankte sie immer wieder zwischen diesen beiden Strömungen. Die KPD erklärte sich nicht nur in den Zielen mit dem Syndikalismus einig, selbst in der Kernfrage des Gegensatzes, der Haltung zum Staat, versuchte sie, Kompromisse zu finden. Ein KPD-Sprecher erklärte, die Partei trete zwar im Gegensatz zu den Syndikalisten auch nach dem Sturz des Kapitalismus für einen Staat ein, doch der „ganze Staatsapparat, den wir wünschen", werde nicht über, „sondern nur durch die Arbeiterklasse herrschen". Die Gefahr der Arbeiterunterdrückung sei nicht gegeben, denn die Arbeiter seien bewaffnet. „Ein Heer bewaffneter Arbeiter wird sich niemals die Unterdrückung gefallen lassen."
Bereits auf dem Gründungsparteitag der KPD zeigte sich jedoch, daß auf dem radikalen Flügel der Partei syndikalistische Gedankengänge vorherrschten. Für den Syndikalismus war die Ablehnung des Parlamentarismus selbstverständlich. Die Syndikalisten verzichteten auf die Teilnahme am Wahlkampf, da sie von parlamentarischer Politik „einen schlechten Einfluß auf die Arbeiter" erwarteten
Diese Vorstellungen wurden bei der Gründung der KPD wiederbelebt. Auf dem Gründungsparteitag der KPD referierte Paul Levi am 30. Dezember 1918 über die Haltung der Partei bei den Nationalversammlungs-Wahlen. Im Namen der Zentrale befürwortete er die Wahlbeteiligung. Levi betonte, unter dem Einfluß der Agitation gegen die Nationalversammlung sei die Frage zurückgetreten, wie man sich verhalten solle, wenn der Rätekongreß für die Einberufung der Nationalversammlung sei. „Die Frage muß kühl und ruhig überlegt werden . . . Sie müssen von jeder Position im Wahlkampf Besitz nehmen."
Die Führer der neuen KPD sahen gerade in diesem mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß die Unreife ihrer Anhänger und den Zug zum Syndikalismus bestätigt. Nach dem Tod von Liebknecht und Luxemburg kämpfte vor allem Paul Levi gegen den ultralinken Radikalismus der Parteimehrheit in der Parlamentarismus-frage. Nachdem sich Konferenzen der KPD im März und Juni 1919 allgemein gegen den Syndikalismus ausgesprochen hatten, nahm eine Reichskonferenz im August nochmals zum Parlamentarismus Stellung. Die Meinungen prallten wieder aufeinander, Beschlüsse wurden noch nicht gefaßt
Der IV. Parteitag im April 1920 beschloß nach einem Referat von Paul Levi die Beteiligung der KPD an den Reichstagswahlen, die nunmehr einstimmig bejaht wurde
Entsprechend Lenins Vorstellung beschloß der II. Weltkongreß der Komintern im August 1920 für alle Sektionen verbindlich, Kommunisten müßten die Parlamentstribüne für ihre Zwecke ausnutzen, Kommunistische Parteien müßten sich an Wahlen beteiligen. „Die kommunistische Partei geht in diese Institutionen nicht hinein, um dort organische Arbeit zu leisten, sondern um vom Parlament aus den Massen zu helfen, die Staatsmaschine und das Parlament selbst durch die Aktion zu sprengen."
Die Haltung der deutschen Kommunisten zum Parlamentarismus war nunmehr theoretisch fixiert: Die KPD beteiligte sich an allen Wahlen, aber sie erblickte im Parlament ein Macht-instrument der Klassenherrschaft des Bürgertums. Deshalb gab es für sie keine positive Mitarbeit; Wahlbeteiligung und Parlaments-arbeit sollten vielmehr vor allem Agitationszwecken dienen, den Einfluß der Partei vergrößern.
