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Hochschul-und Wissenschaftspolitik im geteilten Deutschland Eine vergleichende Darstellung | APuZ 1/1969 | bpb.de

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APuZ 1/1969 Hochschul-und Wissenschaftspolitik im geteilten Deutschland Eine vergleichende Darstellung

Hochschul-und Wissenschaftspolitik im geteilten Deutschland Eine vergleichende Darstellung

Wolfgang Bergsdorf

Motivationen und Ziele

Im letzten Jahrzehnt hat sich in beiden Teilen Deutschlands ein tiefgreifender Prozeß vollzogen, an dessen Anfang die Erkenntnis stand, daß die mit dem Start des ersten Satelliten signalisierte Epoche der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den bis dahin bewährten Organisationsstrukturen von Wissenschaft und Forschung nicht bewältigt werden kann. Im Verlauf dieses Neuorientierungsprozesses etablierte sich in der Bundesrepublik wie in der DDR eine eigenständige Wissenschaftspolitik, die mit wechselndem, aber insgesamt wachsendem Erfolg auf der Prioritätenliste der politischen Sachgebiete nach oben rückt. Die Wissenschaftspolitik verdankt diese Entwicklung einer zuerst in Fachkreisen, dann aber auch in der Öffentlichkeit mit immer größerer Intensität geführten Auseinandersetzung über die zentrale Frage, auf welche Weise die Hochschul-und Wissenschaftsstrukturen den Erfordernissen angepaßt werden können, die eine hochindustrialisierte Gesellschaft an sie stellen. Sie war Leitmotiv bei allen Bemühungen der Fachleute und Politiker in beiden Teilen Deutschlands, Konzepte zur Neuordnung des Hochschulwesens und der Forschungsorganisationen zu entwickeln und zu realisieren, die die Gewähr dafür bieten, „die wissenschaftliche technische Revolution zu meistern", wie Artikel 17 der neuen Verfassung der DDR die Aufgabe der Wissenschafts-und Bildungsförderung formuliert. In dem im Jahre 1949 verabschiedeten Grundgesetz der Bundesrepublik fehlt eine Verankerung der Wissenschaftspolitik.

Das Leitmotiv der Zukunftsbewältigung läßt sich in eine Reihe von einzelnen Motiven auffächern. Für die Bundesrepublik waren es im wesentlichen drei Impulse, die als Aggregate auf die Hochschul-und Forschungspolitik einwirkten. Erste Motivation war die Entdeckung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen industrieller und wissenschaftlich-technischer Produktivität: Der sich abflachenden Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes müsse durch eine Ausweitung der Kapazitäten und Investitionen für Forschung und Entwicklung begegnet werden. Der erste Bundesforschungsminister, Hans Lenz, definierte die Ausgaben für wissenschaftliche Forschung deshalb als „die entscheidenden Investitionen in unsere Zukunft"

Ein weiterer, damit zusammenhängender Gesichtspunkt war die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft sowie der enorme Nachholbedarf an „know-how" in weiten Bereichen von Wissenschaft und Technik, der nicht allein durch die wirtschaftliche Entwicklungsphase der fünfziger Jahre bedingt war, sondern auch durch eine spürbare Wissenschaftsfeindlichkeit weiter Kreise in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Dritte Motivation für die Entdeckung der Wissenschaft und speziell der Hochschule als eines wichtigen Gegenstandes des politischen Handelns war die Diagnose zahlreicher Fachleute, insbesondere des Heidelberger Religionsphilosophen Georg Picht und des Konstanzer Soziologen Ralf Dahrendorf, daß die Bundesrepublik in einen enormen Fachkräftemangel im Bereich des pädagogischen und naturwissenschaftlich-technischen Personals hineinzugeraten drohe, wenn der Anteil der Studienberechtigten an jedem Altersjahrgang nicht entscheidend erhöht werden würde. Neben dem industriellen und internationalen Aspekt spielte dieser Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Bedarfs eine besondere Rolle, weil er mit dem Postulat „Bildung ist Bürgerrecht" verkoppelt wurde, das das Bildungssystem als den einer demokratischen Gesellschaft allein angemessenen Auslesemechanismus begreift.

War der durch den Sputnikschock ausgelöste „science-boom" in den USA für die Bundesrepublik Auftakt für die Entdeckung der Wissenschaftspolitik, so veranlaßte einige Jahre später die Moskauer Weltwirtschaftskonferenz im Sommer 1962 die DDR zu einer Neuorientierung ihrer wissenschaftspolitischen Maximen. Auf dieser Konferenz setzte sich die These vom Eintritt der westlichen und östlichen Gesellschaften „in die Phase der zweiten wissenschaftlich-technischen Revolution" durch. Das schließe ein, „daß die empirische Forschung das Tempo effektiver Umwälzung bestimmt, daß in der Politik der Primat der Ökonomie (und Technik) unabdingbar wird und daß mithin — in der Sache — der Standort und Legitimitätsanspruch der Partei neu reflektiert werden müssen"

Ausdehnung der personellen Basis als Angelpunkt

Anlaß für diese Selbstbesinnung waren die für die kommunistischen Politiker erstaunliche wissenschaftlich-technische Produktivität der westlichen Länder und ihre Impulse auf die Industrie und Wirtschaft. Auch in der DDR läßt sich das Leitmotiv „Zukunftsbewältigung" in jene drei Motivationen differenzieren, von denen der Aspekt des gesellschaftlichen Bedarfs in die Diskussion zu Beginn der sechziger Jahre erst spurenhaft anzutreffen ist. Er spielt erst seit etwa drei Jahren, nun allerdings eine dominierende Rolle. Auf dem Gebiet der Zulassung zum Hochschul-und Fachstudium wurde mit den ersten Reformmaßnahmen begonnen, weil hier am schnellsten Reformen durchzuführen und politisch zu begründen waren. 1962 und 1963 wurden neue Bestimmungen über das Aufnahmeverfahren erlassen, in denen die individuelle Leistung als Zulassungskriterium auf Kosten potentieller Regimetreue eine Teilrehabilitation erfuhr. Die neuen Bestimmungen wurden von der Überlegung getragen, daß das Leistungsprinzip allein den technologischen Aufgaben gerecht werden kann, die die zweite wissenschaftlich-technische Revolution stellt. Zwar wird immer noch ein „aktiver Einsatz beim Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik und Bereitschaft zur Verteidigung ihrer sozialistischen Errungenschaften" als Voraussetzungen zur Zulassung verlangt. Neu ist jedoch, daß die „gesellschaftliche Bewährung" nur dann eine Rolle spielt, wenn in einer Fachrichtung mehr geeignete Bewerber als Studienplätze vorhan-den sind. Bewerber aus den bevorzugten Arbeiter-und Bauernschichten haben nur bei gleicher Eignung und Leistung eine größere Zulassungschance als Kinder aus bürgerlichen Familien. Das ist vor allem in den medizinischen Fächern, der Pharmazie, Psychologie und allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen (ausgenommen die Studienfachkombination zum Lehrerberuf) der Fall, in denen in der DDR die Nachfrage das Studienplatzangebot übersteigt. Privilegiert werden die Arbeiter-und Bauern-studenten heute im Gegensatz zu der exklusiven Bevorzugung der fünfziger Jahre nur noch in der Stipendienpolitik. Ihr staatlicher Monatswechsel liegt mit 190 MDN um 30 MDN höher als die Hochschulstipendien für „sonstige" Studenten.

Die Reform der Zulassung hat die soziale Zusammensetzung der derzeit 105 000 Studenten an Universitäten und Hochschulen der DDR stark verändert. In den Jahren 1960 bis 1966 sank der Anteil der Arbeiterkinder an der Gesamtstudentenschaft von knapp 40 Prozent auf 31 Prozent, der Anteil der Studenten aus Angestelltenfamilien von 31 Prozent auf 25 Prozent. Dieser relative Rückgang entspricht fast genau dem Wachstum des Anteils der „Intelligenz" an der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft. Innerhalb von sechs Jahren stieg er von 17, 8 Prozent auf 30, 2 Prozent an. Das Wachstum des „Intelligenzler" -Anteils an der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft beruht in erster Linie auf einer neuerdings auffällig starken Inanspruchnahme des Abend-und Fernstudiums durch die früher benachteiligten Angehörigen dieser Schicht. Mehr als jeweils 55 Prozent der Hochschulstudenten im Fern-und Abendstudium stammen aus Familien mit Intelligenzberufen

Bei den Fachschulstudenten hat das soziale Bild andere Züge. Zwar fiel auch hier der Anteil der Arbeiterstudenten in den Jahren 1960 bis 1966 von 51, 0 Prozent auf 39, Prozent. Von diesem relativen Rückgang profitieren jedoch nicht die Kinder aus „Intelligenzler" -Familien, sondern die Angestelltenstudenten, deren Anteil sich von 31, 4 Prozent auf 44, 5 Prozent verstärkte. Kinder aus Elternhäusern mit Berufen der Intelligenz sind an Fachschulen nur mit 5, 0 Prozent (im Direktstudium mit 8, 8 Prozent) vertreten. Von den Möglichkeiten der Abend-und Fernstudien an Fachschulen machen vor allem Angestelltenkinder Gebrauch, die jeweils rund 60 Prozent der Abend-und Fernstudenten stellen 5).

In der Bundesrepublik konnte die soziale Zusammensetzung als personelle Basis der Hochschul-und Wissenschaftspolitik ebenfalls stets eine große Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Insbesondere spielte in der Diskussion über Hochschulprobleme immer wieder der geringe Anteil der Arbeiterkinder an der Gesamt-studentenschaft eine wichtige Rolle, mit dem man den „Klassencharakter" des westdeutschen Hochschulsystems beweisen zu können glaubte. In der Tat illustrieren die repräsentativen Zahlen, von denen die letzten allerdings aus dem Hochschuljahr 1962/63 stammen die hoffnungslose Unterrepräsentierung dieser Studentengruppe an den wissenschaftlichen Hochschulen. Während 1963 knapp die Hälfte aller Deutschen in Arbeiterfamilien lebten, stammten jedoch nur 6 % der männlichen und 2, 8 0/0 der weiblichen Studierenden aus dieser sozialen Gruppe Allerdings sind diese Zahlen mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Detaillierten Stichproben zufolge dürfte der Anteil der Arbeiterkinder schon damals und erst recht heute spürbar höher gewesen sein. Denn es hat sich gezeigt, daß sich insbesondere Studierende aus den Arbeiterfamilien aus psychologischen Gründen scheuen, in den offiziellen, nicht kontrollierten Befragungsbögen der Hochschulen die Berufsbezeichnung „Arbeiter" anzukreuzen. Darüber hinaus weicht das soziale Selbstverständnis der Facharbeiter heute immer mehr von den Definitionen der offiziellen Sozialstatistik ab; sie stufen sich in wachsendem Umfang als Angestellte ein, so daß auch hier ein weiterer Unsicherheitsfaktor für detaillierte Angaben über den Anteil der Arbeiterkinder an der Gesamtstudentenschaft gesucht werden sollte.

