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Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa seit 1948 | APuZ 46/1968 | bpb.de

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APuZ 46/1968 Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa seit 1948

Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa seit 1948

Günter Bartsch

1. Zu den Begriffen

Inhalt dieser Ausgabe Inhalt der nächsten Ausgabe l. Zu den Begriffen 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Der Charakter des Stalinismus Industrialisierungsmethode Entstehung einer neuen Bürokratie Herausbildung eines privilegierten Systems Anwendung des Terrors als Methode Vorherrschaft der großrussischen Fraktion Primat des sowjetischen Staatsinteresses Hat es eine Sowjetisierung gegeben? Triebkräfte der osteuropäischen Revolution Die drei Achillesfersen Die fünf Stützen Die Verwandlung Zwischen Nation und UdSSR Auftakt

Der politische und der geographische Begriff von „Osteuropa" decken sich nicht. Wir verwenden hier ausschließlich den politischen. Mit „Osteuropa" meinen wir also alle kommunistisch beherrschten Länder Europas westlich der UdSSR einschließlich der DDR. Wir unterscheiden in bezug auf diesen Staaten-komplex nur zwischen der Sowjetunion und den Volksdemokratien. Zwar entsprechen beide Namen nicht ihrem Inhalt, doch wollen wir keine neuen erfinden, sondern sie neutral verwenden.

Der Begriff „Revolution in Osteuropa" oder „osteuropäische Revolution" umfaßt alle Formen jenes Prozesses, der sich als Gegenbewegung zum Stalinismus sowie zur Russifizierung und Bolschewisierung der Volksdemokratien bisher abgespielt hat, aber auch sein Übergreifen auf die Sowjetunion selbst und die Impulse, die von dort aus zurückwirkten. Warum es sich unseres Erachtens um eine Revolution handelt, wird sich teils aus der Darstellung selbst ergeben, teils abschließend ausgeführt werden.

2. Der Charakter des Stalinismus

Industrialisierungsmethode Der Stalinismus war eine Brachialmethode zur Industrialisierung. Normalerweise wäre es wie in Westeuropa auch in Rußland Sache des Bürgertums gewesen, die Industrialisierung durchzuführen. Das russische Bürgertum hatte sich jedoch unter dem erdrückenden Gewicht des zaristischen Verwaltungs-und Militär-staates nur schwach entwickeln können. Nach der bolschewistischen Machtergreifung wurde es enteignet und dezimiert. Die Kommunisten übernahmen die in Westeuropa vom Bürgertum gespielte Rolle.

Jener Prozeß der Akkumulation und Zentralisation des Kapitals, den Marx in seinem Hauptwerk analysiert, aber auch gegeißelt hatte, weil er mit der rücksichtslosen Ausnutzung menschlicher Arbeitskraft und der Vertreibung vieler Bauern von ihrem Boden verknüpft war, wurde nun in Rußland nicht von den „Kapitalisten", sondern von den Kommunisten forciert. Aber während sich in Westeuropa als Gegenkraft zu den verheerenden sozialen Folgen der industriellen Revolution die Arbeiterbewegung entfalten und diese, beginnend mit der englischen Zehnstundenbill, die Sozialgesetzgebung in Gang bringen konnte, wurde die russische Arbeiterbewegung, aus der die Kommunisten größtenteils selbst hervorgegangen waren, unter ihrer Herrschaft entmachtet. Sie verstaatlichten nicht nur die Gewerkschaften, sondern verwandelten sie sogar in ein

Instrument der nun „sozialistisch" genannten Akkumulation und Zentralisation des Kapitals. So der sozialen Bremse beraubt, nahm die russische Industrialisierung noch unmenschlichere Formen als die westeuropäische an. Sie stützte sich weitgehend auf Zwangsarbeit oder auf Zwangsarbeitsdrohung, die nach einer Verordnung vom 26. Juni 1940 schon ausgesprochen werden konnte, wenn ein Arbeiter mehr als 20 Minuten zu spät in den Betrieb kam. Unter dem Vorwand der Gleichberechtigung beider Geschlechter wurden ungezählte Frauen zu schwersten körperlichen Arbeiten, darunter in Bergwerken und im Straßen-und Bahnbau, verpflichtet. Den Arbeitern war der „eigenmächtige" Arbeitsplatzwechsel verboten. Die Unternehmerinitiative wurde völlig unzureichend durch Stachanowsystem und Normen-schraube ersetzt. Nicht nur die „Kulaken", sondern fast alle Bauern erlitten das Schicksal, von ihrem Boden vertrieben und in Kolchosen oder Sowchosen gepreßt zu werden, deren „Überschüsse" zum Import von Maschinen verwendet wurden.

Entstehung einer neuen Bürokratie Unter dem Stalinismus vollzog sich die Ablösung des Sowjetsystems zugunsten eines bürokratischen Systems. Diese Entwicklung hatte schon unter Lenin begonnen.

In Rußland gab es zweimal eine Doppelherrschaft. Die erste war durch den Dualismus von Provisorischer Regierung und Petrograder Sowjet charakterisiert — die formelle Macht lag bei der Regierung, die faktische Macht beim Sowjet Sie begann im März 1967 und endete mit der bolschewistischen Oktoberrevolution. Das kommunistische Rußland wurde als Sowjetmacht begründet. Die zweite Doppelherrschaft bestand im Dualismus von formeller Herrschaft der Sowjets und faktischer Herrschaft der bolschewistischen Partei. Sie begann am Tage nach der Oktoberrevolution und endete etwa drei Jahre später mit der Ausschaltung der linken Sozialrevolutionäre und Menschewiki aus den Sowjets; von da an war in diesen als einzige Partei nur noch die kommunistische vertreten. Gegen die Bolschewisierung der Sowjets wandte sich der Kronstädter Aufstand vom März 1921, der die Entwicklung jedoch nicht mehr rückgängig machen konnte.

Selbst Lenin stemmte sich gegen den nun einsetzenden Prozeß der bürokratischen Wucherung. Der kommunistische Bürokrat, sagte er, sei noch schlimmer als der zaristische, zumal er das Parteibuch besitze. Der kommunistische Apparat sei „nur ganz leicht mit Sowjetöl gesalbt" Ein Jahr vor seinem Tode schrieb Lenin, daß „die Umgestaltung unseres Apparats, der überhaupt nichts taugt" zu den beiden Hauptaufgaben der kommenden Jahre gehöre. Wenig später machte er den Vorschlag, daß an jeder Sitzung des Politbüros der Kommunistischen Partei eine geschlossene Gruppe von Vertretern der Arbeiter und Bauern teilnehmen müßte, um „Anfragen einzubringen, Dokumente zu überprüfen und überhaupt unbedingte Informiertheit und strengste Korrektheit der Arbeiter herbeizuführen" Lenin traute der Spitze seiner eigenen Partei nicht mehrl

Noch in seinem letzten Artikel (vom 2. März 1923) kam er auf das für ihn brennendste, sorgenvollste Problem, die „Erneuerung des Staatsapparates", zurück, mit dem es „traurig, um nicht zu sagen abscheulich" stünde: „Schon seit fünf Jahren sind wir geschäftig dabei, unseren Staatsapparat zu verbessern, aber das ist eben nur Geschäftstätigkeit, die in den fünf Jahren lediglich ihre Untauglichkeit oder sogar ihre Nutzlosigkeit oder sogar ihre Schädlichkeit bewiesen hat. Als Geschäftigkeit erweckte sie bei uns den Schein einer Arbeit, während sie in Wirklichkeit unsere Institutionen und Gehirne verunreinigte. Das muß endlich anders werden."

An solchen Äußerungen, die immer dringlicher und verzweifelter wurden, läßt sich verfolgen, wie Lenin das Steuer entglitt. Umsonst suchte er einen Entwicklungsprozeß aufzuhalten, den er mit der Verflechtung von Partei und Staat selbst eingeleitet hatte. Zunächst setzte sich die Kommunistische Partei an die Stelle der Sowjets. Dann erhob sich über diese Partei deren eigener Parteiapparat. Und dieser Apparat, an dessen Spitze Stalin als Generalsekretär stand, wurde zur Keimzelle eines bürokratischen Systems, das nur noch insofern kommunistisch ist, als es den Interessen einer neuen Herrschaftsklasse dient, die sich aus der Kommunistischen Partei als ihrer politischen Basis rekrutierte. Das bürokratische System ist das System der „neuen Klasse", deren unumschränkte Herrschaft der Stalinismus war. Wie schon Djilas festgestellt hat, zeigt sich diese Klasse an den Arbeitern nur noch „in dem Maße interessiert, als es nötig ist, die Produktion weiter zu entwickeln und diese aggressivsten und rebellistischsten sozialen Kräfte unter Druck zu halten." Ähnliches gilt für die proletarisierte Bauernschaft.

Herausbildung eines privilegierten Systems Das bürokratische System hatte schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem ursprünglichen Sowjetsystem nichts mehr zu tun; von diesem sind nur die Fassaden stehengeblieben. Das Sowjetsystem war gegen die bisher Privilegierten gerichtet und egalitär. Es sollte die Grundlage einer klassenlosen Gesellschaft sein. Das bürokratische System errichtete eine neue Hierarchie von Privilegierten.

Lenin hatte bereits im April 1917 verlangt, daß die hauptberuflichen Funktionäre des künftigen Sowjetstaates „nicht über den Durchschnittslohn eines guten Arbeiters hinaus bezahlt werden dürften, um die Herausbildung einer neuen Klasse zu verhindern. Schon in der ersten Sitzung des Rates der Volkskommissare nach dem gelungenen Oktoberaufstand setzte er durch, daß für die Minister nur ein Gehalt von 500 Rubeln festgesetzt wurde (Chruschtschow sollte später 105 000 Rubel monatlich bekommen).

Ein ähnliches Maximum — das sogenannte Partmaximum — ist damals auch für bezahlte Parteifunktionäre eingeführt worden. Stalin hob jedoch diese Begrenzungen auf. Mehr noch, für die Mitglieder des Politbüros wurden unbegrenzte Konten eingeführt: sie konnten sich aus der Staatskasse jederzeit beliebig hohe Summen auszahlen lassen, ohne Rechenschaft über ihre Verwendung schuldig zu sein.

Für die hohen Funktionäre wurden Sonder-läden eingerichtet, in denen sie bessere und zugleich billigere Waren als das Volk bekamen. Sie erhielten kostenlose Dienstwohnungen, mietfreie Landhäuser und Luxusvillen am Schwarzen Meer. Für die hohen Funktionäre wurden besondere Krankenhäuser und für ihre Kinder besondere Schulen eingerichtet, damit sie mit dem gewöhnlichen Volk nicht mehr in Berührung kamen. Ihnen standen die schönsten Urlaubsorte — mit hohem Stacheldraht umzogen — allein zur Verfügung. Und diese Urlaubsorte waren um so schöner, je höher die Funktion war. Für die Mitglieder des Politbüros wurden anderen Exklusivitäten reserviert als für die gewöhnlichen Mitglieder des Zentralkomitees, aber diese hatten es bequemer als die bloßen Mitarbeiter des zentralen Parteiapparats. Auch die Qualität des Essens in den Kantinen von Partei und Staat richtete sich nach der Funktion. Wenn zufällig ein Abteilungsleiter mit seiner Sekretärin zu Tisch ging, erhielten sie wortlos zwei verschiedene Mahlzeiten vorgesetzt, überall, auch in der Roten Armee, richtete man vier verschiedene Küchen ein.

Kurz: das Prinzip der Gleichheit wurde unter Stalin durch das Prinzip der Ungleichheit ersetzt. Wenn das Sowjetsystem aul Grund seines egalitären Charakters mit einem gewissen Recht sagen konnte, daß es kommunistisch war, so ist das bürokratische System, das sich in der Stalin-Ara herausgebildet hat, nur noch pseudokommunistisch. Das muß man begreifen, um die osteuropäische Revolution zu verstehen. Sonst wird es beispielsweise unverständlich bleiben, weshalb diese Revolution zum Teil von Kommunisten ausging. Ihnen war klar geworden, daß der Stalinismus alle ihre Ideale zertrat.

Anwendung des Terrors als Methode Einerseits entsprach die Industrialisierung des zurückgebliebenen Landes den Interessen fast aller Bevölkerungsschichten Rußlands, andererseits riefen die zu ihrer Durchpeitschung angewandten Methoden eine explosive soziale Spannung hervor. Das stalinistische Regime sah sich gleichzeitig von der gärenden Arbeiterschaft, von der kollektivierten Bauernschaft und von den Heeren der haßerfüllten Sträflinge bedroht.

Mangels einer legalen politischen Opposition und einer freien Presse drückte sich die ungeheure soziale Spannung nicht zuletzt in Konflikten innerhalb der Kommunistischen Partei aus. Es war auch unvermeidlich, daß sich ein Teil der Kommunisten über die Entmachtung der Sowjets, die krebsartig wuchernde Bürokratie und Privilegien der neuen Klasse empörte. Der Stalinismus war daher ein Versuch, den sozialen Antagonismus zwischen dem Volk und der neuen Bürokratie mit Gewalt auszulöschen und die Einheit der Kommunistischen Partei durch Vernichtung ihrer zu Deshalb inneren Opposition erhalten.

stützte er sich theoretisch auf das monolithische Prinzip und praktisch auf die Geheimpolizei; deshalb mußte er auch die Arbeit dem Prinzip des Zwanges unterwerfen.

Vorherrschaft der großrussischen Fraktion Der Stalinismus errichtete die Herrschaft der großrussisch gesinnten Fraktion des Bolschewismus nach Verdrängung der internationalistischen Fraktion. Diese beiden Gruppen traten sich im Konflikt zwischen Stalin und Trotzki gegenüber. Der Konzeption Stalins vom „Sozialismus in einem Lande" kam zugute, daß die weltrevolutionäre Welle noch in den letzten Lebensjahren Lenins verebbt war. Trotzkis Konzeption der permanenten Weltrevolution nährte sich aus der Überzeugung, daß die Rückständigkeit Rußlands zwar die Revolution erleichtert hatte, aber die Schaffung einer wirklich kommunistischen Gesellschaftsordnung vereiteln würde, falls sie nicht in Gemeinschaft mit fortgeschritteneren Ländern Europas erfolgte. Er setzte sich daher dafür ein, den anderen Kommunistischen Parteien Handlungsfreiheit zu gewähren. In der sowjetischen Außenpolitik müsse der national-beschränkte Egoismus aufgegeben werden. Stalin hatte hingegen schon 1918 bei den Beratungen über den Vertrag von Brest Litowsk vom „heiligen Egoismus der Sowjetunion" gesprochen. Lenin griff ihn Ende Dezember 1922 erbittert an, weil er ein „Sozialnationalist, ja mehr noch, ein brutaler großrussischer Dershimorda" sei, der die nichtrussischen Nationalitäten mißachte und mißhandle. Doch Lenin starb, ohne daß seine Angriffe gegen Stalin über den engen Kreis des Politbüros hinausgelangt wären, und Trotzki wurde aus der UdSSR, die er mitbegründet hatte, verbannt. Seine Anhänger in Rußland ereilte — wie später ihn selbst — meist der gewaltsame Tod.

Primat des sowjetischen Staatsinteresses Der Stalinismus errichtete die Herrschaft eines kommunistischen Zarismus über die internationale kommunistische Bewegung. Das russische Staatsinteresse, soweit es mit den Belangen der neuen Klasse zusammenfiel, erhob sich über das Gesamtinteresse des Kommunismus, und dieser wurde trotz seines kosmopolitischen Charakters in den engen russisch-bolschewistischen Rahmen gezwängt. Die Kommunistische Internationale verwandelte sich in der StalinÄra aus einer Gemeinschaft gleichberechtigter Parteien in ein Zubehör der UdSSR. Zum Kriterium des echten Kommunisten wurde erhoben, ob er sich bedingungslos zur UdSSR und zu Stalin bekannte.

Wer sich der Degradierung der Kommunistischen Parteien in Filialen des sowjetischen Außenministeriums widersetzte, wurde wie der Führer des schwedischen Kommunismus, Kilboom, ausgeschlossen oder wie die zeitweilige Vorsitzende der KPD, Ruth Fischer, mit Hilfe von Intrigen gestürzt Wer gar verdächtig war, ein Anhänger Trotzkis zu sein, mußte mit noch Schlimmerem rechnen. Die gesamte Delegation der KP Chinas zum VII. Weltkongreß der Komintern (1935) wurde des Trotzkismus bezichtigt und in Moskau ermordet Ebenso erging es den Führern des polnischen Kommunismus: sie wurden Anfang 1938 nach Moskau befohlen und kehrten niemals zurück. Drei Monate später wurde die Kommunistische Partei Polens durch die Kominternzentrale aufgelöst, weil sie trotzkistisch verseucht und angeblich von Polizeispitzeln durchsetzt war. Erst nach Hitlers Angriff auf die UdSSR ließ Stalin die Neugründung zu. Die „Initiativgruppe" wurde aus einem sibirischen Konzentrationslager geholt, in das man Hunderte polnischer Kommunisten deportiert hatte Gomulka ist 1938 nur deshalb dem Gemetzel entkommen, weil er sich zu dieser Zeit in einem polnischen Gefängnis befand; hier war er sicherer als in der UdSSR.

Es genügte schon vielfach der Verdacht des selbständigen und von der Stalinschen Schmal-spur abweichenden Denkens, um vernichtet zu werden. Nacheinander verschwanden vier Ge-neralsekretäre der KP Jugoslawiens in den Kellern der GPU — bis Stalin glaubte, in Tito endlich einen gehorsamen Vasallen gefunden zu haben. Bela Kun, einst Chef der ungarischen Räterepublik, wurde zu Tode gefoltert. Im Dritten Reich kamen zwölf Mitglieder des Zentralkomitees der KPD um, in der Sowjetunion vierzehn Stalin ging sogar so weit, deutsche Kommunisten, die sich dem Zugriff der Gestapo durch die Flucht in die UdSSR entzogen hatten, an Hitler auszuliefern. Zwischen 1936 und 1938 gab es in der Sowjetunion die größte Kommunistenverfolgung der Geschichte. Auch hierfür liegt die Erklärung nicht allein im Despotismus eines einzelnen, sondern vor allem darin, daß für das bürokratische System nichts gefährlicher ist als der echte, auf dem Prinzip der sozialen Gleichheit beharrende Kommunist.

Zweifellos hat Stalin dem unter seinem Namen und seiner entscheidenden Mitwirkung entstandenen System einige persönliche Züge ausgeprägt. Sie bestanden in einer despotischen Spitze, im Personenkult um die „Führer" von oben bis unten und in der erbarmungslosen Bestrafung politischer „Fehler" als Verbrechen, die auf den Einfluß des „Klassenfeindes" zurückgeführt wurden, und in der Einführung von Folter und Sippenhaft.

Der Stalinismus war also eine Brachial-methode zur Industrialisierung eines rückständigen Landes; er bedeutete die Herausbildung einer neuen Bürokratie und die Ersetzung des Sowjetsystems durch ein pseudokommunistisches System; er war ein Versuch, die durch ihn selbst aufgehäuften sozialen und innerparteilichen Konflikte durch methodische Gewaltanwendung gegenüber Kommunisten wie Nichtkommunisten zu brechen; er repräsentierte die Herrschaft der großrussischen Fraktion des Bolschewismus und war schließlich die Hegemonie eines kommunistischen Zarismus über die internationale kommunistische Bewegung, die er in das russische Schema preßte.

Insgesamt muß der Stalinismus als die terroristische Herrschaftsform einer neuen, bürokratischen und privilegierten Klasse betrachtet werden, deren Gußform er unter den Bedingungen eines rückständigen Landes und eines einzigen kommunistischen Staates war. Diese Klasse hatte sich sowohl den russisch-bolschewistischen Staat als auch die KPdSU und die Komintern unterworfen; sie benutzte alle drei als Instrumente und Transmissionsriemen ihrer Machtausübung.

Die persönliche Färbung des bürokratischen Systems durch Stalins Charakter und politischen Stil verlieh ihm zusätzlich die Züge despotischer Willkür, byzantinischen Kults und rücksichtsloser Menschenvernichtung. Stalin selbst bildete gleichsam seine monarchische Spitze. Das System war totalitär und diktatorisch zugleich. Diese Elemente wurden durch gewisse Traditionen Rußlands gefördert.

3. Hat es eine Sowjetisierung gegeben?

Die wichtigste Schlußfolgerung aus der bisherigen Darstellung ist, daß nach dem Zweiten Weltkrieg auf die heutigen Volksdemokratien nicht das Rätesystem, sondern das bürokratische System übertragen wurde. Die UdSSR hatte ja zu diesem Zeitpunkt trotz ihres Namens schon längst kein Sowjetsystem mehr.

Nachdem es ihm gelungen war, im Gefolge des Zweiten Weltkriegs die außenpolitische Isolierung zu sprengen, verwandelte sich der Stalinismus aus dem innenpolitischen Regime der Sowjetunion in ein internationales Regime, dessen Grenze in Europa die Elbe wurde und das die imperiale Vorherrschaft der UdSSR innerhalb des Ostblocks repräsentierte. Von einer „Sowjetisierung" war fälschlich die Rede, weil man den strukturellen Wandel, den die Sowjetunion unter Stalin durchgemacht hatte, in ihrem vollen Ausmaß — das heißt als Wechsel des Systems — nicht begriff. Selbst Djilas blieb in seiner Analyse auf halbem Wege stehen. Erst ein deutscher Exkommunist hat auf den Strukturwandel im Übergang vom Leninismus zum Stalinismus aufmerksam gemacht

Der Stalinismus kam als internationales Regime nicht durch Ausbreitung des Rätesystems, sondern durch Russifizierung, Bolschewisierung und Bürokratisierung, aber auch durch Ausbeutung und Satellisierung anderer kommunistischer Länder zustande. Die Hauptformen der Rurssifizierung waren: die Durchdringung aller volksdemokratischen Institutionen mit russischen „Beratern" (an die Spitze der polnischen Armee wurde sogar ein sowjetischer Marschall gestellt), die Erhebung der russischen Sprache zum Pflichtfach an allen höheren Schulen (in Rumänien sollte auch das kyrillische Alphabet eingeführt werden), die künstliche Verherrlichung alles dessen, was aus der Sowjetunion kam, und die Überfremdung der einheimischen Kultur durch russischen Kitsch

Die Grundzüge der Bolschewisierung bestanden darin, daß auch in den anderen kommunistischen Ländern das Stachanowsystem für die Industrie und das Kolchosensystem für die Landwirtschaft eingeführt wurden.

Im Zuge der Bürokratisierung entstanden Apparate von bisher noch nicht dagewesenem Umfang. Aczel und Meray berichteten über Ungarn: „Der Funktionärsapparat war wirklich gigantisch. Kein Land hätte ihn durch-schleppen können. Nur 40 °/o der im Produktionsprozeß eingesetzten Menschen produzierten wirklich, die anderen 60 °/o vermehrten nur die unproduktive Bürokratie." Im Ungarn Rakosis kamen also auf 40 Arbeiter 60 Funktionäre. Und diese Funktionäre sonderten sich nicht nur als eine eigene Kaste ab, sondern wurden genau so wie in der UdSSR hierarchisch privilegiert. Aczel und Meray berichten weiter: „Es war ganz offensichtlich, daß die Mitglieder des Politischen Komitees größere Vorrechte genossen als die des Zentralkomitees. .. Ihr Kurort Balatonaliga war von Stacheldraht eingezäunt. .. Die Mitglieder des Zentralkomitees besuchten Balatonoszöd. Die Mitarbeiter des Parteienapparates Balatonlelle ... Im Jahre 1950 wurde auf Geros Initiative das soge-nannte . offene laufende Konto'für die Mitglieder des Politischen Komitees eingeführt. Danach konnten diese führenden Staatsmänner von den auf ihren Namen eröffneten Konten abheben, wann und soviel sie wollten...