In der revolutionären Periode bis 1923 hatte die Parlamentsarbeit der KPD nur zweitrangige Bedeutung, denn die Partei war in den meisten deutschen Parlamenten nur schwach vertreten. Ausschlaggebend war sie nur in den Landtagen von Sachsen und Thüringen, wo sie sich im Oktober 1923 auch an der Regierung beteiligte.
Deutlicher sind die Wandlungen der Parlamentstaktik der KPD in der ausgesprochen parlamentarischen Periode der Weimarer Re-publik von 1924 bis 1928 zu erkennen. Im Mittelpunkt der Parteiarbeit standen nun nicht mehr Aufstandsvorbereitungen; der Einfluß in den Parlamenten hatte sich inzwischen er-heblich vergrößert. In der Praxis gab die KPD der Parlamentsarbeit und besonders den Wahlkämpfen bald mehr Bedeutung, als sie theoretisch eingestand. Auch die kommunistische Presse gab dem Wahlkampf und der Parlamentsberichterstattung mehr Raum, als nach den theoretischen Verlautbarungen zu er-warten war.
Nach der offiziellen These sollte der Wahlkampf nur eine Mobilisierung der Anhänger und eine Zählung der Stimmen der Anhänger, aber keine Jagd nach Mandaten sein
Die Arbeitsmethoden der kommunistischen Fraktionen im Reichstag und in den Landtagen sollten „revolutionär" sein. Da aber zahlreiche kommunistische Parlamentarier aus der USP kamen, entsprachen die Fraktionsgeschäfte weitgehend der Tradition der SPD und USPD. Nach den Anweisungen der Komintern waren iie Fraktionen jedoch der jeweiligen Parteieitung unterstellt, in der Reichstagsfraktion ind den größeren Landtagsfraktionen war lurch Personalunion zwischen Parteiführung ind Parlamentariern die Vorherrschaft der Parteileitung gesichert. Da auch die Fraktion pezialisten benötigte, gab es allerdings luch unter den kommunistischen Abgeordneen Selbständigkeitsbestrebungen. Fraktionssitzungen, in denen die anstehenden Prooleme diskutiert und die Redner festgelegt wurden, fanden vor wichtigen Plenartagungen statt. Der Fraktionsvorstand tagte öfter als iie Gesamtfraktion, um die Taktik zu bestimnen. Im Fraktionsvorstand des Reichstags war ein Vertreter des Polbüros, der die Auffassung der Parteiführung übermittelte. In den Parlamentsausschüssen hatten die Mitglieder aktiv mitzuarbeiten.
Die verschiedenen Verhaltensweisen der kommunistischen Fraktionen (von der Obstruktion ind Opposition bis zur teilweisen Mitarbeit) waren nicht zuletzt Widerspiegelung der innerparteilichen Situation. Unter der Herrschaft der Linken trat die KPD in den Parlamenten radikaler auf als unter Führung der rechten Kommunisten. Die KPD-Linken bezeichneten die Demokratie als Schwindel und den Parlamentarismus als untaugliches Rettungsmittel für das Proletariat. Wenn man — entgegen der Ansicht der KAP
Ein Beispiel ultralinker Taktik praktizierte die KPD 1924, als die Partei erstmals mit einer starken Fraktion (62 Abgeordnete) in den Reichstag einzog, von denen die meisten ohne parlamentarische Erfahrung waren. Sie glaubten, ihren Antiparlamentarismus durch Störungen kundtun zu müssen. Schon bei der Reichtags-Eröffnung Ende Mai 1924 zeigten über 50 KPD-Abgeordnete (neun saßen noch im Gefängnis) ein im Parlament ungewohntes Schauspiel, das beim Namensaufruf der Abgeordneten begann. Als der Name Tirpitz fiel, machten die KPD-Abgeordneten mit Sirenen und Trillerpfeifen Lärm. Remmele rief: „Da ist ein schöner Stall beisammen!"; Scholem sprach von der „Regierung dieser Schieberrepublik''; Koenen sagte: „Der Reichstag fängt ja gut an. So sieht die Schieberrepublik aus." Ruth Fischer begann ihr Parlamentsdebüt mit der Anrede: „Hochverehrtes Affentheater!"; Thälmann ließ drei Hochrufe auf die politischen Gefangenen ausbringen. Auch die KPD-Presse erschien unter der Schlagzeile „Reichstag der Schieberrepublik!"