Mit dem Mittel der Stipendienpolitik, die in der Bundesrepublik nicht auf die Bevorzugung der Arbeiterkinder zugeschnitten ist, ihnen jedoch zumindest die materielle Möglichkeit auch zum Hochschulbesuch bietet, versuchen Bundes-und Länderregierungen, diese Unterrepräsentation auf Dauer zu überwinden. Ihre Bemühungen werden jedoch nur dann erfolgreich sein können, wenn auch die relativen Zahlen der Arbeiterkinder in den auf die Hochschulen hinführenden Sekundärschulen entscheidend erhöht werden. Nach den wenigen bisher vorliegenden Erfahrungen scheint sich jedoch die Hoffnung zu bestätigen, daß insbesondere die Kinder aus den schwächeren Sozialschichten von der Bildungsexpansion profitieren, die sich mit der Erhöhung der relativen Abiturientenzahlen in den letzten beiden Jahren abzeichnet. Die verstärkte Bildungswerbung, der Wettlauf der Kultusminister um die höchsten Abiturientenquoten und schulreformatorische Maßnahmen haben und werden ihren Teil dazu beitragen, die „Bildungsreserven zu mobilisieren", auf die die Wissenschafts-und Forschungspolitik zurückgreifen muß.

Die thematischen Prioritäten der Forschungspolitik

Hat die personelle Bildungsexpansion in der Bundesrepublik eine Reihe von neuen organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten aufgeworfen so brachte die Teilrehabilitation der Individualleistung als Hochschuleingangskriterium der SED ideologische Probleme. Das konterrevolutionäre Element dieser Liberalisierung versuchte man dadurch auszuschalten, daß man immer wieder erklärte, das Postulat der Parteilichkeit aller Wissenschaft müsse auch weiterhin aufrechterhalten werden. Auch in der neuen Verfassung wird die Wissenschaftsförderung als Mittel definiert, „den ständigen Fortschritt der sozialistischen Gesellschaft zu gewährleisten" Von weitreichen-derer praktischer Bedeutung als dieser ideologische Aspekt ist in der DDR die Funktionalisierung der Wissenschaft zur unmittelbaren Produktivkraft, die ihrer Aufgabe nur in dem Maße gerecht wird, „wie sie die Impulse für die Richtung ihrer Arbeit aus den volkswirtschaftlichen Entwicklungstendenzen ableitet und sich auf deren Lösung konzentriert" (Walter Ulbricht). Aus dieser Zieldefinition der Wissenschaft ergeben sich die Eigenarten der mitteldeutschen Wissenschaftspolitik, sowohl in der Auswahl der thematischen Schwerpunkte und der Kompetenzenstrukturen wie auch der organisatorischen Formen.

Kennzeichnend für die Wissenschaftspolitik in der DDR ist die Priorität der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer, wobei „die Konzentration der Forschung auf bestimmte volkswirtschaftliche Schwerpunkte ein wesentlicher Bestandteil der Wissenschaftspolitik der SED" ist So studieren mehr als 80 Prozent aller Studierenden an Fachschulen und 40 Prozent aller Hochschulstudenten technische und naturwissenschaftliche Fächer einschließlich Medizin. In der Bundesrepublik haben von 231 000 Studenten knapp 110 000, das sind rund 45 Prozent, mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Fächer belegt. Der relative Anteil der Studenten dieser Disziplinen in der Bundesrepublik und in der DDR ist also vergleichbar.

Ebenso bemüht man sich durch die Erweiterung der Studienplatzkapazitäten in diesen Fächern in beiden Teilen Deutschlands um eine weitere Steigerung dieses Anteils, die in der DDR jedoch seit einiger Zeit durch eine Konzentration der Forschungskapazitäten auf Schwerpunkte ergänzt wird. So wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe von Forschungsschwerpunkten wie Biochemie der Pflanzen, Krebsforschung, Ernährungswissenschaften und Forschungen über Nichteisenmetalle bevorzugt gefördert. In den nächsten Jahren werden sich die Schwerpunkte auf Petrolchemie, Metallurgie, Maschinen-und wissenschaftlichen Gerätebau, Energie, Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft teilweise verlagern.

Besondere Aufmerksamkeit beginnt man nun auch in der DDR der elektronischen Datenverarbeitung zu schenken. Entsprechend dem Datenverarbeitungsprogramm der Bundesregierung plant die Ostberliner Regierung, bis 1972 erhebliche Summen in der Gesamthöhe von zwei Milliarden MDN aufzubringen Für die Koordinierung aller Arbeiten des „Programms Datenverarbeitung" wurde im vergangenen Jahr beim Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik ein Staatssekretär bestellt. Haupt-bestandteil des Programms ist die Weiterentwicklung der mittleren Rechenanlage „Robotron 300", die mittlerweile serienreif ist. Auf den Bau größerer Anlagen wird vorläufig verzichtet. Soweit sie für volkswirtschaftliche Planungsaufgaben benötigt werden, sollen sie aus Polen importiert werden, Detaillierte Angaben über die militärische Forschung sind nicht vorhanden.

In der Bundesrepublik sieht der Katalog der Schwerpunkte in der Forschungsförderung ähnlich aus. Auch hier bemühten sich die Verantwortlichen, neue Prioritäten zu setzen, um der sich abzeichnenden Entwicklung gerecht zu werden. So wird die Bundesregierung in den nächsten Jahren neben der Datenverarbeitung und Kybernetik verstärkt die Meeresforschung fördern, daneben Festkörperphysik, Biologie, Energieumwandlung, Umwelthygiene, Verkehr sowie technische Physik und Material-kunde Daneben werden die Großforschungsprogramme Weltraum, Kernenergie und Verteidigung weiter vorangetrieben werden. Finanziell am stärksten schlägt in der Bundesrepublik die Medizin zu Buche, für die Bund und Länder 1967 1,5 Mrd. bereitgestellt haben. Sie rangiert damit an erster Stelle der Forschungsschwerpunkte.

Im Vergleich der Schwerpunktkataloge der west-und mitteldeutschen Forschungspolitik fallen nicht nur die gemeinsam forcierten Dis-ziplinen wie Biologie, Datenverarbeitung und Verkehr auf. Aus dem Katalog werden auch die Unterschiede deutlich. Mit öffentlichen Mitteln werden in der DDR vor allem jene Gebiete gefördert, in denen sich möglichst rasch Ergebnisse erzielen lassen, die unmittelbar in der Produktion verwertet werden können. Im Gegensatz dazu verläßt sich der Staat in der Bundesrepublik bei der angewandten Forschung wesentlich stärker auf die industrielle Forschung, die aus privaten Mitteln gespeist wird, und fördert die kostspielige Grundlagenforschung. Ihre Ergebnisse lassen sich in der Regel nicht unmittelbar produktionsverbessernd nutzen, sondern müssen in der angewandten Forschung in langwierigen Entwicklungsprozessen aufbereitet werden. Ein weiterer Unterschied in der Prioritätshöhe der Forschungsgegenstände ist die bevorzugte Behandlung der Zivilisationsforschung wie Medizin, Umwelthygiene (Sauberhaltung von Luft und Wasser), Demographie, Raumplanung und Verkehr. In der DDR sind davon nur Verkehr und Krebsforschung Forschungsschwerpunkte.

Erprobung neuer Organisationsstrukturen

Die Schwerpunktförderung der Grundlagenforschung in der Bundesrepublik und die Bevorzugung produktionsorientierter Spezialgebiete in der DDR vollzieht sich in unterschiedlichen Forschungsstrukturen: Im Gegensatz zur Bundesrepublik, in der die geplante regionale Schwerpunktbildung und der Aufbau von Sonderforschungsbereichen nicht oder erst in Ansätzen vorhanden ist, ist eine stark ausgebaute regionale Schwerpunktbildung eines der Kennzeichen der Forschungsorganisation in der DDR. Die Technische Hochschule Illmenau ist beispielsweise Spezialforschungsstätte für Elektrotechnik und Elektronik. An der Technischen Hochschule Magdeburg ist der Maschinenbau Hauptforschungsgegenstand. Auf das Gebiet der Festkörperphysik hat sich die Technische Universität Dresden spezialisiert. Auch die zahlreichen nach 1945 gegründeten wissenschaftlichen Fachhochschulen und Akademien illustrieren den Abschied von der traditionellen Universalität deutscher Universitäten. So wurde in Leuna eine Technische Hochschule für Chemie aufgebaut, in Dresden eine Hochschule für Verkehr, die den Namen Friedrich Lists trägt. Ein besonderer, in Deutschland bis dahin unbekannter Typ wissenschaftlicher Hochschulen ist die Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, die praktizierenden Ärzten und Fachmedizinern die Möglichkeit bietet, ihre Kenntnisse auf den jeweils neuesten Stand zu bringen und aus der Praxis durch eine Habilitation zur Forschung zurückzukehren. Weitere für Deutschland neue Typen von Spezialhochschulen sind die Parteihochschule „Karl Marx" in Berlin, Forschungszentren für die Probleme des Diamat, die Deutsche Akademie für Staats-und Rechtswissenschaften „Walter Ulbricht" in Potsdam-Babelsberg und die „Militärakademie Friedrich Engels" in Dresden

In der Bundesrepublik gibt es keine Hochschulen dieses Spezialisierungsgrades, aber das vom Wissenschaftsrat entwickelte Konzept der Sonderforschungsbereiche geht in die gleiche Richtung, wenn auch keine Spezialhochschulen vorgeschlagen werden Dem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, die schon vorhandenen Forschungsinstitute, die sich auf bestimmte Spezialthemen konzentriert haben, mit ähnlich ausgerichteten hochschulfreien Instituten regional zusammenfassen, um so die Effizienz der Forschungseinrichtungen zu erhöhen. Für nur unzureichend durch vorhandene Institute abgedeckte Spezialgebiete sollen dem regionalen Bedarf entsprechend neue Forschungsinstitute aufgebaut werden. Als Beispiel soll der Sonderforschungsbereich Meeresforschung dienen: Innerhalb der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Hamburger Universität soll ein interdisziplinäres Institut für Meeresforschung aufgebaut und ausgebaut werden, das eng mit der in Hamburg residierenden Bundesanstalt für Fischerei, mit dem deutschen Hydrographischen Institut und mit dem Institut für Radiometeorologie und Maritime Meteorologie an der Universität Hamburg zusammenarbeitet.