Die Parteihierarchie zeigte sich auch in den Dienstwagen. Die Distriktssekretäre und die Abteilungsleiter in den Ministerien fuhren Skoda-Wagen. . . Die Bezirks-und Stadtsekretäre sowie die stellvertretendenden Minister benutzten die starken, aber plumpen sowjetischen Pobeda. . . Die Minister hatten in der Sowjetunion gebaute SIS. . . Doch die Mitglieder des Politischen Komitees fuhren in amerikanischen Chevrolets mit eingebautem Radio, Klimaanlage und starker Panzerung."

Die Ausbeutung vollzog sich über gemischte Aktiengesellschaften (obwohl Aktiengesellschaften stets als Ausgeburt des Kapitalismus gegolten hatten), die den Reichtum dieser Länder in die Sowjetunion pumpten. Für die russischen Waren, die meist minderwertiger Qualität waren, wurden überhöhte Weltmarktpreise verlangt, während die Rumänen, Bulgaren oder Ungarn ihre eigenen Produkte unter dem Weltmarktpreis an die UdSSR liefern mußten. Nicht zuletzt verlangten die russischen „Berater" feudale Gehälter; in Jugoslawien waren sie beispielsweise dreimal so hoch wie die der jugoslawischen Minister

Die Satellisierung bedeutete, daß die sowjetischen Botschafter als die eigentlichen Regierungschefs der Volksdemokratien fungierten. Alle kommunistischen Länder sollten der UdSSR botmäßig sein. Statt einer „sozialistischen Staatengemeinschaft" entstand ein Kolonialreich neuen Typs, dessen Hegemonialmacht ihr ganz auf die eigenen Verhältnisse zugeschnittenes Regime als allgemeingültiges Modell exportierte und auf die anderen kommunistischen Länder mit Hilfe der einheimischen Kommunisten, speziell der „Moskowiter“, übertrug. Zu den Besonderheiten dieses neuartigen Kolonialismus gehörte, daß er sich hinter der formellen Unabhängigkeit aller kommunistischen Staaten verbarg. Es war vorauszusehen, daß es früher oder später zu einem Konflikt zwischen dem formellen Souveränitätsstatus und dem realen Satellitenstatus kommen mußte.

4. Triebkräfte der osteuropäischen Revolution

Die drei Achillesfersen Die weltpolitische Achillesferse des sowjetischen Kolonialreichs bestand darin, daß es im gleichen Zeitpunkt aufgebaut wurde, als die alten Kolonialreiche in Afrika und Asien zusammenbrachen. Insofern war das stalinistische Imperium schon bei seiner Gründung historisch überholt. Es mußte unvermeidlich den Widerstand der osteuropäischen Völker entfachen, deren Nationalbewußtsein sich im Kampf gegen die türkische oder österreichische Fremdherrschaft herausgebildet hatte, zumal es unter der deutschen Besetzung während des Zweiten Weltkrieges noch geschärft worden war. Die Völker der heutigen Volksdemokratien hatten für die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität große Opfer gebracht. Doch unmittelbar nach ihrer Befreiung gerieten sie erneut unter eine Fremdherrschaft. Das Nationalbewußtsein der Völker und ihr elementares Streben nach staatlicher Unabhängigkeit von der UdSSR ist die wohl mächtigste Triebkraft der osteuropäischen Revolution.

Mit dem Drang nach Unabhängigkeit verknüpft sich das Verlangen nach persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung der Staatsform. Neben der nationalen Triebkraft ist eine demokratische wirksam. Die zweifellos schwache demokratische Tradition der osteuropäischen Völker hatte sich bereits in der Widerstandsbewegung gefestigt. Der Zusammenbruch des Nationalsozialismus und Faschismus bewirkte dann eine Renaissance der demokratischen Idee auch in großen Teilen Osteuropas. Unter der russisch-bolschewistischen Fremdherrschaft erstarkte diese Idee noch. Die Unterdrückung des demokratischen Gedankens trägt insgeheim und untergrünig zu seinem Wachstum bei. Unter solchen Bedingungen gewinnt der demokratische Geist wieder revolutionäre Kraft. Er kehrt zu seinen Ausgangspunkten und Quellen zurück. Das sowjetische Satellitenreich war auch insofern auf Sand gebaut, als seine Gründung in eine Renaissance der Demokratie fiel.

Noch in einer dritten Hinsicht schwamm der Stalinismus als internationales System gegen den Strom. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, daß nur solche Regierungsformen akzeptiert werden, die dem kulturellen Niveau der betreffenden Völker entsprechen oder seine Höherentwicklung erlauben. Andernfalls bildet sich ein ähnlich organischer Widerstand wie gegen die Verpflanzung einer fremden Haut auf den eigenen Körper. Wenn man das kulturelle Niveau als den Nenner aller Verhältnisse nimmt, die in einem Lande oder einer bestimmten Ländergruppe bestehen, dann wurde das stalinistische System innerhalb Europas im allgemeinen auf fortgeschrittenere Völker als in seinem Ausgangsstaat verpflanzt. Albanien ist ein Ausnahmefall.

Die russische Kultur, die einmal ein relativ hohes Niveau hatte, wurde vom Bolschewismus proletarisiert. Er hat zwar für eine große Verbreitung der Elementarbildung gesorgt, doch die weitgehende Vernichtung oder Emigration der alten russischen Intelligenz, die grundsätzlich zur „Bourgeoisie" gerechnet wurde, sowie die gleichzeitig einsetzende Proletarisierung des Lebensstils, verbunden mit der Ausrottung eines großen Teils der intellektuellen Garde des Bolschewismus durch Stalin — all diese und noch andere Faktoren (wie die Drangsalierung der Kunst durch den „Sozialistischen Realismus") führten zu einem Sinken des kulturellen Standards im kommunistisch gewordenen Rußland, das auf erschütternde Weise im Verhalten großer Teile der Roten Armee innerhalb der von ihr besetzten Länder zum Ausdruck kam.

Es ist zwar ohne große Schwierigkeiten möglich, die Staatsform eines hochentwickelten Landes auf ein weniger entwickeltes zu übertragen, nicht so aber das Umgekehrte, weil es der geschichtlichen Entwicklung zuwider-läuft. Auf Indien wurde beispielsweise die parlamentarische Regierungsform Englands verpflanzt, und viele Inder fühlten sich dadurch keineswegs befremdet, weil diese Regierungsform zur Modernisierung ihres Volkes beitrug und diesem die Möglichkeit bot, die Erfahrungen der reifsten Demokratie zu verwerten. Was aber wäre gewesen, hätte Indien versucht, sein verrottetes Kastensystem auf England auszudehnen? Es ist klar, daß dies nur mit Gewalt hätte durchgedrückt werden können und auf permanenten, vom Gefühl der Vergewaltigung angetriebenen Widerstand der Briten gestoßen wäre. Etwas Ähnliches, wenn auch nicht in ganz so krasser Form, hat die UdSSR in Osteuropa praktiziert.

Die Hoffnung von Marx, daß, wenn die kommunistische Bewegung zunächst in den Industriestaaten zur Macht kommen würde, dies auf die weniger entwickelten Länder wie ein Sog wirken könnte, war nicht unbegründet In der Tat: wäre statt des rückständigen Rußland beispielsweise England (oder die USA) zum ersten kommunistischen Land geworden, hätte sich der Kommunismus vielleicht schon über die ganze Erde verbreitet.

Der Stalinismus hat die Geschichte vom Schwanz her aufgezäumt, als er in Europa versuchte, sein Regime auf fortgeschrittenere Länder zu übertragen. Dieses System war daher außerhalb der Sowjetunion von vornherein künstlich und brüchig, obwohl es äußerlich unerschütterlich schien. Die osteuropäischen Völker spürten instinktiv, daß der Stalinismus einer tieferen Kulturstufe als ihrer eigenen entsprossen war. Die technische Modernisierung Rußlands ist infolge der hierbei angewandten Methoden mit einer kulturellen Rebarbarisierung verbunden gewesen, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ganz Osteuropa zu überfluten begann. Daher wurde neben dem Nationalbewußtsein und der demokratischen Idee auch das Kulturbewußtsein der Völker jenseits der Elbe zu einer Triebkraft der osteuropäischen Revolution. Außer der nationalen und politischen Unterdrückung ließ das Gefühl einer kulturellen Rückwärts-entwicklung Widerstand wachsen.

Speziell Polen, Ungarn und Rumänien waren zum Teil mehr noch mit dem Westen als mit dem Osten verflochten. Der Westen wurde zum goldenen Mythos nicht allein wegen des höheren Lebensstandards, sondern dieser Standard erschien auch als Inbegriff oder sichtbarstes Zeichen einer höheren Kultur, als sie die Sowjetunion damals aufzuweisen hatte. Insbesondere die Machwerke des „Sozialistischen Realismus" riefen Kopfschütteln und Abneigung hervor. Die kulturelle Überfremdung staute Abwehrkräfte an, die bis in tiefe Seelenschichten reichten und nach einer politischen Ausdrucksform suchten.

Historische Uberholtheit des Kolonialismus, Renaissance der Demokratie sowie kulturelle Diskrepanz zwischen der Sowjetunion und den meisten Ländern Osteuropas — das waren die drei Achillesfersen des sowjetischen Satellitenreichs, an denen es von vornherein litt. Es gab jedoch Faktoren, die in umgekehrter Richtung wirkten, indem sie nicht nur die Schaffung des stalinistischen Imperiums begünstigten, sondern zunächst auch seinen Ausbau forcierten. Diese Faktoren waren alle in der kommunistischen Bewegung Osteuropas verwurzelt.

Die fünf Stützen Die meisten kommunistischen Parteien Ost-europas bedurften der sowjetischen Hilfe, um an die Macht zu gelangen, und größtenteils auch, um diese Macht zu behaupten. Nur die jugoslawischen und albanischen Kommunisten bemächtigten sich des Staates weitgehend aus eigener Kraft. Doch selbst sie konnten für die Anfangszeit sowjetischen Rückhalt gebrauchen, denn sie waren längst nicht so stark, wie sie sich gaben.

Die Rote Armee wurde von bestimmten Bevölkerungsgruppen zunächst tatsächlich als Befreierin begrüßt. Nicht nur die kommunistischen Parteimitglieder, sondern auch viele Parteilose — vor allem Arbeiter und Intellektuelle — glaubten, daß mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Ära des Fortschritts angebrochen sei, die zur Verwirklichung des Sozialismus im Sinne von Marx führen würde. Da ihnen die Sowjetunion als erster sozialistischer Staat erschien, war nichts natürlicher, als sie zum Vorbild zu nehmen, zumal man sie meistens nicht aus persönlicher Anschauung kannte. Die russischen Berater sagten, daß sie nur die sowjetischen Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus vermitteln, also uneigennützig helfen wollten; es gab ja auch nur das russische Kommunismus-Modell.

Die Übertragung des Stalinismus erschien den Kommunisten und jenen, die aus idealistischen Gründen zu ihnen strömten, zunächst als erster Schritt zu einer brüderlichen Gemeinschaft kommunistischer Länder, die schließlich allesamt in einer kommunistischen Weltrepublik aufgehen würden, welche als Rahmen einer erdumspannenden, klassenlosen Gesellschaft gedacht war.

Ehemalige Stalinpreisträger haben über die damalige Generation der jungen Schriftsteller Ungarns geschrieben, daß der Marxismus wie eine leuchtende Offenbarung auf sie wirkte und in ihr Inneres eindrang: „Die großen und verworrenen Probleme ... wurden mit Hilfe des Marxismus überaus einfach und klar. Diese Burschen waren jung und begeistert. Für sie verkörperte der Kommunismus die Freiheit (!) und die Schätze, von denen die besten Söhne des Volkes, seine Dichter, immer geträumt hatten. Jugend war gleichbedeutend mit Unerfahrenheit: diese Menschen hatten die westlichen Grenzen ihres Vaterlandes nie überschritten und kannten die demokratischen Einrichtungen des Westens nur vom Hören-sagen" Ihre überwältigende Mehrheit habe sich mit der kommunistischen Partei identifiziert, weil sie die Realisierung der marxistischen Ideen versprach und als einzige zu garantieren schien.

Das Idol dieser jungen Marxisten und meist auch der älteren Kommunisten war niemand anders als Stalin, der als Klassiker des Marxismus, als Fortsetzer des Werkes von Lenin und als Genie galt. Die grenzenlose Verherrlichung Stalins, wie sie von der Sowjetunion ausging, blieb nicht ohne Wirkung. Nur die „Moskowiter", soweit sie die Säuberungen in der UdSSR überlebt hatten, wußten schon, was er wirklich war. Doch sie schwiegen oder logen. Fast alle Kommunisten sind einmal Stalinisten gewesen, selbst solche Männer wie Djilas, Kolakowski und Havemann. Doch viele waren Stalinisten aus Selbsttäuschung und Unwissenheit. Solange sie auf Stalin schworen, unterstützten sie die Sowjetunion in ihrem Bestreben, ganz Osteuropa mit dem stalinistischen Regime zu überziehen und dieses so fest zu verankern, daß es niemals gestürzt werden könnte, denn sie glaubten, die UdSSR habe nur die Interessen des Weltkommunismus im Auge.

In den Volksdemokratien entwickelte sich aus den Kommunistischen Parteien ebenfalls eine neue Bürokratie. Ihre Herausbildung vollzog sich unvergleichlich schneller, als dies in der UdSSR der Fall gewesen war. Erstens wurden die meisten führenden Positionen — Jugoslawien und Albanien ausgenommen — von Anbeginn nicht durch Revolutionäre besetzt, die im Lande geblieben waren und als Partisanen gekämpft hatten, sondern durch Berufsfunktionäre aus der sowjetischen Emigration, die mit der Roten Armee in ihr Land zurückkehrten. Zweitens traten die meisten Kommunistischen Parteien nicht nach eigenen und erfolgreichen Erhebungen die Macht an, sondern im Ergebnis der sowjetischen Besetzung ihres Landes. Drittens gab es in den Volksdemokratien größtenteils keine revolutionäre Periode, die der Atmosphäre Rußlands in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution entsprochen hätte, sondern es wurde von vornherein Revolution von oben statt von unten gemacht, das heißt eine administrative Revolution. Deshalb begann man — viertens — in diesen Ländern nicht mit einem ursprünglich kommunistischen, sondern sogleich mit dem bürokratischen System, denn die Sowjetperiode Rußlands wurde hier übersprungen.

Die Träger dieses Systems aber waren durch langjährige Emigration in der UdSSR ihrem Heimatland meist entfremdet. Teilweise beherrschten sie die Sprache ihres Volkes nur noch unvollkommen. Sie dachten und handelten russisch. Es war kein Zufall, daß sie sich oft „Bolschewiki“ statt einfach „Kommunisten" nannten, denn sie hatten sich mit der russischen Form des Kommunismus identifiziert. Diese Bürokratie verdankte in fast allen Fällen der Verwandlung des stalinistischen Regimes in ein internationales System geradezu ihre Existenz. Solange diese Existenz nicht stabilisiert war, stellte sie die Interessen der Sowjetunion hoch über die nationalen Belange.

Die Slützen des Stalinismus bestanden also in der machtpolitischen Abhängigkeit des osteuropäischen Kommunismus, im Vertrauen auf die Sowjetunion und ihre lauteren Motive, in der Faszination der osteuropäischen Intelligenz durch den Marxismus, im Stalin-Idol, das vor allem einen beträchtlichen Teil der Jugend begeisterte, und in der Herausbildung der neuen Klasse auch in den Volksdemokratien. Doch während die drei Achillesfersen konstant sind, wirkten sich die anderen Faktoren nur vorübergehend zugunsten des Stalinismus aus.

Die Verwandlung Die kommunistischen Parteien Osteuropas wuchsen nach 1945 sprunghaft an. Es sollen hier nur einige Beispiele genannt werden. Die jugoslawische Partei hatte nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs 140 000 Mitglieder, 1948 waren es schon 500 000. Die polnische Partei hatte 1945 nur 20 000 Mitglieder, im September 1947 aber bereits 800 000. Die bulgarische Partei hatte im September 1944 25 000 Mitglieder, im Dezember 1948 rund 500 000 Djilas schrieb zu Recht: „Die kommunistischen Länder Osteuropas wurden nicht deshalb Satelliten der Sowjetunion, weil sie Vorteile von ihr hatten, sondern weil sie zu schwach waren, es zu verhindern." Und er fügte hinzu: Im gleichen Maße, wie ihre Kräfte wüchsen, würden sie versuchen, die sowjetischen Fesseln zu lockern und schließlich abzustreifen. Das hing natürlich nicht nur mit der Verwandlung der Kommunistischen Parteien in Massenparteien zusammen, sondern beruhte auch darauf, daß sie nun über ihren eigenen Machtapparat verfügten, während bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nur die KPdSU einen Staat und eine Armee besaß.

Jede zur Macht gekommene Kommunistische Partei entwickelt ein Eigengewicht. Und auf einem gewissen Punkt dieser Entwicklung wird die Fliehkraft gegenüber Moskau größer als die Anziehungskraft der Sowjetunion. Diese spontane und objektive Tendenz wurde ebenfalls zu einer Triebkraft der osteuropäischen Revolution. Sie wirkt untergründig und schießt erst durch die Explosion von Meinungsverschiedenheiten zwischen Zentrale und „Provinz" in den sichtbaren Raum. Man kann sagen, daß 1948 bereits in einer ganzen Reihe osteuropäischer Länder die machtmäßige Voraussetzung zur Lösung von der Sowjetunion bestand. Allerdings genügte diese Vor-aussetzung allein bei weitem noch nicht, um die Lösung in der Praxis zu vollziehen oder auch nur anzubahnen.

Es war ein furchtbares Erwachen, als die kommunistischen Idealisten begriffen, daß die Rote Armee nicht als Befreierin gekommen war, sondern als Okkupationsmacht; daß sich hinter der scheinbaren Uneigennützigkeit der sowjetischen Berater das Streben nach Ausbeutung der Reichtümer ihres Landes, zum Beispiel der Bodenschätze, und nach feudalen Gehältern verbarg; daß sich die Sowjetunion gegenüber kommunistischen Staaten ebenso brutal wie gegen „kapitalistische" verhielt; daß sie keineswegs ein System der sozialen Gleichheit exportierte, sondern umgekehrt ein Regime, das auf krassester Ungleichheit und Menschenverachtung beruhte; daß in der UdSSR nicht der Marxismus verwirklicht worden war, sondern daß Stalin die Keime einer sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion unter seinen Stiefeln zertreten hatte, um an ihre Stelle ein bürokratisches System zu setzen, das noch schlimmer als die zaristische Bürokratie war, an deren Tradition es sich anlehnte.

Dieser enttäuschte Idealismus hätte freilich keine historische Kraft zu werden brauchen, doch versank er, wie sich zeigte, im allgemeinen nicht in Resignation, da er von Stalin auf Lenin und von diesem auf die Marxsche Vision des Sozialismus als einer Gesellschaft zurückgriff, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" Als Marx-Renaissance wurde auch der enttäuschte kommunistische Idealismus zu einer Triebkraft der osteuropäischen Revolution. Der Marxismus verwandelte sich durch jene, die ehrlich an ihn glaubten, statt ihn ideologisch zu mißbrauchen, in Dynamit unter den Grundfesten des internationalen Stalinismus, und zwar weniger in seiner klassischen als in einer zeitgemäßen Form — in Gestalt der Idee des menschlichen Sozialismus. Die Idee des menschlichen Sozialismus setzte voraus und enthielt, daß der Stalinismus unmenschlich war. Sie ging vom humanitären Gehalt des Marxismus aus, ohne das seit seiner Begründung verflossene Jahrhundert zu negieren, ja gerade unter dem Aspekt der Frage, in welchem Verhältnis sich marxistische Theorie und kommunistische Praxis entwickelt hatten. Der kommunistische Idealismus war naturgemäß vor allem in Kreisen der

Intelligenz und der Jugend zu finden. Doch konnte er sich auch auf viele Arbeiter stützen, die oft zu den Altkommunisten gehörten und mit zusammengebissenen Zähnen zusehen mußten, wie etwa die in Polen am Ende des Krieges spontan gebildeten Arbeiterräte wieder auf hin aufgelöst sowjetischen Druck wurden oder wie in Bulgarien auch jene Industriezweige, die in den Besitz von Genossenschaften übergegangen waren, der Verstaatlichung verfielen — wie also auch in den Volksdemokratien die wirklich sozialistischen Ansätze ausgelöscht wurden.

Die kommunistischen Bürokratien in den einzelnen osteuropäischen Ländern waren fast alle als Moskauer Filialen angelegt und aufgebaut worden, zumindest jedoch ausnahmslos als solche gedacht. Doch der den kommunistischen Parteien eigene Absolutismus — das Streben nach dem unumschränkten Macht-und Besitzmonopol — begann sich nach einiger Zeit ebenfalls gegen Moskau zu wenden. Eine als Ganzes absolutistische Bewegung ist auch in ihren Teilen absolutistisch, und sobald diese Teile eine territoriale Basis erhalten, wachsen sie auseinander, eifersüchtig darauf bedacht, die einmal errungenen Privilegien weder von Feinden noch von Freunden schmälern zu lassen.

Insofern wird der Kommunismus das Opfer seines eigenen Charakters, der den Kommunistischen Parteien, sobald sie an die Macht gelangt sind, nur eine recht beschränkte Solidarität erlaubt. Einerseits handelt es sich um eine im Grunde internationale Bürokratie, die von Land zu Land durch viele Fäden und Gemeinsamkeiten verbunden ist, andererseits richtet die Eigensucht jeder dieser nationalen Bürokratien Schranken zwischen ihnen auf, die sehr hoch wachsen und bis zur tödlichen Verfeindung führen können. Die Verhältnisse zwischen einzelnen kommunistischen und demokratischen Ländern haben sich freundlicher gestaltet als die Beziehungen zwischen bestimmten kommunistischen Staaten.

Djilas hat als erster auf den Faktor der Eigen-sucht verwiesen, der eine weitere Triebkraft der osteuropäischen Revolution ist Der Stalinismus als internationales System glich einer absoluten Monarchie, die Vasallen in eroberten Gebieten mit feudalen Lehen versah und auf regelmäßigen Tributen bestand. Jedoch schon im Mittelalter haben die Lehnsherren oft gegen den Monarchen rebel25 liert, und zwar nicht, weil ihnen dieser persönlich mißfiel oder weil sie ihre Untertanen liebten, sondern weil sie sich von ihm eingeschränkt fühlten. Immer war es ihr Bestreben, sich möglichst unabhängig zu machen und ihre Pfründe allein auszubeuten, ohne Tribute zu zahlen. Diese Rivalität, wenngleich auf einer gänzlich anderen Ebene, sollte sich im Satellitenreich der UdSSR wiederholen, zumal der sowjetische Monarch aus den vergebenen Lehen den Hauptnutzen zu ziehen versuchte und sie gleichsam als jederzeit widerrufbar ansah.

Es gab jedoch einen wichtigen Unterschied zum Mittelalter, der nicht unerwähnt bleiben darf. Während sich die Monarchen gegen, ihre fürstlichen Lehnsherren, sobald diese Bestrebungen zur Selbständigkeit zeigten, auf bestimmte Schichten des Volkes (insbesondere das städtische Bürgertum) stützten, waren und sind im sowjetischen Imperium umgekehrt eine Anzahl „Fürsten" um Rückhalt im Volke bemüht. Früher oder später werden es wohl alle sein, was ganz bestimmte Konsequenzen einschließt. Dieser Unterschied ist für die osteuropäische Revolution nicht ohne Bedeutung, ja man kann sie ohne ihn kaum verstehen.