Die Kommunisten störten die ersten Reichstagssitzungen durch Lärm mit Trillerpfeifen, Kindertrompeten und Zwischenrufen. Damit versuchten die Parteiführer, ihre eigene Anweisung zu praktizieren: „Wir leisten im Parlament keine . Arbeit', sondern benutzen es lediglich zur Agitation und Desorganisation des bürgerlichen Staates."
Bereits in der Ruth-Fischer-Ara wurden die schlimmsten Auswüchse dieser Parlamentstaktik wieder abgestellt. In der Periode des gemäßigten Kurses von 1926 bis 1928 war die KPD durchaus zu parlamentarischer Mitarbeit bereit. Am 2. Dezember 1925 schlug Thälmann der SPD „einheitliche Schritte zur Herbeiführung einer Volksabstimmung für die entschädigungslose Enteignung der Fürstenhäuser" vor
Einen Schritt weiter schien die KPD nach den Bürgerschaftswahlen im Oktober 1927 in Hamburg
Darauf wollten sich die Kommunisten allerdings nicht einlassen. Sie verkündeten, die KPD könne nur in eine „Rätediktatur" eintreten
Die zeitweise Tolerierung der Sozialdemokratie und die aktive Mitarbeit in einigen Parlamenten endete mit der ultralinken Politik nach 1928. Für die kommunistische Reichstagsfraktion nannte Stoecker im Juni 1929 den Etat der sozialdemokratisch geführten Regierung Hermann Müller eine „Fortsetzung der arbeiter-feindlichen Klassenpolitik der Bourgeoisie"; die SPD-Regierung übertreffe an Arbeiter-feindlichkeit in „unerhörter Weise" noch den letzten Bürgerblock
Angebote der SPD, in den Gemeinden für eine Arbeitermehrheit einzutreten, wurden von den Kommunisten nunmehr wieder als „Kuhhandelsmanöver" zurückgewiesen. Für die KPD kam „ein Bündnis mit den Sozialfaschisten, sei es welcher Art auch immer", nicht in Frage
Wie oft die politische Linie sich auch änderte, gegenüber der Sowjetunion blieb die Haltung der KPD-Abgeordneten gleich: sie verteidigten alle Maßnahmen des Sowjetstaates. Ruth Fischer sagte im August 1924 im Reichstag: „Nur das Bündnis mit Rußland, nur die gemeinsame Arbeit mit dem russischen Arbeiter-und Bauernstaat ist der außenpolitische Weg ins Freie. Die Ostlösung, die Fragestellung: Moskau oder London? gibt den Rahmen, um dem Londoner Plan den Rettungsplan der Kommunisten entgegenzusetzen."
Auch im Auswärtigen Ausschuß des Reichstags traten die kommunistischen Abgeordneten vor allem für die sowjetischen Interessen ein. Ihre Polemik gegen den Völkerbund fand zwar Unterstützung bei den Deutschnationalen und Völkischen
Die Haltung der Kommunisten zum Parlamentarismus war nicht nur entsprechend dem jeweiligen Parteikurs verschieden. Die KPD trieb auch — wie die meisten Parteien — in den öffentlichen Sitzungen Agitation, sie redete „zum Fenster hinaus", während sich in den nichtöffentlichen Ausschüssen meist eine aktive Mitarbeit der KPD-Vertreter feststellen läßt. Schon Stichproben zeigen, daß die Kommunisten in den Parlamentsausschüssen relativ rege und konstruktiv mitwirkten. Selbst in Bayern, wo die KPD den größten Repressalien ausgesetzt und bis März 1925 verboten war, ist diese Mitarbeit von 1924 bis 1928 festzustellen; sie dürfte daher in anderen Landtagen, z. B. in Sachsen oder Thüringen (die nicht überprüft werden konnten), kaum geringer gewesen sein. Im November 1924 arbeiteten Kommunisten aktiv in allen bayerischen Landtags-ausschüssen; der KPD-Abgeordnete Büchs war Berichterstatter, der Abgeordnete Mager Mit-berichterstatter im Haushaltsausschuß. Ver-schiedene Gesetzentwürfe wurden mit den Stimmen der kommunistischen Ausschußmitglieder angenommen
Die Kommunisten traten oft im Plenum ganz anders auf als in den geheimen Ausschüssen. Der Abgeordnete Büchs, der als Berichterstatter im Beschwerdeausschuß sogar Eingaben der Staatsregierung zur Annahme empfahl, fiel im Landtag durch besonders lautstarke Reden auf. Büchs erwiderte auf Vorhaltungen des Präsidenten, er sei mit einem solchen lauten Organ auf die Welt gekommen, dafür könne er nicht. „Ich bin eben gewöhnt, die Poletariersprache zu sprechen, und Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich mir diese bürgerlichen Manieren nicht angewöhnt habe, die Sie an den Tag legen."