Ein ähnliches Institut an der Kieler Universität wird kurzgeschlossen mit der in Kiel ansässigen Bundesanstalt für Ozeonographie Für die Gebiete Bauingenieur-und Vermessungswesen, Biologie, Orientalistik, Maschinenwesen und Elektronik liegen ebenfalls detailliert ausgearbeitete Pläne zur Errichtung von Sonderforschungsbereichen vor, die in den nächsten beiden Jahren realisiert werden dürften. An die Einbeziehung der Industrieforschungseinrichtungen in das Konzept der Sonderforschung ist vorläufig noch nicht gedacht, obwohl die Bundesregierung ein solches Konzept des „regionalen Forschungsverbundes" befürwortet

Die Vertragsforschung als Eckpfeiler der mitteldeutschen Forschungsfinanzierung

Die Spezialisierung der technischen und naturwissenschaftlichen Einrichtungen in der DDR wird durch ein Instrumentarium vorangetrieben, das zwar auch in der Bundesrepublik benutzt, aber dennoch nicht in dem Umfang eingesetzt wird wie jenseits der Demarkationslinie: Von einem weit ausgebauten System von Forschungsverträgen zwischen Hochschulen, Fachschulen und einzelnen Instituten einerseits und Produktionsbetrieben andererseits erhofft man sich in der DDR, die Produktionskraft „Wissenschaft" kurzgeschlossen als ökonomischen Wachstumsfaktor wirksam werden zu lassen. Während im Rechnungsjahr 1962/63 die Vereinigung Volkseigener Betriebe (WB) über die Vertragsforschung insgesamt 60 °/o der Hochschul-und Fachschulforschungsaufwendungen finanzierte, wuchs dieser Anteil im Jahre 1964 auf 80 °/o an In der Zwischenzeit wurde die Vertragsforschung weiter formalisiert und ist nun endgültig zum integralen Bestandteil der Forschungsfinanzierung in der DDR geworden. Den mit diesem System ver-bundenen Schwierigkeiten, vor allem dem faktischen Förderungsmonopol der naturwissenschaftlich-technischen Institute, versuchte man durch eine verschleierte Ertragssteuer zu begegnen, die den mittelempfangenden Instituten auferlegt wurde.

In der „Anordnung über die Planung, Finanzierung und vertragliche Sicherung von wissenschaftlich-technischen Aufgaben" vom 1. Januar 1967 wird verlangt, daß der Auftraggeber von Forschungseinrichtungen alle bei den Arbeiten entstehenden Kosten deckt und darüber hinaus den Forschungseinrichtungen „Nutzensanteile" einräumt. Die Höhe dieser Nutzensanteile orientiert sich an dem volkswirtschaftlichen Wert der Forschungsergebnisse und muß mindestens 20 Prozent, höchstens 50 Prozent der zu verrechnenden Personalausgaben betragen. Auch die Verwendung dieser Nutzensanteile ist vorgeschrieben: 60 Prozent werden in die Ausrüstung des Forschungsinstituts investiert, 30 Prozent gehen in einen Prämien-fonds, aus dem leistungsorientierte Gehaltszulagen gezahlt werden, 10 Prozent müssen an das Staatssekretariat für Forschung und Technik (jetzt Ministerium für Forschung und Technik) abgeführt werden, das diese Mittel zweckbestimmt an andere Institute verteilt Man kann annehmen, daß diese an das Staatssekretariat fließenden Mittel „benachteiligten" Instituten zugute kommen, darunter besonders denen, die sich mit Grundlagenforschung beschäftigen. Auf diese Weise versucht man den entscheidenden Defekt eines Forschungsfinanzierungssystems zu beheben, dessen Fundament Forschungs-und Entwicklungsverträge mit der Industrie sind. Da es mit nur wenigen Ausnahmen in der DDR keine industrie-eigenen Forschungseinrichtungen gibt, geht es bei Vertragsforschung mit Hochschulinstituten ausschließlich um die Erzielung von rasch anwachsenden Produktionsziffern und Ertrags-raten, nicht aber um die Förderung der Grundlagenforschung mit risikoreichen und erhebliche Mittel verschlingenden Investitionen.

Gesamtbudget Wissenschaft und Forschung

In der Bundesrepublik betreibt die Industrie zumeist in eigenen Einrichtungen Forschung, häufig jedoch auch als Auftragsforschung in Hochschulinstituten oder sonstigen Einrichtungen. Die Verhältniszahlen skizzieren die Unterschiede im Vergleich mit den entsprechenden Anteilen in der DDR: 1964 wurden in der Bundesrepublik insgesamt 8, 5 Mrd. DM für Wissenschaftsausgaben bereitgestellt, davon durch die öffentliche Hand 5, 2 Mrd. DM, von denen wiederum die Länder mit 3, 0 Mrd. DM den höchsten Anteil aufgebracht haben Von den 2, 0 Mrd. DM, die der Bund zur Verfügung stellte, flossen 0, 6 Mrd. DM in die Verteidigungsforschung. Die gewerbliche Wirtschaft investierte im gleichen Jahr 3, 3 Mrd. DM in Forschungs-und Entwicklungsaufgaben und stellte für Stiftungen und Wissenschaftsspenden 0, 1 Mrd. DM zur Verfügung. Der Anteil der Wissenschaftsausgaben am Bruttosozialprodukt (BSP) betrug 1964 2, 1 Prozent. Er ist bis 1966 auf 2, 4 Prozent angewachsen und dürfte im vergangenen Jahr die 2, 5 Prozent-Grenze überschritten haben. Der Anteil der Aufwendungen nur für Forschung und Entwicklung am BSP betrug 1964 1, 5 Prozent. Die Bundesrepublik befand sich damals im dritten Glied der forschungsintensiven Länder, Kopf an Kopf mit Ländern wie Griechenland und der Schweiz, allerdings auch Japan. Von den deutschen Forschungs-und Entwicklungsausgaben wurden 60 Prozent in der Industrie, 15 Prozent in den Hochschulen und 25 Prozent in sonstigen Forschungseinrichtungen verwendet. Die Mittel wurden zu 55 Prozent von der Industrie und zu 45 Prozent von Staat oder Stiftungen bereitgestellt Der enorme Nachholbedarf der mitteldeutschen Forschung zeigt sich auch im Vergleich der Gesamtbudgets. 1967 wurden fast 4 Prozent des Gesamtstaatshaushalts in Höhe von 64 Mrd. MDN für Wissenschaft und Kultur zur Verfügung gestellt. Obwohl diese Begriffe in der DDR wesentlich weiter gefaßt sein dürften als in der Bundesrer blik, haben Bund, Länder und Gemeinden schon 1964 12 Prozent ihrer Gesamtmittel für Schulen, Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kulturpflege und Erwachsenenbildung zur Verfügung gestellt Der Anteil der Forschungs-und Entwicklungsausgaben am BSP betrug 1965 in der DDR 0, 6 Prozent, der damit innerhalb von 15 Jahren verdoppelt wurde In der Bundesrepublik waren es im gleichen Jahr 1, 6 Prozent, also wesentlich mehr. Die mitteldeutschen Politiker sind sich dieses Nachholbedarfs bewußt und planen in dem bis 1970 gültigen Perspektivplan Zuwachsraten von durchschnittlich jährlich 16 Prozent.

Charakteristika der mitteldeutschen Forschungsorganisation

Nach der personellen Basis, den thematischen Prioritäten und dem Gesamtbudget Wissenschaft und Forschung sollen nun die Organisationsstrukturen, in denen die Forschung abgewickelt wird, untersucht werden. In Mittel-deutschland steht der forcierten thematischen Schwerpunktbildung erstaunlicherweise eine starke Zersplitterung der Forschungskapazitäten gegenüber. 1966 arbeiteten insgesamt 18 000 Forschungsstellen mit insgesamt 87 000 Mitarbeitern, darunter 13 000 Akademikern und 18 000 Fachschulabsolventen. Die Hälfte dieser Forschungs-und Entwicklungsstellen hat einen Stab von bis zu zehn Mitarbeitern, 43 Prozent von sogar nur bis 5 Mitarbeitern Eine Ausnahme bilden die Institute der Forschungsgemeinschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAdW), denen 10 Prozent des kulturellen Gesamtbudgets der DDR in Höhe von heute 2, 3 Milliarden MDN zur Verfügung gestellt werden. Die DAdW, 1700 von Friedrich I. auf Initiative von Leibnitz als „Societät der Wissenschaften" gestiftet, beschäftigte 1964 11 781 Mitarbeiter in 200 zum größten Teil naturwissenschaftlichen Instituten.

Aufgrund der Nachteile der Zersplitterung für die Kooperation der Institute untereinander wurde 1957 eine „Forchungsgemeinschaft" der technischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Institute der DAdW gegründet, der 1964 80 Institute mit 2299 Wissenschaftlern angehörten Die „Forschungsgemeinschaft" ist in fünf Fachbereiche untergliedert, in: „Fachbereich reine und angewandte Chemie", „Fachbereich organische und biologische Chemie", „Fachbereich Medizin" und die „Fachbereiche Physik Nord" und „Physik Süd". Prunkstück des Fachbereichs „Physik Süd" ist das „Zentralinstitut für Kernforschung" in Rossendorf bei Dresden — mit einem Jahresetat von 15 Millionen MDN und 900 Mitarbeitern das größte Forschungsinstitut der DAdW Das Institut ist mit einem sowjetischen Forschungsreaktor vom Typ WWR-S und dem Zyklotron U 120, einem Ringzonenreaktor sowie einem van-de-Graff-Hochspannungsreaktor ausgerüstet. Das Zentralinstitut beschäftigt sich neben der für Medizin, Agrarwissenschaften und Ma-terialkunde wichtigen Isotopenforschung vor allem mit der Gewinnung von Kernenergie in Kraftwerken. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel konnte im vergangenen Frühsommer getan werden, als nach achtjähriger Bauzeit das Prototypkernkraftwerk am Stechlinsee bei Rheinsberg mit einer Leistung von 70 Megawatt in Betrieb genommen werden konnte.