Zwischen Nation und UdSSR Wir haben also sechs Triebkräfte dieser Revolution zu verzeichnen, die recht verschiedenartigen Quellen entsprangen und sich auf höchst widerspruchsvolle Weise vermischen. Erstens der elementare Drang aller osteuropäischen Völker nach Wiederherstellung der nationalen Souveränität und staatlichen Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Zweitens das Streben nach persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung der Staatsform. Drittens die Behauptung der eigenen Kultur gegenüber russifizierender Überfremdung und Nivellierung. Viertens das Eigengewicht der zur Macht gelangten Kommunistischen Parteien. Fünftens die Idee des menschlichen Sozialismus in Verbindung mit einer Marx-Renaissance. Sechstens die partikularistische Eigensucht der kommunistischen Bürokratien in den osteuropäischen Ländern. Der Einfachheit halber werden wir im weiteren Verlauf dieser Arbeit nur noch zwischen der nationalen, der demokratischen, der kulturellen, der nationalkommunistischen, der ideellen und der partikularistischen Triebkraft unterscheiden. Drei von ihnen gingen aus den Völkern, die anderen aus den kommunistischen Parteien hervor, von denen sich jede plötzlich zwischen ihre Nation und die UdSSR eingeklemmt sah. Dieses Dazwischen ist der Schlüssel zur osteuropäischen Revolution, deren Träger teils die Völker, teils — die Geschichte schlägt gern Purzelbäume — niemand anders als die Kommunistischen Parteien sind.

Der Stalinismus als Überstaat war ein Joch, unter das nicht nur die Völker, sondern auch die Kommunistischen Parteien Osteuropas gebeugt worden sind. Von diesem Joch profitierte im wesentlichen lediglich die neue Klasse, die sich nicht allein über das Volk, sondern auch über die eigene Partei erhob. Doch selbst ihre Mitglieder befanden sich unter Stalin in ständiger Lebensgefahr; zumindest konnten sie von heute auf morgen durch eine Moskauer Weisung abgesetzt werden und aller Privilegien verlustig gehen. Daher wurde der internationale Stalinismus schließlich selbst für die „nationalen" Stalinisten eine Last.

Es gibt Idealisten und Realisten in den Kommunistischen Parteien, wobei die Bürokratie als Gesamtheit der Apparatschiks den festen, wenn auch nicht splitterfreien Kern der Realisten stellt. Sogar von den „Moskowitern", die viele Jahre oder gar mehrere Jahrzehnte in der Sowjetunion verbrachten, sonderten sich Männer wie Imre Nagy oder Anton Ackermann ab. Nicht jeder hohe und nicht einmal jeder hauptberufliche Funktionär ist ein Apparatschik, verkörpert jenen ganz bestimmten Typ des ideologisch ausgerichteten Bürokraten, wie ihn die Geschichte erst im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat und dessen Charakter nirgends besser als im Rahmen der osteuropäischen Revolution studiert werden kann. Wir werden ihn abschließend definieren.

5. Auftakt und erste Phase (1948— 1952)

Je weiter die Stalinisierung Osteuropas voran-schritt, desto machtloser wurden die traditionellen politischen Kräfte. Ihre Parteien, soweit sie überhaupt neu gebildet werden konnten — die jugoslawische Volksdemokratie entstand von vornherein als Einparteisystem —, wurden gespalten, aufgelöst, zerschlagen, in „Blockausschüsse" gedrängt oder gar — wie die Sozialdemokraten — in Einheitsparteien gepreßt. Gewiß hat es gegen diese Entwicklung hier und da ein heftiges Aufbegehren gegeben. So kam es 1947 in Ungarn zu Demonstrationen gegen einige sozialdemokratische Führer, die für den oganisatorischen Zusammenschluß ihrer Partei mit den Kommunisten plädierten. Und im gleichen Jahr versuchte der rumänische Bauernführer Mahiu, alle noch verbliebenen demokratischen Organisationen in den von der Roten Armee besetzten Ländern Osteuropas um ein gemeinsames Programm zu vereinen.

Doch 1948 waren die kommunistischen Parteien bereits die einzige organisatorische und politische Kraft, die den Ausbruch aus dem sowjetischen Imperium einleiten und den Weg bahnen konnten, um die nationale Unabhängigkeit neu zu begründen. Äußerlich gesehen, durfte das von ihnen am wenigsten erwartet werden, ja es schien paradox und sinnlos zu sein, auf eine solche Entwicklung zu hoffen. Tatsächlich hat kaum jemand diese Möglichkeit erwogen. Nur wer mit der internen Geschichte des internationalen Kommunismus vertraut war und seine widersprüchlichen Tendenzen kannte, nur wer wußte, was auch viele Kommunisten unter Stalins Herrschaft auszuhalten hatten, konnte trotz der Verwandlung des Stalinismus in einen internationalen Überstaat kühn genug sein, mit einer gewissen Hoffnung in die Zukunft zu blicken und ausgerechnet auf die kommunistischen Parteien zu setzen.

Warum gerade Belgrad?

Doch die Auflösung des sowjetischen Imperiums konnte nicht durch eine beliebige Kommunistische Partei Osteuropas beginnen, sondern nur durch die jugoslawische oder albanische, die sich hauptsächlich aus eigener Kraft in ihren Ländern durchgesetzt hatten und deren Führer daher ein starkes, unabhängiges Selbstbewußtsein besaßen, das Männern wie Rakosi, Bierut oder Ulbricht fehlte, weil sie ihre Macht der Roten Armee und Stalin persönlich verdankten. Die albanische Partei war aber nicht nur zu schwach, um voranzugehen, sondern suchte auch Rückhalt im Kreml, um sich des jugoslawischen Druckes zu erwehren, der ihre Eigenständigkeit bedrohte. Daher konnte das geschichtliche Los nur auf Belgrad fallen.

Der jugoslawische Kommunismus war aus einer ganzen Reihe von Gründen prädestiniert, als erster den Absprung zu wagen.

Wahrscheinlich hat keine andere kommunistische Partei außerhalb der UdSSR, nicht einmal die polnische, ähnlich hohe Verluste durch das Stalinsche Wüten gegen selbständig denkende oder selbständig erscheinende Kommunisten erlitten. Tito sprach einmal von mehr als hundert führenden Funktionären, die von der GPU umgebracht worden sind. Vom jugoslawischen Politbüro unter Milan Gorkic blieb seinerzeit nur Tito übrig; alle anderen wurden vernichtet Auch Titos erste Frau fiel dem Terror zum Opfer; er mußte zusehen, wie sie Anfang 1935 aus dem gemeinsam bewohnten Zimmer im Moskauer Hotel „Lux" heraus-geholt und abgeführt wurde. Was mag damals in ihm vorgegangen sein?

In Jugoslawien war der Krieg mit einem Bürgerkrieg und dieser mit einer Revolution verbunden. Die jugoslawischen Kommunisten hatten sich die Revolution nicht geborgt, sondern sie selber gemacht. Das revolutionäre Element in ihrer Partei war ungewöhnlich stark. Selbst die kommunistische Bürokratie, die sich in Jugoslawien schneller als anderswo bildete, weil die kommunistische Umwälzung rascher vor sich ging, setzte sich hier zum großen Teil aus ehemaligen Partisanen zusammen, während Stalin seinen Herrschaftsapparat schon vornehmlich aus der nachrevolutionären Generation rekrutiert hatte. Infolgedessen blieb die jugoslawische Bürokratie auch viel enger mit ihrer Partei und dem Volke verbunden, als dies in den meisten anderen Volksdemokratien der Fall war.

Der jugoslawische Kommunismus trat während des Zweiten Weltkriegs und unter der deutschen Besatzung zwar unter dem roten Stern, aber gleichzeitig als nationale Befreiungspartei auf. Er hat es schon im Krieg verstanden, das kommunistische mit dem nationalen Element zu verknüpfen. Die jugoslawischen Kommunisten waren unbestritten die größte und führende Kraft der „Volksbefreiungsfront", die eine ganze Armee von Parti-sanen mobilisierte; sie wurden ihrerseits vom nationalen Strom der jugoslawischen Völker im Kampf gegen die Fremdherrschaft mitgerissen. Einst nur eine Sektion der Komintern wie alle anderen Kommunistischen Parteien, hatten es ihre Führer schon vor dem Kriege abgelehnt, von Moskau finanziert zu werden. Während des Krieges verwuchsen sie meist wieder mit ihrer Heimat. Die jugoslawischen Kommunisten haben wesentlich dazu beigetragen, die jugoslawische Nation als Gemeinschaft der Serben, Kroaten, Slowenen, Montenegriner, Mazedonier und Bosnier endgültig zu begründen, während Ulbricht dazu beiträgt, die deutsche Nation zu zerstören. Auf das sehr empfindliche Nationalgefühl eines Tito, Kardelj oder Djilas mußte das meist überhebliche Auftreten der sowjetischen Offiziere und Berater, die sich für eine höherwertige Rasse hielten, verächtlich auf die ausländischen Kommunisten hinabsahen und sie nicht als gleichgestellt anerkannten, wie ein täglich wiederholter Peitschenhieb wirken. Jürgen Rühle hat meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen, daß der jugoslawische Kommunismus geradezu aus einer „Stolz-Kultur" wuchs.

So trafen in der KPJ bittere Erfahrungen mit Stalin, revolutionärer Geist und Nationalstolz zusammen. Das waren die Bedingungen, die sie befähigten, dem Druck aus Moskau nicht nur Widerstand entgegenzusetzen, sondern ferner in Osteuropa (und darüber hinaus) eine avantgardistische Rolle zu spielen. Freilich war vielleicht auch die Persönlichkeit und gewaltige Autorität Marschall Titos nötig, um die jugoslawische Partei angesichts des Konflikts mit Moskau vor einer heillosen Spaltung zu bewahren.

Bei der Auslösung des Konflikts Moskau-Belgrad wirkten außen-und innenpolitische Faktoren zusammen. Außenpolitisch waren es vor allem das Triest-Problem und die Fragen einer Balkanföderation und des griechischen Bürgerkriegs; aber die innenpolitischen Probleme haben zweifellos eine größere Rolle gespielt und den Ausschlag gegeben. Das waren insbesondere die brutalen Übergriffe sowjetischer Soldaten und Offiziere gegenüber jugoslawischen Frauen, die königlichen Gehälter der russischen Berater, das Ausspionieren von internen Informationen über die jugoslawische Wirtschaft und die Anwerbung von Agenten für den sowjetischen Staatssicherheitsdienst. Stalin und Molotow bewerteten die schriftlichen Beschwerden des Zentralkomitees der KPJ als „Beweise einer anti-sowjetischen und antirussischen Tagespolitik" statt sie sachlich zu prüfen. Sie beschuldigten die jugoslawischen Führer (man wagt es angesichts ihrer eigenen Praxis kaum zu glauben), ein undemokratisches Regime aufgerichtet und den Marxismus über Bord geworfen zu haben.

Die Einzelheiten sind durch viele Schriften bekannt. Wahrscheinlich hätten auch andere Ursachen zum gleichen Ergebnis geführt: einerseits zum Ausschluß der KPJ aus dem Kominform und andererseits dazu, daß diese Partei das Banner der Revolte in ganz Osteuropa erhob. Bis zu einem gewissen Grade war das Zerwürfnis schon während des Krieges heran-gereift, als sich Moskau mehr für die königlich-jugoslawische Emigrantenregierung als für Titos Partisanen interessierte. Nach Ernst Halperin kam es Stalin darauf an, durch bewußte Schmälerung der Verdienste des jugoslawischen Kommunismus „den jugoslawischen Partisanenmythos überhaupt zu zerstören" der bereits den Mythos der russischen Oktoberrevolution zu verdunkeln drohte. Aber ebenso wichtig ist, daß die Jugoslawen darauf bestanden, von der KPdSU als gleichberechtigt behandelt zu werden, was auch offen in ihrem Brief vom 17. Mai 1948 an Stalin und Molotow ausgesprochen worden ist: „Wir weisen nicht von vornherein jede Kritik über grundsätzliche Fragen von uns. Aber wir fühlen uns nicht von gleich zu gleich behandelt ..."

Titos Kritik an der Sowjetunion Nachdem die jugoslawischen Kommunisten aus der „sozialistischen Völkerfamilie" ausgestoßen worden waren, begannen sie unverzüglich mit der Verbreitung ihres Standpunkts in den anderen kommunistischen Staaten und Parteien. Sie gaben zahlreiche Schriften in den meisten Sprachen Europas heraus und unterzogen das Stalinsche Regime in der Sowjetunion einer ätzenden Kritik, die mit der Zeit immer grundsätzlicher und schärfer wurde. Hier sollen nur die wichtigsten Punkte genannt werden.

Erstens habe die UdSSR die anderen kommunistischen Länder Osteuropas einem Satellitenstatus unterworfen. „Hat sie nicht aus den einst unabhängigen östlichen Staaten, wie etwa der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, gewöhnliche Kolonien im Herzen Europas gemacht? Von der Ver-sklavung der baltischen Staaten vor dem Kriege wollen wir gar nicht sprechen .. ganz zu schweigen von den Teilen Österreichs und Deutschlands, die die Sowjetarmee besetzt hält, also den Ländern, auf denen die Sowjetimperialisten und Räuber schon jahrelang reiten und denen sie nicht nur die Sporen in die Weichen pressen, sondern die sie auch mit eisernem Stiefel unterdrücken."

Zweitens rüste die UdSSR sich und ihre Satelliten auf, um „neue Gebiete an sich zu reißen und weitere Völker zu unterjochen" womit sie die Gefahr eines neuen Krieges verschärfe.

Drittens sei es eine Tatsache, daß die Sowjetunion „die sozialistischen Prinzipien verriet und den Weg des alten zaristischen Rußland beschritt, den Weg der großrussischen Staats-interessen" Ihr Ziel bestehe nicht in der Weltrevolution, sondern in der russischen Welthegemonie über die anderen Völker.

Viertens habe auch das innenpolitische Regime der UdSSR mit Sozialismus oder Kommunismus nichts mehr gemein. „Schon seit langem ist die Sowjetunion in ihrer inneren Entwicklung auf den Weg des Staatskapitalismus mit einem bisher noch nicht dagewesenen Bürokratensystem abgewichen. Der Bürokratismus ist in der Sowjetunion Selbstzweck geworden. Immer mehr wird er zu einer ausbeuterischen Macht, die sich über die Gesellschaft gesetzt hat..."

Fünftens betreibe Stalin eine Revision des Marxismus, um seine Theorie von der Notwendigkeit einer ständigen und allseitigen Stärkung des Staates zu begründen, die im Widerspruch zur marxistischen Konzeption vom allmählichen Absterben des Staates stehe, aber offenbar zur Durchsetzung einer Politik des Großmachtchauvinismus und der Ausbeutung nötig sei. „In der Sowjetunion (ist) die Ausbeutung des Arbeiters nicht beseitigt, denn sie leiten die Produktion nicht, sondern sind nur schlechtbezahlte Lohnarbeiter, sie haben keinen Anteil an der Verteilung der Mehrarbeit, die nimmt vielmehr die Staatsbürokratie vollständig in der Form von Riesengehältern und Prämien . . . , fünfunddreißig Jahre nach der Oktoberrevolution arbeiten die Arbeiter in Fabriken und Betrieben wie Sklaven, der Willkür des bürokratischen Direktors unterworfen."

Sechstens habe Stalin auch Lenin verraten. „Was hätte Lenin gesagt, der ein hohes Kulturniveau besaß . . .? Er, der große Lenin, würde sich im Grabe umdrehen über . .. die grauenhafte Entartung der Errungenschaften der großen Oktoberrevolution."

Eine solche Sprache hatte nicht einmal Trotzki geführt. Sie übertraf in ihren Enthüllungen alles, was bis dahin von Kommunisten über den Charakter der Sowjetunion unter Stalin gesagt worden war. Die jugoslawischen Kommunisten, die sich auf ihr revolutionäres Gewissen beriefen, ergriff ein missionarischer Eifer. Nach der Entartung des Sowjetkommunismus sei ihnen die historische Aufgabe zugefallen, den Kampf für die Reinheit und Verwirklichung des Marxismus „auf internationalem Gebiet zu führen" Von Jugoslawien müsse eine Erneuerung des Weltkommunismus ausgehen. Aber das war nur zu erreichen, wenn die jugoslawischen Kommunisten bewiesen, daß sie einen besseren Kommunismus als in der Sowjetunion schaffen konnten, und wenn sie vor allem ihren Arbeitern größere Rechte gewährten. Was sie an der UdSSR kritisierten, mußten sie bei sich selber abzustellen versuchen. Das war freilich nicht nur deshalb nötig, um Einfluß in den anderen Kommunistischen Parteien zu gewinnen, sondern auch aus Gründen der innenpolitischen Stabilität; denn die jugoslawischen Arbeiter, aber auch die Intellektuellen und Bauern, wurden von Moskau aus aufgerufen, erneut als Partisanen in die Berge zu gehen und die jugoslawischen Parteiführer zu stürzen, weil sie faschistische Mörder und amerikanische Spione seien.

Vom Partikularismus zum Nationalkommunismus Solange sich Belgrad nur bestimmten Moskauer Wünschen widersetzte, konnte seine Politik mehr als Partikularismus statt als Nationalkommunismus gelten Eine partikularistische Tendenz hatte sich bereits bei den polnischen und tschechoslowakischen Kommunisten gezeigt, die im Juli 1947 geneigt waren, die Beteiligung am Marshallplan zu erwägen, was sicher einer der Gründe war, weshalb Stalin im September 1947 das Kominform gründen ließ. Der Übergang vom Partikularismus zum Nationalkommunismus vollzog sich in Jugoslawien eigentlich erst am 26. Juni 1950, als das „Grundgesetz über die Verwaltung von Betrieben durch das Arbeiterkollek-tiv" erlassen wurde. Durch dieses Gesetz gingen die Betriebe aus der staatlichen Verwaltung in die Verwaltung von Arbeiterräten über. Dadurch wurde eine Alternative zum sowjetischen System geschaffen, das unter anderem auf dem Prinzip der Einmann-Leitung des Betriebes durch den staatlichen Direktor beruht.

Die Begründung der Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben war der erste praktische Schritt, um in Jugoslawien das von der UdSSR übernommene bürokratische System durch ein anderes System zu ersetzen, das in gewisser Hinsicht auf die ursprüngliche Räteidee zurückgriff und schon deshalb für alle Kommunisten revolutionierende Bedeutung besaß, weil es die Erinnerung an die Anfänge des Sowjetkommunismus unter Lenin heraufbeschwor.

Die potentielle Durchschlagskraft des jugoslawischen Experiments bestand von Anbeginn darin, daß es seine besondere Konzeption des Kommunismus mit der Wiederbelebung des Rätegedankens verknüpfte. Außerdem war die Arbeiterselbstverwaltung nicht nur der-Grundstein des jugoslawischen Nationalkommunismus, sondern zugleich die Grundlegung eines zweiten Kommunismus-Modells von allgemeiner Bedeutung. Sie wurde zwar in einem ganz bestimmten Lande als Distanzierung vom Stalinschen System der Sowjetunion eingeführt, war und ist aber nicht an die spezifischen Verhältnisse Jugoslawiens gebunden, sondern auch für andere kommunistische Länder geeignet. Selbst die UdSSR könnte sie übernehmen, so daß eine Alternative nicht nur für die anderen osteuropäischen Länder entstand, sondern darüber hinaus eine innenpolitische Alternative für den Sowjetkommunismus. Die Begründung des jugoslawischen Nationalkommunismus war also gleichzeitig mit einer potentiellen Grenzüberschreitung in Richtung auf ein zweites internationales System des Kommunismus verbunden, das prinzipiell alle kommunistischen Staaten annehmbar finden konnten.

Der Stalinismus stellte die bisher extremste Form des Staatskommunismus dar, während der Titoismus die Konzeption der gesellschaftlichen Selbstverwaltung ist Er geht von der Maxime aus, daß die Verstaatlichung der Produktionsmittel lediglich der erste Schritt zum Kommunismus sei. Nur durch das Weiter-schreiten zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel könne auch dem Uberhandnehmen der Bürokratie vorgebeugt werden. Man müsse „sowohl den Kapitalisten als auch den staatlich-administrativen Apparat in der unmittelbaren Verwaltung der Produktion ersetzen"

Durch die jugoslawische Konzeption der gesellschaftlichen Selbstverwaltung und ihre Konfrontation mit dem sowjetischen Staats-kommunismus wurde innerhalb der kommunistischen Ländergruppe ein Element des Pluralismus freigesetzt. Erstmals gab eine Kommunistische Partei — die jugoslawische — in ihrem Zentralorgan zwei konträren Meinungen Raum: „Borba" druckte die Resolution des Kominform neben der Stellungnahme des Zentralkomitees der KPJ ab. So sproß der erste schwache Keim einer demokratischen Entwicklungsmöglichkeit in der kommunistischen Welt.

Der jugoslawische Fall widerlegte übrigens die Moskauer Prophezeiung, daß ein vom Ostblock losgelöstes kommunistisches Land unverzüglich vom Westen verschluckt werden würde. Jugoslawien erhielt im Gegenteil sogar Kredite westlicher Länder.

Insgesamt führte der Konflikt Moskau-Belgrad zumindest zu fünf Resultaten, die für die osteuropäische Revolution bedeutungsvoll werden sollten. Er zeigt allen kommunistischen Ländern und Parteien, daß man sich erfolgreich gegen die UdSSR und die KPdSU auflehnen kann. Er brachte den praktischen Nationalkommunismus hervor. Er begründete in Konkurrenz zum sowjetischen ein zweites Kommunismus-Modell. Er gebar den Pluralismus in einer Welt, die bis dahin allein das monolithische Prinzip verfolgt hatte, Er bewies, daß sich ein kommunistischer Staat auch außerhalb des Ostblocks als unabhängiges Land behaupten kann.

Das zwiefache Echo Allerdings blieb die Wirkung der jugoslawischen Propaganda in Osteuropa zunächst recht begrenzt. Aus Rumänien floh der politische Kommissar eines Bombergeschwaders nach Belgrad. Aus der DDR setzte sich Wolfang Leonhard nach Jugoslawien ab, nachdem er vorher einen oppositionellen Diskussionskreis an der SED-Parteihochschule geschaffen hatte; nach seiner Flucht schrieb er zwei Broschüren, die in die Bundesrepublik geschmuggelt wurden. die des -Größer war schon Wirkung jugosla wischen Beispiels. Das Politbüro der polnischen Partei opponierte gegen die von Moskau über das Kominform angeordnete Kollektivierung der Landwirtschaft. Auch der damalige rumänische Justizminister Patrascanu, einer der führenden kommunistischen Intellektuellen seines Landes, wandte sich gegen die Kollektivierung und erklärte vor Studenten, daß er erst Rumäne und dann Kommunist sei, also seine Politik nach den rumänischen Verhältnissen richten wolle Er bildete einen nationalkommunistischen Oppositionskreis und scheint als ehemals führender kommunistischer Theoretiker des Balkans erheblichen Einfluß besessen zu haben. Petrascanu wurde 1949 verhaftet und zum Tode verurteilt. Im gleichen Jahr kam es in Rumänien zu gewerkschaftlichen Massenkundgebungen für Georghiu-Dej, der zwar an der Aussschaltung Petrascanus beteiligt, aber selbst nationalkommunistisch angehaucht und daher von der Vertrauten Stalins in seinem Lande, Anna Pauker, in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt worden war — man soll ihm einen Zwangsaufenthalt zugewiesen haben Interessanterweise wurde Anna Pauker mit ihren engsten Mitarbeitern von Georghiu-Dej und seinen Freunden schon 1952 gestürzt.