Gegenüber solchen propagandistischen Reden war die Mitarbeit in den Ausschüssen sehr sachlich. Im Januar 1926 machte der Abgeordnete Mager im Haushaltsausschuß des bayerischen Landtags umfassende Vorschläge zu einer Änderung des Schulsystems. Er trat für eine republikanische Schule ein, vor allem sollten die Schulbücher mit dem Geist der Verfassung in Übereinstimmung gebracht werden. Der SPD-Abgeordnete Hoegner unterstützte Magers Anträge, die jedoch von der rechten Mehrheit abgelehnt wurden. Mager selbst betonte:
„Dadurch, daß die Kommunisten an der Republik, wie sie jetzt sei, ungeheuer viel Kritik geübt hätten, hätten sie nicht zum Ausdruck bringen wollen, daß sie gegen die Republik überhaupt seien."
Im Januar 1927 machte der Kommunist Büchs im Verfassungsausschuß des bayerischen Landtags folgende bemerkenswerten Ausführungen:
„Gerade die letzten Jahre hätten bewiesen, daß die Kommunisten, denen man vor drei Jahren noch den Vorhalt gemacht habe, sie würden im Parlament keine praktische Arbeit mitmachen und nur Obstruktionspolitik treiben, sich ebenfalls auf die gegebenen Verhältnisse eingestellt haben, obwohl ihr Endziel ein anderes sei. Sie hätten Anträge der Sozialdemokratischen Partei zugestimmt, die Reformen enthielten, sie hätten sogar Anträge von bürgerlichen Parteien zugestimmt, wenn sie es für notwendig gehalten haben, um dadurch die Notlage der Arbeiterschaft etwas zu erleichtern."
Uber die Parlamentsarbeit der KPD in der Praxis läßt sich zusammenfassend sagen: In den Ausschüssen arbeiteten die Kommunisten oftmals aktiv mit, um bei der Vorb der Gesetze, der Haushaltsberatung die nach ihrer Meinung beste Lösung , kleinere Übel auszuhandeln. Die Par tribüne hingegen war für sie ein Ag forum, um die radikalen Arbeiter a chen. Die Aktivität im Parlament wa hem Maße eine Personenfrage: el USPD-Parlamentarier neigten eher z liehen Arbeit als jüngere radikale K Dabei spielte auch die fachliche Qual des Abgeordneten im Ausschuß eine Rolle. Schließlich war ausschlaggebenc KPD einen radikalen oder einen gen Kurs steuerte, denn in den Parlamente entsprechend Obstruktions-oder aber politik betrieben. Der antiparlamentari: war auch dort am klarsten erkennbar, Partei ohnehin keine realen Chance (z. B. Reichspräsidentenwahlen), wäh Parlamenten und vor allem in Kommi tretungen mit starken KPD-Fraktionei Mitarbeit durchaus üblich war.