Charakteristisch für die Forschungsorganisation in der DDR ist die starke Verlagerung der Forschung von den Hochschulen auf andere Institutionen wie auf die DAdW oder die 1951 neugegründeten Akademien für Landwirtschaftswissenschaft und für Bauwesen. Auch die Forschungsorganisationen außerhalb der Hochschulen müssen dem Prinzip der allseitigen Planung, Leistung und Kontrolle Rechnung tragen. So wurde schon 1951 die Leitung der DAdW vom Plenum auf das Präsidium übertragen, für die Leitung der einzelnen Klassen und Forschungsbereiche Sekretariate eingerichtet und die Akademie dem Ministerrat direkt unterstellt. Diese und andere Satzungsänderungen wurden mit der Notwendigkeit begründet, die Verbindung zwischen Theorie und Praxis enger zu gestalten und das wissenschaftliche Potential direkt für die ökonomische Nutzung fruchtbar zu machen. Aus dieser Intention heraus wurden die ordentliche und korrespondierende Mitgliederschaft der einzelnen Sektionen und Fachbereiche durch Vertreter der Fachgebiete an Hoch-und Fachschulen und in der Industrie ergänzt. Außerdem erhielt die DAdW die Berechtigung, Professorentitel zu verleihen und konnte so den neuen Typus des „Forschungsprofessors" ins Leben rufen der übrigens ebenso wie seine Kollegen an den Hochschulen seit einigen Jahren in der Regel besser besoldet wird als die Professoren in der Bundesrepublik

Eine weitere Ebene der Forschungsorganisation in der DDR ist das ausgebaute System der Zentralinstitute und Industriezweiginstitute. Sie sind nicht wie in den Hochschulen nach Forschungsdisziplinen aufgefächert, sondern nach Wirtschaftszweigen, und gewährleisten durch ihre „Produktionsnähe" ein größeres Maß an Kooperation mit den Betrieben, zumal sie auch den Fachministerien unterstellt sind. Um so erstaunlicher sind häufige Klagen, daß trotz der detaillierten und weitgehend zentralisierten Planung die Kooperation zwischen Forschung und Planung nicht immer reibungslos funktioniert. Bemängelt wird „die ungenügende Verbindung der Institute zur Praxis. . ., ferner die Arbeit an Fragen von geringer praktischer Bedeutung, das Nebeneinanderarbeiten und die mangelnde Koordinierung in gleichen oder ineinanderlaufenden Gebieten sowie die geringe Nutzung der schon vorhandenen Erfahrungen" Die Kooperation zwischen Forschung und Produktion wird insgesamt als eines der wissenschaftspolitischen Kernprobleme angesehen. Um dieses Problem zu lösen, verlangt das Programm der SED die Bildung „sozialistischer Arbeits-und Forschungsgemeinschaften der Wissenschaftler, Ingenieure und Neuerer", die „eine enge und systematische Verbindung von Wissenschaft und Praxis" sichern

Durch die Bildung solcher Arbeitsgruppen soll die Kooperation zwischen Theorie und Praxis auf der unteren Ebene sichergestellt werden, um die man sich auf der obersten Ebene durch die Einbeziehung der Wissenschaftler in die volkswirtschaftlichen Planungsorgane bemüht. Mit den „sozialistischen Arbeits-und Forschungsgemeinschaften" wird versucht, das Handicap einer Forschungsorganisation auszugleichen, in der betriebseigene Forschungsund Entwicklungsarbeiten praktisch nicht vorhanden sind. Daraus ergeben sich zahlreiche organisatorische wie psychologische Schwie-rigkeiten. Den Wissenschaftlern fehlen Betriebs-und Produktionskenntnisse, den Betriebsleitern die Fähigkeit, die Bedeutung von Forschungsergebnissen für die Produktion zu erkennen. Die Arbeiter sind vornehmlich an der Erfüllung ihrer Planziffern interessiert und sträuben sich gegen die Einarbeitung in neue Produktionstechniken und die Umstellung auf neue Erzeugnisse. Hinzu kommt die Scheu vor zusätzlichen Kosten für die Aufnahme neuer Erzeugnisse in die Produktion, die der Betrieb ohne ökonomische Anreize tragen muß

Engpaß: Forschungspersonal

Detaillierte Angeben über die Anzahl der selbständigen Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik, die sich zum Vergleich mit den Angaben für Mitteldeutschland eignen, liegen nicht vor, wohl aber Zahlenmaterial über das Forschungspersonal: In der Bundesrepublik arbeiteten 1964 insgesamt 242 000 Personen an Forschungs-und Entwicklungsaufgaben, darunter etwa 60 Prozent Wissenschaftler und Techniker. Diese Zahlen entsprechen einem Anteil des Forschungspersonals an der Gesamtbevölkerung von 32 auf 10 000 Einwohner Die 52 000 in Forschung und Entwicklung tätigen Wissenschaftler arbeiten zur Hälfte an den Hochschulen, 34 Prozent sind in der Wirtschaft angestellt. 64 Prozent des wissenschaftlichen Forschungspersonals bearbeiten naturwissenschaftliche und technische Gegenstände, 16 Prozent sind in der medizinischen und 15 Prozent in der geistes-und sozialwissenschaftlichen Forschung tätig.

Im Gegensatz zu der DDR wird die naturwissenschaftliche und technische Forschung und Entwicklung von einem erheblichen Personal-mangel bedroht. Trotz des steigenden Personalbedarfs in diesen Disziplinen stagniert der Anteil der Studienanfänger in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern seit 1960 bei etwa 30 Prozent. Der relative Anteil fiel im gleichen Zeitraum von 34 Prozent auf 29 Prozent ab. Von dem Zuwachs der Studentenzahlen seit dem beginnenden Jahrzehnt profitiert die Geistes-und Sozialwissenschaft zu 80 Prozent

Verschärft wird der „Engpaß naturwissenschaftlichen und technischen Forschungspersonals" durch die — sich mittlerweile allerdings abflachende — Abwanderungsbewegung deutscher Wissenschaftler in die Vereinigten Staaten. In der Zeit von 1949 bis 1965 sind insgesamt 5600 deutsche Naturwissenschaftler und Diplomingenieure in die USA abgewandert Für die einzelnen Disziplinen bedeutete diese Absatzbewegung, daß jeder zehnte frisch-gebackene doktorierte oder diplomierte Chemiker und jeder zwanzigste Jungphysiker nach einer kostspieligen Ausbildung an den Hochschulen der Bundesrepublik in die USA abwanderten. Die Konsequenz ist, daß in den naturwissenschaftlichen Fächern schon heute 15 Prozent der Lehrstühle und Stellen des akademischen Mittelbaus nicht mehr besetzt werden können. Die Motive für die Abwanderung sind nicht nur, wie Untersuchungen gezeigt haben in besseren Verdienstmöglichkeiten jenseits des Atlantiks zu sehen, sondern auch in den im Vergleich mit der Bun-desrepublik günstigeren Arbeits-und Aufstiegsbedingungen. Von der Abwanderung besonders betroffen ist der Lehrkörper der Hochschulen, an denen die Überfüllungssituation und die Probleme der noch nicht gelösten Studien-und Hochschulreform abwanderungsfördernd wirken. Im Gegensatz dazu ist der Personalbestand der hochschulfreien Forschungseinrichtungen relativ wanderungsresistent.

Charakteristika der Forschungsorganisation der Bundesrepublik

Zu ihnen gehören vor allem die 50 Institute der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zur Förderung der Wissenschaft, das westdeutsche Gegenstück der mitteldeutschen DAdW. Sie legt jedoch das Hauptgewicht ihrer Forschungsarbeit auf die Grundlagenforschung und auf die Bearbeitung von Grenzgebieten und interdisziplinären Forschungsgegenständen. Durch die Schaffung neuer Institutsformen leistet die MPG zudem einen wichtigen Beitrag zur Hochschulreform. Getragen werden die MPG-Institute seit dem Verwaltungsabkommen im wesentlichen zu gleichen Teilen von Bund und Ländern, während vorher der Bund vornehmlich die Investitionskosten, die Länder die laufenden Kosten deckten.

Der Zuschuß von Bund und Ländern betrug 1965 insgesamt 144, 6 Millionen DM und stieg 1967 bis auf 190, 5 Millionen DM an. Weitere Mittel fließen der MPG aus der Industrie, dem Stifterverband, der Volkswagen-Stiftung und dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung zu. Der Gesamthaushalt der MPG belief sich 1965 auf 198, 2 Millionen DM Gegenwärtig konzentrieren sich die Bemühungen der MPG auf die räumliche und organisatorische Zusammenfassung der biophysikali-schen-chemischen Institute in München und Göttingen, deren Direktor der Nobelpreisträ-ger für Chemie von 1967, Professor Dr. Norbert Eigen, ist.

Im Gegensatz zu der MPG betreibt die zweite große Forschungsorganisation in der Bundesrepublik, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), keine eigenen Forschungsinstitute, sondern sammelt und verteilt Forschungsmittel. Sie fördert bevorzugt Projekte der Grundlagenforschung, wobei sich der Akzent immer deutlicher auf die Gebiete der Zivilisationstechnologie verlagert. 1965 wurden allein 13 Prozent der im Schwerpunktprogramm vergebenden Mittel zur Förderung der Ernährungsforschung, der Reinhaltung der Luft und der Wasser-und Lärmforschung verwendet, gegenüber 9 Prozent im Jahre 1963. Die DFG besitzt den Charakter einer Selbstverwaltungsorganisation. Dabei wirken auch Vertreter des Bundes und der Länder mit. Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Staat bringt allen Beteiligten wegen des kontinuierlichen Meinungsaustausches viele Anregungen für die weitere Arbeit, die in der Vergangenheit z. B. zu Gemeinschaftsprojekten führte, die für die Hochschul-und in gleicher Weise für die Industrieforschung von Bedeutung gewesen sind.

Getragen wird die DFG in der Hauptsache durch Bund und Länder, die ihre Finanzierung je zur Hälfte in dem Verwaltungsabkommen beschlossen haben. 1966 betrug der Zuschuß von Bund und Ländern 135 Millionen DM bei einem Gesamthaushalt von 160, 9 Millionen DM. Den Rest übernehmen private Wissenschaftsförderungsorganisationen wie der Stif-B terverband für die Deutsche Wissenschaft oder die Fritz-Thyssen-Stiftung. Die DFG wendet für ihr Schwerpunktprogramm jährlich ungefähr ein Drittel ihrer Gelder auf. Damit werden besonders gefördert z. B. molekulare Biologie, Festkörperphysik und Nachrichtenübertragung bereits seit 1964. Insgesamt sind 18 Schwerpunktprogramme abgeschlossen und 27 neue Schwerpunktprogramme eingerichtet worden, davon 13 in Mathematik und Naturwissenschaften. Für 16, 4 Millionen DM wurden im Jahre 1966 elektronische Rechenanlagen gekauft; von 1966 bis 1968 sind hierfür jährlich 13 bis 14 Millionen DM vorgesehen.

Die Industrieforschung in der Bundesrepublik

Neben diesen beiden vor allem um Grundlagenforschung bemühten Organisationen und neben den Hochschulen ist die Industrie der dritte große Bereich der Forschungsorganisationen in der Bundesrepublik Das große Risiko und die hohen Aufwendungen, die mit der Durchführung von Forschungsvorhaben im allgemeinen verbunden sind, haben dazu geführt, daß Forschung und Entwicklung vor allem von großen kapitalkräftigen Unternehmen betrieben werden. Auf Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten entfielen 1964 87, 4 Prozent dieser Ausgaben.