Stalin antwortete auf die Belgrader Rebellion und die titoistische Aktivität mit einer wirtschaftlichen und politischen Blockade. Er wollte Jugoslawien isolieren und die Ausbreitung des Nationalkommunismus auf andere osteuropäische Länder verhindern. Zu diesem Zweck wurde die Bolschewisierung und Russifizierung verschärft. Im Januar 1949 kam es in Moskau zur Gründung des Comecon, um dem Ausscheren weiterer kommunistischer Länder aus dem Ostblock durch wirtschaftliche Verflechtung vorzubeugen. Kurz danach begann eine Jagd auf Titoisten und angebliche Anhänger Titos, die größtenteils — wie Rajk in Ungarn, Kostoff in Bulgarien und Slansky in der Tschechoslowakei — in Schauprozessen abgeurteilt wurden. Schließlich führte man eine Massensäuberung in den kommunistisehen Parteien Osteuropas durch: in Polen verloren 370 000, in Rumänien und Ungarn je 200 000, in der Tschechoslowakei 550 000, in Bulgarien 90 000, und in der DDR 300 000 Kom -munisten ihr Parteibuch; im Durchschnitt soll jedes vierte Mitglied ausgeschlossen worden sein

Was hat Jugoslawien befähigt, dem ungeheuren Druck aller anderen kommunistischen Länder, der wirtschaftlichen und politischen Blokkade, den systematisch organisierten Zwischenfällen an seiner Grenze und der beispiellosen Haßpropaganda zu widerstehen, die von Tito mit der nationalsozialistischen verglichen wurde? Darauf hat eigentlich Chruschtschow die Antwort gegeben: „Der Grund ist der, daß Tito bei dem Streitfall mit den jugoslawischen Genossen einen Staat und ein Volk hinter sich hatte, die durch eine harte Schule des Kampfes für die Freiheit und Unabhängigkeit gegangen waren, ein Volk, das seine führende Männer unterstützte."

Chruschtschow berichtete 1956, daß Stalin bei Ausbruch des Konflikts Moskau-Belgrad gesagt hat: „Ich brauche nur meinen kleinen Finger zu rühren — und schon wird es keinen Tito mehr geben. Er wird fallen." Doch Stalin überschätzte in diesem Falle seine Macht. Es nützte ihm auch nichs, daß er die kommunistischen Armeen Osteuropas für einen Krieg gegen Jugoslawien drillte: so wurden beispielsweise in der ungarischen Armee Tito-Köpfe als Zielscheiben verwendet Selbst die Gründung einer „wahren" Kommunistischen Partei Jugoslawiens in Moskau, die einen eigenen Rundfunksender erhielt, blieb fruchtlos. Da der jugoslawische Kommunismus den Übergang zum Nationalkommunismus vollzog, konnte er die Unterstützung der Mehrheit des jugoslawischen Volkes gewinnen. Zweifellos haben große Teile der jugoslawischen Bevölkerung Tito in seiner Auseinandersetzung mit Stalin zur Seite gestanden. Und gleichzeitig war es der KPJ möglich, durch diesen Konflikt der Unzufriedenheit im eigenen Land ein Ventil zu öffnen und sie gegen die Sowjetunion zu lenken. Jugoslawien ging aus dem Konflikt stärker, die UdSSR schwächer hervor.

6. Die zweite Phase (1953— 1955)

In ihrer zweiten Phase überschritt die osteuropäische Revolution endgültig den Rahmen des Konflikts Moskau-Belgrad. Die Anstöße gingen sowohl von Jugoslawien als auch von der Sowjetunion aus.

Am 6. März 1953 starb Stalin. Sofort setzte in der UdSSR der Kampf um die Nachfolge ein. Die Führung der KPdSU spaltete sich in mehrere Gruppen, die eine unterschiedliche Innen-und Außenpolitik zu verfolgen begannen. Das trug Unsicherheit in die Kommunistischen Parteien hinein Und ließ die Völker Osteuropas hellhörig werden.

Zunächst soll jedoch das Fortschreiten der jugoslawischen Reformen wie überhaupt die Weiterentwicklung des jugoslawischen Kommunismus betrachtet werden, denn sie zeichneten den Lauf bestimmter Ereignisse in anderen Ländern bis zu einem gewissen Grad vor.

Jugoslawien Die Schaffung der jugoslawischen Arbeiter-selbstverwaltung war nur der Beginn für die Einführung eines neuen Wirtschaftssystems, das zwischen 1953 und 1955 feste Konturen anzunehmen begann. Allein schon der Umstand, daß die Arbeiterräte das Recht erhielten, auch über die Produktion ihrer Betriebe mitzubestimmen, machte einen teilweisen Abbau der zentralen Planung nötig. Es bildete sich allmählich eine Mischform von Plan-und Marktwirtschaft heraus. Jugoslawien führte als erstes kommunistisches Land schon 1953 Zinssätze für wirtschaftliche Investitionskredite ein, um seine Wirtschaft auf das Prinzip der Rentabilität umzustellen. Ab 1954 wurden die Arbeiter auch am Gewinn ihrer Betriebe beteiligt.

Diese Wirtschaftsreform begleitete eine Reform der Landwirtschaft. Ein am 30. März 1953 verabschiedetes Gesetz erlaubte den Austritt aus den meist zwangsweise gebildeten Kollektivwirtschaften unter Mitnahme des Eigentums. Das wurde nächtelang von den Bauern gefeiert. Sie machten in großer Zahl von ihrem Recht Gebrauch. Tausende von Kollektivwirtschaften lösten sich auf oder zerfielen. Mit den übriggebliebenen versuchten die jugoslawischen Kommunisten einen Neubeginn auf freiwilliger Basis, weil das von der Sowjetunion übernommene Kolchossystem „keine positiven Resultate gezeitigt hatte" Wer nun in die landwirtschaftlichen Genossenschaften eintrat, erhielt für sein eingebrachtes Land einen Pachtzins. Gleichzeitig wurde die Zwangsablieferung von Produkten den bäuerlichen Privateigentümern erlassen. Diese Neuerungen kamen in ihrer einschneidenden Bedeutung fast den Änderungen des Industrie-systems gleich, da sie mit der bisherigen kommunistischen Praxis in der Landwirtschaft brachen.

Doch damit nicht genug. Jugoslawien führte auch eine Staatsreform durch. Schon 1953 wurden Produzentenräte geschaffen, die sich aus gewählten Vertretern der Industrie, der genossenschaftlichen Landwirtschaft und des Handels zusammensetzen und eine zweite Kammer im Parlament bildeten; sie sind vor allem als politische Organe der betrieblichen Arbeiterräte gedacht. Ferner wurde die bis dahin außerhalb der Volksvertretung stehende Regierung abgeschafft und in einen Bundesvollzugsrat umgewandelt, der nur noch die Parlamentsbeschlüsse ausführen und das beginnende Absterben des Staates demonstrieren soll. Schließlich kam es im Sommer 1955 zur Einführung der selbstverwaltenden Kommune, die Ähnlichkeiten'mit der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik hat. Nebenbei wurde ein zögernder Schritt auf echte Wahlen hin getan: 1953 konnten in einer Reihe von Wahlkreisen erstmals zwei Kandidaten aufgestellt werden. Ursprünglich war diese Regelung für die Mehrzahl der Wahlkreise vorgesehen, doch Tito wich vor den Konsequenzen seines eigenen Tuns zurück, was die Opposition von Djilas hervorrief, der den jugoslawischen Nationalkommunismus zu einem demokratischen Kommunismus weiterführen wollte.

Daß trotz der durchgeführten Reformen auch in der jugoslawischen Bevölkerung noch Unzufriedenheit bestand, zeigte sich an Unruhen, die im Mai 1955 vor allem in Kroatien und Bosnien ausbrachen und nur durch den Einsatz von Militär unterdrückt werden konnten. „Es gab Tote und Verwundete, und Hunderte von Bauern wurden verhaftet." Darüber hinaus kam es zu einer Säuberung in Teilen der Kommunistischen Partei, wobei auch einige höhere Funktionäre ihre Posten verloren.

Doch im gleichen Monat erzielte Jugoslawien außenpolitisch einen großen Erfolg. Chruschtschow, Bulganin und Mikojan kamen nach Belgrad, um die Beschuldigungen zurückzunehmen, die 1948 und 1949 von Stalin gegen die jugoslawischen Führer erhoben worden waren. In der Belgrader Deklaration erkannten sie unterschiedliche Wege zum Kommunismus an. Damit war der jugoslawische Nationalkommunismus in Osteuropa legalisiert und des Bann-fluchs, der bis dahin auf ihm gelastet hatte, entledigt. Jugoslawien ging aus dem Konflikt mit der Sowjetunion als Sieger hervor. Die politische und moralische Bedeutung dieses Sieges ist kaum zu überschätzen, wenn man bedenkt, was Stalin alles getan und eingeleitet hatte, um den Titoismus auszurotten.

Chruschtschow wollte erreichen, daß sich Belgrad wieder dem Ostblock anschloß. Doch es beharrte auf seiner Politik der Blockfreiheit und aktiven Koexistenz.

Tschechoslowakei Nach Stalins Tod kam es in drei osteuropäischen Ländern fast gleichzeitig zu Unruhen.

Das erste dieser Länder war die Tschechoslowakei. Ihre Regierung führte eine Währungsreform durch, die viele kleine Sparvermögen so gut wie annullierte. Nicht zuletzt wurden Arbeiter und kleine Angestellte betroffen. Aus Protest gegen die unsoziale Währungsreform brachen Unruhen in Pilsen und nach einem anderen Bericht auch in Prag aus Im Zentralorgan der Kommunistischen Partei Jugoslawiens wurden diese Unruhen als „Klassenprotest" der Arbeiter gegen die ihnen unter dem Namen des Sozialismus „aufgezwungenen staatskapitalistischen Verhältnisse" charakterisiert.

Der 17. Juni Der zweite Ausbruch erfolgte in der DDR. Hier war es bereits im Frühjahr zu Streiks in drei großen Betrieben gekommen, darunter im Stahl-und Walzwerk Hennigsdorf. Die Streiks fielen mit einer Ernährungskrise zusammen. Ulbricht straffte jedoch noch die Zügel und rief zu erhöhter Wachsamkeit gegen angebliche Agenten auf. Am 28. Mai 1953 verordnete die Regierung der DDR sogar eine Normenerhöhung um 10 °/o, das heißt, die weitere Steigerung der Arbeitsleistung wurde trotz der sich immer mehr verschärfenden Versorgungskrise zum gesetzlichen Zwang. Sie sollte ausgerechnet bis zum Geburtstag Ulbrichts am 30. Juni, also diesem zu Ehren erfolgen. Als dann das Politbüro der SED am 11. Juni auf sowjetisches Drängen einen „neuen Kurs" proklamierte, in dem es der Bevölkerung eine Reihe Zugeständnisse machte, wurde dies als ein Zeichen der Schwäche aufgefaßt. Noch am gleichen und folgenden Tage kam es zu Versuchen der Gefangenenbefreiung in Schloßvippach und Brandenburg. Am meisten erbitterte die Arbeiterschaft, daß der „neue Kurs" keine Zurücknahme der befohlenen Normen-erhöhung enthielt. Schon am 15. Juni flackerten daher Streiks unter den Bauarbeitern der Ost-Berliner Stalinallee auf. Am nächsten Tag marschierten die Bauarbeiter zum Haus der Ministerien, dem Sitz der Regierung, und unterwegs schlossen sich ihnen Tausende an. Vergebens versuchten sie, Ulbricht zu sprechen. Auf dem Rückmarsch wurde für den nächsten Tag der Generalstreik ausgerufen. Die dann erfolgte Rücknahme der Normenerhöhung kam zu spät, denn inzwischen waren die Forderungen der Arbeiter Ost-Berlins bereits über den ökonomischen Ausgangspunkt hinausgegangen. Am 17. Juni erhob sich auch die mitteldeutsche Arbeiterschaft und riß erhebliche Teile anderer Bevölkerungsgruppen mit. In einer Anzahl von Dörfern revoltierten auch die Bauern. Selbst viele Mitglieder der kommunistischen FDJ, zum Teil noch mit dem Blauhemd bekleidet, reihten sich ein. Es wurden Gefängnisse gestürmt, Rathäuser besetzt, Parteibüros verwüstet — und es floß Blut.

Uber Leipzig am 17. Juni wurde berichtet: „Durch die Peterstraße bewegte sich ein völlig lautloser Zug, an dessen Spitze Männer schritten, die auf einer Bahre den ersten Toten trugen, einen jungen Arbeiter mit einem Kopfschuß. Ein großer Kranz lag auf ihm, und von überall her wurden Blumen auf ihn geworfen. Die umliegenden Straßen waren wie ausgestorben, eine drohende Stille hatte sich ausgebreitet . . ."

Die spontane Erhebung des 17. Juni hatte den Charakter einer Revolution. Sie war nicht lokal begrenzt wie in der Tschechoslowakei, sondern setzte Millionen Menschen in Hunderten von Orten in Bewegung; selbst nach Grotewohl sind es über 270 Städte und Dörfer gewesen. Die „Todesbereitschaft der Massen", nach Lenin ein entscheidendes Merkmal revolutionärer Stimmung, trat insbesondere bei der Gefangenenbefreiung hervor, die sich in nicht wenigen Orten unter Kugelhagel vollzog, als es zu offenen und blutigen Zusammenstößen mit.der Volkspolizei kam. Der führende Theoretiker des jugoslawischen Kommunismus, Kardelj, hat sich in der jugoslawischen Parteipresse über den 17. Juni so geäußert, daß diese Arbeiteraktion „in der Tat die einzig wirksame und einzig richtige sozialistische Gesellschaftskritik am staatskapitalistischen System des bürokratischen Despotismus" war. „In Berlin hat die herrschende Bürokratenkaste die rote Fahne der Oktoberrevolution endgültig in den Schmutz gezogen. Nicht der Sowjetsoldat, der unter ihr in die Arbeitermassen schoß, verteidigte in Berlin diese Fahne, sondern die Berliner Arbeiterklasse, als sie sie vom Brandenburger Tor herunterholte. Sie war dort kein Symbol der Oktoberrevolution mehr, sondern Symbol eines reaktionären antisozialistischen Despotentums, und nur die Hand eines Arbeiters hatte das Recht, sie von dort herabzuholen."

Zwar war kein unmittelbarer Einfluß der jugoslawischen Reformen festzustellen, doch lief die Wahl von Streikkomitees und Ausschüssen in vielen Betrieben ebenfalls auf die Schaffung von Arbeiterräten hinaus. Die Arbeiter nahmen vorübergehend eine erhebliche Anzahl angeblich volkseigener Betriebe wirklich in ihre Hände. Es ist interessant, daß sie hierbei von einigen antistalinistischen Kommunisten unterstützt worden sind, die sich spontan an ihre Seite stellten. Das galt zum Beispiel für Robert Havemann und Heinz Brandt. Beide sprachen am 16. Juni 1953 in Berlin zu den Demonstranten. Heinz Brandt, damals Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, rief sie auf, „sofort Arbeiterausschüsse zu wählen, um eine demokratische Grundlage, eine Interessenvertretung in den Betrieben, zu sichern. Der neue Kurs müsse zu Wiedervereinigung und freien Wahlen führen" Er ist es auch gewesen, der die Zurücknahme der Normenerhöhung veranlaßt hat. Am 17. Juni sprach er zu den Arbeitern der „volkseigenen" Bergmann-Borsig-Werke Ost-Berlins: „Heute ist dieser Betrieb euer Betrieb -geworden, aber da mit steht auch in eurer Verantwortung, was aus ihm wird. Erstens: nichts zerstören; zweiens: hier und sofort einen Betriebsausschuß wählen"

Der Ausschuß wurde auch gewählt. Die Ar-□eiter bevollmächtigten ihn in einer Entschlie-Bung, „ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen zu vertreten und sich mit ähnlichen Ausschüssen in anderen Betrieben in Verbindung zu setzen." Der betriebliche Arbeiterrat sollte also auch ein politisches Organ sein und sich möglichst mit anderen Arbeiter-räten auf überbetrieblicher Basis vereinen. Hier war die Analogie zu den jugoslawischen Reformen, vor allem zur jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung, bereits offensichtlich. Man wurde aber auch an die ursprünglichen Sowjets erinnert. Auf eben diese Weise, durch Zusammenschluß der betrieblichen Arbeiter-ausschüsse, waren 1905 und 1917 in Rußland die Räte entstanden. Nur unter diesem Gesichtspunkt läßt sich die tiefe Tragik des bitter-ironischen Kommentars von Heinz Brandt ermessen, als am 17. Juni, wenige Stunden nach seiner Ansprache in den Bergmann-Borsig-Werken, eine politische Demonstration der Belegschaft im Stadtzentrum von sowjetischen Truppen aufgelöst und der Vorsitzende des soeben gewählten Arbeiterrates nebst anderen „Rädelsführern" verhaftet wurde: „Welch glorreiche Aktion der Sowjet(Räte) macht gegen die Räte!" übrigens zeigte sich eine erstaunliche Übereinstimmung der Ansichten Brandts mit denen von Kardelj: „In unserem Falle bestand die herrschende . Oberschicht'keineswegs aus Kapitalisten, Konzernherren oder deren Werkzeugen. Es handelte sich vielmehr um eine weithin parasitäre, weitgehend fremd-national bestimmte Funktionärskaste des dirigistischen Sowjet-Systems, das sich als . sozialistisch'ausgab. Sie kopierte bis zu Stalins Tod sklavisch die russischen Methoden und war Sachwalterin und ausführendes Organ der imperialen russischen Fremdherrschaft. Die . unabhängige, souveräne'DDR war besetztes Land, das mit dirigistisch-kolonialen Methoden mittels dieser deutschen Statthalterschicht beherrscht wurde. So trat von vornherein neben das ökonomische und innenpolitische auch das nationale Moment."

Die nationale Frage nahm freilich in der DDR und Ostberlin eine besondere, von den anderen osteuropäischen Ländern verschiedene Form an. Das Streben nach Erneuerung der nationalen Unabhängigkeit schlug sich hier, als Ausdruck der Spaltung, in der Forderung nach Wiedervereinigung über freie Wahlen nieder. Ohne Zweifel waren wir am 17. Juni der Wiedervereinigung Deutschlands näher denn je. Doch die standrechtlichen Erschießungen und die sowjetischen Panzer durchkreuz-ten die historische Chance, von heute auf morgen alle Schranken zwischen den beiden Teilen unseres Landes (sowie zwischen den beiden Teilen Berlins) niederzureißen. Andererseits zeigte die Revolution, daß der Stalinismus nun in der DDR geschichtlich überholt war, unabhängig davon, ob er sich in Gestalt einer bestimmten Person oder Personengruppe selbst überlebt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu erkennen, daß die Erhebung nicht, wie gemeinhin angenommen wird, von Ost-Berlin ausging, sondern daß ihr Kerngebiet von Anfang an in Mitteldeutschland lag. Wir haben nicht zufällig darauf hingewiesen, daß sich die politische Lawine nach ihrem Frühjahrsprolog, den Streiks, schon am 11. Juni in Bewegung setzte. Am 15. Juni sprang sie nach Berlin über, um von da aus, mit noch größerer Wucht, schon in der Nacht vom 16. zum 17. zurückzurollen. Zwischen dem 11. und 15. Juni hat es in Mitteldeutschland bereits „an die Streiks gegeben" 6”), wie Heinz Brandt vertraulich erfuhr. Und während die Erhebung in Berlin schon am 17. erlosch, schwang sie in der DDR an manchen Orten über dieses Datum hinaus. So wurde in großen Industriebetrieben Brandenburgs noch am 18. und 19. Juni gestreikt. Von Oberschülern wird berichtet, daß sie sogar bis 3. Juli gestreikt haben, um zu erreichen, „daß man sie nicht mehr mit politischem Unterricht und russischer Grammatik belästigt" 60). Die Erhebung begann und endete in Mitteldeutschland.

Sie war von einer Spaltung des Politbüros der SED begleitet. Diese Spaltung hatte sich schon längere Zeit angebahnt, weil es Meinungsverschiedenheiten über die zu verfolgende Politik, nicht zuletzt in Gesamtdeutsch-land, gab. Sie wurde durch die Fraktionsbildung in der KPdSU nach Stalins Tod vorangetrieben.

Auf der einen Seite stand eine Gruppe um Ulbricht, auf der anderen eine Gruppe um Herrnstadt, der, anscheinend gestützt von Malenkow und Berija, Ulbricht und seine engsten Mitarbeiter aus der Parteiführung zu entfernen gedachte. Er strebte die Erneuerung der SED, deren Umformung in eine wirkliche Volkspartei und eine neue Wirtschaftspolitik an, die sich nicht mehr rücksichtslos über die Interessen der Arbeiter und anderer Bevölkerungsschichten hinwegsetzen sollte. Wir wissen von Heinz Brandt, daß Herrnstadt am 16. Juni 1953 bereit war, sich hinter die Forde-rungen der Berliner Bauarbeiter zu stellen Anscheinend hat er auch die Wiedervereinigung und die Möglichkeit freier Wahlen erwogen, um die SED auf eine gesamtdeutsche Basis zu stellen und von dieser Basis aus einen neuen Start des deutschen Kommunismus zu versuchen. Sein Ziel ging offenbar dahin, die Kluft zwischen der SED und dem deutschen Volk durch eine sozialere und nationalere Politik zu überwinden, was ihm und auch einem Teil der Männer im Kreml unter der Führung Ulbrichts nicht mehr möglich erschien.

Am 16. Juni 1953 scheint die Ulbrichtgruppe im Politbüro der SED in der Minderheit gewesen zu sein. Erich Honecker hat durch einen unvorsichtigen Satz zugegeben, daß es damals „schlecht um Walter" stand. Eine solche Situation war niemals zuvor eingetreten.

Der Gruppe um Herrnstadt, die schließlich doch unterlag, gehörte mit gewissen Vorbehalten auch Anton Ackermann an, der in den ersten Nachkriegsjahren Chefideologe der KPD gewesen war. Ackermann hatte den Mut besessen, bereits im Februar 1945 zu schreiben, daß der Bolschewismus nur „das innerpolitische System der Sowjetunion" sei. Er zog auch die Konsequenz, „daß der Bolschewismus einem Volk, das ihn nicht will, weder aufgezwungen werden kann noch aufgezwungen werden darf" Der fast sensationelle Satz im Aufruf der neugegründeten KPD vom 11. Juni 1945, „daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre ..." ging wahrscheinlich auf seinen Einfluß zurück. Jedenfalls hat Ackermann im Februar 1946 einen „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus" propagiert, der, statt den Sowjetkommunismus nachzuahmen, den Eigenarten Deutschlands entsprechen müsse. Doch nach Ausbruch des Konflikts zwischen Moskau und Belgrad wurde diese Theorie als „nationalistisch" verurteilt, und Ackermann mußte sie widerrufen. Indes verdeutlichte seine Hilfestellung für Herrnstadt, daß er seiner Überzeugung von der Notwendigkeit eines eigenen Weges zum Kommunismus in Deutschland weiter anhing und nach einer neuen Möglichkeit suchte, sie in die Praxis umzusetzen. Die Theorie vom „besonderen deutschen Weg" ist der Keim eines deutschen Nationalkommunismus gewesen. Der im Frühjahr 1949 nach Jugoslawien geflohene Wolfgang Leonhard war ihr eifrigster Sekundant. In Leonhard verknüpften sich die deutsche und die jugoslawische Version des National-kommunismus.