Die KPD und die Weimarer Republik
Die KPD stand in der Weimarer Republik in einem aufreibenden Kampf gegen die Staatsgewalt, gegen die konkurrierende Arbeiterpartei, die SPD, und später auch gegen die NSDAP. Die KPD bemühte sich mit aller Kraft, die Revolution in Deutschland vorzubereiten, zugleich aber war sie in zunehmendem Maße der russischen Außenpolitik und Stalin verpflichtet. Die daraus resultierenden ständigen taktischen Wendungen und innerparteilichen Aueinandersetzungen brachten die Partei vor allem in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik in Schwierigkeiten.
Gegenüber dem Staat, der Gesellschaft und teilweise auch gegenüber den andern politischen Parteien schienen sich die deutschen Kommunisten in einer Art politischem Ghetto zu befinden.
Im Gegensatz zu England, Frankreich oder Skandinavien gelang keine Integration der Kommunisten in die Gesellschaft. Die gung der KPD durch den Weimarer S parat dürfte dabei eine nicht unwes Rolle gespielt haben. Nach Rosenberg von irgendeiner planmäßigen revolut Politik der KPD keine Rede mehr sein mann und seine engeren Freunde vei eine scharfe Kritik vom Standpunkt d sehen Arbeiterschaft. Aber wenn die liehe Justiz sie später als Hoch-und Verräter verfolgte, tat sie ihnen das sc Unrecht."
Der innere Zwist brachte die KPD n einmal an den Rand des Abgrunds — j Splitterung war ein Aderlaß. Die Part einen beispiellosen Verlust an erb Funktionären zu registrieren. Rist ern daß die eben gegründete KPD durch di Abspaltung 1920 fast 60 Prozent ihrer 1 der verlor und daß die inzwischen di Vereinigung mit der linken USP zur I partei gewordene VKPD 1921 nach de ise über 50 Prozent und im Verlaufe der linan und rechten Absplitterungen von 1925 bis 129 jeweils mindestens 10 bis 12 Prozent ihres esamten Mitgliederbestandes einbüßte
egativ beeinflußt. Schon ein Blick auf die eihe der einander ablösenden Führergarnitum der KPD zeigt das Bild eines fortschreiten-an Niedergangs: Die Begründer Rosa Luxemarg und Karl Liebknecht werden im Urteil er Geschichte als große Persönlichkeiten beehen können, Paul Levi und Ernst Meyer aren kluge politische Führer, Heinrich BrandT und August Thalheimer ehrbare Handwerer der politischen Organisation, die auf sie lgenden Ruth Fischer und Arkadij Maslow aren effektvolle Agitationsredner, Ernst hälmann muß bei allem Respekt für seine tandhaftigkeit in Hitlers Kerkern nachgesagt erden, daß er nur ein Provinzpolitiker mit emagogischem Talent gewesen ist, die mit im zur Führung gelangten Philipp Dengel, rnst Schneller oder Heinz Neumann können ur als prinzipienlose Werkzeuge Stalins beeichnet Dieser Abstieg ist nicht nur ymptomatisch für die wachsende Moskaulörigkeit der KPD, er ist auch eine Folge der raktionskämpfe, die teilweise wie eine „neative Führungsauslese" wirkten. m Bild der Öffentlichkeit und im Selbstvertändnis der jeweiligen Partei war die SPD och immer die reformistische und die KPD ie revolutionäre marxistische Partei. In den Augen der Massen erschien die KPD in all den Jahren als die revolutionäre Partei, die sie am Anfang tatsächlich war.
Eine revolutionäre Partei ist eine Bewegung, die „für das Morgen existiert"
Die KPD war in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung verwurzelt, wenngleich sie sich ihr durch die Bolschewisierung mehr und mehr entfremdete. Natürlich wurde die Partei von der Sowjetunion unterstützt — ideell und auch materiell —, aber ihre Stärke beruhte vor allem auf der Tatsache, daß sie Einfluß auf mehr oder weniger große Teile der deutschen Arbeiterschaft ausüben konnte, daß sie ein Teil der deutschen Arbeiterbewegung war. Die Macht des deutschen Kommunismus war somit Folge der wirtschaftlichen Gegensätze und der politischen Zerrissenheit, also der Misere der Weimarer Republik.