Einigen Branchen der Klein-und Mittel-industrie bietet die Gemeinschaftsforschung die Möglichkeit der Teilnahme am technischen Fortschritt. Darüber hinaus können kleinere und mittlere Unternehmen Forschungs-und Entwicklungsarbeiten auch durchführen, wenn sie sich komplementär zur Forschung der Großindustrie orientieren und sich auf wenige Produkte spezialisieren. Die Chemie ist noch immer der forschungsintensivste Industriezweig. Bei einem Umsatzanteil von weniger als 10 Prozent bestreitet sie etwa ein Drittel des Forschungsaufwandes der gesamten verarbeitenden Industrie. In den letzten zehn Jahren stellten in der chemischen Industrie die erstmalig hergestellten Produkte einen Umsatzanteil von etwa einem Drittel. Von den Forschungsausgaben entfielen 65 Prozent auf drei Großunternehmen, die etwa 4, 8 Prozent ihres Umsatzes für den laufenden Forschungsaufwand ausgeben.

Im Jahre 1965 wurde von der deutschen elektrotechnischen Industrie knapp eine Milliarde DM für Forschung und Entwicklung aufgewendet. Es ist für diesen Industriezweig charakteristisch, daß die öffentliche Hand einen großen Teil des Umsatzes abnimmt, etwa nachrichtentechnische Einrichtungen, Kraftwerke und Radaranlagen. Während in der Bundesrepublik nur etwa 16 Prozent der gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung der elektrotechnischen Industrie von staatlichen Stellen getragen werden, finanziert in den Vereinigten Staaten der Staat etwa 60 Prozent dieser Aufwendungen vor allem aus Mitteln des Verteidigungshaushaltes und der Weltraumbehörde (NASA). Nicht zuletzt wegen des Fehlens staatlicher Förderungsmaßnahmen ist die deutsche elektrotechnische Industrie in einigen Bereichen der elektronischen Datenverarbeitung, der Radartechnik und der Halbleitertechnik in einen technologischen Rückstand gegenüber den Vereinigten Staaten geraten. Dieser Rückstand wirft deshalb besondere Probleme auf, weil dieser Industriezweig innerhalb der Gesamtindustrie eine Schlüsselstellung einnimmt: Er liefert z. B. die Einrichtungen, die zur Automatisierung der Produktion in anderen Branchen benötigt werden.

Nach Angaben des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft betrugen 1964 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Fahrzeugbau rund 300 Millionen DM. Die Arbeiten konzentrierten sich vor allem auf die Erhöhung der Sicherheit der Automobile und die Bekämpfung schädlicher Abgase. Im Maschinenbau wurden rund 240 Millionen DM für Forschung und Entwicklung aufgewandt. Da dieser Industriezweig Betriebe enthält, die sich in ihrer Größe und in ihrem Produktionsprogramm stark unterscheiden, sind allgemeine Aussagen über die Forschungs-und

Entwicklungsintensität des Maschinenbaues nicht möglich.

Die Eisen-und Stahlindustrie hat im Jahre 1964 rund 230 Millionen DM für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Gemessen am Nettoproduktionswert sind dies fast 2, 4 Prozent. Ziel dieser Anstrengungen waren unter dem Druck wachsender Uberkapazitäten die Rationalisierung der Verfahrenstechnik und die Einführung neuer Produktionsmethoden.

Gemeinsame Fragestellung der Hochschulreform

Während die Strukturen der Forschungsorganisationen in der DDR ebenso wie die thematische Schwerpunktbildung erheblich von der Situation in der Bundesrepublik abweichen, ergeben sich aus der Analyse der Hochschul-Probleme ähnliche Aufgaben, mit denen Hochschulen und Politiker in beiden Teilen Deutschlands fertig zu werden versuchen. In der DDR entsprechen der Schwerpunktbildung in der Forschungsorganisation die Bemühungen um eine „Profilierung" der Hochschule selbst, die seit den „Prinzipien zur weiteren Entwicklung der Lehre und Forschung der Hochschulen der DDR" verstärkt vorangetrieben sind. Von der Universalität der deutschen Hochschultradition wird endgültig Abschied genommen.

„Fundament" der Hochschule neuen Typs ist der Katalog der „Grundwissenschaften": „Marxistische Philosophie, politische Ökonomie, wissenschaftlicher Sozialismus, Geschichte, insbesondere die der deutschen Arbeiterbewegung, Mathematik, Naturwissenschaften, fremde Sprachen, insbesondere Russisch, und künstlerische Gebiete wie deutsche Literatur und Kunstwissenschaft".

Das „Profil der Hochschule ergibt sich", wie Professor Gießmann, Staatssekretär im Ministerium für Hoch-und Fachschulwesen formuliert, „aus der Erweiterung der Grundwissenschaften und Zuordnung ausgewählter angewandter Wissenschaften. Anzahl und Umfang der Arbeitsrichtungen der angewandten Wissenschaften und ihre Verteilung auf die Hochschulen resultieren dabei aus den gesellschaftlichen Notwendigkeiten, den qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Ausbildung oder den Bedürfnissen nach der Pflege spezieller Disziplinen"

Bei der Profilierung der Hochschulen ebenso wie bei der Studienreform, einem weiteren Gegenstand der „Prinzipien", stand der Wunsch nach besserer Kooperation und größerer Effizienz in Lehre und Forschung Pate. Die strukturellen Vorschläge zur Studienreform, wie sie in den „Prinzipien" dargelegt sind, ähnelten den Reformvorschlägen des Wissenschaftsrates bis in die Terminologie hinein Auch nach den „Prinzipien" soll das Studium in „Grund-und Fachstudium" gegliedert werden, dessen Dauer insgesamt nicht mehr als vier oder fünf Jahre sein soll. Medizinern werden sechs Jahre eingeräumt. Im Grundstudium sollen die Studenten das wissenschaftliche Arbeiten erlernen und sich die fachwissenschaftlichen Grundkenntnisse aneignen. Darüber hinaus sind allerdings auch „Bereitschaft und Fähigkeit zur Verteidigung der DDR zu stärken und militärisch und sportlich zu bilden" sowie die gesellschaftswissenschaftlichen Zusammenhänge zu erkennen

Nach der „Vorprüfung" (Wissenschaftsrat: „Zwischenprüfung") soll das Studium in Fachrichtungen differenziert weitergeführt werden. Dabei ist besonders auf die Möglichkeiten zu achten, wie die wissenschaftlichen Ergebnisse in die Praxis umgesetzt werden können. Die Studenten sollen dazu angehalten werden, „schöpferisch zu arbeiten und die gesellschaftlichen und ökonomischen Bezüge ihres Faches zu sehen. Das Leitmotiv „Wissenschaft als unmittelbarer Produktionsfaktor" wirkt sich auch in der schematischen Gestaltung der einzelnen Fachrichtungen aus, die „entsprechend den perspektivischen Bedürfnissen der Volkswirtschaft und der Gesellschaft festzulegen" sind An die „Hauptprüfung" schließt das „Spezialstudium" an, in dem die Studenten Forschungsarbeiten unter Kontrolle des Hochschullehrers anfertigen, die sie auf einem speziellen Gebiet der Praxis zum selbständigen Arbeiten befähigen. Ein Jahr nach der Hauptprüfung erwerben die Studenten das Diplom und können sich danach nach Eignung und Neigung in einem „Forschungsstudium" (Wissenschaftsrat: „Aufbaustudium") zum „hochqualifzierten Kader" ausbilden lassen.

Die ideologische Hypothek der mitteldeutschen Studienreform

Dieses mitteldeutsche Studienreformkonzept weicht von dem des Wissenschaftsrates jedoch in einem erheblichen Punkt ab. Der Wissenschaftsrat empfiehlt zwar auch eine Dreigliederung des Studiums in ein Studium für alle Studierenden, das auf einen bestimmten Beruf vorbereitet, in ein Aufbaustudium für die an der Forschung interessierten Studenten und in ein Kontaktstudium für im Berufsleben stehende Akademiker. Auch die Unterteilung des Studiums in Grund-und Fachstudium durch eine Zwischenprüfung entspricht dem Konzept der „Empfehlungen". Ein prinzipieller Unterschied ist jedoch in der Anlage des Grundstudiums zu sehen. Während der Wissenschaftsrat sich 1966 endgültig von dem Anfang der fünfziger Jahre gepflegten Gedanken trennt, ein „Studium generale" institutionell in den Studienordnungen zu verankern erinnert die Definition des Grundstudiums in den „Prinzipien" stark an dieses Konzept: Danach hat das Grundstudium die Aufgabe: „a) allgemein naturwissenschaftliche und gesellschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche sowie fachwissenschaftliche Grundlagenkenntnisse zu vermitteln, b) zum Studium fremdsprachlicher Texte zu befähigen und c) sportlich zu bilden und die Wehrerziehung durchzuführen" Neben der Einführung in die Methoden der wissenschaftlichen Arbeit und in die fachlichen Grundkenntnisse, die der Wissenschaftsrat als Aufgabe des Grundstudiums charakterisiert, hat sich der Student in Mittel-deutschland obligatorisch den Gesellschaftswissenschaften, der Wehrerziehung und den Naturwissenschaften zu widmen. Dabei soll dem Studenten deutlich gemacht werden, daß er sein Studium als gesellschaftlichen Auftrag zu verstehen hat, dem er durch tägliche Leistungen und Treue zu den staatlichen Organen gerecht werden soll. Dieses Bewußtsein und das gesellschaftliche Wissen soll ihn dazu befähigen, jederzeit die Erkenntnisse von der „Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus, von der nationalen Mission der DDR und von der Richtigkeit der Politik der SED in verschiedenen Anforderungssituationen konsequent zu vertreten"

Die in allen Bereichen von Wissenschaft und Forschung in der DDR anzutreffenden Spezialisierungstendenzen stehen in einem auffälligen Gegensatz zu dem weitgespannten Aufgabenkatalog des Grundstudiums, in dem die sozialwissenschaftlichen Kenntnisse vertieft und die gesellschaftliche Relevanz der eigenen Arbeit („sozialistisches Berufsethos") deutlich gemacht werden sollen.