Wenn man den 17. Juni isoliert betrachtet, mutet er wie eine Tragödie an. Wenn man ihn jedoch in den Rahmen des osteuropäischen Zusammenhangs stellt, erscheint er in einem anderen Licht. Wir bemerken dann, welche Impulse in anderen kommunistischen Ländern von ihm ausgegangen sind. Trotz seines Scheiterns wurde er zu einem beflügelnden Element der osteuropäischen Revolution, deren erster vulkanischer Ausbruch er war.

Außerdem löste er einen Prozeß der Gärung innerhalb des deutschen Kommunismus aus. Hier möchte ich unterstreichen, was Heinz Brandt geschrieben hat: „So unfruchtbar der politische Ausgang des 17. Juni war, so schöpferisch wirkte er auf alle ein, die sich das Denken noch nicht abgewöhnt hatten." Vor allem mußte nun die so unbequeme Frage beantwortet werden, welche Deformationen und Entwicklungstendenzen der DDR daran schuld gewesen waren, daß sich plötzlich die Arbeiterschaft gegen den „Arbeiterstaat" erhob. Wäre das in einem echten Arbeiterstaat möglich gewesen?

Die in der DDR und Ost-Berlin stationierten sowjetischen Truppen waren während der Erhebung des 17. Juni zurückhaltender als die Volkspolizisten. „Die Sowjets schossen über Jie Köpfe. Aber die Vopos hielten auf die Leiber der Demonstranten." Wir wissen nicht, ob die Zurückhaltung spontan oder auf eine Weisung zurückzuführen war. Womöglich spielten beide Faktoren zusammen. Jedenfalls stießen die deutschen Arbeiter unter den Rotarmisten auf Zeichen der Sympathie.

Der 17. Juni kostete auch sowjetische Soldaten das Leben. Sie wurden jedoch nicht von deutschen Revolutionären getötet, sondern durch ihre eigenen Leute hingerichtet Im ganzen sollen nach dem 17. Juni 18 sowjetische Soldaten und Offiziere wegen Befehlsverweigerung erschossen worden sein Sie hatten »ich geweigert, auf die Streikenden und Demonstrierenden zu schießen.

Sowjetunion Der 17. Juni strahlte bis in die Polarregion der UdSSR aus. Ende Juli kam es zu einem Mas-senstreik im Zwangsarbeitslager Workuta. Er begann mit der allgemeinen Arbeitsniederlegung im Schacht 7, dessen Arbeiter ein Streik-komitee wählten und einen Vertreter der sowjetischen Regierung oder des Politbüros der KPdSU zu sprechen wünschten, um ihm ihre Forderungen vorzutragen. Statt dessen traf eine militärische Untersuchungskommission von rund 30 Offizieren unter einem Generaloberst ein. Nun sprang der Streik von einem Schacht auf den anderen über. Die Zwangsarbeiter forderten vor allem die Herabsetzung ihrer Strafen, die meist pauschal für Jahrzehnte verhängt worden waren. Im Schacht 29 wurde nicht nur gestreikt; man führte auch eine öffentliche Kundgebung durch und wählte eine eigene Lagerleitung, die dem offiziellen Kommandanten mitteilte, „daß die Gefangenen die Verwaltung des Lagers ab sofort in ihre eigenen Hände nähmen" Die Zwangsarbeiter dieses Schachts stellten sogar eine eigene Lagerpolizei auf, die Spitzel einsperrte und im Karzer sitzende Gefangene, soweit sie nicht kriminell waren, befreite. Der Massenstreik in Workuta dauerte etwa zwei Wochen. Zuletzt hielt sich nur noch der Schacht 29. Er wurde am 1. August 1953 von Sicherheitstruppen umstellt und, da sich die Rebellen nicht ergaben, sondern trotzig Freiheitslieder sangen, schließlich unter dem Feuer von Maschinenpistolen gestürmt. Nach kurzer Zeit bedeckten 64 Tote und 200 Schwerverletzte die eiskalte Erde nach einer anderen Darstellung waren sofort 89 Häftlinge tot

Der deutsche Exkommunist Josef Scholmer, damals selbst Zwangsarbeiter in Workuta, hat rückblickend geschrieben, niemals habe er sich träumen lassen, daß er „einen wochenlangen Streik erleben würde, durchgeführt von mehr als 10 000 Bergarbeitern mit Streikparolen und Streikkomitees, mit Flugblättern und Streikbrechern, einen Streik, der nicht anders endet als jener historische Aufstand in den sibirischen Minen der Lena-Goldfield-Company, den die zaristische Polizei im Jahre 1912 genau so zusammengeschossen hat wie die bolschewistische den unseren des Jahres 1953" Und er fügte hinzu: „Der Streik ist die erste sichtbare, geschlossene Demonstration gegen die Regierung seit dem Aufstand der Matrosen von Kronstadt im Jahre 1921. Er hat den Nimbus von der Unangreifbarkeit des Systems zerstört... " Außer in Workuta ist es nach Stalins Tod auch in einer Anzahl anderer Zwangsarbeitslager der Sowjetunion zu Aufständen und Streikaktionen gekommen. Scholmer hat selbst noch von Streiks in Norilsk, Karaganda, Taischet und im Fernen Osten berichtet, die ebenfalls militärisch niedergeschlagen wurden Zwölf bis fünfzehn Millionen Zwangsarbeiter des stalinistischen Systems begehrten auf, und tatsächlich haben ihre Aktionen, trotz des Fehischlagens im einzelnen, bis Ende 1955 die Auflösung vieler Lager bewirkt. Dies hing allerdings auch damit zusammen, daß sich die Zwangsarbeit für das Regime kaum noch lohnte. Die Arbeit mit primitiven Geräten warf wegen des großen Zeitaufwands, den sie im Verhältnis zur maschinellen Produktion erforderlich machte, zu wenig ab. Wo man den Häftlingen kostspielige Maschinen anvertraute, waren diese bald ruiniert. Alexander Solschenizyn hat dies in seiner berühmten Erzählung, die ja auf eigener Erfahrung fußt, folgendermaßen geschildert: „Schuchow hatte schon an vielen Stellen gearbeitet, und immer war es die gleiche Geschichte: entweder gingen die Maschinen von selbst kaputt oder sie wurden durch die Sträflinge kaputt gemacht. Er dachte daran, wie sie das Förderband im Holzlager stillgelegt hatten. Einen Knüppel hatten sie ins Getriebe gesteckt. Sie wollten etwas ausruhen. Denn sie hatten pausenlos (!) Stämme aufeinanderschichten müssen."

Die Ausbeutung der Zwangsarbeiter schlug in dem Moment, als man sie an Maschinen wie das Förderband stellte, zum Schaden des Regimes um. Auch wenn man sie manuelle Arbeiten verrichten ließ — wie das Willi Münzenberg und seiner Frau 1933 vorgeführt wurde —, waren die Kosten selbst bei kleinster Essensration höher als die Produktion. Und je kleiner die Ration war, desto schwächer wurden die Sträflinge, desto geringer infolgedessen auch ihre Arbeitsleistungen. Dieser Kreislauf, in dem sich die Zwangsarbeit im gleichen Maße verfing, wie die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem relativ modernen Industriestaat wurde, war einer von vielen Gründen, daß sich das stalinistische System, das ja auf einer breiten Unterschicht von Arbeitssklaven stand, selbst in der UdSSR überlebte. Djilas schrieb hierüber: „Ein Zwangsarbeiter kostet mehr, als er produzieren kann, wie wenig man ihm zu essen gibt, da man ja auch den Verwaltungsapparat, der nötig ist, um ihn in Schach zu halten, mit ein-rechnen muß." Zum Verwaltungspersonal kamen noch die Sicherheitstruppen, und aus ihnen wuchs wiederum ein spezielles Problem. Das Wachpersonal in Workuta war zum Beispiel in Kasernen untergebracht, die zum Teil noch schlechter als die Gefangenenbarakken eingerichtet waren, was selbstverständlich Unzufriedenheit unter den Posten hervorrief. Scholmer hat ein interessantes Gespräch zwischen einem Sträfling und einem Wachsoldaten überliefert: „Ein gefangener Ukrainer bittet zum Beispiel den Posten um Feuer. Sie sprechen drei Worte miteinander, dann fragt der Gefangene: Bist Du aus Saporoschje?'. Natürlich bin ich aus Saporoschje, Du auch?', Ich habe dort zwölf Jahre gewohnt.'

Es entspinnt sich ein langes Gespräch. Es endet damit, daß der Posten aus Saporoschje dem Gefangenen aus Saporoschje seinen ganzen Machorka-Vorrat in die Hände drückt. Die beiden sprechen fünfmal über . Saporoschje’, beim sechsten Male sagt der Soldat: . Lange werdet Ihr nicht mehr sitzen, bald kracht der Laden zusammen."

Der Gefangene begreift: dies ist ein historischer Moment. Der Bewacher ist in Wirklichkeit ein Freund. Er tut einige Züge aus seiner Zigarette. Dann fragt er:

Werdet Ihr uns helfen?'

Der Soldat nickt: , Ja, wir helfen.'

Der Gefangene fragt weiter: Seid Ihr viele, die helfen werden?', Es wird ausreichen. ’ So beginnt eine heimliche Zusammenarbeit zwischen dem Unterdrückten und denen, die unterdrücken sollen. Die NKWD kann sie nicht daran hindern. Es gibt viele Gespräche und viele Saporoschjes"

Dieses Gespräch wurde, soweit sich das ersehen läßt, ebenfalls 1953 geführt. Stalins Tod hatte bei den Sträflingen neue Hoffnung und bei den Soldaten Zweifel an der weiteren Haltbarkeit des Systems aufkommen lassen. Er begünstigte die Massenstreiks ebenso wie die Nachrichten über den 17. Juni, die den Arbeitssklaven aus der auch im Lager angeschlagenen „Prawda 1’ bekannt wurden.

Zur Nutzlosigkeit der Zwangsarbeit gesellte sich also noch die wachsende Gefahr einer Fraternisierung zwischen den Sträflingen und dem Wachpersonal. Aber zweifellos war die Auflö-sung vieler Lager zwischen 1953 und 1955 auch darauf zurückzuführen, daß sich die neue sowjetische Partei-und Staatsführung sowohl in der eigenen Bevölkerung als auch im westlichen Ausland populär machen wollte. Von Entstalinisierung war zu dieser Zeit indes noch keine Rede. Es wurde nur von der Notwendigkeit einer kollektiven Führung gesprochen. Diese Notwendigkeit ergab sich allerdings schon daraus, daß keiner der neuen Männer die Autorität oder die Macht eines Stalin besaß und bereits allein herrschen konnte. Zunächst hatte sich ein Triumvirat Malenkow-Berija-Molotow gebildet. Malenkow verlor jedoch schon am 14. März 1953 seinen Posten als Parteichef, und von Berija hieß es im Juli, daß er als Partei-und Volksfeind verhaftet worden sei. Im September trat Chruschtschow an die Spitze der KPdSU. Sofort deckte er katastrophale Mißstände in der Landwirtschaft auf, um Malenkow, der 1952 auf dem XIX. Parteitag die landwirtschaftliche Situation in rosigen Farben geschildert hatte, der Schönfärberei zu überführen. Gleichzeitig setzte er die vorläufige Entmachtung der Geheimpolizei durch, um ihr Eingreifen zugunsten Berijas, der hingerichtet wurde, zu verhindern.

Diese Hinrichtung ist von dem neuen Kollegium Chruschtschow-Molotow-Malenkow, das bereits kein Triumvirat mehr war, offenbar vereint beschlossen worden. Erst als Malenkow am 8. Februar 1955 auch als Ministerpräsident zurücktrat und Molotow im Oktober desselben Jahres öffentliche Selbstkritik üben mußte, war Chruschtschow eindeutig in den Mittelpunkt der sowjetischen Gesellschaft getreten. Noch Mitte 1954 hatten die anderen Führer eine seiner Reden zensiert

Es ist jedoch so gut wie sicher, daß jene Reformatoren, die am weitesten gehen wollten, damals nicht Chruschtschow und Mikojan, sondern Malenkow und Berija waren. Berija hat den Amnestieerlaß vom 27. März 1953 unterschrieben und mit der Auflösung der Arbeitslager begonnen. Malenkow hatte den Mut, das stalinistische Prinzip des Primats der Schwerindustrie zugunsten eines erhöhten Konsums zu verwerfen. Eben dies wurde ihm von Chruschtschow zum Vorwurf gemacht.

Was waren die wichtigsten Änderungen des sowjetischen Systems zwischen 1953 und 1955? Zweifelsohne die weitgehende Auflösung der Zwangsarbeitslager und die Zurückdrängung der Geheimpolizei. Damit wur-den zwei typische Merkmale des Stalinismus beschnitten, der sich auf Zwangsarbeit gestützt und mit Hilfe der Geheimpolizei geherrscht hatte. Die Grundlagen der Bürokratie jedoch — ihre sozialen Privilegien, das politische Machtmonopol, das Meinungsmonopol, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, die zentralistische Planwirtschaft und die dirigistische Kulturpolitik — blieben unangetastet. Das System blieb totalitär.

Die Völker der Sowjetunion waren nach Stalins Tod wie aus einem Alptraum erwacht und meldeten ihr Verlangen nach garantierten Menschenrechten an, damit sich nie mehr wiederholen könne, was unter Stalin geschehen war. Als erste begann die Dichterin Olga Bergholz für Hunderttausende und Millionen zu sprechen, als sie im April 1953 in einer Literaturzeitschrift das Fehlen der Menschlichkeit und des Menschen selbst in der sowjetischen Lyrik beklagte. Damit war indirekt auch die fehlende Menschlichkeit des politischen Regimes angesprochen.

Im September 1953 rief der sowjetische Schriftsteller Paustowski in den Saal einer Unionskonferenz: „Man muß endlich dem Banausentum in der Literatur und Kritik den Krieg erklären. .. Man muß jeden Schriftsteller als etwas Ganzes betrachten und von seiner schöpferischen Individualität ausgehen." Bis dahin hatte Individualität immer als Individualismus, als eine bürgerliche Krankheit gegolten.

Im Februar 1954 wurde in Moskau Sorins Stück „Gäste" aufgeführt. In ihm sagte ein enttäuschter Altkommunist zu seinem Sohn: „Das Land wurde stärker und das Volk reicher. Und da traten neben den unermüdlichen, fleißigen Arbeiter unbemerkt, ganz allmählich, auch solche Leute wie Du auf den Plan, vollgefressene, hochmütige Beamtenbonzen, die den Kontakt mit den Menschen verloren haben." Das war seit langem die erste Kritik an der neuen Bürokratenklasse, die sich an die Stelle der Sowjets gesetzt hatte. Einen ähnlichen Ton, wenn auch unter einem anderen Gesichtspunkt, schlug Ilja Ehrenburg drei Monate später in seiner Novelle „Tauwetter" an, in der ein Sohn zu seinem Vater zynisch sagt, daß man sich mit Ideen nur das Genick brechen könne, weshalb es besser sei, keine zu haben.

In dem Titel der Ehrenburgschen Novelle drückte sich nicht nur eine Stimmung, sondern auch die Hoffnung aus, daß man endlich freidenken, schreiben und sprechen könne. In dieser Hoffnung wurde die Intelligenz anfangs durch eine großzügigere Haltung der Partei bestärkt, bis diese erkannte, daß es auch um die Freiheit der Kritik an ihr selbst ging. Auf dem Schriftstellerkongreß, der Ende 1954 tagte, kam es bereits zum Konflikt zwischen konservativen und progressiven Literaten, wobei als konservativ galt, wer sich bedingungslos dem Stilprinzip des „Sozialistischen Realismus" und dem Kontrollanspruch der Partei unterwarf. Die mutigsten Vertreter der progressiven Richtung hatten schon vor dem Kongreß in einem Offenen Brief das Recht auf die Darstellung der Wahrheit gefordert: Der Schriftsteller habe ein Recht auf Toleranz und unbehindertes Schaffen. Er dürfe nicht gezwungen werden, seine Bücher umzuschreiben. Mit dem Offenen Brief war eine neue, im kommunistischen Herrschaftsbereich bisher unbekannte Form des Protestes von allgemeiner Bedeutung gefunden, die den engen Kreis der anonymen und geflüsterten Kritik durchbrach.

So zeichnete sich nach Stalins Tod neben dem parteioffiziellen Standpunkt — der sich zwar gemäßigter zeigte, aber in seinen Grundsätzen unbeirrt blieb — die Herausbildung einer öffentlichen Meinung in der Sowjetunion ab, deren Sprachrohr die Dichter und Schriftsteller waren. Diese öffentliche Meinung übte, je mehr sie an Breite und Tiefe gewann, einen wachsenden Druck auf die Parteiführung in Richtung auf grundlegende Reformen aus. Damit reifte die Entstalinisierung heran.

Ungarn Der 17. Juni hat, wie wir längst wissen, im Kreml zu einer panikartigen Stimmung geführt, noch bevor die Massenstreiks in den Zwangsarbeitslagern ausgebrochen waren. Diese Panik sollte wiederum die Verhältnisse Ungarns verändern. Lassen wir Tibor Meray sprechen, der die Aufzeichnungen Imre Nagys über die Moskauer Konferenz auswerten konnte: „. .. einige Tage nach dem Ostberliner Aufstand vom 17. Juni befahl das sowjetische Politbüro Delegation eine ungarische mit äußerster Dringlichkeit nach Moskau... Das Rakosi-Regime habe, so sagten die Russen, die ungarische Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt... Offensichtlich mußte man sich die völlig veränderte Einstellung der sowjetischen Führer mit den jüngsten Ereignissen in Ostberlin erklären... Im Berliner Fall hatten die sowjetischen Führer erkannt, daß es nicht genügte, den Aufstand einfach mit ihren Panzern zu zermalmen. Sie hatten deshalb rasch einer Reihe von wirtschaftlichen und politischen Konzessionen zugestimmt, die auf eine Verbesserung der Zustände zielten. Aber nun deutete ihre Kritik an den Ungarn an, daß sich ein radikaler Wandel im gesamten sozialistischen Lager abzeichnete."

Die sowjetischen Führer hatten einen ungeschminkten Bericht über die Situation in Ungarn ausarbeiten lassen. Sie warfen der ungarischen Parteispitze (Rakosi, Gero, Farkas und Revai) überspitzte Industrialisierung, Ruinierung der Landwirtschaft, Willkürakte gegen die Bevölkerung, Cliquenwirtschaft und Personenkult vor. Jeden Augenblick könne sich das ungarische Volk zu einem Aufstand erheben. Chruschtschow sagte düster: „Wenn die Situation nicht unverzüglich und grundlegend geändert wird, wird man Sie mit Mistgabeln aus dem Land jagen!" Offenbar wußte er, daß es auch in Ungarn — als drittem Land — bereits zu Unruhen gekommen war. Es hatte Streikversuche in den Industriebetrieben und Demonstrationen der Bauern in einigen Dörfern gegeben

Rakosi, der Stalin Ungarns, verteidigte sich anfangs, denn er hatte ja stets nur ausgeführt, was ihm von Moskau befohlen worden war. Doch Molotow unterbrach ihn: „Werden Sie endlich begreifen, daß Sie nicht ewig mit der Unterstützung sowjetischer Bajonette regieren können?"

Malenkow, Berija, Chruschtschow und Molotow verlangten eine sofortige Revision des ungarischen Wirtschaftsplans, der völlig überspannt sei. Sie bestanden darüber hinaus auf einer Änderung in der Zusammensetzung des ungarischen Politbüros: es wäre unhaltbar, daß alle vier entscheidenden Männer Juden seien Deshalb wurde angeordnet, daß Farkas und Revai aus dem Politbüro ausscheiden sollten. Rakosi habe als Premierminister zurückzutreten, könne jedoch sein Amt als Parteichef behalten. Zum Nachfolger Rakosis als Premier wurde Imre Nagy bestimmt, weil er gegen den bisherigen Kurs opponiert und „seit 1948 prophezeit habe, daß die Politik der Zwangskollektivierung zu einer Katastrophe führen werde"

Offenbar waren sich die sowjetischen Führer nicht bewußt, daß sie damit das Urteil über ihr eigenes System in der Landwirtschaft gesprochen hatten. Sie scheinen auch nicht die Konsequenz begriffen zu haben, daß Nagy, wenn er unter anderem wegen seines Widerstands gegen die Zwangskollektivierung der ungarischen Landwirtschaft nun plötzlich Staatschef wurde, in der Agrarpolitik unausweichlich denselben Weg wie Jugoslawien einschlagen mußte. Die neuen Männer im Kreml übersahen die Tragweite ihrer Entscheidungen nicht. Der tiefe Schreck des 17. Juni trieb sie zu raschen Entschlüssen, die anscheinend improvisiert wurden. Offenbar vertrauten sie darauf, daß Nagy (formell) zu den „Moskowitern" gehörte, also genau wie Rakosi mit der Roten Armee nach Ungarn zurückgekehrt war.

Bereits am 27. Juni 1953 trat das Zentralkomitee der ungarischen Partei zusammen, um die von Moskau gewünschten Beschlüsse zu fassen, denn die bisherige Führung habe „das Land an den Rand des Abgrunds getrieben" Am 4. Juli 1953 wurde Imre Nagy Premierminister. Er paßte Malenkows und Berijas neuen Kurs der ungarischen Situation an. Die Schwerindustrie sollte gedrosselt, dafür die Produktion von Konsumgütern und Lebensmitteln gesteigert werden. Es kam zu einer großen Amnestie. Die Internierungs-und Zwangsarbeitslager wurden aufgelöst. Gleichzeitig erlaubte Nagy jenen Zehntausenden von Familien, die unter Rakosi als „klassenfremde Elemente" aus Budapest entfernt und deportiert worden waren, in die Hauptstadt zurückzukehren. Er ließ auch die schwarzen Listen verdächtiger Bauern vernichten und befahl die Auflösung der gefürchteten Polizeitribunale.

Indes ging Nagy noch zwei Schritte weiter, die bedeutsame Folgen haben sollten. Jene Opfer der Hexenjagd auf Titoisten, die überlebt hatten, wurden freigelassen. Unter ihnen befand sich Janos Kadar, der zwar Rajk verhaftet hatte, aber 1951 selbst in die Terrormühle geraten und auf persönliche Anordnung Rakosis gefoltert worden war. Nagy leitete die Rehabilitierung der angeblichen oder wirklichen Titoisen ein.

Der neue Premierminister erklärte in seiner programmatischen Antrittsrede: „Die Gewaltanwendung und die Verletzung des Prinzips der Freiwilligkeit haben Unruhe unter unserer arbeitenden Bauernschaft hervorgerufen. Die Regierung hält eine Verlangsamung der Genossenschaftsbewegung für richtig und notwendig und wird es, um das Prinzip des freiwilligen Beitritts zu sichern, jenen Genossenschaftsmitgliedern, die zur Einzelbewirtschaftung zurückkehren wollen, ermöglichen, die Genossenschaften am Ende des landwirtschaftlichen Jahres zu verlassen. Darüber hinaus werden wir die Auflösung der Genossenschaften erlauben, falls die Mehrheit ihrer Mitglieder dieses wünscht." Ungarn war das zweite Land nach Jugoslawien, das den Austritt aus den Kolchosen und deren Selbst-auslösung gestattete. Die Bauern tanzten vor Freude „bis zum Morgengrauen" Dann schwangen manche ihre Mistgabeln drohend gegen die verhaßtesten Funktionäre.