Exkurs: Die SED-Geschichtsschreibung und die Veränderung der innerparteilichen Struktur der KPD 1924— 1929
ie Geschichtswissenschaft der DDR dient noch mmer weitgehend der Untermauerung politicher Anliegen, jedoch ist ein gewisser Wan-Lei zu einer sachlicheren und teilweise auch objektiveren Betrachtungweise festzustellen, n des Stalin-Ara hatte sich die SED nur wenig im die Traditionspflege gekümmert und im wesentlichen die Geschichte der KPdSU in den Mittelpunkt ihrer historischen Betrachtung und Schulung gestellt. Erst 1952 griff die SED das Thema „Deutschland und die deutsche Arbeierbewegung" auf und gab in einem Lehrbuch iie Einschätzung der KPD. Dabei wurde vor illem die Rolle und Bedeutung Stalins für die Entwicklung der KPD zur „Partei neuen Typus" hervorgehoben. Die Periode der Stalinisierung der KPD erschien in dieser Sicht eine notwendige und begrüßenswerte Reinigung der Partei von „Agenten" und Parteifeinden, und damit die Voraussetzung zu einer „Partei neuen Typus".
Die Merkmale der stalinistischen Historiographie, die in den folgenden Jahren die SED-Geschichtsschreibung bestimmten, waren deutlich abzulesen: 1. Die SED-Geschichtsschreibung war „parteilich". Diese Parteilichkeit sollte die Vergangenheit der KPD-SED durch einseitige Aus-331) wähl und voreingenommene Bewertung der Fakten glorifizieren.
2. Die Historiker verschwiegen nicht nur der Partei unbequeme und sie kompromittierende Materialien, sie fälschten auch Dokumente, wichtige Passagen wurden unterschlagen, Faksimiles durch Ätzungen verändert, Bilder retuschiert usw.
3. Besonders auffallend war die Eliminierung von Namen. Die SED erklärte z. B. alle KPD-Führer, die mit der Partei in Konflikt geraten waren, zu „Parteifeinden" und „Agenten", sie wurden „Unperson", ihre wirkliche Rolle aus der Geschichte getilgt.
Vor allem die Darstellung der innerparteilichen Entwicklung entsprach nicht der historischen Realität, sondern den Wunschvorstellungen der SED. Dabei wurden die innerparteilichen Probleme ohnehin jahrelang nur am Rande behandelt; die Periode der Stalinisierung 1924— 1929 blieb fast unbearbeitet.
Erst als die SED dazu überging, eine Gesamt-darstellung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu schreiben, behandelte sie auch Einzelheiten der Stalinisierungsperiode der KPD. Im Juli 1962 billigte das ZK der SED den Entwurf eines „Grundrisses der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung"; nach einer Diskussion beschloß das ZK im April 1963 die endgültige Fassung dieses „Grundrisses"
Zum darauffolgenden Parteitag erklärte der „Grundriß": „Auf dem X. Parteitag im Juli 1925 entwickelte Ernst Thälmann in der Auseinandersetzung mit den Ultralinken die Aufgaben der Massenarbeit der Partei.“
Durch diese Manipulationen im „Grundriß" sollte verschleiert werden, daß bis September 1925 die Parteiführung (im stalinistischen Sprachgebrauch also „die Partei") Ruth Fischer, Maslow, Thälmann usw. eine ultralinke Politik betrieb. Eine fehlerhafte Politik Thälmanns darf es nach der SED-Version ebenso-wenig gegeben haben wie die fraktionelle Zusammenarbeit Thälmanns mit den „Parteifeinden" Fischer und Maslow.