Mit leuchtenden Farben skizzierte Walter Ulbricht in seiner Festrede zum 20. Jahrestag der Wiedereröffnung der Technischen Hochschule Dresden das Bild des mitteldeutschen Hochschulabsolventen, der den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird: „Wir brauchen für unsere sozialistische Gesellschaft einen Absolventen, der 1.den Marxismus-Leninismus zutiefst begriffen hat, eine klassenmäßige Position in unserem nationalen Kampf einnimmt und die Zusammenhänge von Politik, Ökonomie, Ideologie und Wissenschaft versteht, 2. über ein breites Spektrum von Kenntnissen seines Fachgebietes verfügt, die es ihm ermöglichen, dem raschen Fortschreiten der Technik und der Wissenschaft zu folgen, 3. über spezielle moderne Kenntnisse seines Fachgebietes verfügt, über ein anwendungsbereites Wissen, das es ihm ermöglicht, den Fortschritt der Wissenschaft und Technik mitzubestimmen, 4. sich die Schätze der deutschen und der internationalen Kultur angeeignet hat."

Im Gegensatz zu den mittlerweile schon fast ein Jahrzehnt andauernden Bemühungen um eine strukturelle Studienreform in der Bundesrepublik haben die mitteldeutschen „Prinzipien" gute Chancen, schon bald in die Wirklichkeit umgesetzt zu werden. Denn die Hochschulen in der DDR besitzen keine Autonomie und selbst die Wissenschaftlichen Akademien sind von den staatlichen Leitungsorganen weisungsabhängig. Die lineare, von oben nach unten gehende Befehlsstruktur der mitteldeutschen Hochschul-und Wissenschaftspolitik gestattet großangelegte Reformexperimente ebenso wie eine rasche Strukturänderung in Hochschule und Wissenschaft. Dennoch zeigte sich bei der Diskussion der „Prinzipien" immer wieder der experimentelle Charakter dieses Vorhabens.

Der Mangel an inhaltlichen Reformvorstellungen

Im Grunde ist es das gleiche Problem, vor das sich auch die Studienreform in der Bundesrepublik gestellt sieht, wobei hier allerdings noch ein Wirrwarr von horizontalen und vertikalen Kompetenzenstrukturen hinzukommt: über die Notwendigkeit der Studienreform sind sich alle Verantwortlichen im klaren, sogar über einen organisatorischen Rahmen — in der Bundesrepublik das Wissenschafts50) ratkonzept, in der DDR die „Prinzpien" — hat man sich einigen können. Strittig ist jedoch der Inhalt jeder einzelnen Studien-und Prüfungsordnung, strittig sind die Inhalte und Methodik der obligaten Lehrveranstaltungen. Dies ist das Feld der Hochschule selbst, in der sie für eine noch so hierarchisch strukturierte omnipotente Staatsgewalt im wesentlichen unangreifbar ist.

Die Ermahnung des Staatssekretärs für das Hochschul-und Fachschulwesen, Prof. Dr. Ernst Joachim Gießmann, die Hochschulen mögen die „Prinzipien" nicht als eine Umgestaltung der Ausbildung, sondern als eine Anleitung dazu verstehen, wirft ein Schlaglicht auf die „Interpretationsschwierigkeiten", von denen eine FDJ-Zeitschrift im Hinblick auf die Differenzen zwischen Lehrkörper und Studenten bei der Diskussion der „Prinzipien" spricht Professor Gießmann warnt davor, in organisatorischen Veränderungen wie der Einführung der Vorprüfung schon die Verwirklichung der „Prinzipien" selbst zu sehen:

. Tendenzen zu voreiligen organisatorischen Lösungen — vor allem in Leitungs-und Strukturfragen — sind schon während der Diskussion über die . Prinzipien'verschiedentlich aufgetaucht. Es wäre z. B. völlig verfehlt, die erforderliche Neugestaltung der Studien-programme und -pläne auf die Verlagerung einzelner Fächer in andere Phasen des Studiums, auf die Umgruppierung der Fächer und der ihnen zugeordneten Stunden zu reduzieren. Und selbst ein inhaltlich und methodisch richtig orientierendes Studienprogramm ist noch nicht die Umgestaltung der Ausbildung selbst, sondern erst eine Anleitung dazu. Die in den . Prinzipien'geforderte Umgestaltung der Ausbildung erfordert eine intensive wissenschaftliche Arbeit jedes einzelnen Hochschullehrers, jedes wissenschaftlichen Mitarbeiters. Inhalt und Methodik jeder Lehrveranstaltung und ihre Stellung im einheitlichen System aller Lehrveranstaltungen sind neu zu bestimmen und neu zu erarbeiten."

Eine ähnliche Kontroverse wurde auch in der westdeutschen Diskussion um die Studienreform geführt. Als der Wissenschaftsrat mit seinem Konzept an die Hochschulen herantrat, wurde der Vorschlag zwar insgesamt als diskutabel, im Detail jedoch als undurchführbar erklärt, weil er die akademische Freiheit von Studierenden und Lehrenden einzuengen drohe. Der Vorschlag, eine obligatorische Zwischenprüfung einzuführen, wurde jedoch in den Hochschulen als entscheidender Beitrag zur Lösung der Überführungsprobleme und zur Straffung des Studiums begrüßt. Dagegen wehrten sich die Studenten mit Erfolg, indem sie die isolierte Einführung einer Zwischenprüfung als Therapie an Symptomen und Reformsurrogat charakterisierten Mittlerweile haben die Fakultätentage Studien-und Prüfungsreformkommissionen gebildet, die teilweise detaillierte inhaltliche Vorschläge ausgearbeitet haben. Vor allem in den Massenfächern sind schon weitgehende Reform-maßnahmen realisiert. Die Dozenten und Institutsmitarbeiter können ihren Studenten nun meistens verbindlich sagen, welche Anforderungen in den einzelnen Studienphasen und Prüfungen gestellt werden.

Strukturelle Neuordnung der Hochschulorganisation

Das Schwergewicht der Diskussion hat sich in der Bundesrepublik wie in der DDR von der Studienreform auf die Hochschulreform verschoben, Hier geht es um das Sachproblem der optimalen Effizienz der Hochschuleinrichtungen. Aus diesem Grunde ist es nicht verwunderlich, daß das Hauptaugenmerk in der DDR wie in der Bundesrepublik auf den gleichen Gegenständen liegt. Im einzelnen sind dies die Auflockerung der Fakultäten, Neuordnung der Stellung des akademischen Mittelbaus und des Hochschullehrers, das Habilitations-und Berufungswesen sowie die Verbesserung der Lehre durch den Aufbau einer eigenen Hochschuldidaktik. Nicht nur der Katalog der Gegenstände, auch die sich abzeichnenden Tendenzen ähneln sich. So setzt sich z. B. in der DDR wie in der Bundesrepublik die Einsicht durch, daß die herkömmlichen Hochschulinstitute zu klein und die Fakultäten zu groß sind, um die vorhandenen Kapazitäten voll auszunutzen und um einen fruchtbaren Kontakt mit thematisch ähnlich orientierten Kollegen zu bekommen.

In der Bundesrepublik wird der Gedanke fach-übergreifender Institute, Abteilungen und Departments diskutiert, die insbesondere an den Universitäten Konstanz, Bochum und München in einigen Disziplinen erprobt werden.

In der DDR bemüht man sich um den Aufbau von „Sektionen", die von Ulbricht als Zentren definiert werden, „die gleichermaßen der Lehre und der Forschung dienen. So entstehen größere Arbeitskollektive, die auch über die bestehenden Fakultätsgrenzen hinausgehen können. Die sozialistische Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaftlern verschiedener oder verwandter Wissenschaftsgebiete wird auf einer höheren Stufe möglich. Zugleich wird damit eine neue Leitungsebene geschaffen, die dem Stand der Wissenschaft und der Entwicklung der sozialistischen Demokratie entspricht und die auch ökonomischen Erfordernissen gerecht wird. Bei der Entwicklung von Sektionen ist vom perspektivischen Profil der Hochschule, den Aufgaben in der Lehre und im Perspektivplan der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung auszugehen. Die Sektionen fördern die Integration und Kooperation der Wissenschaften und die Entwicklung der Grenzgebiete der Wissenschaften und neue Wissenschaftsdisziplinen."

Um die Jahreswende 1967/68 gab es bereits 18 Sektionen vor allem im naturwissenschaftlich und technischen Bereich, so z. B. für Schiffstechnik und Elektronik an der Universität Rostock Mit „Sektionen" bzw. „Departments" wird versucht, die an den Hochschulen der DDR und der BRD noch bestehende Ordinariatsverfassung an einem ihrer neuralgischsten Punkte, der Suprematsstellung des Ordinarius, neu zu ordnen. Die Stellung des akademischen Mittelbaus und sein Verhältnis zum Ordinarius wurden hier wie dort in die Diskussion mit einbezogen. Dabei wirkte als Aggregat für die Neuordnungsbemühungen der Unmut über das hierarchische Element, das in der stufenförmigen Gliederung des Lehrkörpers enthalten ist.

In der DDR steht eine Neuordnung unmittelbar bevor. Auf der 4. Hochschulkonferenz erläuterte Professor Dr. Gregor Schirmer, Stellvertreter von Staatssekretär Professor Gießmann, die geplanten Rechtsnormen für Hochschullehrer und wissenschaftliche Mitarbeiter. In Zukunft soll nur noch zwischen ordentlichen Professoren und Hochschuldozenten unterschieden werden. Neben diesen beiden Kate-gorien des Lehrkörpers soll ein System von nebenamtlichen Hochschullehrern geschaffen werden, nämlich Honorarprofessor und Dozent. Auf diese Weise könne man Praktiker und Wissenschaftler anderer Einrichtungen in stärkerem Umfang als bisher für die Hochschule gewinnen

In der Bundesrepublik werden ähnliche Überlegungen angestellt. Die Forderung nach einer stärkeren Einbeziehung von Praktikern in den Hochschulbetrieb fand sogar Eingang in das sogenannte Sieben-Punkte-Programm der Kultusministerkonferenz mit der Länderkultusminister zum erstenmal konkrete Reform-elemente in einen größeren Zusammenhang stellten. Die in Punkt vier ausgesprochene Strukturreform des Lehrkörpers geht auf die Stellung der Assistenten ein und verlangt die Aufhebung unangemessener Abhängigkeiten von einzelnen Lehrstühlen. Die Assistenten sollen in Zukunft größeren Forschungseinheiten zugeordnet und ihre Verpflichtungen inhaltlich wie zeitlich genau fixiert werden. Da-von erhoffen sich die Kultusminister auch einen Nebeneffekt auf die häufig langwierige Prozedur der Habilitation. Auch hier soll die Abhängigkeit des Habilitanden von seinem Habilitationspromotor abgebaut werden.