Rakosi wurde schon durch die Verhaftung Berijas, der ihn im Juni gefragt hatte, ob er noch immer Leiter der ungarischen Regierung sei, wieder mobil. Am 12. Juli 1953 griff er bereits öffentlich Nagys Wirtschaftsprogramm als verfehlt an. Der Parteiapparat als Kern der Bürokratie, die ihre Macht und ihre Privilegien durch den Kurs des neuen Staatschefs bedroht sah, schlug sich fast ausnahmslos auf seine Seite. Da man nur einige Leute an der Spitze ausgewechselt hatte, war den verbliebenen Rakosi-Anhängern die Sabotage oder zumindest das Bremsen der meisten Reformen möglich. Vor allem wurde die Umstellung von der Schwer-auf die Leichtindustrie hintertrieben, so daß sich der Lebensstandard kaum erhöhte. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung nahm rasch wieder zu. Im Sommer 1954 kam es zu großen Demonstrationen in den Straßen von Budapest. Allerdings war ihr politischer Charakter durch die Enttäuschung über die verlorenen Fußball-Weltmeisterspiele, an denen sie sich entzündeten, verhüllt.

Rakosi nützte die neuerlichen Unruhen unter den Bauern und diese Demonstrationen als Argumente zur Unterminierung Nagys aus. Er konnte außer dem Parteiapparat und dem Staatssicherheitsdienst auch einen großen Teil der Armee hinter sich bringen.

Am 7. Januar 1955 wurde das ungarische Politbüro erneut zu einer Konferenz nach Moskau gerufen. Diesmal war Nagy der Angeklagte. Er mußte jetzt ähnliche Vorwürfe hören, wie sie 1948 den jugoslawischen Führern gemacht worden waren — daß er die Führungsrolle der Kommunistischen Partei unterschätze, diese der Volksfront unterordnen wolle, den Klassenkampf leugne und ein Nationalist sei. Schließlich wurde ihm unter Anspielung auf seine Agrarpolitik gesagt, daß er sich nicht an das große Vorbild der sowjetischen Kolchosen gehalten habe. Da war Nagys Geduld erscöpft: „Sie haben selber keine geringen Fehler begangen, als Sie Ihre Kolchosen gründeten! Den Nachfolgern Stalins verschlug es die Sprache. Doch ihre Entscheidung stand wohl schon vor Beginn der Sitzung fest. Am 4. März 1955 verurteilte das Zentralkomitee der ungarischen Partei nunmehr die Politik Imre Nagys. Am 14. April 1955 wurde er als Premierminister abgesetzt und aus den Führungsorganen der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Rakosi kehrte zu seiner repressiven Politik zurück.

Doch fast zur gleichen Zeit, da in Moskau die Entscheidung gegen Nagy fiel, begannen sich in Ungarn Kossuth-Klubs zu bilden. Die Intelligenz schuf sich mit diesen Klubs Sammelpunkte der Diskussion und Opposition. Sie war in ihrer Mehrheit nun nicht mehr be reit, die unter der Regierung Nagy weitgehend wiedergewonnene schöpferische Freiheit kampflos preiszugeben. Als die Reglementierung der Kunst, Literatur und Journalistik von neuem einsetzte, verwandelte sich auch der ungarische Schriftstellerverband in einen Oppositionsherd. Im November 1955 richteten die kommunistischen Schriftsteller ein Memorandum an die Führung ihrer Partei, in dem sie gegen die Zensur, gegen die Beschlagnahme einer Zeitung, gegen das Verbot eines Schauspiels, gegen die Entlassung von Journalisten und gegen die Unterdrückung bestimmter Manuskripte, darunter solcher mit Gedichten, protestierten. Die despotischen Methoden und bürokratischen Eingriffe müßten sofort eingestellt werden. Andernfalls würde die Kommunistische Partei selber ihr Ansehen und ihren Einfluß vernichten

Als Antwort ließ Rakosi am 6. Dezember 1955 2000 Funktionäre gegen die Schriftsteller aufmarschieren, die nun wußten, was die Stunde geschlagen hatte.

Imre Nagy wurde im November 1955 sogar aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Doch um ihn bildete sich ein Kreis von Kommunisten, die mit der Bürokratie gebrochen hatten. Diesem Kreis schloß sich auch Julia Rajk an, die Frau des Mannes, der als Titoist gehängt worden war.

Polen Auch in Polen, wo Gomulka am 1. September 1948 seiner Funktion als Generalsekretär der Kommunistischen Partei wegen „nationalistischer Abweichung" enthoben, 1950 auch verhaftet worden war und bis 1955 im Gefängnis saß, bereitete sich etwas vor. Das geschah zunächst auf literarischem Gebiet. Während des Jahres 1954 traten zwei Dichter ins Rampenlicht. Schominski veröffentlichte ein Gedicht gegen die befohlene Meinung, Wazyk sein Gedicht für Erwachsene, das noch größeres Aufsehen erregte und bald von Hand zu Hand ging. Es charakterisierte die Stalinisten wie folgt Sie lebten vom Morgenlicht und säten Finsternis.

Sie lebten von der Idee und trennten sich von den Menschen Sie lebten vom Traum und die Lüge ward ihr tägliches Brot.

Im Frühjahr 1955 bildete sich in Warschau ein Klub „Krummer Kreis", der als Diskussionsforum für Intellektuelle gedacht war, bald aber auch andere Bevölkerungsgruppen anzog.

Im Herbst gab es bereits zwanzig solcher Klubs. Sie wurden zu Organen einer noch vorsichtigen Opposition, die zunächst einmal um Selbstverständnis ringen mußte. Nach und nach entzogen sie sich der Kontrolle durch die Kommunistische Partei. Die Analogie zu den ungarischen Kossuth-Klubs war unübersehbar, obwohl sie unabhängig von diesen entstanden. Brzezinski schrieb: „Die Klubs wurden rasch zum Ersatz für noch verbotene politische Versammlungen. Hier wurden die wichtigsten Fragen diskutiert, und hier kristallisierten sich die Meinungen heraus. Von ihren Sitzungen gingen Ideen aus, die nach und nach in die Massen drangen."

Im Sommer 1954 floh ein hoher polnischer Beamter, Josef Swiatlo, in den Westen, wo er die Folterpraxis des polnischen Staatssicherheitsdienstes enthüllte. Auf Grund dieser Enthüllungen kam es im Januar 1955 zur Revolte einiger Mitglieder des Zentralkomitees, die eine Untersuchung verlangten. Im Ergebnis wurde der Stellvertretende Minister für Staats-sicherheit verhaftet, doch sein Chef blieb unbehelligt — man teilte ihm lediglich ein anderes Ministerium zu Die Probleme ballten sich wie Wolken zusammen.

7. Die dritte Phase: das Jahr 1956

Die dritte Phase der osteuropäischen Revolution wurde durch den XX. Parteitag der KPdSU ausgelöst, der Ende Februar 1956 in Moskau tagte. Das entscheidende Ereignis dieses Kongresses war die Zerstörung des Stalin-Mythos. Jedoch wirkte auch die Verkündung neuer Thesen bei der Erschütterung Osteuropas mit. Ausläufer dieser Erschütterung waren sowohl in Asien als auch im westeuropäischen Kommunismus zu spüren.

Der XX. Parteitag der KPdSU Chruschtschows Geheimreferat, auf dem Kongreß des Sowjetkommunismus enthüllte, daß Stalin „nicht wenige Fehler machte — sowohl in der Theorie als auch in der Praxis" Er habe ferner Grundnormen der Partei verletzt, weil er seine Genossen und Mitarbeiter nicht überzeugte, sondern ihnen seine Meinung aufzwang und jeden Widerspruch mit Gewalt unterdrückte. Parteitage und Sitzungen des Zentralkomitees hätten immer seltener stattgefunden. Schließlich habe Stalin nicht einmal mehr die Mitglieder des Politbüros „über seine persönlichen Entscheidungen in sehr wichtigen Partei-und Regierungsangelegenheiten unterrichtet"

Der einstige Generalsekretär und Ministerpräsident wurde auch vieler Gesetzesbrüche beschuldigt. Er sei bis zur Wiedereinführung der Folter und einer „Massenunterdrückung durch den Regierungsapparat" gegangen. Obwohl Stalin von den Funktionären als dem „goldenen Fond" der Partei zu sprechen liebte, seien viele von ihnen willkürlich und erbarmungslos vernichtet worden. Allein zwischen 1937 und 1938 habe man geradezu „furchtbare Kaderverluste" erlitten.

Während des Zweiten Weltkrieges seien sogar ganze Völkerschaften der Sowjetunion zwangsdeportiert worden. „Die Ukrainer entgingen diesem Schicksal lediglich deshalb, weil sie zu zahlreich sind und kein Raum vorhanden war, wohin man sie hätte deportieren können." Im übrigen habe sich Stalin, der nicht einmal „die elementarsten Kenntnisse der Kriegführung besaß" nach dem Sieg mit fremden Federn geschmückt. Seine Eitelkeit sei so maßlos gewesen, daß er seine Person in der parteioffiziellen Kurzbiographie, die er selbst redigierte, noch stärker herausstrich, als dies ohnehin bereits geschehen war.

So wurden in einem Atemzug die Legenden vom unfehlbaren Führer, von Stalins theoretischem Genie, vom gütigen und weisen Vater des Volkes, von Stalins Selbstlosigkeit, vom genialen Feldherrn, von Lenins bestem Schüler vernichtet — alle jene Legenden, die in ihrer Gesamtheit den Stalin-Mythos ausgemacht hatten.

Chruschtschows Enthüllungen über den Mißbrauch der Macht im Namen der KPdSU führten unvermeidlich zu der Frage, warum diese Partei nicht gegen Stalin aufgestanden war und seine Tyrannis abgeschüttelt hatte. Daher war die Zerstörung des Stalin-Mythos ungewollt mit einer Diskreditierung der KPdSU verknüpft. In der Sowjetunion warf Stalins Höllensturz die Frage nach den Helfern des Machtmißbrauchs auf. In den kommunistischen Ländern Osteuropas rückte der Führungsanspruch des Sowjetkommunismus auf einmal in das Zwielicht des Zweifels. Konnte eine Partei, die jahrzehntelang einen von Größen-und Verfolgungswahn Befallenen nicht nur an ihrer Spitze geduldet, sondern obendrein noch in serviler Weise glorifiziert hatte, weiterhin den internationalen Kommunismus repräsentieren?

Chruschtschows Geheimreferat rehabilitierte teilweise auch die antistalinistische Opposition der zwanziger und dreißiger Jahre unter Führung von Trotzki, Sinowjew, Kamenew und später auch Bucharin, über die Trotzkisten sagte der neue Parteichef: „Alles in allem befanden sich in der Umgebung Trotzkis Leute, die keineswegs der bürgerlichen Gesellschaft entstammten. Ein Teil von ihnen gehörte zur Parteiintelligenz und ein gewisser Teil kam aus der Arbeiterschaft. Wir können einige nennen, die sich damals den Trotzkisten anschlossen, Leute, die an der Arbeiterbewegung vor der Revolution, während der Sozialistischen Oktoberrevolution selbst und auch bei der Festigung des Sieges dieser größten aller Revolutionen aktiven Anteil gehabt hatten." Ähnlich äußerte sich Chruschtschow über Sinowjew und Kamenew. Damit war, sicherlich ungewollt, die Berechtigung und Gesetzmäßigkeit der Moskauer Schauprozesse (1936— 1938) in Frage gestellt. Diese Prozesse hatten seiner-zeit sogar zu Todesurteilen für zwei ehemalige Präsidenten der Komintern geführt. Ihr Ausgangspunkt war die Ermordung Kirows durch angebliche Anhänger Trotzkis, Sinowjews und Bucharins gewesen. Nun wies Chruschtschow auf die mysteriösen Umstände dieses Falles hin. Er beschuldigte indirekt Stalin, den Mord-auftrag erteilt und später seine Mitwisser beseitigt zu haben. So zeichnete sich ein grauenhaftes Bild ab. Kirows Ermordung, von Stalin selbst inszeniert, diente als Vorwand für die Schauprozesse, und diese dienten wiederum als Kulisse, hinter der zwischen 1934 und 1938 Millionen Menschen spurlos verschwanden. Unter den Opfern waren auch Tausende von osteuropäischen Kommunisten, die als Emigranten in der Sowjetunion lebten oder — wie die polnischen Parteiführer — nach Moskau befohlen worden waren.

Chruschtschows Geheimreferat enthielt ferner eine weitgehende Rehabilitierung der Titoisten: „An der . Jugoslawienaffäre'war nichts, was sich nicht durch Parteidiskussionen unter Genossen hätte regeln lassen. Es lag kein ernsthafter Grund vor, um daraus eine . Affäre'zu machen. Es wäre durchaus möglich gewesen, den Abbruch der Beziehungen mit diesem Land zu verhindern."

Diese Sätze wurden durch die für Osteuropa wichtigste der neuen Thesen unterstrichen, die Chruschtschow in seinem offiziellen Referat auf dem XX. Parteitag verkündete. Sie lautete, „daß die Formen des Übergangs zum Sozialismus immer mannigfaltiger werden" Das schloß sich an die Feststellung an, in Jugoslawien hätten sich „im Prozeß des sozialistischen Aufbaus besondere konkrete Formen der Leitung der Wirtschaft (und) des Aufbaus des Staatsapparates herausgebildet" Damit wurden erstmals in allgemein-verbindlicher Form unterschiedliche Wege zum kommunistischen Sozialismus anerkannt. Zwar war schon in der Belgrader Deklaration vom Mai 1955 vom „unterschiedlichen Weg" und von „konkreten Entwicklungsformen" die Rede gewesen, jedoch bezogen sich diese Zugeständnisse der sowjetischen Führung damals nur auf Jugoslawien selbst, während sich jetzt alle kommunistischen Länder zu einem eigenen Weg berechtigt fühlen konnten, überdies hatte man in Belgrad lediglich eine bereits vollzogene Tatsache bestätigt, während die meisten osteuropäischen Staaten von konkreten Entwicklungsformen noch weit entfernt waren.

Auch die zweite der neuen Thesen — von der Vermeidbarkeit des Krieges — legte den Ostblockstaaten unbeabsichtigt eine größere Unabhängigkeit nahe. Wenn der Krieg aufgehört hatte, eine Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung zu sein, dann bedurften die kleinen kommunistischen Länder des Atom-schirms der Sowjetunion und eines Militär-pakts mit ihr weniger dringend. Zumindest konnte jetzt früher oder später die Frage einer Lockerung des Warschauer Paktsystems aufgerollt werden, das erst im Mai 1955 begründet worden war.

Die dritte neue These bezog sich auf die Koexistenz. Es wurde nicht mehr allein das Nebeneinanderbestehen verschiedener sozialer Systeme, sondern bis zu einem gewissen Grade auch ihre Zusammenarbeit für möglich und wünschenswert erklärt. Unter diesen Umständen mußten sich viele osteuropäische Politiker fragen, warum nur die Sowjetunion Kontakte mit „kapitalistischen" Staaten und ihren Regierungschefs aufnehmen sollte. Die Prinzipien der Koexistenz — insbesondere Nicht-einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Respektierung ihrer staatlichen Souveränität — von Chruschtschow lediglich für die Beziehungen zwischen „sozialistischen" und „kapitalistischen" Staaten gedacht, wurden in Osteuropa vielfach fast instinktiv auf das Verhältnis der Sowjetunion zu den Volksdemokratien übertragen. Unter diesem Gesichtspunkt verwandelte sich die Doktrin der Koexistenz sogleich in eine Fußangel für die sowjetische Politik. Sobald man aus dieser Doktrin die Konsequenz der Gleichberechtigung zog, schloß sie Moskaus Verzicht auf Hegemonie ein. Was vorher nur Jugoslawien beansprucht hatte, nämlich gleichberechtigte Beziehungen aller kommunistischen Länder unabhängig von ihrer Größe, begann nunmehr zu einer osteuropäischen Maxime zu werden.

Dies geschah um so schneller, als dem XX. Parteitag die Auflösung des Kominform am 16. April 1956 fast auf dem Fuße folgte. Damit entfiel eine wichtige Klammer der sowjetischen Integrationspolitik. Abermals gab es keine den einzelnen Kommunistischen Parteien übergeordnete Instanz mehr. Während jedoch die Kommunistische Internationale immerhin 24 Jahre bestanden hatte, erlebte das Informationsbüro der Kommunistischen Parteien nicht einmal seinen neunten Geburtstag. In diesem Zusammenhang ist noch wichtig, daß die Auf-lösung des Kominform von Tito gefordert worden war. Die Belgrader Deklaration, der XX. Parteitag und das stille Sterben des koordinierenden Zentrums der Kommunistischen Parteien — das sind drei große Genugtuungen und Triumpfe des Titoismus gewesen.

Kurz, sämtliche Aspekte des Moskauer Kongresses führten zu einem bezeichnenden Resultat: Von nun an führten alle Wege fort vom Kreml.

Die Zerstörung des Stalin-Mythos verursachte in Millionen Kommunisten eine moralische Erschütterung, die sich mit dem Gefühl verknüpfte, von der Sowjetunion getäuscht und betrogen worden zu sein.

Die teilweise Rehabilitierung jener Kräfte, die vor dem Zweiten Weltkrieg gegen den Stalinismus gekämpft hatten, ließ das Bedürfnis wachsen, zwischen Wahrheit und Lüge in der offiziellen Geschichtsschreibung des Kommunismus zu unterscheiden, an erster Stelle in der „Geschichte der KPdSU", deren intensives Studium jedem Kommunisten zur Pflicht gemacht worden war und die als Anleitung zum Handeln für alle Kommunistischen Parteien galt.

Die endgültige Aufhebung des Bannfluchs über den Titoismus schwächte nicht nur das Ansehen der Sowjetunion — Moskau hatte sich beim Konflikt mit Belgrad offensichtlich im Unrecht befunden —, sondern drängte auch auf die Rehabilitierung der in den volksdemokratischen Titoistenprozessen Verurteilten.

Die drei neuen Thesen — mannigfaltige Wege, Vermeidbarkeit des Krieges und Generallinie der Koexistenz — mußten zur Aktivierung des Strebens nach Unabhängigkeit in Osteuropa führen, zumal sie mit einer Revision des Leninismus verbunden waren, die Verwirrung säte. Lenins Imperialismustheorie, die eine längere Koexistenz ebenso verneint hatte wie die Vermeidbarkeit des Krieges, war das Herzstück der kommunistischen Ideologie über mehrere Jahrzehnte gewesen. Die als positive Kehrseite der Zerstörung des Stalin-Mythos gedachte neue Politik zehrte also am Leninismus, auf den man sich eigentlich als festen Stützpunkt zurückziehen wollte. Nach den neuen Thesen erhob sich daher für viele Kommunisten die Frage, woran man sich überhaupt noch halten könne.

Das Hauptresultat des XX. Parteitags der KPdSU bestand jedoch darin, daß er die Entstalinisierung legalisierte. Er übertrug damit einen Prozeß, der im Zentralkomitee der jugoslawischen Kommunisten sowie in den Straßen Pilsens und Ost-Berlins begonnen hatte, auf den Gesamtkommunismus. Obwohl er neuen Ausbrüchen der osteuropäischen Revolution vorbeugen sollte, trug er im Gegenteil noch zu ihrem Heranreifen bei.

Das war nicht zuletzt die Folge der Halbheit, mit der die Entstalinisierung begründet wurde. Chruschtschow leitete die Epoche des Stalinismus aus Stalins negativen Charakterzügen ab, statt seine Wurzeln, wie es eine marxistische Analyse verlangte, in den sozialen und politischen Verhältnissen des eigenen Systems aufzudecken. Damit waren alle echten Marxisten innerhalb der Kommunistischen Parteien provoziert. Es konnte nicht gelingen, die Mißbräuche und Verbrechen einer dreißigjährigen Epoche in Stalins Person zu lokalisieren und die KPdSU von Stalin reinlich zu trennen.

Chruschtschows Konzept wies einen schneidenden Widerspruch auf. Einerseits verlangte der XX. Parteitag die Entstalinisierung aller Kommunistischen Parteien, andererseits wollte er glauben machen, der Stalinismus sei mit Stalin gestorben. Osteuropa lag jedoch noch immer unter seinem furchtbaren Druck. Der Stalinismus hatte Stalin überlebt. Er war kein Charakter, sondern ein System, das, als Zuchthaus gebaut, jedem Volk eine Zelle zugedacht hatte. In Osteuropa waren diese Zellen nach wie vor mit den Völkern der Volksdemokratien belegt. Vorerst hatte nur Jugoslawien den Ausbruch vollbracht. Ungarn, das ihm folgen wollte, war zurückgetrieben worden, bevor es sein Gefängnis aufsprengen konnte: es hatte nur ein wenig frische Luft schöpfen können. Ähnlich war es den Polen und den Deutschen östlich der Elbe ergangen.

Die Entstalinisierung in der Sowjetunion entwickelte sich trotz ihrer Inkonsequenzen wesentlich schneller als in den Satellitenstaaten, was eine neue Kluft schuf, die sich wie von selbst mit Sprengstoff füllte.

Moskau an der Kette der osteuropäischen Revolution Stalin war georgischer Herkunft, und das nichtparteioffizielle Echo des XX. Parteitags bestand zunächst darin, daß es am 7. März 1956 zu prostalinistischen Demonstrationen in Georgien kam. Diese Demonstrationen in mehreren Städten, in denen einige tausend Schüler und Studenten auf die Straße gingen, um gegen die angebliche Verleumdung Stalins zu protestieren, konnte auf eine Verletzung des georgischen Nationalstolzes zurückgeführt werden. Merkwürdigerweise fielen sie aber mit Unruhen in Baku zusammen, der Hauptstadt Aserbeidschans. Außerdem ertönten Rufe nach Molotow, die offenbar so gemeint waren, daß er berufener als Chruschtschow sei, die Führung von Partei und Staat zu übernehmen. Nach Baku hatte sich der Stalin-Günstling Bagirow begeben, nachdem er wegen seiner engen Verbindung zu dem am 23. Dezember 1953 hingerichteten Berija aus dem Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU ausgeschlossen worden war. Anscheinend wollte er von Georgien und Aserbeidschan aus eine Gegenbewegung zu Chruschtschows neuer Politik organisieren. Er wurde verhaftet, vor ein Militärgericht gestellt, zum Tode verurteilt und im April 1956 erschossen

Bagirow schien angenommen zu haben, daß die sowjetische Jugend in besonderem Maße bereit sei, eine strukturelle Reform des kommunistischen Systems zu verhindern, weil sie unter Stalin ausgewachsen war. Jedoch schon anläßlich der erregten Debatten um das Buch von Dudinzew „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" trat eine andere Richtung in der sowjetischen Jugend hervor. Das Buch schilderte den Leidensweg eines Erfinders, der von der Bürokratie, weil sein Entwurf einer neuen Maschine nicht im „Kollektiv" entstanden war und ihre Bequemlichkeit störte, als „asoziales Element" ungeheuerlichen Schikanen ausgesetzt und sogar zur Zwangsarbeit verschickt wurde. Uber Nacht war es zum Bestseller geworden. Als die Parteibehörden den Autor angriffen, weil „nur hoffnungslos rückständige Leute die Rolle eines Anwalts in der Klage eines Individuums gegen die Gesellschaft" übernehmen könnten, fand am 22. Oktober 1956 eine Demonstration zugunsten Dudinzews statt. Erstmals traten Tausende sowjetischer Studenten als aktive Opposition auf. Dies war — außer den vorangegangenen Zwangsarbeiterrevolten und neben der beginnenden Herausbildung einer öffentlichen Meinung — der dritte Ausgangspunkt einer Entstalinisierung von unten, die über alle vom XX. Parteitag gezogenen Grenzen der Entstalinisierung von oben hinwegging, weil sie das Recht auf freie Meinung und auf ungeschmälerte Kritik des politischen Systems verlangte. Ihr für das Regime gefährlichster Ausdruck war das Aufkeimen einer Untergrundbewegung in literarischer und politischer Form. An den Universitäten tauchten illegale Zeitschriften auf — das „Feigenblatt" in Wilna, die „Glocke" in Moskau, „Ketzerei", „Frische Stimmen" und „blaue Knospe" in Leningrad, „Die Spirale", „Der Glückliche" und „Die Tri-büne" anderenorts. Den Anfang dieser meist hand-oder maschinengeschriebenen Zeitschriften haben „Das Feigenblatt" und „Die blaue Knospe" gemacht. Sie sind schon zu Beginn des Jahres 1956, vermutlich unmittelbar nach dem XX. Parteitag, herausgebracht worden.