Im „Grundriß" behauptete die SED, 1925 sei ein „leninistisches ZK" gebildet worden. Das ist ein Ausspruch Stalins
Nach dem Erscheinen des „Grundrisses" beschäftigten sich die SED-Historiker in verstärktem Maße mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, vorrangig mit der Geschichte des deutschen Kommunismus. Auch eine Reihe von Dissertationen behandelte diese Thematik; darunter befanden sich materialreiche Darstellungen, die auf Teilgebieten neue Einsichten ermöglichten. Die meisten Arbeiten gingen jedoch auf die Periode von 1924 bis 1929 nicht n
Damit wird erstmals in einer SED-Veröffentlichung bestätigt, daß auch Führer wie Thälmann (Wasserkante) oder Dengel (Rheinland) gemeinsam mit Fischer und Maslow zur „ultralinken Führung" gehörten und 1924 die ultralinken Fehler von allen gemeinsam gemacht wurden. Die Autorin versucht das später zwar abzuschwächen, denn sie erwähnt namentlich nur Ruth Fischer, Maslow, Korsch, Katz, Rosen-berg und Scholem und nicht auch Thälmann oder Dengel, aber ihr Eingeständnis ist doch bemerkenswert.
Einige SED-Historiker bemühten sich auch in Zeitschriften-Aufsätzen, differenziertere Ergebnisse als der „Grundriß" zu vermitteln. Ein Artikel von W. Ersil und E. Laboor über die Parteidiskussion im September/Oktober* 1925
Das 1966 erschienene Standardwerk der SED-Geschichtsschreibung, die achtbändige „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung"
Am deutlichsten tritt das noch immer bei der Beschreibung der innerparteilichen Situation hervor und besonders bei der Darstellung der Stalinisierung der KPD. Die erste Phase, der Kampf gegen die Linken und Ultralinken 1925/26, wird ausführlicher behandelt als die zweite Phase, die Auseinandersetzung mit den Rechten und Versöhnlern.
Personelle Probleme manipulieren die SED-Historiker nach wie vor besonders drastisch. Parteiführer, die in der offiziellen SED-Ahnen-galerie einen Ehrenplatz einnehmen, werden für das Jahr 1924 kurzerhand als „revolutionäre Kräfte in der Partei" zusammengefaßt, obwohl sie entweder zu den „Rechten" (Clara Zetkin), zur Mittelgruppe (Heckert, Koenen, Stoecker und Ulbricht) oder den „Linken" (Florin, Thälmann) zählten. Das Ziel ist eindeutig: Alle Führer der KPD, die die SED noch heute „anerkennt", haben angeblich immer auf der richtigen Seite gestanden und die Parteilinie vertreten, dagegen müssen alle, die heute als „Parteifeinde" zu gelten haben, immer „Abweichler" gewesen sein. In einem einseitig präformierten und dogmatisch entstellten Geschichtsbild muß die Historie zur zurückprojezierten Gegenwart werden, oder genauer gesagt, zu einer Gegenwart, wie sie nach den Vorstellungen der SED-Führung sein sollte.
Als Fazit ist festzuhalten, daß die SED-Geschichtsschreibung über die innerparteiliche Entwicklung der KPD 1924— 1929 sehr einseitig ist. Die Stalinisierung wird als Herausbildung einer „Partei neuen Typus" begrüßt, entscheidende Tatsachen jedoch verschwiegen (die Einwirkung der Komintern und Stalins, die Probleme der Apparatherrschaft, der Bürokratisierung, der innerparteilichen Demokratie). Die Stalinisierung wird nur personalisiert gesehen und die personellen Angelegenheiten werden manipuliert. Die SED-Historiker wollen die Parole „die Partei hat immer Recht" auch historisch untermauern. Dabei ist es offensichtlich ihr Hauptbestreben, die Veränderungen des Kommunismus zu verschleiern. Aus politisch-ideologischen Gründen können und wollen die SED-Historiker nicht zugeben, daß der Kommunismus — wie alle historischen Bewegungen — wandelbar ist. Solange sie an dieser Einstellung festhalten, können sie über die Stalinisierung der KPD — die bisher einschneidendste Wandlung des deutschen Kommunismus — nicht objektiv berichten.