Während in der westdeutschen Diskussion das Postulat nach einer größeren Selbständigkeit des Assistenten im Vordergrund steht, wird in Mitteldeutschland die Unterstützungsfunktion für die Professoren herausgestrichen. Professor Schirmer definierte auf der Hochschulkonferenz als Aufgabe des wissenschaftlichen Mitarbeiters, „die Leiter auf den verschiedenen Ebenen bei der Planung, Leitung und Organisation der wissenschaftlichen Arbeit zu unterstützen." Berufungen sollen in Zukunft in weit stärkerem Umfang als bisher in beiden Teilen Deutschlands an nichthabilitierte Wissenschaftler und Praktiker ausgesprochen werden, obwohl man weder in der Bundesrepublik noch in der DDR den Gedanken ernsthaft prüft, die facultas docendi als Berufungsvoraussetzung generell abzuschaffen

Prognostik und Bildungsplanung

Als generelles Problem bei allen Bemühungen um die Veränderungen in der Hochschule schält sich in der Diskussion diesseits und jenseits der Demarkationslinie immer mehr die Frage heraus, wie die Hochschule morgen aussehen muß, um den Bedarf von Staat und Gesellschaft an Fachkräften zu decken. Dabei geht es nicht nur um die ausreichende Anzahl von Kräften mit einer ausreichend hohen Qualifikation; von der gleichen Bedeutung ist die Frage, auf welchen Gebieten die Hochschulen neue Berufsausbildungsmöglichkeiten und Forschungskapazitäten zu schaffen haben. In der DDR laufen die Versuche, das künftige Portrait der Hochschulen vorauszusehen, unter der Rahmenbezeichnung „Prognostik", in der Bundesrepublik beschäftigen sich die Bildungsund Hochschulplanung sowie die Berufsforschung mit diesen Fragenstellungen. Obwohl von der Bedeutung dieser Fragestellungen überzeugt, ist man weder in der Bundesrepublik noch in der DDR über die Erarbeitung von Experimentalinstrumenten und ersten Anwendungsversuchen hinausgekommen. Der 4. Hochschulkonferenz der SED wurden Materialien zur prognostialen Einschränkung der Entwicklung der Hochschulen bis 1980 vorgelegt, an denen über 100 Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen, Wirtschaftler und Politiker gearbeitet haben. Es wurde betont, daß man an die Aufgabe gehen könne, auf der Grundlage dieser Prognosen neue Ausbildungspläne ausarbeiten Auf das Instrumentarium der Prognostik werden große Hoffnungen gesetzt. Walter Ulbricht pries die marxistisch-leninistische Gesellschaftsprognostik auf der internationalen wissenschaftlichen Session „ 100 Jahre , Das Kapital'" als eine Disziplin, die immer mehr den „Charakter einer exakten Wissenschaft" bekommen habe. Ihre Funktion definierte Herbert Edeling kürzlich im theoretischen Organ der SED, die „Einheit": „Als Einheit von wissenschaftlicher Theorie und revolutionärer Praxis dient sie der Gewinnung von Informationen über die zukünftig mögliche Entwicklung der gesellschaftlichen Prozesse in Gesamtsystemen und in den Teilsystemen der sozialistischen Gesellschaft." Hauptgegenstand der Prognostik ist die „Einschätzung der voraussichtlichen Entwicklung von Wissenschaft und Technik und der Möglichkeiten ihrer produktiven Nutzung". Da eine Prognose „im Sozialismus eine gesetzmäßige begründete Aussage über den Inhalt, die Richtung, den Umfang und die Verflechtung objektiv möglicher Prozesse im Gesamtsystem und in den Teilsystemen der sozialistischen Gesellschaft" ist, werden die Ergebnisse der Prognostik in der DDR einen immer stärkeren Einfluß auf die konkrete Umgestaltung des Hochschulwesens und der Forschungsorganisation erhalten.

Auch in der Bundesrepublik hat sich die Bildungsforschung und -planung mittlerweile als Faktor im hochschulpolitischen Entscheidungs'

prozeß etabliert. Dazu haben insbesondere die Arbeiten des Berliner Max-Planck-Instituts fül Bildungsforschung sowie die Analysen und Prognosen des Wissenschaftsrates beigetragen.

Das baden-württembergische Kultusministerium unter der Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Hahn kann darüber hinaus als erstes Kultusministerium der Bundesrepublik das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die anstehenden bildungs-und hochschulpolitischen Probleme systematisch mit den Methoden der Bildungsforschung aufbereitet zu haben. Insbesondere der unter dem Vorsitz von Prof. Ralf Dahrendorf von einer Kommission erarbeitete Hochschulgesamtplan hat entscheidend dazu beigetragen, der Bildungsplanung in weiten Kreisen von Politik und Öffentlichkeit Respekt zu verschaffen. Darin wird der für die deutsche Hochschultradition revolutionäre Vorschlag gemacht und in Einzelheiten ausgeführt, einen „differenzierten Gesamthochschulbereich" zu schaffen. In ihn sollen die Universitäten und Technischen Hochschulen und Medizinischen Akademien ebenso integriert werden wie die Pädagogischen Hochschulen, Musik-und Kunstakademien, Ingenieurschulen und andere vergleichbare Ausbildungseinrichtungen.

Im Gegensatz zur Bildungsplanung hat sich die Prognostik in der Bundesrepublik noch nicht etablieren können. Es gibt zwar zahlreiche mit den Methoden der Bildungsforschung und -Ökonomie arbeitenden Prognosen, ihre Ansätze sind teilweise jedoch so unterschiedlich, daß sich ihre Ergebnisse widersprechen. Bezeichnendes Beispiel sind zwei Arbeiten von Hajo Riese und Hans Peter Widmeier, die beide im Institut des Baseler Ökonomen Prof. Bombach entstanden sind. Während Widmeier zu dem Ergebnis kommt, daß der Bedarf* an Akademikern bis 1981 um 40% ansteigen wird und einen entsprechenden Ausbau der Hochschulen für notwendig hält, hält die Riese-Studie die gegenwärtigen Absolventen-zahlen für ausreichend, um den Akademiker-bedarf bis in die achtziger Jahre zu decken Einander widersprechende sozialistische Analysen und Prognosen gibt es natürlich nicht, das heißt, sie werden nicht veröffentlicht.

Die Meisterung der technischen Revolution als gemeinsames Ziel der Wissenschaftspolitik

Die Planung der zukünftigen Hochschulen müßte demnach in der DDR um vieles leichter sein als in der Bundesrepublik. Daß die Hochschulreform jenseits der Demarkationslinie insgesamt nicht viel weiter ist als in der Bundesrepublik, deutet darauf hin, daß man sich dort trotz aller Planungsgläubigkeit der Schwierigkeiten bewußt ist, die sich dem Unternehmen stellen, die Zukunft transparent machen zu wollen. Hier wie drüben hat ein von diagonal verschiedenen Ausgangspunkten gestarteter Lernprozeß zu einem ähnlichen Ergebnis geführt: In der Bundesrepublik hat man sich in den letzten Jahren von der optimistischen Vorstellung gelöst, man müsse nur das traditionale gewachsene Bildungs-und Hochschulwesen der Nachfrage entsprechend expandieren, um alle zukünftigen Bedürfnisse nach qualifizierten Kräften optimal zu befriedigen. Strukturelle Reformen, systemimmanente Angelpunkte wie Abitur, die strenge Differenzierung zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Ausbildung, die Einheit von Lehre und Forschung sowie die Autonomie der Hochschule und im gesamtstaatlichen Bereich der Kulturföderalismus werden heute in Frage gestellt; Bildungsforschung und Bildungsplanung werden zu Rate gezogen, um das Angebot in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen und zukünftigen Nachfrage nach Fachkräften in Übereinstimmung zu bringen.

In der DDR war man jahrelang der mittlerweile ebenfalls überholten Ansicht, nach der sozialistischen Umgestaltung der Hochschule, die keine Konsequenz auf die Struktur, wohl aber auf die Inhalte des Studiums und die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft hatte, garantierten die durch Perspektivpläne gesetzten Pflöcke die optimale Effizienz der Kapazitäten ebenso wie die Deckung des Akademikerbedarfs. Mit der Institutionalisierung der „Prognostik" als marxistisch-leninistische Wissenschaft par excellence versucht die SED die neuentdeckten Imponderabilien der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung in den Griff zu bekommen. Inwieweit das gelingt, läßt sich heute für die DDR ebenso wenig voraussagen wie für die entsprechenden Bemühungen in der Bundesrepublik. Dennoch gibt es in der Forschungspolitik Anzeichen dafür, daß die Kombination von Elementen des freien Kräftespiels und Elementen der Planung in der Bundesrepublik besser gelungen ist als in der DDR, obwohl auch in der Bundesrepublik von einer optimalen Forschungspolitik noch nicht die Rede sein kann. Das Postulat, die Wissenschaft primär als unmittelbare Produktivkraft zu sehen und zu benutzen, hat in der DDR dazu geführt, daß die Grundlagenforschung und die Gegenstände fachübergreifender Forschung sträflich vernachlässigt werden. Die auf die Auftragsforschung zugeschnittene Forschungsorganisation und -finanzierung in der DDR gestattet solange keine über rudimentäre Ansätze hinauskommende Grundlagenforschung, wie das Denkmodell der kurz-und mittelfristigen Umsetzung von Wissenschaft in ökonomische Produktivität nicht zugunsten eines langfristigen Konzeptes in seiner Monopolstellung abgebaut wird.

Trotz der konzeptionellen Unterschiede in der west-und mitteldeutschen Hochschul-und Forschungspolitik verdient die prinzipielle Gemeinsamkeit unterstrichen zu werden, daß sowohl in der DDR wie in der Bundesrepublik dieser Gegenstand des politischen Denkens und Handelns immer mehr an die Spitze des Prioritätenkatalogs rückt. Beide Teile Deutschlands schicken sich an, die wissenschaftlich-technische Revolution zu meistern. Sie tun gut daran, sich auf diesem Gebiet miteinander zu messen. Sie täten besser daran, Methoden und Konzepte des anderen nicht jeweils pauschal zu verwerfen, sondern voneinander zu lernen. Aus den Fehlern und Erfolgen des anderen zu lernen, erspart nicht nur geistige und materielle Fehlinvestitionen, es ist auch eine Möglichkeit, Gemeinsamkeiten wiederzuentdecken und neue Gemeinsamkeiten zu schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bundesbericht Forschung I, Bonn 1965, Vorwort.

  2. Ernst Richert, Sozialistische Universität, in: Die Hochschulpolitik der SED, Berlin 1967, S. 227.

  3. Dokumente zur Bildungspolitik in der Sowjetisch Besetzten Zone, zusammengestellt und erläutert von Siegfried Baske und Martha Engelbert, hrsg. v. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Berlin-Bonn 1966, S. 302; vgl. auch: Wolfgang Bergsdorf, Produktionsfaktor: Wissenschaft, in: Die Neue Gesellschaft 2/68 S. 167 ff.