Im November 1956 wurden mehrere Moskauer Studenten als Begründer und Mitglieder einer illegalen Organisation verhaftet, die sich „wahre Leninisten" nannte und aus einem literarischen Diskussionszirkel hervorgegangen war. Schon der Name gab zu erkennen, daß man in Chruschtschow einen falschen Leninisten sah.

Die Arbeiterschaft blieb noch so gut wie passiv. Nur ein Vorfall deutete an, daß sich auch in ihr etwas regte. Im November 1956 brach in einer Moskauer Schmiede ein Streik aus — der erste Streik in Moskau seit vielen Jahren.

So fügten sich die Symptome des Neuen zu einer Reihe von Keimen des Umbruchs. Zwar schien das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Flügeln der Studentenschaft, die dort als Prostalinisten, hier als Antistalinisten auf die Straße gingen, noch in der Schwebe zu sein. Es war jedoch bereits unverkennbar, daß der XX. Parteitag die Sowjetunion an die Kette der osteuropäischen Revolution gelegt hatte.

Der polnische Oktober In Polen brach im März 1956 anläßlich der Tagung des Kunst-und Kulturrats eine offene Revolte der Intelligenz aus. Der Literaturkritiker Kott hielt Gericht über die Stalin-Ära:

„Wenn die Tatsachen im Wege standen, so wurden sie geändert. Standen wahre Helden im Wege, so verschwanden sie . .." Der Schriftsteller Slonimski sagte: „Man erzählt jetzt, daß der Persönlichkeitskult für die Fehler der alten Periode verantwortlich sei. Aber nicht der Persönlichkeitskult, sondern das System, das die derart schädliche Entfaltung einer Persönlichkeit ermöglicht, hat schuld. Nur eine wirkliche Demokratisierung des öffentlichen Lebens, nur die Wiederherstellung der öffentlichen Meinung und die Rückkehr zum freien, ungefesselten Gedanken können uns künftig vor dem Cäsarentum bewahren."

Als Besonderheit der polnischen Entwicklung ist zu verzeichnen, daß die Rebellion der Intellektuellen fast unmittelbar mit einer Rebellion innerhalb der Arbeiterschaft verknüpft war. Unter dem Eindruck des XX. Parteitags kam es im Frühjahr 1956 zur spontanen Bildung von Arbeiterräten in vielen Betrieben. Kein Zweifel, die Arbeiter wollten dem politischen System, das sich „Arbeiterstaat" nannte, nun tatsächlich ihr Gesicht aufprägen. Die Bildung der Arbeiterräte zeigte gleichzeitig an, wie erschüttert die Autorität der Parteiführung war. Sie schritt daher zu einem Ausweichmanöver. Im Juni 1956 unterzeichneten Warschau und Belgrad eine gemeinsame Deklaration über politische Beziehungen auf gleichberechtigter Basis. Statt einer Beruhigung der innenpolitischen Situation trat jedoch das Gegenteil ein. Eine polnische Zeitung schrieb, die Deklaration habe die Gemüter sehr erregt und die Tendenz verstärkt, auch die polnisch-sowjetischen Beziehungen auf derselben Basis neu zu begründen. Ende Juni kündete sich das Gewitter durch den Blitz des Posener Aufstands an. Er entzündete sich an hohen Steuerabzügen und niedrigen Löhnen, von denen insbesondere die 14 000 Arbeiter derZispoWerke betroffen waren. Sie wählten eine Delegation und schickten diese —vergebens —nach Warschau. Zur Enttäuschung gesellte sich noch das Diktat einer Normenerhöhung. Daraufhin verließ die Belegschaft ihren Betrieb und marschierte ins Zentrum der Stadt. Unterwegs schlossen sich andere Arbeiter sowie Studenten und Schüler an. Zunächst wurden die politischen Gefangenen aus dem Gefängnis befreit. Dann gingen etwa 30 000 Demonstranten zum Sturm auf das Rathaus und die Posener Parteizentrale über. Für kurze Zeit waren die Rebellen Herren der Stadt. Als sie auch das Gebäude des Staatssicherheitsdienstes angreifen wollten, eröffneten alarmierte Polizeieinheiten zusammen mit Polizisten das Feuer. Mehr als 50 Tote und 300 Verletzte bedeckten das Pflaster der Straßen Die Truppen brauchten mehr als einen Tag, um den Posener Aufstand vom 28. Juni 1956 niederzuwerfen.

Ungeachtet der Niederlage im offenen Ansturm vollzog sich die weitere Entwicklung mit ständig wachsender Geschwindigkeit. Der Klub „Krummer Kreis“ nahm Verbindung zu den Betrieben auf. Intellektuelle und Arbeiter traten zu gemeinsamen Beratungen über politische Probleme zusammen. Der Posener Aufstand gab den Anstoß zur Bildung weiterer Arbeiterräte, die im August erfolgte. Er wirkte sich auch auf das Schicksal Gomulkas aus, der am 5. August rehabilitiert wurde. Aber noch stand er außerhalb der Führung von Partei und Staat, und es war sehr wohl möglich, daß ihm die Rückkehr zur Macht von innen oder außen versperrt werden würde.

Kolakowskis Appell In dieser Situation, wo alles im Fluß und noch nichts entschieden war, brachte die theoretische Zeitschrift der polnischen Kommunisten einen aufsehenerregenden Aufsatz des jungen Philosophen Kolakowski, der wie Saat in den schon umgepflügten Boden fiel. Er übte eine wahrlich vernichtende Kritik am stalinistischen System: „Dieses System, das in der Wirtschaft zu einem Chaos, in der Politik zum Kräfteverfall und zur Zerrüttung führte, tötete das Geistesleben." Es habe faktisch zum Bankrott der kommunistischen Theorie und der kommunistischen Bewegung geführt. Beide müßten auf einer neuen Grundlage wiederaufgebaut werden. Diese Grundlage könne nur eine freie Wissenschaft bilden, deren Träger die Intelligenz sei.

AIs Quelle des Stalinismus nannte Kolakowski die „Monopolisierung des theoretischen Schaffens". Sie habe zur Versteinerung der Doktrin, zu ihrer apologetischen Perversion, zu ihrer Umwandlung in eine Religion mit eigener Priesterkaste und dahin geführt, daß der Begriff „marxistisch" zu einem Werkzeug der Erpressung wurde. Der Stalinismus sei eine „Antiwissenschaft", die durch eine wissenschaftliche Renaissance auf der Basis folgender Forderungen überwunden werden müsse: a) Aufhebung der Beschränkung des Objekts wissenschaftlicher Forschung aus politischen Gründen; trotz des XX. Parteitags bestehe diese Beschränkung weiter, und die Ergebnisse bestimmter Analysen dürften aus politischen Gründen nicht veröffentlicht werden. b) Beseitigung der Methode, auf noch unerforschten Gebieten irgendwelche Wahrheiten als politisch richtig zu verkünden und ihre Verbreitung zu verlangen. c) Beendigung des Mißbrauchs der Geistes-wissenschaften, der darin besteht, daß eine bestimmte Schule, die ideologisch nützlich erscheint, als die einzig wahre hingestellt wird, d) Keine Festlegung unantastbarer Wahrheiten, die nicht diskutiert werden dürfen. Eine wissenschaftliche Haltung bedingt, daß es keine Behauptungen gibt, die nicht revidiert werden können.

Alles müsse „neu analysiert, alles angezweifelt" werden. Die Aufgabe der Wissenschaft bestehe nicht darin, Girlanden um die Gipsfassaden des Kommunismus zu winden, sondern darin, die Wirklichkeit kritisch zu durchleuchten und eine Theorie zu entwickeln, die der gegenwärtigen Epoche entspricht. Zu diesem Zweck sei ein neuer Marx wünschenswert. Was Marx getan habe, müsse nun durch eine kollektive Anstrengung der Intelligenz zustande kommen, die — anstelle der Apparatschiks — für theoretische Fragen allein kompetent sei. Sie habe die Pflicht und das Recht, die Verantwortung für die theoretische Entwicklung der revolutionären Bewegung zu tragen. Sie müsse auch an der Macht beteiligt werden. „Der Umfang, in dem die Intelligenz am Regierungssystem beteiligt ist, verhält sich gewissermaßen umgekehrt proportional zum Grad der Unterdrückung, denn je weniger man mit geistigen Mitteln regieren kann, um so mehr muß man es mit Mitteln der Gewalt tun."

Kolakowski verlangte absolute Freiheit der Forschung. Sie liege im Interesse des Kommunismus, der sonst die Folgen seiner Beschlüsse nicht voraussehen könne. „Die Kommunistische Partei braucht die Intellektuellen nicht, damit sie sich für die Klugheit ihrer Beschlüsse begeistern, sondern damit ihre Beschlüsse klug werden." Zu den ersten Aufgaben der Intellektuellen gehöre, die Verelendungstheorie, die Krisentheorie, die Theorie der sozialistischen Revolution, die Theorie der Partei und das Problem der „neuen Hierarchien" in den kommunistischen Ländern zu überprüfen, wozu die Renaissance der Soziologie als selbständiger Wissenschaft notwendig sei.

Man muß bedenken, daß dieser Aufsatz nicht in einer beliebigen Zeitung, sondern im theoretischen Organ der Kommunistischen Partei veröffentlicht wurde. In einer Sprache, die nur reformatorisch genannt werden kann, erklärte Kolakowski den Revisionismus zu einer Selbstverständlichkeit, während er bis dahin als kommunistische Todsünde galt. Mit ihm trat eine neue Richtung innerhalb der kommunistischen Bewegung, die des philosophischen Revisionismus, hervor. Sie war tiefer als der politische Revisionismus der jugoslawischen Kommunisten begründet, da sie nicht nur von der sozialistisch-kommunistischen Tradition, sondern vom kulturellen Erbe der Menschheit ausging. Eine gewisse Vorarbeit hatte Ernst Bloch geleistet, aber Bloch stand außerhalb der kommunistischen Parteien, während Kolakowski auch Parteimitglied und Politiker war. Die Gemeinsamkeit des politischen und des philosophischen Revisionismus besteht darin, daß beide die Beseitigung des Stalinismus als Doktrin und System erstreben. Kolakowski erwarb das Verdienst, die Kritik am Stalinismus auf das Niveau der Philosophie und Wissenschaft zu heben. Das fand in Polen, wo die Intelligenz eine kompaktere Schicht und fester im Volk verwurzelt ist als in den meisten anderen Ländern Osteuropas, besonderen Widerhall. Kolakowski hat den „polnischen Oktober" politisch und theoretisch inspiriert.

Gomulkas Rückkehr zur Macht Ein großer Teil des polnischen Volkes und der polnischen Intelligenz sah in Gomulka den einzigen Mann, der fähig und populär genug war, eine grundlegende Veränderung des politischen Systems ohne Bürgerkrieg und ohne einen offenen Konflikt mit der Sowjetunion einzuleiten. Gomulka wurde von breiten Schichten nach oben getragen. Am 18. Oktober 1956 nahm er erstmals wieder an einer Sitzung des Zentralkomitees seiner Partei teil.

Schon einen Tag später traf Chruschtschow in Warschau ein, um Gomulkas Wiederwahl als Generalsekretär der Kommunistischen Partei zu verhindern. Gleichzeitig rückten die in Polen stationierten sowjetischen Panzer aus ihren Kasernen und zogen einen Ring um die Hauptstadt. Die Truppen wurden zuerst von den Arbeitern der Zeran-Werke entdeckt. Sie alarmierten das ganze Land, das sich auf einen militärischen Zusammenprall mit der Roten Armee vorzubereiten begann. Noch am Abend des 19. Oktober versicherten 30 000 Studenten und junge Arbeiter, die sich im Warschauer Polytechnikum versammelt hatten, Gomulka ihrer Sympathie und Unterstützung. Die Industriearbeiter bewachten die Fabriken und schickten Patrouillen durch die Straßen. Spontan bildete sich eine bewaffnete Volks-miliz. Das von Antistalinisten geführte Sicherheitskorps (nicht mit der Geheimpolizei zu verwechseln) bezog Stellung am Stadtrand Warschaus gegenüber den sowjetischen Panzern. Der Arbeiterrat von Zeran, der Chefredakteur von „Po prostu" und der Sekretär des Warschauer Parteikomitees (in dem bereits Anhänger Gomulkas überwogen), eilten gemeinsam in die Militärakademie und gewannen die Offiziere. Die polnische Armee, von dem Massaker in Posen zersetzt, löste sich von ihren sowjetischen Generälen, aber auch von den Stalinisten ihres Generalstabs. General Witaszewski hatte den Befehl zur Verhaftung von 231 Personen erteilt, dessen Ausführung aber vereitelt wurde. Mehrere Heereskommandos teilten ihren Befehlshabern mit, daß sie nicht (mehr) mit Waffengewalt gegen Arbeiter vorgehen würden. Inzwischen besetzten die Intellektuellen bereits den War-schauer Rundfunk und strahlten ihr eigenes Programm aus, um das gesamte Volk aufzurütteln. Während das polnische Zentralkomitee fieberhaft tagte, Chruschtschow in Warschau war und die Drohung einer sowjetischen Militär-intervention über der Stadt lag, fanden riesige Demonstrationen statt, deren Kerntruppen aus Arbeitern und Studenten bestanden. Ihre stürmische Forderung, daß Gomulka wieder an die Spitze der Kommunistischen Partei treten müsse, verband sich mit dem unverhohlenen Verlangen nach Wiederherstellung der nationalen Unabhängigkeit Polens von Moskau. Trotz der Beschwörungen und Drohungen Chruschtschows entschied sich die Mehrheit des polnischen Zentralkomitees unter dem Druck des Volkes für Gomulka als neuen Parteichef. Gomulka forderte Chruschtschow auf, sofort den Befehl zum Rückzug der sowjetischen Truppen in ihre Kasernen zu geben; andernfalls werde er dem polnischen Volk über den Rundfunk sagen, was für eine verbrecherische Politik betrieben werde.

Der Befehl wurde erteilt. Die sowjetische Delegation flog nach Moskau zurück. Chruschtschow überwand sich und schickte Gomulka ein Glückwunschtelegramm zu seiner Neuwahl als Generalsekretär. Nach Jugoslawien betrat nun auch Polen den Weg des Nationalkommunismus.

Worin haben die wichtigsten Ergebnisse des „polnischen Oktober" bestanden?

Erstens im Führungswechsel der Kommunistischen Partei, die mit Gomulka wieder den Exponenten eines „polnischen Weges zum Sozialismus" an ihre Spitze berief.

Zweitens in der Rehabilitierung des Posener Aufstands. Wie der 17. Juni in Mitteldeutsch-land war auch diese Erhebung von den Stalinisten als „faschistischer Putsch" hingestellt worden. Demgegenüber erklärten die neuen polnischen Führer, die Posener Arbeiter hätten gegen das Übel protestiert, das aus den Abweichungen von den Grundprinzipien des Kommunismus entstanden sei.

Drittens in der Re-Polnisierung der polnischen Armee. Der sowjetische Marschall Rokossowski, 1949 von Stalin zum Oberbefehlshaber der polnischen Armee bestellt, wurde samt den 36 sowjetischen Generälen, die er damals mitgebracht hatte, nach Hause geschickt.

Viertens in der Entfernung vieler Stalinisten aus einflußreichen Positionen.

Fünftens in der Selbstauslösung Tausender landwirtschaftlicher Kolchosen und in dem Versuch, unter Anknüpfung an Vorkriegstraditionen über Agrar-Zirkel zu freiwilligen Genossenschaften in den Dörfern überzugehen. Die Landwirtschaft fiel jedoch größtenteils in Privatbesitz zurück. Zum Teil ist sogar (unbebautes) Staatsland an Einzelbauern vergeben worden. In Polen wurde als erstem kommunistischen Land damit begonnen, den Maschinenpark der Maschinen-und Traktorenstationen (MTS) zu verkaufen.

Sechstens in einem Burgfrieden zwischen Kirche und Staat. Kardinal Wyszynski und die verhafteten Priester wurden freigelassen. In den meisten Schulen folgte die Wiedereinführung des 1955 abgeschafften Religionsunterrichts.

Siebentens war die vorübergehende Aufhebung der Zensur (bis Frühjahr 1957) zu verzeichnen.

Achtens wurden die spontan gebildeten Arbeiterräte legalisiert. Ein vom Parlament beschlossenes Gesetz sah die Bildung von Arbeiterräten auch in jenen Betrieben vor, in denen noch keine bestanden.

Neuntens kam es zur stillschweigenden Legalisierung des Fraktionskampfes innerhalb der Kommunistischen Partei. Damit, daß sie nun verschiedene Richtungen tolerierten, ließen die polnischen Kommunisten einen wichtigen Grundsatz fallen, der noch von Lenin aufgestellt worden war.

Zehntens wurden die staatlichen Zügel der Kunst gelockert. Die Mauern des „sozialistischen Realismus" wurden von den Künstlern nach allen Seiten durchbrochen.

Elftens erzielte auch die Wissenschaft einen Durchbruch. In Polen nahm speziell die Rehabilitierung der Soziologie als selbständiger Wissenschaft ihren Anfang.

Zwölftens erreichte Polen zwar nicht seine nationale Unabhängigkeit, aber doch eine gewisse Autonomie innerhalb des Ostblocks, die sich außenpolitisch im Rapacki-Plan zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa niederschlug.

Im liberalen Flügel des polnischen Kommunismus gab es freilich noch weitergehende Tendenzen. Beispielsweise war daran gedacht, die Arbeiterräte auf Landesebene zu koordinieren und die Wissenschaft völlig vom Drude der Ideologie zu befreien.

Die Konsequenz aus dem „polnischen Oktober" wurde am entschiedensten von Studenten gezogen. Nach Ausbruch der ungarischen Revolution sammelten sie für die Aufständi-sehen mehrere Millionen Zloty. Als die Sowjetunion in Ungarn militärisch eingriff, wurden in Polen Sammelstellen für Blutspenden eröffnet, an denen die Studenten stundenlang Schlange standen. Man erwog sogar die Bildung einer polnischen Legion zur Unterstützung der ungarischen Revolutionäre gegen die Rote Armee

Die ungarische Revolution Noch während der XX. Parteitag der KPdSU tagte, wurde Bela Kun — Begründer des ungarischen Kommunismus und Führer der kurzlebigen ungarischen Räterepublik von 1919 — als Opfer Stalins rehabilitiert. Im Mai 1937 in der Sowjetunion als „Trotzkist" verhaftet, war er 1939 an den Folgen schwerer Folterungen gestorben. Jetzt hieß es in Zeitungsartikeln, die am 21. Februar 1957 gleichzeitig in Moskau und Budapest veröffentlicht wurden, daß er unschuldig gewesen sei.

Seine Rehabilitierung leitete die ungarische Revolution ein. Denn sie schnitt die kaum vernarbte Wunde des Rajk-Prozesses auf. Dem ehemaligen Außenminister war im September 1949 als „Titoist" der Prozeß gemacht worden. Ihm hatten Hunderte prominenter Funktionäre in die Folterkeller und Gräber folgen müssen. Der ungarische Parteichef Rakosi gestand im März 1956 zögernd ein, daß die Anklage auch in diesem Fall konstruiert worden sei. Er hatte sich aber seinerzeit persönlich gerühmt, die „Rajk-Bande" entlarvt zu haben. Nun griff ihn die Witwe des einstigen Außenministers an. Am 18. Juni 1956 erschien sie im Petöfi-Kreis. Dieser Kreis war zwar schon Ende 1955 entstanden, trat aber erst im März 1956 an die Öffentlichkeit. Er spielte vor dem XX. Parteitag der KPdSU eine kaum bemerkenswerte Rolle, wurde jedoch nach diesem Kongreß zu einer ungarischen Demokratie in Miniatur. Die Zahl der Teilnehmer an seinen öffentlichen Diskussionen wuchs sprunghaft von Hunderten auf Tausende an. Am 18. Juni hatten sich fast 2000 Menschen eingefunden. Julia Rajk wurde sogleich mit Beifall begrüßt. Sie erbat das Wort und elektrisierte den gesamten Saal: „Nach fünf Jahren Haft und Erniedrigung stehe ich tiefbewegt vor Ihnen. Eines will ich Ihnen jetzt schon sagen: Was die Gefängnisse betrifft, waren die Verhältnisse unter Horthy selbst für Kommunisten sehr viel besser als unter Rakosi. Nicht nur mein Mann wurde getötet, man nahm mir auch meinen Säugling weg. Jahrelang erhielt ich weder Briefe noch sonstige Mitteilungen über das Schicksal des Kindes. Diese Verbrecher haben nicht nur Laszlo Rajk ermordet, sondern auch alle Rechtschaffenheit und jedes Gefühl im Lande mit Füßen getreten. Doch mit Mördern soll man nicht diskutieren — man muß sie bestrafen. Ich werde nicht eher ruhen, bis jene, die das Land ruiniert, die Partei korrumpiert, Tausende vernichtet und Millionen zur Verzweiflung getrieben haben, ihre gerechte Strafe erhalten. Genossen, helfen Sie mir bei diesem Kampf!" Fast alle Anwesenden, darunter viele Offiziere, erhoben sich von ihren Plätzen und riefen: „Nieder mit Rakosi! Es lebe Ungarn!" Das war die Totenglocke des stalinistischen Systems.

Am 27. Juni 1956 trafen in den Räumlichkeiten des Petöfi-Kreises fast 6000 Menschen zu einer Diskussion über Pressefreiheit zusammen. Tibor Dery, einer der bekanntesten Schriftsteller Ungarns und zugleich Kommunist, faßte die im ungarischen Volk stürmisch wachsende Stimmung in zwei kurze Sätze: „Was ist der Grund all unser Sorgen? Es gibt keine Freiheit ..." Auch Geza Losonczy, ein früherer Stalinist, der in den Kerkern Rakosis zu einem demokratischen Kommunisten geworden war, sprach vor diesem Kreis. Er verlangte die Rehabilitierung Imre Nagys, der rechtswidrig abgesetzt und ausgeschlossen worden sei. Die Versammlungsteilnehmer sprangen auf und verlangten im Sprechchor Nagys Wiederaufnahme in die Kommunistische Partei.

Rakosi gab sich aber noch nicht geschlagen. Er setzte im Zentralkomitee seiner Partei eine Entschließung durch, die den Petöfi-Kreis als „parteiwidrig und volksfeindlich" verurteilte. Außerdem stellte er eine Liste von 400 Personen zusammen, die sofort verhaftet werden sollten. An erster Stelle stand Imre Nagy.