  4. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1967, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1967, S. 479.

  5. A. a. O„ S. 476.

  6. Gerhard Kath, Das soziale Bild der Studentenschaft, Bonn 1964.

  7. A. a. O., S. 27.

  8. Daß die Bildungsexpansion in der Bundesrepublik nicht nur erfreuliche Perspektiven eröffnet, sondern auch das Problem der Hochschulkapazitäten in einer unvorhergesehenen Weise verschärft hat, wird aus der aktuellen Diskussion um die so-genannte „ Akademiereife" und die „Fachhochschule" deutlich. Mit dem Konzept der Fachhochschule, einer Art Subuniversität, nimmt die Bundesrepublik endgültig von der Vorstellung Abschied, die Flut der Studienberechtigten an den Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen verkraften zu können, wie es der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen von 1960 noch für möglich ge-

  9. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 8. April 1968, Artikel 17.

  10. Professor Recknagel, Prorektor für Forschungsangelegenheiten der Technischen Universität Dresden, zitiert nach: Forschung, Lehre, Praxis 4/66, S. 7.

  11. Errechnet nach: Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1967, a. a. O., S. 477, und Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970, vorgelegt im Juli 1967, Tabelle 10, S. 296 ff.

  12. Bundesbericht Forschung II, vorgelegt vom Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, Bonn 1967, S. 128, 133.

  13. Einheit, Heft 11/1967, S. 1401 ff. Interview mit Staatssekretär Dr. Gerhard Merkel.

  14. Bundesminister Stoltenberg in einer Pressekonferenz am 7. Juni 1968 in Bonn; vgl. auch: Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung, Pressedienst 11/68, S. 93.

  15. Vgl. die Erklärung des Wissenschaftsrates zur Einrichtung von Sonderforschungsbereichen vom 10. Juli 1968.

  16. Bundesbericht Forschung II, a. a. O.

  17. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970, Bonn 1967, S. 227.

  18. A. a. O., S. 229. Die Pläne zur Einrichtung von Sonderforschungsbereichen sind mittlerweile weiter präzisiert worden. Am 10. Juli erläuterte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Leussingk, in Köln das im Juni fertiggestellte Verzeichnis für 1968.

  19. Bundesminister Stoltenberg in einer Pressekonferenz am 30. Juni in Bonn, vgl.: Forschung braucht konzentrierte Aktion, in: Westdeutsche Allgemeine, Essen, 1. 8. 1967.

  20. Handbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) o. J. (wahrscheinlich 1965), S. 686; absolute Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Inwieweit die militärische Forschung in diesem Anteil enthalten ist, bleibt unklar.

  21. Kurt Wichmann, Vertragliche Sicherung von wissenschaftlich-technischen Forschungsaufgaben, in: Forschung, Lehre, Praxis, 2/1967, S. 12 ff.

  22. Die bekannteste Ausnahme ist das Forschungsinstitut der Carl Zeiss Werke in Jena.

  23. Für die Staatsausgaben vgl. Bundesforschungsbericht II, a. a. O.; für die Wissenschaftsaufwendung des privaten Sektors vgl. Wissenschaftsausgaben der Wirtschaft 1964, hrsg. vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Essen o. J. (1967).

  24. Elmar Freund, Forschung — der dritte Faktor, Mainz 1967, S. 27, Tab. 15 und S. 28, Tab. 16; vgl. Elmar Freund, Die industrielle Forschung der Bundesrepublik; in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 16/68, S. 10 f.

  25. Finanzbericht 1967 der Bundesregierung; vgl. auch: Kulturpolitik der Länder, 1965— 1966, hrsg. von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, Bonn 1967, S. 325.

  26. Statistisches Jahrbuch der DDR, a. a. O., S. 21; vgl. auch: Ludwig Auerbach, Industrielle Forschung und Entwicklung in Mitteldeutschland in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17/68, S. 4 f.

  27. Vgl. hierzu auch: Ludwig Auerbach, Industrielle Forschung . . ., a. a. O., S. 14 ff.

  28. Handbuch der DDR, a. a. O., S. 695.

  29. Bundesforschungsbericht II, a. a. O., S. 131.

  30. Siehe auch: Renate Rausch, Organisation der Forschung in der DDR, in: Studien und Materialien zur Soziologie der DDR, hrsg. von Peter Christian Ludz, Sonderheft 8 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln 1964, S. 265 f.

  31. Bundesforschungsbericht II, vorgelegt vom Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, Bonn 1967, S. 133.

  32. Renate Rausch, a. a. O., S. 270, Belege ebend.

  33. Programm der SED, hrsg. u. erläutert von Stephan Thomas, Köln 1967, S. 65.

  34. Renate Rausch, a. a. O., S. 275.

  35. A. a. O., S. 27 und 37 ff. Vgl. dazu auch: Elmar Freund: Die industrielle Forschung... a. a. O.; Freund bringt nach unten abweichende Zahlen, die allerdings aus früheren Jahren stammen. Die Differenz dürfte auch auf die statistische Berücksichtigung des nicht „full-time" beschäftigten Personals zurückzuführen sein.

  36. A. a. O.

  37. Claus Müller-Daehn, Abwanderung deutscher Wissenschaftler, Göttingen 1967, S. 61 ff.

  38. Hier vor allem: Claus Müller-Daehn, a. a. O.

  39. Nähere Angaben hierzu und zu den Absätzen DFG und Industrieforschung: Bundesforschungsbericht I und II, a. a. O., sowie: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Aufgaben und Finanzierung II, 1966 bis 1968, Wiesbaden 1965, Elmar Freund, Forschung a. a. O.

  40. Vgl. die industriellen Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklungen, a. a. O., S. 15.

  41. Sie wurden auf Anregung von Walter Ulbricht 1965 konzipiert, 1966 veröffentlicht und auf der 4. Hochschulkonferenz im Frühjahr 1967 in Berlin verabschiedet. Vgl. Prinzipien zur weiteren Entwicklung der Lehre und Forschung an den Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Beiträge: Das Hochschulwesen (HSW) 1 und 2/66, S. 3— 5. Wolfgang Buchow, Aktuelle Aspekte und Tendenzen der Hochschulreform in der DDR, in: Deutschland-Archiv Juni 1968, S. 239 ff.

  42. Zit. nach: Dokumente der Zeit, Berlin (Ost) 377/1967 S. 4.

  43. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Neuordnung des Studiums an den Wissenschaftlichen Hochschulen (von der Vollversammlung des Wissenschaftsrates am 14. Mai 1966 verabschiedet), Bonn 1966.

  44. Dokumente der Zeit, a. a. O., S. 7.

  45. A. a. O.

  46. Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums, a. a. O.

  47. Diese Idee fand in dem berühmten „Blauen Gutachten" zur Hochschulreform in der Britischen Besatzungszone vom 26. 10. 1948 seinen Niederschlag und ist dann 1950 in der Denkschrift des Kongresses für studentisches Gemeinschaftsleben und Studium generale sowie in den sog. Oberaudorfer und Weilburger Tagungen präzisiert worden. Dahinter stand die Hoffnung, durch fachübergreifende Studien während der Anfangssemester, den Blick des Studenten für Zusammenhänge zu schärfen und so dem politisch gefährlichen , Fachidiotentum'vorzubeugen.

  48. Prinzipien, a. a. O., S. 3— 5.

  49. HSW 1/67, S. 10 ff.

  50. Neues Deutschland, 5. 11. 1966, S. 1.

  51. Die wichtigsten Schaltstellen der wissenschaftspolitischen Befehlsstruktur sind das Sekretariat für

  52. Forum, 6/1968, S. 5.

  53. Protokoll 4. Hochschulkonferenz, Berlin 1967, S. 23 ff.

  54. Vgl. für die Kritik der studentischen Seite: Heinz-Theodor Jüchter, Wolfgang Heinz, Studienreform 1965, Schriften des Verbandes Deutscher Studentenschaften, Bonn 1965, und Heinz-Theodor Jüchter, Studienreform 1966, Bonn 1966.

  55. Vgl. hierzu vor allem: Wolfgang Buchow, Aktuelle Aspekte, a. a. O.

  56. Einzige Ausnahme ist die in der Bundesrepublik mit leidenschaftlicher Heftigkeit diskutierte Mitbestimmungsfrage, die in der DDR völlig tabuisiert ist und bleiben dürfte, obwohl sich die Anzeichen studentischen Unmuts in den letzten Monaten zu mehren scheinen.

  57. Neues Deutschland, 18. 12. 1965, S. 9.

  58. Wolfgang Buchow, Aktuelle Aspekte . . ., a. a. O., S. 245.

  59. Protokoll 4. Hochschulkonferenz, a. a. O., S. 77 f.

  60. Die „Grundsätze für ein modernes Hochschulrecht und für die strukturelle Neuordnung des Hochschulwesens“ wurden von der 122. Plenarsitzung der Kultusminister-Konferenz der Länder (KMK) in Bonn am 10. April 1968 beschlossen. Abgedruckt in: Kulturpolitischer Informationsdienst (KI) 8/1968 S. 124 ff.

  61. Protokoll Hochschulkonferenz, a. a. O., S. 79.

  62. A. a. O., S. 80 und KMK Sieben-Punkte-Programm, a. a. O., S. 125.

  63. Protokoll Hochschulkonferenz . . ., a. a. O, S. 252.

  64. Walter Ulbricht, Die gesellschaftliche Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Vollendung des Sozialismus, Berlin (Ost), 1967, s. § 2.

  65. Einheit 12/67, S. 1454 f.

  66. A. a. O., S. 1457.

  67. Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg, Empfehlungen zur Reform von Struktur und Organisation, in: Bildung in neuer Sicht, Schriftenreihe des Kultusministeriums Baden-Württemberg zur Bildungsforschung, Bildungsplanung, Bildungspolitik, Reihe A Nr. 5, Villingen 1967.

  68. Hajo Riese, Die Entwicklung des Bedarfs an Hochschulabsolventen in der BRD, Wiesbaden 1967; Hans Peter Widmeier, Mitarbeiter, Bildung und Wirtschaftswachstum, in: Bildung in neuer Sicht, a. a. O., Reihe A Nr. 3, Villingen 1966.

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Wolfgang Bergsdorf, Referent im Kulturpolitischen Büro der CDU/CSU in Bonn und Redakteur des „Kulturpolitischen Informationsdienstes", Studium der Politischen Wissenschaften und Soziologie in Bonn, Köln und München, Autor bildungs-und wissenschaftspolitischer Beiträge für Rundfunkanstalten, Wochenzeitungen und Zeitschriften.