Dieses Unterdrückungsprojekt löste jedoch selbst in Rakosis engstem Kreis Befürchtungen aus. Ein Mitglied des Politbüros informierte den sowjetischen Botschafter; dieser telefonierte mit Chrutschtschow, der sogleich Mikojan nach Budapest schickte. Rakosi wurde „auf eigenen Wunsch" abgesetzt, in Wahrheit auf Drängen Titos. Er floh wie ein Verfolgter ins sowjetische Exil. An seine Stelle als Erster Sekretär der kommunistischen Partei trat der Stalinist Gero.

Es vollzog sich also zunächst nur ein Wechsel an der Spitze des Systems, ohne dieses selbst zu verändern. Aber die in Gang gekommene Entstalinisierung ließ sich nicht mehr bremsen. Der sowjetische Botschafter führte Gespräche mit Nagy. In Staat und Partei machte sich Zersetzung bemerkbar — viele Funktionäre verließen ihre Posten. Am 17. September 1956 wählte der Schriftstellerverband einen neuen Vorstand, wobei alle Stalinisten aus der Leitung verschwanden. Die Zeitschrift des Verbandes führte eine immer kühnere Sprache und konnte daher ihre Auflage auf das Dreifache steigern. Da auch dies noch nicht reichte, um der Nachfrage zu genügen, wurde die Schriftstellerzeitschrift auf dem Schwarzen Markt zum zwanzig-bis dreißigfachen ihres normalen Preises verkauft.

Am 6. Oktober fand das Staatsbegräbnis für Rajk und seine Mitgehenkten statt. Hunderttausende zogen an den Särgen vorüber. Ihr Schweigen war finster und drohend, denn noch immer standen die Henker neben den Opfern. Am Nachmittag des 6. Oktober 1956 flackerten erste Demonstrationen auf. Die Demonstranten kamen vom Friedhof, Studenten, denen sich auch einige hundert Passanten anschlossen. Eine Woche später zerfiel der Kommunistische Jugendverband. In Szegedin erklärten 3000 Studenten ihren Austritt. Sie gründeten eine eigene Organisation, die sich schnell über die Universitäten auszubreiten begann. Am 19. Oktober 1956 wurde in Budapest ein „Freier Studentenrat" gebildet. Er wollte ein nationales Jugendparlament einberufen. Dieser Plan konnte jedoch wegen der schnellen Folge der nun eintretenden Ereignisse nicht mehr verwirklicht werden. Schon am folgenden Tage nahmen die Versammlungen in den Universitäten einen immer stürmischeren Verlauf. Am Abend des 21. Oktober traf die Nachricht von der Neuwahl Gomulkas zum Generalsekretär der polnischen Kommunisten ein. Sie ließ die vorhandenen Funken zur Flamme werden. Was in Polen möglich war, mußte auch in Ungarn möglich gemacht werden können. Bereits unter dem Eindruck des Posener Aufstands hatten oppositionelle Kreise der ungarischen Studenten Protestaktionen erwogen Am 22. Oktober 1956 wurde in der Technischen Hochschule von Budapest ein 16-Punkte-Programm diskutiert und beschlossen. Es verlangte den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen, die geheime Neuwahl aller Funktionäre der Kommunistischen Partei, die Neubildung der Regierung unter dem Vorsitz Imre Nagys, die öffentliche Aburteilung Rakosis und seiner Mitschuldigen, freie Wahlen zu einer neuen Nationalversammlung, Überprüfung der Beziehungen zu den anderen kommunistischen Ländern auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung, Reorganisation der Wirtschaft unter Heranziehung von Experten, Veröffentlichung der Handelsverträge und Reparationszahlungen, Revision des Normensystems und radikale Angleichung der Löhne, geringere Ablieferungsquoten der Bauern, Überprüfung aller Prozesse wegen politischer und wirtschaftlicher Vergehen durch unabhängige Gerichte, völlige Meinungs-und Pressefreiheit sowie Freiheit der Rede und des Rundfunks, Entfernung der Stalin-Statue, Wiedereinführung des ungarischen Kossuth-Wappens, Solidarität mit der polnischen Jugend und Arbeiterschaft. Die Studenten beschlossen, am nächsten Tage eine Kundgebung vor dem Denkmal des polnischen Generals Bem durchzuführen, der 1848/49 ein Mitkämpfer Kossuths gewesen war. Sie riefen die Arbeiter zur Teilnahme auf.

Die Kundgebung wurde zunächst verboten, später aber genehmigt. Treffpunkt war das Petöfi-Denkmal. Dort entrollte man Fahnen und Transparente. Obwohl ursprünglich ein Schweigemarsch vorgesehen war, wurden Lieder angestimmt — die Kossuth-Hymne, die Marseillaise und die Internationale —, nachdem eine Hausfrau die Nationalfahne gehißt hatte. Die Demonstration sollte nicht nur eine Solidaritätskundgebung für die polnischen Antistalinisten sein, sondern auch ein Protest gegen den Stalinismus im eigenen Lande. Sender Budapest berichtete am frühen Nachmittag über ihren Verlauf: „Den aufmarschierenden Massen von Studenten und Jugendlichen schließen sich neue Massen an. Innerhalb weniger Augenblicke leeren sich die Kaffeehäuser, Straßenbahnen und Autobusse. Die Straßenbahnen und Autobusse halten. Die in Bewegung geratene Menge von mehreren Tausenden wächst rasch an. Zehn-, ja Hunderttausende reihen sich ein und rufen: Wir wollen eine neue Regierung. Es lebe Imre Nagyl" Am Bem-Denkmal verlas der Schriftsteller Peter Veres eine Entschließung des Schriftstellerverbandes, in der „eine unabhängige nationale Politik auf der Grundlage des Sozialismus", die Selbstverwaltung der Fabriken durch ihre Arbeiter und Techniker sowie die Entfernung der „Rakosi-Clique" aus dem politischen Leben gefordert wurde. Die Demonstranten, inzwischen zu einer unübersehbaren Menge angewachsen, gerieten in immer größere Erregung. Rufe nach freien Wahlen und dem sofortigen Abzug der russischen Truppen aus Ungarn ertönten. Dann gellte der Schrei „Tod für Rakosi!" durch die Straßen. Die Studenten verteilten heimlich gedruckte Flugblätter, in denen sie die Absetzung der Regierung verlangten und führten dabei riesige Lenin-Bilder mit. Schließlich löste sich die Demonstration in zwei Ströme auf — der eine schlug den Weg zum Parlament, der andere die Richtung zum Stalinplatz ein, auf dem die Statue des Despoten stand. Noch war es zu keiner Gewalttat gekommen.

Vor dem Parlamentsgebäude wurde ein jugoslawischer Journalist brüderlich umarmt. Die Menge rief, immer ungeduldiger werdend, nach Imre Nagy, der nur zögernd kam und durch seine Empfehlung enttäuschte, nach Hause zu gehen. Inzwischen wurde auf dem Stalin-Platz bereits die Statue niedergerissen. Viele Demonstranten bespuckten die Trümmer des steinernen Stalin. Andere traten sie mit Füßen.

Es war nun 20 Uhr abends. Der Rundfunk übertrug eine Ansprache des kommunistischen Parteichefs. Gero beschimpfte die Demonstranten als „Volksfeinde". Er sprach von „Verleumdung" der Sowjetunion und der „schamlosen Lüge", daß sie die Unabhängigkeit Un-garns verletze. In den Anklagen der Aufrührer sei „nicht ein Körnchen Wahrheit" enthalten.

Kurz nach dieser Rede entbrannte der Kampf um das Budapester Funkhaus, zu dem sich die rebellischen Studenten begeben hatten, um ihr Programm über den Rundfunk im gesamten Land zu verbreiten. Ihre von vielen herbeigeströmten Passanten unterstützte Forderung, ein Mikrophon auf die Straße zu bringen, damit die aufgestellten Punkte verlesen und ausgestrahlt werden könnten, wurde nach langer Wartezeit zwar formell erfüllt, es erfolgte aber keine Übertragung im Sender. So getäuscht und gereizt, drangen die Demonstranten in das Funkhaus ein, das von einer Abteilung Geheimpolizei besetzt war, die zu schießen begann. In ohnmächtiger Wut schrie die Menge auf, denn sie besaß keine Waffen. Obendrein rollten zur Verstärkung der Geheimpolizei Panzer der ungarischen Armee heran. Der entscheidende Augenblick war gekommen. Doch die Soldaten verbrüderten sich mit dem Volk. Als ein Generalmajor den Befehl gab, die Demenstranten auseinanderzutreiben, weigerten sich die Soldaten. Arbeiter fuhren aus einem Rüstungsbetrieb Waffen und Munition heran. Nun eröffneten auch die Revolutionäre das Feuer. Das Funkhaus wurde gestürmt. Das nächste Ziel war die Redaktion des kommunistischen Zentralorgans. Schon am nächsten Tag breitete sich die Revolution wie ein Lauffeuer über ganz Ungarn aus. Daran konnte weder das Eingreifen der im Lande stationierten sowjetischen Truppen noch die Berufung Imre Nagys zum Ministerpräsidenten etwas ändern. Auch die Ablösung Geros durch Kadar hielt den Sturm nicht mehr auf. Die Kämpfe zwischen den Aufständischen auf der einen, den ungarischen Stalinisten und zwei sowjetischen Panzerdividionen auf der anderen Seite tobten fünf Tage. Dann zog sich die Rote Armee langsam aus Budapest zurück. Am 29. Oktober hatte die Revolution gesiegt, weil sie sich auf eine ungewöhnlich breite Allianz der Studenten, Intellektuellen, Arbeiter, Soldaten und Bauern stützen konnte. Ausschlaggebend war der Übergang des größten Teils der Armee auf die Seite des Volkes.

An die Stelle des stalinistischen Staatsapparats traten Nationairäte und Revolutionsausschlüsse. Arbeiterräte übernahmen die Verwaltung der Betriebe. In den Dörfern lösten sich die Kolchosen auf. Die Kommunistische Partei brach zusammen. Aus ihren Resten bildeten Nagy und Kadar die „Sozialistische Arbeiterpartei".

Trotz mancher Exzesse — vornehmlich gerichtet gegen Mitglieder der verhaßten Geheimpolizei, die wie Ratten gejagt und getötet wurden — trat im Laufe des 30. Oktober eine gewisse Beruhigung der innenpolitischen Situation ein. Nagy kündigte die Abschaffung des Einparteiensystems und freie Wahlen an. Am gleichen Abend gab die Sowjetunion eine Erklärung ab, in der sie fehlerhafte Beziehungen zu den Volksdemokratien eingestand und versprach, sie in Zukunft gleichberechtigt und gemäß den Prinzipien der Koexistenz zu gestalten. Damit war die Koexistenz auch als Grundlage der zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb des Ostblocks anerkannt. Freilich nur formell, denn schon am 31. Oktober begannen sowjetische Truppen die ungarische Grenze zu überfluten. Um ihren Vormarsch aufzuhalten, proklamierte Ministerpräsident Nagy am 1. November 1956 die Neutralität seines Landes. In der folgenden Nacht verschwand Janos Kadar, um eine Gegenregierung zu schaffen, die „nationale Unabhängigkeit", „Abschaffung der Bürokratie" und „Arbeiterselbstverwaltung" in den Betrieben versprach.

Am 3. November bildete Nagy eine Mehrparteienregierung, der auch drei sozialdemokratische Minister angehörten. In der Nacht wurde eine ungarische Delegation unter Verteidi-gungsminister Maleter und Generalstabschef Kovacs im sowjetischen Hauptquartier, wohin sie unter dem Vorwand gebeten worden war, über den Abzug der Roten Armee aus Ungarn zu verhandeln, festgenommen. Damit war die ungarische Revolution ihrer militärischen Führer beraubt. Am Morgen des 4. November 1956 begann die zweite Intervention sowjetischer Truppen.

In Budapest wurde abermals fünf Tage gekämpft. In anderen Teilen des Landes hielt sich der bewaffnete Widerstand sogar bis Mitte November. AIs die militärische Kraft der Revolution erlahmte, suchte sie nach politischen und zivilen Fortsetzungsmitteln. Am 14. November bildete sich ein zentraler Arbeiterrat für die ungarische Hauptstadt. Außerdem erschien zwischen dem 11. und dem 23. November eine illegale Zeitung „ 23. Oktober", herausgegeben von einer „Demokratischen Unabhängigkeitsbewegung", die in einem Memorandum unabhängige Richter, Garantie des Streikrechts, freie Gewerkschaften und einen nationalen Revolutionsrat als höchste Körperschaft des Landes verlangte. Der Revolutionsrat sollte aus je zehn Arbeitern, Bauern und Intellektuellen bestehen

Die illegale Zeitung stellte am 22. November ihr Erscheinen ein, an dem Tag, als Imre Nagy beim Verlassen der jugoslawischen Botschaft von sowjetischen Offizieren festgenommen wurde, obwohl ihm vom Kadar-Regime Straffreiheit zugesichert worden war. Aber trotz ihrer Enthauptung und des großen Blutverlustes, den sie bereits erlitten hatte, bäumte sich die ungarische Revolution noch einmal auf. Der zentrale Arbeiterrat organisierte am 11. /12. Dezember einen Generalstreik als Protest gegen die Wiederherstellung der Diktatur. Daraufhin wurde er ebenso wie die lokalen Arbeiterräte zwangsweise aufgelöst. Die ausschließlich aus Kommunisten bestehende Kadar-Regierung proklamierte zur Niederwerfung der Rätebewegung den Ausnahmezustand

Was sind die Besonderheiten und neuen Elemente der ungarischen Revolution? Durch welche Eigenarten unterscheidet sie sich von allen vorangegangenen Formen der osteuropäischen Revolution?

Erstens zerstörte sie den stalinistischen Staats-und Parteiapparat.

Zweitens entstanden außer den Arbeiterräten auch Revolutionsausschüsse als neue politische und administrative Organe der Macht.

Drittens löste sich die Kommunistische Partei auf; es bildete sich eine neue Organisation auf antistalinistischer Basis.

Viertens kam es in Ungarn zur Wiederbelebung der Sozialdemokratie als unabhängiger Partei. Das warf die Frage nach Wiederzulassung der Sozialdemokratischen Partei in allen kommunistischen Ländern auf, das heißt nach Wiederauflösung der künstlich geschaffenen Einheitsparteien.

Fünftens wurde erstmals der Übergang vom Einparteien-zum Mehrparteiensystem vollzogen.

Sechstens erklärte Ungarn seine Neutralität und seinen Austritt aus dem Warschauer Pakt.

Siebentes gewannen die Gewerkschaften vorübergehend ihre Unabhängigkeit zurück. Sie lösten sich unverzüglich vom kommunistischen Weltgewerkschaftsbund.

Achtens bildete sich in Gestalt der „Demokratischen Unabhängigkeitsbewegung" eine neue Form einer antistalinistischen Organisation, die eine Synthese von Demokratie und Kommunismus erstrebte sowie das Konzept einer Verknüpfung von Parlamentarismus und Räte-macht entwarf.

Mit jeder dieser Eigenarten überschritt Ungarn die bisherigen Grenzen der osteuropäischen Revolution, die damit eine höhere Bewußtseinsstufe erreichte. (wird fortgesetzt)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Am besten dargestellt in Suchanow, 1917 — Tagebuch der russischen Revolution, München 1967.

  2. Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Berlin (Ost) 1961, Band II, S. 999.

  3. Ebenda, S. 1016.

  4. Ebenda, S. 1026.

  5. Ebenda, S. 1027.

  6. Ebenda, S. 1029.

  7. M. Djilas, Die neue Klasse, München 1960, S. 67.

  8. Lenin, a. a. O., Band II, S. 9.

  9. I. Deutscher, Der bewaffnete Prophet, Stuttgart 1962, S. 355.

  10. Lenin, a. a. O., Band II, S. 1001.

  11. B. Gross, Willi Münzenberg, Stuttgart 1967, S. 171.

  12. Siehe M. Buber-Neumann, Von Potsdam bis Moskau, Stuttgart 1957.

  13. K. S. Karol, Polen zwischen Ost und West, Hamburg 1962, S. 56.

  14. G. Nollau, Aufstieg und Ende der III. Internationale, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 12/59 vom 18. 3. 1959.

  15. H. Weber, Ulbricht fälscht Geschichte, in: Vorwärts vom 27. 11. 1963.

  16. G. Hillmann, Selbstkritik des Kommunismus, Hamburg 1967.

  17. Am Beispiel Ungarns glänzend von T. Aczel und T. Meray dargestellt in: Revolte des Intellekts, München 1961, insbesondere S. 118— 140.

  18. Ebenda, S. 223.

  19. Ebenda, S. 280/82

  20. Tito contra Stalin, Hamburg 1949, S. 34.

  21. Aczel/Meray, Revolte des Intellekts, S. 48.

  22. Diese Zahlen sind größtenteils den Berichten der kommunistischen Parteien bei der Gründung des Kominform entnommen (Für Frieden und Volksdemokratie, Verlag Tägliche Rundschau, Berlin [Ost] o. J.).

  23. Djilas, Die neue Klasse, S. 237.

  24. Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin (Ost) 1960, S. 35.

  25. Djilas, Die neue Klasse, S. 244.

  26. F. Borkenau, Der europäische Kommunismus, München 1952, S. 317.

  27. J. Rühle, Literatur und Revolution, Köln 1960, S. 535.

  28. Tito contra Stalin, S. 64.

  29. Ernst Halperin, Der siegreiche Ketzer, Köln 1957, S. 84.

  30. Tito contra Stalin, S. 64.

  31. Der VI. Kongreß der KPJ, Bonn 1952, S. 5/7.

  32. Ebenda, S 4.

  33. Ebenda, S 9.

  34. Ebenda, S. 20.

  35. Ebenda, S 21.

  36. Ebenda, S. 20.

  37. Ebenda, S 26.

  38. Ebenda, S. 88.

  39. Z. K. Brzezinski, Der Sowjetblock, S. 72— 74.

  40. Siehe meine Arbeit: Kommunismus, Sozialismus und Karl Marx, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 72, Bonn 1968, in der das Verhältnis von Staats-und Anarchokommunismus durch die bisherige Geschichte des Kommunismus verfolgt und unter einem anderen Gesichtspunkt näher ausgeführt worden ist.

  41. geKardelj, Vier Jahre Erfahrung, Belgrad 1960,

  42. O. R. Ließ, Rumänien zwischen Ost und West, Hannover 1965, S. 66.

  43. Ebenda, S. 21.

  44. Brzezinski, Der Sowjetblock, S. 245.

  45. Die Entlarvung des Stalinterrors, Ostbüro der SPD, Bonn o. J., S. 46.

  46. Ebenda.

  47. Aczel/Meray, Revolte des Intellekts, S. 46.

  48. St. Popovic, Die Agrarpolitik in Jugoslawien, Belgrad 1964, S. 21.

  49. E. Halperin, Der siegreiche Ketzer, S. 122.

  50. Tibor Meray, 13 Tage, die den Krem, erschütterten, München 1961, S. 16.

  51. E. Kardelj in „Borba" vom 28. 6. 1953.

  52. St. Brant, Der Aufstand, Stuttgart 1957, S. 196.

  53. E. Kardelj in „Borba" vom 28. 6. 1953.

  54. Siehe A. Baring, Der 17. Juni, Köln 1965, S. 57, ind H. Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist, München 1967, S. 251.

  55. H. Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist, 5. 237.

  56. Ebenda, S. 240.

  57. Ebenda, S. 241.

  58. Ebenda, ab S. 241.

  59. Ebenda, S. 229.

  60. Ebenda, S. 227.

  61. St. Brant, Der Aufstand, S. 153.

  62. H. Brandt, Ein Traum .. ., S. 231.

  63. A. Baring, Der 17. Juni, S. 101/02.

  64. Freies Deutschland, Moskau, vom 25. 2. 1945.

  65. Ebenda.

  66. H. Weber, Der deutsche Kommunismus, Köln 1963, S. 435.

  67. „Einheit" vom Februar 1946.

  68. H. Brandt, Ein Traum ..., S. 246.

  69. St. Brant, Der Aufstand, S. 233.

  70. Ebenda, S. 263.

  71. J. Scholmer, Arzt in Workuta, München 1963, S. 173.

  72. Ebenda, S. 174.

  73. „Vorwärts" vom 2. 8. 1963.

  74. Scholmer, Arzt in Workuta, S. 161.

  75. Ebenda, S. 188.

  76. Ebenda, S. 6.

  77. A. Solshenizyn, Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, München 1963, S. 117.

  78. B. Gross, Willi Münzenberg, S. 273.

  79. Djilas, Die neue Klasse, S. 156.

  80. Scholmer, Arzt in Workuta, S. 123.

  81. W. Leonhard, Chruschtschow, Frankfurt/M. 1965, S. 49.

  82. H. Kersten, Aufstand der Intellektuellen, Stuttgart 1957, S. 23.

  83. Ebenda, S. 30.

  84. T. Meray, 13 Tage ..., S. 14— 17.

  85. Aczel/Meray, Revolte ..., S. 153.

  86. Meray, 13 Tage ..., S. 16.

  87. Ebenda, S. 17.

  88. Aczel/Meray, Revolte ..., S. 153.

  89. Meray, 13 Tage ..., S. 18.

  90. Aczel/Meray, Revolte . .., S. 152.

  91. Ebenda, S. 148.

  92. Ebenda, S. 191.

  93. Meray, 13 Tage . . ., S. 39.

  94. Abgedruckt bei Aczel/Meray, Revolte..., S. 318— 22.

  95. Brzezinski, Der Sowjetblock, S. 262.

  96. Karol, Polen zwischen Ost und West, S. 142/43.

  97. Die Entlarvung des Stalinterrors, Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag, Ostbüro der SPD, S. 40.

  98. Ebenda, S. 18.

  99. Ebenda, S. 14.

  100. Ebenda, S. 31.

  101. Ebenda, S. 43.

  102. Ebenda, S. 40.

  103. Ebenda, S. 17.

  104. Ebenda, S. 45/46.

  105. Chruschtschow. — Rechenschaftsbericht an den XX. Parteitag, Ost-Berlin 1956, S. 45.

  106. Ebenda, S. 44.

  107. Prawda, Moskau, 2. 6. 1955.

  108. Alexandrow, Das Leben des Nikita Chruschtschow, München 1958, S. 119.

  109. Siehe Anhang zur deutschen Ausgabe von Dudinzew, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, Hamburg 1958.

  110. Zitiert nach Merkur 2/58, S. 173.

  111. Ebenda.

  112. Kersten, Aufstand der Intellektuellen, S. 72— 76

  113. Nowe Drogi, Warschau September 1956, auch in: Mensch ohne Alternative, S. 40— 56.

  114. Karol, Polen zwischen Ost und West, Hamburg 1962, S. 178/79.

  115. Aczel/Meray, Revolte des Intellekts, S. 369/70.

  116. Gosztony, Die ungarische Revolution in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1966, S. 44.

  117. Ebenda, S. 46.

  118. Aczel/Meray, Revolte des Intellekts, S. 66.

  119. Gosztony, Die ungarische Revolution in Augenzeugenberichten, S. 115.

  120. Ströhm, in: Osteuropa 1/57, S. 2.

  121. Gosztony, Die ungarische Revolution in Augenzeugenberichten, S. 136.

  122. Lasky, Die ungarische Revolution, S. 258/59.

  123. Der Fall Imre Nagy, S. 150.

  124. Ungarn zehn Jahre danach, Mainz 1966, S. 100.

Weitere Inhalte

Günter Bartsch, freier Journalist, geb. 13. 2. 1927 in Neumarkt/Schlesien. Von 1948 bis 1953 in leitenden Positionen der kommunistischen Jugendbewegung. Bruch mit dem Kommunismus nach dem 17. Juni 1953. Veröffentlichungen u. a.: Kommunismus, Sozialismus und Karl Marx, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 72, 2. Auflage 1968